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Dominik Collet (Göttingen)
Das Academische Museum der Universität Göttingen (1773–1840).
Inszenierung, Naturalisierung und ›Disziplinierung‹ aufgeklärten Wissens
Historische Sammlungen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Orte der
Wissensproduktion wiederentdeckt worden. Anstatt als passives Archiv hat man
Sammlungen zunehmend als aktiven Forschungsraum interpretiert und dabei auf
strukturelle Homologien zwischen Museum und Labor verwiesen. Im Zuge dieser
Engführung von Sammeln und Forschen sind nun auch die Universitätssammlungen
in den Fokus des Interesses gerückt. Verschiedene Hochschulen haben ihre historischen ›Dinge der Aufklärung‹ daher im Rahmen großer Ausstellungen neu inszeniert – so bei den 600 Jahrfeiern in Leipzig und den 300 Jahrfeiern in Berlin.1
Dieser ›object turn‹ der Wissenschaftsgeschichte kann sich wesentlich auf Aussagen der historischen Akteure selbst stützen. In Göttingen, wo 1773 das erste deutsche
Universitätsmuseum gegründet wurde, betonten die Professoren den Bruch mit den
älteren ›Raritätenkabinetten‹. Johann Friedrich Blumenbach verkündete, es handele
sich im Göttinger Fall um eine »academisch[e] Sammlung, – wo nichts zur Parade
sondern alles zum Nutzen« diene.2 Auch Georg Christoph Lichtenberg bemerkte:
»Diese älteren Sammlungen hatten doch den Fehler, daß man mehr Seltenheiten als
Merkwürdigkeiten der Natur zusammenraffte und dadurch dem Ganzen ein buntschäckiges geschmackloses Ansehen gab [… In Göttingen dient] das akademische
Cabinett dagegen nicht zum Prunck, sondern lediglich zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum Unterricht […] Göttingen ist die erste Universität in Deutschland,
vielleicht in Europa, die mit einem eigentlich akademischen Museum versehen worden, und wir halten uns verpflichtet, von ihm, auch schon als epochemachendem
Phänomen [zu sprechen]«.3
Solche programmatischen Abgrenzungen sind im Rückblick oft als Keimzelle einer modernen, objektbasierten Wissensepisteme interpretiert worden. Ein Blick auf
die Praktiken der Akteure verweist aber auf die konstitutive Verschränkung neuer
Evidenzstrategien sowohl mit älteren Sammlungsformen als auch mit akademischen
1 Jochen Hennig, Udo Andraschke (Hrsg.): Weltwissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin.
München 2010; Claus Deimel u. a. (Hrsg.): Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig. Leipzig 2009; Udo Andrascke, Marion Maria Ruisinger: Die Sammlungen der
Universität Erlangen-Nürnberg. Begleitband zur Ausstellung. Nürnberg 2007.
2 Johann Friedrich Blumenbach: Einige Nachrichten vom academischen Museum zu Göttingen. In: Annalen der Braunschweigisch-Lünebürgischen Churlande 1 (1787), S. 84–99.
3 Georg Christoph Lichtenberg: Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen. In: Taschenbuch zum Nutzen und Vergnügen fürs Jahr 1779 […]. Göttingen 1778, S. 45–57, hier S. 47 f.
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Traditionen. Neben der Forschung am Objekt diente der Sammlungsraum der Markierung disziplinärer Grenzen, der Selbstvergewisserung der Forscher und der Inszenierung akademischer Gelehrsamkeit.
Aus der Perspektive einer neuen Wissenschaftsgeschichte lassen sich historische
Sammlungen daher als materielle Kristallisationspunkte von spezifischen historischen
Wissenskulturen verstehen. Die Sammlungen stellten Forschern und Fächern kulturelle Kapitalien zu Verfügung, die als Ressourcen wissenschaftlicher Identitätsstiftung genutzt wurden. Die kulturelle Konstruktion fachlicher Grenzziehungen wurde
in den Sammlungen anhand von Objekten naturalisiert. Als »disciplinary objects«4
strukturierten und markierten die Exponate Wissensfelder- und praktiken und wurden so selbst zu Akteuren.5 Akademische Sammlungen bilden daher ein einzigartiges
Archiv historischer Wissensordnungen der Aufklärung.
