Rolf Fliegauf, Küchenchef im Giardino Ascona. Mit 31

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Rolf Fliegauf, Küchenchef im Giardino Ascona. Mit 31
Rolf Fliegauf, Küchenchef im Giardino Ascona. Mit 31 Jahren der
jüngste Zwei-Sterne-Koch Europas. Vor einem Jahr weilte der gebürtige
Deutsche im Noma in Kopenhagen, dem «besten Restaurant der
Welt» – und liess sich stark von der naturnahen Küche inspirieren.
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Food & Beverage Küchenporträt
Ristorante ECCO Ascona
Rolf Fliegauf,
kopieren
Sie jetzt das
«Noma»?
Er war der erste und einzige Koch in der Schweiz, der sich der
Molekularküche verschrieb. Mit seinen 31 Jahren ist er der jüngste
Zwei-Sterne-Koch Europas. Rolf Fliegauf, Küchenchef im Giardino
Ascona. Von den molekularen Abenteuern hat sich der gebürtige
Deutsche verabschiedet, dafür setzt er nun auf eine naturnahe, regionale
Küche, wie sie im «besten Restaurants der Welt» (Noma Kopenhagen)
mit unglaublichem Aufwand und höchster Präzision zelebriert wird.
Interview und Bilder: Hans R. Amrein
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Karamellisierte Waldpilzmilchhaut, präsentiert auf Moos («ich verbinde den Duft von Wiese und Moos»).
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R
Food & Beverage Küchenporträt
olf Fliegauf, wie würden Sie Ihre heutige Küchenphilosophie umschreiben?
Ich würde Sie als einen «kreativen
Streifzug durch die Natur» beschreiben.
Haben Sie sich nun endgültig von der sogenannten Molekularküche verabschiedet?
Das kann man so sagen, wobei wir nie eine reine
Molekularküche gemacht haben. Will heissen:
Wir haben die Grundprodukte nie verfälscht oder
gar manipuliert. Nun, die letzten zwei Jahre hat
sich viel getan, wir haben uns stets weiterentwickelt, und ein Schlüsselerlebnis hat auch meine
Einstellung zum Kochen stark verändert.
Das Schlüsselerlebnis heisst Noma. Sie weilten
vor einem Jahr im Noma, dem «besten Restaurant der Welt», in Kopenhagen und haben dort
ein vierwöchiges Praktikum gemacht.
Was haben Sie dabei gelernt?
Viele Dinge haben mich beeindruckt! Es war vor
allem die Denkweise und Philosophie von Rene
Redzepi. Und natürlich die unheimliche Präzision
in der Küche. Kommt hinzu, dass die 36 Mann
starke Brigade einen fast unvorstellbaren Aufwand betreibt, jedes Detail wird haargenau festgelegt und definiert. Das Noma hat meine Auffassung von Kochen stark verändert. Deshalb war
das für mich eben ein Schlüsselerlebnis.
Was hat Sie besonders beeindruckt im Noma?
Die Köche leben und arbeiten zu hundert Prozent mit der Natur, mit den Produkten, die in
ihrer Umgebung wachsen oder erhältlich sind. Sie
sollten mal sehen, wie die mit dem Gemüse, mit
den Tomaten, den Kräutern umgehen! Jede Zwiebel, jedes Salatblatt wird fein säuberlich analysiert und kunstvoll verarbeitet. Unglaublich! Die
Köche gehen selber in den Garten und pflücken
die Kräuter. Die haben zu jedem Blümchen eine
emotionale Beziehung. Was ich da gesehen habe,
ist wirklich einmalig.
Und nun versuchen Sie im Ecco, das
Noma zu kopieren oder mindestens zu
interpretieren?
Nein, die Noma-Küche kann man nicht kopieren! Dies ist unmöglich und auch nicht in unserem Sinne. Wir gehen unseren eigenen Weg. Die
Küche im Ecco soll meine Handschrift tragen.
Wobei ich ehrlich sagen muss: Viele Dinge haben
mich schon inspiriert. Vor allem die Tatsache, dass
die in Kopenhagen eine regionale Küche mit einheimischen Produkten zelebrieren.
Wie sind die Reaktionen der Gäste auf Ihre
heutige Natur-Küche? Was gefällt besonders?
Die Resonanz ist ausgesprochen gut. Kritische
Stimmen über die Entwicklung unserer Küche
gab es bisher kaum.
Was Sie im Ecco bieten, ist ja alles andere als
eine konventionelle Küche. Sie bieten Ihren Gästen ein kulinarisches Abenteuer, bestehend aus
überraschenden Effekten und unerwarteten Aroma-Kombinationen.
Und geht es um Genuss, Kreativität und Emotionen. Trotzdem sollen die Gäste satt werden. Das
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ist mir ganz wichtig. Es wäre mir wirklich unangenehm, wenn ein Gast das Restaurant verlässt
und dann anschliessend an der Bar einen Teller
Pasta oder ein Club-Sandwich bestellt.
