AR 21/2015, Druckversion

Transcription

AR 21/2015, Druckversion
AR ARBEITGEBERRUNDSCHREIBEN
Aus Politik, Recht und Praxis für das
Personalwesen der Versicherungswirtschaft
AKTUELLES GESETZGEBUNG EU-RICHTLINIEN/VERORDNUNGEN RECHTSPRECHUNG EU-INSTITUTIONEN
AUSGABE 21/2015
17.07.2015
AKTUELLES
Tarifeinheitsgesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht
..........................................
3
Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet .............................................................
4
GESETZGEBUNG
EU-RICHTLINIEN/VERORDNUNGEN
Konsolidierung der EU-Richtlinien zur Unterrichtung und Anhörung der
Arbeitnehmer .............................................................................................................. 5
CSR-Richtlinie – Umsetzung in deutsches Recht
.....................................................
6
.............................................................
9
RECHTSPRECHUNG
Betriebsratsschulung zum Thema Mobbing
EU-INSTITUTIONEN
Europäischer Sozialer Dialog: Einrichtung von zwei neuen Themengruppen
Europäische Plattform gegen Schwarzarbeit
.......... 11
............................................................ 12
Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
................ 14
Impressum
Arbeitgeberverband der
Versicherungsunternehmen
in Deutschland e. V.
Arabellastraße 29
81925 München
Telefon +49 89 92 20 01-0
E-Mail [email protected]
Internet www.agv-vers.de
Registergericht Vereinsregister des Amtsgerichts München
Register Nr.
VR 11518
Verantwortlich Dr. Sebastian Hopfner
A K T UAKTUELLES
ELLES
AR 21/2015 | 17.07.2015
AR 21/2015 | 17.07.2015
Tarifeinheitsgesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht
Am 9. Juli 2015 wurde das Tarifeinheitsgesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Es ist seit 10.
Juli 2015 in Kraft.
Über die „Zustimmung“ des Bundesrates zum Tarifeinheitsgesetz berichteten wir zuletzt mit Arbeitgeber-Rundschreiben 17/2015 vom 22. Mai 2015. Im Anhang können
Sie nunmehr das Tarifeinheitsgesetz, wie es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, abrufen.
Die Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) um § 4a TVG sichert künftig die Ordnungs- und Befriedungsfunktion des Tarifvertragssystems im Kollisionsfall. Keine Gewerkschaft wird dadurch aus der Tarifautonomie gedrängt oder verliert ihre Tariffähigkeit. § 4a Abs. 2 TVG flankiert vielmehr die Rechtsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Auf identische Personengruppen im Betrieb können keine unterschiedlichen Tarifvertragssysteme Anwendung finden. Es wird
sich damit derjenige Tarifvertrag durchsetzen, an den die Mehrheit der Beschäftigten
normativ gebunden ist.
Diese grundrechtsschonende Ausgestaltung der Tarifautonomie begründet die Verfassungsmäßigkeit des Tarifeinheitsgesetzes.
Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der Tarifeinheit nach § 4a Abs. 2 TVG wird darüber hinaus durch das „Nachzeichnungsrecht“ in § 4a Abs. 4 TVG sowie durch das
„Vortragsrecht“ einer Gewerkschaft und die Anzeigeobliegenheit des Arbeitgebers in
§ 4a Abs. 5 TVG gewährleistet.
(Anhang ist elektronisch im Mitgliederbereich hinterlegt)
Verena Richter
Rechtsanwältin
Referentin
Telefon +49 (89) 92 20 01-46
E-Mail [email protected]
3
G E S EGESETZGEBUNG
TZGEBUNG
AR 21/2015 | 17.07.2015
AR 21/2015 | 17.07.2015
Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet
Bundestag verabschiedet das Bürokratieentlastungsgesetz in zweiter und dritter Lesung. Bundesrat
stimmt zu.
Nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz, BT-Drs. 18/4948) im Bundestag hat der Ausschuss für Wirtschaft und Energie den
Gesetzentwurf am 17. Juni 2015 beraten. Gegenstand der Beratung war auch ein Antrag der Fraktion Die Grünen (BT-Drs. 18/4693). Der Bundestag ist der Empfehlung des
Ausschusses nunmehr gefolgt und hat in zweiter und dritter Lesung das Bürokratieentlastungsgesetz am 2. Juli 2015 verabschiedet. Der Bundesrat hat bereits zugestimmt.
