Seniorenwerkstatt der Egestorff

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Seniorenwerkstatt der Egestorff
Senioren aktiv
Unterwegs mit der
Seniorenwerkstatt der
Egestorff-Stiftung
in der Schule und Werkstatt
„Guten Morgen“ – der Begrüßungschor der Klasse 3a der
Grundschule Mahndorf klingt nicht anders als der vor
60 oder 70 Jahren. Um die Gäste der Seniorenwerkstatt
der Egestorff-Stiftung und ihre Lehrerin Dorothee
Müller-Brückner zu begrüßen, sind die Schüler aufgestanden – wie früher. Die 3a will heute dem Leben in
der Vergangenheit auf die Spur kommen. „Wir haben
uns Bilder angeschaut und die Senioren gefragt, wie
es früher bei ihnen war, als sie selber noch Kinder
waren. Sie haben uns ihren Lebenslauf erzählt. Manche
sind in der DDR aufgewachsen“, erinnern sich Cecilya
und Lasse an die letzte Stunde. Regelmäßig sind die
Senioren in der 3a zu Gast. Im letzten Sommer haben
sie gemeinsam mit den Kindern einen Schulgarten
angelegt.
gab es erst mit der Krönung der englischen Königin
Elisabeth 1953 in Farbe, aber da liefen manchmal
noch Kabelträger durchs Bild“, erinnert sich die Seniorin
schmunzelnd. Cecilya hört gespannt zu. Frau Wohlers
berichtet den Kindern, dass es in ihrer Kindheit nur
wenig Spielzeug gab. „Damit ging man sehr sorgfältig
um, damit auch die Geschwister noch was davon hatten. Buntstifte waren eine Seltenheit, wir haben oft mit
Stöckchen auf der Erde gemalt.“ Große Augen machen
die Kinder, als sie hören, dass die Kleidung nur einmal
in der Woche gewechselt werden konnte. „Man durfte
sich nicht schmutzig machen. Waschen war aufwändig
und Seife teuer.“
noch nicht mal einen Fernseher.“ Dass ein Fahrrad zu
haben ein großes Glück war, wie aufwändig und kräftezehrend Waschen per Waschbrett („wie eine große
Kartoffelreibe, aber ohne Zacken“) und Bügeln mit
einem kiloschweren gusseisernen Plätteisen war – all
das erfahren die Schüler an diesem Vormittag. Auch
die Entbehrungen der Nachkriegsjahre kommen zur
Sprache: „Pommes kannte niemand. Auf den Tisch kam,
was der Garten je nach Jahreszeit gerade hergab, wie
Kartoffeln, Kohl, Kohlrabi oder Bohnen. Nudeln oder
Reis waren ein seltener Luxus.“
Eine ferne, vergangene Welt
Schüler interviewen Senioren
Die entbehrungsreiche Kriegs- und Nachkriegszeit wird
in den Erzählungen greifbar: „Saft gab es ganz selten, Limonade war unerschwinglich. Wir haben meist
Wasser getrunken, Milch wurde verdünnt. Schokolade
bekamen wir als Sonderzuwendung zu Weihnachten,
ansonsten war sie wie Kakao ein Luxusartikel.“ Einige
Tische weiter erläutert eine Seniorin den Kindern gerade, wie mit einer Handpumpe im Garten Wasser für
den Badetag gezapft, im Haus erwärmt und dann in
die Zinkwanne zum Baden gefüllt wurde. „Alle Kinder
wurden nacheinander gebadet. Als Jüngste hatte ich
Glück, ich durfte zuerst in die Wanne“, erinnert sie
sich schmunzelnd. Die Lebenswelt der vierziger und
fünfziger Jahre ist für heutige Schulkinder weit weg,
was in den Fragen manchmal durchscheint: „Hatten Sie
eine Spielekonsole?“ – „Nein, die meisten Leute hatten
Entstanden ist das Projekt „Jung und Alt gemeinsam“
auf Initiative von Klassenlehrerin Dorothee MüllerBrückner und Wolfgang Stender, der als pensionierter
Lehrer ehrenamtlich zweimal wöchentlich im Unterricht
mitarbeitet. „Ich habe in meiner aktiven Zeit als Lehrer
schon erfolgreich mit der Seniorenwerkstatt zusammengearbeitet.“ Die Kinder erzählen begeistert von ihren
Besuchen in der Egestorff-Stiftung und dem gemeinsamen Gärtnern mit den Senioren, das in dieser Saison
fortgesetzt werden soll. „Die Senioren sind bei uns
jederzeit willkommen, auch für Spontanbesuche im
Unterricht“, berichtet Dorothee Müller-Brückner. „Für die
Kinder ist es hochinteressant, Schule gestern und heute
vergleichen zu können. Alle kennen sich mittlerweile
mit Namen und kommen ohne Anlaufschwierigkeiten
ins Gespräch“, erzählt die Lehrerin. „Die Schüler profitieren vom großen Schatz an Lebenserfahrung der
Älteren“, ergänzt Wolfgang Stender.
