Beethoven digital_ Spirale liebt Staffelwand

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02. Dezember 2004
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BE E TH O VE N D IGITA L
Spirale liebt Staffelwand
Von Klaus Umbach
Das Bonner Beethoven-Haus ist jetzt komplett
digitalisiert. Gestern hat es seinen Fundus ins Internet
gestellt und inszeniert "Fidelio" als virtuelles
Experiment. Hat die Computer-Oper eine Zukunft - oder
bleibt sie so steril wie die OP-Übertragung einer
Blinddarmentfernung?
Ein Kellergewölbe mitten in Bonn feucht, fies, völlig versifft. Nach dem
letzten Krieg hat sich fast ein halbes
Jahrhundert kein Mensch mehr in
dieses mittelalterliche Verlies verirrt.
Ein mannshohes Rattenloch das
Ganze, nicht mehr. Als nebenan, in
der Bonngasse 18, beim
kurfürstlichen Tenoristen van
Beethoven im Winter 1770 ein Knabe
namens Ludwig geboren wurde, hatte
dessen Opa in jener unterirdischen
Komponist Ludwig van
Beethoven: Der KonsolenDunkelkammer noch seinen
Klassiker
Weinkeller. Und oben drüber, in der
guten Stube des Hauses "Im
Mohren", servierte Ludwigs Patin am 17. Dezember 1770 den
Taufschmaus auf das Wohl des künftigen Komponisten. Für
Beethovenianer ist das hier also echt sakrales Gemäuer.
Beethoven aus Bits und Bytes
Seit heute ist das Haus "Im Mohren", Wand an Wand mit dem
historischen Beethovenhaus, eine der modernsten
Schaltzentralen der internationalen Musikwissenschaft und die
unbestritten ergiebigste Fundgrube für die weltweite FanGemeinde des tauben Tonsetzers. Denn nach sechsjähriger
Vorarbeit ist praktisch der gesamte Fundus des Bonner
Beethoven-Hauses, das sich der "weltweit größten Sammlung"
einschlägiger Dokumente und Objekte rühmt, für 4,5 Millionen
Euro mittels 26.000 hochwertiger Farbscanner komplett
digitalisiert, auf einer Datenbank mit rund fünf Terabyte
zusammengeführt und ins Internet gestellt worden.
"Mit diesem Zugang in die mediatisierte Welt wollen wir vor
allem den jungen Leuten entgegenkommen", kommentiert
Andreas Eckhardt als Direktor des Beethoven-Hauses die
Verknüpfung seiner Forschungsstätte mit neuesten Techniken.
"Für viele Beethoven-Verehrer" sei das Geburtshaus des
Komponisten "in erster Linie Gedenkstätte, wir aber sehen es
lieber als Denkstätte."
Dem Zweck, das "digitale Beethoven-Haus" als Schnittstelle
von kultureller Pflegestation und innovativem Labor zu
installieren, dient vor allem jenes Zimmertheater, das im
ehemals vergammelten und nunmehr piekfein umgebauten
Weinkeller von Großvater Beethoven eingerichtet worden ist:
Hier unten, auf einer "Bühne für Musikvisualisierung", wird an
Hand von "Fidelio", Beethovens einziger Oper, mal wieder das
Musiktheater der Zukunft geprobt, übrigens erstmals an einem
klassischen Hit des Repertoires.
Fidelio aus der Matrix
Welch komische Oper, dieser futuristisch verfremdete
"Fidelio"! Kein Guckkasten da, kein Vorhang, keine Kulissen;
kein Orchester zu sehen und kein menschliches Wesen aus
Fleisch und Blut. Und statt der gewohnten zweieinhalb
Stunden dauert das ganze Drama knapp 20 Minuten. "Fidelio"
kastriert? Beethoven verkrüppelt? Die hehre Tonkunst kaputt
computerisiert? Für die aus Berlin stammende Regisseurin
Johanna Dombois, 36, ist der von ihr eingerichtete und
künstlerisch verantwortete "Fidelio, 21. Jahrhundert" (so der
offizielle Titel der Produktion des Fraunhofer Instituts
Medienkommunikation) einfach ein "digitales Kunstwerk", für
dessen "Virtual Environment" (VE) an die 20 Macher vier
Jahre lang geschaltet und gerechnet haben.
