MILITÄR UND GESELLSCHAFT

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MILITÄR UND GESELLSCHAFT
M I LITÄR U N D
G E S E LLSCHAF T
M I LITÄ R U N D G E S E LLSC H A FT
I N D E U T S C H L A N D S E I T 194 5
Eine Ausstellung des Zentrums für Militärgeschichte
und ­Sozialwissenschaften der Bundeswehr und
der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Foto: SZ Photo / Manfred Vollmer
TEXT- UND BILDAUSZÜGE
ZMS
Zentrum für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr
02 03
NIE WIEDER!
Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg
«OHNE MICH!»
Der Weg zur Wiederbewaffnung
8. Mai 1945. Die deutsche Wehrmacht kapituliert. In Europa endet
der Zweite Weltkrieg. Deutschland hat ihn als Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt, der über 50 Millionen Menschenleben kostete. Große Teile Europas liegen in Trümmern. Millionen sind auf
der Flucht, obdachlos oder in Gefangenschaft. Allmählich verdichten sich die Nachrichten von einem unfassbaren Verbrechen, das
Deutsche im Schatten des Krieges begangen haben: die systematische
Ermordung von mehr als sechs Millionen europä­ischen Juden.
Die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich sind sich einig: Von Deutschland darf nie wieder eine Gefahr
ausgehen. Das Land wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Es soll
demokratisiert, dezentralisiert, entnazifiziert und entwaffnet werden.
Doch die Anti-­Hitler-Koalition hält nicht lange. Die Gegensätze zwischen der kommunistischen Sowjet­union und den westlichen Demokratien sind zu groß.
Während Moskau in seinem Machtbereich kommunistische Re­
gime installiert und die Planwirtschaft einführt, treiben die drei
West­alliierten in ihren Besatzungszonen die Bildung eines Teilstaates
voran. Es ist der Beginn des Kalten Krieges, der Deutschland, Europa und die Welt für vier Jahrzehnte teilen wird. 1949 kommt es zur
Gründung von zwei deutschen Staaten.
Unter dem Schutz der Westmächte entwickelt sich in der 1949 ge­
gründeten Bundesrepublik eine Demokratie mit sozialer Marktwirt­schaft. Die Bundesbürger erleben in den 1950er Jahren ein Wirt­
schafts­wunder und rasch wachsenden Wohlstand. Weder die Alli­ierten noch die Westdeutschen haben anfangs Interesse an einer
Bewaf­f nung des Landes. Der Ausbruch des Koreakrieges 1950 ändert
dies. Die Furcht wächst, dass auch in Europa aus dem Kalten Krieg ein
heißer werden könnte, zumal die Sowjetunion nun – wie die USA – 
über Atomwaffen verfügt.
Angesichts der wachsenden Wirtschaftskraft der Bundesrepublik
und ihrer geostrategischen Lage wird in Washington, London und
Paris immer vernehmlicher über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag diskutiert. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad
Adenauer (CDU) sieht in einer «Wiederbewaffnung» die Chance,
gleichermaßen die Westbindung zu stärken und die staatliche Souveränität zurückzugewinnen.
Der Aufbau westdeutscher Streitkräfte und ihre Integration in die
NATO erschweren jedoch die ersehnte Wiedervereinigung, was der
Debatte eine deutschlandpolitische Note gibt. Für viele Bundesbürger ist eine «Wiederbewaffnung» so bald nach dem Weltkrieg unerträglich. «Nie wieder!» und «Ohne mich!» lauten ihre Parolen.
Am 25. April 1945 reichen sich amerikanische und sowjetische
Soldaten auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau die Hände.
Das einen Tag später nachgestellte Bild geht um die Welt und
kündet von der bevorstehenden deutschen Niederlage.
Anstecknadel aus dem Jahr 1951 mit einem stilisierten Soldatenstiefel und dem Schriftzug «Ohne Mich». Die Anstecker
richten sich gegen Pläne, in Westdeutschland paramilitä­rische
Polizeiverbände zu schaffen.
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04 05
GETARNTE AUFRÜSTUNG
Die militärische Aufrüstung
in der DDR
RECHT UND FREIHEIT
TAPFER ZU VERTEIDIGEN …
Die Gründung der Bundeswehr
Die Sowjetunion ist Schutzmacht, Befehlsgeber und Vorbild der Diktatur, die die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in der
DDR errichtet. Die SED war 1946 aus der Zwangsvereinigung der
Sozialdemokraten mit den Kommunisten hervorgegangen, die dort
fortan das Sagen haben. Opposition in der DDR wird unterdrückt,
Unternehmer enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert. Doch die
Planwirtschaft erweist sich als ineffizient und dem westlichen Modell
unterlegen.
Angesichts der Blockkonfrontation will die Sow­jetunion ihre
­Satellitenstaaten stabilisieren. Deshalb darf Ost-Berlin bereits 1948
verdeckte militärische Formationen aufstellen. Im April 1952 weist
Stalin die SED-Führung an: «Volks­armee schaffen – ohne Geschrei».
Am 1. Juli wird die «Kasernierte Volkspolizei» (KVP) gegründet, die
nach militärischem Vorbild ausgebildet und ausgerüstet wird. Kurz
darauf verkündet die SED den Aufbau des Sozialismus und verschärft
den Klassenkampf von oben. Aufmärsche bewaffneter KVP-Einheiten sind nun ein gewohntes Bild bei SED-Kundgebungen.
Die Aufrüstung stößt bei den meisten Ostdeutschen auf Ablehnung. Offener Widerspruch ist ihnen aber, anders als den Westdeutschen, nicht erlaubt. Als es im Juni 1953 zum Volksaufstand kommt,
lautet eine der Losungen: «Wir brauchen keine Volksarmee!».
12. November 1955: Die ersten Freiwilligen der Bundeswehr erhalten
ihre Ernennungsurkunden. Die Vorarbeiten dazu hatte seit 1950 das
«Amt Blank» geleistet, der Vorläufer des im Juni 1955 gegründeten
Verteidigungsministeriums.
Die neuen Streitkräfte sollen sich von ihren Vor­gängern radikal
unterscheiden. Sie sind allein dem demokratischen Staat verpflichtet
und unter­liegen der parlamentarischen Kontrolle. Große Hoffnun­
gen sind mit der Konzeption der Inneren Führung verbunden. Sie soll
die Pflichten des Solda­ten durchsetzen und ihm als «Staatsbürger in
Uniform» die Rechte garantieren, zu deren Schutz er dient.
Dazu gehört eine neue Führungskultur: Das Gewissen muss über
dem Gehorsam stehen, wenn Befehle dem Recht und der Menschenwürde widersprechen. Eigenverantwortliches Handeln soll gefördert
werden.
Die Aufstellung und Ausbildung dieser neuen Armee sind jedoch
nicht ohne ehemalige Wehrmachtsangehörige möglich. 1959 knüpfen über 80 Prozent der Bundeswehroffiziere an eine Offizierslaufbahn vor 1945 an. Dies weckt jedoch Befürchtungen, die Bundeswehr
werde deren Traditionen und Gedankengut übernehmen. Seit ihrer
Gründung muss sich die Bundeswehr einer kritischen Berichterstattung der Medien sowie einer lebhaften öffentlichen Debatte kleinerer
und größerer Skandale stellen.
Ein Offizier der Roten Armee (l.) bei der Ausbildung von
KVP-Angehörigen im sowjetischen S­ aratow am 1. Oktober
1954. Im Hintergrund ein Panzer T-34. Von Anfang an ist die
KVP als Kern einer künftigen sozialistischen Armee angelegt.
Verteidigungsminister Theodor Blank überreicht am 12. No­vember 1955 den ersten Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden. Der Tag gilt als Gründungsakt der Bundeswehr.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
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06 07
DEN SOZIALISMUS GEGEN
ALLE FEINDE ZU VERTEIDIGEN …
Die Gründung der Nationalen
Volksarmee der DDR
BÜNDNISPARTNER UND
KOALITIONSARMEE
Bundeswehr und NVA im
­jeweiligen Bündnissystem
Der Aufbau der Bundeswehr wird von der SED-­Propaganda im Verlauf des Jahres 1955 als Gefährdung des Friedens verurteilt. So will
Ost-Berlin den Eindruck erwecken, die Gründung der Natio­nalen
Volksarmee (NVA) am 18. Januar 1956 sei eine bloße Reaktion auf
die «imperialistische» Vorgehensweise des Westens.
Die NVA ist nach sowjetischem Modell aufgebaut und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet. Durch die Umwandlung der KVP stehen
1956 in der DDR bereits 100 000 Mann unter Waffen. Die Kampftruppen werden vollständig dem Warschauer Pakt unterstellt. Zum
Selbstverständnis der NVA gehört die Waffenbrüderschaft mit der
Sow­jetunion und den anderen Armeen des P
­ aktes. Bis 1962 ist die
NVA eine Freiwilligenarmee. Doch der Dienst «bei der Fahne» ist
unbeliebt. Entsprechend schwer ist es, qualifiziertes und politisch zuverlässiges Personal für das Offizierskorps zu gewinnen.
Die NVA ist eine Parteiarmee. Sie steht unter der vollständigen
Kontrolle der SED. Die Partei­beschlüsse sind für die NVA bindend.
Für den O
­ ffizier ist die SED-Mitgliedschaft Vorbedingung für seine
militärische Karriere. Ein eigenständiger Polit- und Parteiapparat sowie das Spitzel­system der Staatssicherheit garantieren die umfassende
Überwachung und Steuerung der NVA durch die SED.
1955 wird die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Das 1949 gegründete Verteidigungsbündnis unter Führung der USA versteht sich als
Wertegemeinschaft. Seine Verteidigungsplanungen sind das Ergebnis umfassender Abstimmung innerhalb der Allianz. Ziel der NATO
ist es, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten von einem Angriff
auf Westeuropa abzuschrecken. Gelingt dies nicht, soll jeder Angriff
grenznah aufgefangen und zurückgeschlagen werden. Dafür sind
rund 400 000 Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Westdeutschland stationiert. Der Einsatz von Nuklear­waffen in Deutschland ist
Teil der Strategie. Da die Sowjetunion ebenfalls mit Atomwaffen
plant, droht das geteilte Land im Kriegsfall zum atomaren Schlachtfeld zu werden.
Wenige Tage nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik gründet die Sowjetunion 1955 den Warschauer Pakt. Er begreift sich als
politisches und militärisches Bündnis sozialistischer Staaten. Die
DDR ist Gründungsmitglied und spielt in der Militärdoktrin des
Paktes für die Stationierung von etwa 400 000 sowjetischen Soldaten
und als Operations- und Durchmarschgebiet eine bedeutende Rolle.
Die NVA soll mit den verbündeten Streitkräften eine «imperialistische Aggression» aus dem Westen offensiv abwehren und den Gegner
auf dessen eigenem Territorium vernichten.
Ost-Berlin, 1. Mai 1956. Bereits zwei Monate nach der offiziellen Gründung der NVA marschieren deren Soldaten vor der
Staats- und Parteiführung auf.
Nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO am 9. Mai
1955 wird vor dem Hauptquartier des Atlantik­rats in Paris die
schwarz-rot-goldene Flagge gehisst.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa
Foto: picture alliance / dpa
08 09
KRIEG IM FRIEDEN
Verteidigungsvorbereitungen
im Kalten Krieg
UNGELIEBTER DIENST
Die allgemeine Wehrpflicht in
Ost und West
In der Zeit des «Kalten Krieges» sind die Auswirkungen der Kriegsund Verteidigungsvorbe­reitungen für die Deutschen auch im Alltag
spürbar. Bis Ende der 1980er Jahre proben die N
­ ATO-Bündnispartner
jedes Jahr in Westdeutschland im Rahmen großer Herbstmanöver
auch a­ußerhalb der Truppenübungsplätze den Ernstfall. Auf den
westdeutschen Autobahnen sind lange Fahrzeugkolonnen der Bundeswehr und ihrer Alli­ierten ein gewohntes Bild.
In der DDR unterscheiden sich die großen Manöver des Ostblocks
von denen im Westen durch eine umfassende propagandistische Berichterstattung in den staatlichen Medien. Einen kritischen Blick
hinter die Kulissen kann die Öffentlichkeit in der DDR jedoch nicht
werfen. Auf beiden Seiten dienen die Manöver, in denen die Gefechts­
bereitschaft der Streitkräfte geübt wird, der Abschreckung.
Manöverschäden, für deren Regulierung es spezielle Schadens­offi­ziere gibt, sowie Übungslärm durch Geschütze und Tiefflieger belasten die Bevölkerung. Gefechtsmunition wird zwar nur auf den dafür
vorgesehenen Truppenübungs- und Schießplätzen eingesetzt. Dennoch kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen, vor allem
wenn Panzer und Gefechtsfahrzeuge sich außerhalb dieser Plätze auf
öffentlichen Straßen bewegen.