In Bezug auf die Einzelheiten des Gesetzesinhalts verweisen wir Sie auf unsere Arbeitgeber-Rundschreiben 10/2015 vom 10. April 2015, 13/2015vom 13. Mai 2015 sowie
16/2015 vom 11. Juni 2015. Im Übrigen möchten noch einmal explizit auf den Grundsatz „One in, one out“ hinweisen, wonach zusätzliche Bürokratie durch den Wegfall
bestehender Bürokratie kompensiert werden muss. Dieser wird in der Zielsetzung des
Gesetzes nunmehr ausdrücklich genannt und gilt für alle Belastungen ab 1. Juli 2015.
Er ist damit auf alle Vorhaben anwendbar, die ab diesem Zeitpunkt vom Kabinett beschlossen wurden bzw. werden.
Gem. Art. 18 des Bürokratieentlastungsgesetzes treten die Änderungen im Einkommensteuergesetz (Artikel 5), Energiewirtschaftsgesetz (Artikel 15) und in der Gasnetzzugangsverordnung (Artikel 16) sowie in der Gasnetzentgeltverordnung (Artikel 17) am
Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft. Die übrigen Änderungen treten am
1. Januar 2016 in Kraft.
Bewertung
Sowohl der Grundsatz „One in, one out“ als auch die Reduzierung der Pflichten für
Unternehmen im Steuer- und Handelsrecht sind als positiv zu werten.
Der nächste wichtige Schritt wird nun die vollständige Umsetzung der Ankündigungen
des Eckpunktepapiers vom 11. Dezember 2014 sein. Das gilt für einheitliche Schwellenwerte im Datenschutzrecht, die Standardisierung der Arbeitsentgeltbescheinigungen, die Erhöhung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung geringwertiger
Wirtschaftsgüter sowie eine Verkürzung der Aufbewahrungspflicht.
Verena Richter
Rechtsanwältin
Referentin
4
Telefon +49 (89) 92 20 01-46
E-Mail [email protected]
E U - R IEU-RICHTLINIEN/VERORDNUNGEN
CHTLINIEN/
AR 21/2015 | 17.07.2015
VERORDNUNGEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Konsolidierung der EU-Richtlinien zur Unterrichtung und Anhörung der
Arbeitnehmer
Wirtschaftsvertreter lehnen Zusammenlegung oder gar Neufassung der drei EU-Richtlinien als nicht
sachgerecht und potenziell schädlich ab.
Die EU-Kommission hatte in ihrem Arbeitsprogramm für das Jahr 2015 die Konsolidierung der EU-Richtlinien zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer – der Richtlinien über Massenentlassungen (98/59/EG), über den Betriebsübergang (2001/23/EG)
und zum allgemeinen Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer
(2002/14/EG) – unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer Konsultation der Sozialpartner angekündigt.
Zur ersten Phase der Anhörung der Sozialpartner hatte sie dann im April 2015 ein
die Konsolidierung der EU-Richtlinien betreffendes Anhörungsdokument vorgelegt. Danach möchte sie von den europäischen Sozialpartnern wissen, ob sie eine Initiative zur
Überarbeitung oder Neufassung der drei Richtlinien ergreifen soll und ob die Einleitung
eines Sozialen Dialogs befürwortet wird.
Eine Konsolidierung der drei EU-Richtlinien wird von der deutschen wie der europäischen Wirtschaft ebenso wie die Einleitung eines Sozialen Dialogs entschieden abgelehnt. Das Vorhaben trage zum einen nicht zu der mit der REFIT-Initiative angestrebten
Rechtsvereinfachung auf europäischer Ebene bei und führe angesichts der Ungewissheit, wie Gerichte auf einen neuen Rechtsrahmen reagierten, zu mehr Rechtsunsicherheit. Zum anderen seien erhebliche, in der Sache nicht gerechtfertigte Verschärfungen
zu befürchten.
