Predigt zu Johannes 15,5 anlässlich der Goldenen Konfirmation in

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Predigt zu Johannes 15,5 anlässlich der Goldenen Konfirmation in
Predigt zu Johannes 15,5 anlässlich der Goldenen Konfirmation
in der Michaelskirche Gerstetten am Himmelfahrtstag (14. Mai) des Jahres 2015
Liebe Festtags-Gemeinde,
liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden,
am 21. März des Jahres 1965 haben sich hier in der Michaelskirche 38 Buben und 20 Mädchen
versammelt, um sich von Pfarrer Bieler konfirmieren zu lassen. Die Jungs im ersten Anzug, mit der ersten
Fliege oder der ersten Krawatte und dieser wunderbaren Frisur, die man auf ihrem Konfirmationsfoto auf
unserer Homepage und im Gemeindebrief bewundern kann, und die Mädchen in festlichen Kleidern, aus
Samt oder Satin und mit den ersten Schuhen mit Pfennigabsatz. Vielleicht ging es Ihnen auch wie den
Konfirmandinnen und Konfirmanden ihres Jahrgangs im Nordschwarz-wald, die erst nach ihrer
Konfirmation endlich auch im Sommer mit langen Hosen draußen rumlaufen durften und nicht mehr
von Mai bis Oktober die kurzen Lederhosen mit Kniestrümpfen tragen mussten.
Sie, liebe Jubilare, sind die Generation der Nach-Kriegskinder. Geboren in den Jahrgängen `49 und `50
kennen Sie die Kriegsgrauen selten persönlich, nur aus Erzählungen der Erwachsenen. Und dennoch
spürten Sie als Kinder wahrscheinlich die Bedrückung Ihrer Eltern, wenn vom Krieg die Rede war. Sie
hörten von den Grausamkeiten, die Menschen im Krieg einander antaten, und konnten das Erschrecken
nachempfinden. Krieg und Gewalt sollten um Gottes und der Menschen willen nie wieder sein –
zumindest nicht hier in der Bundesrepublik! Mit dieser Einstellung wuchsen Sie auf. Die Umbrüche und
gesellschaftlichen Veränderungen um sich herum nahmen Sie deutlich wahr: Die langhaarigen Beatles
schrieben Rockgeschichte mit der weltweiten Erfolgs-Single „I Want to Hold Your Hand“. Vielleicht waren
Sie aber auch eher den Rolling Stones zugetan oder gar keiner dieser neumodischen englischen Gruppen
und ergötzten sich viel lieber an den Heimatfilmen im Fernsehen vor idyllischer Alpenkulisse und
abendlichen Tanzveranstaltungen im Hirsch. Es veränderte sich ganz schön viel in Ihrem Leben. Denn
mehr als ein halbes Jahrhundert ist das nun her, ihre Konfirmation. In den Augen eines Konfirmanden
eine unvorstellbar lange Zeit. Mit 14 dachten Sie vielleicht auch wie der ein oder andere Konfirmand
heute „Trau bloß keinem über 30“. Aber mit 65 erst – da ist man in den Augen eines Konfis uralt, wirklich
jenseits von Gut und Böse. Wenn Sie zurück-schauen auf die Jahre und Jahrzehnte, die Sie seitdem
gemeistert haben, dann wird sich der ein oder andere doch spätestens beim Öffnen des
Einladungsschreibens zur Goldenen Konfirmation gefragt haben: Wie kann das eigentlich sein? Das ist
doch noch gar nicht so lange her! Wo ist bloß die Zeit geblieben? Gestern hat man sich vielleicht noch
lustig gemacht über die Alten mit ihren starren Ansichten und ihrer rückwärtsgewandten Weltsicht, und
jetzt steht man selber da mit allmählich ergrauender und schütter werdender Haarpracht, blickt zurück
und fragt sich, was war, vielleicht auch wo die Kraft geblieben ist und sicher auch: Was wird bleiben von
all dem, was man da reingesteckt hat an Kraft, an Liebe und Besonnenheit, manchmal auch an Furcht in
all den Jahren, die man mittlerweile schon auf dem Buckel hat und die sicher ihre Spuren hinterlassen
haben (in Ihrem Leben) – sichtbare wie unsichtbare.
Und wenn man dann jetzt nach vorne blickt in die ungewisse Zukunft, wird man sich mit 64 oder 65 noch
viel mehr fragen als ich mit 34 oder unsere Konfirmanden, die an den beiden vergangenen Sonntagen
hier eingesegnet worden sind: Was bleibt? Was muss Man(n) tun in seinem Leben, damit etwas bleibt?
