Bäume an der Grenze - Deutschen Akademie für Sachverständige

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Bäume an der Grenze - Deutschen Akademie für Sachverständige
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
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Bäume an der Grenze
IV. Essener Baumtag – Erfahrungsaustausch Rhein-Ruhr-Lippe, 5. November 2013
Dr. Hans-Joachim Schulz, Sachverständiger Düsseldorf/Waldbröl,
Von der Landwirtschaftskammer NRW öffentl. bestellter und vereidigter Sachverständiger u. a. für:
Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, Teilbereiche: Garten- und Landschaftsbau, Herstellung
und Unterhaltung, Wertermittlung von Freianlagen, Gärten, Grünanlagen, Gehölze, Baumpflege,
Verkehrssicherheit von Bäumen, Baumwertermittlung.
Leitung der FLL-Regelwerksausschüsse und –Arbeitskreise:
→ Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Regelkontrollen
→ Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Baumuntersuchungen
→ Richtlinien zur Gehölzwertermittlung
Erwachsenenweiterbildung: Deutsche Akademie Sachverständige für Grün – dasgrün.de,
www.dasgruen.de
Sachverständigenbüro Dr. Hans-Joachim Schulz, Sonnengarten 7, D-51545 Waldbröl,
Tel. +49 (0)2291-90 76 105, [email protected], www.baumwert-methodekoch.de
Inhalt
0
1
1.1
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.2.4
Vorbemerkungen
Grundsätzliches ....................................................................
Rechtliches aus sachverständiger Sicht ........................
Grundsätze zum Verständnis .............................................
Das Herrschaftsrecht des Grundeigentümers .............
Die ökologische Bedeutung der Grünbestände ..........
Die Begrünung von Grundstücken als Wertfaktor ......
Die Bedeutung von Baumschutzregelungen ................
2
2
2
2
3
3
4
2
Grenzabstände ....................................................................... 5
2.1
Abstandsregelungen gelten nur für Gehölze ................ 6
2.1.1 Gehölze ....................................................................................... 6
2.1.1.1 Bäume ......................................................................................... 6
2.1.1.2 Sträucher .................................................................................... 6
2.1.1.3 Hecken ........................................................................................ 7
2.2
Die wichtigsten Abstandsregeln, NachbG NRW ......... 7
2.2.1 Abstände für Wald (§ 40) ..................................................... 7
2.2.2 Abstände für Bäume (§ 41) ................................................. 8
2.2.3 Abstände Sträucher (§ 41) .................................................. 8
2.2.4 Abstände für Obstgehölze (§ 41) ...................................... 8
2.2.5 Abstände für Rebstöcke (§ 41) .......................................... 9
2.2.6 Abstände für Hecken (§ 42) ................................................ 9
2.2.7 Abstände für Baumschulflächen (§ 44) .......................... 9
2.2.8 Ausnahmen (§ 45) ..................................................................10
2.2.9 Ausschluss des Beseitigungsanspruchs (§ 47)...........10
2.2.10 Nachträgliche Grenzänderungen (§ 48) .........................10
3
Überhang durch Bäume in Grenznähe ......................11
3.1
§ 910 BGB Überhang ............................................................11
3.1.1 Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung ..........11
3.1.2 Keine Beeinträchtigungen der G-Nutzung ....................12
3.1.3 Kostenerstattung .....................................................................13
3.1.4 Schadensmitverursachung ..................................................14
3.1.5 Zur Schadensberechnung bei rechtswidrig
abgeschnittenen Wurzeln und Zweigen ..........................14
3.2
Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis .................................. 15
3.2.1 Was für das nachbarrechtliche
Gemeinschaftsverhältnis gilt ......................................................... 15
3.2.2 Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis
ist kein Schuldverhältnis ................................................................. 16
3.2.3 Beispielfall ............................................................................................ 16
4
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
4.1.5
4.1.6
4.1.7
Beeinträchtigungen durch Bäume vom Nachbarn........ 18
4.1.11
4.1.12
4.1.13
4.1.14
Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (LEMKE) .............. 19
Anspruchsvoraussetzungen.......................................................... 19
Einwirkung ........................................................................................... 20
Wesentliche Beeinträchtigung der G-Benutzung ................. 20
Ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks...21
Unverhinderbarkeit der Beeinträchtigung ................................ 21
Ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks ........ 22
Unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung oder
des Ertrags des betroffenen Grundstücks............................... 22
Anspruchsberechtigter und Anspruchsverpflichteter .......... 22
Anspruchsinhalt ................................................................................. 22
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch
analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ................................................ 23
Störer ..................................................................................................... 23
Naturbedingte Schadensfälle ....................................................... 24
BGH 2004, 1037 und BGH V ZR 99/03 ................................... 25
Fazit ........................................................................................................ 26
5
5.1
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
Baum (Strauch) als Grenzbaum .............................................. 26
§ 923 BGB Grenzbaum .................................................................. 26
Verkehrssicherungspflicht für Grenzbäume ........................... 27
Konsequenzen für Sachverständige.......................................... 27
Folgen für Baumpfleger .................................................................. 28
Häufigkeit der Baumkontrollen ..................................................... 28
6
6.1
Grenzanlagen/-einrichtungen ................................................... 29
§ 921 BGB Gemeinschaftliche Benutzung von
Grenzanlagen ..................................................................................... 29
§ 922 Art der Benutzung und Unterhaltung ............................ 28
4.1.8
4.1.9
4.1.10
6.2
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0. Vorbemerkungen
Bäume begrünen als wesentliche Grundstücksbestandteile (§ 94 BGB) allenthalben
Liegenschaften. Sie machen z. B. im urbanen Bereich unser Dasein erträglich, gestalten
Stadtlandschaften und die Feldflur, klimatisieren an heißen Tagen mit ihrem Laub/Nadelkleid und regeln bei Sturm sowie bei Kälte. Menschen haben eine tiefe Verbindung
zu Bäumen (SCHULZ 2001)1, mit und von denen sie seit jeher leben und deren Holz sie
nutzen.
Die Gartengestaltung benachbarter Grundstücke gibt immer wieder Anlass für Nachbarstreitigkeiten. Zwar lieben alle die Natur, aber jeder eben auf seine Weise.
Der eine pflanzt auf seinem Grundstück Laubbäume und Sträucher oder legt einen Ökogarten an, um ein Refugium für die Tier- und vor allem die Vogelwelt zu schaffen und
sich an selbst geernteten Früchten zu erfreuen. Für den anderen besteht ein Hausgarten
aus einer Thujahecke und kurzgeschorenem Rasen, bei dem jedes Blatt von Nachbars
Laubbäumen stört, herübergewehter Unkrautsamen eine kleine Katastrophe ist und der
Schatten grenznaher Bäume nur beim Sonnenbaden stört.
Heute wird zwar intensiv um den Erhalt von Bäumen gekämpft und i. d. R. schätzt man
sie grundsätzlich hoch ein, solange sie keinen Schatten zu Unzeiten werfen, dem eigenen
Grundstück nicht die Aussicht nehmen, kein Laub fallen lassen und sonst wie eigene (oft
seltsame) Befindlichkeiten stören. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten schaut man in den
Abgrund der menschlichen Eitelkeiten der Parteien. Und der ist tief.
1 Grundsätzliches
1.1 Rechtliches aus sachverständiger Sicht
Sachverständige sollen sich nur zu Fachlichem äußern und Rechtliches Juristen überlassen. Da das Rechtliche auf das Fachliche wirkt und umgekehrt, müssen Sachverständige
das Recht kennen und berücksichtigen, anderenfalls werden die Gutachten wertlos. Zudem kann es helfen, wenn Juristen das Fachliche von Sachverständigen transparent gemacht wird. Folglich muss der Hinweis erfolgen, dass nachstehende Ausführungen aus
sachverständiger Sicht gemacht werden.
1.2 Grundsätze zum Verständnis
Wenn Nachbarn wegen der Bepflanzung ihrer Grundstücke in Streit geraten, sollten einige Grundsätze bekannt sein, die auch von der Rechtsprechung berücksichtigt werden.
Diese Kenntnis kann dazu beitragen, Auseinandersetzungen zu versachlichen.
1.2.1 Das Herrschaftsrecht des Grundeigentümers
Hierzu muss man wissen, dass es an sich keinen Eingriff in die Rechte des Nachbarn darstellt, wenn jemand auf seinem Grundstück Bäume, Sträucher oder Hecken anpflanzt,
eine bunte Wiese anstelle eines gepflegten Rasens ansät oder gegen einen natürlich gewachsenen Pflanzenbestand auf seinem Grundstück nichts unternimmt. Hierzu ist er, so
weit nicht das Gesetz (vor allem die Grenzabstandsregelungen für Bäume, Sträucher und
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SCHULZ, H.-J. Entwicklung und Stand der Wirksamkeit von Baumschutzsatzungen, WF 2001, 154
2
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Hecken in den Landesnachbarrechtsgesetzen) oder Rechte Dritter (aus Vertrag oder
Grunddienstbarkeit) entgegenstehen, als Grundstückseigentümer aus eigenem Recht und
als Grundstücksbesitzer (Mieter oder Pächter) aus vom Eigentümer abgeleiteten Recht
nach § 903 BGB
2
befugt.
Inwieweit das Gesetz diesem Herrschaftsrecht entgegensteht, wird in den folgenden Ausführungen erläutert.
1.2.2 Die ökologische Bedeutung der Grünbestände
Es kommt hinzu, dass das allseits gestiegene Umweltbewusstsein einen Konsens dahin
bewirkt hat, die Natur in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zu schützen und zu
bewahren sowie bereits eingetretene Schäden des Naturhaushalts weitestgehend wieder
rückgängig zu machen. Vor allem die Erhaltung der innerstädtischen Grünbestände liegt
im öffentlichen Interesse.
Dies gilt in besonderem Maße für die Erhaltung des Baumbestands. Ein Baum, der als
Sauerstofflieferant etwa 1200 Liter Sauerstoff in der Stunde erzeugt, als Luftbefeuchter
rd. 400 Liter Wasser pro Tag produziert, als „Entgaser“ rd. 2,4 kg Kohlendioxid in der
Stunde abbaut und der darüber hinaus noch als Kühlaggregat, Windbremser und Schallisolierer wirkt, hat nach der Rechtsprechung gerade (aber nicht nur) in einer Großstadt
nicht nur eine das gemeinschaftliche Leben fördernde soziale Funktion, sondern er übernimmt schon eine nahezu lebenserhaltende Aufgabe, die bei der gerichtlichen Würdigung
der von Bäumen ausgehenden Störungen (in der Regel zum Nachteil des Gestörten) in
die Wertung einbezogen wird.
Diese besondere ökologische Bedeutung von Bäumen, die entsprechend auch für Sträucher gilt, ist auch die sachliche Rechtfertigung für Baumschutzsatzungen bzw. Baumschutzverordnungen, nach deren Vorgaben Grundstückseigentümer zum Erhalt des
Baum- und Strauchbestands auf ihren Grundstücken nicht nur nach Maßgabe des § 903
BGB berechtigt sind, sondern darüber hinaus sogar rechtlich verpflichtet sein können.
1.2.3 Die Begrünung von Grundstücken als Wertfaktor
Schließlich hat der allgemeine Bewusstseinswandel im Verhältnis zur natürlichen Umwelt
auch dazu geführt, dass die Begrünung der Umgebung in die Wertung von Grundstücken
eingeflossen ist. So wird jedenfalls in heutiger Zeit das konkrete Umfeld eines Hausgrundstücks dann als besonders wertvoll erachtet, wenn es unmittelbar an Grünanlagen
oder begrünte Grundstücke angrenzt. Dem entspricht es, dass Grundstücke in derartiger
Lage begehrter sind, als ähnliche im sonstigen Stadtbereich und dass deshalb für solche
Grundstücke höhere Preise erzielt werden.