1956 beschließt der Deutsche Bundestag nach leidenschaftlicher
Debatte die Wehrpflicht für alle Männer ab dem 18. Lebensjahr. Die
DDR-Führung wagt diesen Schritt erst 1962, nachdem sie im Jahr
zuvor mit dem Mauerbau in Berlin den letzten Fluchtweg in den Westen abgeschnitten hat.
In der Bundesrepublik gilt: Wer den Waffendienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, muss nicht zum «Bund», sondern
kann im sozialen Bereich zivilen Ersatzdienst leisten. Das Recht auf
Kriegsdienstverweigerung hatte die Bundesrepublik bereits 1949 als
erster Staat überhaupt in ihrem Grundgesetz festgeschrieben. Gelten
die «Zivis» vielen Westdeutschen zunächst als «Drückeberger»,
steigt deren Zahl ab den 1980er Jahren sprunghaft an.
In der DDR kann niemand den Wehrdienst verweigern. Ab 1964
ist jedoch ein waffenloser Mili­tärdienst in NVA-Baueinheiten möglich. Im Ostblock ist dies einzigartig. Bausoldaten müssen aber im
Dienst und später mit Schikanen rechnen, etwa mit Einschränkungen bei der Berufswahl.
2011 wird die Wehrpflicht im wiedervereinigten Deutschland aus
Gründen der Wehrgerechtigkeit ausgesetzt: Angesichts starker Geburtsjahrgänge und einer verkleinerten Bundeswehr kann nur noch
ein Teil der Wehrpflichtigen eingezogen w
­ erden.
Ein Junge beobachtet im September 1984 im niederbayerischen Dürnhart e
­ inen Soldaten während der Heeres­ü bung
«Flinker Igel». Was wie ein Räuber-­u nd-Gendarm-Spiel wirkt,
hat einen ernsten Hinter­g rund: Ost und West üben für einen
Krieg in Deutschland.
Foto: picture alliance / ap / Fritz Reiss
Kreiswehrersatzämter waren bis zu ihrer Auflösung 2012 Teil
der zivilen Bundeswehrverwaltung. Zu ihren Aufgaben zählten
die Rekrutierung und Musterung der Wehrpflichtigen. Die vergleichbare DDR-Behörde war das Wehrkreiskommando.
Foto: picture alliance / dpa / Friso Gentsch
10 11
BEIM BUND UND BEI DER ASCHE
Soldatenalltag in Ost und West
HELFER IN DER NOT
Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen
Der Soldatenalltag in Ost und West ähnelt sich. Militärische Strukturen, Drill und Disziplin sind für die jungen Rekruten nicht selten
ein Schock. Die Zeit «beim Bund» oder «bei der Asche», wie es in
der DDR heißt, prägt über die Dienstzeit h
­ inaus. Oft ist sie die erste
Trennung von Elternhaus und Freundeskreis. Auch Missstände gleichen sich, etwa Alkoholmissbrauch oder sinnloser «Gammel­dienst».
Die Unterschiede wiegen jedoch schwerer: In vielen DDR-Kasernen genießen «Entlassungskandidaten», Wehrpflichtige des letzten
Diensthalbjahres, Privilegien, während die Neuen häufig drangsaliert
werden. Zum NVA-Alltag gehören eine rigide Militärjustiz, mit dem
Militärgefängnis Schwedt als reale Drohung, die ständige ideologische
Indoktrination («Rotlichtbestrahlung») und eine hohe Gefechtsbereitschaft. Stets müssen sich 85 Prozent der Soldaten «kampfbereit»
in der Kaserne aufhalten. Im Westen setzt dagegen jeden Freitag die
sogenannte «NATO-Rallye» ein, wenn die Wehrpflichtigen nach
Hause fahren und weithin leere Kasernen zurückbleiben.
In der störanfälligen DDR-Planwirtschaft ist die NVA regelmäßig
Personalreserve, sei es bei Ernteeinsätzen, Bauarbeiten oder in der
Industrie. ­Beide Armeen spielen als Konsument und Arbeitgeber in
strukturschwachen Gebieten eine wich­tige wirtschaftliche Rolle.
1962 besteht die junge Bundeswehr ihre erste Bewährungsprobe. Sie
kommt bei einer schweren Sturm­flut in Norddeutschland zum Einsatz und erwirbt sich dabei großes Ansehen in der Bevölkerung. Mehrere Soldaten sterben beim Kampf gegen die Naturgewalten und dem
Versuch, Leben zu retten. Auch in der DDR leistet die NVA immer
wieder Katastrophenhilfe. Ihre Soldaten und ihr schweres Gerät sind
regelmäßig bei Überschwemmungen sowie bei heftigen Schneefällen
im Einsatz.
1997 kommt es zum großen Oderhochwasser in Ostdeutschland.
15 000 Soldaten aus Ost und West helfen, die Deiche zu verteidigen.
Sieben Jahre nach der Wiedervereinigung wird aus der «westdeutschen» Bundeswehr für viele Ostdeutsche «unsere» Bundeswehr.
2002 leisten erneut über 40 000 Soldaten Kata­strophenhilfe – diesmal beim Kampf gegen die Fluten der Elbe und Donau. 60 Prozent
von ihnen sind Wehrdienstleistende.
Seit 1959 betreibt die Bundeswehr einen eigenen Such- und Rettungsdienst, um bei Unfällen in der Luft- und Seefahrt sowie im
Gebirge rasch Hilfe zu leisten und ab 1966 auch den zivilen Rettungsdienst personell und materiell zu unterstützen.
Auch international leistet die Bundeswehr Rettungs- und Hilfseinsätze, so erstmals 1960 nach einem Erdbeben in Agadir / Marokko
und zuletzt 2014 beim Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Afrika.
Bundeswehrsoldaten am 2. Mai 2011 bei der militärischen
Grundausbildung. Drill, also die häufige Wiederholung von
Bewegungsabläufen, damit diese unter Stress unbewusst und
automatisch erfolgen, gehört zu den prägenden Erfahrungen
des Wehrdienstes.
Foto: PIZ Heer / Katrin Selsemeier
Flutkatastrophe in Hamburg im Februar 1962. Ein Bundes­
wehr­soldat rettet ein Baby vor dem Hochwasser. Mehr als
40 000 S­ oldaten kommen in Norddeutschland zum Einsatz.
Foto vom 1. Februar 1962: picture alliance / Gerd Herold
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ATHLETEN IN UNIFORM
Sportförderung durch Bundeswehr und NVA
FALL EINER MÄNNERBASTION
Frauen in den Streitkräften
Georg Hackl, Kati Wilhelm und Henry Maske: Namen bekannter
Olympiasieger – und Sport­sol­da­ten. Viele Sportlerinnen und Sportler
verdanken ihre Karriere der Sportförderung durch das Militär.
Während des Ost-West-Konfliktes sollen sportliche Höchstleistungen, messbar in Medaillen und Rekorden, die Überlegenheit des
jeweiligen Gesellschaftssystems dokumentieren. Trotz anfänglicher
Vorbehalte werden deshalb seit den 1960er Jahren auch Bundeswehr
und NVA in die staat­liche Förderung des Spitzensports eingebunden.
Besonderen Stellenwert gewinnt die Sportför­de­rung in der NVA.
Sie unterhält nicht nur e­ igene Trainingszentren, sondern betreibt mit
der Armee­sportvereinigung «Vorwärts» ein dichtes Netz an Sportclubs. Die sind Teil einer systematischen Talent­sichtung und -förderung im DDR-Sport, der im Spitzenbereich zudem systematisches
­Doping betreibt. In der Folge sind DDR-Athleten ihren westdeutschen Konkurrenten oft überlegen.
Die Bundeswehr gründet 1968 Sportförder­gruppen, die eng mit
den Leistungszentren des Deutschen Sportbundes kooperieren. Heute betreut die Bundeswehr fast 750 Spitzenathletinnen und -athleten.
Sie zählt damit zu den wichtigsten Förderern des deutschen Spitzensports.
Im geteilten Deutschland bleibt das Militär zunächst Männersache.
Eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen gibt es nicht. Allerdings können sich Frauen in der NVA von Beginn an für «Rückwärtige» und
Medizinische Dienste als Freiwillige verpflichten und ab 1984 auch
Offizier werden.
Im Westen verbietet das Grundgesetz Frauen den Waffendienst.
Mit der Begründung, dass Sanitätssoldaten nur zur Selbstverteidigung bewaffnet sind, stellt die Bundeswehr 1975 erstmals Ärztinnen
als Sanitätsoffiziere ein. Ab 1988 fallen alle Laufbahnbeschränkungen im Sanitäts- und Militärmusikdienst. Ob Frauen aus Gründen
der Gleichbehandlung auch uneingeschränkten ­Zugang zur Bundeswehr haben sollen, wird im wiedervereinigten Deutschland kontrovers diskutiert. Im Jahr 2000 bejaht dies der Europäische Gerichtshof.
Nach einer Grundgesetzänderung treten am 1. Januar 2001 die
ersten Soldatinnen ihren freiwilligen Wehrdienst an. Während Vorschriften rasch überarbeitet und neue Uniformen schnell beschafft
sind, dauert das Umdenken in der Truppe länger. Viele Soldaten
müssen sich an ihre weiblichen Kameraden erst gewöhnen. Ihre Zahl
steigt kontinuierlich. Ende 2014 dienen ca. 19 000 Frauen in der Bundeswehr – ein Anteil von rund 10 Prozent.
Olympische Spiele München 1972. Bei den Gehern messen
sich die Sportsoldaten Bernd Kannenberg (Bundesrepublik)
und Peter Frenkel (DDR). Frenkel gewinnt das 20-km-Rennen,
Kannenberg über die 50-km-Distanz. Beide mit olympischem
Rekord.
Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann
Eine Soldatin bei einer Bundeswehrveranstaltung in Berlin am
26. Juni 2014. In der Bundeswehr sind Frauen – auch als Vorgesetzte – zu einem gewohnten Anblick geworden.
Foto: picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka.
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INFORMATION ODER
INDOKTRINATION?
Militär und Jugend
SPIEGEL DER GESELLSCHAFT?
Streitkräfte und gesellschaftlicher
Wandel
In der DDR beginnt die «sozialistische Wehr­er­ziehung» bereits im
Kindesalter. Ab 1978 ist Wehr­unterricht Pflichtfach in der 9. und
10. Klasse. Er besteht aus einem theoretischen Teil in den Schulen,
Wehr- oder Zivilverteidigungslagern und «Tagen der Wehrbereitschaft». Zum Unterricht gehört auch eine Schießausbildung. Auch
Berufsschüler und Studierende müssen Wehrlager absolvieren.
Die Schulen sollen zudem ab der 7. Klasse Nachwuchs für die
NVA werben. Von Freiwilligkeit kann dabei keine Rede sein: Für viele Jugendliche ist die Verpflichtung als Zeitsoldat Voraussetzung für
Abitur und Studium.
Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Dort können seit 1958
Schulen und andere Bildungseinrichtungen Jugendoffiziere als Referenten für Sicherheits- und Verteidigungspolitik einladen. Sie informieren über den Verfassungsauftrag der Bundeswehr, den deutschen
Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und Krisenbewältigung sowie – seit den 1990er Jahren – über die Aus­landsein­sätze der
Bundeswehr.
Jugendoffiziere dürfen weder für den Wehrdienst noch für eine
Berufslaufbahn in der Bundeswehr werben. Dennoch stößt ihr Auftreten in den Schulen auch auf Ablehnung und Kritik.
«Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung
des allgemeinen Geschmacks nicht unberücksichtigt lassen», heißt
es 1971 in einem Erlass des Bundesverteidigungsministers. Fortan
sind Soldaten lange Haare erlaubt. Diese müssen im Dienst in einem
Haarnetz getragen werden. Es ist die Zeit der Rolling Stones, des
Musicals «Hair» und der 68er-Bewegung. «German Hair Force»
spottet die Presse im In- und Ausland. Bereits ein Jahr später lässt ein
neuer Erlass die Haare wieder fallen.
Die NVA hat es da leichter. In der SED-Diktatur endet – nicht
nur – die modische Selbstbestimmung am Kasernentor. Demgegenüber können sich Bundeswehrsoldaten gegen als sinnlos empfundene
Vorschriften oder Schikanen mit Eingaben an den Wehrbeauftragten wenden. Er informiert seit 1982 den Bundestag jährlich über den
Stand der Bürgerrechte und der Demokratie in der Bundeswehr.