Im Internet wird man schnell fündig auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage und so zitiere hier
einen der meistgenannten Sprüche, den sie vielleicht schon kennen: Drei Dinge sollte ein Mann in seinem
Leben tun: Ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen. Im Internet wird der Spruch
fortgeführt: Was sind die drei Dinge, die eine Frau in ihrem Leben tun sollte? Das Haus putzen, das Kind
füttern und den Baum gießen.
Liebe Jubilare, ich weiß nicht, was Ihre Lebensziele in den letzten 50 Jahren waren. Häuser und Kinder
werden sicher bei vielen von Ihnen vorkommen. Und der ein oder andere hat in seinem Garten dann
schließlich auch noch einen Baum gepflanzt. Doch werde ich mich jetzt davor hüten, jetzt eine spontane
Umfrage zu starten: Wer von Ihnen denn schon ein Haus gebaut oder wer neues Leben in die Welt gesetzt
hat? Viel zu gefährlich wäre mir diese Frage: Vielleicht hat der ein oder andere ein Leben lang vom
eigenen Haus geträumt, doch das Geld hat halt nie gereicht. Vielleicht hat der ein oder andere sich nichts
sehnlicher gewünscht als Kinder, doch der Wunsch blieb unerfüllt. Und dann flattert die Einladung zu
einem Jahrgangstreffen oder zur Goldenen Konfirmation ins Haus. Soll ich da hingehen? Möchte ich
wissen, was aus den anderen geworden ist? Oder befürchte ich den Überbietungswettbewerb? „Mein
Haus, mein Auto, mein Boot…“
Vielleicht sind Sie ja schon so erwachsen, dass Sie aus dem Alter des Prahlens heraus sind. Der Werbespot
der Sparkasse mit dem Haus, dem Auto und dem Boot spielt eher bei einem 25-jährigen Klassentreffen –
nicht bei einem Wiedersehen nach 50 Jahren – eine Rolle. Vielleicht ist man mit 64/65 Jahren schon alt
und weise, und definiert sich nicht mehr über sein Haus, sein Auto oder seinen Garten.
Die Anmeldung zur Goldenen Konfirmation war dennoch ein mutiger Schritt – das sieht man auch an der
Zahl derer, die sich heute in der Michaelskirche nun versammelt hat.
Soll ich da wirklich hingehen? Das ist doch alles schon so lange her?
50 Jahre sind vergangen, seit ich 13 bzw. 14 Jahre alt war?
Zur Goldenen Konfirmation geht man nicht einfach so. Die Frage drängt sich auf: Wo ist die Zeit
geblieben? So lange ist das doch noch gar nicht her! Und dann der Blick in die Runde: Wer fehlt? Wer hat
sich nicht angemeldet? Und wer konnte sich nicht mehr anmelden?
Die Frage nach der vergangenen und nach der vergehenden Zeit, man könnte sie umgehen, indem man
sich nicht anmeldet und stattdessen einen ganz normalen Vatertag verbringt, vielleicht wandern geht
zum Bauernhauhock nach Gussenstadt.
Liebe Jubilare, Sie hatten Mut und haben sich angemeldet. Daher kann ich Sie an dieser Stelle auch
fragen: War die Konfirmandenzeit denn eine Hilfe für Ihr Leben – für die vergangenen fünfzig Jahre? War
der christliche Glaube eine Hilfe für Ihr Leben oder waren Kirche und Glaube doch eher weit weg von
ihrem Lebensalltag? Ich brauche jetzt keine Antwort von Ihnen. Aber vorhin stellte ich ja die Frage: „was
bleibt“ und auf der Suche nach einer Antwort wurde ich bei einem sehr beliebten Konfirmationsspruch
fündig: In seinen Abschiedsreden spricht Jesus Christus zu seinen Jüngern: „Ich bin der Weinstock, ihr
seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“ (Joh 15,5). Ein Jesus-Wort, das wir
alle schon in irgendeinem Zusammenhang einmal gehört haben und das ich Ihnen allen gerne auf Ihren
weiteren Lebensweg mitgeben möchte.
Ein Weinstock ohne Reben ist tot, und Reben wachsen und tragen Früchte nur am Weinstock. Auch wenn
wir hier nicht gerade in einer Weingegend leben, hatte doch sicher der ein oder andere von Ihnen einen
Weinberg vor Augen, als er diese Worte vom Weinstock und den Reben vorhin in der Schriftlesung
hörte. Ein grüner Südhang, am Neckar, dem Kaiserstuhl oder an der Mosel, die Weinstöcke in Reih und
Glied, ein harmonischer Wechsel von Regen und Sonne macht den Weinberg zu einer wahren
Augenweide.