Die Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
(Anhang A) sowie von BUSINESSEUROPE (Anhang B) gehen auf die Unwägbarkeiten des Konsolidierungsbestrebens im Einzelnen ein. Zusätzlich haben zehn europäische Branchenverbände, darunter auch Insurance Europe unter dem Vorsitz des stellvertretenden Hauptgeschäftsführers des AGV, Dr. Sebastian Hopfner, mit BUSINESSEUROPE in einem Brief (Anhang C) an den Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans, den Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis und die Kommissarin
Marianne Thyssen ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Vorhaben begründet.
(Anhänge sind elektronisch im Mitgliederbereich hinterlegt)
Kerstin Römelt
Rechtsanwältin
Referentin
Telefon +49 (89) 92 20 01-19
E-Mail [email protected]
5
EU-RICHTLINIEN/
VERORDNUNGEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
CSR-Richtlinie – Umsetzung in deutsches Recht
Spitzenverbände nehmen Stellung zum Konzept des BMJV.
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hatte im
April 2015 ein Konzept zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/95/EU zur Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen in deutsches Recht vorgelegt.
Dazu haben die vier Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft – die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) – jetzt Stellung genommen.
Im Rahmen ihrer Stellungnahme betonen sie die Tradition deutscher Unternehmen,
gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich über das gesetzliche Maß
hinaus zu engagieren und damit den gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf Corporate Social Responsibility (CSR) schon seit langem zu entsprechen. Dies gelte nicht
nur für kapitalmarktorientierte und größere Unternehmen. Vielmehr zeige sich auch bei
mittelständischen und kleinen Unternehmen großes Engagement in diesem Bereich.
Dabei wachse die Zahl der Unternehmen, die CSR- und Nachhaltigkeitsstrategien in ihr
Kerngeschäft integrieren, ebenso wie die derjenigen, die eigene Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln, ständig.
Auch wenn für viele Unternehmen das Engagement so selbstverständlich sei, dass
darüber gar nicht berichtet werde, sei in der deutschen Wirtschaft insgesamt bereits
jetzt eine CSR-Berichterstattung verbreitet. Die Wege, die Unternehmen nutzten, um
ihr CSR-Engagement nach innen und außen zu kommunizieren, seien dabei sehr unterschiedlich – von der formlosen Weitergabe der Informationen insbesondere im Bereich
der klein- und mittelständischen Unternehmen über die Beantwortung gezielter Fragen, durch ergänzende freiwillige Angaben auf Verpackungen, über Homepages oder
in der direkten Kommunikation bis hin zu Workshop-Angeboten, Presseinformationen
oder schließlich CSR-Webseiten. Hingewiesen wird in dem Zusammenhang auf die
Vielzahl der die Unternehmen bereits jetzt treffenden zeitlich und wirtschaftlich belastenden Informations- und Nachweispflichten.
Vor diesem Hintergrund und im Lichte des im Koalitionsvertrag von der Bundesregierung erklärten und im Kabinettsbeschluss vom 11. Dezember 2014 vom Bundeskabinett
bekräftigten Willen, Bürokratie abzubauen und die CSR-Richtlinie im deutschen Recht
mittelstandfreundlich ausgestalten zu wollen, regen die Spitzenverbände eine 1:1-Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie in deutsches Recht an, und zwar unter Nutzung der Spielräume zur Konkretisierung und Entlastung der Unternehmen.
Im Einzelnen sprechen sich die Spitzenverbände deshalb gegen eine Ausdehnung des
Anwendungsbereichs der europäischen CSR-Berichtspflichten auch auf kleine Unternehmen aus. Dies widerspreche insbesondere auch den Vorstellungen der EU-Parlamentarier, zum einen darüber, dass CSR grundsätzlich freiwillig sei, zum anderen darüber, dass übermäßiger Verwaltungsaufwand zu vermeiden sei. Unterstützt wird der
6
EU-RICHTLINIEN/
VERORDNUNGEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Ansatz des BMJV, die Berichterstattung auf die Kernbestandteile der Nachhaltigkeitsaktivitäten der Unternehmen zu beschränken. Abgelehnt wird eine über die für die Geschäftsentwicklung relevanten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren hinausgehende
Berichtspflicht durch Aufnahme einer (zusätzlichen) Berichtspflicht über „Kundenbelange“ und über Angaben zum Kundendatenschutz in die Berichterstattung über nichtfinanzielle Aspekte. Angesichts der Bedeutung der Kundenbeziehung für jedes Unternehmen sei eine weitere Regulierung auch nicht erforderlich.
