Nukleare Non-Proliferation nach der NVV
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Nukleare Non-Proliferation nach der NVV
1 02 - Planungsstab Frank Sauer Berlin, Juli 2005 Hospitant Nukleare Non-Proliferation nach der NVV-Überprüfungskonferenz 2005 Handlungsperspektiven für die deutsche Außenpolitik Das Scheitern der letzten Überprüfungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die internationale Staatengemeinschaft der nuklearen Proliferationsgefahr eigentlich geschlossen und entschieden begegnen müsste. Wenn die Nuklearisierung Irans und Nordkoreas nicht verhindert wird, lassen die angespannten Sicherheitslagen in beiden Regionen einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Kernwaffenstaaten für die nächste Dekade befürchten. Das Risiko des Zugriffs auf Nuklearmaterial durch Terroristen würde damit weiter steigen. Auf Seiten der USA werden derzeit verstärkt Alternativen zum fragilen Nichtverbreitungsregime verfolgt. Dies wird für die Zukunft des Regimes nicht folgenlos bleiben und erfordert eine Bewertung dieser Alternativen durch die deutsche Außen- und Nichtverbreitungspolitik. Das vorliegende Papier zeigt auf, dass die in den USA erwogenen militärischen Mittel zur Proliferationsbekämpfung keine erfolgversprechende Alternative zum NV-Regime darstellen. Multilaterale Kooperationsmodelle können hingegen zweckdienlich sein, um mittelfristig und angesichts akuter Gefahr durch zunehmende Proliferation das bestehende Nichtverbreitungsregime zu ergänzen. Davon unbenommen sollte für Deutschland aber weiterhin oberstes Ziel sein, im engen Schulterschluss mit seinen europäischen und amerikanischen Partnern den bewährten Nichtverbreitungsvertrag – den einzigen echten 3-Pfeiler-Vertrag für Abrüstung, Nichtverbreitung und friedliche Nutzung der Kernenergie – zu bewahren und zu stärken. I. Einleitung Der Ausgang der jüngsten Überprüfungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag wirft düsteres Licht auf die Perspektiven für das internationale Non-Proliferationsregime.1 Die Vertragsgemeinschaft entpuppte sich in New York als zutiefst zerstritten. Drei Viertel der Konferenz wurden von Streitigkeiten über Verfahrensfragen in Anspruch genommen – und als endlich substanzielle Fragen auf den Tisch kamen, war mit einer Chance auf Einigung noch weniger zu rechnen. Mit einiger Mühe wurde schließlich das Minimalergebnis, ein rein 1 Das internationale Regime um die Nichtverbreitung und Abrüstung nuklearer Massenvernichtungswaffen basiert auf dem 1970 in Kraft getretenen Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, im Folgenden Nichtverbreitungsvertrag (NVV) genannt. Der Vertragstext ist online einsehbar unter: http://www.fas.org/nuke/control/npt/text/npt2.htm <rev. 08-07-2005>. 2 prozedurales Abschlussdokument, verabschiedet. Die Staatengemeinschaft sieht sich nun der Frage gegenüber, ob und wie es in Zukunft mit dem internationalen Nichtverbreitungsregime weitergehen soll. Dieses Papier wird daher das NV-Regime kurz skizzieren, Ursachen für seine prekäre Lage erörtern sowie Alternativen bewerten, um so eine Reihe von Handlungsperspektiven für die deutsche Außen- und Nichtverbreitungspolitik abzuleiten. II. Das Nichtverbreitungsregime Der 1970 in Kraft getretene NVV wurde inzwischen von nahezu der gesamten Staatengemeinschaft unterzeichnet. Er ist damit ein in beispielloser Breite getragenes multilaterales Instrument der