Ich stelle mir den süßen Geschmack eines frisch gepressten Traubensaftes oder eines guten
sonnengereiften (Württemberger) Weines auf der Zunge vor. Traubensaft und Wein, der eine gibt einem
reichlich Lebenskraft mit seinem Traubenzucker, der andere oft Lebensfreude in geselligen Abendstunden.
Aber auch das gehört zum Weinberg: Abgehackte Reben, am Wachsen gehindert und ins Feuer geworfen.
Damit andere mehr Frucht bringen. Der Rebstock wird beschnitten, damit der Ertrag gesteigert wird. So
läuft das bei der Weinernte.
„Ich bin der Weinstock, bleibt in mir“ – sagt Jesus. Die sogenannten „Ich-bin-Worte“ Jesu im
Johannesevangelium kennen viele von uns. Christus spricht: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12); „ich bin
die Tür“ (10,7.9), „… das Brot“ (6,35), „… der gute Hirte“ (10,11.12), „… die Auferstehung“ (11,25), „… der Weg,
die Wahrheit und das Leben“ (14,6). Die „Ich-bin-Worte“ Jesu fordern Menschen heraus, ihm, der sich als
Heilsbringer darstellt, zu folgen, um selbst Teil dieser Heilsgemeinschaft zu werden.
Jesus Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der
bringt viel Frucht.“ Und er bittet uns alle damit: Bleibt bei der Sache, bleibt bei mir und ich bleibe bei
euch, zusammen bringen wir viel Frucht, Lebenskraft und Lebensfreude.
Liebe Fest-Gemeinde,
„Bleiben – oder gehen?“ Die Frage „bleibe ich oder gehe ich“ – die haben Sie sich alle schon sicher das ein
oder andere Mal in Ihrem Leben stellen müssen…
 an beruflichen Stationen im Leben; bleibe ich Angestellter, mache ich mich selbständig, steige ich in
den Familienbetrieb, wechsele ich vielleicht noch einmal den Arbeitgeber – auch in hohem Alter?
 bleiben oder gehen, die Frage stellen sich Paare in einer krisengeplagten Ehe;
 bleibe ich oder gehe ich: Nachdem die Kinder alle aus dem Haus sind. Fange ich ganz woanders noch
einmal ganz von vorne an – vielleicht in südlicheren Gefilden mit einem kleinen Häuschen an der
Adria;
 bleibe ich zuhause oder gehe ich ins Heim – müssen sich manche ältere Menschen fragen…
„Bleibe ich oder gehe ich“ – meistens ist diese Frage ein Abwägen zwischen Bequemlichkeit, Gewohnheit
und dem Reiz des Neuen. Manchmal bedeutet „gehen“ aber auch den Ausweg aus unerträglichen
Zuständen.
Das Bild des Weinstocks, das Jesus verwendet, stellt sich anders da: Bleibt bei mir, fordert er uns auf,
bleibt im Glauben, bleibt in der Gemeinschaft der Christen. Genau dasselbe bat auch ich unsere
Konfirmandinnen und Konfirmanden am vorvergangenen Sonntag, nachdem sie vor Gott und der
versammelten Gemeinde ihr „ja“ zur Taufe und damit zum christlichen Glauben öffentlich bekannt
hatten.
„Bleibe ich oder gehe ich“ – auch in Bezug auf diese unsere Kirchengemeinde sowie der Zugehörigkeit zu
einer christlichen Kirche stellt sich diese Frage im Jahr 2015 mehr denn je – auch hier auf der Ostalb, wo
die Welt noch in Ordnung zu sein scheint: Bleiben wir zusammen als Christen inmitten unserer
multireligiösen und zunehmend auch nicht-religiösen, säkularen Welt.
Und: was ist eigentlich mit denen, die nicht bleiben? Die gehen oder vielleicht auch schon gegangen sind?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Gemeinde. Ich persönlich vermisse sie.
 Ich vermisse die junge Frau, die ausgetreten ist, als sie ihren ersten Lohn erhalten hat. Kirchensteuer,
nein, wozu soll sie die zahlen? Ja, damals, im CVJM, da hat sie mitgemacht, gern sogar. Die
Gemeinschaft und die Freizeiten, die waren schon nett. Aber jetzt – das erste selbstverdiente Geld
braucht sie für die Wohnung, das Auto, die Freizeit. Vielleicht ist das ja später anders. Wenn sie eine
Familie hat oder so.