Diesem Gesichtspunkt wird von der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Beeinträchtigungen durch den Pflanzenbewuchs auf Nachbargrundstücken nach
2
§ 903 Befugnisse des Eigentümers
Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache
nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer eines Tieres hat bei
der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere zu beachten.
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dem Motto Rechnung getragen, dass derjenige, der aus seiner begrünten Umgebung Vorteile zieht, auch gewisse damit verbundene Nachteile etwa durch Laubfall hinzunehmen
hat.
1.2.4 Die Bedeutung von Baumschutzregelungen
Wegen der ökologischen Bedeutung der innerstädtischen Grünbestände haben inzwischen
viele Städte und Gemeinden Baumschutzregelungen erlassen. Derartige Regelungen ergehen entweder in Form von Rechtsverordnungen (so in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) oder als Satzungen (so in Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein).
In den Baumschutzsatzungen oder Baumschutzverordnungen sind regelmäßig alle Handlungen verboten, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung der geschützten Bäume (und Sträucher) im Kronen- oder Wurzelbereich führen können (Veränderungsverbote). Dies bedeutet eine öffentlich-rechtliche Sperre für die Geltendmachung
von zivilrechtlichen Nachbarabwehrrechten.
Praxis-Tipp 1 Deshalb muss zunächst bei der Gemeinde- oder Stadtverwaltung eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung beantragt und bei Ablehnung verwaltungsgerichtlich durchgesetzt werden, bevor vom Nachbarn die Beseitigung oder der Rückschnitt
eines schattenwerfenden Baumes verlangt oder von dem Selbsthilferecht zum Abschneiden von über die Grenze wachsenden Wurzeln und Zweigen Gebrauch gemacht werden
kann.
Andernfalls riskiert man ein klageabweisendes Urteil im Zivilrechtsstreit oder bei der unzulässigen Ausübung des Selbsthilferechts eine Schadenersatzklage wegen der abgeschnittenen Wurzeln oder Zweige. Außerdem kann man sich bei der ungenehmigten Beseitigung oder Beschädigung geschützter Bäume ein saftiges Bußgeld einhandeln (in
Bayern etwa bis 50.000 EUR).
Der Antrag auf naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung kann sowohl vom Eigentümer des streitgegenständlichen Baums (oder Strauches) als auch vom Nachbarn gestellt
werden.
Praxis-Tipp 2 Als erster Schritt bei einem Nachbarstreit über Bäume oder Sträucher sollte zunächst geklärt werden, ob die fraglichen Gehölze durch eine Baumschutzsatzung
oder Baumschutzverordnung geschützt sind. Trifft dies zu, ist bei der Gemeinde- bzw.
Stadtverwaltung eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zu beantragen, wenn
in die Substanz der Gehölze eingegriffen werden soll. Erst wenn hierzu eine positive Entscheidung vorliegt, sollte als letzter Schritt eine Zivilklage in Erwägung gezogen werden,
wenn eine Einigung mit dem Nachbar nicht möglich ist.
Auch von dem Selbsthilferecht, über die Grenze wachsende Wurzeln oder Zweige abschneiden zu dürfen, darf bei geschützten Bäumen und Sträuchern erst nach Vorliegen
einer naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung Gebrauch gemacht werden.
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Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
2 Grenzabstände
Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keine Grenzabstände für Bäume, Sträucher und Hecken. Der Eigentümer hat daher an sich das Recht, auf seinem Grundstück beliebig viele
Bäume und Sträucher anzupflanzen oder wachsen zu lassen, auch wenn dadurch Nachbargrundstücke verschattet werden (§ 903 BGB). Die Tatsache, dass durch den
Pflanzenbewuchs auf dem einen Grundstück einem Nachbargrundstück das Sonnenlicht
entzogen wird, ist nach ständiger Rechtsprechung im Allgemeinen keine unzulässige
Einwirkung, die den betroffenen Nachbarn berechtigen könnte, die Beseitigung oder den
Rückschnitt der Schatten spendenden Gehölze zu verlangen (Näheres hierzu in
Abschnitt
3).
Dem nachbarlichen
Interessenausgleich dienen hier die Vorschriften über die Grenzabstände für Bäume, Sträucher und Hecken in den Nachbarrechtsgesetzen der Bundesländer. Zusätzlich gibt es auch noch Grenzabstandsvorschriften für Waldungen und teilweise
für Hopfenpflanzungen und Weinstöcke. Weil diese Vorschriften aber für den durchschnittlichen Haus- und Grundeigentümer nicht von Bedeutung sind, bleiben sie im Folgenden außer Betracht.
Grenzabstandsvorschriften für Bäume, Sträucher und Hecken finden sich in BadenWürttemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und
Thüringen.
Keine nachbarrechtlichen Grenzabstandsvorschriften für Bäume, Sträucher und Hecken
gibt es in Bremen und Hamburg, beides Länder, die traditionell keine Nachbarrechtsgesetze kennen, und (bisher noch nicht) in Mecklenburg-Vorpommern. In diesen Bundesländern muss man sich im Streitfall entweder mit dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis behelfen oder prüfen, ob Vorschriften des Baurechts einschlägig sind.
Wegen der Unübersichtlichkeit und erstaunlichen Vielfalt der von den Landesgesetzgebern gefundenen Lösungen ist es verständlich, dass Grenzabstandsvorschriften in der
Bevölkerung weitgehend unbekannt sind. Insbesondere in Baden-Württemberg, Berlin,
Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen haben sich
die Landesgesetzgeber so richtig ausgetobt bei dem Versuch, für nahezu jede Baum- und
Strauchart besondere Grenzabstände vorzuschreiben. Deshalb geraten nicht nur Gerichte, sondern auch Botaniker ins Grübeln, was denn klein-, mittelgroß- oder großwüchsige
Bäume und Sträucher im konkreten Fall sind.
Außerdem sind die gefundenen Definitionen auch nicht einheitlich, wie das Beispiel der
Rosskastanie zeigt. Diese Baumart gilt in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und
Thüringen als sehr stark wachsend, dagegen in Berlin und Nordrhein-Westfalen nur als
stark wachsend und in Baden-Württemberg schließlich als großwüchsig. Auch die Platane
ist in Baden-Württemberg großwüchsig, in Berlin stark wachsend, in Hessen sehr stark
wachsend, in Nordrhein- Westfalen wieder stark wachsend und in Rheinland-Pfalz, dem
Saarland und Thüringen ebenfalls wie in Hessen sehr stark wachsend.
Das hat mit einer eindeutigen botanischen Zuordnung nichts zu tun und zeigt auch keine
besonders glückliche Hand der Landesgesetzgeber bei der Auswahl der als Beispiele für
die unterschiedlichen Wuchsarten ausgewählten Bäume. Immerhin hängt von der jeweiligen Zuordnung die Entscheidung ab, ob ein Grenzabstand von 4 m (bei sehr stark wachsenden Bäumen) oder nur von 2 m (bei stark wachsenden Bäumen – oder „alle übrigen
Bäume“ in NRW) einzuhalten ist (so etwa als Beispiel das NRG von Thüringen).
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Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
Nur in den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, SachsenAnhalt und Schleswig-Holstein haben die Landesgesetzgeber Mut zur Vereinfachung gezeigt, sodass auch der Nichtfachmann den Sinn der gesetzlichen Regelung begreift. Hier
gilt die einfache Faustregel: Je höher der Baum oder Strauch, desto größer der Grenzabstand.
Praxis-Tipp 3 Wenn Sie unter dem Schattenwurf hoher Bäume auf dem Nachbargrundstück leiden oder sich über herüberwachsende Wurzeln und Zweige ärgern, dann prüfen
Sie als erstes immer, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstände eingehalten sind
und die Fristen auf Beseitigung nach den Nachbargesetzen der Länder noch nicht abgelaufen sind. Wenn das nicht der Fall ist, haben Sie vor Gericht gute Chancen. Und warten
Sie nicht zu lange mit einer Klage, denn der Anspruch auf Beseitigung oder Rückschnitt
von Gehölzen unterliegt der Verjährung (z. B. in NRW 6 Jahre)
Vergessen Sie andererseits nicht eine Anfrage bei Ihrer Gemeinde- oder Stadtverwaltung, ob Ihr und Ihres Nachbarn Grundstück im Geltungsbereich einer Baumschutzsatzung bzw. Baumschutzverordnung liegen. Die streitigen Bäume oder Sträucher könnten
geschützt sein.
Die Grenzabstandsvorschriften der Nachbarrechtsgesetze dienen dem Schutz von Nachbargrundstücken vor Verschattung. Dieser Gesichtspunkt spielt für den öffentlichen Straßengrund keine Rolle. Hier kann es allenfalls von Bedeutung sein, dass die Verkehrssicherheit durch Gehölzbewuchs auf Straßenanliegergrundstücken beeinträchtigt wird. Der
aus diesem Grund notwendige Grenzabstand zu öffentlichen Straßen richtet sich allein
nach den straßenrechtlichen Vorschriften.
2.1 Grenzabstandsregelungen gelten nur für Gehölze
2.1.1 Gehölze
Die Grenzabstände der Nachbarrechtsgesetze sind nur für Gehölze (Bäume, Sträucher
und Hecken), nicht dagegen für andere Pflanzen (Stauden, Gräser) zu beachten. Bei den
Gehölzen ist eine eindeutige Zuordnung wichtig, weil jeweils unterschiedliche Grenzabstände gelten.
2.1.1.1 Bäume
Einen Baum wird jedermann erkennen können. Wesentliches Definitionsmerkmal ist, dass
er einen oder mehrere Stämme besitzt, die eine Krone aufweisen.
2.1.1.2 Sträucher
Die Unterscheidung zwischen Bäumen und Sträuchern ist wichtig, weil für Bäume im Allgemeinen größere Grenzabstände gelten als für Sträucher. Ausschlaggebend für die
Unterscheidung ist immer das Verzweigungssystem. Während der Baum einen oder
mehrere Stämme mit Krone bildet, verzweigt sich der Strauch mehr oder weniger
gleichmäßig vom Boden aus.
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Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
2.1.1.3 Hecken
Die meisten Nachbarrechtsgesetze sehen für Hecken andere Grenzabstände als für Bäume und Sträucher vor. Deshalb ist die Unterscheidung wichtig, ob es sich im konkreten
Fall um eine allgemeine Anpflanzung aus Bäumen bzw. Sträuchern handelt oder aber um
eine Hecke. Für eine Hecke können nach der Rechtsprechung die verschiedensten Baumund Straucharten verwendet werden, sofern sie so gepflanzt sind, dass die Geschlossenheit der Pflanzenkörper unter sich und ihr Verbund eine wandartige Formation ergeben.
Weiteres Kriterium ist, dass die Hecke durch Pflege und Rückschnitt in einer bestimmten
Form und Höhe gehalten wird.
Deshalb kann auch eine Fichtenreihe als Hecke gelten, wenn sie diesen Anforderungen
entspricht. Hat aber eine Fichtenreihe, die zunächst als Hecke gepflanzt und gepflegt
wurde, eine bestimmte Höhe überschritten, dann kann sie damit ihren Heckencharakter
verlieren und ist als Baumreihe anzusehen sein, sodass dann die Abstandsregelungen für
Bäume gelten.
2.2 Die wichtigsten Abstandsregeln nach NachbG NRW
Die wichtigsten Abstandsregelungen finden sich in Nachbargesetz von NordrheinWestfalen (NachbG NRW) im XI. Abschnitt: Grenzabstände für Pflanzen.
2.2.1 Abstände für Wald (§ 40 NachbG NRW)
(1) Auf Waldgrundstücken ist freizuhalten
a) zu benachbarten Waldgrundstücken, Ödländereien oder Heidegrundstücken
1. ein Streifen von 1 m Breite von jedem Baumwuchs und
2. ein weiterer Streifen von 2 m Breite von Nadelholz über 2 m Höhe mit Ausnahme der Lärche,
b) zu Wegen ein Streifen von 1 m Breite von Baumwuchs über 2 m Höhe,
c) zu benachbarten landwirtschaftlich, gärtnerisch oder durch Weinbau genutzten
oder zu diesen Zwecken vorübergehend nicht genutzten Grundstücken
1. ein Streifen von 1 m Breite von jedem Baumwuchs und
2. ein weiterer Streifen von 3 m Breite von Baumwuchs über 2 m Höhe.
Mit Pappelwald ist gegenüber den unter Buchstabe c) genannten Grundstücken ein
Abstand von 6 m einzuhalten.
(2) Mit erstmalig begründetem Wald ist zu benachbarten erwerbsgärtnerisch oder durch
Weinbau genutzten oder zu diesen Zwecken vorübergehend nicht genutzten Grundstücken für die Dauer von 30 Jahren das Doppelte der in Absatz 1 Buchstabe c) vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Für Pappelwald hat der Abstand in diesem Falle 8 m
zu betragen.
(3) Durch schriftlichen Vertrag, in dem die Katasterbezeichnungen der Grundstücke anzugeben sind, kann ein von Absatz 1 und 2 abweichender Abstand des Baumwuchses von
der Grenze, jedoch kein geringerer Abstand als 1 m für einen in dem Vertrag festzulegenden Zeitraum vereinbart werden. Wird ein Grundstück, auf das sich eine solche Vereinbarung bezieht, während der Dauer der Vereinbarung veräußert oder geht es durch
Erbfolge oder in anderer Weise auf einen Rechtsnachfolger über, so tritt der Erwerber in
die Rechte und Verpflichtungen aus der Vereinbarung ein.
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Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
2.2.2 Abstände für Bäume (§ 41 NachbG NRW)