Rüstungskontrolle und bildet den Kern des seit Jahrzehnten bestehenden Regimes gegen die Verbreitung von nuklearen Waffen. Nichtkernwaffenstaaten verbietet er die Anschaffung von Atomwaffen und sichert ihnen dafür die Unterstützung der Kernwaffenstaaten bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu. Die Kernwaffenstaaten verpflichtet er im Gegenzug zur Abrüstung ihrer bestehenden Arsenale. Einen echten Ausgleich zwischen Have-Nots und Haves enthält der Vertrag nur perspektivisch – nämlich für den fernen Zeitpunkt der vollständigen Abrüstung und der Befreiung der Welt von Atomwaffen. Vorerst etabliert der Vertrag eine "soziale Hierarchie" innerhalb der Staatengemeinschaft, eine Ungleichheit, die zum Wohle des gemeinsamen höheren Ziels, der Eindämmung des nuklearen Risikos, von den nuklearen Habenichtsen toleriert wird. Die Tatsache, dass die offiziellen Kernwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA bis heute ihre Abrüstungsziele nicht erfüllt haben und mit Israel, Pakistan und Indien inzwischen drei weitere inoffizielle Atommächte außerhalb der Vertragsstrukturen existieren, verstärkt diese im Regime angelegte Spannung zunehmend.2 Für die längste Zeit zusammengehalten wurde das Regime, sowohl zum Zeitpunkt der Vertragsschließung als auch über die Dauer des Ost-West-Konflikts hinweg, durch den Druck der beiden Supermächte, die hinsichtlich der Sicherung ihrer eigenen nuklearen Vormachtstellung ausnahmsweise gleiche Interessen vertraten und mit dem NVV den Status Quo der Verteilung nuklearer Privilegien möglichst langfristig einzufrieren suchten. Der perspektivischen Komponente des Vertrags wird seit jeher in den regelmäßigen Überprüfungskonferenzen in Abständen von fünf Jahren Rechnung getragen, in deren Rahmen 2 Israel, Pakistan und Indien sind die einzigen drei Staaten, die den NVV nicht unterzeichnet haben. Sie könnten dem Vertrag auch nicht als Haves, sondern nur nach der Aufgabe ihrer Arsenale als Have-Nots beitreten, da der NVV die Zahl der Kernwaffenstaaten auf fünf begrenzt. Indien hat kürzlich mit den USA gegen Zusage von Kontrollen bilateral die Kooperation im Bereich der zivilen Kernenergienutzung ausgehandelt, s. Schreer, Benajmin/Wagner, Christian 2005: Amerikanisch-indische Sicherheitsbzeihungen, SWP-Aktuell 33, Juli 2005. Nordkorea hat seine Mitgliedschaft im NVV einseitig aufgekündigt und gibt an, ebenfalls Nuklearwaffen zu besitzen. Nordkoreas Kündigung ist allerdings mit einem Formfehler behaftet und ihre Gültigkeit aus juristischer Sicht umstritten. 3 die Vertragsparteien zusammenkommen, um den Vertrag zu stärken, sich über Stand der Bemühungen, Erfolge, Misserfolge und zukünftige Maßnahmen zu verständigen und das gemeinsam verfolgte Ziel zu bekräftigen. Auf der Konferenz 1995 einigte sich die Staatengemeinschaft einvernehmlich auf die unbegrenzte Verlängerung der Vertragslaufzeit und im Jahr 2000 wurde ein Katalog mit 13 zentralen Schritte zur Abrüstung verabschiedet. In den Vorbereitungsrunden für die Konferenz 2005 aber hatte sich bereits abgezeichnet, dass diese gänzlich anders als ihre Vorgänger verlaufen sollte.3 Haves und Have-Nots sahen sich in der über weite Strecken von "prozeduralem Hickhack" beherrschten Konferenz in New York einer polarisierenden Dynamik von neuer Qualität gegenüber, die die bestehenden Interessengegensätze diesmal stärker als auf irgendeiner der Konferenzen in der Vergangenheit zu Tage treten