lesenswerte Reportage zur "Apotheke auf Helgoland"

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lesenswerte Reportage zur "Apotheke auf Helgoland"
Apotheke auf Helgoland
Herausforderung Insel-Apotheke
Von Christiane Berg, Helgoland / Die Insel-Apotheke auf Helgoland ist 365 Tage im Jahr rund um die
Uhr dienstbereit. In Notfällen holen die Insulaner ihren Apotheker auch schon mal aus der Chorprobe.
Inseltauglichkeit ist eine Grundvoraussetzung für diesen Job. Die PZ sprach mit dem ehemaligen
Apothekenleiter und seinen Nachfolgern über die besonderen Herausforderungen der
Arzneimittelversorgung mitten im Meer.
Ohne das Apothekennotdienst- Sicherstellungsgesetz (ANSG) und die Einführung der
Notdienstpauschale hätten die Helgoländer jetzt ein Problem. Sie hätten keine Apotheke mehr. Nach
41 Jahren ist Insel-Apotheker Lutz Neumcke zum 1. April dieses Jahres in den Ruhestand gegangen.
Die Nachfolgeregelung gestaltete sich schwierig. »Ob über Mund-Propaganda oder Chiffre: Wir haben
lange gesucht«, sagte Neumcke im Gespräch mit der PZ. Als einziger Apotheker auf dem circa 60
Meter hohem roten Felsen 54° 11' nördlicher Breite und 7° 53' östlicher Länge in offener See müsse
man nicht nur inseltauglich, sondern auch rund um die Uhr erreichbar sein. »Für die meisten
Festländer ist das nicht vorstellbar.«
Schließlich, so Neumcke, habe sich auf eine
Stellenanzeige die Braunschweiger Apothekerin
Isolde Maiwald-Hase gemeldet. Sie habe eine
Sommer-Saison lang in der Insel-Apotheke
gearbeitet und die 62 Kilometer nordwestlich der
Elbmündung gelegene Nordsee-Insel wie schließlich
auch ihr Mann, ebenfalls Pharmazeut, kennen und
lieben gelernt. Maiwald-Hase und Carsten Hase
haben nach reiflicher Überlegung die Zelte in ihrer
Heimat abgebrochen und die Insel-Apotheke
übernommen. Neumcke: »Hätten wir keinen
Nachfolger gefunden, hätte es nur die Schließung
der Apotheke gegeben«.
Die Hummerbuden prägen das Bild des Hafens
auf dem Unterland.
Fotos: PZ/Berg
Neumcke selbst hat die Liebe zum Insel-ApothekerDasein von seinem Vater geerbt. Als aus Dresden
Zugereister hatte dieser 1962 die LummenApotheke auf dem Helgoländer Unterland
gepachtet. In der väterlichen Apotheke lernte Lutz
Neumcke nach seinem Studium der Pharmazie in
Karlsruhe seine Frau Helga kennen, die damals
bereits in der Lummen-Apotheke als PKA gearbeitet
hat. Gemeinsam zogen sie 1973 mit neuem Namen
in neue Räume aufs Oberland. 365 Tage im Jahr
rund um die Uhr gewährleisteten sie dort über vier
Jahrzehnte die pharmazeutische Betreuung und
Versorgung der Inselbewohner mit Arzneimitteln.
Mit dem Patienten per Du
Man kennt sich auf dem 1,7 Quadratkilometer autofreien Eiland, auf dem »platt« oder »halunder«, das
heißt im Helgoland eigenen Friesisch gesprochen wird. Mit den meisten Kunden und Patienten sind
Neumckes, die direkt über der Apotheke wohnen, per Du. Auch in Zeiten ohne Handy wussten die
Insulaner stets, wo Lutz Neumcke zu finden ist. Im Notfall haben sie ihn auch schon mal aus der
Chorprobe oder vom Abendessen aus dem Restaurant geholt. Als die Töchter klein waren, konnte er
mit der Familie sonnige Nachmittage am Strand der Düne, der Helgoland vorgelagerten Badeinsel,
oder im eigenen Boot schippernd auf dem Wasser verbringen. Neumcke: »Das sind hier ja alles keine
Entfernungen. Bei Bedarf war ich immer in kurzer Zeit zurück«.