Da die längsten
durchprogrammierten Handlungen
in VE bislang kaum über fünf
Minuten hinausgingen und die
Spielzeit deshalb schon aus
technischen Gründen nur wenig
über eine Viertelstunde dauern
durfte, musste Dombois ihre
DPA
Spielvorlage zunächst einmal auf
Internetseite des
rund ein Sechstel des Originals
Beethoven-Hauses: Digitale
und somit radikal kürzen, ohne,
Fundgrube für die Fangemeinde
wie sie unter hehrem Tremolo
betont, "die Gestalt des Werkes zu verletzen". Ihre
Schnittversion basiert, sagt sie, auch nicht "auf einem
Beethoven der schönen, sondern der relevanten Stellen", die
jetzt stilistisch und dramaturgisch die ganze Oper
repräsentieren müssen - ein Ding der Unmöglichkeit.
Am Anfang des "Fidelio"-Komprimats, dem akustisch die
Aufnahme der Wiener Grammophon von 1978 mit Leonard
Bernstein zu Grunde liegt, steht die elegische
Orchestereinleitung zum 2. Aufzug; den Schluss bildet das
Liebesduett zwischen Leonore und Florestan "O namenlose
Freude". Dazwischen wird das so genannte Mordquartett
angestimmt. Das ist alles, und das alles ist bitter wenig.
Oper ohne Menschen
Überzeugender als bei der "Musikinstallation", wo sie unter
dem Zwang zur Kürze die Partitur schlechthin massakriert hat,
kommt Dombois mit ihren visuellen und virtuellen
Phantastereien zurecht. Statt unterirdischem Kerker mit
dunkler Zisterne und klirrenden Ketten, wie sich seinerzeit
Beethovens Librettisten das Bühnenbild ausgemalt haben,
zeigt sie mittels dreidimensionaler Projektion - die Bonner
"Fidelio"-Betrachter müssen entsprechende Brillen tragen - ein
aus balkenartigen Gebilden sich immer wieder neu
komponierendes Grafik-Arrangement, das trotz eleganter
Schwünge zumindest entfernt auf die Enge eines vergitterten
Kerkers anspielt.
Einen wahrhaft tollkühnen Quantensprung ins theatralische
Futur riskiert Johanna Dombois schließlich da, wo sie mit
frecher Radikalität auf alle Erwartungen und Sehgewohnheiten
der abendländischen Opernklientel pfeift - da, wo sie Oper
ohne Menschen spielt. Dann treten bei ihr keine Figuren in
spanisch-folkloristischer Verkleidung auf, dann macht keine
leibhaftige Diva den Mund auf, und keine Primadonna wird
simuliert wie das erschreckend leblose Personal in Tom Hanks'
Weihnachtskino "Polarexpress". Nein, in diesem "Fidelio"
singen bloß abstrakte Energiefelder, die allerdings in
poetischer Form und Figur.
Der vom Tod bedrohte Häftling
Florestan beispielsweise schwebt
als Doppelpack aus zwei
ineinander laufenden Spiralwinden
durch die virtuelle Szene, flimmert
mal wie ein mit bunten Pailletten
besetztes Seepferdchen und
mutiert schon im nächsten
Moment in die Kurven eines
malerisch geschwungenen
Paragrafen-Symbols "assoziierbar", wie die Regisseurin
verlautbart, mit "Lebensfaden,
Kette, Seil und Fessel".
DPA
"Fidelio" konventionell
(Szene aus der Hamburger
Inszenierung Hans Neuenfels): In
Zukunft Energiefelder statt
Menschen?
Ihm zur Seite und zu seiner
Befreiung berufen kommt
Leonore, die liebende Gattin, aus himmlischen Höhen hinab.
Sie erscheint zunächst in Form einer gestaffelten, streng
geometrischen Wand und weicht langsam zu einer
geschmeidigen, sich wohlig wölbenden Matratze auf. Soll wohl
sagen: Die Frau als schützende Mauer kann weg, das
anschmiegsame Weib darf her.
Mag sein, dass der Auftritt des digitalisierten "Fidelio"Personals einen ersten Einblick verschafft in die ferne Zukunft
des Musiktheaters. Kann auch sein, dass eines Tages alle die
Wotans und Aidas und die Königinnen der Nacht in drei
Dimensionen durch ein virtuelles Theater geistern. Noch
allerdings wirkt der "Fidelio, 21. Jahrhundert" aus Bonn so
aseptisch und kaltschnäuzig wie die Übertragung einer
Blinddarmoperation aus dem OP.
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