AG21 Kino Einführung Que Sera 15.11.05

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AG21 Kino Einführung Que Sera 15.11.05
AGENDA-21-Kino am 15.11.2005: Einführung „Que Será“
(Martin Hirte)
Wir widmen den heutigen AGENDA-Kino-Abend dem Alter. Er geht daher eigentlich fast alle an. Was wird kommen, wie wird es sein: Que será? (Doris Day in Hitchcocks „Der Mann der zuviel wusste“).
Auch das Alter ist ein Thema der AGENDA 21, die 1991 in Rio de Janeiro von über 170 Regierungen formuliert
und inzwischen auch ratifiziert wurde.
In den Kapiteln 5 – 7 werden angepasste sozioökonomische Konzepte für die Versorgung der alten Menschen
gefordert, mehr Beachtung für ihre Gesundheitsbedürfnisse und die Beteiligung an der Städte- bzw. Gemeindeplanung.
Ich muss alle bewundern, die heute Abend hierher gekommen sind: Es gibt kaum eine Tatsache, die so verdrängt wird, wie das Altwerden. Alt werden will keiner, es hat viele unangenehme Aspekte.
Berufstätige fürchten geringere Chancen im Beruf. Man gehört oft schon mit 50 Jahren zum alten Eisen. 41
Prozent aller Betriebe beschäftigen niemanden mehr über 50 Jahren. Ein typischer Aufmacher für Stellenanzeigen ist z.B.: "Junges dynamisches Team sucht Neuzugang..."
Wir fürchten den Verlust an Leistungsfähigkeit, oder noch schlimmer Gebrechlichkeit und chronische
Krankheiten, ein Pflegefall zu werden, und natürlich den Tod.
Wir fürchten Einsamkeit, dem Tod des Partners, die Endstation Altenheim oder Pflegeheim.
Wir fürchten Armut: Die Renten sind wesentlich unsicherer, als das Politiker noch vor wenigen Jahren behauptet haben, die Pflegeversicherung kann ihr Versprechen nicht halten.
Bis vor 150 Jahren waren weniger als 5% der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Heute sind es 17%, bis zum Jahr
2050 werden es 33% sein. Mehr Alte und vor allem immer mehr Hochbetagte auf der einen Seite, immer weniger Kinder auf der anderen Seite - jeder kennt oder ahnt die Probleme, die das für Sozialsystem und Gesellschaft mit sich bringt (denn gleichzeitig geht die Gesamtbevölkerung zurück – bis 2050 auf das Niveau von 1963
= 75 Mio). Die Renten- und Pflegeproblematik ist nahezu täglich Thema in den Medien.
Viele junge Menschen fühlen sich angesichts der zunehmenden Zahlungen an die Rentenkassen überfordert –
sie müssen gleichzeitig für ihre eigene Rente ansparen, die so genannte „Sandwich-Generation“.
Diese Stimmung lässt zunehmende Diskriminierung der alten Menschen befürchten. Der Umgang mit alten
Menschen und die Verteilung des Geldes zeigt ein erschreckend geringes Maß an Wertschätzung - ganz nach
dem Motto: "Wer nichts mehr leistet, ist nichts mehr wert." Jan Dittrich von den Jungliberalen hat es überspitzt
auf den Punkt gebracht: "Es wird Zeit, dass die Alten von ihrem Tafelsilber etwas abgeben - einen Löffel oder
besser gleich ein paar davon".
Wir dürfen aber nicht vergessen:
Wir werden heute gesünder alt als frühere Generationen (etwa noch vor 20 Jahren). Auch im Alter ist dadurch in den meisten Fällen ein erfülltes Leben möglich. Immerhin 93% der über 65jährigen wohnen in der eigenen Wohnung, und 86 % brauchen auch keine Pflege.
- Viele alte Menschen arbeiten in ihrem Beruf weiter oder engagieren sich ehrenamtlich. Ehrenamtliches
Engagement ist ohne die Älteren nicht denkbar. Vereine, Kirche, soziale und kulturelle Einrichtungen
und Initiativen profitieren von der Einsatzbereitschaft der älteren Generation.
- Alte Menschen unterstützen auch ihre erwachsen gewordenen Kinder. Schon zu Lebzeiten der Alten fließt viel Geld zur jüngeren Generation, viele Großeltern helfen ihren Kindern außerdem durch Kinderbetreuung oder Hausarbeiten. Jährlich werden 300 Milliarden € von der alten an die junge Generation vererbt.
- Alte Menschen haben in ihrem Leben viel Weisheit und Erfahrung zusammengetragen – Werte, die
gefragt sind, wenn es beispielsweise um den Erhalt der Ressourcen der Erde für künftige Generationen
geht.
Doch irgendwann kommt das hohe Alter, oder es stellen sich gravierende Krankheiten ein; es wird Pflege notwendig. Etwa 2 Millionen Menschen erhalten derzeit Leistungen aus der Pflegeversicherung – das sind 14%
aller über 65jährigen.
Die Frage, die wir uns stellen, und die auch der heutige Film „Que será“ stellt: Was wird dann? Wer pflegt uns
dann? Was wünschen wir uns?
Wir leben heute in einer extrem individualistischen Gesellschaft - das Modell der Großfamilie, in der die Alten
bis zu ihrem Tod am Familienleben teilnehmen konnten, hat weitgehend ausgedient. Oft war das Leben in der
traditionellen Großfamilie auch gar nicht so idyllisch, harmonisch und solidarisch wie man sich das vorstellt.