ließ. Die Have-Nots, die die Nuklearpolitik der Haves stets sorgsam studieren und als ein Richtmaß für das eigene politische Handeln verstehen, pochten auf ihr Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Darüber hinaus erinnerten sie die Haves stets an ihre aus dem NVV erwachsenden Verpflichtungen. Auf deren Seiten schien allerdings zu großen Teilen das Interesse an Abrüstung vollständig verloren gegangen zu sein – nicht einmal der Eindruck einer Vertragserfüllung wurde in New York noch glaubhaft zu erwecken versucht. Eine Haltung, die die Delegationen der USA und Frankreichs besonders unverhohlen an den Tag legten. Die fragile Regimekonstellation, ohnehin durch die drei Störfaktoren Israel, Indien und Pakistan in Frage gestellt, wurde damit in ihren Grundfesten erschüttert. Mit Iran und Nordkorea setzen zudem bereits zwei weitere Staaten zum Sprung ins nukleare Zeitalter an. Ein Beispiel, welches, besonders vor dem Hintergrund der Sicherheitslagen im Nahen Osten und in Ostasien, sehr schnell Schule machen könnte. In einem solchen Szenario würden bereits innerhalb der nächsten Dekade ein Dutzend weiterer Staaten über Nuklearwaffen verfügen. Regionale Konflikte könnten von da an im nuklearen Schlagabtausch münden, wofür die Spannungen zwischen Indien und Pakistan bereits mehrfach ausreichend Anlass zur Sorge boten. Auch akzidentelle Einsätze von Atomwaffen drohen in verstärkten Maße und könnten in nuklear aufgerüsteten Regionen schnell maximal eskalieren. Nicht zuletzt würde auch das Risiko des unbefugten Zugriffs steigen. Die Überprüfungskonferenz 2005 markiert jedoch nicht zwingend den Anfang vom Ende des NV-Regimes, denn es sind primär zwei Ursachen, die das Nichtverbreitungsregime in den letzten Jahren zunehmend in eine gefährliche Schieflage und an den Rand der Erosion ge- 3 Siehe dazu ausführlich Müller, Harald 2005: Vertrag im Zerfall? Die gescheiterte Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags und ihre Folgen, HSFK-Report 4/2005, Frankfurt a.M; siehe auch Jahresabrüstungsbericht 2004, Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Drucksache 15/5801, S. 26. 4 bracht haben. Beide Ursachen sind, obgleich eng mit dem Zusammenbruch der während des Ost-West-Konflikts bestehenden internationalen Ordnung verbunden, nicht unabänderlich. 1. Die 1995 vereinbarte und gefeierte Einigung, die NV-Vertragslaufzeit unbegrenzt zu verlängern: Der NVV balancierte stets nur die Interessen, niemals den Status der Vertragsparteien. Zwar wurde die oben bereits erwähnte, unbegrenzte Verlängerung als großer Erfolg gefeiert, doch verlor damit auch der über Jahrzehnte eingespielte Mechanismus aus Vorbereitungstreffen und Verlängerungskonferenzen seine Wirkung für die Legitimität des Vertrags. Die trotz der zementierten Asymmetrie innerhalb der Vertragsgemeinschaft vorhandenen und für den Zusammenhalt des Regimes kritischen Kohäsionskräfte, die aus dem Zwang zur immer wiederkehrenden gegenseitigen Bestätigung der Vertragsziele und den periodischen Verlängerungen des Vertrags erwuchsen, wurden damit geschwächt.4 2. Die militärische Hegemonialstellung der USA und die Nutzung des "unipolaren Moments": Zunehmend vernachlässigen die USA, wichtigster Spieler in den Reihen der Haves, ihre internationale Vorbildfunktion und torpedieren damit die auf tönernen Füßen stehende soziale Hierarchie zwischen Haves und Have-Nots – und damit die Existenzgrundlage des