Nicht zuletzt um den oftmals gefürchteten Arztbesuch zu umgehen, hätten die Insulaner zunächst
meist ihm ihre Sorgen und Symptome geschildert. Im akuten Krankheitsfall, so Neumcke, hat er diese
häufig selbst zu einer der zwei Allgemeinarzt-Praxen beziehungsweise in die auf Helgoland ansässige
Paracelsus-Klinik gebracht. Das Vertrauensverhältnis sei stets eng
gewesen
Nachschub per Airline
Zwar ist die Paracelsus-Klinik auf die Behandlung neurologischer
Bewegungsstörungen von Parkinson-Patienten spezialisiert. Doch
übernimmt sie im Notfall auch die medizinische und (unfall)chirurgische Betreuung sowohl der Insulaner als auch der Ferien-,
Kur- und Tagesgäste. Die Insel-Apotheke ist für die Versorgung der
Klinik mit Arzneimitteln zuständig. Dreimal in der Woche werden die
Medikamente von den Fahrern des Rettungswagens abgeholt.
Ob Regel- oder Notfall: Während die am Vorabend bestellten
Arzneimittel früher mit dem ersten Schiff vom Festland auf die Insel
gelangten, kommen diese jetzt täglich mit der Airline der
Ostfriesischen-Flug-Dienst GmbH aus Büsum oder Bremerhaven.
Die zweimotorigen Maschinen landen auf der Düne. Zwischen
Hauptinsel und Düne wiederum pendelt eine Fähre. Hier werden die
Medikamente von der Insel-Apotheke übernommen und mit dem für
Helgoland typischen Handkarren aufs Oberland gebracht.
Im Sommer wird der Alltag der Apotheke entscheidend auch von den
Ankunftszeiten der Fähren aus Hamburg oder Cuxhaven geprägt. So
kamen in den früheren Jahren täglich circa 10 000 Touristen. Heute,
da die Anziehungskraft zollfreier Waren nachgelassen hat, sind es
immer noch 2500 pro Tag. Vorbei an den berühmten Hummerbuden
ergießen sich dann Menschenströme über Unter-, Mittel- und
Oberland.
Nach mehr als 40 Jahren ist
Apothekenleiter Lutz Neumcke
in den Ruhestand gegangen,
springt aber, wenn Not am
Mann in der Apotheke ist,
jederzeit ein.
Bei Dünung und Seegang kann es bei der Anreise übers Meer heftig schaukeln. Wer mit dem
Bäderschiff kommt, muss kurz vor der Insel in ein sogenanntes »Börteboot« umsteigen. Auch das
kann schon mal zu quälenden Übelkeitsattacken führen. Viele Tagesgäste decken sich daher
während des Inselrundgangs in der Apotheke nicht nur mit Sonnenschutzcremes, sondern auch mit
Medikamenten gegen Reiseübelkeit ein.
Sonnen- und Lippenschutzcremes hat Neumcke wie einige andere Spezialitäten bis vor wenigen
Jahren noch selbst hergestellt. Überhaupt seien es die Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln
sowie die soziale und menschliche Komponente, sprich die Beratung, Information und
pharmazeutische Betreuung der Patienten gewesen, die ihn gemäß des Vorbildes seines Vaters
bewogen hätten, den Apothekerberuf zu ergreifen.
Im Laufe der Jahre sei die Zeit für diese Berufsinhalte durch rechtliche Auflagen mehr und mehr
beschnitten worden. Zu viel Bürokratie sei der Grund, warum er seinen eigenen Kindern von »der
Apothekerei« abgeraten hat.