Ein »academisches« Museum
Die Sammlungen der Georg-August-Universität gehören heute mit über sechs Millionen Objekten zu den größten Deutschlands. Mit ihren Wurzeln im »Academischen
Museum« zählen sie zugleich zu den ältesten. Die Universität war 1737 als Ort der
Erneuerung akademischen Lernens gegründet worden. Teil des Reformanspruchs war
es, neue Fächer ins Curriculum zu integrieren. Viele akademische Disziplinen – Anthropologie, Archäologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaften, Veterinärmedizin
oder die Deutsche Philologie – sind daher in Göttingen erstmals als eigenständiges
Fach konzipiert worden – ein Prozess, der regelmäßig in enger Verbindung mit den
Universitätssammlungen stand und oft genug auch von ihnen inspiriert wurde.6
Lehr- und Forschungssammlungen bildeten von Beginn an einen programmatischen Teil des Göttinger Modells. Neben der zentralen Bibliothek mit ihrem neuartigen Universalsystem war von Beginn an ein universitäres Naturalienkabinett
geplant.7 Mit Johann Heinrich Gottlob von Justi war man der Meinung, daß »ein
naturalien Cabinet fast unumgänglich nöthig« sei. Debattiert wurde lediglich darü-
4 Barbara Kirshenblatt-Gimblett: Reconfiguring Museums. An Afterword. In: Cordula Grewe
(Hrsg.): Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft. Stuttgart 2006, S. 361–376, hier S. 363.
5 Vgl. Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandoras. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaften. Frankfurt a. M. 2002, S. 7–35.
6 Vgl. dazu Dietrich Hoffmann, Kathrin Maack-Rheinländer (Hrsg.): »Ganz für das Studium
angelegt«. Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Göttingen 2001.
7 Christine Nawa: Sammeln für die Wissenschaft. Das Academische Museum Göttingen
(1773–1840). Magisterarbeit Universität Göttingen 2005, S. 41 (http://webdoc.sub.gwdg.de/
master/2010/nawa/nawa.pdf [01.02.2011]).
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ber, ob es eine zentrale und öffentliche »public anstalt« sein solle, oder die privaten
Sammlungen der neuberufenen Professoren nicht zielführender waren.8 Der Streit
zwischen akademischer Exklusivität einerseits und dem Prestigewert einer öffentlichen Sammlung andererseits wurde erst 1773 entschieden. Zum einen gewährte
der Landesherr König Georg III. großzügige Mittel für den Aufbau eines Museums.
Zum anderen fand sich mit Johann Friedrich Blumenbach ein Student, der die anfallenden Betreuungsaufgaben »mit Vergnügen unentgeltlich übernahm«.9
Dieses Museum verfolgte von Beginn an ein doppeltes Ziel: Während die Professoren den Nutzen für Forschung und Lehre betonten, sollte es zugleich vermögende
Studierende anziehen und das Profil der Universität nach außen schärfen. Zahlreiche
Objekte illustrieren diese doppelten Absichten. So bedienten die in Zeitungsartikel prominent herausgestellten Muscheln das Interesse von Sammlern und Virtuosi.