Regimes. Aus amerikanischer Sicht existiert keine Notwendigkeit mehr, den inzwischen ohnehin unbegrenzt verlängerten Vertrag noch aktiv zu stützen. Er ist zu einem beliebigen Instrument unter vielen geworden, welches zunehmend als lästig empfunden und durch "coalitions of convenience" ergänzt und möglicherweise gar ersetzt werden wird. Offenes Desinteresse, wie auf der diesjährigen Überprüfungskonferenz demonstriert, Absagen an die eigenen Abrüstungsverpflichtungen und qualitative wie "verbale" Aufrüstungen der eigenen Arsenale verspielen letzte Vertrauenskredite auf Seiten der Have-Nots und damit deren Bereitschaft, die internationale Ungleichheit weiter zu tolerieren und aufrechtzuerhalten.5 Die erste Ursache ist von struktureller Natur und berührt das Regime auf der Ebene basaler Funktionsmechanismen. Ihre Wirkung könnte jedoch durch den "guten Willen" der Vertragsparteien abgefedert werden. Die zweite Ursache ist für das Regime deutlich gefährlicher. Sie ist unmittelbar akteursgebunden, direkt an die Handlungen und Entscheidungen Washingtons geknüpft und droht derzeit, die Chancen auf Mobilisierung eben jenes "guten Willens" und 4 5 Siehe Daase, Christopher 2003: Der Anfang vom Ende des nuklearen Tabus, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1/2003, S. 7-41; siehe auch die daran anschließende Debatte in der Zeitschrift für internationale Beziehungen: Wolf, Reinhard 2003: Tabu, Verrechtlichung und die Politik der nuklearen Nichtverbreitung, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/2003, S. 321-332; Dembinski, Matthias/Müller, Harald 2003: Mehr Ratio als Charisma: Zur Entwicklung des nuklearen Nichtweiterverbreitungs-Regimes vor und nach 1995, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/2003, S. 333-350; Daase, Christopher 2003: Nonproliferation und das Studium internationaler Legitimität. Eine Antwort auf meine Kritiker, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2/2003, S. 351-364. Statt vieler siehe Müller 2005: Vertrag im Zerfall, S. 22f. 5 der Einstandspflicht der Vertragsgemeinschaft zunichte zu machen. Gleichzeitig bedeutet dieser Wirkungszusammenhang aber auch, dass, allen "imperialen" Strukturzwängen vermeintlich erwachsenden Handlungsdeterminanten zum Trotz, genau so schnell und jederzeit eine entsprechende Kurskorrektur der politischen Akteure in den USA dem Regime auch neue Stärke einhauchen könnte. Offen ist jedoch, ob und wann mit einem solchen Zurückschwingen des Pendels in Richtung multilateraler Rüstungskontrolle auf Seiten der USA gerechnet werden kann. Die Fälle Irak, Iran und Nordkorea gelten dort für nicht wenige Entscheidungsträger als Beweis für das Versagen des bestehenden NV-Regimes. Die Administration George W. Bushs strebt daher neue Initiativen und Lösungen für die Proliferationsproblematik an. Es sollte auch im Interesse deutscher Außenpolitik liegen, an einem möglicherweise bereits gescheiterten Regime nicht unnötig lange festzuhalten. Andererseits gilt es zu verhindern, dass das Regime zu früh aufgegeben und so das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Denn mit dem NVV und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) verfügt die Staatengemeinschaft über einen bewährten Rahmen, mit dem in der Vergangenheit Proliferation, wenn auch nicht gestoppt, so doch erfolgreich eingedämmt werden konnte. Prominente Erfolgsbeispiele sind Weißrussland, die Ukraine und