MILITÄR UND GESELLSCHAFT
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MILITÄR UND GESELLSCHAFT
M I LITÄR U N D G E S E LLSCHAF T M I LITÄ R U N D G E S E LLSC H A FT I N D E U T S C H L A N D S E I T 194 5 Eine Ausstellung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Foto: SZ Photo / Manfred Vollmer TEXT- UND BILDAUSZÜGE ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 02 03 NIE WIEDER! Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg «OHNE MICH!» Der Weg zur Wiederbewaffnung 8. Mai 1945. Die deutsche Wehrmacht kapituliert. In Europa endet der Zweite Weltkrieg. Deutschland hat ihn als Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt, der über 50 Millionen Menschenleben kostete. Große Teile Europas liegen in Trümmern. Millionen sind auf der Flucht, obdachlos oder in Gefangenschaft. Allmählich verdichten sich die Nachrichten von einem unfassbaren Verbrechen, das Deutsche im Schatten des Krieges begangen haben: die systematische Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden. Die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich sind sich einig: Von Deutschland darf nie wieder eine Gefahr ausgehen. Das Land wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Es soll demokratisiert, dezentralisiert, entnazifiziert und entwaffnet werden. Doch die Anti-Hitler-Koalition hält nicht lange. Die Gegensätze zwischen der kommunistischen Sowjetunion und den westlichen Demokratien sind zu groß. Während Moskau in seinem Machtbereich kommunistische Re gime installiert und die Planwirtschaft einführt, treiben die drei Westalliierten in ihren Besatzungszonen die Bildung eines Teilstaates voran. Es ist der Beginn des Kalten Krieges, der Deutschland, Europa und die Welt für vier Jahrzehnte teilen wird. 1949 kommt es zur Gründung von zwei deutschen Staaten. Unter dem Schutz der Westmächte entwickelt sich in der 1949 ge gründeten Bundesrepublik eine Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft. Die Bundesbürger erleben in den 1950er Jahren ein Wirt schaftswunder und rasch wachsenden Wohlstand. Weder die Alliierten noch die Westdeutschen haben anfangs Interesse an einer Bewaff nung des Landes. Der Ausbruch des Koreakrieges 1950 ändert dies. Die Furcht wächst, dass auch in Europa aus dem Kalten Krieg ein heißer werden könnte, zumal die Sowjetunion nun – wie die USA – über Atomwaffen verfügt. Angesichts der wachsenden Wirtschaftskraft der Bundesrepublik und ihrer geostrategischen Lage wird in Washington, London und Paris immer vernehmlicher über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag diskutiert. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sieht in einer «Wiederbewaffnung» die Chance, gleichermaßen die Westbindung zu stärken und die staatliche Souveränität zurückzugewinnen. Der Aufbau westdeutscher Streitkräfte und ihre Integration in die NATO erschweren jedoch die ersehnte Wiedervereinigung, was der Debatte eine deutschlandpolitische Note gibt. Für viele Bundesbürger ist eine «Wiederbewaffnung» so bald nach dem Weltkrieg unerträglich. «Nie wieder!» und «Ohne mich!» lauten ihre Parolen. Am 25. April 1945 reichen sich amerikanische und sowjetische Soldaten auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau die Hände. Das einen Tag später nachgestellte Bild geht um die Welt und kündet von der bevorstehenden deutschen Niederlage. Anstecknadel aus dem Jahr 1951 mit einem stilisierten Soldatenstiefel und dem Schriftzug «Ohne Mich». Die Anstecker richten sich gegen Pläne, in Westdeutschland paramilitärische Polizeiverbände zu schaffen. Foto: picture alliance / akg-images Foto: picture alliance / dpa 04 05 GETARNTE AUFRÜSTUNG Die militärische Aufrüstung in der DDR RECHT UND FREIHEIT TAPFER ZU VERTEIDIGEN … Die Gründung der Bundeswehr Die Sowjetunion ist Schutzmacht, Befehlsgeber und Vorbild der Diktatur, die die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in der DDR errichtet. Die SED war 1946 aus der Zwangsvereinigung der Sozialdemokraten mit den Kommunisten hervorgegangen, die dort fortan das Sagen haben. Opposition in der DDR wird unterdrückt, Unternehmer enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert. Doch die Planwirtschaft erweist sich als ineffizient und dem westlichen Modell unterlegen. Angesichts der Blockkonfrontation will die Sowjetunion ihre Satellitenstaaten stabilisieren. Deshalb darf Ost-Berlin bereits 1948 verdeckte militärische Formationen aufstellen. Im April 1952 weist Stalin die SED-Führung an: «Volksarmee schaffen – ohne Geschrei». Am 1. Juli wird die «Kasernierte Volkspolizei» (KVP) gegründet, die nach militärischem Vorbild ausgebildet und ausgerüstet wird. Kurz darauf verkündet die SED den Aufbau des Sozialismus und verschärft den Klassenkampf von oben. Aufmärsche bewaffneter KVP-Einheiten sind nun ein gewohntes Bild bei SED-Kundgebungen. Die Aufrüstung stößt bei den meisten Ostdeutschen auf Ablehnung. Offener Widerspruch ist ihnen aber, anders als den Westdeutschen, nicht erlaubt. Als es im Juni 1953 zum Volksaufstand kommt, lautet eine der Losungen: «Wir brauchen keine Volksarmee!». 12. November 1955: Die ersten Freiwilligen der Bundeswehr erhalten ihre Ernennungsurkunden. Die Vorarbeiten dazu hatte seit 1950 das «Amt Blank» geleistet, der Vorläufer des im Juni 1955 gegründeten Verteidigungsministeriums. Die neuen Streitkräfte sollen sich von ihren Vorgängern radikal unterscheiden. Sie sind allein dem demokratischen Staat verpflichtet und unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Große Hoffnun gen sind mit der Konzeption der Inneren Führung verbunden. Sie soll die Pflichten des Soldaten durchsetzen und ihm als «Staatsbürger in Uniform» die Rechte garantieren, zu deren Schutz er dient. Dazu gehört eine neue Führungskultur: Das Gewissen muss über dem Gehorsam stehen, wenn Befehle dem Recht und der Menschenwürde widersprechen. Eigenverantwortliches Handeln soll gefördert werden. Die Aufstellung und Ausbildung dieser neuen Armee sind jedoch nicht ohne ehemalige Wehrmachtsangehörige möglich. 1959 knüpfen über 80 Prozent der Bundeswehroffiziere an eine Offizierslaufbahn vor 1945 an. Dies weckt jedoch Befürchtungen, die Bundeswehr werde deren Traditionen und Gedankengut übernehmen. Seit ihrer Gründung muss sich die Bundeswehr einer kritischen Berichterstattung der Medien sowie einer lebhaften öffentlichen Debatte kleinerer und größerer Skandale stellen. Ein Offizier der Roten Armee (l.) bei der Ausbildung von KVP-Angehörigen im sowjetischen S aratow am 1. Oktober 1954. Im Hintergrund ein Panzer T-34. Von Anfang an ist die KVP als Kern einer künftigen sozialistischen Armee angelegt. Verteidigungsminister Theodor Blank überreicht am 12. November 1955 den ersten Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden. Der Tag gilt als Gründungsakt der Bundeswehr. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo Foto: picture alliance / akg-images 06 07 DEN SOZIALISMUS GEGEN ALLE FEINDE ZU VERTEIDIGEN … Die Gründung der Nationalen Volksarmee der DDR BÜNDNISPARTNER UND KOALITIONSARMEE Bundeswehr und NVA im jeweiligen Bündnissystem Der Aufbau der Bundeswehr wird von der SED-Propaganda im Verlauf des Jahres 1955 als Gefährdung des Friedens verurteilt. So will Ost-Berlin den Eindruck erwecken, die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) am 18. Januar 1956 sei eine bloße Reaktion auf die «imperialistische» Vorgehensweise des Westens. Die NVA ist nach sowjetischem Modell aufgebaut und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet. Durch die Umwandlung der KVP stehen 1956 in der DDR bereits 100 000 Mann unter Waffen. Die Kampftruppen werden vollständig dem Warschauer Pakt unterstellt. Zum Selbstverständnis der NVA gehört die Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion und den anderen Armeen des P aktes. Bis 1962 ist die NVA eine Freiwilligenarmee. Doch der Dienst «bei der Fahne» ist unbeliebt. Entsprechend schwer ist es, qualifiziertes und politisch zuverlässiges Personal für das Offizierskorps zu gewinnen. Die NVA ist eine Parteiarmee. Sie steht unter der vollständigen Kontrolle der SED. Die Parteibeschlüsse sind für die NVA bindend. Für den O ffizier ist die SED-Mitgliedschaft Vorbedingung für seine militärische Karriere. Ein eigenständiger Polit- und Parteiapparat sowie das Spitzelsystem der Staatssicherheit garantieren die umfassende Überwachung und Steuerung der NVA durch die SED. 1955 wird die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Das 1949 gegründete Verteidigungsbündnis unter Führung der USA versteht sich als Wertegemeinschaft. Seine Verteidigungsplanungen sind das Ergebnis umfassender Abstimmung innerhalb der Allianz. Ziel der NATO ist es, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten von einem Angriff auf Westeuropa abzuschrecken. Gelingt dies nicht, soll jeder Angriff grenznah aufgefangen und zurückgeschlagen werden. Dafür sind rund 400 000 Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Westdeutschland stationiert. Der Einsatz von Nuklearwaffen in Deutschland ist Teil der Strategie. Da die Sowjetunion ebenfalls mit Atomwaffen plant, droht das geteilte Land im Kriegsfall zum atomaren Schlachtfeld zu werden. Wenige Tage nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik gründet die Sowjetunion 1955 den Warschauer Pakt. Er begreift sich als politisches und militärisches Bündnis sozialistischer Staaten. Die DDR ist Gründungsmitglied und spielt in der Militärdoktrin des Paktes für die Stationierung von etwa 400 000 sowjetischen Soldaten und als Operations- und Durchmarschgebiet eine bedeutende Rolle. Die NVA soll mit den verbündeten Streitkräften eine «imperialistische Aggression» aus dem Westen offensiv abwehren und den Gegner auf dessen eigenem Territorium vernichten. Ost-Berlin, 1. Mai 1956. Bereits zwei Monate nach der offiziellen Gründung der NVA marschieren deren Soldaten vor der Staats- und Parteiführung auf. Nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO am 9. Mai 1955 wird vor dem Hauptquartier des Atlantikrats in Paris die schwarz-rot-goldene Flagge gehisst. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa Foto: picture alliance / dpa 08 09 KRIEG IM FRIEDEN Verteidigungsvorbereitungen im Kalten Krieg UNGELIEBTER DIENST Die allgemeine Wehrpflicht in Ost und West In der Zeit des «Kalten Krieges» sind die Auswirkungen der Kriegsund Verteidigungsvorbereitungen für die Deutschen auch im Alltag spürbar. Bis Ende der 1980er Jahre proben die N ATO-Bündnispartner jedes Jahr in Westdeutschland im Rahmen großer Herbstmanöver auch außerhalb der Truppenübungsplätze den Ernstfall. Auf den westdeutschen Autobahnen sind lange Fahrzeugkolonnen der Bundeswehr und ihrer Alliierten ein gewohntes Bild. In der DDR unterscheiden sich die großen Manöver des Ostblocks von denen im Westen durch eine umfassende propagandistische Berichterstattung in den staatlichen Medien. Einen kritischen Blick hinter die Kulissen kann die Öffentlichkeit in der DDR jedoch nicht werfen. Auf beiden Seiten dienen die Manöver, in denen die Gefechts bereitschaft der Streitkräfte geübt wird, der Abschreckung. Manöverschäden, für deren Regulierung es spezielle Schadensoffiziere gibt, sowie Übungslärm durch Geschütze und Tiefflieger belasten die Bevölkerung. Gefechtsmunition wird zwar nur auf den dafür vorgesehenen Truppenübungs- und Schießplätzen eingesetzt. Dennoch kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen, vor allem wenn Panzer und Gefechtsfahrzeuge sich außerhalb dieser Plätze auf öffentlichen Straßen bewegen. 