Nur vier Monate Saison
Überbordende bürokratische Maßnahmen sind es, die auch seinen Nachfolgern sowohl das
Berufsleben als auch den Gang in die Selbstständigkeit erschweren. »Im Grunde genommen ist ein
solcher Schritt heutzutage unzumutbar. Es ist kein Wunder, dass niedergelassene Ärzte und
Apotheker über Nachwuchsprobleme klagen«, so Hase. Lange hätten er und seine Frau das Für und
Wider erwogen.
»Eine durchschnittliche Apotheke versorgt 4000
Menschen, hier sind es nur 1300. Die Saison ist nur
vier Monate lang«. Zu bedenken war auch, dass die
Apotheke jetzt zwei Approbierten-Gehälter abwerfen
muss. Hase betont, dass sich die Übernahme der
Insel-Apotheke ohne Einführung der
Notdienstpauschale für ihn und seine Frau
betriebswirtschaftlich nicht gerechnet hätte. Sie
hätten den Sprung schließlich dennoch gewagt, da
auf der Insel nicht zuletzt auch für ihr persönliches
Lebensgefühl mit Stille, Natur, Himmel, Weite, Licht
und Meer vieles zusammenkommt.
In der Apotheke will das Ehepaar Hase bis auf
einige organisatorische Abläufe zunächst alles so
belassen, wie es ist. Es sei ihnen wichtig, nach
außen »Konstanz und Kontinuität« zu zeigen.
Daher, so Hase, seien sie auch froh über die
Unterstützung der zwei, den Helgoländern seit Jahr(zehnt)en bekannten PTA, Silke Siemens und
Birga Geuther.
Isolde Maiwald-Hase und Carsten Hase haben
die Insel-Apotheke zu Beginn des Jahres von
Lutz Neumcke übernommen.
Mehr denn je, so Hase, schlage er sich seit Übernahme der Apotheke mit Auflagen, Papieren,
Protokollen und Formularen herum. Insbesondere die Präqualifizierung zur Hilfsmittelversorgung
könne jeden Spaß am Berufsleben vereiteln. Auch die gemäß Apothekenbetriebsordnung
erforderliche Dokumentation sprenge jeden vernunftgemäßen Rahmen. »Reichte für die
Dokumentation der Fertigarzneimittelprüfung zuvor eine Zeile, so muss jetzt eine ganze Seite
ausgefüllt werden. Das sind mal eben 300 Seiten mehr Schreibarbeit im Jahr.«
Überbordende Bürokratie
Da die Medikamentenlieferung wetterbedingt vor allem im Frühjahr und Herbst oftmals ausfällt, muss
die Lagerhaltung der Insel-Apotheke umfangreich sein. Von Haus aus aufwendig wird sie durch die
Rabattverträge noch zusätzlich verkompliziert, so Hase. Auch wenn der Vermerk »Dringend«
beziehungsweise »Rabattarzneimittel zurzeit nicht verfügbar« im gegebenen Fall begründet werden
kann, bedeute die Diskussion mit den Krankenkassen unter Umständen einen erheblichen
Mehraufwand.
Gedanken, so Hase, mache er sich schon heute auch über die Personalfrage. »Geht Birga Geuther im
Herbst in den Ruhestand, so wird es nicht einfach sein, eine neue PTA zu finden, die ebenfalls
dauerhaft auf Helgoland bleiben will. Doch auch da wird sich eine Lösung finden.« Grundsätzlich, so
Hase, hängt die Zukunft der Apotheke auf Helgoland vor allem davon ab, »dass die Bürokratie und
der Dokumentationswahn nicht noch mehr überhandnehmen, dass die Politik in Berlin nicht noch
weitere abenteuerliche beziehungsweise unerfüllbare Vorschriften erlässt und dass die (Notdienst)Vergütung der Apotheker nach sowieso nur langsamer und unzureichender Anpassung in den
nächsten Jahren nicht möglicherweise gar wieder gedeckelt wird«. /