Kasachstan, die nach dem Kollaps der Sowjetunion ihre Waffen aufgaben und dem Vertrag beitraten. Auch Brasilien, Argentinien, Südafrika und kürzlich Libyen schworen ihren Nuklearprogrammen ab. Der NVV kann zweifellos einen starken "normativen Sogeffekt"6 für sich beanspruchen und trug so über die Jahre entscheidend dazu bei, im internationalen System erfolgreich das "nukleare Tabu" gegen Verbreitung und Einsatz von Nuklearwaffen zu stärken und zu bewahren.7 Jedes Regime ist allerdings stets nur so funktionstüchtig und erfolgreich, wie die Staatengemeinschaft es ihm erlaubt. Das NV-Regime ist vom politischen Willen und der Führung durch seine starken Mitglieder, in besonderem Maße der USA, abhängig. Tragfähige Handlungsempfehlungen für die deutsche Außen- und Nichtverbreitungspolitik müssen diesen Umstand berücksichtigen und bestehende Alternativen zum NV-Regime vor diesem Hintergrund bewerten. III. Counterproliferation – Auch mit militärischen Mitteln gegen Proliferation? Im Maßnahmenkatalog der Counterproliferation8 stellt das geplante Waffensystem Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP),9 das Extrembeispiel eines militärischen Gewaltmittels, das 6 7 8 Müller, Harald 2004: Massenvernichtungswaffen: keine neue Gefährdungslage, in: Friedensgutachten 2004, Institut für Entwicklung Frieden, S. 125-134, hier S. 126. Siehe Tannenwald, Nina 1999: The Nuclear Taboo: The United States and the Normative Basis of Nuclear Non-Use, in: International Organization 53:3, S. 433-468. Unter der Clinton-Administration fasste das US Verteidigungsministerium Counterproliferation in den "8Ds" zusammen: Dissuasion, Disarmament, Diplomacy, Denial, Defusing, Deterrence, Defenses, Destruction, siehe Carter, Ashton B. 2004: How to Counter WMD, in: Foreign Affairs 83:5, S. 72-85, hier S. 73f. 6 designierte Instrument zukünftiger Militäroperationen für Angriff und Zerstörung gegnerischer nuklearer Produktionsanlagen oder bestehender Arsenale dar. Ziel des RNEPProgramms ist die Entwicklung einer bunkerbrechenden Bombe, die mit der Fähigkeit versehen werden soll, tief in die Erde einzudringen, um so auch unterirdisch verbunkerte Ziele zerstören zu können. Der RNEP verspricht, mittels seiner fokussierten Explosionskraft und der dabei einhergehenden Hitzeentwicklung, im Einsatz gegen feindliche Bunkeranlagen das zu erreichen, was konventionelle Waffensysteme derzeit nicht vermögen, nämlich atomare (biologische, chemische) Waffenlager restlos und sicher zu vernichten.10 Inwieweit der RNEP als ein nützliches Instrument der Counterproliferation dienen kann, steht und fällt mit den Fragen nach seiner technischen Machbarkeit bzw. der Erfolgswahrscheinlichkeit im Falle seines Einsatzes und den mit ihm verbundenen wirtschaftlichen und politischen Kosten. Der Entwicklungsgedanke für den RNEP ist nicht neu. Bereits nach dem Ende des Ost-WestKonflikts fand für die Nuklearstreitkräfte in den USA eine strategische Neuorientierung statt,11 in deren Zusammenhang von 1991 an auf Seiten der US Air Force wiederholt die Nachfrage nach einer Nuklearwaffe mit kleiner Sprengkraft zur Zerstörung unterirdischer Bunkeranlagen laut wurde. Ein Antrag zur Finanzierung der dazu notwendigen Forschung wurde allerdings im Repräsentantenhaus des Kongresses bereits 1993 aufgrund der Besorgnis abgelehnt, dass eine solche Waffe die Grenze zwischen konventionellen und nuklearen Waffen aufweichen und sich als