Zugleich wies Blumenbach aber darauf hin, dass man keineswegs nur die farbenprächtigen Schalen, sondern zu Forschungszwecken auch die Tiere selbst sammele.10
Gegenüber König Georg betonte er daher zugleich den der Universität aus dem Museum »erwachsende[n] weitere[n] Lustre und den für die Wissenschaften daher zu
nehmenden Vortheil«.11
Den mit dem Museum verbundenen Glanz wussten die Professoren eindrucksvoll
zu inszenieren: Die Eröffnung der Sammlung wurde 1773 im feierlichem Rahmen
des Stiftungsfestes der Universität verkündet.12 Trotz großen Platzmangels stellte
man für die Objekte zudem einen zentralen Raum im Hauptgebäude der Universität
bereit. Auch der Name der Institution war sorgsam ausgesucht worden. Während
man im Vorfeld zunächst von einem Naturalienkabinett gesprochen hatte, benutzte
man jetzt konsequent den lateinischen Begriff des ›Museums‹ gekoppelt mit dem
Zusatz ›akademisch‹, um es bewusst von den gewöhnlicheren Sammlungen abzuheben.13 Nach außen kommunizierte man die Neueröffnung mit Berichten in den
wichtigsten gelehrten Journalen.14
Die Öffentlichkeitsarbeit hatte offenbar großen Erfolg: Zahlreiche Geschenke
ließen die Bestände des Museums rasch anwachsen. Zu den bekanntesten zählen
der Nachlass Friedrich Armand von Uffenbachs, der wesentlich zur Etablierung
8
Ebd., S. 42.
Ebd., S. 45.
10 Lichtenberg: Museum, S. 50.
11 Frank William Peter Dougherty (Hrsg.): The Correspondence of Johann Friedrich Blumenbach. Bd. I. Göttingen 2006, S. 2.
12 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 131 (01.11.1773), S. 1113 f.
13 Nawa: Sammeln, S. 56 ff.
14 Vgl. bspw. Lichtenberg: Museum; Blumenbach: Nachrichten; Anon: Nachrichten von Naturaliensammlungen. In: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 4 (1783),
S. 167–170.
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der Kunstgeschichte als eigenständigen Fach beitrug, sowie
die Objekte der Reisen James
Cooks, Georg Forsters und des
Barons von Asch, die wiederum die Entwicklung der ›Völkerkunde‹ in Göttingen inspirierten.15
Der Zuwachs war so groß,
dass die Sammlungen 1793
ein eigenes Museumsgebäude
neben der Bibliothek beziehen
mussten, wo sie bald fast 50
Räume belegten (Abb. 1).16
Erst nach dem Tod des ersten
Museumsdirektors Blumenbach
1840 beschleunigte sich neben
dem fachlichen auch der räumliche Prozess der Spezialisierung.
Zahlreiche Sammlungen zogen
in diejenigen Institute um, deren
Gründung sie zuvor befördert
hatten. Neuere Sammlungen
wie die Museen für Zoologie,
Abb 1: Friedrich Doeltz, »Skizze von dem Museum zu
Chemie oder Geburtsheilkunde
Göttingen«, ca. 1862. Universitätsarchiv Göttingen:
wurden erstmals direkt an den
Sign. Kur 13 a 49 Plan fol. 43.
jeweiligen Unterrichtsgebäuden
errichtet – nicht zuletzt deshalb, weil sie disziplinäre Grenzziehungen wirksam zu
visualisieren halfen. Diese Entwicklung hat heute vom ›Akademischen Museum‹ zu
über 30 separaten Sammlungen geführt.17
15
Blumenbach: Nachrichten.
Günther Beer: Beitrag zur Baugeschichte des Akademischen Museum 1773 bis 1877 mit
drei Gebäudeplänen des Akademischen Museums. In: Museumsbrief (Museum der Göttinger Chemie) 29 (2010), S. 2–20.
17 Vgl. Ulrike Beisiegel, Susanne Ucle-Koeher (Hrsg.); Dinge des Wissens. Die Sammlungen,
Museen und Gärten der Universität Göttingen. Göttingen (erscheint 2012). Zur komplizierten
Geschichte der Sammlungsteile vgl. Christine Nawa: Zum »öffentlichen Gebrauche« bestimmt.
Das Academische Museum Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch 58 (2010), S. 23–62.
