Ein Mann hat die Ruhe weg All is lost

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Ein Mann hat die Ruhe weg All is lost
Kino
10
NUMMER 6
Jetzt boxen
sie wieder
Kino kompakt
DANCING IN JAFFA
Normalerweise geht
man sich aus dem Weg
Robert De Niro trifft
auf Sylvester Stallone
Tanzen statt Kämpfen: Mit einem
interkulturellen Projekt wollte der
mehrfache Tanzweltmeister Pierre
Dulaine eine Beziehung zwischen
jüdischen und palästinensischen
Kindern schaffen. Kein leichtes
Unterfangen in einer Region, in der
schon eine flüchtige Berührung
zwischen Jungen und Mädchen problematisch sein kann, ganz abgesehen von den tiefen Gräben, die jahrzehntelange Kämpfe gezogen haben. Dulaine wurde selbst in der
früher palästinensischen Hafenstadt Jaffa geboren. In seiner Heimat brachte er die Kinder bei gemeinsamen Tanzkursen zusammen.
Der Dokumentarfilm „Dancing in
Jaffa“ begleitet das Projekt. Er erzählt von Ängsten, Vorurteilen,
Enttäuschungen und vorsichtigen
Annäherungen zwischen Familien,
die sich im Alltag sonst eher aus dem
Weg gegangen wären. (dpa)
****
Start in Augsburg
VON FRED DURAN
O
DIE PUTE VON PANEM
Die „Hunger Games“ auf
die Schippe genommen
Unlängst startete der zweite Teil
der so erfolgreichen „Hunger
Games“-Reihe („Tribute von Panem“) um die unerschütterliche
Katniss Everdeen. Nun kommt mit
den „Starving Games“ eine Parodie in die Kinos. In „Die Pute von
Panem“ trägt die Protagonistin
den Namen Kantmiss Evershot; bei
den 75. Starving Games, einem
großen TV-Event des bösen Präsidenten Snowball, kämpft die junge
Frau um ihr Überleben. Und begegnet dabei reichlich seltsamen Gestalten. Im Film zusätzlich auf die
Schippe genommen werden Kinohits wie „Harry Potter“, „The
Avengers“, „The Expendables“
oder „Avatar“. Die „Pute von Panem“ stammt von den Machern
solcher Filme wie „Beilight – Biss
zum Abendbrot“. (dpa)
***
Start in Aichach, Augsburg, Füssen,
Ingolstadt, Kaufbeuren, Königsbrunn,
Neu-Ulm, Ulm
O
Die Jacht ist leckgeschlagen, doch der Segler (Robert Redford) weiß, was zu tun ist.
Foto: Universum Film
Ein Mann hat die Ruhe weg
All is lost J.C. Chandors Seglerdrama kommt mit nur einem Schauspieler aus.
Der ist inzwischen auch schon 77 – und spielt seine beste Rolle seit langem
VON MARTIN SCHWICKERT
Ein Mann. Ein Boot. Das Meer. Das
sind die einzigen Ressourcen, auf
die „All is lost“ des Regisseurs
J.C.Chandor zurückgreift. Wie soll
so ein Film funktionieren, mit nur
einer Person, die allein im Indischen
Ozean treibt? Nur ein paar Sätze
werden am Anfang gesprochen, und
nachdem das Funkgerät seinen
Dienst versagt, verfällt der Film in
kompromissloses Schweigen. Kein
Off-Kommentar, der den Seelenzustand spiegelt. Kein imaginärer Gesprächspartner, an den das Wort gerichtet wird. Der Überlebende in
„Schiffbruch mit Tiger“ hatte immerhin ein Raubtier, und Tom
Hanks in „Cast Away“ einen zerknautschten Volleyball als Gegenüber. Der namenlose Held in „All is
lost“ hat nur sich selbst. Ein solcher
Film scheint, genau wie das angeschlagene Boot, auf dem er sich bewegt, dem Untergang geweiht.