Absatz (1) Ziff. 1 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Bäumen außerhalb des Waldes, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)3. Der Gesetzgeber unterscheidet stark wachsende und alle übrigen Bäume außer Obstgehölze.
4 m Abstand für
a) stark wachsenden Bäumen, insbesondere der Rotbuche (Fagus silvatica) und sämtliche
Arten der Linde (Tilia), der Platane (Platanus), der Roßkastanie (Aesculus), der Eiche
(Quercus) und der Pappel (Populus)
2 m Abstand für
b) allen übrigen Bäumen
2.2.3 Abstände Sträucher (§ 41 NachbG NRW)
Absatz (1) Ziff. 2 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Sträuchern außerhalb des
Waldes, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände) 4. Der Gesetzgeber unterscheidet stark wachsende und alle übrigen Ziersträucher außer Obstgehölze.
1,00 m Abstand für
a) stark wachsenden Ziersträuchern, insbesondere dem Feldahorn (Acer campestre),
dem Flieder (Syringa vulgaris), dem Goldglöckchen (Forsythia intermedia), der Haselnuß
(Corylus avellana), den Pfeifensträuchern - falscher Jasmin - (Philadelphus coronarius)
0,50 m Abstand für
allen übrigen Ziersträuchern
Nach § 41 Absatz (2) NachbG dürfen Zier- und Beerenobststräucher in ihrer Höhe das
Dreifache ihres Abstandes zum Nachbargrundstück nicht überschreiten. Strauchtriebe,
die in einem geringeren als der Hälfte des vorgeschriebenen Abstandes aus dem Boden
austreten, sind zu entfernen.
2.2.4 Abstände für Obstgehölze (§ 41 NachbG NRW)
Absatz (1) Ziff. 3 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Obstgehölzen außerhalb des
Waldes, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)5.
2,00 m Abstand für
a) Kernobstbäumen, soweit sie auf stark wachsender Unterlage veredelt sind, sowie Süßkirschbäumen, Walnußbäumen und Esskastanienbäumen
3
§ 43 Verdoppelung der Abstände
Die doppelten Abstände nach den §§ 41 und 42, höchstens jedoch 6 m, sind einzuhalten gegenüber Grundstücken, die
a) landwirtschaftlich, gärtnerisch oder durch Weinbau genutzt oder zu diesen Zwecken vorübergehend nicht
genutzt sind und im Außenbereich (§ 19 Abs. 2 des Bundesbaugesetzes) liegen oder
b) durch Bebauungsplan der landwirtschaftlichen, gärtnerischen oder weinbaulichen Nutzung vorbehalten sind.
4
5
Siehe Fußnote 2
Siehe Fußnote 2
8
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
1,50 m Abstand für
b) Kernobstbäumen, soweit sie auf mittelstark wachsender Unterlage veredelt sind, sowie
Steinobstbäumen, ausgenommen die Süßkirschbäume
1,00 m Abstand für
c) Kernobstbäumen, soweit sie auf schwach wachsender Unterlage veredelt sind
1,00 m Abstand für
d) Brombeersträuchern
0,50 m Abstand für
e) allen übrigen Beerenobststräuchern
2.2.5 Abstände für Rebstöcke (§ 41 NachbG NRW)
Absatz (1) Ziff. 4 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Rebstöcken vorbehaltlich
des § 43 (Verdoppelung der Abstände) 6.
1,50 m Abstand für
a) in geschlossenen Rebanlagen, deren Gesamthöhe 1,80 m übersteigt (Weitraumanlagen)
0,75 m Abstand für
b) in allen übrigen geschlossenen Rebanlagen
1,50 m Abstand für
c) einzelnen Rebstöcken
Gemäß § 46 Satz 1 NachbG NRW wird der Abstand von der Mitte des Baumstammes, des
Strauches oder des Rebstockes waagerecht und rechtwinklig zur Grenze gemessen, und
zwar an der Stelle, an der der Baum, der Strauch oder der Rebstock aus dem Boden austritt.
2.2.6 Abstände für Hecken (§ 42 NachbG NRW)
Der Gesetzgeber unterscheidet Hecken bis von solchen über 2 m Höhe. Wenn nicht das
öffentliche Recht andere Grenzabstände vorschreibt, sind - vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)7 - folgende Abstände von der Grenze einzuhalten:
1,00 m Abstand für Hecken
a) über 2 m Höhe
0,50 m Abstand für Hecken
b) bis zu 2 m Höhe
2.2.7 Abstände für Baumschulflächen (§ 44 NachbG NRW)
Mit Baumschulbeständen belegte Flächen haben gemäß § 44 NachbG NRW folgende Abstände zu Nachbargrundstücken einzuhalten:
6
7
S. Fußnote 2
S. Fußnote 2
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Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
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2,00 m Abstand für Gehölzbestände
a) über 2 m Höhe
1,00 m Abstand für Gehölzbestände
b) bis zu 2 m Höhe
0,50 m Abstand für Gehölzbestände
c) bis zu 1 m Höhe
2.2.8 Ausnahmen (§ 45 NachbG NRW)
(1) Die §§ 40 bis 44 gelten nicht für
a) Anpflanzungen an den Grenzen zu öffentlichen Verkehrsflächen, zu öffentlichen
Grünflächen und zu oberirdischen Gewässern von mehr als 4 m Breite (Mittelwasserstand),
b) Anpflanzungen auf öffentlichen Verkehrsflächen,
c) Anpflanzungen, die hinter einer geschlossenen Einfriedigung vorgenommen werden und diese nicht überragen; als geschlossen im Sinne dieser Vorschrift gilt
auch eine Einfriedigung, deren Bauteile breiter sind als die Zwischenräume,
d) Windschutzstreifen und ähnliche, dem gleichen Zweck dienende Hecken und
Baumbestände außerhalb von Waldungen,
e) Anpflanzungen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhanden sind und deren
Abstand dem bisherigen Recht entspricht.
f)
die in einem auf Grund des Landschaftsgesetzes erlassenen rechtsverbindlichen
Landschaftsplan vorgesehenen Anpflanzungen von Flurgehölzen, Hecken, Schutzpflanzungen, Alleen, Baumgruppen und Einzelbäumen.
(2) § 40 Abs. 1 Buchstabe a) Nr. 1 und 2 gilt nicht, soweit gemäß dem Forstrecht nach
gemeinsamen Betriebsplänen unabhängig von den Eigentumsgrenzen gewirtschaftet
wird.
(3) Wird für die in Absatz 1 Buchstabe e) genannten Anpflanzungen eine Ersatzanpflanzung vorgenommen, so gelten die §§ 40 bis 44 und 46.
(4) Absätze 1 und 2 gelten auch für Bewuchs, der durch Aussamung oder Auswuchs entstanden ist.
2.2.9 Ausschluss des Beseitigungsanspruchs (§ 47 NachbG NRW)
(1) Der Anspruch auf Beseitigung einer Anpflanzung, mit der ein geringerer als der inden
§§ 40 bis 44 und 46 vorgeschriebene Abstand eingehalten wird, ist ausgeschlossen, wenn
der Nachbar nicht binnen sechs Jahren nach dem Anpflanzen Klage auf Beseitigung erhoben hat. Der Anspruch unterliegt nicht der Verjährung.
(2) § 45 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
2.2.10 Nachträgliche Grenzänderungen (§ 48 NachbG NRW)
Die Rechtmäßigkeit des Abstandes wird durch nachträgliche Grenzänderungen nicht berührt; jedoch gilt § 45 Abs. 3 und 4 entsprechend (s. unter Pos. 2.2.8).
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
11
3 Überhang durch Bäume in Grenznähe
Möglich ist ober- und unterirdische „Überhang“. Wurzeln wachsen in das Nachbargrundstück ein, Äste erstrecken ihr Wachstum in den meist freien Luftraum der Nachbarparzelle über die Grenzlinie hinaus. Es ergibt sich für diese Situationen Regelbedarf, den § 910
BGB vornimmt.
3.1 § 910 BGB Überhang
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die
von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt
von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks
eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der
Frist erfolgt.
(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.
Vom Wortlaut des Absatz (1) her, darf man (der Eigentümer, nicht der Mieter oder Pächter) erst einmal Wurzeln, die die Grenzlinie überwachsen sofort abschneiden. Für Astüberhang muss man dem Baumeigentümer eine Frist zu Beseitigung aufgeben. Verstreicht diese ohne Reaktion kann man den Astüberhang entfernen (selbst oder durch
eine Fachfirma). Beauftragte Astentfernung kann man dem Baumeigentümer in Rechnung stellen.
Häufig wird Absatz (2) § 910 BGB nicht ge- oder überlesen, denn ein „Abschneiderecht“
nach Absatz (1) hat man nur, wenn „die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des
Grundstücks … beeinträchtigen“. Die oberen Instanzgerichte haben die „Hürden für die
Durchsetzung von Abschneiderechten“ noch höher gelegt. Es reicht nicht, dass man in
der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt ist. Vorraussetzung ist eine wesentliche
Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks.
3.1.1 Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung
Eine konkrete Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung in dem dargestellten Sinn wird
man etwa dann annehmen können, wenn bei einem Nutzgarten eine ordnungsgemäße
und störungsfreie Pflege der an der Grundstücksgrenze gelegenen Beete durch tief liegende überwachsende Äste nicht möglich ist oder tief liegende Baumzweige rund einen
Meter in die Garageneinfahrt oder über den Rasen hinüberragen 8. Ebenso muss es ein
Nachbar nicht hinnehmen, wenn überragende Äste mit Bauteilen (z. B. Hausgiebel, Garage, Pergola) seines Grundstücks in Kontakt kommen. Des Weiteren liegt eine konkrete
Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung vor, wenn
 Baumwurzeln in eine Abwasserleitung eindringen und diese verstopfen 9,
8
Zu Letzterem vgl. LG Gießen, Urteil v. 2.10.1996, 1 S 230/96, NJW-RR 1997, 655.
Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil v. 11.6.1986, 9 U 51/86, NJW 1986, 2648; BGH, Urteil v.
7.3.1986, V ZR 92/85, NJW 1986, 2640 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 2.12.1988, V
ZR 26/88, NJW 1989, 1032 (zur Haftung einer Gemeinde); OVG Lüneburg, Urteil v. 31.5.1990, 9 L
93/89, NvWZ 1991, 81 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 26.4.1991, V ZR 346/89, NJW
1991, 2826 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395
(zur Haftung einer Gemeinde)
9
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
12
 die Standfestigkeit einer Grundstücksmauer durch Baumwurzeln beeinträchtigt wird
10
,
 durch Wurzelwachstum Bodenaufbrüche in einer Garage und dem anschließenden Teil
11
einer Hoffläche verursacht werden
oder
 die Teerdecke einer Grundstücksauffahrt durch das Wurzelwachstum angehoben wird
12
.
Hinweis In Baden-Württemberg ist landesgesetzlich geregelt, in welchen Fällen man sich
gegen das Wurzelwachstum von Nachbarbäumen zur Wehr setzen kann
13
.
Nicht ausreichend ist nach der Rechtsprechung eine nur abstrakte Grundstücksbeeinträchtigung etwa in dem Sinn, dass die Wurzeln eines Nachbarbaums rein theoretisch in
eine Abwasserleitung eindringen könnten, ohne dass es hierfür bisher konkrete Anhaltspunkte gibt
14
.
3.1.2 Keine Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung
Ungeziefer, Schädlinge Befindlichkeiten bedingen, dass sich die Nachbarn wegen
Pflanzenschädlingen in die Haare geraten, die grenzüberschreitend aktiv werden.
Hierzu hat der BGH im so genannten Wollläusefall Stellung bezogen. Bei diesem Fall ging
es darum, dass Wollläuse eine Lärche befallen hatten und sich anschließend auf Kiefern
des Nachbargrundstücks ausbreiteten und diese beschädigten. Hier hat der BGH den
nachbarrechtlichen Vorschriften des BGB die gesetzgeberische Wertung entnommen,
dass abgesehen von der spezialgesetzlichen Regelung zum Überhang von Zweigen und
zu grenzüberschreitenden Wurzeln (§ 910 BGB) die natürlichen Auswirkungen von Bäumen und Sträuchern, die den landesgesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand einhalten,
regelmäßig keine abwehrfähige Eigentumsbeeinträchtigung darstellen. Dies gelte auch
für den Wollläusebefall der Lärche, der auf ein zufälliges Naturereignis zurückgeht, das
alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko treffe und zur natürlichen Eigenart
jeder Art von Anpflanzung gehöre
15
. Eine Störereigenschaft des Baumeigentümers oder -
besitzers käme daher nur dann in Betracht, wenn ihm ein pflichtwidriges Unterlassen
vorgeworfen werden könne, er mithin gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstoßen
habe. Eine solche Garantenstellung zum Schutz des Nachbarn hat der BGH aber ebenso
verneint, wie eine Pflicht zur Bekämpfung der Wollläuse aus dem Gesichtspunkt des
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (siehe Abschnitt 3.2). Vergleichbares gilt auch
bei Befall mit dem Eichenprozessionsspinner und alle Pollen.
10
BGH, Urteil v. 8.3.1990, III ZR 141/88, NJW 1990, 3195 (zur Haftung einer Gemeinde).
OLG Köln, Urteil v. 17.5.1989, 13 U 113/88, NJW-RR 1989, 1177.
12
LG Itzehoe, Urteil v. 9.2.1995, 4 S 154/94, NJW-RR 1995, 978.
13
§ 24 NRG Baden-Württemberg (eingedrungene Wurzeln)
11
Abweichend von § 910 Abs. 1 BGB ist der Besitzer eines Obstbaumguts oder eines Grundstücks der in § 19
Abs. 1 Satz 1 genannten Art, in das aus einem angrenzenden Obstbaumgut Wurzeln eines Obstbaums eingedrungen sind, zu deren Beseitigung nur insoweit befugt, als dies zur Herstellung und Unterhaltung eines Weges,
eines Grabens, einer baulichen Anlage, eines Dräns oder einer sonstigen Leitung erforderlich ist.