Die Spitzenverbände fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, die mittelbaren
Berichtspflichten, insbesondere zu den Geschäftsbeziehungen, europarechtlich so weit
wie möglich zu beschränken und klarzustellen, dass es als unzumutbar angesehen
wird, über die erste Zulieferstufe hinaus und über jeden Zulieferbetrieb zu berichten.
Aufzunehmen sei dagegen ein Recht der Unternehmen, Informationen dann wegzulassen, wenn eine Veröffentlichung der Geschäftslage des Unternehmens ernsthaft
schaden würde. Ein neuer Standard der Berichterstattung sollte nicht kreiert werden.
Maßgebend sollten die auf europäischer Ebene noch zu verabschiedenden, nicht verbindlichen Leitlinien sein.
Nach Auffassung der Spitzenverbände ist es richtig, dass die Bundesregierung nicht
anstrebt, ein bestimmtes Rahmenwerk für die Berichterstattung vorzugeben.
Betont wird die Notwendigkeit, dass sich die durch die CSR-Richtlinie erweiterte Berichtspflicht über nichtfinanzielle Aspekte auf die Darstellung der für die Geschäftsentwicklung entscheidenden nichtfinanziellen Aspekte konzentrieren und damit dem Prinzip der Wesentlichkeit zu folgen hat.
Die Spitzenverbände halten es für sinnvoll, wenn die Unternehmen in der Umsetzung
der Berichtspflichten von der Bundesregierung über das bisherige Maß hinaus unterstützt werden und ihnen in Form von best practice Orientierung gegeben wird. Sie begrüßen die Absicht des BMJV, Ausnahmen und Spielräume nutzen zu wollen, um Doppelberichtspflichten zu vermeiden und die Berichterstattung auf die Ebene des Mutterunternehmens zu fokussieren und Tochterunternehmen freizustellen, und regen an,
bestimmte Tochter- oder Gemeinschaftsunternehmen in der Berichterstattung unberücksichtigt zu lassen.
Sie halten es für richtig, wenn Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt wird, einen
gesonderten nichtfinanziellen Bericht zu erstellen, der auch auf der Internetseite des
Unternehmens veröffentlicht werden kann.
Die Spitzenverbände betonen, dass die Vorgaben in der CSR-Berichterstattungsrichtlinie zur Diversität, 1:1 umzusetzen und nicht auszuweiten sind. Dabei sollten Doppelberichtspflichten im Zusammenhang mit dem Gesetz für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen vermieden werden.
Eine Kausalität zwischen einem durch Vielfalt geprägten Leistungsgremium und einer
erfolgreichen Unternehmensführung ist nach der Ansicht der Spitzenverbände kaum
nachweisbar.
Unter Verweis auf die EU-Vorgabe, wonach der Abschlussprüfer das Vorliegen der Angaben (nur) zu bestätigen hat, kann keine weitergehende Pflicht zur inhaltlichen Prüfung der nichtfinanziellen Aspekte geschaffen werden.
7
EU-RICHTLINIEN/
VERORDNUNGEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Die Stellungnahme finden Sie im Anhang.
(Anhang ist elektronisch im Mitgliederbereich hinterlegt)
Kerstin Römelt
Rechtsanwältin
Referentin
8
Telefon +49 (89) 92 20 01-19
E-Mail [email protected]
R E C HRECHTSPRECHUNG
TSPRECHUNG
AR 21/2015 | 17.07.2015
AR 21/2015 | 17.07.2015
Betriebsratsschulung zum Thema Mobbing
Der Betriebsrat darf eine Schulung zum Thema Mobbing für erforderlich halten, wenn im Betrieb
Konfliktlagen bestehen, aus denen sich Mobbing entwickeln kann.