Aber in seinem Alleinseglerdrama
beweist J.C.Chandor („Margin
Call“), dass manchmal eine gute
Idee, die mit präziser Konsequenz
ausgeführt wird, ausreicht für eine
fesselnde Kinoerfahrung. Natürlich
hat Chandor mit Robert Redford
den idealen Hauptdarsteller gefunden, der mit all seiner schauspielerischen Lebenserfahrung so eine OneMan-Show tragen kann. Redford ist
inzwischen 77, und das sieht man
seinem stilvoll verwitterten Gesicht
auch an. Ohne zu zögern, nimmt
man ihm den versierten Segler ab,
der allein über den Indischen Ozean
kreuzt.
Die Jacht kollidiert mit einem
Container, der von einem Frachter
gefallen mitten im Meer treibt und
ein Leck ins Bug schlägt. In die Kajüte dringt Wasser, die komplette
Schiffselektrik samt Navigationssys-
tem und Funkgerät bricht zusammen. Man ahnt, dass dies der Anfang vom Ende sein wird. Aber
wenn man zusieht, wie der alte
Mann das Schiff in Schräglage
bringt, sich mit einem Flaschenzug
abseilt, um das Loch mit Kleber und
Kunststoffgewebe zu schließen, ist
man sich dessen nicht mehr so sicher. In jeder Bewegung liegt hier
die handwerkliche und seemännische Erfahrung eines Mannes, der
weiß, was zu tun ist.
Und so beginnt ein spannender
Kampf auf hoher See gegen die
Widrigkeiten der Natur. Ein Sturm
und bald noch ein zweiter ziehen
Ein Großer des amerikanischen Films: Robert Redford
● Robert Redford ist einer der berühmtesten Schauspieler Amerikas.
Auch als Regisseur und Produzent hat
er sich einen Namen gemacht. 1936
im kalifornischen Santa Monica geboren, spielte er fürs Kino erstmals in
dem Kriegsdrama „Hinter feindlichen
Linien“ (1962). Der Durchbruch gelang ihm an der Seite von Paul
Newman in „Die zwei Banditen“
(1969). In seinen Filmen verkörperte
er die unterschiedlichsten Rollen –
als Naturbursche, Dandy, Politiker,
Soldat oder Journalist. Sein Regiedebüt gab er 1980 mit dem Familiendrama „Eine ganz normale Familie“.
Damit gewann er den Oscar als bester
Regisseur. Mit dem Sundance-Festival schuf er ein Forum für den von Hollywood unabhängigen Film. (dpa)
Kantmiss (Maiara Walsh) kämpft mit ihren eigenen Waffen.
Foto: Universum
Herz und Schmerz
Weiter sehenswert
● Der Medicus ***
In dem Mittelalter-Epos geht Tom
Payne bei Ben Kingsley in die Lehre
● Blau ist eine warme Farbe ****
Erste Liebe unter zwei jungen Frauen:
der Cannes-Sieger in diesem Jahr
● Only lovers left alive ***
Ein Film über Vampire, die für Natur
und Kultur leben
Unsere Wertungen
* sehr schwach
** mäßig
*** ordentlich
**** sehenswert
***** ausgezeichnet
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DONNERSTAG, 9. JANUAR 2014
Diana Wie Oliver Hirschbiegel die „Königin der Herzen“ sieht
VON DIETER OSSWALD
Mit dem Psychothriller „Das Experiment“ gab Oliver Hirschbiegel
2001 sein viel beachtetes Kinodebüt.
Für sein Hitler-Drama „Der Untergang“ (2004) bekam er eine Nominierung für den Oscar, aber auch
reichlich Verrisse. Das ist freilich
nichts im Vergleich zu der Häme,
die dem Regisseur in britischen Medien für seine „Diana“ entgegenschlug. Ausgerechnet ein Deutscher
verfilmt die letzten beiden Jahre der
„Königin der Herzen“? Und dann
besetzt er die Prinzessin auch noch
mit der Australierin Naomi Watts?