Die Beseitigung von sonstigen eingedrungenen Baumwurzeln ist bei einem Grundstück in Innerortslage nur
dann zulässig, wenn durch die Wurzeln die Nutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird, insbesondere Arbeiten der in Absatz 1 genannten Art die Beseitigung erfordern.
14
15
LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45.
BGH, Urteil v. 7.7.1995, V ZR 213/94, NJW 1995, 2633.
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
13
Auch beim Blattlausbefall einer Eiche hat die Rechtsprechung ähnlich argumentiert und
festgestellt, dass der Blattlausbefall nicht auf eine Erkrankung des Baumes zurückzuführen sei, sondern zu den jahreszeitlich bedingten Vorgängen gehöre. Diese seien als
"normale" Folgeexistenz der Eiche hinzunehmen16.
Keine konkrete Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung sieht die Rechtsprechung etwa
in den Fällen, in denen ein Ziergarten durch den Zweigüberwuchs aus dem Nachbargrundstück (in etwa 2 m Höhe bis 2 m hineinwachsend) beeinträchtigt wird
17
, der Über-
wuchs in 2,50 m Höhe über einer Garagenzufahrt beginnt und daher die Benutzung der
Zufahrt nicht behindert
18
oder die Beeinträchtigung durch Schattenwurf nicht durch den
Zweigüberwuchs entsteht, sondern durch das Vorhandensein hochgewachsener Bäume
auf dem Nachbargrundstück bedingt ist, woran sich durch die Beseitigung des Überwuchses nichts ändern würde
19
.
Schattenwurf (Entzug von Licht und Luft) Überhängende Äste ab einer Höhe von ca.
3,00 m beeinträchtigen i. d. R. die Grundstücksnutzung nicht wesentlich.
Laub- und Nadelfall Auch Laub- und Nadelfall sind übliche und natürliche Lebensäußerungen von Bäumen, die sich beeinträchtigt fühlende Nachbarn i. d. R. ohne Abwehranspruch erdulden müssen
Früchte Für den Fruchtfall von Bäumen (Kastanien, Wallnüsse etc.) gilt Vorgesagtes.
3.1.3 Kostenerstattung
Beseitigt der beeinträchtigte Grundstückseigentümer die Wurzeln und die durch diese
verursachten Schäden auf eigene Kosten, steht ihm ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Grundstücksnachbarn nach § 812 BGB20, § 818 BGB21 zu, weil der Grundstücks-
16
OVG Münster, Urteil v. 15.4.1986, 11 A 938/84, NuR 1987, 187; a. A. OLG Köln, Urteil v.
9.1.1991, 13 U 243/90, VersR 1991, 556 (zum Langwanzenbefall von Birken).
17
So OLG Köln, Urteil v. 22.5.1996, 11 U 6/96, NJW-RR 1997, 656.
18
So LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45.
19
So LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45; OLG Oldenburg, Urteil v.
25.7.1990, 4 U 89/89, NJW-RR 1991, 1367; OLG Köln, Urteil v. 22.5.1996, 11 U 6/96, NJW-RR
1997, 656.
20
§ 812 Herausgabeanspruch
(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen
Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche
Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht
eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines
Schuldverhältnisses.
21
§ 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs
(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der
Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung
des erlangten Gegenstands erwirbt.
(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem
anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.
(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger
nicht mehr bereichert ist.
(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
14
nachbar auf Kosten des beeinträchtigten Grundstückseigentümers dadurch bereichert
wurde, dass dieser die zur Beseitigung der von den Wurzeln ausgehenden Störungen
22
erforderlichen Maßnahmen selbst durchgeführt hat
.
3.1.4 Schadensmitverursachung
Durch eine Mitverantwortlichkeit des beeinträchtigten Grundstückseigentümers für den
eingetretenen Schaden kann sein Beseitigungs- oder Kostenerstattungsanspruch nach
der Rechtsprechung anteilig gemindert werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Anschlussmuffen einer Abwasserleitung fehlerhaft montiert wurden und erst ihre Undichtigkeit das Eindringen von Wurzeln ermöglicht hat
23
. Ebenso muss ein Tennisplatzbesitzer
die durch Baumwurzeln verursachte Beschädigung von Spielfeldern anteilig selbst tragen,
wenn er seine Tennisplätze in unmittelbarer Nähe einer auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Pappelreihe anlegt
24
.
3.1.5 Zur Schadensberechnung bei rechtswidrig
abgeschnittenen Wurzeln und Zweigen
Das Abschneiden der Wurzeln und Zweige von Nachbarbäumen oder -sträuchern bis zur
Grundstücksgrenze kann entweder bleibende Wuchsschäden verursachen oder aber eine
fachmännische Wundbehandlung der verbleibenden Wurzel- und Aststummel notwendig
machen. Hierbei bereitet vor allem die Wertermittlung von Bäumen und Sträuchern
Schwierigkeiten, bei denen wegen bleibender Wuchsschäden oder weil sie als Folge des
Eingriffs eingegangen sind, eine Ersatzbeschaffung erforderlich wird.
In diesen Fällen bedient sich die Rechtsprechung – falls kein Rechtsanspruch auch Wiederherstellung (Naturalrestitution) nach § 249 BGB
25
besteht - für die Wertermittlung bei
Totalverlust oder Teilbeschädigung der sog. Methode Koch. Danach umfasst etwa beim
Totalschaden der Ersatzanspruch den Kostenersatz für die Beseitigung des Baumrests
und des Erwerbs eines jüngeren Baumes in pflanzfähigem Alter (abhängig von der Funktion) sowie dessen Transport, Anpflanzung und Anwachspflege sowie die Kosten für das
Aufwachsen dieses Baumes bis zum Alter des zerstörten26.
22
OLG Düsseldorf, Urteil v. 11.6.1986, 9 U 51/86, NJW 1986, 2648; BGH, Urteil v. 7.3.1986, V ZR
92/85, NJW 1986, 2640; BGH, Urteil v. 2.12.1988, V ZR 26/88, NJW 1989, 1032; BGH, Urteil v.
26.4.1991, V ZR 346/89, NJW 1991, 2826; BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395.
23
So BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395.
24
So BGH, Urteil v. 18.4.1997, V ZR 28/96, MDR 1997, 825.
25
§ 249 Art und Umfang des Schadensersatzes
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum
Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei
der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur
mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
26
Aus über 100 Entscheidungen: BGH, Urteil v. 13.5.1975, VI ZR 85/74, NJW 1975, 2061; BGH,
Urteil vom 25.01.2013 – V ZR 225/12, Urteile & Recht, www.dasgrüne.de, OLG Karlsruhe, Urteil v.
20.4.1988, 13 U 61/85, NuR 1991, 94; LG Mainz, Urteil v. 6.6.1989, 2 O 45/89, NuR 1991, 96; LG
Stuttgart, Urteil v. 20.11.1989, 15 O 188/89, AgrarR 1991, 280; OLG Celle, Urteil v. 14.2.1992, 4 U
105/90, NuR 1992, 499; LG Arnsberg, Urteil v. 12.11.1993, 5 S 96/92, AgrarR 1995, 255; LG Berlin,
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
Praxis-Tipp 6
15
Nach der Rechtsprechung müssen Geschädigte keine Billigangebote be-
stimmter Baumschulen akzeptieren 27 . Man kann vielmehr grundsätzlich eine Wiederherstellung (Naturalrestitution gemäß § 249 BGB) verlangen, die ggf. gemäß § 251 BGB28
aufzugeben ist. In letzterem Fall wird die Schadenshöhe nach der Methode KOCH ermittelt, die der BGH sowohl in Fällen von Totalschäden wie bei Teilschäden anerkannt hat. §
251 bestimmt den Wert der beschädigten Sachen über das Sachwertverfahren für Gehölze ausgehend von "normalen Herstellungskosten". Ob für eine Schadensberechnung §
249 oder § 251 BGB anzuwenden ist, ist eine reine Rechtsfrage und nicht von Gutachtern
durch ausschließliche Anwendung der Methode KOCH sachverständig zu entscheiden.
3.2 Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis
Nachbarn stehen aufgrund des nahen Lebensverhältnisses in einer Sonderbeziehung.
Diese Sonderbeziehung wird durch das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis reflektiert und ausgestaltet.
Das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis ist ein Rechtsinstitut, das auf § 242 BGB
29
, dem Grundsatz von Treu und Glauben, basiert. Durch die Rechtsprechung wurde die-
ser Grundsatz weiterentwickelt, so dass die eigenen Rechte ihre Grenzen dort finden, wo
sie beginnen, die Interessen anderer in einem Maße zu beeinträchtigen, das als unverhältnismäßig angesehen werden muss.
3.2.1 Was für das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis gilt
§ 242 BGB ist auch auf das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis anzuwenden. Dadurch wird festgelegt, dass Nachbarn untereinander zur gegenseitigen Rücksichtnahme
verpflichtet sind. Dies kann unter Umständen Auswirkungen auf das eigene Eigentum
haben. § 903 BGB
30
legt die Befugnisse des Eigentümers einer Sache fest und sagt aus,
dass dieser mit der Sache nach Belieben verfahren kann. Dies gilt jedoch nur so lange
und so weit, wie keine Gesetze oder Rechte Dritter entgegenstehen. Das Eigentumsherrschaftsrecht nach § 903 BGB ist jedoch nur in Ausnahmefällen aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu beschränken.
Urteil v. 11.1.1994, 31 O 266/93, AgrarR 1995, 272; OLG Düsseldorf, Urteil v. 12.12.1996, 18 U
118/95, NJW-RR 1997, 856; LG Osnabrück, Urteil v. 28.4.1998, 7 O 368/97, AgrarR 1998, 417.
27
So LG Arnsberg, Urteil v. 12.11.1993, 5 S 96/92, AgrarR 1995, 255.
28
§ 251 Schadensersatz in Geld ohne Fristsetzung
(1) Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der
Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen.
(2) Der Ersatzpflichtige kann den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Die aus der Heilbehandlung eines verletzten Tieres entstandenen Aufwendungen sind nicht bereits dann unverhältnismäßig, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen.
29
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
30
§ 903 Befugnisse des Eigentümers
Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit
der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer
eines Tieres hat bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere
zu beachten.
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
16
3.2.2 Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis ist kein Schuldverhältnis
Nachbarn stehen in keinem Schuldverhältnis zueinander. Dies bedeutet auch, dass ein
Verschulden dritter Personen, die an diesem Nachbarverhältnis nicht beteiligt sind, nicht
über § 278 BGB
31
zugerechnet werden kann.
3.2.3 Beispielfall
Das Landgericht Mainz (2002) hat bestimmt
32
, dass das Schlagzeugspielen des Nachbarn
für etwa zwei Stunden zweimal wöchentlich hingenommen werden muss. In dem Fall
ging es um Musikproben, die der Beklagte regelmäßig in seinem Einfamilienhaus abhielt.
Die Probezeiten lagen dabei bei ein- bis zweimal werktags in der Zeit von ca. 18 bis 20
Uhr. Der Kläger trug vor Gericht vor, sich durch die Musikproben gestört zu fühlen und
wollte die Probezeiten gerichtlich einschränken lassen.
Dies wurde jedoch abgelehnt. Messungen hätten lediglich eine nicht zu beanstandende
Lärmbeeinträchtigung ergeben. Der Kläger müsse es hinnehmen, dass der Beklagte einbis zweimal die Woche proben dürfe. Aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses dürfen beide Parteien ihren Interessen nachgehen, müssen jedoch jeweils
auf die andere Seite Rücksicht nehmen. Dies hätte der Beklagte in diesem Fall getan, da
er weder mit der Länge der Proben, noch mit der Lautstärke übertrieben hat.
Prütting/Wegen/Weinreich (Kommentar zum BGB, § 903 BGB, Befugnisse des Eigentümers) merken unter Randziffer 17 an: Beispiele aus der Rechtsprechung für die Be-
31
§ 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung
seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des §
276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
§ 276 Verantwortlichkeit des Schuldners
(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder
bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende
Anwendung.
(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.
§ 827 Ausschluss und Minderung der Verantwortlichkeit
Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand
krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art
versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne
Verschulden in den Zustand geraten ist.
§ 828 Minderjährige
(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht
verantwortlich.
(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.
(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1
oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der
Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht
hat.
32
LG Mainz, 12.11.2002, - 6 S 57/02
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
17
schränkung der Eigentümerbefugnisse aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