Die Bundeswehr tut sich nicht nur mit den Wendungen der
Mode schwer. So bleibt etwa der Umgang mit Sexualität lange ein
Tabuthema. Bis 1979 ist zum Beispiel Homosexualität ein Ausmusterungsgrund; schwule Vorgesetzte gelten im Kalten Krieg als
Sicherheitsrisiko. Ab 2000 kommt es hier zu grundlegenden Reformen. Die Intimsphäre der Soldatinnen und Soldaten wird zur
Privat­sache. Jegliche Diskriminierungen sind zu unterbinden.
Das beliebte DDR-Sandmännchen besucht die NVA. Standbild
einer DDR-Fernsehsendung aus dem Jahr 1982. In der DDR
werden schon Vorschulkinder systematisch an das Thema
Militär herangeführt. In Kinderliedern, wie «Wenn ich groß bin,
gehe ich zur Volksarmee», singen sie, dass sie später einmal
Panzer fahren und Kanonen laden wollen.
Foto: DRA Babelsberg, ID 056333
Ob Tätowierungen, Piercings und andere «Körpermodifikationen» bei Soldaten zulässig sind und im Dienst gezeigt werden
dürfen, wird in der Bundeswehr heftig diskutiert. Anfang 2015
werden die Regelungen hierzu präzisiert.
Foto, vom 21. August 2014: AkBwInfoKom Zentralredaktion / Jane Hannemann
16 17
FRIEDEN SCHAFFEN OHNE
WAFFEN
Die Friedensbewegung in der
Bundes­republik und in der DDR
EINSATZBEREIT
Die NVA in der Friedlichen
Revolution
Nach einem Jahrzehnt Entspannungspolitik verhärten sich Ende der
1970er Jahre die Fronten zwischen Ost und West. Die Sowjetunion
interveniert 1979 in Afghanistan. 1981 wird in Polen das Kriegsrecht
ausgerufen. Im gleichen Jahr reagiert die NATO auf neue sowjetische
SS-20-Atom­raketen in Osteuropa mit einem Doppelbeschluss: Falls
mit Moskau keine Abrüstung aller nuklearen Mittelstreckenraketen
erreicht wird, werden neue amerikanische Pershing-II-Raketen in
Westeuropa stationiert.
Der neue Rüstungswettlauf sowie US-Pläne, im Weltall ein Rake­
ten­abwehrsystem zu errichten, schüren weltweit Ängste vor einem
Atom­krieg. Im geteilten Deutschland, das Stationierungsort b­ eider
Raketensysteme ist, regt sich gesellschaftlicher Widerstand. Am
10. Ok­tober 1981 demonstrieren mehr als 300 000 Menschen in
Bonn friedlich gegen die Nachrüstung.
Auch in der DDR kommt es zu großen Friedenskundgebungen.
Doch die sind vom SED-Staat veranlasst und richten sich einseitig
gegen die N
­ ATO-Raketen. Dennoch gibt es auch im O
­ sten eine kleine, unabhängige Friedensbewegung. Deren Aktivisten protestieren
mit dem Motto «Schwerter zu Pflugscharen» gegen den Rüstungswettlauf in West und Ost. Die lokalen Friedensgruppen sind eine
Keimzelle der DDR-Opposition und werden von der Staatssicherheit bespitzelt und bekämpft.
Die DDR im Herbst 1989. Massenhaft demon­strieren die Menschen
gegen die SED-Diktatur. Zehntausende fliehen über die Tschecho­
slowakei und Ungarn in den Westen. Die SED versucht mit einem
Führungswechsel und halbherzigen Reformen gegenzusteuern. Ein
Machtverlust ist für sie unvorstellbar. Noch befiehlt sie über einen
Militär- und Sicherheitsapparat von etwa 362 000 Mann. Doch für
eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste fehlt der Rückhalt aus
Moskau. Am 9. November 1989 fällt das Symbol der SED-Diktatur:
die Berliner Mauer. Der Niedergang des Regimes beschleunigt sich.
Die NVA bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt. Auch
hier hat sich Unzufriedenheit angestaut. Zum Jahreswechsel 1989 / 90
fordern Soldaten demokratische Reformen. Trotz Fällen von Fahnenflucht bleibt die NVA handlungsfähig.
Im April 1990 tritt die erste demokratisch gewählte DDR-Regierung an. Rainer Eppelmann, ein ehemaliger Bausoldat und DDR-­
Oppositioneller, wird «Minister für Abrüstung und Verteidigung».
Er leitet eine Militärreform sowie die Abrüstung der NVA ein. Die
internationalen Verhandlungen über die deutsche Einheit betreffen
auch die Frage künftiger gesamtdeutscher Streitkräfte. Viele DDR-­
Offiziere hoffen zunächst, die NVA würde fortbestehen oder vollständig in die Bundeswehr überführt werden.
Trotz Verbots nehmen Bundeswehr­soldaten am 22. Oktober
1983 in Uniform an der Großkundgebung im Bonner Hofgarten teil und demonstrieren mit einem Transparent und einer
Pershing-II-­Attrappe gegen die NATO-Nachrüstung.
Foto: picture alliance / dpa / Heinz Wieseler
Soldaten der NVA demonstrieren am 14. März 1990 in
Ost-Berlin vor der N
­ euen Wache. Sie fordern v­ erbesserte
Dienst­bedingungen in den Kasernen.
Foto: Privatsammlung
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ARMEE DER EINHEIT
Die Auflösung der NVA und der
Aufbau g
­ esamtdeutscher Streitkräfte
OUT OF AREA
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr
3. Oktober 1990, 0:00 Uhr. Deutschland ist wieder vereinigt, die
NVA aufgelöst. 90 000 uniformierte und 47 000 zivile vormalige
NVA-Angehörige unterstehen nun dem Befehl des neu eingerichteten
Bundeswehrkommandos Ost. Die Bundeswehr, die zum Zeitpunkt
der Wiedervereinigung eine halbe Million Soldaten zählt, steht vor
einer gewaltigen Herausforderung. Der 2+ 4-Vertrag, mit dem die
ehemaligen Siegermächte der deutschen Einheit zugestimmt haben,
verlangt eine Truppenreduzierung auf 370 000 Soldaten bis zum Jahr
1994.
Die meisten Standorte der NVA werden geschlossen, ihre Ausrüstung zunächst teilweise weiter genutzt, schließlich verschrottet oder
ins Ausland verkauft. Ein großer Teil der Unteroffiziere sowie fast
das ganze Offizierskorps der NVA werden entlassen. Nur 3050 von
24 230 (Stand 3. Oktober 1990) ehemaligen NVA-Offizieren werden
letztlich von der Bundeswehr als Berufs- oder Zeitsoldaten übernommen.
Die Bundeswehr verändert sich tiefgreifend. Auch in Westdeutschland werden Dienststellen geschlossen und zum Teil in die
neuen Länder verlegt. Dort verpflichten sich viele Wehrdienstleistende als Zeit- oder Berufssoldaten. Die Bundeswehr wird in den 1990er
Jahren zur Armee der Einheit, in der Deutsche aus West und Ost die
Wiedervereinigung tagtäglich erleben.
Bis 1989 sind bewaffnete Bundeswehreinsätze «out of area» für
Politik und Gesellschaft unvorstellbar. Mit der Wiedervereinigung
beginnt die Debatte über Deutschlands gewachsene internatio­
na­le Verantwortung. Als die Bundesregierung ab 1991 Soldaten zu
UN-Blauhelmeinsätzen in Kambodscha und Somalia entsendet,
zieht die O
­ pposition vor das Bundesverfassungsgericht. Das erklärt
1994 Auslandseinsätze zur Sicherung oder Wiederherstellung des
Friedens im Rahmen der UN oder der NATO für zulässig, falls der
Bundestag jeweils zustimmt.
1999 nimmt Deutschland erstmals an einem N
­ ATO-Kampfein­satz teil, um die Albaner im Kosovo vor serbischen Übergriffen zu
schützen. Es kommt zu innenpolitischen Kontroversen. Diese nehmen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch zu,
als Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan geschickt werden.
In wenigen Jahren wandelt sich die Bundeswehr zu einem Instrument globaler Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Sie wird
eine Armee im weltweiten Einsatz, deren neue Rolle umstritten bleibt.
Viele Soldaten kehren aus ihrem Einsatz mit körperlichen und
seelischen Schäden zurück oder lassen gar im Ausland ihr Leben.
Nicht wenige der Heimkehrer beklagen fehlende Wertschätzung und
mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt für ihre lebensbedrohlichen
Einsätze.
MiG-29-Kampfflugzeuge ­sowjetischer Bauart im Fliegerhorst
Preschen, die die Bundeswehr von der NVA übernommen hat
und bis 2004 nutzt. Der «Dienst-Trabi» mit dem Spitz­namen
«Rudi» im Bildvordergrund bringt die Piloten zu ihren Jets.
Foto, undatiert: picture alliance / ZB / Jan Bauer
Bundeswehrpatrouille am 18. ­August 2011 bei Charrah Darreh
nahe K­ undus in Afghanistan. Im Norden des Landes wird die
Bundeswehr immer wieder in Gefechte verwickelt.
Foto: picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini.
20
FREUNDLICHES DESINTERESSE?
Bundeswehr und Gesellschaft
10. Oktober 2005. Bundespräsident Horst ­
Köhler beklagt ein
«freundliches Desinteresse» an der Bundeswehr und ruft zu mehr
Solidarität mit den Soldaten auf. Laut Umfragen ist die Bundeswehr
in der Bevölkerung beliebt. Man vertraut ihr. Aber man interessiert
sich nicht für sie. Dafür gibt es Gründe. Seit 1990 ist die Bundeswehr für die ­Öffentlichkeit durch Abrüstung, Verkleinerung und
Umstrukturierung weniger sichtbar geworden. Mit der Aussetzung
der Wehrpflicht erleben die Bürger immer seltener Soldaten als Menschen in Uniform, sondern nehmen diese zunehmend als uniforme
Menschen in der TV-Berichterstattung über Auslandseinsätze wahr.
Wenige Berufsgruppen rufen so starke emotio­nale Reaktionen
hervor wie Soldaten. Die demographische Entwicklung, Fragen
nach ihrer A
­ ttraktivität als Arbeitgeber, dem Zustand ihrer Ausrüstung sowie die mit den Auslandseinsätzen verbundenen Gefahren
erschweren es der Bundeswehr, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Um die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen zu können, benötigt
die Bundeswehr nicht nur ausreichende Ressourcen, sondern vor allem breiten politischen und gesellschaftlichen Rückhalt, den sie sich
durch verantwortungsbewusstes Handeln und Auftreten stets aufs
Neue verdienen muss.
DIE HERAUSGEBER
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist eine
Forschungseinrichtung des Bundes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Verteidigung. Es betreibt militärhistorische Grundlagenforschung sowie militärsoziologische und sicherheitspolitische Forschung.
www.zmsbw.de
Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur trägt mit ihrer Projektförderung
sowie vielfältigen eigenen Angeboten zur umfassenden Auseinandersetzung mit den
Ursachen, der Geschichte und den Folgen der kommunistischen Diktaturen in Deutschland und Europa bei.
www.bundesstiftung-aufarbeitung.de
DIE AUTOREN UND KURATOREN
Konzeption und Leitung des Ausstellungsprojekts oblagen Oberst Dr. Sven Lange vom
ZMSBw, der gemeinsam mit Dr. Ulrich Mählert, Bundesstiftung Aufarbeitung, die Texte
erarbeitete. Fachwissenschaftliche Unterstützung erhielten sie dabei von den Historikerinnen und Historikern des ZMSBw, namentlich von Dr. Torsten Diedrich und Fregattenkapitän Dr. Oliver Krauß. Die Bildrecherchen am ZMSBw wurden von Oberstleutnant Heiko Perlitz, Marina Sandig und Christine Kösling-Säuberlich verantwortet. Als
Projektbetreuerin sorgte Hauptmann Antje Dierking für einen reibungslosen Ablauf der
Kooperation.
DER GESTALTER
Die Gestaltung übernahm Dr. Thomas Klemm, 1975 in Dresden geboren, Studium der
Geschichte und Kunstpädagogik in Dresden, Leipzig und ­
Padua. 2012 Promo­
tion.
Klemm lebt und arbeitet als freier Grafiker und Ausstellungs­macher in Leipzig.
www.thomasklemm.com
BÜCHER ZUM THEMA
Heiner Möllers, Rudolf J. Schlaffer: Sonderfall Bundeswehr? Streitkräfte in n­ ationalen
Perspektiven und im internationalen Vergleich, München 2014.
Winfried Heinemann: Die DDR und ihr Militär, München 2011.
Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008.
Frank Nägler (Hrsg.): Die Bundeswehr 1955 bis 2005. Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, München 2007.
Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack, Martin Rink (Hrsg.): Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. 1955 bis 2005, Freiburg im Breisgau 2005.