Proliferationsanreiz sowie Unterminierung des NVV erweisen könnte.12 Forschung- und Entwicklungsarbeiten an low-yield nuclear weapons mit einer Sprengkraft von weniger als 5 Kilotonnen (KT) wurden daher bis auf Weiteres verboten.13 Zum Jahrtausendwechsel rückten mit einem gemeinsamen Bericht des US Verteidigungs- und des Energieministeriums allerdings wirksame Maßnahmen gegen verbunkerte Ziele auf der Wunschliste der Regierung wieder weiter nach oben.14 Für das Fiskaljahr 2003 setzte die 9 10 11 12 13 14 Der RNEP firmiert auch unter den Namen "Bunkerbuster" oder "Mininuke". Genau genommen bezeichnet allerdings "Mininuke" nur den Sprengkopf des Waffensystems, während "Bunkerbuster" ein griffiger Ausdruck für die Klasse der Earth Penetrating Weapons (EPW) ist, zu der auch konventionelle Waffensysteme zählen. Vgl. Moore, Thomas 2003: Does the United States need to develop a new nuclear earth penetrating weapon?, Master of Military Art and Science Thesis, Fort Leavenworth, Kansas, S. 33, 38. Siehe Rogers, Paul/Whitby, Simon/Young, Stephen 1996: Nuclear Futures: The Role of Nuclear Weapons in Security Policy, BASIC (British American Security Information Council) Research Report 96.1, S. 8ff.; vgl. auch Kristensen, Hans M. 1998: Nuclear Futures: Proliferation of Weapons of Mass Destruction and US Nuclear Strategy, BASIC (British American Security Information Council) Research Report 98.2, S. 9ff. Vgl. Medalia, Jonathan 2004: Nuclear Weapon Initiatives: Low-Yield R&D, Advanced Concepts, Earth Penetrators, Test Readiness, in: Congressional Research Service (CRS), Report for Congress, Library of Congress, Order Code RL32130, S. 13ff. Ebd., S. 10ff.; siehe auch Medalia, Jonathan 2003: Nuclear Earth Penetrator Weapons, in: Congressional Research Service (CRS), Report for Congress, Library of Congress, Order Code RS20834, S. 3. Siehe Medalia: Nuclear Earth Penetrator Weapons, S. 3; siehe auch Nelson, Robert W. 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, in: Science and Global Security 10, S. 1-20, hier S. 1. 7 Bush-Administration einen Antrag über 15 Millionen US-$ durch, um erste Studien zum RNEP zu finanzieren. Die Mittel für die Entwicklung wurden allerdings im Jahr darauf bereits wieder eingefroren.15 Anfang 2005 fand sich der RNEP jedoch erneut in der Haushaltsvorlage der Bush-Administration. Aktuell wird darin zur Wiederaufnahme des Projekts und seiner Fortführung über fünf Jahre eine Summe von 484,7 Millionen US-$ veranschlagt.16 Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten befinden sich noch in einem frühen Stadium. In das RNEP-Design fließen allerdings Kenntnisse und Bauteile aus bestehenden (konventionellen) Waffensystemen mit Earth Penetrating Capability und taktischen Nuklearwaffen mit ein, so dass die Entwickler nicht explizit von einer "Neuentwicklung" sprechen, welche einen offenen Verstoß gegen den (Geist des) NVV bedeuten würde. Die Technologie für variable oder geringe nukleare Sprengkraft zur Verwendung in den Mini-Nukes ist schon seit geraumer Zeit Teil des US-Arsenals und stellt damit nicht das zentrale Problem bei der Entwicklung des RNEP dar. Die Frage der Machbarkeit entscheidet sich vielmehr daran, ob der Mini-NukeSprengkopf unversehrt in die erforderliche Tiefe gebracht werden kann. Optimisten argumentieren, das US-Arsenal habe mit einer Variante der Pershing II Rakete bereits einmal über nennenswerte Fähigkeiten zur Bekämpfung