sind die Pflicht des Grundstückseigentümers, sein Gebäude weiter von der Grundstücksgrenze entfernt als beabsichtigt zu errichten, um die Fenster in der Giebelwand
des Nachbarhauses nicht zu verbauen (BGH BB 53, 373),

der Schadensersatzanspruch des Grundstückseigentümers, der sein Gebäude wegen
einer von dem Nachbargrundstück in den Luftraum seines Grundstücks hineinragenden Brandmauer nicht – wie zulässig – auf der Grundstücksgrenze, sondern in entspr
Abstand davon errichten muss (BGHZ 28, 110),

die Pflicht des Grundstückseigentümers, das Herabfallen von Steinbrocken auf sein
Grundstück von Sprengungen auf dem Nachbargrundstück gegen Entschädigung zu
dulden (BGHZ 28, 225)

oder von dem Abriss einer auf seinem Grundstück stehenden Grenzwand abzusehen,
weil anderenfalls das auf dem Nachbargrundstück an die Grenze gebaute Haus erheblich beeinträchtigt würde (BGHZ 68, 350),

die Pflicht des Grundstückseigentümers zur Duldung einer nach § 909 an sich
unzulässigen Vertiefung auf dem Nachbargrundstück (BGHZ 101, 290),

der eingeschränkte Unterlassungsanspruch des geschädigten Eigentümers gegen den
Benutzer des Nachbargrundstücks, eine Deponie so anzulegen, dass sie den natürlichen Abfluss von Kaltluft von seinem Grundstück verhindert (BGHZ 113, 384),

die Auferlegung einer besonderen Handlungspflicht des Grundstückseigentümers zur
Verhinderung von Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks, wenn aus zwingenden Gründen ein billiger Interessenausgleich notwendig ist (BGH NJW-RR 01, 1208,
1209),

die Verpflichtung des Grundstückseigentümers, Änderungen an seinem Gebäude in
einer die Belange des Nachbarn möglichst wenig beeinträchtigenden Weise vorzunehmen (BGH NJW-RR 03, 1313),

die Verpflichtung von Nachbarn, bei erkannter Grenzverwirrung keine vollendeten
Tatsachen zu schaffen und den Besitz an sich zu ziehen, um so eine Abgrenzung nach
der Regelung in § 920 I 1 zu erreichen, sondern die neue Grenzziehung abzuwarten
(BGH NJW-RR 08, 610, 611),

die Duldung kurzfristiger Beeinträchtigungen der Zufahrt zum Grundstück (BGH NJWRR 11, 1476, 1477),

die Unzulässigkeit des Verbietungsrechts des Eigentümers hinsichtlich des Betretens
seines Grundstücks durch eine auf dem Nachbargrundstück gehaltene Katze (Köln
NJW 85, 2328),

die Verpflichtung des Grundstückseigentümers, eine Parabolantenne auf seinem Haus
auf Verlangen des Nachbarn zu entfernen (Frankf NJW-RR 89, 464),

eine Baulast zu übernehmen (Frankf OLGR 96, 211),

seine Hecke herunter zu schneiden (Saarbr NJW-RR 91, 406),

nicht mehr als 100 Tauben auf seinem Grundstück zu halten (LG Itzehoe NJW-RR 95,
979)