INTERNETRESSOURCEN
Militär- oder Zivildienst sind für nicht wenige ein einschneidendes Erlebnis. Darüber
hinaus wurden und werden die Aufgaben der Streitkräfte in der Gesellschaft mit Leidenschaft diskutiert. Entsprechend unüberschaubar sind die Fundstellen zum Thema
im Internet. Wer im Internet mehr über das Thema der Ausstellung erfahren möchte,
wird auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung fündig. Die Eingabe der
Begriffe Mili­tär, Bundeswehr und / oder NVA im Suchfeld von www.bpb.de führt zu einer
Vielzahl von Sach- und Diskussionsbeiträgen. Orientierung und zahlreiche Materialien
bietet darüber hinaus die Webseite des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (www.zmsbw.de).
MILITÄRHISTORISCHES MUSEUM DRESDEN
Besuchen Sie das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden. Das
größte Museum seiner Art in Europa wurde im Oktober 2011 nach langem Umbau wiedereröffnet. Zu ihm gehören auch das Museum auf dem Flugplatz Berlin-Gatow sowie
Ausstellungen in den Zeughäusern auf der Festung Königstein südöstlich von Dresden.
Nähere Informationen finden Sie hier: www.mhmbw.de
DANKSAGUNG
Die Herausgeber danken den Archiven, Institutionen und Einzelpersonen, die Fotos,
Karikaturen und Faksimiles zur Verfügung gestellt haben. Zu nennen sind Barefoot
Films, das Bundesarchiv (Koblenz / Berlin), das Deutsche Historische Museum (Berlin), das Deutsche Rundfunkarchiv (Babelsberg), die DFG-VK, das Haus der Geschichte (Bonn), das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (Dresden), picture alliance
(Frankfurt / M), die Robert-­Havemann-Gesellschaft (Berlin), Süddeutsche Zeitung Photo
(München), die Universität Greifswald sowie VISUM Foto GmbH. Uwe Biermann (Dohna)
und Andreas Hofmann (Kessels­dorf) haben Fotos aus dem Alltag der Bausoldaten und
der NVA zur Verfügung gestellt.
BITTE BEACHTEN
Alle Fotos, Audiodokumente und Texte sowie die Gestaltung der Ausstellung sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ohne Zustimmung der Rechteinhaber reproduziert, verändert oder anderweitig verbreitet werden. Die Rechteinhaber der Fotos
werden jeweils in den Bildlegenden benannt.
Arbeiter befestigen am 17. Dezember 2014 an einem Gebäude des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin ein Werbeplakat der Bundeswehr.
Foto: picture alliance / dpa / Paul Zinken
Fragen oder Kritik zur Ausstellung? Oder haben wir – trotz all unserer Sorgfalt bei der
Recherche und Lizenzierung der in der Ausstellung verwendeten Dokumente – Ihre Urheber- und / oder Verwertungsrechte nicht berücksichtigt? Bitte wenden Sie sich an das
ZMSBw via [email protected]
SIE WOLLEN DIESE AUSSTELLUNG ZEIGEN?
Die Ausstellung «Militär und Gesellschaft in Deutschland seit 1945» kann von Ihnen
als Plakatsammlung im Format DIN A1 gegen eine geringe Schutzgebühr bestellt und
im Rahmen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit gezeigt werden. Informationen dazu finden Sie unter www.bundesstiftung-aufarbeitung.de / mugausstellung. Interessenten aus dem Dienstbereich des BMVg wenden sich an
[email protected]
MILITÄR UND GESELLSCHAFT N D E U T S C H L A N D S E T 1945
02
MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
M I LITÄR U N D
G E S E LLSCHAF T
M I LITÄR U N D G ESE LLSCHAFT
I N D E U T S C H L A N D S E I T 194 5
Eine Ausstellung des Zentrums für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und
der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Am 25. April 1945 reichen sich amerikanische und sowjetische Soldaten auf der
zerstörten Elbbrücke in Torgau die Hände. Das einen Tag später nachgestellte
Bild geht um die Welt und kündet von der bevorstehenden deutschen Niederlage.
Foto: picture alliance / akg-images
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Anstecknadel aus dem Jahr 1951
mit einem stilisierten Soldatenstie­
fel und dem Schriftzug «Ohne
Mich». Die Anstecker richten
sich gegen Pläne, in West­
deutschland paramilitä­
rische Polizeiverbände
zu schaffen.
Foto: picture alliance / dpa
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Ein Offizier der Roten Armee (l.) bei der Ausbildung von KVP­
Angehörigen im sowjetischen Saratow am 1. Oktober 1954.
Im Hintergrund ein Panzer T­34. Von Anfang an ist die KVP als
Kern einer künftigen sozialistischen Armee angelegt.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Mitglieder der DDR­Staatsjugendorganisation FDJ marschieren im Juni
1952 in Leipzig mit Kleinkalibergewehren.
Der Aufbau der Bundeswehr erfolgt zunächst
ausschließlich mit Freiwilligen, die dieses frühe
Werbeplakat ansprechen soll.
Foto: picture alliance / dpa – ZB / Berliner Verlag Archiv
Deutsche Soldaten in Berlin auf dem Weg in die sowjetische Kriegs­
gefangenschaft. Während die Westmächte ihre Gefangenen bis Ende
1948 entlassen, kehren die letzten der über drei Millionen Kriegsgefan­
genen erst 1956 aus der Sowjetunion heim.
Plakat: 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Entwurf: Otto H.
Gerster
August 1950: Südkoreaner flüchten aus dem Kampfgebiet, während
US­Soldaten zur Front vorrücken. Unter dem Eindruck des Koreakrieges
rüsten Ost und West massiv auf, die Blockkonfrontation verschärft sich
weiter.
Foto: picture alliance / akg-images
Verteidigungsminister Theodor Blank überreicht am 12. November 1955
den ersten Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden. Der Tag
gilt als Gründungsakt der Bundeswehr.
Foto: picture alliance / akg-images
Foto: picture alliance / akg-images
NIE WIEDER!
Reeducation: Bürger aus Ludwigslust bei Schwerin werden im Mai 1945
auf Anweisung der 82. US­Luftlandedivision durch ein nahegelegenes
Konzentrationslager geführt.
Foto: picture alliance / Judaica-Sammlung Richter
Foto: SZ Photo / Manfred Vollmer
Beinamputierter Soldat mit seiner im Krieg verstümmelten Tochter. Ver­
wundete und Traumatisierte, sogenannte «Kriegsversehrte», bestimmen
das Straßenbild. Während Häuser wieder aufgebaut werden können,
leiden die Menschen an den körperlichen und seelischen Kriegsfolgen oft
ein Leben lang.
Foto: 1951 / Süddeutsche Zeitung Photo / Heinz Hering
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
8. Mai 1945. Die deutsche Wehrmacht kapituliert. In Europa endet der Zweite Weltkrieg.
Deutschland hat ihn als Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt, der über 50 Millionen
Menschenleben kostete. Große Teile Europas liegen in Trümmern. Millionen sind auf der Flucht,
obdachlos oder in Gefangenschaft. Allmählich
verdichten sich die Nachrichten von einem unfassbaren Verbrechen, das Deutsche im Schatten
des Krieges begangen haben: die systematische
Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden.
Die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich sind sich einig: Von
Deutschland darf nie wieder eine Gefahr aus-
gehen. Das Land wird in vier Besatzungszonen
aufgeteilt. Es soll demokratisiert, dezentralisiert,
entnazifiziert und entwaffnet werden. Doch die
Anti-Hitler-Koalition hält nicht lange. Die Gegensätze zwischen der kommunistischen Sowjetunion und den westlichen Demokratien sind zu
groß.
Während Moskau in seinem Machtbereich kommunistische Regime installiert und die Planwirtschaft einführt, treiben die drei Westalliierten in
ihren Besatzungszonen die Bildung eines Teilstaates voran. Es ist der Beginn des Kalten Krieges, der
Deutschland, Europa und die Welt für vier Jahrzehnte teilen wird. 1949 kommt es zur Gründung
von zwei deutschen Staaten.
Unter strengster
Geheimhaltung erar­
beiten hochrangige
ehemalige Wehr­
machtsoffiziere im
Auftrag von Bundes­
kanzler Adenauer im
Oktober 1950 im
Kloster Himmerod in
der Eifel eine Denk­
schrift über die west­
deutsche «Wieder­
bewaffnung».
«OHNE MICH ! »
RECHT UND FREIHEIT TAPFER
ZU VERTEIDIGEN …
GETARNTE AUFRÜSTUNG
Der Weg zur Wiederbewaffnung
Angehörige der Gesellschaft für Sport und Technik ehren am 6. März
1953 den am Vortag verstorbenen Diktator Stalin vor dessen Denkmal
in Ost­Berlin. Die GST sollte die DDR­Jugend vormilitärisch ausbilden.
Die Gründung der Bundeswehr
Die militärische Aufrüstung in der DDR
Foto: BArch, Bild 183-12639-0006 / Hans-Günter Quaschinsky
Abbildung: BArch,
BW 9-3119
Die Gesamtdeutsche Volkspar­
tei warnt mit einem Plakat zur
Bundestagswahl 1953 vor einer
Aufrüstung Westdeutschlands,
die – aus ihrer Sicht – die Wie­
dererlangung der deutschen
Einheit und den Frieden gefähr­
det.
Plakat: Haus der Geschichte, Bonn / Entwurf: J. A. Steinkamp; Hrsg.: Hans Bodensteiner, GVP, Bonn
Unter dem Schutz der Westmächte entwickelt
sich in der 1949 gegründeten Bundesrepublik eine
Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft. Die
Bundesbürger erleben in den 1950er Jahren ein
Wirtschaftswunder und rasch wachsenden Wohlstand. Weder die Alliierten noch die Westdeutschen haben anfangs Interesse an einer Bewaffnung des Landes. Der Ausbruch des Koreakrieges
1950 ändert dies. Die Furcht wächst, dass auch
in Europa aus dem Kalten Krieg ein heißer werden könnte, zumal die Sowjetunion nun – wie die
USA – über Atomwaffen verfügt.
Angesichts der wachsenden Wirtschaftskraft der
Bundesrepublik und ihrer geostrategischen Lage
wird in Washington, London und Paris immer
vernehmlicher über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag diskutiert. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sieht
in einer «Wiederbewaffnung» die Chance, gleichermaßen die Westbindung zu stärken und die
staatliche Souveränität zurückzugewinnen.
Der Aufbau westdeutscher Streitkräfte und ihre
Integration in die NATO erschweren jedoch die
ersehnte Wiedervereinigung, was der Debatte eine
deutschlandpolitische Note gibt. Für viele Bundesbürger ist eine «Wiederbewaffnung» so bald
nach dem Weltkrieg unerträglich. «Nie wieder!»
und «Ohne mich!» lauten ihre Parolen.
Während die SED die Aufrüstung der DDR vorantreibt, gibt sie sich in
ihrer gesamtdeutschen Propaganda als Friedenspartei. Das Plakat ist
Teil einer Kampagne zur sogenannten Stalin­Note, mit der Moskau im
März 1952 die Westbindung der Bundesrepublik aufhalten will.
Plakat: picture alliance / akg-images
Die Sowjetunion ist Schutzmacht, Befehlsgeber
und Vorbild der Diktatur, die die Sozialistische
Einheitspartei Deutschlands (SED) in der DDR
errichtet. Die SED war 1946 aus der Zwangsvereinigung der Sozialdemokraten mit den Kommunisten hervorgegangen, die dort fortan das Sagen
haben. Opposition in der DDR wird unterdrückt,
Unternehmer enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert. Doch die Planwirtschaft erweist sich als
ineffizient und dem westlichen Modell unterlegen.
Angesichts der Blockkonfrontation will die
Sowjetunion ihre Satellitenstaaten stabilisieren.
Deshalb darf Ost-Berlin bereits 1948 verdeckte militärische Formationen aufstellen. Im April
1952 weist Stalin die SED-Führung an: «Volks-
Das Plakat zeigt einen so­
wjetischen Soldaten, der
für die kommunistische
Bedrohung steht. 1953
wirbt ein CDU­Informati­
onsdienst mit einer gan­
zen Plakatserie für einen
westdeutschen Verteidi­
gungsbeitrag
armee schaffen – ohne Geschrei». Am 1. Juli wird
die «Kasernierte Volkspolizei» (KVP) gegründet,
die nach militärischem Vorbild ausgebildet und
ausgerüstet wird. Kurz darauf verkündet die SED
den Aufbau des Sozialismus und verschärft den
Klassenkampf von oben. Aufmärsche bewaffneter
KVP-Einheiten sind nun ein gewohntes Bild bei
SED-Kundgebungen.
