Kritiker kaltgestellt

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Kritiker kaltgestellt
Quelle:
, 03.04.2014 / Medien / Seite 15
Kritiker kaltgestellt
Die öffentlich-rechtliche BBC stellt ein Internetportal über Kuba ein, weil ein
Journalist dort US-amerikanische Menschenrechtsverletzungen angeprangert
hat
Von Volker Hermsdorf
Ein
Journalist
beschrieb
das
Verhalten der USA in Guantánamo –
das war zuviel für die BBC; Foto: AP
Photo/Brennan Linsley
Weil er nicht bereit war, einen
kritischen
Artikel
über
Menschenrechtsverletzungen
und Doppelmoral der USA zu
»entschärfen«, strafte die
öffentlich-rechtliche britische
Rundfunkanstalt BBC ihren
langjährigen Korrespondenten
in Havanna, Fernando Ravsberg, ab. Sein beliebter Blog Cartas desde Cuba (Briefe
aus Kuba), auf dem er seit sieben Jahren auf dem Onlineportal des
Auslandsprogramms BBC Mundo Eindrücke aus und über Kuba veröffentlichte,
wurde in der vergangenen Woche geschlossen.
An Stelle des unbequemen Korrespondenten sollen, nach Ankündigung der BBC,
künftig Personen schreiben, die »kritisch zur Revolution stehen und in den
kubanischen Medien nicht zu Wort kommen«. Unter dem Arbeitstitel »Stimmen aus
Kuba« wird der Onlineauftritt von Systemgegnern vorbereitet, die bereits jetzt in
westlichen Konzernmedien bevorzugt vertreten sind. Ab Mai will die BBC diese
»Stimmen der kubanischen Realität« weltweit verbreiten, kündigte LateinamerikaChef Hernando Álvarez letzten Freitag an. Dessen Pläne lesen sich wie eine Kopie
des Onlineportals Voces Cubanas (Kubanische Stimmen), einer mit Hilfe von USDiensten aufgebauten und verbreiteten Contra-Seite.
Der in Uruguay geborene Journalist Fernando Ravsberg lebt seit 20 Jahren in der
kubanischen Hauptstadt und ist seit sieben Jahren für die einst angesehene BBC
»unser Mann in Havanna«. Er interviewte kubanische Politiker und Systemgegner,
katholische Würdenträger und Prostituierte, berichtete kurzum über viele Facetten
der Gesellschaft. Gesprächspartner, Leser und Berufskollegen bescheinigen ihm
»hohe Professionalität«, auch wenn sie mit manchen seiner Ansichten nicht
einverstanden sind. Hin und wieder gab es Ärger. Er selbst berichtete amüsiert, daß
er nach einer Kritik an der US-Blockade gut zwei Jahre lang weder Einladungen noch
Informationen von Washingtons Interessenvertretung in Havanna erhalten hatte. Mit
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seinen Artikeln eckte Ravsberg häufig auch bei Vertretern von Ministerien, der
Regierung, der Medien und der Partei in Kuba an, wurde dort jedoch nie in seiner
Arbeit behindert oder von irgendeiner kubanischen Seite zensiert. Das besorgte jetzt
sein Chef, die BBC, die bis heute als Monument westlicher Presse- und
Meinungsfreiheit gepriesen wird.
Am 13. März schrieb Ravsberg einen Artikel mit der Überschrift »Die USA und der
Splitter im Auge des Anderen«, in dem er deren Doppelmoral beim Thema
Menschenrechte aufgriff. Er kritisierte, daß die USA zwar Kuba jedes Jahr
Menschenrechtsverletzungen vorwerfen würden, selbst aber das Foltercamp in
Guantánamo betreiben, in dem die größte Zahl politischer Häftlinge auf der Insel
festgehalten werde. Weiter hinterfragte er Washingtons moralische Autorität,
angesichts von 376 Drohnenangriffen in Pakistan und Jemen, bei denen 926
Menschen getötet worden seien, in der Mehrzahl Zivilisten und zahlreiche Kinder. Am
Ende seines Artikels schlug er den USA vor, den Militärstützpunkt Guantánamo an
Kuba zurückzugeben und damit die Wünsche von gleich zwei Präsidenten zu
erfüllen: Raúl Castros Forderung nach Beendigung der US-Besetzung von
Guantánamo und Obamas Versprechen, das weltweit kritisierte Straflager zu
schließen.
So viel Meinungsfreiheit war für die BBC offenbar nicht mehr akzeptabel. »Zum
ersten Mal seit sieben Jahren«, teilte der Autor mit, sei er von der Redaktion
aufgefordert worden, »einige Dinge in dem Artikel zu ändern«. Der Vorwurf: Sein
Beitrag erhebe Anschuldigungen gegenüber Washington in einer Ausdrucksweise,
die er gegenüber »dem Regime in Havanna, der einzigen Diktatur in der westlichen
Hemisphäre«, nie verwendet habe. »Da ich mich ihrer redaktionellen Sichtweise nicht
anschließen wollte, entschieden die Kollegen in London und Miami, den Beitrag nicht
zu veröffentlichen«, berichtete Ravsberg. In der darauffolgenden Woche sei ihm
dann mitgeteilt worden, daß sein Blog Cartas desde Cuba, der auf dem Portal von
BBC Mundo veröffentlicht wird und dort seit Jahren die meisten Leser und
Kommentare hatte, »demnächst verschwinden werde«. Er sei aber »herzlich
eingeladen«, an dem für Mai angekündigten »nicht journalistischen, neuen Blog«
mitzuarbeiten, der »kritisch zur Revolution stehenden aber auch anderen Stimmen«
eine Plattform bieten soll. Der nicht fest angestellte langjährige BBC-Korrespondent
lehnte das ab und kündigte an, die Cartas desde Cuba weiter, dann eben privat, zu
verfassen.
Leser des Blogs reagierten verärgert. »Tatsächlich wollt ihr BBC doch nur noch
weiter nach rechts rücken«, fasste einer mit dem Pseudonym »Adrián« am Freitag
die Kritik zusammen. BBC berichte tendenziös über Venezuela und die Ukraine,
verschweige das von der NATO angerichtete Chaos in Libyen und die Proteste in
Spanien, schreibt er und kommt zu dem Schluß: »Und jetzt behauptet ihr, objektiver
über Kuba berichten zu wollen? Verarscht uns nicht!«