oder seine an der Grundstücksgrenze stehenden Bäume zurück zu schneiden (AG
Mettmann WuM 91, 576).
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
18
4 Beeinträchtigungen durch Bäume vom Nachbargrundstück
Grundstücksverschattungen durch hohe nicht über die Grenzlinie wachsende Bäume und
Sträucher sind immer wieder Anlass für Nachbarstreitigkeiten. Kein Wunder, kann doch
die Nutzung des betroffenen Grundstücks durch den Lichtentzug erheblich eingeschränkt
sein. Es liegt deshalb nahe, dass sich der Grundstückseigentümer (gemäß § 1004 BGB
33
§ 906 BGB) bzw. der Grundstücksmieter oder -pächter (gemäß § 862 Abs. 1 BGB
34
,
,
§ 906 BGB) dagegen zur Wehr setzen möchte und von seinem Nachbarn verlangt, die
Schatten werfenden Gehölze zu fällen oder wenigstens zurückzuschneiden.
Man ist klug beraten die Erfolgsaussicht einer Klage sehr zu prüfen, denn i. d. R. muss
man mit einer Klageabweisung rechnen.
Das liegt daran, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden
Lehre der Entzug von Licht durch Schatten spendende Bäume und Sträucher keine unzulässige positive Einwirkung auf ein Grundstück im Sinn von § 903 BGB, § 906 BGB,
§ 1004 BGB ist, gegen die sich der Betroffene zur Wehr setzen kann. Vielmehr handelt es
sich um eine so genannte. negative Einwirkung, die nach diesen Vorschriften nicht abwehrfähig ist
35
.
Der Bundesgerichtshof
36
hat diese Rechtsauffassung unter Rückgriff auf die Entsteh-
ungsgeschichte des BGB damit begründet, dass ein beiderseitig unbeschränktes Recht,
mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB, 1. Alternative), ebenso, wie
ein uneingeschränktes Recht, den jeweils anderen von jeden Einwirkungen auszuschließen (§ 903 BGB, 2. Alternative), eine sinnvolle Nutzung beider Grundstücke unmöglich
machen würde. Der notwendige Interessenausgleich zwischen den Grundstücksnachbarn
werde deshalb erst durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen, insbesondere durch
§ 906 BGB geschaffen. Nach dieser Vorschrift können aber nur positiv die Grundstücksgrenze überschreitende und im Allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Einwirkungen abgewehrt werden, wie Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche, Erschütterungen oder ähnliche Einwirkungen (sog. Imponderabilien), nicht dagegen Zustände oder
Handlungen auf dem Nachbargrundstück, die natürliche Vorteile wie Licht oder Sonnenschein vom eigenen Grundstück abhalten.
33
§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt,
so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
34
§ 862 Anspruch wegen Besitzstörung
(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigung
der Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber
fehlerhaft besitzt und der Besitz in dem letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist.
35
So BGH, Urteil v. 15.6.1951, V ZR 55/50, MDR 1951, 726; OLG Hamburg, Beschluss v. 8.8.1962,
8 U 44/62, MDR 1963, 135; BGH, Urteil v. 15.11.1974, V ZR 83/73, NJW 1975, 170; OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.7.1979, 4 U 18/79, NJW 1979, 2618; BGH, Urteil v. 22.2.1991, V ZR 308/89, NJW
1991, 1671; BGH, Urteil v. 23.4.1993, V ZR 250/92, NJW 1993, 1855; VGH Mannheim, Urteil v.
27.10.1995, 5 S 1023/95, NVwZ-RR 1996, 381 (zum Schattenwurf von Bäumen auf städtischem
Grundstück); OLG Hamm, Urteil v. 28.9.1998, 5 U 67/98, MDR 1999, 930.
36
So BGH, Urteil v. 21.10.1983, V ZR 166/82, BGHZ 88, 344.
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
19
Die Nichterwähnung dieser so genannten negativen Einwirkungen in § 906 BGB erfolgte
nach den damaligen Vorstellungen des Gesetzgebers bewusst. Die Eigentumsfreiheit sollte nämlich nicht eingeschränkt werden, so lange die Grenze zum Nachbargrundstück
nicht durch die Zuführung von so genannten Imponderabilien überschritten wird. Denn
eine sich in den Grenzen des Grundstücks haltende Benutzung sollte nicht verboten sein.
So weit die Begründung durch den BGH. Ergänzend weist er noch darauf hin, dass das
BGB hinsichtlich der sog. negativen Einwirkungen keine Lücke enthält, sondern es insoweit bewusst bei der Freiheit des Grundeigentümers belässt, seine Sache im Rahmen der
Gesetze nach Belieben zu benutzen, so lange er die Grenzen zum Nachbargrundstück
nicht durch Zuführung von sog. Imponderabilien überschreitet. Mit diesem Ansatz verneint der BGH grundsätzlich auch eine Anwendung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Fällen sog. negativer Einwirkungen.
Eine Klage auf Beseitigung oder Rückschnitt von Schatten werfenden Bäumen oder
Sträuchern wird deshalb nur in extremen Ausnahmefällen erfolgreich sein, etwa bei vollständiger Abschattung eines gesamten Grundstücks während des überwiegenden Teils
des Tages
37
, einer derartigen Verschattung eines Wohnhauses, dass in Wohnräumen
selbst am Tag künstliches Licht eingeschaltet werden muss
38
oder wenn es sich bei der
Abschattung des Grundstücks um eine bewusste Schikanemaßnahme des Nachbarn
(§ 226 BGB
39
) handelt
40
.
Im Übrigen lösen Schatten werfende Bäume und Sträucher nur dann Ansprüche auf
Rückschnitt oder sogar auf Beseitigung aus, wenn sie unter Verletzung von Grenzabstandsvorschriften in den Nachbarrechtsgesetzen der Länder gepflanzt wurden und entsprechende Abwehransprüche zeitlich noch geltend gemacht werden können (Näheres
hierzu in Abschnitt 2).
4.1 Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (LEMKE)
Die Passagen zum Nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch stammen von LEMKE (2012) 41
4.1.1 Anspruchsvoraussetzungen
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch hat seine gesetzliche Grundlage in § 906 Abs.
2 Satz 2 BGB
42
. Er soll einen Ausgleich zwischen Nachbarn in dem Fall herbeiführen,
37
Vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil v. 28.9.1998, 5 U 67/98, MDR 1999, 930.
So AG Mettmann, Urteil v. 12.6.1991, 24 C 78/90, WM 1991, 576.
39
§ 226 Schikaneverbot
38
Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.
40
Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.7.1979, 4 U 18/79, NJW 1979, 2618.
Dr. Reiner Lemke, Richter am Bundesgerichtshof, V. Zivilsenat
42
§ 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe
41
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Ein-
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
20
dass der beeinträchtigte Eigentümer in Anpassung an die sozialen und technischen Änderungen in der Umgebung seines Grundstücks unter Umständen auch solche Einwirkungen hinnehmen muss, welche die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks besonders schwer beeinträchtigen; der Ausgleich erfolgt in Geld und muss der Belastung, die
die Duldungspflicht mit sich bringt, angemessen sein. Der verschuldensunabhängige Anspruch ist dann gegeben, wenn von einem emittierenden Grundstück aufgrund nichthoheitlicher Tätigkeit und ortsüblicher Benutzung auf ein anderes, nicht unbedingt unmittelbar angrenzendes, Grundstück durch die Zuführung unwägbarer Stoffe so eingewirkt wird, dass dessen Benutzung wesentlich beeinträchtigt wird und diese Beeinträchtigung von dem Benutzer des emittierenden Grundstücks nicht durch wirtschaftlich zumutbare
Maßnehmen verhindert werden kann. Diese Definition reiht alle gesetzlichen Tat-
bestandsmerkmale aneinander; sie ist kaum verständlich. Deshalb ist es notwendig, jedes Merkmal einzeln zu beleuchten.
4.1.2 Einwirkung
Zunächst müssen Einwirkungen von einem Grundstück auf ein anderes Grundstück ausgehen. Als Art der Einwirkung nennt das Gesetz in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB die Zuführung unwägbarer Stoffe, nämlich Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche, Erschütterungen und ähnliches. Negative Einwirkungen, die durch Handlungen auf
dem eigenen Grundstück die natürlichen Vorteile und Zuführungen von dem Nachbargrundstück abhalten oder Ableitungen von diesem Verhindern, fallen nicht unter die Vorschrift. Dazu zählt z. B. die Verhinderung der Zufuhr von Licht, Luft und Wind oder des
Ausblicks und Luftabflusses, ebenso das Ablenken von Rundfunk- und Fernsehwellen
durch Gebäude oder Bäume, auch die Entziehung von Grundwasser durch Grundwasserförderung auf dem eigenen Grundstück. Dasselbe gilt für ideelle Einwirkungen, die durch
Handlungen auf dem eigenen Grundstück hervorgerufen werden, welche das ästhetische
Empfinden des Nachbarn verletzen und/oder den Verkehrswert des Nachbargrundstücks
mindern. Auf Einwirkungen, die durch die Zuführung so genannter Grobimmissionen, das
sind größere festkörperliche Gegenstände wie z. B. Flüssigkeiten, Steine, Schrotblei sowie Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Bäumen und Sträuchern, kann die Vorschrift
nicht direkt angewendet werden.
4.1.3 Wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung
Ob die in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Einwirkungen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Benutzung des betroffenen Grundstücks führen, ist keine rechtliche, sondern
eine
tatsächliche
Frage.
Maßstab
ist
das
Empfinden
eines
verständigen
Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung
und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive
wirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach
§ 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.
(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser
Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem
Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine
ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
(3) Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
21
Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive Empfinden des gestörten Nutzers. Daraus folgt, dass unabhängig von seiner persönlichen Einstellung und Anschauung das in den letzten Jahrzehnten veränderte Umweltbewusstsein
weiter Kreise der Bevölkerung, das Allgemeininteresse an einer jugendfreundlichen Umgebung oder die berechtigten Belange Behinderter ebenso zu berücksichtigen sind wie
die Grundstückslage in einem Wohn- oder Gewerbegebiet, die Funktion des Grundstücks
als Wohn- oder Gewerbeimmobilie und die Ausstattung eines Hauses. Für ein Wohngrundstück ist maßgeblich, ob die Annehmlichkeit des Wohnens durch die Einwirkung
beeinträchtigt und der Grundstückwert dadurch gemindert wird. Die Überschreitung der
in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder nach § 48 BImSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften festgelegten Grenz- oder Richtwerte rechtfertigt es nicht, eine Beeinträchtigung automatisch als wesentlich zu bewerten; sie gibt jedoch einen deutlichen
Hinweis auf die Wesentlichkeit. Gleiches gilt für das Fehlen einer notwendigen behördlichen Genehmigung, jedenfalls so lange nicht feststeht, dass die emittierende Anlage ohne Einschränkung genehmigungsfähig ist.
4.1.4 Ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks
Ähnlich wie die Frage nach der Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen ist auch die Frage
nach der ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks nach tatsächlichen Gesichtspunkten zu beantworten. Maßgeblich ist, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der
Umgebung mit einer nach Art und Ausmaß einigermaßen gleich bleibenden Einwirkung
benutzt wird. Dabei gilt nur die Benutzung als ortsüblich, die in dem betreffenden Gebiet
keine stärker störenden Einwirkungen abgibt, als eben dort im allgemeinen üblich ist.
Somit ist in erster Linie auf den jeweiligen Gebietscharakter abzustellen. Als Vergleichsbezirk ist grundsätzlich das gesamte Gemeindegebiet, in welchem sich das betroffene
und das emittierende Grundstück befinden, zu berücksichtigen. In Regel müssen die Einwirkungen einer länger andauernden Benutzung des Grundstücks herrühren; einmalige
Emissionen sind im allgemeinen nicht ortsüblich. Etwas anderes gilt dann, wenn mit gewöhnlichen Herstellungs-, Unterhaltungs- der Umbaumaßnahmen zeitweise erhöhte Einwirkungen verbunden sind. Sie sind, obwohl sie nur vorübergehend auftreten, ortsüblich,
wenn das Gebäude oder die Anlage, an denen die Arbeiten ausgeführt werden, selbst
ortsüblich sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Ortsüblichkeit ist die letzte mündliche Tatsachenverhandlung. Das schließt es jedoch nicht grundsätzlich aus, auch
die Priorität mit zu berücksichtigen. Anders als bei dem Abwehranspruch nach §§ 906
Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB kann es sich bei dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch
nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auswirken, ob die beeinträchtigte Benutzung des betroffenen Grundstücks später begonnen hat als die Benutzung des emittierenden Grundstücks.
Für die Begründung und Höhe des Anspruchs dürfen nämlich die Umstände nicht außer
Betracht gelassen werden, die den Interessenkonflikt zwischen dem beeinträchtigten und
dem beeinträchtigenden Grundstückseigentümer durch das Verhalten des einen oder des