Die Aufrüstung stößt bei den meisten Ostdeutschen auf Ablehnung. Offener Widerspruch ist
ihnen aber, anders als den Westdeutschen, nicht
erlaubt. Als es im Juni 1953 zum Volksaufstand
kommt, lautet eine der Losungen: «Wir brauchen
keine Volksarmee!».
Bundeskanzler Konrad Adenauer besucht am 20. Januar 1956 die
Bundeswehr in Andernach.
Foto: picture alliance / akg-images
Das «Handbuch der Inneren
Führung» wird 1957 erstmals
an die Truppe ausgegeben. Es
beschreibt die Grundsätze der
Menschenführung in der neu
aufgestellten Bundeswehr. Bis
1972 wird es in mehreren Auf­
lagen unverändert nachge­
druckt.
Foto: ZMSBw / Bibliothek
12. November 1955: Die ersten Freiwilligen der
Bundeswehr erhalten ihre Ernennungsurkunden.
Die Vorarbeiten dazu hatte seit 1950 das «Amt
Blank» geleistet, der Vorläufer des im Juni 1955
gegründeten Verteidigungsministeriums.
Die neuen Streitkräfte sollen sich von ihren Vorgängern radikal unterscheiden. Sie sind allein dem
demokratischen Staat verpflichtet und unterliegen
der parlamentarischen Kontrolle. Große Hoffnungen sind mit der Konzeption der Inneren Führung
verbunden. Sie soll die Pflichten des Soldaten durchsetzen und ihm als «Staatsbürger in Uniform» die
Rechte garantieren, zu deren Schutz er dient.
Dazu gehört eine neue Führungskultur: Das
Gewissen muss über dem Gehorsam stehen, wenn
Befehle dem Recht und der Menschenwürde widersprechen. Eigenverantwortliches Handeln soll
gefördert werden.
Die Aufstellung und Ausbildung dieser neuen
Armee sind jedoch nicht ohne ehemalige Wehrmachtsangehörige möglich. 1959 knüpfen über
80 Prozent der Bundeswehroffiziere an eine Offizierslaufbahn vor 1945 an. Dies weckt jedoch Befürchtungen, die Bundeswehr werde deren Traditionen und Gedankengut übernehmen. Seit ihrer
Gründung muss sich die Bundeswehr einer kritischen Berichterstattung der Medien sowie einer
lebhaften öffentlichen Debatte kleinerer und größerer Skandale stellen.
Angehörige der Betriebs­
kampfgruppen des Stahl­
und Walzwerkes Riesa bei
einer Geländeübung am
1. Mai 1956. Zur Siche­
rung ihrer Macht orga­
nisiert die SED nach dem
Volksaufstand 1953 poli­
tisch zuverlässige Arbeiter
und Parteimitglieder in
einer Parteimiliz.
Plakat: Haus der Geschichte /
Heinz Schwabe
Bundeskanzler
Adenauer und
Verteidigungsmi­
nister Franz­Josef
Strauß inspizieren
1958 ein Holzmo­
dell des Schützen­
panzers HS­30.
Seine Beschaf­
fung führt zum
ersten großen Rüs­
tungsskandal
der Bundeswehr.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo /
ap / dpa / picture alliance
Foto: picture alliance /
dpa / Rabanus
ZMS
06
Karte: ZMSBw / SL
Foto: picture alliance / akg-images
MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Ost­Berlin, 1. Mai 1956. Bereits zwei Monate nach der offiziellen
Gründung der NVA marschieren deren Soldaten vor der Staats­
und Parteiführung auf.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa
Die westdeutsche Gewerk­
schaftsjugend demonstriert
im Februar 1955 auf dem
Königsplatz in München
gegen die Aufstellung west­
deutscher Streitkräfte.
Die 1949 gegründete Bundesrepublik steht unter westalliierten Vorbe­
haltsrechten, die im Besatzungsstatut festgehalten sind, das Bundes­
kanzler Adenauer am 21. September 1949 überreicht wird. Das Proto­
koll sieht vor, dass bei der Zeremonie lediglich die Hohen Kommissare auf
dem Teppich stehen, was Adenauer souverän ignoriert.
Am 7. September 1949 konstituiert sich in Bonn der aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangene Bundestag. Am 11. Oktober feiert die Freie Deutsche Jugend in
Ost­Berlin mit einem Fackelzug die Gründung der DDR, die vier Tage zuvor ohne Wahlen erfolgt ist.
Zentrum für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO
am 9. Mai 1955 wird vor dem Hauptquartier des Atlantik­
rats in Paris die schwarz­rot­goldene Flagge gehisst.
Foto: picture alliance / dpa
Foto Süddeutsche Zeitung Photo / dpa
Foto: picture alliance / dpa
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Ein Junge beobachtet im September
1984 im niederbayerischen Dürnhart
einen Soldaten während der Heeres­
übung «Flinker Igel». Was wie ein Räuber­
und­Gendarm­Spiel wirkt, hat einen
ernsten Hintergrund: Ost und West üben
für einen Krieg in Deutschland.
Foto: picture alliance / ap / Fritz Reiss
Berlin, Potsdamer Platz am 17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR.
Sowjetische Panzer retten das SED­Regime. In der Folge baut die SED
den staatlichen Sicherheitsapparat massiv aus.
Widerstand gegen die SED­Diktatur wird in der DDR der 1950er Jahre
drakonisch bestraft. Fotografische Zeugnisse davon finden sich allen­
falls in den Ermittlungsakten von Polizei und Stasi. Diese Gedenktafel
erinnert seit 2000 an der Universität Greifswald an ein Beispiel des
Widerstandes gegen die Militarisierung der DDR.
Die Bundeswehr­Generale Ulrich de Maizière, Johann Graf von Kielmans­
egg und Wolf Graf von Baudissin erhalten 1964 für die von ihnen entwi­
ckelte Konzeption der Inneren Führung den Freiherr­vom­Stein­Preis der
Universität Hamburg.
Die Karikatur spitzt die Kritik an der Übernahme
ehemaliger Wehrmachtsoffiziere in die Bundeswehr
zu. Tatsächlich werden Bewerber, die als Oberst
oder General verwendet werden sollen, durch einen
unabhängigen Personalgutachterausschuss auf ihre
Vergangenheit im NS­Staat hin überprüft.
Foto: picture alliance / akg-images
Universität Greifswald / Jan Meßerschmidt
Foto: picture alliance / dpa
Karikatur: 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Peter Leger
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Kreiswehrersatzämter waren bis zu
ihrer Auflösung 2012 Teil der zivilen
Bundeswehrverwaltung. Zu ihren Auf­
gaben zählten die Rekrutierung und
Musterung der Wehrpflichtigen. Die
vergleichbare DDR­Behörde war das
Wehrkreiskommando.
Foto: picture alliance / dpa / Friso Gentsch
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Bundeswehrsoldaten am 2. Mai 2011 bei der
militärischen Grundausbildung. Drill, also die
häufige Wiederholung von Bewegungsabläufen,
damit diese unter Stress unbewusst und auto­
matisch erfolgen, gehört zu den prägenden
Erfahrungen des Wehrdienstes.
Foto: PIZ Heer / Katrin Selsemeier
«Spind­Kontrolle»
beim Stubenappell.
Mitunter geschieht
die Überprüfung
der persönlichen
Ausrüstung und der
Stuben mit über­
triebener Gründ­
lichkeit bis hin zur
Schikane.
Foto vom 18. Mai1960:
IMZ-Bildarchiv / Rademacher
Kampfpanzer der Bundeswehr üben am 16. Januar 1967 bei Weilbach
an der Lahn. Vor allem im Herbst, wenn die Felder abgeerntet sind,
finden in Ost und West große Manöver statt. Dazu werden tausende
Reservisten einberufen.
SED­Chef Walter Ulbricht präsentiert die neue NVA­Uniform an einem
Hammer­und­Sichel­Kleiderhaken. Die KVP war in ihrer khakifarbenen
Uniform nach sowjetischem Muster in der Bevölkerung als «nachge­
machte Russen» verspottet worden. Die neue Uniform im Schnitt der
Wehrmacht soll das «Nationale» der NVA gegenüber der «amerikanisier­
ten» Bundeswehr hervorheben.
Werbeplakat für die NATO­Mitgliedschaft der
Bundesrepublik. Die ehemaligen Feinde werden
als neue Verbündete präsentiert.
Karikatur, 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Josef Partykiewicz
Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin / S. Ahlers
Rekrutierungsplakat der
NVA aus dem Jahr 1957.
Plakat: Haus der Geschichte, Bonn /
(Hrsg.) Verlag des Ministeriums für
Nationale Verteidigung
Plakat: Haus der Geschichte, Bonn /
(Hrsg.) Politische Hauptverwaltung
der NVA
Der Aufbau der Bundeswehr wird von der SEDPropaganda im Verlauf des Jahres 1955 als Gefährdung des Friedens verurteilt. So will Ost-Berlin
den Eindruck erwecken, die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) am 18. Januar 1956 sei
eine bloße Reaktion auf die «imperialistische»
Vorgehensweise des Westens.
Die NVA ist nach sowjetischem Modell aufgebaut und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet.
Durch die Umwandlung der KVP stehen 1956
in der DDR bereits 100 000 Mann unter Waffen.
Die Kampftruppen werden vollständig dem Warschauer Pakt unterstellt. Zum Selbstverständnis
der NVA gehört die Waffenbrüderschaft mit der
Sowjetunion und den anderen Armeen des Paktes.
Foto: picture alliance / dpa / Klaus Heirler
BÜNDNISPARTNER UND
KOALITIONSARMEE
DEN SOZIALISMUS GEGEN
ALLE FEINDE ZU VERTEIDIGEN …
Die Gründung der Nationalen Volksarmee der DDR
Ein DDR­Plakat aus den
1960er Jahren zeigt den
Warschauer Pakt als Mili­
tärbündnis und betont
dessen Waffenbrüder­
schaft. Über nationale
Grenzen hinweg sollen die
Werktätigen der sozialisti­
schen Länder als Klassen­
brüder den Sozialismus ge­
meinsam gegen den kapi­
talistischen Feind schützen.
Bis 1962 ist die NVA eine Freiwilligenarmee. Doch
der Dienst «bei der Fahne» ist unbeliebt. Entsprechend schwer ist es, qualifiziertes und politisch zuverlässiges Personal für das Offizierskorps
zu gewinnen.
Die NVA ist eine Parteiarmee. Sie steht unter
der vollständigen Kontrolle der SED. Die Parteibeschlüsse sind für die NVA bindend. Für den
Offizier ist die SED-Mitgliedschaft Vorbedingung
für seine militärische Karriere. Ein eigenständiger
Polit- und Parteiapparat sowie das Spitzelsystem
der Staatssicherheit garantieren die umfassende Überwachung und Steuerung der NVA durch
die SED.
Ein Landwirt aus Steinbeck in Niedersachsen steht am 19. Juli 1963 vor
seinem verwüsteten Roggenfeld. Im Rahmen eines Manövers richtete
das britische Regiment «Queen‘s own Hussars» in der Region erheblichen
Schaden auf Feldern und Ackerflächen an.
Foto: picture alliance / Günter Klimiont
Bundeswehr und NVA im jeweiligen Bündnissystem
Soldaten der Artillerieschule Idar­Oberstein führen Journalisten am
19. März 1959 die atomare Kurzstreckenrakete Honest John vor, von
der die Bundesregierung 288 beschaffen will. Der konventionellen Über­
legenheit des Warschauer Paktes setzt die NATO vor allem Atomwaf­
fen entgegen.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa
Hohne am 17. April 1960. Die Bonner Pläne, die Bundeswehr atomar
aufzurüsten, führen in der Bundesrepublik zum ersten Ostermarsch. Etwa
1000 Demonstranten marschieren von Hamburg zum Truppenübungs­
platz Bergen­Hohne in der Lüneburger Heide.
Ärztliche Tauglichkeitsprüfung eines Wehrpflichti­
gen in München am 21. Januar 1957. Während die
Dauer des Grundwehrdienstes in der DDR bis 1990
konstant 18 Monate beträgt, schwankt sie in
Westdeutschland zwischen zwölf und 18 Monaten.
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa
1955 wird die Bundesrepublik Mitglied der NATO.
Das 1949 gegründete Verteidigungsbündnis unter
Führung der USA versteht sich als Wertegemeinschaft. Seine Verteidigungsplanungen sind das Ergebnis umfassender Abstimmung innerhalb der
Allianz. Ziel der NATO ist es, die Sowjetunion
und ihre Satellitenstaaten von einem Angriff auf
Westeuropa abzuschrecken. Gelingt dies nicht,
soll jeder Angriff grenznah aufgefangen und zurückgeschlagen werden. Dafür sind rund 400 000
Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Westdeutschland stationiert. Der Einsatz von Nuklearwaffen in Deutschland ist Teil der Strategie. Da
die Sowjetunion ebenfalls mit Atomwaffen plant,
droht das geteilte Land im Kriegsfall zum atomaren Schlachtfeld zu werden.