16
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Sammlung und Soziabilität
Für die Universität als Institution waren die akademischen Sammlungen nicht nur
als Wissensort, sondern auch als Distinktionsmerkmal bedeutsam. Den Ruf, die führende Hochschule der deutschen Aufklärung zu sein, suchte man auch über die luxuriöse Ausstattung zu befördern. Gerade bei den in Göttingen besonders zahlreichen
adeligen Studierenden waren Sammlungen ausgesprochen beliebt. Die Anlage eines
akademischen Kabinetts kam dieser finanzkräftigen Gruppe ebenso entgegen wie
zuvor schon die Fechtbahn, die Reithalle und der Tanzsaal der Universität.18 Zudem war die Naturgeschichte, wie Blumenbach berichtete, zu einem »allgemeine[n]
Lieblingsstudium« und Markenzeichen für Göttingen geworden, sodass eine eigene
Sammlung Attraktivität und Profil des Standortes zu erhöhen versprach.19
Akademische Sammlungen besaßen in der dichten Universitätslandschaft des alten
Reiches ein wichtiges Distinktionspotential. Die öffentlich-werbende Zugänglichkeit des Museums und seine akademisches Rolle bildeten dabei keinen Widerspruch.
So bemerkte ein Studienführer von 1813: »Lobenswerth ist zugleich der hohe Grad
von Gemeinnützigkeit dieser vortrefflichen Sammlung von Merkwürdigkeiten aus
allen Naturreichen, in dem man von einem angesetzten Aufseher sich das Ganze zu
beliebigen Stunden gegen eine kleine Erkenntlichkeit (von 2 Gulden; wofür aber 6
Personen das Vergnügen genießen können) zeigen lassen kann: ungleich größeres
Interesse gewährt es allerdings, wenn man Blumenbachs eigene Ansichten und Bemerkungen zugleich hören kann. Dieser geistige Genuß wird seinen jedesmahligen
Zuhörern in der Naturgeschichte zu Theil.«20
Schon in Blumenbachs Dienstanweisung – einem seltenen museumspraktischen
Dokument – war der »öffentliche« Charakter der Sammlungen festgehalten worden. Neben Studierenden sollten auch »Fremd[e]« und »hiesige Liebhaber« Zutritt
erhalten.21 Das Eintrittsgeld sorgte für das gewünschte sozial exklusive Publikum,
ohne den Besucherstrom jedoch nennenswert einzuschränken. So dokumentiert ein
Besucherbuch, das Christina Nawa ausgewertet hat, über 3000 nicht-studentische
Besucher in 10 Jahren, darunter Alexander von Humboldt, Goethe oder Jerôme
Bonaparte, den König von Westfalen.22 Die Zusammensetzung der Besucher illustriert, dass das Museum überregionale Ausstrahlung besaß und zahlreiche nicht18 Vgl. Luigi Marino: Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770–1820. Göttingen 1995 (Göttinger Universitätsschriften, Serie A, Bd. 10).
19 Blumenbach: Nachrichten, S. 84.
20 [Ludwig Wallis]: Der Göttinger Student oder Bemerkungen, Ratschläge und Belehrungen
über Göttingen und das Studentenleben auf der Georgia Augusta. Göttingen 1981 [ND der Ausg.
v. 1813 u. 1913], S. 15.
21 Universitätsarchiv Göttingen: Sign. Kur 4 V g 5, fol. 12r–15r.
22 Nawa: Sammeln, S. 135–144
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akademische Besucher, zumeist in Gruppen anzog – darunter viele Frauen, die sonst
aus dem Universitätsbetrieb ausgeschlossen waren. Besonders prominent sind auch
Offiziere und Militärs der Göttinger Garnison vertreten, die den Besuch offenbar
als willkommene Demonstration ihres gesellschaftlichen Status ansahen. Dass nahezu alle Besucher die Sammlung nur ein einziges Mal besuchen, deutet vermutlich
darauf hin, dass ihr Interesse weniger dem forschenden Studium als der geselligen
Unterhaltung galt.