Regionale Produkte sind «in» – globalisierte
Lebensmittel, die man überall auf der Welt findet, sind «out». Oder wie sehen Sie das?
In erster Linie versuchen wir, perfekte Grundprodukte zu finden. Wenn diese aus der Region kommen, super! Wenn aber ein regionales Produkt
qualitativ nicht unseren Ansprüchen genügt, verarbeiten wir überregionale Produkte.
Wer sind Ihre Lieferanten?
Kräuter, Salate und Gemüse stammen von örtlichen Bio-Bauern. Viele bauen die Produkte
extra für uns an. Fisch und Fleisch beziehen
wir von kleinen, lokalen Lieferanten, die uns
höchste Qualität bieten. Das Brot stammt von
zwei äusserst kreativen Bäckern aus der Region.
Vor einem Jahr haben Sie den zweiten MichelinStern erhalten. Gault/Millau gibt Ihnen 15 Punkte.
Kochen Sie vor allem für Punkte und Sterne –
oder für den Gast?
Wenn wir für Punkte und Sterne kochen würden,
wären wir sicher nicht da, wo wir jetzt sind! Wir
versuchen jeden Tag, das Beste zu geben, egal wer
im Restaurant sitzt. Jeder Gast hat ein Recht darauf, Höchstleistungen zu erwarten, egal ob im
Restaurant ein Tester sitzt.
Mal ganz ehrlich: Was bedeutet Ihnen der zweite
Michelin-Stern?
Eine grosse Auszeichnung, aber auch jede Menge
Verantwortung. Die Gäste kommen mit ganz
anderen, sehr hohen Erwartungen zu uns. Der
Druck auf die Küche nimmt zu. Trotzdem ist das
eine grosse Ehre für unsere Crew.
Wer ist Rolf Fliegauf?
Als Rolf Fliegauf 1997 seine Ausbildung im Dehner Blumen Hotel (Rain,
Deutschland) begann, ging er nicht
wirklich davon aus, einmal Küchenchef im schönsten Garten am Lago
Maggiore zu werden. Ebenso konnte
er sich schwer vorstellen, dass er mit
seiner über die folgenden Jahre ent­
wickelten eigenen Aromenküche
einmal die Kritiker vom Guide Michelin überzeugen würde. Heute jedoch
ist der gebürtige Schwabe nicht
nur kulinarischer Herr der beiden
zum Luxus-Hotel Giardino gehörenden Gourmetlokale Ecco und Aphrodite, sondern mit seinen 31 Jahren
auch der jüngste Zwei-Sterne-Koch
Europas.
Nach seiner Lehrzeit im Dehner Blumen Hotel kochte Fliegauf unter
anderem in der Traube Tonbach bei
Harald Wohlfahrt auf Sylt (Restaurant Veneto) und im Lenkerhof. Dann
schaute er während einer achtmonatigen, selbst organisierten Road Tour
den grossen, oftmals mit drei Sternen
prämierten Küchenmeistern in London, Madrid, Frankfurt und Wolfsburg
über die Schulter. Sein Ziel, einen
eigenen und vor allem ausgezeichneten Stil zu entwickeln, hat er nachweislich erreicht. Seine moderne Aromenküche ist weit über das Tessin
hinaus bekannt.
www.giardino.ch
Derzeit haben Sie «nur» 15 Punkte im Gault/
Millau. Ihr Ziel? 16, 17 oder gar 18 Punkte?
Unser Ziel ist es, die Gäste zu begeistern und
eine gute Auslastung des Restaurants zu erzielen.
Zudem will ich die Küche stets weiterentwickeln.
Viel Geld ist in der gehobenen Gastronomie
nicht zu verdienen. Stehen Sie unter finanziellem
Druck? Muss Ihr Ecco Gewinne erzielen?
Für mich und die Hoteldirektion steht fest: Auch
ein Restaurant mit zwei Sterne muss nach wirtschaftlichen Kriterien geführt werden. Natürlich
ist das nicht einfach! Aber wir setzen alles daran,
dieses Ziel zu erreichen.
Blick hinter die Restaurant-Fassaden.
Moos, Kresse, Salate, Kräuter, Steine,
Stroh und Heu – Rolf Fliegauf setzt
nun auf eine naturnahe Küche.
Der Traum vom eigenen Restaurant – ein Thema
für Rolf Fliegauf?
Im Moment bin ich im Giardino sehr glücklich!
Man hat mir hier eine tolle Chance gegeben. Ich
kann mich hier als Küchenchef voll entfalten.
Über ein eigenes Restaurant mache ich mir derzeit keine Gedanken.
Was möchten Sie als Koch und Küchenchef
unbedingt noch erreichen?
Mir geht es darum, unsere Küche laufend zu verfeinern, zu perfektionieren und immer kreativ zu
bleiben.
H
Erd-Praline, bestehend aus Petersilienwurzel, Kartoffel, Rote Beete und
Perigord-Trüffel.
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