Wenige Tage nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik gründet die Sowjetunion 1955 den
Warschauer Pakt. Er begreift sich als politisches
und militärisches Bündnis sozialistischer Staaten.
Die DDR ist Gründungsmitglied und spielt in der
Militärdoktrin des Paktes für die Stationierung
von etwa 400 000 sowjetischen Soldaten und als
Operations- und Durchmarschgebiet eine bedeutende Rolle. Die NVA soll mit den verbündeten
Streitkräften eine «imperialistische Aggression»
aus dem Westen offensiv abwehren und den Gegner auf dessen eigenem Territorium vernichten.
In Guben begrüßen Einwohner das polnische Regiment «Deutsche Anti­
faschisten», das im Oktober 1970 am Manöver «Waffenbrüderschaft»
teilnimmt. Fotos von Soldaten mit Kindern und erfreuten Bürgern gehö­
ren in der DDR­Presse zu den häufig wiederkehrenden Motiven.
Foto: BArch, Bild 183-J1001-0027-001 / Werner Großmann
KRIEG IM FRIEDEN
Verteidigungsvorbereitungen
im Kalten Krieg
In der Zeit des «Kalten Krieges» sind die Auswirkungen der Kriegs- und Verteidigungsvorbereitungen für die Deutschen auch im Alltag
spürbar. Bis Ende der 1980er Jahre proben die
NATO-Bündnispartner jedes Jahr in Westdeutschland im Rahmen großer Herbstmanöver auch
außerhalb der Truppenübungsplätze den Ernstfall. Auf den westdeutschen Autobahnen sind lange Fahrzeugkolonnen der Bundeswehr und ihrer
Alliierten ein gewohntes Bild.
In der DDR unterscheiden sich die großen Manöver des Ostblocks von denen im Westen durch
eine umfassende propagandistische Berichterstattung in den staatlichen Medien. Einen kritischen
Blick hinter die Kulissen kann die Öffentlichkeit
in der DDR jedoch nicht werfen. Auf beiden Seiten dienen die Manöver, in denen die Gefechtsbereitschaft der Streitkräfte geübt wird, der Abschreckung.
Manöverschäden, für deren Regulierung es spezielle Schadensoffiziere gibt, sowie Übungslärm
durch Geschütze und Tiefflieger belasten die Bevölkerung. Gefechtsmunition wird zwar nur auf den
dafür vorgesehenen Truppenübungs- und Schießplätzen eingesetzt. Dennoch kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen, vor allem wenn Panzer und Gefechtsfahrzeuge sich außerhalb dieser
Plätze auf öffentlichen Straßen bewegen.
Foto: picture alliance / akg-images
Eine NVA­Informationsbroschüre für Wehrpflichtige. Sie wird alljährlich
in neuer Auflage bei der Musterung überreicht und soll auf den Wehr­
dienst vorbereiten. Als diese Ausgabe 1989 in den Druck gegeben wird,
können die Herausgeber nicht ahnen, dass die Wehrpflichtigen des Jahr­
gangs 1972 die letzten der NVA sein werden.
Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung / Bibliothek
Manche Grundwehrdienstleistende zählen schon ab dem ersten Tag
rückwärts. In Kalendern werden die Tage bis zum Dienstzeitende ab­
gestrichen oder von Maßbändern abgeschnitten. Ist das Ende erreicht,
feiern die je nach Region «Ausscheider» oder «Abgänger» genannten
Grundwehrdienstleistenden ihre wiedergewonnene Freiheit.
UNGELIEBTER DIENST
Die allgemeine Wehrpflicht in Ost und West
1956 beschließt der Deutsche Bundestag nach leidenschaftlicher Debatte die Wehrpflicht für alle
Männer ab dem 18. Lebensjahr. Die DDR-Führung wagt diesen Schritt erst 1962, nachdem sie
im Jahr zuvor mit dem Mauerbau in Berlin den
letzten Fluchtweg in den Westen abgeschnitten
hat.
In der Bundesrepublik gilt: Wer den Waffendienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren
kann, muss nicht zum «Bund», sondern kann im
sozialen Bereich zivilen Ersatzdienst leisten. Das
Recht auf Kriegsdienstverweigerung hatte die
Bundesrepublik bereits 1949 als erster Staat überhaupt in ihrem Grundgesetz festgeschrieben. Gelten die «Zivis» vielen Westdeutschen zunächst als
«Drückeberger», steigt deren Zahl ab den 1980er
Jahren sprunghaft an.
In der DDR kann niemand den Wehrdienst verweigern. Ab 1964 ist jedoch ein waffenloser Militärdienst in NVA-Baueinheiten möglich. Im Ostblock ist dies einzigartig. Bausoldaten müssen aber
im Dienst und später mit Schikanen rechnen, etwa
mit Einschränkungen bei der Berufswahl.
2011 wird die Wehrpflicht im wiedervereinigten
Deutschland aus Gründen der Wehrgerechtigkeit ausgesetzt: Angesichts starker Geburtsjahrgänge und einer verkleinerten Bundeswehr kann
nur noch ein Teil der Wehrpflichtigen eingezogen
werden.
Das Leben mit acht und mehr Kameraden «auf Stube» ist für viele
Wehrpflichtige ungewohnt und belastend. Aus diesen Stubenbeleg­
schaften können aber auch Gemeinschaften entstehen, die über die
Wehrdienstzeit hinaus Bestand haben.
Foto: Zeitschrift Heer 2 / 82
Ein Panzerschütze aus Tübingen auf dem Weg zu seinem Bataillon am
22. Dezember 1988. Außerhalb der Kasernen sieht man in der Bundes­
republik Grundwehrdienstleistende vor allem am Wochenende, wenn sie
von ihren Standorten nach Hause pendeln. Diese Bahnfahrten sind für sie
kostenlos.
Foto: picture alliance / dpa
BEIM BUND UND BEI DER ASCHE
Soldatenalltag in Ost und West
Der Soldatenalltag in Ost und West ähnelt sich.
Militärische Strukturen, Drill und Disziplin sind
für die jungen Rekruten nicht selten ein Schock.
Die Zeit «beim Bund» oder «bei der Asche»,
wie es in der DDR heißt, prägt über die Dienstzeit
hinaus. Oft ist sie die erste Trennung von Elternhaus und Freundeskreis. Auch Missstände gleichen sich, etwa Alkoholmissbrauch oder sinnloser
«Gammeldienst».
Die Unterschiede wiegen jedoch schwerer: In
vielen DDR-Kasernen genießen «Entlassungskandidaten», Wehrpflichtige des letzten Diensthalbjahres, Privilegien, während die Neuen häufig
drangsaliert werden. Zum NVA-Alltag gehören
eine rigide Militärjustiz, mit dem Militärgefäng-
nis Schwedt als reale Drohung, die ständige ideologische Indoktrination («Rotlichtbestrahlung»)
und eine hohe Gefechtsbereitschaft. Stets müssen
sich 85 Prozent der Soldaten «kampfbereit» in
der Kaserne aufhalten. Im Westen setzt dagegen
jeden Freitag die sogenannte «NATO-Rallye»
ein, wenn die Wehrpflichtigen nach Hause fahren
und weithin leere Kasernen zurückbleiben.
In der störanfälligen DDR-Planwirtschaft ist die
NVA regelmäßig Personalreserve, sei es bei Ernte-
einsätzen, Bauarbeiten oder in der Industrie. Beide
Armeen spielen als Konsument und Arbeitgeber in
strukturschwachen Gebieten eine wichtige wirtschaftliche Rolle.
Foto: Zeitschrift Heer 6 / 81.
SED­Parteiversamm­
lung während einer
Ausbildungspause
im Mot.­Schützen­
regiment 9 «Rudolf
Renner», März 1986.
Die SED hat auf
allen Ebenen der
NVA Parallelstruktu­
ren etabliert, mit der
sie ihre «führende
Rolle» demonstriert
und ausübt.
Foto: MHM MB001
486 – 002
Plakat mit dem Fahneneid der NVA, 1962. Sein
Kernbestand ist die gleichzeitige Inpflichtnahme
für den DDR­Sozialismus und für die Waffenbrüder­
schaft mit der Sowjetarmee.
Ein NVA­Soldat überwacht 1962 einen Bauarbeiter beim Ausbau der
Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Anders als die Bundeswehr wird
die NVA auch im Innern eingesetzt.
Plakat: Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr.: P 73 / 879
Foto: picture alliance / AP Images
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Flutkatastrophe in Hamburg im
Februar 1962. Ein Bundeswehr­
soldat rettet ein Baby vor
dem Hochwasser. Mehr als
40 000 Soldaten kommen in
Norddeutschland zum Einsatz.
Foto vom 1. Februar 1962:
picture alliance / Gerd Herold
Auf diesem Propa­
gandabild aus dem
Jahr 1966 lauschen
sowjetische und
ungarische Soldaten
dem Gitarrenspiel
ihres NVA­Kamera­
den. In der Realität
sind enge Kontakte
zwischen den An­
gehörigen der «Bru­
derarmeen» die
Ausnahme.
Foto: Armeerundschau
1966 Sonderausgabe
«VLATAVA»
12
1987 bitten großforma­
tige Aufkleber auf deut­
schen und französischen
Militärfahrzeugen um
Verständnis, dass mit dem
Herbstmanöver «Kecker
Spatz» Beeinträchtigun­
gen im Straßenverkehr
einhergehen.
Mit einer Sitzblockade hindern Demonstran­
ten am 29. Oktober 1987 beim Manöver
«Carbon Archer» einen amerikanischen Kon­
voi mit Pershing­II­Raketen an der Weiter­
fahrt.
Ein Zivildienstleistender in einem Altenpflegeheim, 1993. In der Bundes­
republik muss jeder Kriegsdienstverweigerer seine Gewissensentscheidung
bis 1976 sowohl schriftlich als auch mündlich vor einem Prüfungsaus­
schuss glaubhaft machen. Danach wird das Verfahren bis zur Ausset­
zung der Wehrpflicht Schritt für Schritt erleichtert.
Bausoldaten beim Arbeitseinsatz am Fährhafen Mukran auf Rügen, An­
fang der 1980er Jahre. Als das Foto gefunden wird, verhört der Kompa­
niechef alle abgebildeten Bausoldaten, um den Urheber zu finden. Denn
Fotografieren ist streng verboten. Alle Beteiligten erhalten neun Stunden
Strafarbeit wegen «Nichteinhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen».
Juli 1979 vor der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn. Demonstranten fordern die
Freilassung von Nico Hübner. Er ist einer von 6000 jungen «Totalverweigerern», die bis
1989 den DDR­Wehrdienst völlig verweigern. 1978 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt,
wird er im Oktober 1979 nach anhaltenden Protesten nach Westdeutschland abge­
schoben.
Befehl 30 / 74 soll den Alkoholmiss­
brauch in der NVA eindämmen. Die
Soldaten nennen ihn 15 / 37, weil
sich nur die Hälfte der Armeeange­
hörigen daran hält. Trotz strikten
Verbotes wird Alkohol in die Ka­
sernen geschmuggelt. Auch in der
Bundeswehr ist Alkoholmissbrauch
ein Problem.
Soldaten des Instandsetzungsbataillons in Spremberg feiern 1987 das
bevorstehende Ende ihres Wehrdienstes mit einem Ritual. Beim feier­
lichen Anschnitt des Maßbandes fällt der Stahlhelm laut zu Boden.
Reserve hat (keine) Ruh. Reservisten des Jägerbataillons 761 treten
am 17. September 1978 zur Heeresübung «Blaue Donau» an.
Viele ehemalige Wehrpflichtige werden als Reservisten für Tage
oder Wochen zu Übungen in den Streitkräften eingezogen.
Foto: VISUM Foto GmbH / Thomas Pflaum
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / Gerd Pfeiffer
Foto: BStA / Uwe Biermann
Foto: picture alliance / dpa
Plakat: MHM
Foto: Andreas Hofmann
Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / dpa
Foto: ZMSBw / Bibliothek
Aufgebrachte Prager Bürger umringen einen sowje­
tischen Panzer, nachdem Truppen des Warschauer
Pakts unter Führung der UdSSR im August 1968 die
Tschechoslowakei besetzen, um den «Prager Frühling»
gewaltsam zu beenden.
Manöver der Flugabwehr­
raketentruppe der NVA im
Jahr 1983.
Die Mitgliedsstaa­
ten von NATO und
Warschauer Pakt
in Europa.