Die Bedeutung von Soziabilität lässt sich auch daran erkennen, wie sehr das Bild
der Sammlungen in den erhaltenen Berichten von der Person ihres leitenden Professors geprägt ist. Die Objekte an sich blieben ohne lebendige Erklärung schlicht
stumm. Gelehrte Konversation und Geselligkeit waren dabei sicher zwei der Hauptattraktionspunkte für ein breiteres Publikum. Im Zeichen aufgeklärter Geselligkeitskultur erfüllte das Museum gleichsam die Funktion eines Salons, in dem es auf kulturelle Kontakte und kurzweilige Konversation ankam.23 So berichtet etwa Johann
Wolfgang von Goethe 1801 von seinem Aufenthalt in Göttingen über die Sternwarte: »Auch Professor Seyffer zeigte mir die Instrumente der Sternwarte mit Gefälligkeit umständlich vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man auf frequentierten
Universitäten immer als Gäste zu finden pflegt, lernt’ ich daselbst kennen, und mit
jedem Tag vermehrte sich der Reichtum meines Wissens über alles Erwarten.«24 Ein
anderer Besucher fasste seinen Tag in Göttingen folgendermaßen zusammen: »Auf
der Bibliothec – Die Professoren Reuhs, Beneke, Himly, - Das Naturalien Cabinet –
Das neue Observatorium – Professor Schrader – Die Reitbahn – Zurück«.25
Mit der herausgehobenen Rolle einzelner Gelehrter ging die zentrale Rolle der
Sammlung in der Erinnerungskultur der Universität einher. Großzügige Spender
konnten sich dort einen dauerhaften Platz im Gedächtnis der Nachwelt sichern. Dies
galt zuerst für König Georg III., dem man dankbar zusicherte, dass das Museum
auf Dauer ein »Denkmal Dero Landesväterlichen Milde« darstellen werde.26 Auch
Spendern wie dem Baron von Asch oder Uffenbach gab die Sammlung die Gelegenheit, sich der Nachwelt in Erinnerung zu bringen. Die aus aller Welt stammenden Exponate belegten dabei ebenso die weltumspannenden Netzwerke der edlen
Spender wie umgekehrt die der Göttinger Empfänger und Gelehrten. Die verbreitete
Personalisierung von Objekten (»von Herrn Leibnitz«, »vom unvergeßlichen Cook«,
23 Vgl. Stefan Siemer: Geselligkeit und Methode. Naturgeschichtliches Sammeln im 18. Jahrhundert. Mainz 2004.
24 Wilhelm Ebel: Briefe über Göttingen. Aus den ersten 150 Jahren der Georgia Augusta.
Göttingen 1975, S. 60.
25 Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.): Karl August von Hardenberg 1750–1822. Tagebücher
und autobiographische Aufzeichnungen. München 2000, S. 895.
26 Dougherty: Correspondence, S. 281.
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vom »verdienten Hrn. Prof. Büttner«) setzte diesen Memorialkult bis in Einzelexponate hin fort.27 Es wundert daher kaum, dass die Universität das Museum nicht
nur an ihrem Stiftungsfest inaugurierte, sondern bald auch ihre Jubiläen mit dessen
Hilfe inszenierte und die Sammlung eine zentrale Rolle bei der »Säcular-Feier« der
Gründung 1837 spielte.28
Objekte als Zeugen
Blumenbach und Lichtenberg betonten allerdings immer wieder, dass das Museum
seine eigentliche Bestimmung in Unterricht und Forschung habe. Einige von Blumenbach extra für Demonstrationszwecke angefertigte Kopien ethnographischer
Stücke belegen eine solche Nutzung. Wie die Lehre am Objekt von statten ging,
zeigt das Beispiel Hermann Ludwig Heerens (1760–1842), der ab 1803 regelmäßig
eine mehrstündige Vorlesung wie folgt ankündigte:
»Allgemeine Länder- und Völkerkunde […] trägt Hr. Prof. Heeren um 6 Uhr M.
vor, u. erläutert alles durch einen reichen Vorrath der beßten und neuesten Karten,
die er seinen Zuhörern vorlegen wird, und, was die Kleidungen, Waffen, Geräthe
der entfernten Völker betrifft, durch die ethnographische Sammlung in dem königl. Museum.«29 Allerdings zeigen die Akten des Museums auch, dass Heeren über
lange Jahre wohl der einzige Professor neben Blumenbach blieb, der die Objekte
tatsächlich im Unterricht einsetzte. Weitere Entleihungsgesuche, wie sie von Heeren
vorliegen, sind nicht belegt.