Sachverhalt
Im November 2011 hatte der 11-köpfige Betriebsrat den Beschluss gefasst, dass der
stellvertretende Betriebsratsvorsitzende am Seminar „Mobbing Teil 1 – So erkennen
und verhindern Sie Diskriminierung am Arbeitsplatz“ teilnimmt. Das Seminar beschäftigte sich mit Fragen des Begriffs, der Ursachen, des Verlaufs und rechtliche Aspekte des Mobbings sowie mit Handlungsmöglichkeiten für den Betriebsrat und für betroffene Arbeitnehmer. Obwohl die Arbeitgeberin die Kostenübernahme verweigerte,
besuchte das Betriebsratsmitglied das Seminar und verlangte sodann die Freistellung
von den entstandenen Kosten. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Teilnahme
an der Schulung erforderlich gewesen sei, da es in der Vergangenheit Konfliktfälle im
Unternehmen gegeben habe, die Anlass geboten hätten, sich mit dem Thema Mobbing vertieft auseinanderzusetzen. Anlass sei u.a. der Fall des Mitarbeiters G gewesen,
eines „ausgeheilten“ Alkoholikers. Als dieser nach krankheitsbedingter Abwesenheit
wieder zur Arbeit erschienen sei, habe ein Kollege ihn wiederholt angerempelt, abschätzig behandelt und geäußert: „Wir kennen ja dein Problemchen“. Gegenüber anderen Beschäftigten habe dieser Kollege Herrn G verunglimpft. Die Arbeitgeberin bestritt
die Erforderlichkeit der im Mobbingseminar vermittelten Spezialkenntnisse.
Entscheidungsgründe
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Beschluss vom 14.1.2015 – 7 ABR 9 /12 –
festgestellt, dass der Betriebsrat die Schulungsteilnahme im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums für erforderlich halten durfte und der Arbeitgeber daher die Kosten der Seminarteilnahme zu erstatten hatte. Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG ist die Vermittlung von Kenntnissen erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung
der konkreten Verhältnisse in Betrieb und Betriebsrat notwendig sind, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann. Grundsätzlich könnten Kenntnisse zum Thema Mobbing für die
Arbeit des Betriebsrats erforderlich sein, wenn sich der Betriebsrat aufgrund der konkreten Verhältnisse im Betrieb veranlasst sehen dürfte, sich mit diesem Thema zu befassen. Hierzu reiche es schon aus, wenn der Betriebsrat Konflikte darlegen könne,
die als Vorstufen eines etwaigen Mobbingverhaltens anzusehen seien. Einschränkend
stellte das BAG klar, dass rein vergangenheitsbezogene abgeschlossene Sachverhalte
ebenso wenig genügten, wie die rein theoretische Möglichkeit, dass diese Fragen einmal im Betrieb auftreten könnten. Die vom Betriebsrat geschilderten Zusammenstöße
zwischen Herrn G und seinem Kollegen stellten eine ausreichend konkrete Konfliktsituation dar, da sich aus dieser bei unkontrolliertem Fortgang eine Mobbingsituationen
entwickeln könnte.
9
RECHTSPRECHUNG
AR 21/2015 | 17.07.2015
Bewertung
Dieses Urteil erweitert einmal mehr den Schulungsanspruch des Betriebsrats. Danach
reicht bereits die Darlegung einer einzelnen Konfliktlage aus, um ein Mobbingseminar
für erforderlich halten zu dürfen. Im vorliegenden Fall hatte auch das Bestehen einer
betrieblichen Sozialberatung keinen Einfluss auf die Erforderlichkeit des Seminarbesuchs durch den Betriebsrat. Ebenso wenig musste sich der Betriebsrat auf ein eintägiges Seminar des Integrationsamts verweisen lassen, da dieses inhaltlich mit dem
vom stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden besuchten dreitägigen Schulungstermin nicht vergleichbar war.
Einschränkend sei darauf hingewiesen, dass grundsätzlich Schulungsveranstaltungen
dann als nicht notwendig zu erachten sind, wenn die dort vermittelten Kenntnisse im
Betriebsrat bereits vorhanden sind. Ob mehrere Mitglieder die erforderlichen Kenntnisse besitzen müssen, hängt maßgeblich von der Größe und der personellen Zusammensetzung sowie von der Geschäftsverteilung des Betriebsrats ab.
Dr. Sandra Kreft
Rechtsanwältin · Fachanwältin für Arbeitsrecht
Referentin
10
Telefon +49 (89) 92 20 01-18
E-Mail [email protected]
E U - I NEU-INSTITUTIONEN
STITUTIONEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
AR 21/2015 | 17.07.2015
Europäischer Sozialer Dialog: Einrichtung von zwei neuen Themengruppen
Einrichtung von Themengruppen sollte einen Beitrag zur Reformpartnerschaft leisten.