anderen veranlasst oder verschärft haben.
4.1.5 Unverhinderbarkeit der Beeinträchtigung
Die von dem emittierenden Grundstück ausgehende Beeinträchtigung des betroffenen
Grundstücks darf nicht durch wirtschaftlich zumutbare organisatorische oder technische
Maßnahmen zu verhindern sein. Was zumutbar ist und was nicht, hängt von den nach-
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22
barlichen Verhältnissen, den Vor- und Nachteilen, den technisch/organisatorischen Möglichkeiten und der Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Benutzers des emittierenden Grundstücks ab. Auch hier kommt es also nicht auf die Belange und die Leistungsfähigkeit des konkreten Benutzers an. Die Zumutbarkeit ist zu verneinen, wenn die Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks unwesentlich werden zu lassen, soviel Aufwendungen verursachen, dass die emittierende
Anlage langfristig nicht mehr rentabel geführt werden könnte. Welche Maßnahmen für die
Beseitigung oder wenigstens Reduzierung der Einwirkungen auf das Nachbargrundstück
erforderlich sind, hat der Benutzer des emittierenden Grundstücks zu entscheiden; wichtig ist, dass sie geeignet, notwendig und verhältnismäßig sind.
4.1.6 Ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks
Die auf die Benutzung des emittierenden Grundstücks zurückgehende Einwirkung auf das
betroffene Grundstück muss dessen ortsübliche Benutzung über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen. Die Frage nach der Ortsüblichkeit beantwortet sich hier nach denselben Maßstäben wie bei der ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks.
Auf das dort Gesagte kann ich deshalb Bezug nehmen.
4.1.7 Unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung oder des Ertrags des betroffenen Grundstücks.
Bei der Beurteilung dieses Merkmals ist ebenfalls auf das Empfinden eines durchschnittlichen Benutzers des betroffenen Grundstücks in seiner örtlichen Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung abzustellen. Die Belange und Verhältnisse des konkreten
Nutzers sind also nicht ausschlaggebend. Das kann dazu führen, dass dem Betroffenen
im Rahmen der Ortsüblichkeit auch aufwändige Schutzmaßnahmen zuzumuten sein können.
4.1.8 Anspruchsberechtigter und Anspruchsverpflichteter
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch steht neben dem Eigentümer auch dem Besitzer des betroffenen Grundstücks zu. Denn er dient als Kompensation für den Ausschluss
primärer Abwehransprüche, die nach § 862 Abs. 1 BGB auch dem Besitzer zustehen und
ihm einen den Rechten des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB ähnlichen Schutz gegen
Störungen bieten.
Der Anspruch richtet sich nicht nur gegen den Eigentümer des beeinträchtigenden
Grundstücks, sondern auch gegen den Nutzer als denjenigen, der die Nutzungsart dieses
Grundstücks bestimmt. Wird ein Grundstück von mehreren Personen zu unterschiedlichen Zwecken benutzt, richtet sich der Ausgleichsanspruch ebenso wie der Abwehranspruch, an dessen Stelle er tritt, gegen denjenigen, der die beeinträchtigende Nutzungsart zu verantworten hat.
4.1.9 Anspruchsinhalt
Der Anspruch ist auf einen angemessenen Ausgleich in Geld gerichtet. Das ist etwas anderes als ein Schadensersatzanspruch. Dieser soll Einwirkungen auf eine Sache wirtschaftlich ungeschehen machen, indem der beeinträchtigte Eigentümer so zu stellen ist,
wie er ohne die Beeinträchtigung stünde. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch da-
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23
gegen soll die dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer oder –nutzer in besonderen
Fällen auferlegte Duldungspflicht kompensieren. Ausgeglichen wird nur der unzumutbare
Teil der Beeinträchtigung, weil der Betroffene die Einwirkungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit entschädigungslos hinzunehmen hat. Der Höhe nach bemisst sich der Anspruch nach den Grundsätzen, welche die Rechtsprechung zur Höhe der Enteignungsentschädigung herausgearbeitet hat. Das kann im Einzelfall die Höhe des Schadensersatzes
erreichen. So wird z. B. dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer die volle Differenz
zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert seines Grundstücks, den es infolge der Beeinträchtigung hat, und dem fiktiven Verkehrswert, den das Grundstück bei einer noch zumutbaren Beeinträchtigung hätte, ersetzt.
4.1.10 Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
Ich komme jetzt zu den durch Richterrecht geschaffenen Erweiterungen des Anwendungsbereichs des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Ihnen liegt die ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes zugrunde, wonach der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch immer
dann gegeben ist, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB
unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer
entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.
Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den
Anwendungs-
bereich über die in § 906 Abs. 1 BGB genannten Einwirkungen hinaus auf die durch und
Grobimmissionen wie z. B. natürliche Bestandteile von Bäumen und Sträuchern (Wurzeln,
Zweige, Laub, Nadeln, Blüten, Zapfen u.ä.) hervorgerufenen Einwirkungen erweitert. Es
kommt somit nicht auf die Art der Einwirkung an, sondern auf die von ihr ausgehende unzumutbare Eigentumsbeeinträchtigung. Der Anspruch ist jedoch wie in den im Gesetz geregelten Fällen subsidiär, setzt also voraus, dass der beeinträchtigte Eigentümer
oder Besitzer aus besonderen Gründen gehindert ist, die Einwirkung rechtzeitig zu unterbinden. Im Gegensatz zu der gesetzlichen Regelung, die dem Betroffenen aus Rechtsgründen eine Duldungspflicht auferlegt, lässt der Bundesgerichtshof einen faktischen
Duldungszwang genügen. Er kann sich u.a. daraus ergeben, dass der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte.
Diese Rechtsprechung ist in der Literatur teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Dem Bundesgerichtshof wird vorgeworfen, in ungebremstem Mut zur Rechtsfortbildung das System des Schadensersatzrechts verlassen und zu einer Gefährdungshaftung gelangt zu
sein, oder ein unübersichtliches Spektrum an Haftungskriterien entworfen zu haben und
jedes geschlossene Konzept abzulehnen. Damit will ich mich jetzt ein wenig auseinandersetzen und versuchen, die Fahne des Bundesgerichtshofes hoch zu halten. Eine besondere Hervorhebung erfahren dabei die naturbedingten Schadensfälle.
4.1.11 Störer
Dreh- und Angelpunkt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der daran geübten Kritik ist die Störereigenschaft desjenigen, von dessen Grundstück die Beeinträchtigungen von Nachbargrundstücken ausgehen. Zwar setzt der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch kein Verschulden des Beeinträchtigenden voraus. Das führt jedoch (an-
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24
ders als bei der Gefährdungshaftung) nicht dazu, dass seine Verantwortlichkeit an das
Eigentum oder die Benutzung des Grundstücks anknüpft. Der V. Zivilsenat bejaht in
ständiger Rechtsprechung die Störereigenschaft vielmehr nur dann, wenn die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers
zurückgeht. Der Schwierigkeit, mit dieser Formel ein taugliches Abgrenzungsinstrument
zur Gefährdungshaftung in der Hand zu haben, begegnet er regelmäßig damit, dass sich
nach seiner Auffassung die Frage der Störereigenschaft nicht begrifflich, sondern nur in
wertender Betrachtung von Fall zu Fall klären lässt. Auf dieser Grundlage sieht er folgerichtig z.B. den Eigentümer, von dessen Grundstück Baumwurzeln in die Abwasserleitung
des Nachbargrundstücks eindringen, als Störer hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen
Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbarn an. Hingegen wird die
Störereigenschaft des
Grundstückseigentümers in dem Fall des Umstürzens eines Baumes auf das Nachbargrundstück infolge eines besonders heftigen Sturms oder beim Eindringen von Ungeziefer auf ein Nachbargrundstück verneint. Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen sind dem Eigentümer nämlich allenfalls dann als Störer zuzurechnen, wenn er sie
durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn sie erst durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden sind, und wenn der vom Eigentümer geschaffene oder
geduldete Zustand eine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück bildet.
4.1.12 Naturbedingte Schadensfälle
(a) In dem Urteil vom 23. April 1993 (V ZR 250/92, BGHZ 122, 283) ging es um den Ersatz von Sturmschäden, die durch das Umstürzen eines in seiner Standfestigkeit nicht
beeinträchtigt gewesenen Baumes bei Sturmböen mit Windstärken 9 bis 10 auf dem
Nachbargrundstück verursacht wurden. Hier verneinte der Bundesgerichtshof die Störereigenschaft des Eigentümers. Das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründe keine konkrete Gefahrenquelle. Daran ändere auch nichts, dass
bei Naturkatastrophen Schäden nicht auszuschließen seien; denn derartige ganz ungewöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse seien zwar denkbar, normalerweise aber
nicht zu erwarten. Im Zeitpunkt des Umstürzens des Baumes habe es nicht mehr in der
Macht des Eigentümers gestanden, die Gefahrenlage zu beseitigen. Deswegen sei ihm die
Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks nunmehr nicht als Störer zuzurechnen.
Nach meinem Verständnis der Entscheidungsgründe wird hier zwischen zwei verschiedenen Zeiträumen für die Beurteilung der Störereigenschaft unterschieden. Für die Zeit bis
zum Umstürzen des Baumes fehlt jeglicher Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Eigentümers. Das Umstürzen selbst, das erst zu der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks führte, dauerte nur wenige Sekunden; deswegen war dem Eigentümer ein Eingreifen gar nicht möglich. Bei dieser Sachlage kann er nicht als Störer angesehen werden.
(b) Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Störerbegriff findet sich in dem Urteil
vom 7. Juli 1995 (V ZR 213/94, NJW 1995, 2633), dem der folgende Sachverhalt
zugrunde lag: Auf dem Grundstück des Beklagten stand seit 14 Jahren eine Lärche in ca.
19 m Entfernung zu dem angrenzenden Grundstück des Klägers. Dieser hat behauptet,
der Baum sei in erheblichem Umfang mit Wollläusen befallen, welche sich auf sein
Grundstück verbreitet und dort stehende Kiefern befallen und geschädigt hätten. Er verlangte von dem Beklagten, das Eindringen von Wollläusen auf sein (des Klägers) Grundstück zu verhindern. Der Bundesgerichtshof verneinte die Störereigenschaft des Eigentümers mit der Begründung, er habe mit dem Pflanzen der Lärche keine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück geschaffen, die sich später verwirklicht habe; vielmehr gingen die von dem Kläger beanstandeten Einwirkungen auf ein zufälliges und zu-
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25
sätzliches Naturereignis zurück, das alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko
treffe und zur natürlichen Eigenart jeder Art von Anpflanzung gehöre.
Diese Begründung liegt ebenfalls auf der Linie der ständigen Senatsrechtsprechung. Sie
verdeutlicht in besonders anschaulicher Weise das Bemühen, über die Definition des Störers eine Gefährdungshaftung des Eigentümers zu vermeiden.
(c) In seinem Urteil vom 16. Februar 2001 (V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208) hat der
Bundesgerichtshof den Eigentümer eines nicht bewirtschafteten Weinberges für nicht
ersatzpflichtig für solche Schäden gehalten, die durch die Verbreitung von Mehltau auf
einem benachbarten Weinberg entstanden sind, obwohl diese Verbreitung erst durch die
Nichtbewirtschaftung ermöglicht wurde. Der Eigentümer sei zur Bewirtschaftung nicht
verpflichtet gewesen; sein Verhalten habe nicht gegen besondere Sicherungspflichtenverstoßen. Deshalb sei er nicht als Störer anzusehen.
Hier taucht erstmalig im Zusammenhang mit dem Störerbegriff des § 1004 BGB der Gesichtspunkt der Sicherungspflicht des beeinträchtigenden Eigentümers oder Nutzers auf.
Erst ihre Verletzung macht den Verletzer zum Störer. Das ist die logische Konsequenz der
bisherigen Rechtsprechung, wonach der Tatbestand des § 1004 BGB nicht erfüllt ist,
wenn von einem Grundstück Beeinträchtigungen ausgehen, die ausschließlich auf Naturkräfte zurückzuführen sind. Das schließt es zugleich aus, dass dem Nutzer in solchen Fällen besondere Sicherungspflichten auferlegt werden können.
(d) Grundlegend fortgeführt und näher konkretisiert hat der Bundesgerichtshof sein Verständnis von der Störereigenschaft im Sinne des § 1004 BGB in zwei erst kürzlich ergangenen Entscheidungen vom 14. und 28. November 2004 (V ZR 102/03, NJW
4.1.13 BGH 2004, 1037 und BGH V ZR 99/03, NJW 2004, 603
In dem ersten Fall war es zu Beeinträchtigungen eines Grundstücks infolge des Abfallens