Foto: dpa / picture alliance / ZB /
Reinhard Kaufhold
Karte: picture alliance /
dpa-infografik
Foto: picture alliance / dpa
MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Olympische Spiele München 1972. Bei den Gehern messen sich
die Sportsoldaten Bernd Kannenberg (Bundesrepublik) und Peter
Frenkel (DDR). Frenkel gewinnt das 20­Km­Rennen, Kannenberg
über die 50­Km­Distanz. Beide mit olympischem Rekord.
Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Das beliebte DDR­Sandmännchen besucht die NVA. Standbild einer DDR­Fernsehsendung aus dem Jahr 1982.
In der DDR werden schon Vorschulkinder systematisch an das Thema Militär herangeführt. In Kinderliedern, wie «Wenn ich
groß bin, gehe ich zur Volksarmee», singen sie, dass sie später einmal Panzer fahren und Kanonen laden wollen.
Foto: DRA Babelsberg, ID 056333
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Ob Tätowierungen, Piercings und andere «Körpermodifikationen»
bei Soldaten zulässig sind und im Dienst gezeigt werden dür­
fen, wird in der Bundeswehr heftig diskutiert. Anfang 2015
werden die Regelungen hierzu präzisiert.
Foto, vom 21. August 2014: AkBwInfoKom
Zentralredaktion / Jane Hannemann
Ein Jungpionier (1. bis
3. Schulklasse) beglück­
wünscht einen Soldaten
nach dessen Vereidi­
gung. Patenschaften
zwischen NVA­Einheiten
und Schulen gehören
zum Geflecht zivil­militä­
rischer Verbindungen in
der DDR.
Hamburgs Innensenator Helmut Schmidt (l.) und Oberstleutnant Hans
Busch (2. v. l.) verleihen am 3. Dezember 1962 die Dankmedaille der Frei­
en und Hansestadt Hamburg an Soldaten der Bundeswehr, die im Febru­
ar am Rettungseinsatz teilgenommen hatten.
Ein Soldat zieht sich am 9. Februar 1971 in Bonn das neue
Bundeswehr­Haarnetz über. In der Tarnfarbe Grau gehal­
ten, wird es von den Bekleidungskammern von Heer, Luft­
waffe und Marine ausgegeben.
Foto: picture alliance / dpa / Alfred Hennig
Foto: picture alliance / ZB / ddrbildarchiv.de / Manfred Uhlenhut
Foto: picture alliance / dpa / Blumenberg
Foto: Militärverlag DDR, Berlin,
0 /033-3, März 1980
Anfang Oktober 1975 ernennt Bundesverteidigungsminister Georg
Leber auf der Bonner Hardthöhe fünf von vorerst fünfzig Ärztinnen zu
Stabsärzten der Bundeswehr.
Henry Maske und Ingo Benske von der Armeesportvereinigung «Vor­
wärts» beim Training am 31. Oktober 1984 in Frankfurt (Oder).
Studenten der Leipziger
Kunsthochschule und der
Pädagogischen Hoch­
schule üben in einem
Zivilverteidigungslager
in Bertingen bei Magde­
burg in Schutzanzügen
und mit Atemschutz­
masken die Orientierung.
Eine Soldatin bei einer Bundes­
wehrveranstaltung in Berlin am
26. Juni 2014. In der Bundes­
wehr sind Frauen – auch als
Vorgesetzte – zu einem ge­
wohnten Anblick geworden.
Foto: picture alliance / dpa
Foto, 1976: BArch, Bild 226210 / Hans Martin Sewcz
Foto: picture alliance / dpa /
Bernd von Jutrczenka.
HELFER IN DER NOT
Januar 1968. NVA­Soldaten eines Mot.­Schützen­Regiments schaufeln
im Norden der DDR einen eingeschneiten Personenzug frei.
Foto: MHM
Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen
und Unglücksfällen
ATHLETEN IN UNIFORM
Die Aufnahme vom V. Turn­ und Sportfest der DDR vom 24. bis 27. Juli
1969 zeigt die enge Verbindung von Sport und Militär in der DDR.
Mehr als 600 Soldaten befestigen am 30. Juli 1997 den Oderdeich bei
Hohenwutzen mit Planen und Sandsäcken.
Foto: picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
1962 besteht die junge Bundeswehr ihre erste Bewährungsprobe. Sie kommt bei einer schweren
Sturmflut in Norddeutschland zum Einsatz und
erwirbt sich dabei großes Ansehen in der Bevölkerung. Mehrere Soldaten sterben beim Kampf gegen die Naturgewalten und dem Versuch, Leben zu
retten. Auch in der DDR leistet die NVA immer
wieder Katastrophenhilfe. Ihre Soldaten und ihr
schweres Gerät sind regelmäßig bei Überschwemmungen sowie bei heftigen Schneefällen im Einsatz.
1997 kommt es zum großen Oderhochwasser
in Ostdeutschland. 15 000 Soldaten aus Ost und
West helfen, die Deiche zu verteidigen. Sieben
Jahre nach der Wiedervereinigung wird aus der
«westdeutschen» Bundeswehr für viele Ostdeutsche «unsere» Bundeswehr.
2002 leisten erneut über 40 000 Soldaten Katastrophenhilfe – diesmal beim Kampf gegen die
Fluten der Elbe und Donau. 60 Prozent von ihnen
sind Wehrdienstleistende.
Seit 1959 betreibt die Bundeswehr einen eigenen Such- und Rettungsdienst, um bei Unfällen
in der Luft- und Seefahrt sowie im Gebirge rasch
Hilfe zu leisten und ab 1966 auch den zivilen
Rettungsdienst personell und materiell zu unterstützen.
Auch international leistet die Bundeswehr Rettungs- und Hilfseinsätze, so erstmals 1960 nach
einem Erdbeben in Agadir / Marokko und zuletzt
2014 beim Kampf gegen die Ebola-Epidemie in
Afrika.
Gruppenbild mit Staats­ und Parteichef Erich Honecker. Am 11. Novem­
ber 1988 werden im Ost­Berliner Staatsratsgebäude Sportler, Trainer,
Funktionäre sowie Sportwissenschaftler und ­mediziner geehrt.
Foto: BArch, Bild 183-1988-1111-026 / adn-Zentralbild / Hartmut Reiche
Georg Hackl, Kati Wilhelm und Henry Maske:
Namen bekannter Olympiasieger – und Sportsoldaten. Viele Sportlerinnen und Sportler verdanken
ihre Karriere der Sportförderung durch das Militär.
Während des Ost-West-Konfliktes sollen sportliche Höchstleistungen, messbar in Medaillen und
Rekorden, die Überlegenheit des jeweiligen Gesellschaftssystems dokumentieren. Trotz anfänglicher
Vorbehalte werden deshalb seit den 1960er Jahren
auch Bundeswehr und NVA in die staatliche Förderung des Spitzensports eingebunden.
Besonderen Stellenwert gewinnt die Sportförderung in der NVA. Sie unterhält nicht nur eigene
Frauen in den Streitkräften
Trainingszentren, sondern betreibt mit der Armeesportvereinigung «Vorwärts» ein dichtes Netz
an Sportclubs. Die sind Teil einer systematischen
Talentsichtung und -förderung im DDR-Sport, der
im Spitzenbereich zudem systematisches Doping
betreibt. In der Folge sind DDR-Athleten ihren
westdeutschen Konkurrenten oft überlegen.
Die Bundeswehr gründet 1968 Sportfördergruppen, die eng mit den Leistungszentren des
Deutschen Sportbundes kooperieren. Heute betreut die Bundeswehr fast 750 Spitzenathletinnen
und -athleten. Sie zählt damit zu den wichtigsten
Förderern des deutschen Spitzensports.
Offiziershochschule «Ernst Thälmann» in Löbau im Herbst 1986. Bei der
Vereidigung schwören weibliche Offizierschüler auf die Fahne.
Foto: picture alliance / Zentralbild / Hans Wiedl
Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. September 1988,
dem Antikriegstag, in Kassel. In den 1980er Jahren wird in Westdeutsch­
land die Zulassung von Frauen zum Waffendienst kontrovers diskutiert.
Foto: picture alliance / Christiane Zschetzschingck
Im geteilten Deutschland bleibt das Militär zunächst Männersache. Eine allgemeine Wehrpflicht
für Frauen gibt es nicht. Allerdings können sich
Frauen in der NVA von Beginn an für «Rückwärtige» und Medizinische Dienste als Freiwillige
verpflichten und ab 1984 auch Offizier werden.
Im Westen verbietet das Grundgesetz Frauen den Waffendienst. Mit der Begründung, dass
Sanitätssoldaten nur zur Selbstverteidigung bewaffnet sind, stellt die Bundeswehr 1975 erstmals
Ärztinnen als Sanitätsoffiziere ein. Ab 1988 fallen alle Laufbahnbeschränkungen im Sanitätsund Militärmusikdienst. Ob Frauen aus Gründen
der Gleichbehandlung auch uneingeschränkten
Deutsche Olympia-Medaillen:
Gold
Silber
Bronze
178
174
178
530
80
75
79
234
davon durch Sportsoldaten
der Bundeswehr errungen:
Sea King­Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5
beim Hilfseinsatz nach dem Tsunami in Indonesien am
16. Januar 2005. Die Bundeswehr betreibt dort ein Feld­
lazarett in Banda Aceh.
Am 8. Mai 2014 zeichnet Bundespräsident Joachim Gauck in Anwesen­
heit von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Medaillengewinner
der Winterspiele in Sotschi mit der höchsten deutschen Sportauszeich­
nung aus, dem Silbernen Lorbeerblatt. Unter ihnen sind acht Sportsolda­
tinnen und Sportsoldaten.
Landtagsfest in Erfurt am 13. Juni 2009. Am Stand der Bundeswehr informiert
Biathletin und Sportsoldatin Kati Wilhelm Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski
und Ministerpräsident Dieter Althaus über die Sportförderung der Bundeswehr.
Tanja Kreil schreibt Rechtsgeschichte. Ihre Bewerbung bei der Bundes­
wehr war unter Hinweis auf Art. 12 Grundgesetz, nach dem Frauen «auf
keinen Fall» Dienst mit der Waffe leisten dürfen, abgelehnt worden. Da­
gegen klagt die junge Elektronikerin erfolgreich vor dem Europäischen
Gerichtshof.
Foto: AkBwInfoKom Zentralredaktion / Foto: Isabell Kurtze
Foto: picture alliance / dpa / ZB / Michael Reichel
Foto, 29. Juni 1999: picture alliance / dpa / Werner Baum
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
Trotz Verbots nehmen Bundeswehr­
soldaten am 22. Oktober 1983 in Uni­
form an der Großkundgebung im Bonner
Hofgarten teil und demonstrieren mit
einem Transparent und einer Pershing­II­
Attrappe gegen die NATO­Nachrüstung.
Foto: picture alliance / dpa / Heinz Wieseler
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MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945
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Die «Nachrüstungsdebatte» spaltet die westdeutsche Gesellschaft in ent­
schiedene Gegner und leidenschaftliche Befürworter. Der Aufkleber aus
dem Jahr 1983 wirbt für die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen.
Foto: Haus der Geschichte, Bonn / Bonner Friedensforum e.V.
FRIEDEN SCHAFFEN OHNE WAFFEN
Die Stasi fotografiert am 14. November 1982 eine oppositionelle Frie­
denskundgebung in Jena. Zwei Monate später werden elf Aktivisten
verhaftet, die jedoch nach internationalen Protesten bald wieder frei­
gelassen werden.
EINSATZBEREIT
Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik und in der DDR
Die NVA in der Friedlichen Revolution
der Raketensysteme ist, regt sich gesellschaftlicher
Widerstand. Am 10. Oktober 1981 demonstrieren
mehr als 300 000 Menschen in Bonn friedlich gegen die Nachrüstung.
Auch in der DDR kommt es zu großen Friedenskundgebungen. Doch die sind vom SED-Staat
veranlasst und richten sich einseitig gegen die
NATO-Raketen. Dennoch gibt es auch im Osten
eine kleine, unabhängige Friedensbewegung.
Deren Aktivisten protestieren mit dem Motto
«Schwerter zu Pflugscharen» gegen den Rüstungswettlauf in West und Ost. Die lokalen Friedensgruppen sind eine Keimzelle der DDR-Opposition und werden von der Staatssicherheit
bespitzelt und bekämpft.
Aufnäher aus Ostdeutsch­
land
Süddeutsche Zeitung, Photo / BildID
00682551 / Peter Probst
Udo Lindenberg tritt am 25. Oktober 1983 beim FDJ­Konzert «Für den
Frieden der Welt – Weg mit dem NATO­Doppelbeschluss» erstmals
in der DDR auf. Er ruft dem staatstreuen Publikum zu: «In der BRD und
in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine Rakete sehen. Keine
Pershings und keine SS 20.» Der Satz verärgert die SED so sehr, dass sie
seine Tournee für das Folgejahr absagtz.