Die Europäische Kommission hat ein vertrauliches inoffizielles Arbeitsdokument –
„New Start for Social Dialogue“ – vorgelegt (Anhang A) und regt darin die Errichtung
zweier neuer Themengruppen zum branchenübergreifenden horizontalen sozialen Dialog an.
Danach soll die erste Themengruppe die Funktionsweise und Effizienz des Sozialen
Dialogs anhand von Indikatoren messen und bewerten. Außerdem soll die Beteiligung
der Sozialpartner am Europäischen Semester und an der Bewertung, Erstellung, Zustimmung und Implementierung von Reformen und Grundsätzen gestärkt werden.
Die zweite Themengruppe soll die Sozialpartner verbessert an der politischen Entscheidungsbildung beteiligen und das Verhältnis zwischen den Sozialpartnervereinbarungen und der sogenannten „Better regulation agenda“ (Agenda zur Vereinfachung
und Verbesserung der Richtlinien[-vorschläge]) klären.
Bewertung
Der mit der ersten Themengruppe verbundene Vorschlag, Indikatoren zur Messung
der Funktionsweise und Effizienz des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene herauszuarbeiten, untergräbt zum einen die Autonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene
und übersieht zum anderen, dass der Soziale Dialog nicht anhand von Indikatoren bewertet werden kann, da angemessene one-size-fits-all Indikatoren für die einzelnen
nationalen Ebenen nicht gefunden werden können.
Der Europäische Arbeitgeberdachverband BUSINESSEUROPE hat den Vorschlag daher gegenüber der EU-Kommission mit Schreiben vom 29. Juni 2015 (Anhang B) abgelehnt.
(Anhänge sind elektronisch im Mitgliederbereich hinterlegt)
Kerstin Römelt
Rechtsanwältin
Referentin
Telefon +49 (89) 92 20 01-19
E-Mail [email protected]
11
EU-INSTITUTIONEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Europäische Plattform gegen Schwarzarbeit
Beschäftigungsausschuss nimmt Bericht zum Beschlussvorschlag zur Einrichtung einer EU-Plattform gegen Schwarzarbeit an.
Der Europäische Rat hat nach erheblichen Verzögerungen durch über 400 eingereichte
Änderungsanträge die allgemeine Ausrichtung zum Beschlussvorschlag der EU-Kommission zur „Einrichtung einer Europäischen Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Prävention und Abschreckung von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit“
beschlossen. Nach Annahme dieses Berichts durch den zuständigen Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments (Anhang) kann er jetzt der Kommission vorgelegt werden.
Es ergeben sich folgende relevante Änderungen im konsolidierten Bericht:
| Positiv hervorzuheben ist die stärkere Betonung der Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern. Negativ zu bewerten ist dagegen die vorgesehene Berufung von vier
Sozialpartnervertretern auf EU-Ebene als Mitglieder der Plattform sowie die Einrichtung von 14 Beobachterposten für von Schwarzarbeit stark betroffene Branchen. Da
zum einen eine Differenzierung zwischen den Sozialpartnern nicht angebracht ist,
zum anderen die Bekämpfung der Schwarzarbeit in den Aufgabenbereich der Mitgliedstaaten fällt, wird sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in den weiteren Verhandlungen gemeinsam mit BUSINESSEUROPE
für einen Beobachterstatus für alle Sozialpartner einsetzen.
| Zu befürchten sind angesichts der Streichung der Unverbindlichkeit möglicher Instrumente der Plattform, z.B. Leitlinien für Inspektoren, überdies übergreifende europaweite sogenannte „one-size-fits-all“-Regelungen, auch wenn weiterhin die vorwiegende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten betont wird.
| Abzulehnen sind außerdem die neuen erweiterten Beteiligungsrechte der Plattform
im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit bei den länderspezifischen Empfehlungen sowie im Bereich des Sozialschutzes.
| Neu sind schließlich die Einführung eines Ko-Vorsitzes für die Sitzungen der Plattform, bestehend aus dem Vertreter der EU-Kommission und einem gewählten Vertreter der Mitgliedstaaten, sowie die Vorgabe eines jährlichen und mehrjährigen Arbeitsprogramms.