von Laub, Nadeln und Zapfen zweier auf dem Nachbargrundstück stehender Kiefern gekommen. Eine Besonderheit bestand darin, dass beide Bäume den landesrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhielten, ihr Zurückschneiden oder gar Entfernen aber
wegen des Ablaufs der in dem Landesnachbarrechtsgesetz dafür vorgeschriebenen Ausschlussfrist nicht mehr verlangt werden konnte. Der Bundesgerichtshof gewährte dem
beeinträchtigten Grundstückseigentümer in analoger Anwendung des § 906 Abs.2 Satz 2
BGB einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch für den erhöhten Reinigungsaufwand,
den er auf seinem Grundstück hat, und zwar mit der Begründung, er sei wegen des
Fristablaufs rechtlich gehindert, den an sich bestehenden Anspruch auf Zurückschneiden
oder Beseitigen der Bäume geltend zu machen. Der Eigentümer der Bäume wurde als
Störer angesehen, weil er sie unter Verletzung der Vorschriften über den Grenzabstand
angepflanzt und gehalten hat. Das widersprach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen
Bewirtschaftung des Grundstücks. Die Störung musste der beeinträchtigte Grundstückseigentümer grundsätzlich nicht hinnehmen, sondern konnte sie gemäß § 1004 Abs.1 BGB
abwehren. Da aber eine andere wirtschaftlich zumutbare Art der Abwehr als Zurückschneiden oder Beseitigen der Bäume nicht denkbar war, dies jedoch wegen des Ablaufs
der Ausschlussfrist nicht mehr verlangt werden konnte, bestand für den beeinträchtigten Grundstückseigentümer ein rechtlicher Duldungszwang. Das führte entsprechend der
langjährigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu der analogen Anwendung des § 906 Abs.2 Satz 2 BGB. Allerdings findet sich in der Entscheidung keine
Auseinandersetzung mit dem Problem, dass der Duldungszwang erst dadurch eintrat,
dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer sein Recht, das Zurückschneiden oder
Beseitigen der Bäume zu verlangen, nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. Es liegt nicht
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
26
allzu fern, in einem solchen Fall dem Beeinträchtigten den Ausgleichsanspruch zu versagen.
In dem zweiten Fall hatten die Wurzeln eines Kirschbaumes die Betonplatten eines Weges
auf dem Nachbargrundstück angehoben. Der dadurch beeinträchtigte Eigentümer hatte
die Platten aufgebrochen, die Wurzeln abgeschnitten und den gesamten Weg mit Kleinpflaster neu befestigt. Die dafür angefallenen Kosten verlangte er von dem Nachbarn
ersetzt. Auch hier hat der Bundesgerichtshof die Störereigenschaft des Eigentümers des
Baumes trotz der in erster Linie wirkenden Naturkräfte bejaht. Dabei hat er erneut an
den Gedanken der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks angeknüpft. Sie
ist nach dem Grundgedanken des
§ 903 BGB, der in der Spezialregelung des § 910 BGB, wonach der Eigentümer in sein
Grundstück eingedrungene Wurzeln abschneiden und behalten darf, eine besondere
Ausprägung gefunden hat, nicht gegeben, wenn der Eigentümer des Baumes dessen
Wurzeln in das Nachbargrundstück hinüber wachsen lässt.
4.1.14 Fazit
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist ein klassischer Fall der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferung. Schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war es
anerkannt, dass demjenigen Eigentümer, dem im Interesse des Gemeinwohls Duldungspflichten hinsichtlich solcher Beeinträchtigungen der Benutzung seines Grundstücks auferlegt wurden, die er normalerweise verhindern durfte, ein angemessener Ausgleich in
Geld zu zahlen war. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung ausgeweitet. Im
Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung hat er den Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2
Satz 2 BGB ständig erweitert, und zwar auch noch nach dem Inkrafttreten der jetzigen
Fassung der Vorschrift im Jahr 1960. Heute kommt der Ausgleichsanspruch in allen Fällen
des rechtlichen oder faktischen Duldungszwangs für den beeinträchtigten Grundstückseigentümer in Betracht, wenn für ihn die Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird. Das
entspricht einem unabweisbaren praktischen Bedürfnis. Dem Beeinträchtigten steht derjenige Eigentümer oder Nutzer gegenüber, der durch seine Handlung die Beeinträchtigung veranlasst, die Quelle er Beeinträchtigung beherrscht und aus beidem Vorteile
zieht. Mit Blick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis erscheint es nur gerecht,
ihn zu einem angemessenen Ausgleich zu verpflichten. Dogmatisch hält sich die heutige
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch
analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem für das private Nachbarrecht maßgeblichen dreiteiligen Haftungssystem von Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängiger Störerhaftung. Dieses System nicht zu verlassen, zwingt dazu, die Verantwortlichkeit des Beeinträchtigenden anhand des Störerbegriffs einzuschränken. Anderenfalls käme man auch in diesem Bereich zu einer Gefährdungshaftung, welche der Gesetzgeber jedoch nicht einführen wollte. Das zeigt die Grenzen einer richterlichen Rechtsfortbildung auf. Sie wurden bei der analogen Anwendung des § 906 Abs.2 Satz 2 BGB
bisher vom Bundesgerichtshof nicht überschritten.
5
Baum (Strauch) als Grenzbaum
5.1
§ 923 BGB Grenzbaum
(1) Steht auf der Grenze ein Baum, so gebühren die Früchte und, wenn der Baum gefällt wird,
auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen.
(2) Jeder der Nachbarn kann die Beseitigung des Baumes verlangen. Die Kosten der Beseitigung fallen den Nachbarn zu gleichen Teilen zur Last. Der Nachbar, der die Beseitigung ver-
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langt, hat jedoch die Kosten allein zu tragen, wenn der andere auf sein Recht an dem Baume
verzichtet; er erwirbt in diesem Falle mit der Trennung das Alleineigentum. Der Anspruch auf
die Beseitigung ist ausgeschlossen, wenn der Baum als Grenzzeichen dient und den Umständen nach nicht durch ein anderes zweckmäßiges Grenzzeichen ersetzt werden kann.
(3) Diese Vorschriften gelten auch für einen auf der Grenze stehenden Strauch.
Im Ergebnis kann sich ein Grundstücks-/Baumeigentümer, dessen Baumstamm von der
Grenzlinie (auch nur um einen Zentimeter) geschnitten wird und somit auch dem Nachbargrundstück steht, nicht dagegen wehren, wenn der Nachbar (auf eigene Kosten) die
Beseitigung dieses Baumes verlangt.
Hilfe bringen Baumschutzsatzung bzw. Naturdenkmal-Ausweisung.
5.2
Verkehrssicherungspflicht für Grenzbäume
Im Grenzbaum-Urteil des BGH vom 2. Juli 200443, in dem es unter anderem um die Verkehrssicherungspflicht ging, hat der BGH jetzt entschieden, dass am Grenzbaum ein vertikal geteiltes Eigentum der beiden Nachbarn besteht. Bildlich kann man sich den Baum
dabei wie einen auf der Grenzlinie von oben nach unten durchgeschnittenen Pilz vorstellen, dessen Schnitthälften je einem der Nachbarn gehören. Die Leitsätze des BGH-Urteils
lauten:
a) Ein Baum ist ein Grenzbaum im Sinn von § 923 BGB, wenn sein Stamm dort, wo er
aus dem Boden heraustritt, von der Grundstücksgrenze durchschnitten wird.
b) Jedem Grundstückseigentümer gehört der Teil des Grenzbaumes, der sich auf seinem
Grundstück befindet (vertikal geteiltes Eigentum).
c) Jeder Grundstückseigentümer ist für den ihm gehörenden Teil eines Grenzbaumes in
demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen vollständig auf seinem
Grundstück stehenden Baum.
d) Verletzt jeder Eigentümer die ihm hinsichtlich des ihm gehörenden Teils eines Grenzbaums obliegende Verkehrssicherungspflicht, ist für den ihnen daraus entstandenen
Schaden eine Haftungsverteilung nach § 254 BGB vorzunehmen.
5.2.1 Konsequenzen für Sachverständige
Für den Sachverständigen bedeutet dieses Urteil eine völlig neue Herangehensweise bei
der Beurteilung der Vorhersehbarkeit des eingetretenen Schadens. Er muss zwar wie bisher zunächst den Baum in seiner Gesamtheit und in seinem gesamten Umfeld überprüfen. Wenn er dann die Ursachen des Baumversagens festgestellt hat, muss er für jeden
Nachbarn getrennt beurteilen, was dieser jeweils an dem Teil des Baumes auf seinem
Grundstück feststellen konnte. Kompliziert wird es, wenn ein Nachbar bestimmte Maßnahmen an dem Teil seines Baumes vorgenommen hat, die Spätfolgen an dem anderen
Teil hervorrufen müssen, denn der Baum reagiert als biologisches System naturgemäß
nur insgesamt. Was ist wem hinsichtlich der Vorhersehbarkeit zuzurechnen?
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BGH, Urt. v. 2. Juli 2004, V ZR 33/04, AUR 2/2005, 34; Urteile & Recht, www.dasgrün.de
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
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In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte die Beklagte an ihrem Teil des Baumes
eine Auslichtung der Krone vornehmen lassen, die Klägerin aber nicht. Der Baum war
später auf die Seite der Klägerin gestürzt. Der BGH stellte dazu fest: „Zwar war damit die
spätere Fallrichtung des Baumes vorgegeben; aber das allein hat, worauf es bei der Haftungsverteilung ankommt, den Eintritt des Schadens nicht in wesentlich höherem Maße
wahrscheinlich gemacht.“ Schlussfolgerungen wie diese kann das Gericht aber letztlich
nur mit Hilfe von Sachverständigengutachten oder Sachverständigenäußerungen machen.
Hier haben die Sachverständigen eine neue verantwortungsvolle Aufgabe, um die Weichen für eine auch aus fachlicher Sicht vertretbare Entscheidung zu stellen.
5.2.2 Folgen für Baumpfleger
Das Grenzbaum-Urteil des BGH hat für die Baumpfleger eine besondere Bedeutung. Sie
dürfen an Grenzbäumen keine Baumpflege insgesamt durchführen ohne Zustimmung
beider Nachbarn bzw. Baumeigentümer. Sie müssen streng darauf achten, wer ihr Auftraggeber ist und wieweit dieser ihnen den Auftrag erteilen kann - nämlich nur für seine
Baumhälfte. Auf die Folgen müssen sie den Auftraggeber hinweisen, denn sie müssen
auch darauf achten, welche Auswirkungen ihre Arbeiten, wenn sie nur an einem Teil des
Baumes tätig werden dürfen, für den anderen Teil des Baumes haben. Sie haben den
Baumeigentümer, d. h. ihren Auftraggeber, insoweit fachlich zu beraten.
5.2.3 Häufigkeit der Baumkontrollen
Der BGH hat in diesem Urteil noch weitere allgemeine Bemerkungen zur Verkehrssicherungspflicht für Bäume gemacht. Er hat wie in vielen anderen Entscheidungen wieder das
Grundsatzurteil von 1965
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zitiert und ist dabei auch auf die Häufigkeit der Baumkontrol-
len eingegangen. Der BGH stellt fest, dass beide Eigentümer bzw. Parteien verpflichtet
waren, den Grenzbaum in „angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen“. Wie bereits in seinem Urteil von 1965 und zuletzt im Pappelurteil von 200445 legt
der BGH den angemessenen Zeitabstand aber nicht fest, sondern weist hier darauf hin,
dass es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung handelt, indem er weiter ausführt:
„Wie oft und in welcher Intensität solche Baumkontrollen durchzuführen sind, lässt sich
nicht generell beantworten. Ihre Häufigkeit und ihr Umfang sind von dem Alter, und Zustand des Baumes sowie seinem Standort abhängig (Breloer, Wertermittlungsforum
2004, 3, 8).“
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BGH, Urt. v. 21. Januar 1965, III ZR 217/63, NJW 1965, 815; Urteile & Recht, www.dasgrün.de
BGH, Urt. v. 4. März 2004, III ZR 225/03, AUR 12/2004, 413; Urteile & Recht, www.dasgrün.de
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze
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Grenzanlagen/-einrichtungen
6.1 § 921 BGB Gemeinschaftliche Benutzung von Grenzanlagen
Werden zwei Grundstücke durch einen Zwischenraum, Rain, Winkel, einen Graben, eine Mauer, Hecke, Planke oder eine andere Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient,
voneinander geschieden, so wird vermutet, dass die Eigentümer der Grundstücke zur Benutzung der Einrichtung gemeinschaftlich berechtigt seien, sofern nicht äußere Merkmale darauf
hinweisen, dass die Einrichtung einem der Nachbarn allein gehört.
6.2 § 922 Art der Benutzung und Unterhaltung
Sind die Nachbarn zur Benutzung einer der in § 921 bezeichneten Einrichtungen gemeinschaftlich berechtigt, so kann jeder sie zu dem Zwecke, der sich aus ihrer Beschaffenheit ergibt, insoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung des anderen beeinträchtigt wird. Die Unterhaltungskosten sind von den Nachbarn zu gleichen Teilen zu tragen. Solange einer der
Nachbarn an dem Fortbestand der Einrichtung ein Interesse hat, darf sie nicht ohne seine
Zustimmung beseitigt oder geändert werden. Im Übrigen bestimmt sich das Rechtsverhältnis
zwischen den Nachbarn nach den Vorschriften über die Gemeinschaft.
http://www.dasgruen.de/bgh-urteile-gehoelzwert.html
(9) BGH-Urteil vom 15.10.1999 - V ZR 77/99
(Thujahecken-Urteil) → Nachbarrecht → Schadensersatz