1956 beschließt der Deutsche Bundestag nach leidenschaftlicher Debatte die Wehrpflicht für alle Männer ab dem 18. Lebensjahr. Die DDR-Führung wagt diesen Schritt erst 1962, nachdem sie im Jahr zuvor mit dem Mauerbau in Berlin den letzten Fluchtweg in den Westen abgeschnitten hat. In der Bundesrepublik gilt: Wer den Waffendienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, muss nicht zum «Bund», sondern kann im sozialen Bereich zivilen Ersatzdienst leisten. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung hatte die Bundesrepublik bereits 1949 als erster Staat überhaupt in ihrem Grundgesetz festgeschrieben. Gelten die «Zivis» vielen Westdeutschen zunächst als «Drückeberger», steigt deren Zahl ab den 1980er Jahren sprunghaft an. In der DDR kann niemand den Wehrdienst verweigern. Ab 1964 ist jedoch ein waffenloser Militärdienst in NVA-Baueinheiten möglich. Im Ostblock ist dies einzigartig. Bausoldaten müssen aber im Dienst und später mit Schikanen rechnen, etwa mit Einschränkungen bei der Berufswahl. 2011 wird die Wehrpflicht im wiedervereinigten Deutschland aus Gründen der Wehrgerechtigkeit ausgesetzt: Angesichts starker Geburtsjahrgänge und einer verkleinerten Bundeswehr kann nur noch ein Teil der Wehrpflichtigen eingezogen w erden. Ein Junge beobachtet im September 1984 im niederbayerischen Dürnhart e inen Soldaten während der Heeresü bung «Flinker Igel». Was wie ein Räuber-u nd-Gendarm-Spiel wirkt, hat einen ernsten Hinterg rund: Ost und West üben für einen Krieg in Deutschland. Foto: picture alliance / ap / Fritz Reiss Kreiswehrersatzämter waren bis zu ihrer Auflösung 2012 Teil der zivilen Bundeswehrverwaltung. Zu ihren Aufgaben zählten die Rekrutierung und Musterung der Wehrpflichtigen. Die vergleichbare DDR-Behörde war das Wehrkreiskommando. Foto: picture alliance / dpa / Friso Gentsch 10 11 BEIM BUND UND BEI DER ASCHE Soldatenalltag in Ost und West HELFER IN DER NOT Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen Der Soldatenalltag in Ost und West ähnelt sich. Militärische Strukturen, Drill und Disziplin sind für die jungen Rekruten nicht selten ein Schock. Die Zeit «beim Bund» oder «bei der Asche», wie es in der DDR heißt, prägt über die Dienstzeit h inaus. Oft ist sie die erste Trennung von Elternhaus und Freundeskreis. Auch Missstände gleichen sich, etwa Alkoholmissbrauch oder sinnloser «Gammeldienst». Die Unterschiede wiegen jedoch schwerer: In vielen DDR-Kasernen genießen «Entlassungskandidaten», Wehrpflichtige des letzten Diensthalbjahres, Privilegien, während die Neuen häufig drangsaliert werden. Zum NVA-Alltag gehören eine rigide Militärjustiz, mit dem Militärgefängnis Schwedt als reale Drohung, die ständige ideologische Indoktrination («Rotlichtbestrahlung») und eine hohe Gefechtsbereitschaft. Stets müssen sich 85 Prozent der Soldaten «kampfbereit» in der Kaserne aufhalten. Im Westen setzt dagegen jeden Freitag die sogenannte «NATO-Rallye» ein, wenn die Wehrpflichtigen nach Hause fahren und weithin leere Kasernen zurückbleiben. In der störanfälligen DDR-Planwirtschaft ist die NVA regelmäßig Personalreserve, sei es bei Ernteeinsätzen, Bauarbeiten oder in der Industrie. Beide Armeen spielen als Konsument und Arbeitgeber in strukturschwachen Gebieten eine wichtige wirtschaftliche Rolle. 1962 besteht die junge Bundeswehr ihre erste Bewährungsprobe. Sie kommt bei einer schweren Sturmflut in Norddeutschland zum Einsatz und erwirbt sich dabei großes Ansehen in der Bevölkerung. Mehrere Soldaten sterben beim Kampf gegen die Naturgewalten und dem Versuch, Leben zu retten. Auch in der DDR leistet die NVA immer wieder Katastrophenhilfe. Ihre Soldaten und ihr schweres Gerät sind regelmäßig bei Überschwemmungen sowie bei heftigen Schneefällen im Einsatz. 1997 kommt es zum großen Oderhochwasser in Ostdeutschland. 15 000 Soldaten aus Ost und West helfen, die Deiche zu verteidigen. Sieben Jahre nach der Wiedervereinigung wird aus der «westdeutschen» Bundeswehr für viele Ostdeutsche «unsere» Bundeswehr. 2002 leisten erneut über 40 000 Soldaten Katastrophenhilfe – diesmal beim Kampf gegen die Fluten der Elbe und Donau. 60 Prozent von ihnen sind Wehrdienstleistende. Seit 1959 betreibt die Bundeswehr einen eigenen Such- und Rettungsdienst, um bei Unfällen in der Luft- und Seefahrt sowie im Gebirge rasch Hilfe zu leisten und ab 1966 auch den zivilen Rettungsdienst personell und materiell zu unterstützen. Auch international leistet die Bundeswehr Rettungs- und Hilfseinsätze, so erstmals 1960 nach einem Erdbeben in Agadir / Marokko und zuletzt 2014 beim Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Afrika. Bundeswehrsoldaten am 2. Mai 2011 bei der militärischen Grundausbildung. Drill, also die häufige Wiederholung von Bewegungsabläufen, damit diese unter Stress unbewusst und automatisch erfolgen, gehört zu den prägenden Erfahrungen des Wehrdienstes. Foto: PIZ Heer / Katrin Selsemeier Flutkatastrophe in Hamburg im Februar 1962. Ein Bundes wehrsoldat rettet ein Baby vor dem Hochwasser. Mehr als 40 000 S oldaten kommen in Norddeutschland zum Einsatz. Foto vom 1. Februar 1962: picture alliance / Gerd Herold 12 13 ATHLETEN IN UNIFORM Sportförderung durch Bundeswehr und NVA FALL EINER MÄNNERBASTION Frauen in den Streitkräften Georg Hackl, Kati Wilhelm und Henry Maske: Namen bekannter Olympiasieger – und Sportsoldaten. Viele Sportlerinnen und Sportler verdanken ihre Karriere der Sportförderung durch das Militär. Während des Ost-West-Konfliktes sollen sportliche Höchstleistungen, messbar in Medaillen und Rekorden, die Überlegenheit des jeweiligen Gesellschaftssystems dokumentieren. Trotz anfänglicher Vorbehalte werden deshalb seit den 1960er Jahren auch Bundeswehr und NVA in die staatliche Förderung des Spitzensports eingebunden. Besonderen Stellenwert gewinnt die Sportförderung in der NVA. Sie unterhält nicht nur e igene Trainingszentren, sondern betreibt mit der Armeesportvereinigung «Vorwärts» ein dichtes Netz an Sportclubs. Die sind Teil einer systematischen Talentsichtung und -förderung im DDR-Sport, der im Spitzenbereich zudem systematisches Doping betreibt. In der Folge sind DDR-Athleten ihren westdeutschen Konkurrenten oft überlegen. Die Bundeswehr gründet 1968 Sportfördergruppen, die eng mit den Leistungszentren des Deutschen Sportbundes kooperieren. Heute betreut die Bundeswehr fast 750 Spitzenathletinnen und -athleten. Sie zählt damit zu den wichtigsten Förderern des deutschen Spitzensports. Im geteilten Deutschland bleibt das Militär zunächst Männersache. Eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen gibt es nicht. Allerdings können sich Frauen in der NVA von Beginn an für «Rückwärtige» und Medizinische Dienste als Freiwillige verpflichten und ab 1984 auch Offizier werden. Im Westen verbietet das Grundgesetz Frauen den Waffendienst. Mit der Begründung, dass Sanitätssoldaten nur zur Selbstverteidigung bewaffnet sind, stellt die Bundeswehr 1975 erstmals Ärztinnen als Sanitätsoffiziere ein. Ab 1988 fallen alle Laufbahnbeschränkungen im Sanitäts- und Militärmusikdienst. Ob Frauen aus Gründen der Gleichbehandlung auch uneingeschränkten Zugang zur Bundeswehr haben sollen, wird im wiedervereinigten Deutschland kontrovers diskutiert. Im Jahr 2000 bejaht dies der Europäische Gerichtshof. Nach einer Grundgesetzänderung treten am 1. Januar 2001 die ersten Soldatinnen ihren freiwilligen Wehrdienst an. Während Vorschriften rasch überarbeitet und neue Uniformen schnell beschafft sind, dauert das Umdenken in der Truppe länger. Viele Soldaten müssen sich an ihre weiblichen Kameraden erst gewöhnen. Ihre Zahl steigt kontinuierlich. Ende 2014 dienen ca. 19 000 Frauen in der Bundeswehr – ein Anteil von rund 10 Prozent. Olympische Spiele München 1972. Bei den Gehern messen sich die Sportsoldaten Bernd Kannenberg (Bundesrepublik) und Peter Frenkel (DDR). Frenkel gewinnt das 20-km-Rennen, Kannenberg über die 50-km-Distanz. Beide mit olympischem Rekord. Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann Eine Soldatin bei einer Bundeswehrveranstaltung in Berlin am 26. Juni 2014. In der Bundeswehr sind Frauen – auch als Vorgesetzte – zu einem gewohnten Anblick geworden. Foto: picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka. 14 15 INFORMATION ODER INDOKTRINATION? Militär und Jugend SPIEGEL DER GESELLSCHAFT? Streitkräfte und gesellschaftlicher Wandel In der DDR beginnt die «sozialistische Wehrerziehung» bereits im Kindesalter. Ab 1978 ist Wehrunterricht Pflichtfach in der 9. und 10. Klasse. Er besteht aus einem theoretischen Teil in den Schulen, Wehr- oder Zivilverteidigungslagern und «Tagen der Wehrbereitschaft». Zum Unterricht gehört auch eine Schießausbildung. Auch Berufsschüler und Studierende müssen Wehrlager absolvieren. Die Schulen sollen zudem ab der 7. Klasse Nachwuchs für die NVA werben. Von Freiwilligkeit kann dabei keine Rede sein: Für viele Jugendliche ist die Verpflichtung als Zeitsoldat Voraussetzung für Abitur und Studium. Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Dort können seit 1958 Schulen und andere Bildungseinrichtungen Jugendoffiziere als Referenten für Sicherheits- und Verteidigungspolitik einladen. Sie informieren über den Verfassungsauftrag der Bundeswehr, den deutschen Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und Krisenbewältigung sowie – seit den 1990er Jahren – über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Jugendoffiziere dürfen weder für den Wehrdienst noch für eine Berufslaufbahn in der Bundeswehr werben. Dennoch stößt ihr Auftreten in den Schulen auch auf Ablehnung und Kritik. «Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks nicht unberücksichtigt lassen», heißt es 1971 in einem Erlass des Bundesverteidigungsministers. Fortan sind Soldaten lange Haare erlaubt. Diese müssen im Dienst in einem Haarnetz getragen werden. Es ist die Zeit der Rolling Stones, des Musicals «Hair» und der 68er-Bewegung. «German Hair Force» spottet die Presse im In- und Ausland. Bereits ein Jahr später lässt ein neuer Erlass die Haare wieder fallen. Die NVA hat es da leichter. In der SED-Diktatur endet – nicht nur – die modische Selbstbestimmung am Kasernentor. Demgegenüber können sich Bundeswehrsoldaten gegen als sinnlos empfundene Vorschriften oder Schikanen mit Eingaben an den Wehrbeauftragten wenden. Er informiert seit 1982 den Bundestag jährlich über den Stand der Bürgerrechte und der Demokratie in der Bundeswehr. Die Bundeswehr tut sich nicht nur mit den Wendungen der Mode schwer. So bleibt etwa der Umgang mit Sexualität lange ein Tabuthema. Bis 1979 ist zum Beispiel Homosexualität ein Ausmusterungsgrund; schwule Vorgesetzte gelten im Kalten Krieg als Sicherheitsrisiko. Ab 2000 kommt es hier zu grundlegenden Reformen. Die Intimsphäre der Soldatinnen und Soldaten wird zur Privatsache. Jegliche Diskriminierungen sind zu unterbinden. Das beliebte DDR-Sandmännchen besucht die NVA. Standbild einer DDR-Fernsehsendung aus dem Jahr 1982. In der DDR werden schon Vorschulkinder systematisch an das Thema Militär herangeführt. In Kinderliedern, wie «Wenn ich groß bin, gehe ich zur Volksarmee», singen sie, dass sie später einmal Panzer fahren und Kanonen laden wollen. Foto: DRA Babelsberg, ID 056333 Ob Tätowierungen, Piercings und andere «Körpermodifikationen» bei Soldaten zulässig sind und im Dienst gezeigt werden dürfen, wird in der Bundeswehr heftig diskutiert. Anfang 2015 werden die Regelungen hierzu präzisiert. Foto, vom 21. August 2014: AkBwInfoKom Zentralredaktion / Jane Hannemann 16 17 FRIEDEN SCHAFFEN OHNE WAFFEN Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik und in der DDR EINSATZBEREIT Die NVA in der Friedlichen Revolution Nach einem Jahrzehnt Entspannungspolitik verhärten sich Ende der 1970er Jahre die Fronten zwischen Ost und West. Die Sowjetunion interveniert 1979 in Afghanistan. 1981 wird in Polen das Kriegsrecht ausgerufen. Im gleichen Jahr reagiert die NATO auf neue sowjetische SS-20-Atomraketen in Osteuropa mit einem Doppelbeschluss: Falls mit Moskau keine Abrüstung aller nuklearen Mittelstreckenraketen erreicht wird, werden neue amerikanische Pershing-II-Raketen in Westeuropa stationiert. Der neue Rüstungswettlauf sowie US-Pläne, im Weltall ein Rake tenabwehrsystem zu errichten, schüren weltweit Ängste vor einem Atomkrieg. Im geteilten Deutschland, das Stationierungsort b eider Raketensysteme ist, regt sich gesellschaftlicher Widerstand. Am 10. Oktober 1981 demonstrieren mehr als 300 000 Menschen in Bonn friedlich gegen die Nachrüstung. Auch in der DDR kommt es zu großen Friedenskundgebungen. Doch die sind vom SED-Staat veranlasst und richten sich einseitig gegen die N ATO-Raketen. Dennoch gibt es auch im O sten eine kleine, unabhängige Friedensbewegung. Deren Aktivisten protestieren mit dem Motto «Schwerter zu Pflugscharen» gegen den Rüstungswettlauf in West und Ost. Die lokalen Friedensgruppen sind eine Keimzelle der DDR-Opposition und werden von der Staatssicherheit bespitzelt und bekämpft. Die DDR im Herbst 1989. Massenhaft demonstrieren die Menschen gegen die SED-Diktatur. Zehntausende fliehen über die Tschecho slowakei und Ungarn in den Westen. Die SED versucht mit einem Führungswechsel und halbherzigen Reformen gegenzusteuern. Ein Machtverlust ist für sie unvorstellbar. Noch befiehlt sie über einen Militär- und Sicherheitsapparat von etwa 362 000 Mann. Doch für eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste fehlt der Rückhalt aus Moskau. Am 9. November 1989 fällt das Symbol der SED-Diktatur: die Berliner Mauer. Der Niedergang des Regimes beschleunigt sich. Die NVA bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt. Auch hier hat sich Unzufriedenheit angestaut. Zum Jahreswechsel 1989 / 90 fordern Soldaten demokratische Reformen. Trotz Fällen von Fahnenflucht bleibt die NVA handlungsfähig. Im April 1990 tritt die erste demokratisch gewählte DDR-Regierung an. Rainer Eppelmann, ein ehemaliger Bausoldat und DDR- Oppositioneller, wird «Minister für Abrüstung und Verteidigung». Er leitet eine Militärreform sowie die Abrüstung der NVA ein. Die internationalen Verhandlungen über die deutsche Einheit betreffen auch die Frage künftiger gesamtdeutscher Streitkräfte. Viele DDR- Offiziere hoffen zunächst, die NVA würde fortbestehen oder vollständig in die Bundeswehr überführt werden. Trotz Verbots nehmen Bundeswehrsoldaten am 22. Oktober 1983 in Uniform an der Großkundgebung im Bonner Hofgarten teil und demonstrieren mit einem Transparent und einer Pershing-II-Attrappe gegen die NATO-Nachrüstung. Foto: picture alliance / dpa / Heinz Wieseler Soldaten der NVA demonstrieren am 14. März 1990 in Ost-Berlin vor der N euen Wache. Sie fordern v erbesserte Dienstbedingungen in den Kasernen. Foto: Privatsammlung 18 19 ARMEE DER EINHEIT Die Auflösung der NVA und der Aufbau g esamtdeutscher Streitkräfte OUT OF AREA Die Auslandseinsätze der Bundeswehr 3. Oktober 1990, 0:00 Uhr. Deutschland ist wieder vereinigt, die NVA aufgelöst. 90 000 uniformierte und 47 000 zivile vormalige NVA-Angehörige unterstehen nun dem Befehl des neu eingerichteten Bundeswehrkommandos Ost. Die Bundeswehr, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung eine halbe Million Soldaten zählt, steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Der 2+ 4-Vertrag, mit dem die ehemaligen Siegermächte der deutschen Einheit zugestimmt haben, verlangt eine Truppenreduzierung auf 370 000 Soldaten bis zum Jahr 1994. Die meisten Standorte der NVA werden geschlossen, ihre Ausrüstung zunächst teilweise weiter genutzt, schließlich verschrottet oder ins Ausland verkauft. Ein großer Teil der Unteroffiziere sowie fast das ganze Offizierskorps der NVA werden entlassen. Nur 3050 von 24 230 (Stand 3. Oktober 1990) ehemaligen NVA-Offizieren werden letztlich von der Bundeswehr als Berufs- oder Zeitsoldaten übernommen. Die Bundeswehr verändert sich tiefgreifend. Auch in Westdeutschland werden Dienststellen geschlossen und zum Teil in die neuen Länder verlegt. Dort verpflichten sich viele Wehrdienstleistende als Zeit- oder Berufssoldaten. Die Bundeswehr wird in den 1990er Jahren zur Armee der Einheit, in der Deutsche aus West und Ost die Wiedervereinigung tagtäglich erleben. Bis 1989 sind bewaffnete Bundeswehreinsätze «out of area» für Politik und Gesellschaft unvorstellbar. Mit der Wiedervereinigung beginnt die Debatte über Deutschlands gewachsene internatio nale Verantwortung. Als die Bundesregierung ab 1991 Soldaten zu UN-Blauhelmeinsätzen in Kambodscha und Somalia entsendet, zieht die O pposition vor das Bundesverfassungsgericht. Das erklärt 1994 Auslandseinsätze zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens im Rahmen der UN oder der NATO für zulässig, falls der Bundestag jeweils zustimmt. 1999 nimmt Deutschland erstmals an einem N ATO-Kampfeinsatz teil, um die Albaner im Kosovo vor serbischen Übergriffen zu schützen. Es kommt zu innenpolitischen Kontroversen. Diese nehmen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch zu, als Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan geschickt werden. In wenigen Jahren wandelt sich die Bundeswehr zu einem Instrument globaler Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Sie wird eine Armee im weltweiten Einsatz, deren neue Rolle umstritten bleibt. Viele Soldaten kehren aus ihrem Einsatz mit körperlichen und seelischen Schäden zurück oder lassen gar im Ausland ihr Leben. Nicht wenige der Heimkehrer beklagen fehlende Wertschätzung und mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt für ihre lebensbedrohlichen Einsätze. MiG-29-Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart im Fliegerhorst Preschen, die die Bundeswehr von der NVA übernommen hat und bis 2004 nutzt. Der «Dienst-Trabi» mit dem Spitznamen «Rudi» im Bildvordergrund bringt die Piloten zu ihren Jets. Foto, undatiert: picture alliance / ZB / Jan Bauer Bundeswehrpatrouille am 18. August 2011 bei Charrah Darreh nahe K undus in Afghanistan. Im Norden des Landes wird die Bundeswehr immer wieder in Gefechte verwickelt. Foto: picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini. 20 FREUNDLICHES DESINTERESSE? Bundeswehr und Gesellschaft 10. Oktober 2005. Bundespräsident Horst Köhler beklagt ein «freundliches Desinteresse» an der Bundeswehr und ruft zu mehr Solidarität mit den Soldaten auf. Laut Umfragen ist die Bundeswehr in der Bevölkerung beliebt. Man vertraut ihr. Aber man interessiert sich nicht für sie. Dafür gibt es Gründe. Seit 1990 ist die Bundeswehr für die Öffentlichkeit durch Abrüstung, Verkleinerung und Umstrukturierung weniger sichtbar geworden. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht erleben die Bürger immer seltener Soldaten als Menschen in Uniform, sondern nehmen diese zunehmend als uniforme Menschen in der TV-Berichterstattung über Auslandseinsätze wahr. Wenige Berufsgruppen rufen so starke emotionale Reaktionen hervor wie Soldaten. Die demographische Entwicklung, Fragen nach ihrer A ttraktivität als Arbeitgeber, dem Zustand ihrer Ausrüstung sowie die mit den Auslandseinsätzen verbundenen Gefahren erschweren es der Bundeswehr, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Um die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen zu können, benötigt die Bundeswehr nicht nur ausreichende Ressourcen, sondern vor allem breiten politischen und gesellschaftlichen Rückhalt, den sie sich durch verantwortungsbewusstes Handeln und Auftreten stets aufs Neue verdienen muss. DIE HERAUSGEBER Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist eine Forschungseinrichtung des Bundes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Es betreibt militärhistorische Grundlagenforschung sowie militärsoziologische und sicherheitspolitische Forschung. www.zmsbw.de Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur trägt mit ihrer Projektförderung sowie vielfältigen eigenen Angeboten zur umfassenden Auseinandersetzung mit den Ursachen, der Geschichte und den Folgen der kommunistischen Diktaturen in Deutschland und Europa bei. www.bundesstiftung-aufarbeitung.de DIE AUTOREN UND KURATOREN Konzeption und Leitung des Ausstellungsprojekts oblagen Oberst Dr. Sven Lange vom ZMSBw, der gemeinsam mit Dr. Ulrich Mählert, Bundesstiftung Aufarbeitung, die Texte erarbeitete. Fachwissenschaftliche Unterstützung erhielten sie dabei von den Historikerinnen und Historikern des ZMSBw, namentlich von Dr. Torsten Diedrich und Fregattenkapitän Dr. Oliver Krauß. Die Bildrecherchen am ZMSBw wurden von Oberstleutnant Heiko Perlitz, Marina Sandig und Christine Kösling-Säuberlich verantwortet. Als Projektbetreuerin sorgte Hauptmann Antje Dierking für einen reibungslosen Ablauf der Kooperation. DER GESTALTER Die Gestaltung übernahm Dr. Thomas Klemm, 1975 in Dresden geboren, Studium der Geschichte und Kunstpädagogik in Dresden, Leipzig und Padua. 2012 Promo tion. Klemm lebt und arbeitet als freier Grafiker und Ausstellungsmacher in Leipzig. www.thomasklemm.com BÜCHER ZUM THEMA Heiner Möllers, Rudolf J. Schlaffer: Sonderfall Bundeswehr? Streitkräfte in n ationalen Perspektiven und im internationalen Vergleich, München 2014. Winfried Heinemann: Die DDR und ihr Militär, München 2011. Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008. Frank Nägler (Hrsg.): Die Bundeswehr 1955 bis 2005. Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, München 2007. Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack, Martin Rink (Hrsg.): Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. 1955 bis 2005, Freiburg im Breisgau 2005. INTERNETRESSOURCEN Militär- oder Zivildienst sind für nicht wenige ein einschneidendes Erlebnis. Darüber hinaus wurden und werden die Aufgaben der Streitkräfte in der Gesellschaft mit Leidenschaft diskutiert. Entsprechend unüberschaubar sind die Fundstellen zum Thema im Internet. Wer im Internet mehr über das Thema der Ausstellung erfahren möchte, wird auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung fündig. Die Eingabe der Begriffe Militär, Bundeswehr und / oder NVA im Suchfeld von www.bpb.de führt zu einer Vielzahl von Sach- und Diskussionsbeiträgen. Orientierung und zahlreiche Materialien bietet darüber hinaus die Webseite des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (www.zmsbw.de). MILITÄRHISTORISCHES MUSEUM DRESDEN Besuchen Sie das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden. Das größte Museum seiner Art in Europa wurde im Oktober 2011 nach langem Umbau wiedereröffnet. Zu ihm gehören auch das Museum auf dem Flugplatz Berlin-Gatow sowie Ausstellungen in den Zeughäusern auf der Festung Königstein südöstlich von Dresden. Nähere Informationen finden Sie hier: www.mhmbw.de DANKSAGUNG Die Herausgeber danken den Archiven, Institutionen und Einzelpersonen, die Fotos, Karikaturen und Faksimiles zur Verfügung gestellt haben. Zu nennen sind Barefoot Films, das Bundesarchiv (Koblenz / Berlin), das Deutsche Historische Museum (Berlin), das Deutsche Rundfunkarchiv (Babelsberg), die DFG-VK, das Haus der Geschichte (Bonn), das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (Dresden), picture alliance (Frankfurt / M), die Robert-Havemann-Gesellschaft (Berlin), Süddeutsche Zeitung Photo (München), die Universität Greifswald sowie VISUM Foto GmbH. Uwe Biermann (Dohna) und Andreas Hofmann (Kesselsdorf) haben Fotos aus dem Alltag der Bausoldaten und der NVA zur Verfügung gestellt. BITTE BEACHTEN Alle Fotos, Audiodokumente und Texte sowie die Gestaltung der Ausstellung sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ohne Zustimmung der Rechteinhaber reproduziert, verändert oder anderweitig verbreitet werden. Die Rechteinhaber der Fotos werden jeweils in den Bildlegenden benannt. Arbeiter befestigen am 17. Dezember 2014 an einem Gebäude des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin ein Werbeplakat der Bundeswehr. Foto: picture alliance / dpa / Paul Zinken Fragen oder Kritik zur Ausstellung? Oder haben wir – trotz all unserer Sorgfalt bei der Recherche und Lizenzierung der in der Ausstellung verwendeten Dokumente – Ihre Urheber- und / oder Verwertungsrechte nicht berücksichtigt? Bitte wenden Sie sich an das ZMSBw via [email protected] SIE WOLLEN DIESE AUSSTELLUNG ZEIGEN? Die Ausstellung «Militär und Gesellschaft in Deutschland seit 1945» kann von Ihnen als Plakatsammlung im Format DIN A1 gegen eine geringe Schutzgebühr bestellt und im Rahmen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit gezeigt werden. Informationen dazu finden Sie unter www.bundesstiftung-aufarbeitung.de / mugausstellung. Interessenten aus dem Dienstbereich des BMVg wenden sich an [email protected] MILITÄR UND GESELLSCHAFT N D E U T S C H L A N D S E T 1945 02 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 M I LITÄR U N D G E S E LLSCHAF T M I LITÄR U N D G ESE LLSCHAFT I N D E U T S C H L A N D S E I T 194 5 Eine Ausstellung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Am 25. April 1945 reichen sich amerikanische und sowjetische Soldaten auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau die Hände. Das einen Tag später nachgestellte Bild geht um die Welt und kündet von der bevorstehenden deutschen Niederlage. Foto: picture alliance / akg-images 03 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Anstecknadel aus dem Jahr 1951 mit einem stilisierten Soldatenstie fel und dem Schriftzug «Ohne Mich». Die Anstecker richten sich gegen Pläne, in West deutschland paramilitä rische Polizeiverbände zu schaffen. Foto: picture alliance / dpa 04 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Ein Offizier der Roten Armee (l.) bei der Ausbildung von KVP Angehörigen im sowjetischen Saratow am 1. Oktober 1954. Im Hintergrund ein Panzer T34. Von Anfang an ist die KVP als Kern einer künftigen sozialistischen Armee angelegt. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo 05 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Mitglieder der DDRStaatsjugendorganisation FDJ marschieren im Juni 1952 in Leipzig mit Kleinkalibergewehren. Der Aufbau der Bundeswehr erfolgt zunächst ausschließlich mit Freiwilligen, die dieses frühe Werbeplakat ansprechen soll. Foto: picture alliance / dpa – ZB / Berliner Verlag Archiv Deutsche Soldaten in Berlin auf dem Weg in die sowjetische Kriegs gefangenschaft. Während die Westmächte ihre Gefangenen bis Ende 1948 entlassen, kehren die letzten der über drei Millionen Kriegsgefan genen erst 1956 aus der Sowjetunion heim. Plakat: 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Entwurf: Otto H. Gerster August 1950: Südkoreaner flüchten aus dem Kampfgebiet, während USSoldaten zur Front vorrücken. Unter dem Eindruck des Koreakrieges rüsten Ost und West massiv auf, die Blockkonfrontation verschärft sich weiter. Foto: picture alliance / akg-images Verteidigungsminister Theodor Blank überreicht am 12. November 1955 den ersten Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden. Der Tag gilt als Gründungsakt der Bundeswehr. Foto: picture alliance / akg-images Foto: picture alliance / akg-images NIE WIEDER! Reeducation: Bürger aus Ludwigslust bei Schwerin werden im Mai 1945 auf Anweisung der 82. USLuftlandedivision durch ein nahegelegenes Konzentrationslager geführt. Foto: picture alliance / Judaica-Sammlung Richter Foto: SZ Photo / Manfred Vollmer Beinamputierter Soldat mit seiner im Krieg verstümmelten Tochter. Ver wundete und Traumatisierte, sogenannte «Kriegsversehrte», bestimmen das Straßenbild. Während Häuser wieder aufgebaut werden können, leiden die Menschen an den körperlichen und seelischen Kriegsfolgen oft ein Leben lang. Foto: 1951 / Süddeutsche Zeitung Photo / Heinz Hering Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 8. Mai 1945. Die deutsche Wehrmacht kapituliert. In Europa endet der Zweite Weltkrieg. Deutschland hat ihn als Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt, der über 50 Millionen Menschenleben kostete. Große Teile Europas liegen in Trümmern. Millionen sind auf der Flucht, obdachlos oder in Gefangenschaft. Allmählich verdichten sich die Nachrichten von einem unfassbaren Verbrechen, das Deutsche im Schatten des Krieges begangen haben: die systematische Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden. Die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich sind sich einig: Von Deutschland darf nie wieder eine Gefahr aus- gehen. Das Land wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Es soll demokratisiert, dezentralisiert, entnazifiziert und entwaffnet werden. Doch die Anti-Hitler-Koalition hält nicht lange. Die Gegensätze zwischen der kommunistischen Sowjetunion und den westlichen Demokratien sind zu groß. Während Moskau in seinem Machtbereich kommunistische Regime installiert und die Planwirtschaft einführt, treiben die drei Westalliierten in ihren Besatzungszonen die Bildung eines Teilstaates voran. Es ist der Beginn des Kalten Krieges, der Deutschland, Europa und die Welt für vier Jahrzehnte teilen wird. 1949 kommt es zur Gründung von zwei deutschen Staaten. Unter strengster Geheimhaltung erar beiten hochrangige ehemalige Wehr machtsoffiziere im Auftrag von Bundes kanzler Adenauer im Oktober 1950 im Kloster Himmerod in der Eifel eine Denk schrift über die west deutsche «Wieder bewaffnung». «OHNE MICH ! » RECHT UND FREIHEIT TAPFER ZU VERTEIDIGEN … GETARNTE AUFRÜSTUNG Der Weg zur Wiederbewaffnung Angehörige der Gesellschaft für Sport und Technik ehren am 6. März 1953 den am Vortag verstorbenen Diktator Stalin vor dessen Denkmal in OstBerlin. Die GST sollte die DDRJugend vormilitärisch ausbilden. Die Gründung der Bundeswehr Die militärische Aufrüstung in der DDR Foto: BArch, Bild 183-12639-0006 / Hans-Günter Quaschinsky Abbildung: BArch, BW 9-3119 Die Gesamtdeutsche Volkspar tei warnt mit einem Plakat zur Bundestagswahl 1953 vor einer Aufrüstung Westdeutschlands, die – aus ihrer Sicht – die Wie dererlangung der deutschen Einheit und den Frieden gefähr det. Plakat: Haus der Geschichte, Bonn / Entwurf: J. A. Steinkamp; Hrsg.: Hans Bodensteiner, GVP, Bonn Unter dem Schutz der Westmächte entwickelt sich in der 1949 gegründeten Bundesrepublik eine Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft. Die Bundesbürger erleben in den 1950er Jahren ein Wirtschaftswunder und rasch wachsenden Wohlstand. Weder die Alliierten noch die Westdeutschen haben anfangs Interesse an einer Bewaffnung des Landes. Der Ausbruch des Koreakrieges 1950 ändert dies. Die Furcht wächst, dass auch in Europa aus dem Kalten Krieg ein heißer werden könnte, zumal die Sowjetunion nun – wie die USA – über Atomwaffen verfügt. Angesichts der wachsenden Wirtschaftskraft der Bundesrepublik und ihrer geostrategischen Lage wird in Washington, London und Paris immer vernehmlicher über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag diskutiert. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) sieht in einer «Wiederbewaffnung» die Chance, gleichermaßen die Westbindung zu stärken und die staatliche Souveränität zurückzugewinnen. Der Aufbau westdeutscher Streitkräfte und ihre Integration in die NATO erschweren jedoch die ersehnte Wiedervereinigung, was der Debatte eine deutschlandpolitische Note gibt. Für viele Bundesbürger ist eine «Wiederbewaffnung» so bald nach dem Weltkrieg unerträglich. «Nie wieder!» und «Ohne mich!» lauten ihre Parolen. Während die SED die Aufrüstung der DDR vorantreibt, gibt sie sich in ihrer gesamtdeutschen Propaganda als Friedenspartei. Das Plakat ist Teil einer Kampagne zur sogenannten StalinNote, mit der Moskau im März 1952 die Westbindung der Bundesrepublik aufhalten will. Plakat: picture alliance / akg-images Die Sowjetunion ist Schutzmacht, Befehlsgeber und Vorbild der Diktatur, die die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in der DDR errichtet. Die SED war 1946 aus der Zwangsvereinigung der Sozialdemokraten mit den Kommunisten hervorgegangen, die dort fortan das Sagen haben. Opposition in der DDR wird unterdrückt, Unternehmer enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert. Doch die Planwirtschaft erweist sich als ineffizient und dem westlichen Modell unterlegen. Angesichts der Blockkonfrontation will die Sowjetunion ihre Satellitenstaaten stabilisieren. Deshalb darf Ost-Berlin bereits 1948 verdeckte militärische Formationen aufstellen. Im April 1952 weist Stalin die SED-Führung an: «Volks- Das Plakat zeigt einen so wjetischen Soldaten, der für die kommunistische Bedrohung steht. 