Die nun folgenden Trilog-Verhandlungen zwischen dem Rat, der EU-Kommission und
dem vom Beschäftigungsausschuss mit dem Mandat zu Verhandlungen ausgestatte-
12
EU-INSTITUTIONEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
ten Berichterstatter Georgi Pirinski haben am 16. Juni 2015 begonnen und sollen bis
Jahresende abgeschlossen sein.
(Anhang ist elektronisch im Mitgliederbereich hinterlegt)
Kerstin Römelt
Rechtsanwältin
Referentin
Telefon +49 (89) 92 20 01-19
E-Mail [email protected]
13
EU-INSTITUTIONEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
Ergebnisse der Sitzung vom 18./19. Juni 2015
Im Mittelpunkt der jüngsten Tagung des Rats für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz standen
| die von der Europäischen Kommission im Mai beschlossenen und von den Staatsund Regierungschefs am 26. Juni gebilligten länderspezifischen Empfehlungen zur
Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten für die Jahre 2015 und 2016,
| die Straffung des Europäischen Semesters,
| der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs zur EU-Jugendgarantie sowie
eine Bestandsaufnahme der Europäischen Kommission zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit,
| der Abbau des geschlechtsspezifischen Rentengefälles und
| die Fortschrittsberichte zu den Richtlinienvorschlägen, einerseits zu Frauen in Führungspositionen sowie andererseits zur Ausweitung der Antidiskriminierungsrichtlinie.
Die Debatte der beschäftigungs- und sozialpolitischen Maßnahmen in den länderspezifischen Empfehlungen verdeutlichte, dass erst deren Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten zum angestrebten Erfolg führt. So seien zwar beispielsweise Fortschritte bei den Beschäftigungsaussichten festzustellen, eine Fortsetzung des Trends
zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen erfordere jedoch Reformen auf nationaler Ebene.
Begrüßt wurden die Änderungen, die die Europäische Kommission am Verfahren des
Europäischen Semesters, dem Kalender für die wirtschaftspolitische Koordinierung
auf EU-Ebene, vornahm, insbesondere der verbesserte zeitliche Ablauf und die bessere Einbindung der Sozialpartner in die Beratungen zu den länderspezifischen Empfehlungen.
Inhaltlich stellten die Minister eine Reihe von Herausforderungen und Risiken, insbesondere in den Punkten Armut, Ungleichheit, sozialer Zusammenhalt, soziale Inklusion, heraus.
Angenommen wurden darüber hinaus die Schlussfolgerungen zum Sonderbericht
des Europäischen Rechnungshofes zur EU-Jugendgarantie, in dem Kritik an deren
Umsetzung geübt wird. Danach sei fraglich, ob die aus dem EU-Haushalt bereitgestellten Mittel ausreichen würden, um das mit der Jugendgarantie angestrebte Ziel,
arbeitslosen Jugendlichen oder Schulabgängern bei der Suche nach einem „qualitativ
hochwertigen“ Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu helfen, zu erreichen. Offen sei, welche Arbeitsstelle als „hochwertig“ angesehen werden könne. In Frage gestellt wurde außerdem die Dokumentation und Überwachung der EU-Jugendgarantie durch die
Europäische Kommission.
14
EU-INSTITUTIONEN
AR 21/2015 | 17.07.2015
Vorgelegt wurde zudem eine Bestandsaufnahme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, in der die rasche Genehmigung der Vorfinanzierung der Jugendbeschäftigungsinitiative durch den Rat und das Europäische Parlament hervorgehoben wurde.
Angenommen wurden schließlich auch die Schlussfolgerungen zum Abbau des geschlechtsspezifischen Rentengefälles, das sich 2014 im EU-Durchschnitt auf 38,5 Prozent belief. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, die der jeweiligen nationalen Situation angepassten erforderlichen Maßnahmen hierzu zu ergreifen.
Keine Einigung konnte zu dem umstrittenen Richtlinienvorschlag zur Erhöhung des
Frauenanteils in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen auf 40 Prozent erzielt
werden. Ebenso ergebnislos blieb die Debatte über eine Ausweitung der Antidiskriminierungsrichtlinien.
Kerstin Römelt
Rechtsanwältin
Referentin
Telefon +49 (89) 92 20 01-19
E-Mail [email protected]
15