Ähnlich dünn sind die Belege für den Bereich, der heute besondere Aufmerksamkeit genießt: die Forschung am Objekt. Obwohl die Göttinger Professoren ausgesprochen gerne publizierten, finden sich Hinweise darauf äußerst selten. Schon die
Auswahl der Objekte stellte ein Problem dar. Das Museum verfügte bis 1837 über
keinerlei eigenen Etat. Exponate erhielt man daher nahezu ausschließlich über das
florierende Geschenkwesen, das auch in den nicht-akademischen Sammlungen eine
große Rolle spielte. Die Zusammensetzung der ›Cook-Sammlung‹ orientierte sich
daher weniger an den Interessen der Göttinger Gelehrten, als an den Vorlieben der
Seeleute, die sie gesammelt hatten, den Vorstellungen des vermittelnden Raritätenhändlers Humphreys und dem imperialen Anspruch des königlichen Stifters.
Der Schweizer Student Greyerz bemerkte denn auch, im Museum befänden sich:
»[e]ine Menge Götzen von abscheulichen Verzerrungen des Körpers und der größten
27
Blumenbach: Nachrichten, S. 87; Lichtenberg: Museum, S. 48, 52.
Hans Plischke: Die ethnographische Sammlung der Universität Göttingen. Ihre Geschichte
und Bedeutung. Göttingen 1937, S. 33.
29 Vgl. Urban: Sammlung, S. 95.
28
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Geschmacklosigkeit. Viele Amphibien, eine Menge menschlicher Embryonen, von
Negern etc. […] eine wohlbehaltene Mumie […] was man in jeder Kunstsammlung
etwa findet.«30 Der Hauslehrer Karl Gottlob Küttner notierte 1797: »Auch hier stieß
ich wieder auf einen Vorrath von Kleidern und Lumpen des Südmeeres […]. Fast ist
es mir lästig, Dinge der nehmlichen Art immer wieder und wieder zu sehen, weil die
Aufseher nicht begreifen können, warum man so vorüber eilt«.31 Auch Blumenbach
musste zugeben, dass man den Großteil der Exponate »auch aus einer Kunstkammer
nehmen könnt[e]«.32
Schwerwiegender wog aber die miserable Dokumentation der Objekte. Zumeist
erfuhr man wenig mehr als Namen und einen vagen Herkunftsort. Für die weitere
Einordnung war man dann auf genau die Texte angewiesen, die man eigentlich hatte
überprüfen wollen.
Tatsächlich scheint die ägyptische Mumie der Sammlung das einzige Objekt zu
sein, dass einer demonstrativ gründlichen Untersuchung unterzogen wurde. Allerdings dürfte diese einmalige Aktion sicher ebenso sehr auf den besonderen Status des
königlichen Spenders – König Christian VII. von Dänemark – zurückzuführen sein,
wie auf die Tatsache, dass die Göttinger Forscher dieses mythenumwobene Objekt
königlicher Patronage dadurch gleichsam ›akademisieren‹ wollten. Neue Erkenntnisse konnten die Gelehrten aber auch in diesem Fall aufgrund der lückenhaften
Dokumentation und mangelnder Vergleichsmöglichkeiten nicht erlangen.33
Vielmehr scheint die Sammlung vor allem als ›Zeuge‹ gedient zu haben. Sie visualisierte bereits zuvor oder anderswo erlangte Ergebnisse. So ließ Blumenbach ab 1784
dutzende Schädel anschaffen, an denen er seine Studien zur physischen Anthropologie illustrierte – Studien, die er allerdings lange vor der Entstehung der Sammlung
durchgeführt hatte.34
Wenn der Beitrag des Museums zur Forschung zunächst gering blieb, so eignete
den Sammlungen doch eine besondere Dynamik im Prozess disziplinärer Ausdifferenzierung. Die Auseinandersetzung mit der Cook/Forster-Sammlung inspirierte
den gelernten Mediziner Blumenbach dazu, die Völkerkunde so grundlegend zu sy30 Wolfgang Gresky (Hrsg.): »Eine Göttingen-Schilderung vom Mai 1799. Ein Brief des
Schweizer Studenten Gottlieb von Greyerz«. In: Göttinger Jahrbuch 1982, S. 181–199, hier
S. 197 f.
31 Nadine Plesker: Das Königlich Akademische Museum in Göttingen. In: Bénédicte Savoy
(Hg.): Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815.