1953 wirbt ein CDUInformati onsdienst mit einer gan zen Plakatserie für einen westdeutschen Verteidi gungsbeitrag armee schaffen – ohne Geschrei». Am 1. Juli wird die «Kasernierte Volkspolizei» (KVP) gegründet, die nach militärischem Vorbild ausgebildet und ausgerüstet wird. Kurz darauf verkündet die SED den Aufbau des Sozialismus und verschärft den Klassenkampf von oben. Aufmärsche bewaffneter KVP-Einheiten sind nun ein gewohntes Bild bei SED-Kundgebungen. Die Aufrüstung stößt bei den meisten Ostdeutschen auf Ablehnung. Offener Widerspruch ist ihnen aber, anders als den Westdeutschen, nicht erlaubt. Als es im Juni 1953 zum Volksaufstand kommt, lautet eine der Losungen: «Wir brauchen keine Volksarmee!». Bundeskanzler Konrad Adenauer besucht am 20. Januar 1956 die Bundeswehr in Andernach. Foto: picture alliance / akg-images Das «Handbuch der Inneren Führung» wird 1957 erstmals an die Truppe ausgegeben. Es beschreibt die Grundsätze der Menschenführung in der neu aufgestellten Bundeswehr. Bis 1972 wird es in mehreren Auf lagen unverändert nachge druckt. Foto: ZMSBw / Bibliothek 12. November 1955: Die ersten Freiwilligen der Bundeswehr erhalten ihre Ernennungsurkunden. Die Vorarbeiten dazu hatte seit 1950 das «Amt Blank» geleistet, der Vorläufer des im Juni 1955 gegründeten Verteidigungsministeriums. Die neuen Streitkräfte sollen sich von ihren Vorgängern radikal unterscheiden. Sie sind allein dem demokratischen Staat verpflichtet und unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Große Hoffnungen sind mit der Konzeption der Inneren Führung verbunden. Sie soll die Pflichten des Soldaten durchsetzen und ihm als «Staatsbürger in Uniform» die Rechte garantieren, zu deren Schutz er dient. Dazu gehört eine neue Führungskultur: Das Gewissen muss über dem Gehorsam stehen, wenn Befehle dem Recht und der Menschenwürde widersprechen. Eigenverantwortliches Handeln soll gefördert werden. Die Aufstellung und Ausbildung dieser neuen Armee sind jedoch nicht ohne ehemalige Wehrmachtsangehörige möglich. 1959 knüpfen über 80 Prozent der Bundeswehroffiziere an eine Offizierslaufbahn vor 1945 an. Dies weckt jedoch Befürchtungen, die Bundeswehr werde deren Traditionen und Gedankengut übernehmen. Seit ihrer Gründung muss sich die Bundeswehr einer kritischen Berichterstattung der Medien sowie einer lebhaften öffentlichen Debatte kleinerer und größerer Skandale stellen. Angehörige der Betriebs kampfgruppen des Stahl und Walzwerkes Riesa bei einer Geländeübung am 1. Mai 1956. Zur Siche rung ihrer Macht orga nisiert die SED nach dem Volksaufstand 1953 poli tisch zuverlässige Arbeiter und Parteimitglieder in einer Parteimiliz. Plakat: Haus der Geschichte / Heinz Schwabe Bundeskanzler Adenauer und Verteidigungsmi nister FranzJosef Strauß inspizieren 1958 ein Holzmo dell des Schützen panzers HS30. Seine Beschaf fung führt zum ersten großen Rüs tungsskandal der Bundeswehr. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / picture alliance Foto: picture alliance / dpa / Rabanus ZMS 06 Karte: ZMSBw / SL Foto: picture alliance / akg-images MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 OstBerlin, 1. Mai 1956. Bereits zwei Monate nach der offiziellen Gründung der NVA marschieren deren Soldaten vor der Staats und Parteiführung auf. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa Die westdeutsche Gewerk schaftsjugend demonstriert im Februar 1955 auf dem Königsplatz in München gegen die Aufstellung west deutscher Streitkräfte. Die 1949 gegründete Bundesrepublik steht unter westalliierten Vorbe haltsrechten, die im Besatzungsstatut festgehalten sind, das Bundes kanzler Adenauer am 21. September 1949 überreicht wird. Das Proto koll sieht vor, dass bei der Zeremonie lediglich die Hohen Kommissare auf dem Teppich stehen, was Adenauer souverän ignoriert. Am 7. September 1949 konstituiert sich in Bonn der aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangene Bundestag. Am 11. Oktober feiert die Freie Deutsche Jugend in OstBerlin mit einem Fackelzug die Gründung der DDR, die vier Tage zuvor ohne Wahlen erfolgt ist. Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 07 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO am 9. Mai 1955 wird vor dem Hauptquartier des Atlantik rats in Paris die schwarzrotgoldene Flagge gehisst. Foto: picture alliance / dpa Foto Süddeutsche Zeitung Photo / dpa Foto: picture alliance / dpa 08 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Ein Junge beobachtet im September 1984 im niederbayerischen Dürnhart einen Soldaten während der Heeres übung «Flinker Igel». Was wie ein Räuber undGendarmSpiel wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Ost und West üben für einen Krieg in Deutschland. Foto: picture alliance / ap / Fritz Reiss Berlin, Potsdamer Platz am 17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR. Sowjetische Panzer retten das SEDRegime. In der Folge baut die SED den staatlichen Sicherheitsapparat massiv aus. Widerstand gegen die SEDDiktatur wird in der DDR der 1950er Jahre drakonisch bestraft. Fotografische Zeugnisse davon finden sich allen falls in den Ermittlungsakten von Polizei und Stasi. Diese Gedenktafel erinnert seit 2000 an der Universität Greifswald an ein Beispiel des Widerstandes gegen die Militarisierung der DDR. Die BundeswehrGenerale Ulrich de Maizière, Johann Graf von Kielmans egg und Wolf Graf von Baudissin erhalten 1964 für die von ihnen entwi ckelte Konzeption der Inneren Führung den FreiherrvomSteinPreis der Universität Hamburg. Die Karikatur spitzt die Kritik an der Übernahme ehemaliger Wehrmachtsoffiziere in die Bundeswehr zu. Tatsächlich werden Bewerber, die als Oberst oder General verwendet werden sollen, durch einen unabhängigen Personalgutachterausschuss auf ihre Vergangenheit im NSStaat hin überprüft. Foto: picture alliance / akg-images Universität Greifswald / Jan Meßerschmidt Foto: picture alliance / dpa Karikatur: 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Peter Leger 09 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Kreiswehrersatzämter waren bis zu ihrer Auflösung 2012 Teil der zivilen Bundeswehrverwaltung. Zu ihren Auf gaben zählten die Rekrutierung und Musterung der Wehrpflichtigen. Die vergleichbare DDRBehörde war das Wehrkreiskommando. Foto: picture alliance / dpa / Friso Gentsch 10 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Bundeswehrsoldaten am 2. Mai 2011 bei der militärischen Grundausbildung. Drill, also die häufige Wiederholung von Bewegungsabläufen, damit diese unter Stress unbewusst und auto matisch erfolgen, gehört zu den prägenden Erfahrungen des Wehrdienstes. Foto: PIZ Heer / Katrin Selsemeier «SpindKontrolle» beim Stubenappell. Mitunter geschieht die Überprüfung der persönlichen Ausrüstung und der Stuben mit über triebener Gründ lichkeit bis hin zur Schikane. Foto vom 18. Mai1960: IMZ-Bildarchiv / Rademacher Kampfpanzer der Bundeswehr üben am 16. Januar 1967 bei Weilbach an der Lahn. Vor allem im Herbst, wenn die Felder abgeerntet sind, finden in Ost und West große Manöver statt. Dazu werden tausende Reservisten einberufen. SEDChef Walter Ulbricht präsentiert die neue NVAUniform an einem HammerundSichelKleiderhaken. Die KVP war in ihrer khakifarbenen Uniform nach sowjetischem Muster in der Bevölkerung als «nachge machte Russen» verspottet worden. Die neue Uniform im Schnitt der Wehrmacht soll das «Nationale» der NVA gegenüber der «amerikanisier ten» Bundeswehr hervorheben. Werbeplakat für die NATOMitgliedschaft der Bundesrepublik. Die ehemaligen Feinde werden als neue Verbündete präsentiert. Karikatur, 1956: Haus der Geschichte, Bonn / Josef Partykiewicz Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin / S. Ahlers Rekrutierungsplakat der NVA aus dem Jahr 1957. Plakat: Haus der Geschichte, Bonn / (Hrsg.) Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung Plakat: Haus der Geschichte, Bonn / (Hrsg.) Politische Hauptverwaltung der NVA Der Aufbau der Bundeswehr wird von der SEDPropaganda im Verlauf des Jahres 1955 als Gefährdung des Friedens verurteilt. So will Ost-Berlin den Eindruck erwecken, die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) am 18. Januar 1956 sei eine bloße Reaktion auf die «imperialistische» Vorgehensweise des Westens. Die NVA ist nach sowjetischem Modell aufgebaut und mit sowjetischen Waffen ausgerüstet. Durch die Umwandlung der KVP stehen 1956 in der DDR bereits 100 000 Mann unter Waffen. Die Kampftruppen werden vollständig dem Warschauer Pakt unterstellt. Zum Selbstverständnis der NVA gehört die Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion und den anderen Armeen des Paktes. Foto: picture alliance / dpa / Klaus Heirler BÜNDNISPARTNER UND KOALITIONSARMEE DEN SOZIALISMUS GEGEN ALLE FEINDE ZU VERTEIDIGEN … Die Gründung der Nationalen Volksarmee der DDR Ein DDRPlakat aus den 1960er Jahren zeigt den Warschauer Pakt als Mili tärbündnis und betont dessen Waffenbrüder schaft. Über nationale Grenzen hinweg sollen die Werktätigen der sozialisti schen Länder als Klassen brüder den Sozialismus ge meinsam gegen den kapi talistischen Feind schützen. Bis 1962 ist die NVA eine Freiwilligenarmee. Doch der Dienst «bei der Fahne» ist unbeliebt. Entsprechend schwer ist es, qualifiziertes und politisch zuverlässiges Personal für das Offizierskorps zu gewinnen. Die NVA ist eine Parteiarmee. Sie steht unter der vollständigen Kontrolle der SED. Die Parteibeschlüsse sind für die NVA bindend. Für den Offizier ist die SED-Mitgliedschaft Vorbedingung für seine militärische Karriere. Ein eigenständiger Polit- und Parteiapparat sowie das Spitzelsystem der Staatssicherheit garantieren die umfassende Überwachung und Steuerung der NVA durch die SED. Ein Landwirt aus Steinbeck in Niedersachsen steht am 19. Juli 1963 vor seinem verwüsteten Roggenfeld. Im Rahmen eines Manövers richtete das britische Regiment «Queen‘s own Hussars» in der Region erheblichen Schaden auf Feldern und Ackerflächen an. Foto: picture alliance / Günter Klimiont Bundeswehr und NVA im jeweiligen Bündnissystem Soldaten der Artillerieschule IdarOberstein führen Journalisten am 19. März 1959 die atomare Kurzstreckenrakete Honest John vor, von der die Bundesregierung 288 beschaffen will. Der konventionellen Über legenheit des Warschauer Paktes setzt die NATO vor allem Atomwaf fen entgegen. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa Hohne am 17. April 1960. Die Bonner Pläne, die Bundeswehr atomar aufzurüsten, führen in der Bundesrepublik zum ersten Ostermarsch. Etwa 1000 Demonstranten marschieren von Hamburg zum Truppenübungs platz BergenHohne in der Lüneburger Heide. Ärztliche Tauglichkeitsprüfung eines Wehrpflichti gen in München am 21. Januar 1957. Während die Dauer des Grundwehrdienstes in der DDR bis 1990 konstant 18 Monate beträgt, schwankt sie in Westdeutschland zwischen zwölf und 18 Monaten. Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / ap / dpa / pa 1955 wird die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Das 1949 gegründete Verteidigungsbündnis unter Führung der USA versteht sich als Wertegemeinschaft. Seine Verteidigungsplanungen sind das Ergebnis umfassender Abstimmung innerhalb der Allianz. Ziel der NATO ist es, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten von einem Angriff auf Westeuropa abzuschrecken. Gelingt dies nicht, soll jeder Angriff grenznah aufgefangen und zurückgeschlagen werden. Dafür sind rund 400 000 Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Westdeutschland stationiert. Der Einsatz von Nuklearwaffen in Deutschland ist Teil der Strategie. Da die Sowjetunion ebenfalls mit Atomwaffen plant, droht das geteilte Land im Kriegsfall zum atomaren Schlachtfeld zu werden. Wenige Tage nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik gründet die Sowjetunion 1955 den Warschauer Pakt. Er begreift sich als politisches und militärisches Bündnis sozialistischer Staaten. Die DDR ist Gründungsmitglied und spielt in der Militärdoktrin des Paktes für die Stationierung von etwa 400 000 sowjetischen Soldaten und als Operations- und Durchmarschgebiet eine bedeutende Rolle. Die NVA soll mit den verbündeten Streitkräften eine «imperialistische Aggression» aus dem Westen offensiv abwehren und den Gegner auf dessen eigenem Territorium vernichten. In Guben begrüßen Einwohner das polnische Regiment «Deutsche Anti faschisten», das im Oktober 1970 am Manöver «Waffenbrüderschaft» teilnimmt. Fotos von Soldaten mit Kindern und erfreuten Bürgern gehö ren in der DDRPresse zu den häufig wiederkehrenden Motiven. Foto: BArch, Bild 183-J1001-0027-001 / Werner Großmann KRIEG IM FRIEDEN Verteidigungsvorbereitungen im Kalten Krieg In der Zeit des «Kalten Krieges» sind die Auswirkungen der Kriegs- und Verteidigungsvorbereitungen für die Deutschen auch im Alltag spürbar. Bis Ende der 1980er Jahre proben die NATO-Bündnispartner jedes Jahr in Westdeutschland im Rahmen großer Herbstmanöver auch außerhalb der Truppenübungsplätze den Ernstfall. Auf den westdeutschen Autobahnen sind lange Fahrzeugkolonnen der Bundeswehr und ihrer Alliierten ein gewohntes Bild. In der DDR unterscheiden sich die großen Manöver des Ostblocks von denen im Westen durch eine umfassende propagandistische Berichterstattung in den staatlichen Medien. Einen kritischen Blick hinter die Kulissen kann die Öffentlichkeit in der DDR jedoch nicht werfen. Auf beiden Seiten dienen die Manöver, in denen die Gefechtsbereitschaft der Streitkräfte geübt wird, der Abschreckung. Manöverschäden, für deren Regulierung es spezielle Schadensoffiziere gibt, sowie Übungslärm durch Geschütze und Tiefflieger belasten die Bevölkerung. Gefechtsmunition wird zwar nur auf den dafür vorgesehenen Truppenübungs- und Schießplätzen eingesetzt. Dennoch kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen, vor allem wenn Panzer und Gefechtsfahrzeuge sich außerhalb dieser Plätze auf öffentlichen Straßen bewegen. Foto: picture alliance / akg-images Eine NVAInformationsbroschüre für Wehrpflichtige. Sie wird alljährlich in neuer Auflage bei der Musterung überreicht und soll auf den Wehr dienst vorbereiten. Als diese Ausgabe 1989 in den Druck gegeben wird, können die Herausgeber nicht ahnen, dass die Wehrpflichtigen des Jahr gangs 1972 die letzten der NVA sein werden. Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung / Bibliothek Manche Grundwehrdienstleistende zählen schon ab dem ersten Tag rückwärts. In Kalendern werden die Tage bis zum Dienstzeitende ab gestrichen oder von Maßbändern abgeschnitten. Ist das Ende erreicht, feiern die je nach Region «Ausscheider» oder «Abgänger» genannten Grundwehrdienstleistenden ihre wiedergewonnene Freiheit. UNGELIEBTER DIENST Die allgemeine Wehrpflicht in Ost und West 1956 beschließt der Deutsche Bundestag nach leidenschaftlicher Debatte die Wehrpflicht für alle Männer ab dem 18. Lebensjahr. Die DDR-Führung wagt diesen Schritt erst 1962, nachdem sie im Jahr zuvor mit dem Mauerbau in Berlin den letzten Fluchtweg in den Westen abgeschnitten hat. In der Bundesrepublik gilt: Wer den Waffendienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, muss nicht zum «Bund», sondern kann im sozialen Bereich zivilen Ersatzdienst leisten. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung hatte die Bundesrepublik bereits 1949 als erster Staat überhaupt in ihrem Grundgesetz festgeschrieben. Gelten die «Zivis» vielen Westdeutschen zunächst als «Drückeberger», steigt deren Zahl ab den 1980er Jahren sprunghaft an. In der DDR kann niemand den Wehrdienst verweigern. Ab 1964 ist jedoch ein waffenloser Militärdienst in NVA-Baueinheiten möglich. Im Ostblock ist dies einzigartig. Bausoldaten müssen aber im Dienst und später mit Schikanen rechnen, etwa mit Einschränkungen bei der Berufswahl. 2011 wird die Wehrpflicht im wiedervereinigten Deutschland aus Gründen der Wehrgerechtigkeit ausgesetzt: Angesichts starker Geburtsjahrgänge und einer verkleinerten Bundeswehr kann nur noch ein Teil der Wehrpflichtigen eingezogen werden. Das Leben mit acht und mehr Kameraden «auf Stube» ist für viele Wehrpflichtige ungewohnt und belastend. Aus diesen Stubenbeleg schaften können aber auch Gemeinschaften entstehen, die über die Wehrdienstzeit hinaus Bestand haben. Foto: Zeitschrift Heer 2 / 82 Ein Panzerschütze aus Tübingen auf dem Weg zu seinem Bataillon am 22. Dezember 1988. Außerhalb der Kasernen sieht man in der Bundes republik Grundwehrdienstleistende vor allem am Wochenende, wenn sie von ihren Standorten nach Hause pendeln. Diese Bahnfahrten sind für sie kostenlos. Foto: picture alliance / dpa BEIM BUND UND BEI DER ASCHE Soldatenalltag in Ost und West Der Soldatenalltag in Ost und West ähnelt sich. Militärische Strukturen, Drill und Disziplin sind für die jungen Rekruten nicht selten ein Schock. Die Zeit «beim Bund» oder «bei der Asche», wie es in der DDR heißt, prägt über die Dienstzeit hinaus. Oft ist sie die erste Trennung von Elternhaus und Freundeskreis. Auch Missstände gleichen sich, etwa Alkoholmissbrauch oder sinnloser «Gammeldienst». Die Unterschiede wiegen jedoch schwerer: In vielen DDR-Kasernen genießen «Entlassungskandidaten», Wehrpflichtige des letzten Diensthalbjahres, Privilegien, während die Neuen häufig drangsaliert werden. Zum NVA-Alltag gehören eine rigide Militärjustiz, mit dem Militärgefäng- nis Schwedt als reale Drohung, die ständige ideologische Indoktrination («Rotlichtbestrahlung») und eine hohe Gefechtsbereitschaft. Stets müssen sich 85 Prozent der Soldaten «kampfbereit» in der Kaserne aufhalten. Im Westen setzt dagegen jeden Freitag die sogenannte «NATO-Rallye» ein, wenn die Wehrpflichtigen nach Hause fahren und weithin leere Kasernen zurückbleiben. In der störanfälligen DDR-Planwirtschaft ist die NVA regelmäßig Personalreserve, sei es bei Ernte- einsätzen, Bauarbeiten oder in der Industrie. Beide Armeen spielen als Konsument und Arbeitgeber in strukturschwachen Gebieten eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Foto: Zeitschrift Heer 6 / 81. SEDParteiversamm lung während einer Ausbildungspause im Mot.Schützen regiment 9 «Rudolf Renner», März 1986. Die SED hat auf allen Ebenen der NVA Parallelstruktu ren etabliert, mit der sie ihre «führende Rolle» demonstriert und ausübt. Foto: MHM MB001 486 – 002 Plakat mit dem Fahneneid der NVA, 1962. Sein Kernbestand ist die gleichzeitige Inpflichtnahme für den DDRSozialismus und für die Waffenbrüder schaft mit der Sowjetarmee. Ein NVASoldat überwacht 1962 einen Bauarbeiter beim Ausbau der Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Anders als die Bundeswehr wird die NVA auch im Innern eingesetzt. Plakat: Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr.: P 73 / 879 Foto: picture alliance / AP Images 11 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Flutkatastrophe in Hamburg im Februar 1962. Ein Bundeswehr soldat rettet ein Baby vor dem Hochwasser. Mehr als 40 000 Soldaten kommen in Norddeutschland zum Einsatz. Foto vom 1. Februar 1962: picture alliance / Gerd Herold Auf diesem Propa gandabild aus dem Jahr 1966 lauschen sowjetische und ungarische Soldaten dem Gitarrenspiel ihres NVAKamera den. In der Realität sind enge Kontakte zwischen den An gehörigen der «Bru derarmeen» die Ausnahme. Foto: Armeerundschau 1966 Sonderausgabe «VLATAVA» 12 1987 bitten großforma tige Aufkleber auf deut schen und französischen Militärfahrzeugen um Verständnis, dass mit dem Herbstmanöver «Kecker Spatz» Beeinträchtigun gen im Straßenverkehr einhergehen. Mit einer Sitzblockade hindern Demonstran ten am 29. Oktober 1987 beim Manöver «Carbon Archer» einen amerikanischen Kon voi mit PershingIIRaketen an der Weiter fahrt. Ein Zivildienstleistender in einem Altenpflegeheim, 1993. In der Bundes republik muss jeder Kriegsdienstverweigerer seine Gewissensentscheidung bis 1976 sowohl schriftlich als auch mündlich vor einem Prüfungsaus schuss glaubhaft machen. Danach wird das Verfahren bis zur Ausset zung der Wehrpflicht Schritt für Schritt erleichtert. Bausoldaten beim Arbeitseinsatz am Fährhafen Mukran auf Rügen, An fang der 1980er Jahre. Als das Foto gefunden wird, verhört der Kompa niechef alle abgebildeten Bausoldaten, um den Urheber zu finden. Denn Fotografieren ist streng verboten. Alle Beteiligten erhalten neun Stunden Strafarbeit wegen «Nichteinhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen». Juli 1979 vor der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn. Demonstranten fordern die Freilassung von Nico Hübner. Er ist einer von 6000 jungen «Totalverweigerern», die bis 1989 den DDRWehrdienst völlig verweigern. 1978 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, wird er im Oktober 1979 nach anhaltenden Protesten nach Westdeutschland abge schoben. Befehl 30 / 74 soll den Alkoholmiss brauch in der NVA eindämmen. Die Soldaten nennen ihn 15 / 37, weil sich nur die Hälfte der Armeeange hörigen daran hält. Trotz strikten Verbotes wird Alkohol in die Ka sernen geschmuggelt. Auch in der Bundeswehr ist Alkoholmissbrauch ein Problem. Soldaten des Instandsetzungsbataillons in Spremberg feiern 1987 das bevorstehende Ende ihres Wehrdienstes mit einem Ritual. Beim feier lichen Anschnitt des Maßbandes fällt der Stahlhelm laut zu Boden. Reserve hat (keine) Ruh. Reservisten des Jägerbataillons 761 treten am 17. September 1978 zur Heeresübung «Blaue Donau» an. Viele ehemalige Wehrpflichtige werden als Reservisten für Tage oder Wochen zu Übungen in den Streitkräften eingezogen. Foto: VISUM Foto GmbH / Thomas Pflaum Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / Gerd Pfeiffer Foto: BStA / Uwe Biermann Foto: picture alliance / dpa Plakat: MHM Foto: Andreas Hofmann Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / dpa Foto: ZMSBw / Bibliothek Aufgebrachte Prager Bürger umringen einen sowje tischen Panzer, nachdem Truppen des Warschauer Pakts unter Führung der UdSSR im August 1968 die Tschechoslowakei besetzen, um den «Prager Frühling» gewaltsam zu beenden. Manöver der Flugabwehr raketentruppe der NVA im Jahr 1983. Die Mitgliedsstaa ten von NATO und Warschauer Pakt in Europa. Foto: dpa / picture alliance / ZB / Reinhard Kaufhold Karte: picture alliance / dpa-infografik Foto: picture alliance / dpa MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Olympische Spiele München 1972. Bei den Gehern messen sich die Sportsoldaten Bernd Kannenberg (Bundesrepublik) und Peter Frenkel (DDR). Frenkel gewinnt das 20KmRennen, Kannenberg über die 50KmDistanz. Beide mit olympischem Rekord. Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann 13 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 14 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Das beliebte DDRSandmännchen besucht die NVA. Standbild einer DDRFernsehsendung aus dem Jahr 1982. In der DDR werden schon Vorschulkinder systematisch an das Thema Militär herangeführt. In Kinderliedern, wie «Wenn ich groß bin, gehe ich zur Volksarmee», singen sie, dass sie später einmal Panzer fahren und Kanonen laden wollen. Foto: DRA Babelsberg, ID 056333 15 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Ob Tätowierungen, Piercings und andere «Körpermodifikationen» bei Soldaten zulässig sind und im Dienst gezeigt werden dür fen, wird in der Bundeswehr heftig diskutiert. Anfang 2015 werden die Regelungen hierzu präzisiert. Foto, vom 21. August 2014: AkBwInfoKom Zentralredaktion / Jane Hannemann Ein Jungpionier (1. bis 3. Schulklasse) beglück wünscht einen Soldaten nach dessen Vereidi gung. Patenschaften zwischen NVAEinheiten und Schulen gehören zum Geflecht zivilmilitä rischer Verbindungen in der DDR. Hamburgs Innensenator Helmut Schmidt (l.) und Oberstleutnant Hans Busch (2. v. l.) verleihen am 3. Dezember 1962 die Dankmedaille der Frei en und Hansestadt Hamburg an Soldaten der Bundeswehr, die im Febru ar am Rettungseinsatz teilgenommen hatten. Ein Soldat zieht sich am 9. Februar 1971 in Bonn das neue BundeswehrHaarnetz über. In der Tarnfarbe Grau gehal ten, wird es von den Bekleidungskammern von Heer, Luft waffe und Marine ausgegeben. Foto: picture alliance / dpa / Alfred Hennig Foto: picture alliance / ZB / ddrbildarchiv.de / Manfred Uhlenhut Foto: picture alliance / dpa / Blumenberg Foto: Militärverlag DDR, Berlin, 0 /033-3, März 1980 Anfang Oktober 1975 ernennt Bundesverteidigungsminister Georg Leber auf der Bonner Hardthöhe fünf von vorerst fünfzig Ärztinnen zu Stabsärzten der Bundeswehr. Henry Maske und Ingo Benske von der Armeesportvereinigung «Vor wärts» beim Training am 31. Oktober 1984 in Frankfurt (Oder). Studenten der Leipziger Kunsthochschule und der Pädagogischen Hoch schule üben in einem Zivilverteidigungslager in Bertingen bei Magde burg in Schutzanzügen und mit Atemschutz masken die Orientierung. Eine Soldatin bei einer Bundes wehrveranstaltung in Berlin am 26. Juni 2014. In der Bundes wehr sind Frauen – auch als Vorgesetzte – zu einem ge wohnten Anblick geworden. Foto: picture alliance / dpa Foto, 1976: BArch, Bild 226210 / Hans Martin Sewcz Foto: picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka. HELFER IN DER NOT Januar 1968. NVASoldaten eines Mot.SchützenRegiments schaufeln im Norden der DDR einen eingeschneiten Personenzug frei. Foto: MHM Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen ATHLETEN IN UNIFORM Die Aufnahme vom V. Turn und Sportfest der DDR vom 24. bis 27. Juli 1969 zeigt die enge Verbindung von Sport und Militär in der DDR. Mehr als 600 Soldaten befestigen am 30. Juli 1997 den Oderdeich bei Hohenwutzen mit Planen und Sandsäcken. Foto: picture alliance / dpa / Kay Nietfeld 1962 besteht die junge Bundeswehr ihre erste Bewährungsprobe. Sie kommt bei einer schweren Sturmflut in Norddeutschland zum Einsatz und erwirbt sich dabei großes Ansehen in der Bevölkerung. Mehrere Soldaten sterben beim Kampf gegen die Naturgewalten und dem Versuch, Leben zu retten. Auch in der DDR leistet die NVA immer wieder Katastrophenhilfe. Ihre Soldaten und ihr schweres Gerät sind regelmäßig bei Überschwemmungen sowie bei heftigen Schneefällen im Einsatz. 1997 kommt es zum großen Oderhochwasser in Ostdeutschland. 15 000 Soldaten aus Ost und West helfen, die Deiche zu verteidigen. Sieben Jahre nach der Wiedervereinigung wird aus der «westdeutschen» Bundeswehr für viele Ostdeutsche «unsere» Bundeswehr. 2002 leisten erneut über 40 000 Soldaten Katastrophenhilfe – diesmal beim Kampf gegen die Fluten der Elbe und Donau. 60 Prozent von ihnen sind Wehrdienstleistende. Seit 1959 betreibt die Bundeswehr einen eigenen Such- und Rettungsdienst, um bei Unfällen in der Luft- und Seefahrt sowie im Gebirge rasch Hilfe zu leisten und ab 1966 auch den zivilen Rettungsdienst personell und materiell zu unterstützen. Auch international leistet die Bundeswehr Rettungs- und Hilfseinsätze, so erstmals 1960 nach einem Erdbeben in Agadir / Marokko und zuletzt 2014 beim Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Afrika. Gruppenbild mit Staats und Parteichef Erich Honecker. Am 11. Novem ber 1988 werden im OstBerliner Staatsratsgebäude Sportler, Trainer, Funktionäre sowie Sportwissenschaftler und mediziner geehrt. Foto: BArch, Bild 183-1988-1111-026 / adn-Zentralbild / Hartmut Reiche Georg Hackl, Kati Wilhelm und Henry Maske: Namen bekannter Olympiasieger – und Sportsoldaten. Viele Sportlerinnen und Sportler verdanken ihre Karriere der Sportförderung durch das Militär. Während des Ost-West-Konfliktes sollen sportliche Höchstleistungen, messbar in Medaillen und Rekorden, die Überlegenheit des jeweiligen Gesellschaftssystems dokumentieren. Trotz anfänglicher Vorbehalte werden deshalb seit den 1960er Jahren auch Bundeswehr und NVA in die staatliche Förderung des Spitzensports eingebunden. Besonderen Stellenwert gewinnt die Sportförderung in der NVA. Sie unterhält nicht nur eigene Frauen in den Streitkräften Trainingszentren, sondern betreibt mit der Armeesportvereinigung «Vorwärts» ein dichtes Netz an Sportclubs. Die sind Teil einer systematischen Talentsichtung und -förderung im DDR-Sport, der im Spitzenbereich zudem systematisches Doping betreibt. In der Folge sind DDR-Athleten ihren westdeutschen Konkurrenten oft überlegen. Die Bundeswehr gründet 1968 Sportfördergruppen, die eng mit den Leistungszentren des Deutschen Sportbundes kooperieren. Heute betreut die Bundeswehr fast 750 Spitzenathletinnen und -athleten. Sie zählt damit zu den wichtigsten Förderern des deutschen Spitzensports. Offiziershochschule «Ernst Thälmann» in Löbau im Herbst 1986. Bei der Vereidigung schwören weibliche Offizierschüler auf die Fahne. Foto: picture alliance / Zentralbild / Hans Wiedl Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. September 1988, dem Antikriegstag, in Kassel. In den 1980er Jahren wird in Westdeutsch land die Zulassung von Frauen zum Waffendienst kontrovers diskutiert. Foto: picture alliance / Christiane Zschetzschingck Im geteilten Deutschland bleibt das Militär zunächst Männersache. Eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen gibt es nicht. Allerdings können sich Frauen in der NVA von Beginn an für «Rückwärtige» und Medizinische Dienste als Freiwillige verpflichten und ab 1984 auch Offizier werden. Im Westen verbietet das Grundgesetz Frauen den Waffendienst. Mit der Begründung, dass Sanitätssoldaten nur zur Selbstverteidigung bewaffnet sind, stellt die Bundeswehr 1975 erstmals Ärztinnen als Sanitätsoffiziere ein. Ab 1988 fallen alle Laufbahnbeschränkungen im Sanitätsund Militärmusikdienst. Ob Frauen aus Gründen der Gleichbehandlung auch uneingeschränkten Deutsche Olympia-Medaillen: Gold Silber Bronze 178 174 178 530 80 75 79 234 davon durch Sportsoldaten der Bundeswehr errungen: Sea KingHubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5 beim Hilfseinsatz nach dem Tsunami in Indonesien am 16. Januar 2005. Die Bundeswehr betreibt dort ein Feld lazarett in Banda Aceh. Am 8. Mai 2014 zeichnet Bundespräsident Joachim Gauck in Anwesen heit von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Medaillengewinner der Winterspiele in Sotschi mit der höchsten deutschen Sportauszeich nung aus, dem Silbernen Lorbeerblatt. Unter ihnen sind acht Sportsolda tinnen und Sportsoldaten. Landtagsfest in Erfurt am 13. Juni 2009. Am Stand der Bundeswehr informiert Biathletin und Sportsoldatin Kati Wilhelm Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski und Ministerpräsident Dieter Althaus über die Sportförderung der Bundeswehr. Tanja Kreil schreibt Rechtsgeschichte. Ihre Bewerbung bei der Bundes wehr war unter Hinweis auf Art. 12 Grundgesetz, nach dem Frauen «auf keinen Fall» Dienst mit der Waffe leisten dürfen, abgelehnt worden. Da gegen klagt die junge Elektronikerin erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof. Foto: AkBwInfoKom Zentralredaktion / Foto: Isabell Kurtze Foto: picture alliance / dpa / ZB / Michael Reichel Foto, 29. Juni 1999: picture alliance / dpa / Werner Baum 16 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 Trotz Verbots nehmen Bundeswehr soldaten am 22. Oktober 1983 in Uni form an der Großkundgebung im Bonner Hofgarten teil und demonstrieren mit einem Transparent und einer PershingII Attrappe gegen die NATONachrüstung. Foto: picture alliance / dpa / Heinz Wieseler 17 MILITAR UND GESELLSCHAFT I N D E U TS C H L A N D S E I T 1945 18 Die «Nachrüstungsdebatte» spaltet die westdeutsche Gesellschaft in ent schiedene Gegner und leidenschaftliche Befürworter. Der Aufkleber aus dem Jahr 1983 wirbt für die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen. Foto: Haus der Geschichte, Bonn / Bonner Friedensforum e.V. FRIEDEN SCHAFFEN OHNE WAFFEN Die Stasi fotografiert am 14. November 1982 eine oppositionelle Frie denskundgebung in Jena. Zwei Monate später werden elf Aktivisten verhaftet, die jedoch nach internationalen Protesten bald wieder frei gelassen werden. EINSATZBEREIT Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik und in der DDR Die NVA in der Friedlichen Revolution der Raketensysteme ist, regt sich gesellschaftlicher Widerstand. Am 10. Oktober 1981 demonstrieren mehr als 300 000 Menschen in Bonn friedlich gegen die Nachrüstung. Auch in der DDR kommt es zu großen Friedenskundgebungen. Doch die sind vom SED-Staat veranlasst und richten sich einseitig gegen die NATO-Raketen. Dennoch gibt es auch im Osten eine kleine, unabhängige Friedensbewegung. Deren Aktivisten protestieren mit dem Motto «Schwerter zu Pflugscharen» gegen den Rüstungswettlauf in West und Ost. Die lokalen Friedensgruppen sind eine Keimzelle der DDR-Opposition und werden von der Staatssicherheit bespitzelt und bekämpft. Aufnäher aus Ostdeutsch land Süddeutsche Zeitung, Photo / BildID 00682551 / Peter Probst Udo Lindenberg tritt am 25. Oktober 1983 beim FDJKonzert «Für den Frieden der Welt – Weg mit dem NATODoppelbeschluss» erstmals in der DDR auf. Er ruft dem staatstreuen Publikum zu: «In der BRD und in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine Rakete sehen. Keine Pershings und keine SS 20.» Der Satz verärgert die SED so sehr, dass sie seine Tournee für das Folgejahr absagtz. USPräsident Ronald Reagan begrüßt am 10. Oktober 1986 den sowjeti schen Staats und Parteichef Michail Gorbatschow bei dessen Ankunft zu zweitägigen Abrüstungsgesprächen in der isländischen Hauptstadt Reykjavik. 