Die Briten waren not amused!
Dabei erzählt Hirschbiegel doch
nur ein Märchen, die Lovestory einer unglücklichen Prinzessin zu einem pakistanischen Herzchirurgen.
Wer
Herz-Schmerz-Geschichten
mag, Klatsch und royalen Glamour
faszinierend findet, der kommt bei
dieser konventionell gestrickten Geschichte durchaus auf seine Kosten.
Da gibt es die arme, reiche Schwiegertochter der Queen, die ständig
von Paparazzi verfolgt wird. Ihre
Ehe mit Thronfolger Charles ist
längst gescheitert, die Kinder wer-
den der Mutter vom Palast vorenthalten. Und plötzlich trifft diese
Frau in einer Klinik durch Zufall auf
einen charismatischen Mann (Naveen Andrews). Der spontane Flirt
wird schnell zur Affäre. Mit Perücken getarnt, versucht die meistfotografierte Frau jener Zeit sich ein
bisschen Privatleben zu verschaffen.
Doch die Liebe ist zum Scheitern
verurteilt.
Hirschbiegel setzt bei seinem Melodram auf ganz konventionelle Erzählweise und brave Inszenierung.
Was dieses Ikone ausgemacht hat
und wie sie tatsächlich tickte, davon
erfährt man hier so wenig wie in all
den Klatschblättern. Für „Sissi“-Fans eine harmlos-hübsche Seifenoper mit reichlich royalen
Kitschkalorien. Wer einen radikalen, gesellschaftskritischen Blick auf
Adel und Co. à la „Experiment“ erwartet, wird kaum bedient.
**
O
Start in Aichach, Augsburg, Füssen,
Ingolstadt, Kaufbeuren, Königsbrunn,
Neu-Ulm, Ulm
Diana (Naomi Watts) weiß, welches Bild sich die Öffentlichkeit von einer Prinzessin
wünscht.
Foto: Concorde
auf, die Vorräte gehen zur Neige,
das Trinkwasser ist versalzen, der
Wasserpegel in der Kajüte steigt,
und kein Land ist in Sicht. Mit Sextant und Navigationshandbuch versucht der Segler die Richtung zu finden hin zu einer Seefahrtsstraße, wo
er auf Rettung hofft.
„All is lost“ bezieht seine Spannung aus der Präzision und Schlüssigkeit, mit der die Überlebensstrategien des in Seenot geratenen Seglers inszeniert werden, aber auch
aus dem metaphorischen Subtext
und den existenziellen Emotionen,
die dieser unnachgiebige Blick auf
einen Mann freisetzt, der sich gegen
die Verzweiflung stemmt. Dass es
sich bei dem Helden um einen sichtbar alten Menschen handelt, der den
eigenen Fähigkeiten vertraut, mit
seinen Kräften haushalten muss und
den letzten Zipfel Leben entschieden festhält, gibt dem Film trotz seiner dramatischen Prämisse eine
Souveränität, Entspanntheit und
Würde, wie sie nur ein Mann wie
Robert Redford in der besten Rolle
seiner zweiten Lebenshälfte verkörpern kann.
*****
O Start in Augsburg, Kaufbeuren, Ulm
Wer in Hollywood ein gewisses
Dienstalter erreicht, läuft Gefahr,
als eigenes Selbstzitat vermarktet zu
werden. Sylvester Stallone ist Opfer
und Profiteur dieses Schubladendenkens. Nach fünf „Rocky“- und
drei „Rambo“-Filmen läutete er mit
seinen Spätrevivals „Rocky Balboa“
(2006) und „John Rambo“ (2008)
die Ära des Altherren-Actionfilmes
ein. In „The Expendables“ wurde
die Idee sogar ins gruppentherapeutische Format ausgebaut. Peter Segals „Zwei vom alten Schlag“ funktioniert nach ähnlichem Muster. Zu
Stallone gesellt sich hier Robert De
Niro, der auch schon seine Neigung
zum Selbstzitat bewiesen hat.