Neuere Studien belegen: Es gab eher Konflikte und Streit als auf liebevolle Fürsorge. Die Generationen waren
durch ökonomische Sachzwänge auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Der Zeitpunkt der Hofübergabe war ein ständiger Streitpunkt, denn wer Grund und Boden besaß, hatte die Macht über die Lebensgrundlagen.
Die häufigste Pflegesituation ist aber auch heute noch die Pflege durch die Verwandten. Die körperliche und
seelische Belastung dadurch kann jedoch sehr groß sein. Viele Angehörige gehen bei der Pflege über die Grenzen ihrer eigenen Kräfte hinaus und werden von starken Gewissensbissen geplagt, wenn sie es nicht bewältigen
können. Eine 78-Jährige, die ihren 80-jährigen Ehemann über Monate und Jahre hinweg pflegen muss, wird
häufig selbst zum Pflegefall. Und eine Familienmutter, die ihren 70-jährigen Schwiegervater Tag und Nacht betreuen und gleichzeitig noch zwei Kinder groß ziehen müsse, stößt ebenfalls rasch an Grenzen.
Mit der Zunahme des modernen Lebensentwurfs, der Flexibilität und Mobilität verlangt, nimmt auch die Bereitschaft ab, sich auf eine langfristige Pflege einzulassen. Und so stellt sich oft die Frage nach einer ambulanten
Pflege oder einem Pflegeplatz im Altenheim oder Pflegeheim.
Ambulante Pflegedienste können jedoch nur zeitlich sehr beschränkt betreuen, denn es kaum noch qualifizierten Nachwuchs – nicht mangels Interesse junger Menschen, sondern weil kein Geld für die Ausbildung vorhanden ist.
Ein Drittel aller pflegebedürftigen Personen lebt in Pflegeheimen. Das Durchschnittsalter bei Heimeintritt liegt
bei 80 Jahren. In den Altenpflegeheimen leben daher immer mehr Menschen mit schweren und schwersten
Krankheiten, Demenz und Depressionen.
Pflegeheime sind sehr teuer, und die Zustände in vielen Heimen sind problematisch - daran haben auch verschärfte Qualitätskontrollen nichts geändert. Es gibt zu wenig qualifizierte Fachkräfte. Patienten bekommen zu
wenig zu essen und zu trinken, liegen sich wund, werden aus Zeitmangel künstlich ernährt oder ruhig gestellt.
Die vom Grundgesetz garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde scheint in Alten- und Pflegeheimen nicht
selten außer Kraft gesetzt.
Eine Umfrage hat ergeben: Die meisten Altenpfleger wollen im hohen Alter nicht von "ihresgleichen" betreut
werden möchten. 60 % wünschen sich keinen Heimaufenthalt.
Die Altenpflegerinnen und -pfleger kritisierten vor allem die zu kurz kommende psychosoziale Betreuung und die
fehlende Zeit für Gespräche mit Heimbewohnern. Körperpflege, Essen und Trinken, also messbare Dinge "funktionieren" gerade eben, die Zuwendung dagegen, die auf den ersten Blick nicht erfasst werden könne, bleibt auf
der Strecke. Die Hauptursache ist der Personalmangel.
Neue Ideen wie altersgemischte Wohnformen oder Alten-WGs könnten Alternativen zum Alters- oder Pflegeheim darstellen.
In unserem heutigen Film „Que será“ sehen wir eine Form der Altenpflege, die ursprünglich aus Holland
stammt. Vor drei Jahren wurde in das Altenheim Schönegg bei Bern die Kindertagesstätte Minimax integriert. Im
Betriebskonzept des Hauses heißt es:
„Das Besondere an der Schönegg ist der generationenverbindende Aspekt. Mit der Idee, die Kindertagesstätte
in das Domicil für Senioren Schönegg einzuquartieren, kann eine nachbarschaftliche Beziehung aufgebaut und
das gegenseitige Verständnis gefördert werden. Kinder und ältere Menschen erhalten so die Möglichkeit, ein
Stück Leben zu teilen.“
Der Schweizer Dokumentarfilmer Dieter Fahrer hat mehrere Wochen in dem Haus verbracht und seine Erfahrungen filmisch dokumentiert.
Er sagt zu seinem Film:
„Wenn zehn Vierzehnjährige zusammen sind, so wird der hierarchische Kampf bald im Vordergrund stehen.
Wettstreit, soziale Angst und Gemeinheit sind an der Tagesordnung.
Wenn zehn Menschen zwischen null und achtzig Jahren zusammen sind, dann werden sie sich nach einer natürlichen Altershierarchie gruppieren, die alle von ihnen versorgt und bereichert. Da jeder eine Nische für sich
hat, wird der Wettstreit um die besten Plätze keine Rolle spielen. Jede Person wird etwas Besonderes beizutragen haben. Die Werte werden sich vertiefen,und die Erfahrung wird wachsen.“
Dieter Fahrer ist Jahrgang 1958 und hat als Kameramann und Fotograf angefangen, bevor er in den späten 90er
Jahren in die Filmproduktion einstieg. Für den Film Que Será erhielt er 2004 den Prix Suissimage/SSA 2004 als
bester Schweizer Film.
Im Anschluss an den Film haben wir Gelegenheit, mit Frau Renate Ilg zu sprechen: Sie ist ausgebildete Pastoralreferentin, Diplomtheologin und arbeitet als Klinikseelsorgerin in Herrsching und Seefeld. Weiterhin hat sie
eine Ausbildung in Hospizarbeit.
Aktuelle Termine AGENDA-21-Kino und AK Lebensstile/Eine Welt bei
Lokale Agenda 21 Herrsching
c/o Indienhilfe e.V. (Kontakt: Elisabeth Kreuz), Luitpoldstr. 20, 82211 Herrsching, 08152-1231
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