US­Präsident Ronald Reagan begrüßt
am 10. Oktober 1986 den sowjeti­
schen Staats­ und Parteichef Michail
Gorbatschow bei dessen Ankunft zu
zweitägigen Abrüstungsgesprächen in
der isländischen Hauptstadt Reykjavik.
1983 ruft US­Präsident Ronald Reagan die
Strategic Defense Initiative (SDI) ins Leben, die
den Aufbau eines Abwehrschirms gegen Inter­
kontinentalraketen vorsieht. Sie wird in Moskau
als Versuch verstanden, das Gleichgewicht des
atomaren Schreckens massiv zugunsten der USA
zu verändern.
Foto: picture alliance / Dieter Klar
Foto: picture alliance / dpa / AFP
Grafik: picture alliance / dieKLEINERT.de / Enno Kleinert
Button aus West­
deutschland.
Deutsches Historisches Museum,
Berlin / Inv.-Nr.: A 96 / 64 / S. Ahlers
Rainer Eppelmann, einst Bausoldat, dann Pfarrer und DDR­Oppositionel­
ler, besucht am 18. April 1990, dem Tag seiner Ernennung zum Minister
für Abrüstung und Verteidigung, unter großem Medieninteresse sein
Ministerium in Strausberg bei Berlin.
Foto: picture alliance / ZB / Eberhard Klöppel
Im Moskauer Hotel «Oktober» unterzeichnen am 12. September 1990
die Außenminister der beiden deutschen Staaten und der vier Sieger­
mächte des Zweiten Weltkrieges den 2+4­Vertrag, mit dem Deutschland
seine volle Souveränität und so das Recht zur Wiedervereinigung e
Am 26. September 1990 marschiert die Große Ehrenwache des Wachregiments «Fried­
rich Engels» zum letzten Großen Wachaufzug vor die Neue Wache in Ost­Berlin. Das
Zeremoniell war fast 28 Jahre lang fester Bestandteil der Traditionspflege in der NVA.
Foto: BArch, Bild 183-1990-0926-029 / adn / Peer Grimm
Fo gen S e uns n den soz a en Netzwerken
www acebook com / Bundess ftungAu a be ung
www acebook com / Bundesweh
SPIEGEL DER GESELLSCHAFT?
Streitkräfte und gesellschaftlicher Wandel
«Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks
nicht unberücksichtigt lassen», heißt es 1971 in
einem Erlass des Bundesverteidigungsministers.
Fortan sind Soldaten lange Haare erlaubt. Diese
müssen im Dienst in einem Haarnetz getragen
werden. Es ist die Zeit der Rolling Stones, des Musicals «Hair» und der 68er-Bewegung. «German
Hair Force» spottet die Presse im In- und Ausland. Bereits ein Jahr später lässt ein neuer Erlass
die Haare wieder fallen.
Die NVA hat es da leichter. In der SED-Diktatur
endet – nicht nur – die modische Selbstbestimmung am Kasernentor. Demgegenüber können
sich Bundeswehrsoldaten gegen als sinnlos emp-
fundene Vorschriften oder Schikanen mit Eingaben an den Wehrbeauftragten wenden. Er informiert seit 1982 den Bundestag jährlich über den
Stand der Bürgerrechte und der Demokratie in
der Bundeswehr.
Die Bundeswehr tut sich nicht nur mit den
Wendungen der Mode schwer. So bleibt etwa der
Umgang mit Sexualität lange ein Tabuthema. Bis
1979 ist zum Beispiel Homosexualität ein Ausmusterungsgrund; schwule Vorgesetzte gelten
im Kalten Krieg als Sicherheitsrisiko. Ab 2000
kommt es hier zu grundlegenden Reformen. Die
Intimsphäre der Soldatinnen und Soldaten wird
zur Privatsache. Jegliche Diskriminierungen sind
zu unterbinden.
1997 steigt die Zahl der Mel­
dungen über fremdenfeindliche
und rechtsradikale Vorkomm­
nisse in der Bundeswehr. Als
bekannt wird, dass die Bundes­
wehrführungsakademie 1995
den Rechtsextremisten Man­
fred Roeder zu einem Vortrag
eingeladen hatte, fordert die
Opposition einen Untersuchungs­
ausschuss. Verteidigungsminister
Volker Rühe erklärt am 10. De­
zember 1997 vor Journalisten,
er habe nichts zu verbergen.
Cover: ZivilCourage / DFG-VK
© ZMSBw
07513-02
Imposante Erfolgsbilanz: Seit 1992 haben Sportsoldatinnen und Sportsoldaten
der Bundeswehr mit 234 Medaillen fast die Hälfte aller deutschen Olympia­
medaillen gewonnen.
Grafik: ZMSBw / SL
Foto: PIZ Marine / MFG5
Foto: BStU, MfS, BV Gera, Abt. VIII, BB 101 / 82, Mappe 2
1971 gründet die Bundeswehr eine Big Band. Sie soll junge
Hörer ansprechen und einen «modernen Sound für eine
moderne Armee» verkörpern. Schallplatte von 1978.
Foto: Privatsammlung
Heft 1 / 2012 der Zeitschrift
ZivilCourage ist dem Protest
gegen die Bildungsarbeit
der Bundeswehr an Schulen
gewidmet. Die Zeitschrift
wird vom 1982 gegrün­
deten Verband Deutsche
Friedensgesellschaft – Ver­
einigte Kriegsdienstgegner­
innen herausgegeben.
Foto: picture alliance / rtn –
radio tele nord / torsten sörup
Nach einem Jahrzehnt Entspannungspolitik verhärten sich Ende der 1970er Jahre die Fronten
zwischen Ost und West. Die Sowjetunion interveniert 1979 in Afghanistan. 1981 wird in Polen das
Kriegsrecht ausgerufen. Im gleichen Jahr reagiert
die NATO auf neue sowjetische SS-20-Atomraketen in Osteuropa mit einem Doppelbeschluss:
Falls mit Moskau keine Abrüstung aller nuklearen
Mittelstreckenraketen erreicht wird, werden neue
amerikanische Pershing-II-Raketen in Westeuropa stationiert.
Der neue Rüstungswettlauf sowie US-Pläne, im
Weltall ein Raketenabwehrsystem zu errichten,
schüren weltweit Ängste vor einem Atomkrieg. Im
geteilten Deutschland, das Stationierungsort bei-
Foto: picture alliance / dpa
Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Dort
können seit 1958 Schulen und andere Bildungseinrichtungen Jugendoffiziere als Referenten für
Sicherheits- und Verteidigungspolitik einladen.
Sie informieren über den Verfassungsauftrag der
Bundeswehr, den deutschen Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und Krisenbewältigung
sowie – seit den 1990er-Jahren – über die Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Jugendoffiziere dürfen weder für den Wehrdienst
noch für eine Berufslaufbahn in der Bundeswehr
werben. Dennoch stößt ihr Auftreten in den Schulen auch auf Ablehnung und Kritik.
Foto: picture alliance / ZB / Ulrich Häßler
Ein Jahr nach dem erfolgreichen Kampf gegen das Hochwasser werden
am 15. August 1998 in Wriezen im Oderbruch die damaligen Helfer
gefeiert. Die städtische Funkengarde verschenkt auf dem Marktplatz
kleine Sandsäcke mit Produkten der Region an Rekruten, die dort verei­
digt werden.
Am 22. Oktober 1983 protestieren über 220 000 Menschen mit einer
108 Kilometer langen Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu­Ulm
gegen neue US­Mittelstreckenraketen in Westeuropa. Das Luftbild zeigt
die Demonstranten auf der B10 zwischen Plochingen und Ulm.
Auf dem Olof­Palme­Friedensmarsch in Dresden protestieren am
18. September 1987 Bürger gegen die Militarisierung der DDR. Auf den
Transparenten steht u.a. zu lesen: «Sozialer Friedensdienst statt Wehr­
dienst! Friedenserziehung statt Wehrkundeunterricht!».
In der DDR beginnt die «sozialistische Wehrerziehung» bereits im Kindesalter. Ab 1978 ist
Wehrunterricht Pflichtfach in der 9. und 10. Klasse. Er besteht aus einem theoretischen Teil in den
Schulen, Wehr- oder Zivilverteidigungslagern und
«Tagen der Wehrbereitschaft». Zum Unterricht
gehört auch eine Schießausbildung. Auch Berufsschüler und Studierende müssen Wehrlager absolvieren.
Die Schulen sollen zudem ab der 7. Klasse Nachwuchs für die NVA werben. Von Freiwilligkeit
kann dabei keine Rede sein: Für viele Jugendliche
ist die Verpflichtung als Zeitsoldat Voraussetzung
für Abitur und Studium.
Gesamt
Foto: picture alliance / dpa / Jens Büttner
Foto: picture alliance / Roland Holschneider
Kontraste: Vor einem Automaten­Restaurant in Ost­Berlin warten
Soldaten der NVA und langhaarige Jugendliche in Parkas auf Einlass.
Aufnahme vom Januar 1971.
Militär und Jugend
Zugang zur Bundeswehr haben sollen, wird im
wiedervereinigten Deutschland kontrovers diskutiert. Im Jahr 2000 bejaht dies der Europäische
Gerichtshof.
Nach einer Grundgesetzänderung treten am
1. Januar 2001 die ersten Soldatinnen ihren freiwilligen Wehrdienst an. Während Vorschriften
rasch überarbeitet und neue Uniformen schnell
beschafft sind, dauert das Umdenken in der Truppe länger. Viele Soldaten müssen sich an ihre
weiblichen Kameraden erst gewöhnen. Ihre Zahl
steigt kontinuierlich. Ende 2014 dienen ca. 19 000
Frauen in der Bundeswehr – ein Anteil von rund
10 Prozent.
Medaillenanteil von Bundeswehr-Sportsoldaten an den olympischen Medaillen
1992 bis 2014
Während der Kieler
Woche führen ein Sea­
King­Marinehubschrau­
ber und ein Rettungs­
kreuzer der Deutschen
Lebensrettungsgesell­
schaft am 22. Juni 2014
eine Übung durch. Allein
2013 retten Hubschrau­
ber von Luftwaffe und
Marine 340 Menschen
aus lebensbedrohlichen
Situationen.
INFORMATION ODER
INDOKTRINATION?
FALL EINER MÄNNERBASTION
Sportförderung durch Bundeswehr und NVA
Foto: picture alliance / ZB / Klaus Morgenstern
Die Öffnung der Bundes­
wehr für Frauen gilt als
Einbruch in eine der letz­
ten Männerdomänen in
Deutschland. Sie wird
gerne satirisch kommen­
tiert, wie in dieser Karika­
tur aus dem Jahr 2000.
Karikatur: Jürgen Tomicek
Foto: picture alliance / dpa /
Martin Athenstädt
Eine Soldatin patrouilliert am 20. August 2011
im Distrikt Charrah Darreh nahe Kundus in
Afghanistan. Mit ihren Kameraden sucht sie nach
versteckten Sprengfallen.
Ein Jugendoffizier der Bundeswehr aus Köln mit Schülern des Elly­Heuss­
Knapp­Gymnasiums aus Stuttgart / Bad Cannstatt beim interaktiven
Planspiel Politik & Internationale Sicherheit (POL&IS) am 20. Februar
2008 auf dem Messestand der DIDACTA.
Der vierjährige Theo «fliegt» am 17. August 2002 beim «Tag der offenen
Tür» des Verteidigungsministeriums in Berlin in einem Eurofighter. Der Zugang
von Kindern und Jugendlichen zu Panzern oder Flugzeugen ist bei solchen
Veranstaltungen nicht unumstritten. Kritiker sprechen von einer Verharmlo­
sung von Kriegswaffen.
Im Verdacht, homosexuell und damit ein «Sicherheitsrisiko» zu sein,
wird Bundeswehrgeneral Günter Kießling Ende 1983 in den Ruhestand
versetzt. Nachdem die Behauptung bald wiederlegt ist, wird Kießling
rehabilitiert und am 26. März 1984 mit dem Großen Zapfenstreich
ehrenhaft verabschiedet. Bei diesem Anlass gibt der General Bundesver­
teidigungsminister Manfred Wörner die Hand, der über die Affäre fast
gestürzt wäre.
Multikulturelle Bundeswehr: Soldaten sudanesischer, vietnamesischer,
syrischer und kasachischer Abstammung dienen am 1. Juni 2001 ge­
meinsam in der Koblenzer Falckenstein­Kaserne. Derzeit haben etwa
zwölf Prozent der Bundeswehrsoldaten einen Migrationshintergrund.
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