1983 ruft USPräsident Ronald Reagan die Strategic Defense Initiative (SDI) ins Leben, die den Aufbau eines Abwehrschirms gegen Inter kontinentalraketen vorsieht. Sie wird in Moskau als Versuch verstanden, das Gleichgewicht des atomaren Schreckens massiv zugunsten der USA zu verändern. Foto: picture alliance / Dieter Klar Foto: picture alliance / dpa / AFP Grafik: picture alliance / dieKLEINERT.de / Enno Kleinert Button aus West deutschland. Deutsches Historisches Museum, Berlin / Inv.-Nr.: A 96 / 64 / S. Ahlers Rainer Eppelmann, einst Bausoldat, dann Pfarrer und DDROppositionel ler, besucht am 18. April 1990, dem Tag seiner Ernennung zum Minister für Abrüstung und Verteidigung, unter großem Medieninteresse sein Ministerium in Strausberg bei Berlin. Foto: picture alliance / ZB / Eberhard Klöppel Im Moskauer Hotel «Oktober» unterzeichnen am 12. September 1990 die Außenminister der beiden deutschen Staaten und der vier Sieger mächte des Zweiten Weltkrieges den 2+4Vertrag, mit dem Deutschland seine volle Souveränität und so das Recht zur Wiedervereinigung e Am 26. September 1990 marschiert die Große Ehrenwache des Wachregiments «Fried rich Engels» zum letzten Großen Wachaufzug vor die Neue Wache in OstBerlin. Das Zeremoniell war fast 28 Jahre lang fester Bestandteil der Traditionspflege in der NVA. Foto: BArch, Bild 183-1990-0926-029 / adn / Peer Grimm Fo gen S e uns n den soz a en Netzwerken www acebook com / Bundess ftungAu a be ung www acebook com / Bundesweh SPIEGEL DER GESELLSCHAFT? Streitkräfte und gesellschaftlicher Wandel «Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks nicht unberücksichtigt lassen», heißt es 1971 in einem Erlass des Bundesverteidigungsministers. Fortan sind Soldaten lange Haare erlaubt. Diese müssen im Dienst in einem Haarnetz getragen werden. Es ist die Zeit der Rolling Stones, des Musicals «Hair» und der 68er-Bewegung. «German Hair Force» spottet die Presse im In- und Ausland. Bereits ein Jahr später lässt ein neuer Erlass die Haare wieder fallen. Die NVA hat es da leichter. In der SED-Diktatur endet – nicht nur – die modische Selbstbestimmung am Kasernentor. Demgegenüber können sich Bundeswehrsoldaten gegen als sinnlos emp- fundene Vorschriften oder Schikanen mit Eingaben an den Wehrbeauftragten wenden. Er informiert seit 1982 den Bundestag jährlich über den Stand der Bürgerrechte und der Demokratie in der Bundeswehr. Die Bundeswehr tut sich nicht nur mit den Wendungen der Mode schwer. So bleibt etwa der Umgang mit Sexualität lange ein Tabuthema. Bis 1979 ist zum Beispiel Homosexualität ein Ausmusterungsgrund; schwule Vorgesetzte gelten im Kalten Krieg als Sicherheitsrisiko. Ab 2000 kommt es hier zu grundlegenden Reformen. Die Intimsphäre der Soldatinnen und Soldaten wird zur Privatsache. Jegliche Diskriminierungen sind zu unterbinden. 1997 steigt die Zahl der Mel dungen über fremdenfeindliche und rechtsradikale Vorkomm nisse in der Bundeswehr. Als bekannt wird, dass die Bundes wehrführungsakademie 1995 den Rechtsextremisten Man fred Roeder zu einem Vortrag eingeladen hatte, fordert die Opposition einen Untersuchungs ausschuss. Verteidigungsminister Volker Rühe erklärt am 10. De zember 1997 vor Journalisten, er habe nichts zu verbergen. Cover: ZivilCourage / DFG-VK © ZMSBw 07513-02 Imposante Erfolgsbilanz: Seit 1992 haben Sportsoldatinnen und Sportsoldaten der Bundeswehr mit 234 Medaillen fast die Hälfte aller deutschen Olympia medaillen gewonnen. Grafik: ZMSBw / SL Foto: PIZ Marine / MFG5 Foto: BStU, MfS, BV Gera, Abt. VIII, BB 101 / 82, Mappe 2 1971 gründet die Bundeswehr eine Big Band. Sie soll junge Hörer ansprechen und einen «modernen Sound für eine moderne Armee» verkörpern. Schallplatte von 1978. Foto: Privatsammlung Heft 1 / 2012 der Zeitschrift ZivilCourage ist dem Protest gegen die Bildungsarbeit der Bundeswehr an Schulen gewidmet. Die Zeitschrift wird vom 1982 gegrün deten Verband Deutsche Friedensgesellschaft – Ver einigte Kriegsdienstgegner innen herausgegeben. Foto: picture alliance / rtn – radio tele nord / torsten sörup Nach einem Jahrzehnt Entspannungspolitik verhärten sich Ende der 1970er Jahre die Fronten zwischen Ost und West. Die Sowjetunion interveniert 1979 in Afghanistan. 1981 wird in Polen das Kriegsrecht ausgerufen. Im gleichen Jahr reagiert die NATO auf neue sowjetische SS-20-Atomraketen in Osteuropa mit einem Doppelbeschluss: Falls mit Moskau keine Abrüstung aller nuklearen Mittelstreckenraketen erreicht wird, werden neue amerikanische Pershing-II-Raketen in Westeuropa stationiert. Der neue Rüstungswettlauf sowie US-Pläne, im Weltall ein Raketenabwehrsystem zu errichten, schüren weltweit Ängste vor einem Atomkrieg. Im geteilten Deutschland, das Stationierungsort bei- Foto: picture alliance / dpa Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Dort können seit 1958 Schulen und andere Bildungseinrichtungen Jugendoffiziere als Referenten für Sicherheits- und Verteidigungspolitik einladen. Sie informieren über den Verfassungsauftrag der Bundeswehr, den deutschen Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und Krisenbewältigung sowie – seit den 1990er-Jahren – über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Jugendoffiziere dürfen weder für den Wehrdienst noch für eine Berufslaufbahn in der Bundeswehr werben. Dennoch stößt ihr Auftreten in den Schulen auch auf Ablehnung und Kritik. Foto: picture alliance / ZB / Ulrich Häßler Ein Jahr nach dem erfolgreichen Kampf gegen das Hochwasser werden am 15. August 1998 in Wriezen im Oderbruch die damaligen Helfer gefeiert. Die städtische Funkengarde verschenkt auf dem Marktplatz kleine Sandsäcke mit Produkten der Region an Rekruten, die dort verei digt werden. Am 22. Oktober 1983 protestieren über 220 000 Menschen mit einer 108 Kilometer langen Menschenkette zwischen Stuttgart und NeuUlm gegen neue USMittelstreckenraketen in Westeuropa. Das Luftbild zeigt die Demonstranten auf der B10 zwischen Plochingen und Ulm. Auf dem OlofPalmeFriedensmarsch in Dresden protestieren am 18. September 1987 Bürger gegen die Militarisierung der DDR. Auf den Transparenten steht u.a. zu lesen: «Sozialer Friedensdienst statt Wehr dienst! Friedenserziehung statt Wehrkundeunterricht!». In der DDR beginnt die «sozialistische Wehrerziehung» bereits im Kindesalter. Ab 1978 ist Wehrunterricht Pflichtfach in der 9. und 10. Klasse. Er besteht aus einem theoretischen Teil in den Schulen, Wehr- oder Zivilverteidigungslagern und «Tagen der Wehrbereitschaft». Zum Unterricht gehört auch eine Schießausbildung. Auch Berufsschüler und Studierende müssen Wehrlager absolvieren. Die Schulen sollen zudem ab der 7. Klasse Nachwuchs für die NVA werben. Von Freiwilligkeit kann dabei keine Rede sein: Für viele Jugendliche ist die Verpflichtung als Zeitsoldat Voraussetzung für Abitur und Studium. Gesamt Foto: picture alliance / dpa / Jens Büttner Foto: picture alliance / Roland Holschneider Kontraste: Vor einem AutomatenRestaurant in OstBerlin warten Soldaten der NVA und langhaarige Jugendliche in Parkas auf Einlass. Aufnahme vom Januar 1971. Militär und Jugend Zugang zur Bundeswehr haben sollen, wird im wiedervereinigten Deutschland kontrovers diskutiert. Im Jahr 2000 bejaht dies der Europäische Gerichtshof. Nach einer Grundgesetzänderung treten am 1. Januar 2001 die ersten Soldatinnen ihren freiwilligen Wehrdienst an. Während Vorschriften rasch überarbeitet und neue Uniformen schnell beschafft sind, dauert das Umdenken in der Truppe länger. Viele Soldaten müssen sich an ihre weiblichen Kameraden erst gewöhnen. Ihre Zahl steigt kontinuierlich. Ende 2014 dienen ca. 19 000 Frauen in der Bundeswehr – ein Anteil von rund 10 Prozent. Medaillenanteil von Bundeswehr-Sportsoldaten an den olympischen Medaillen 1992 bis 2014 Während der Kieler Woche führen ein Sea KingMarinehubschrau ber und ein Rettungs kreuzer der Deutschen Lebensrettungsgesell schaft am 22. Juni 2014 eine Übung durch. Allein 2013 retten Hubschrau ber von Luftwaffe und Marine 340 Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen. INFORMATION ODER INDOKTRINATION? FALL EINER MÄNNERBASTION Sportförderung durch Bundeswehr und NVA Foto: picture alliance / ZB / Klaus Morgenstern Die Öffnung der Bundes wehr für Frauen gilt als Einbruch in eine der letz ten Männerdomänen in Deutschland. Sie wird gerne satirisch kommen tiert, wie in dieser Karika tur aus dem Jahr 2000. Karikatur: Jürgen Tomicek Foto: picture alliance / dpa / Martin Athenstädt Eine Soldatin patrouilliert am 20. August 2011 im Distrikt Charrah Darreh nahe Kundus in Afghanistan. Mit ihren Kameraden sucht sie nach versteckten Sprengfallen. Ein Jugendoffizier der Bundeswehr aus Köln mit Schülern des EllyHeuss KnappGymnasiums aus Stuttgart / Bad Cannstatt beim interaktiven Planspiel Politik & Internationale Sicherheit (POL&IS) am 20. Februar 2008 auf dem Messestand der DIDACTA. Der vierjährige Theo «fliegt» am 17. August 2002 beim «Tag der offenen Tür» des Verteidigungsministeriums in Berlin in einem Eurofighter. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Panzern oder Flugzeugen ist bei solchen Veranstaltungen nicht unumstritten. Kritiker sprechen von einer Verharmlo sung von Kriegswaffen. Im Verdacht, homosexuell und damit ein «Sicherheitsrisiko» zu sein, wird Bundeswehrgeneral Günter Kießling Ende 1983 in den Ruhestand versetzt. Nachdem die Behauptung bald wiederlegt ist, wird Kießling rehabilitiert und am 26. März 1984 mit dem Großen Zapfenstreich ehrenhaft verabschiedet. Bei diesem Anlass gibt der General Bundesver teidigungsminister Manfred Wörner die Hand, der über die Affäre fast gestürzt wäre. Multikulturelle Bundeswehr: Soldaten sudanesischer, vietnamesischer, syrischer und kasachischer Abstammung dienen am 1. Juni 2001 ge meinsam in der Koblenzer FalckensteinKaserne. Derzeit haben etwa zwölf Prozent der Bundeswehrsoldaten einen Migrationshintergrund. Foto: picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini Foto: IMZ-Bildarchiv / Marcus Rott Foto: picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm Foto: picture alliance / dpa / Jörg Schmitt Foto: picture alliance / dpa / Thomas Frey 19 20