Die beiden werden als rivalisierende Boxchampions erneut in den
Ring gestellt, wo De Niro in „Wie
ein wilder Stier“ und Stallone als
„Rocky“ Filmgeschichte geschrieben haben. Vor dreißig Jahren, so
will es das Drehbuch, haben die beiden erfolgreichen Sportler sich in
zwei Kämpfen gegenseitig den Sieg
gestohlen. Ein windiger Promoter
setzt nun alles daran, die Veteranen
noch einmal gegeneinander antreten
zu lassen. Aber die Männer kämpften damals nicht nur um Titel,
Ruhm und Reichtum, sondern auch
um das Herz einer Frau (Kim Basinger).
Der Zickenkrieg der Vorruhestandsmachos entwickelt durchaus
einen
gewissen
parodistischen
Charme. Die stoische, dem limitierten schauspielerischen Vermögen
geschuldete Aura Stallones und De
Niros facettenreiche Darstellung eines gealterten Alphatieres bilden auf
der Leinwand einen unterhaltsamen
Kontrast. Die aufgewärmte Lovestory, in der Stallone und Basinger
steifbeinig umeinander turteln, ist
jedoch nicht mehr als eine Auflistung behaupteter Gefühle.
***
O Start in vielen Kinos der Region
Zwei vom alten Schlag: Robert De Niro
(li.), Sylvester Stallone.
Foto: Warner
Nachgefragt
» ZUM FILM „DIANA“
Blumen waren
unerwünscht
Oliver Hirschbiegel ist
einer der meistbeachteten deutschen Filmregisseure. Vor seiner Kinokarriere arbeitete er fürs
Fernsehen.
Sie durften im Kensington Palace drehen. Bedeutete diese Genehmigung eine
heimliche Unterstützung für den Film?
Hirschbiegel: Als heimliche Unterstützung würde ich das nicht bezeichnen, man hat uns freundlich
geholfen. Im Inneren der Paläste
darf natürlich kein Filmteam der
Welt drehen. Aber uns wurde vom
Königshaus erlaubt, in Kensington
Gardens zu drehen, wo Diana immer
joggte, sowie vor dem berühmten
Tor. Die einzige Auflage war, dass
wir dort keine Blumen ablegen, weil
dadurch die Gefühle der Söhne verletzt worden wären.
Hat Sie diese Genehmigung nicht
überrascht?
Hirschbiegel: Die Genehmigung
spricht schon dafür, dass irgendje-
mand in der Pressestelle des Königshauses unser Drehbuch gelesen hat,
auch wenn das offiziell niemals zugegeben würde. Wobei unser Film
der Königsfamilie ja keineswegs kritisch gegenübersteht. Diese letzten
beiden Jahre, von denen wir erzählen, sind relativ harmlos.
Gab es mittlerweile offizielle royale
Reaktionen?
Hirschbiegel: Nein, der Palast äußert
sich zu solchen Dingen nie. Selbst zu
„Die Queen“ von Stephen Frears
gab es damals keinerlei Kommentare, obwohl das eine sehr emotionale
Sympathiewerbung gewesen ist.
Der Herzchirurg und Liebhaber von
Diana zeigte sich wenig begeistert von
dem Film …
Hirschbiegel: Zur Biografie von Kate
Snell, auf dem unser Film basiert,
gab es nie Einwände. Eigenartigerweise hat sich Doktor Khan kurz vor
dem Kinostart geäußert und erzählt,
dass er das alles nicht für authentisch
halte und es ihm zu sehr nach Kitsch
riechen würde – allerdings hat er
den Film gar nicht gesehen. Diese
Äußerungen decken sich da nicht
unbedingt mit dem Bild des klugen
Gentleman, als den wir ihn im Film
zeigen.
Interview: D. Osswald