Für heute haben die Schüler Fragen vorbereitet, die sie
den Gästen stellen wollen: „Wie war das früher mit der
Hygiene, als es noch nicht überall fließendes Wasser
gab? Und welche Haushaltsgeräte hatte man? Was
haben Sie in der Freizeit nach dem Lernen für die Schule
gemacht?“ Der Fragenkatalog ist lang, mit Stift und Block
ausgerüstet, verteilen sich die Kinder im Klassenraum und
interviewen die Senioren. Schon kurze Zeit später füllt
ein Stimmengewirr den Raum: „Zinkwanne“, „Badetag“,
„wenig Spielzeug, das man sorgfältig behandelte“,
„Kernseife, die nicht geduftet hat“, „Waschbrett“, „nur
wenige hatten einen Fernseher“. Frau Mischke erzählt
Cecilya vom Hinkelkästchen-Spiel, ihrer Katze Pinka,
und dass sie ganz viel draußen gespielt hat. „Fernsehen
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bremer kirchenzeitung April 2014 · www.kirche-bremen.de
Auch Spontanbesuche in der Klasse
Kreativität wird großgeschrieben
Auch in den Räumen der Seniorenwerkstatt im Park
der Egestorff-Stiftung ist täglich Programm: Immer
dienstags trifft sich beispielsweise die Malgruppe, die
von der Künstlerin Ulrike Schulte professionell beraten
wird. Die Künstlerinnen und Künstler sind zwischen 53
und 91 Jahre alt und schätzen vor allem eines: „Wir
bekommen hier eine gute Anleitung und hilfreiche Tipps,
ohne dass dies zu Lasten der Individualität geht“, sagt
Hanna Winterberg, eine der Teilnehmerinnen. Die
Bandbreite der Techniken ist breit: Öl, Acryl, Pastellkreide
– jeder bringt das gewünschte Material mit. „Wir
malen nach Fotovorlagen, in der wärmeren Jahreszeit
gehen wir in den Park raus. Der Spaß steht bei uns im
Vordergrund, wir arbeiten ohne Zeitdruck und geben
uns gegenseitig Anregungen. Man lernt bei jedem
Pinselstrich etwas Neues“, sind sich die Teilnehmer einig.
Ihre aktuellen Arbeiten sind in der gerade eröffneten
Ausstellung „Kammerspiele“ im Café der EgestorffStiftung zu sehen.
Töpfern, werken und Spaß haben
Daneben gibt es eine Töpfergruppe, die kürzlich ein
großes Arche Noah-Wandrelief gestaltete, das die Wand
im Eingangsflur des Stiftungsgebäudes schmückt.
„Monatlich trifft sich auch eine Ölmaler-Gruppe bei uns“,
erzählt die Leiterin der Seniorenwerkstatt, Veronika
Wehr. Auch die mit allen nötigen Werkzeugen ausgestatteten Werkstätten für Holz- und Metallarbeiten
laden zum kreativen Werken ein – telefonische
Anmeldung genügt. „Neue Ideen und Gesichter sind
bei uns willkommen, wobei wir keine Altersbegrenzung
nach unten haben“, betont Wehr. Alle Angebote sind
sowohl für Bewohner der Wohnangebote der Stiftung
wie auch für externe Gästen offen. „Vieles planen und
organisieren die Besucher der Werkstatt selber.“ So
ist die wöchentliche Klönschnack-Runde nicht nur ein
netter Rahmen zum Kaffeetrinken und für Gespräche.
„Wir basteln, feiern gemeinsam Geburtstage oder
Fasching, organisieren Grillabende und Matjesessen.
Kürzlich waren wir mit einer Gruppe auf politischer
Studienreise in Berlin.“ Gemeinsame Radtouren,
bei denen Nicht-Radfahrer per Taxitransfer ans Ziel
kommen, Museumsbesuche etwa im Schulmuseum
standen ebenfalls schon auf dem Programm. Die
Seniorenwerkstatt arbeitet nicht nur generationenübergreifend sondern auch mit vielen Partnern im
Stadtteil zusammen. „Bei einem Graffiti-Projekt mit
Jugendlichen haben wir die Wand eines Supermarktes
hier im Kiez gemeinsam verschönert.“
Offen für neue Ideen und Gesichter
Beim Projekt „Alt und Jung“, das 2013 den Förderpreis
des Bremer Stahlkonzerns ArcelorMittal gewann, sind
weitere Unterstützer ebenfalls herzlich willkommen.
„Der Schulgarten geht in die zweite Saison, und
wir werden unseren Außen-Holzbackofen auch dieses
Jahr mit den Kindern nutzen“, zählt die Leiterin der
Seniorenwerkstatt auf. „Wir freuen uns besonders
über kräftige Männer, die uns beim Beheizen des
großen Ofens unterstützen.“ Denn ab 25. April findet
an jedem letzten Freitag im Monat ab 14 Uhr ein
gemeinsames Butterkuchen-Backen statt. Senioren,
die Lust am Vorlesen haben, können sich in einem
Vorleseprojekt in Kooperation mit der Kita in der
Engadiner Straße engagieren. „Bei allen Aktivitäten
sind neue Teilnehmende willkommen, es gibt keine
festen, regelmäßigen Teilnahmeverpflichtungen.“
Geplant ist zudem der Aufbau einer Musikgruppe.
„Dafür suchen wir noch jemanden, der uns ein spielbares Klavier spendet.“ Reinschnuppern erwünscht,
Spaß und Gemeinschaft sind garantiert!
Text/Fotos: Matthias Dembski
Seniorenwerkstatt
der Egestorff-Stiftung
Kontakt: Veronika Wehr
Stiftungsweg 2, Bremen-Osterholz
Telefon 0421/42 72 114
[email protected]
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