Mainz 2006, S. 476–483, hier S. 482.
32 Blumenbach: Nachrichten, S. 87.
33 Vgl. die Dokumentation der Untersuchungen in: Göttingische Anzeigen von gelehrten
Sachen 123 (08.10.1781), S. 985–992.
34 Vgl. Johann Friedrich Blumenbach: De Generis Humani Varietate […]. Göttingen 1776;
sowie Thomas Nutz: »Varietäten des Menschengeschlechts«. Die Wissenschaften vom Menschen in
der Zeit der Aufklärung. Köln u. a. 2009, S. 260 f.
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stematisieren, dass daraus bald ein eigener Fachbereich entstand. Später beförderte
die Kunstsammlung, dass in Göttingen »zum ersten Mal an einer deutschen Universität« die Kunstwissenschaft zur akademischen Disziplin erhoben wurde. Ähnlich enge
Verbindungen finden sich auch zwischen dem Entstehen des Diplomatischen Apparats oder den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Sammlungsobjekten.35
Die Polyvalenz universitärer Sammlungen
Angesichts dieses Befundes erscheint die eingangs skizzierte Reduktion akademischer
Sammlungen auf ihre Funktion als Labor als unzulässige Verengung. Die Praktiken
der Akteure gingen weit über experimentelle Verfahren hinaus. Die Sammlung hielt
weit verstreutes Material lokal verfügbar, dokumentierte Forschungsergebnisse vor
respektablen Zeugen und machte Lehrwissen am Objekt nachvollziehbar. Ihre Visualisierung theoretischer Wissensbestände erreichte auch nicht-akademische Betrachter, inszenierte universitäre Gelehrsamkeit sowie gelehrte Netzwerke für ein breites
Publikum und half über ›disciplinary objects‹ Fachgrenzen zu markieren. Es war
gerade die Polyvalenz dieser Räume als Magazin, als Archiv, als Hörsaal, als Salon
und als ›Wissenstheater‹, die ihre Popularität, ihre ungeheure Dynamik und rasche
Verbreitung begründete.
Die akademische Sammlung verdeutlicht daher, wie sehr Wissensbestände erst
als soziale Praxis Gültigkeit erlangen. Erst über die Inszenierung von Evidenz am
materiellen ›Zeugen‹ konnte akademisches Wissen zwischen Lehrern und Schülern,
Sammlern und Besuchern, Kuratoren und Amateuren zirkulieren.
Zudem zeigt sich, dass die besondere Attraktivität akademischer Sammlungen
gerade nicht im Bruch mit Vorgängerformen begründet lag, sondern in der spannungsvollen Synthese älterer und neuerer Sammlungsformen sowie akademischer
und außerakademischer Traditionen. Anders als die Privatsammlungen erschloss sich
das Universitätsmuseum so eine große Bandbreite von Gönnern, Mäzenen, Unterstützern und Nutzern sowie ein breites Spektrum an Sammlungsgebieten – eine Ausweitung, die für seine rasche Akkumulation ausschlaggebend war.
Die moderne Vorstellung eines weitgehend entkörperlichten Wissens hat die Interpretation vom Museum als ortlosem ›Labor‹ populär gemacht. Ein Blick auf die
Praxis der Sammlungen verweist dagegen auf die Materialität von Wissen sowie seine
kontingente Verflechtung mit der akademischen Lebenswelt und bietet gerade deshalb eine wertvolle Quelle für eine interdisziplinäre Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte.
35
Plesker: Museum, S. 269 u. S. 273; sowie Nawa: Zum öffentlichen Gebrauche, S. 55.
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