 Ich vermisse ihn, den rüstigen Rentner, der in jener Woche ausgetreten ist, als die Sparkasse zum
zweiten Mal auf diese komische (neue) Steuer hingewiesen hat. Kapitalsteuer. Die Kirche bekam doch
schon so viel Geld von ihm im Laufe seines Lebens. Sicher, was hier in Gerstetten in seiner
Gemeinde vor sich geht, verfolgt er schon genau – auch wie über den neuen Pfarrer gesprochen
wird. Aber wenn‘s ums Ersparte geht dann hört der Spaß einfach auf – zu viele „Bettelbriefe“ seitens
der Kirchengemeinde, zu viele Skandale mit diesem größenwahnsinnigen Limburger, jetzt will er mal
ein Zeichen setzen und sein Steuerberater hat ihm schon lange geraten: Das können Sie sich
eigentlich auch sparen.
 Ich vermisse die Mittvierzigerin, die sich jahrelang in unterschiedlichsten Gruppen und Kreisen
unserer Gemeinde engagiert hatte. Sie war gern dabei. Alle Feste ihrer Familie haben
unterschiedliche Pfarrer im Laufe der vergangenen Jahrzehnte begleitet, die Hochzeit, die Taufen,
die Konfirmationen der Kinder. Doch ausgerechnet bei der Beerdigung der Mutter hatte der Pfarrer
keine Zeit, war im Urlaub und bei der Vertretung ging gehörig was schief. Das geht doch nicht. Jetzt
ist sie ausgetreten. Ihren Glauben hat sie behalten, dafür braucht sie ja die Kirche nicht.
Liebe Gemeinde, ich vermisse sie, die, die nicht geblieben sind: Ich vermisse ihr Engagement, ihr
Mitdenken und auch ihre Kritik. Aber ich muss es akzeptieren, muss sie ziehen lassen. Und für mich ist
das kein Trost, dass wir in diesem Quartal schon drei Eintritte mehr als Austritte in unserer Gemeinde
haben, denn ich vermisse jeden, der gegangen ist, wie auch jene, die vielleicht noch gehen werden.
Am liebsten würde ich sie alle direkt ansprechen: Ich würde ihnen erzählen, warum es sich lohnt zu
bleiben. Um im Bild zu bleiben: Ich würde erzählen, dass der Weinstock ohne seine Reben einfach tot ist.
Sie, liebe Festgemeinde, Sie sind heute Morgen hier, weil Sie geblieben sind. Weil Sie und ich glauben –
oder vielleicht auch wissen –, dass das Bleiben sich lohnt. Denn Jesus Christus strahlt mit seinem Leben,
Reden, Handeln und Sterben tatsächlich wie ein Weinstock Lebenskraft aus – und das bis heute. Er hilft
seinen Reben – jedem einzelnen von uns – beim Wachsen, hilft uns, uns zu entfalten mit unseren
Talenten und Gaben, uns mit unseren Schwächen und Stärken einzubringen in unserer Welt. Das Bleiben,
aneinander und miteinander verbunden bleiben, stärkt jeden Einzelnen in seinem eigenen Leben, weil
man sich als Teil eines Ganzen verstehen kann – nirgends erfahren wir das mehr und authentischer als
im Abendmahl, das wir nachher gemeinsam als viele unterschiedliche Glieder des einen Leibes Jesu
Christi feiern werden. Im Abendmahl lassen wir die uns belastenden Schatten der Vergangenheit hinter
uns und können allen zwischen uns herrschenden Unfrieden überwinden. Wir werden doch gestärkt von
denen, die mit uns zusammen auf dem Weg sind: Wenn wir beispielsweise am Ostermorgen zusammen
auf dem Waldfriedhof singen, beten und uns daran erinnern, dass der Tod eben nicht das letzte Wort in
unserem Leben haben wird, sondern jeder Nacht, auch wenn sie gerade in diesem Moment auch noch so
finster sein mag, ein Morgen folgt. Vielleicht können wir alle, wenn wir davon überzeugt sind, diese
Überzeugung weitersagen, in den kommen-den Wochen, Monaten und Jahren. Weitersagen an die
Jugendlichen unserer Gemeinde, oder unsere eigenen Kinder, später auch Enkelkinder: Bleibt dabei, wir
brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns. Sicher können wir diese Überzeugung auch
weitersagen an Menschen in unserem Umfeld, mit denen wir unterwegs sind, auf der Arbeit, im
Freundes- und Bekanntenkreis: Bleibt dabei, wir brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns.
Denn Jesus Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm,
der bringt viel Frucht.“
„Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus,
unserem Herrn.“ Amen.