unterirdischer Ziele verfügt. Dies habe allerdings nur für die Ära des Kalten Krieges gegolten. Für die mindestens 30, oftmals über 100 Meter tief verbunkerten und betonbewehrten Ziele der Gegenwart, Hardened and Deeply Buried Targets17 (HDBT) genannt, halte das US-Arsenal kein adäquates Waffensystem mehr bereit.18 Sie verweisen folglich darauf, dass durch intensive Forschung in einem überschaubaren Zeitrahmen an Technologien wie die in der Pershing II angeknüpft und ein RNEP gegen die HDBTs der Gegenwart erfolgreich entwickelt werden könnte. Skeptiker halten dies hingegen weniger für eine realistische Zielsetzung als viel mehr für "Wunschdenken"19 und weisen im gleichen Zug darauf hin, dass die Optimisten bisher kaum Szenarien vorgelegt hätten, in denen das geplante Waffensystem seine Funktion für die Counterproliferation tatsächlich erfüllen könnte – vorausgesetzt es wäre überhaupt erfolgreich konstruierbar.20 Grundlegende Probleme des Waffensystems bestünden hinsichtlich der maximal er15 16 17 18 19 20 Siehe Medalia: Nuclear Weapon Initiatives, S. 20ff. Im Detail für die Fiskaljahre 2005-2009 (Fiscal Year, FY): FY2005: $27.6 million, FY2006: $95.0 million, FY2007: $145.4 million, FY2008: $128.4 million, FY2009: $88.4 million, siehe Medalia, Jonathan 2004: Robust Nuclear Earth Penetrator Budget Request and Plan, FY2005-FY2009, in: Congressional Research Service (CRS), Report for Congress, Library of Congress, Order Code RS21762, S. 2. Siehe Sepp, Lt. Colonel E. M. 2000: Deeply Buried Facilities: Implications for Military Operations, Occasional Paper Number 14:14, Air University, Maxwell Air Force Base, S. 5f. Vgl. Moore, S. 28f., 33. Nelson, Robert W. 2003: Nuclear Bunker Busters, Mini Nukes, and the US Nuclear Stockpile, in: Physics Today 56:11, S. 32-37, hier S. 32. Siehe Nelson, Robert W. 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 1-20, hier S. 4; für konkrete Fallbeispiele siehe Levi, Michael A. 2002: Fire in the Hole, in: Journal of the Federation of American Scientists (F.A.S.) 55:5, S. 9-13, hier S. 10ff. 8 reichbaren Eindringtiefe und der bei der Explosion entstehenden Radioaktivität. So ergaben Tests mit einer verstärkten Hülle der B61-11-Atombombe in Alaska für den gefrorenen Boden der Tundra Eindringtiefen von nur 2-3 Metern.21 Um größere Tiefen zu erreichen, müsste das bestehende Design mit Raketenmotoren versehen werden, um dem Geschoss zu höherer Geschwindigkeit beim Auftreffen auf den Boden zu verhelfen. Doch selbst dann blieben der Fähigkeit, in den selben einzudringen, enge Grenzen gesteckt. Die Geschwindigkeit der Waffe lässt sich nicht beliebig zugunsten größerer Eindringtiefen steigern, da auch extrem dichte und widerstandsfähige Stähle den beim Vortrieb im Boden entstehenden Druck- und Hitzeeinwirkungen nachgeben, wodurch sich die Waffe "selbst auffrisst" und auf ihrem Weg zum Ziel zerstört wird.22 Berechnungen zeigen, dass eine Rakete von 3 Metern Länge in gehärteten Beton oder äquivalente Materie nur maximal 12 Meter, also das Vierfache ihrer eigenen Länge, eindringen kann.23 Gestützt werden diese Ergebnisse durch die Erfahrungen mit einer der beiden derzeit effektivsten konventionellen EPW, der Präzisionsbombe GBU-28, welche ca. 6 Meter gehärteten Beton zu durchschlagen und 30 Meter tief in den Boden einzudringen vermag.24 Bereits wenige Meter Eindringtiefe sorgen allerdings dafür, dass sehr viel mehr Energie in Richtung Ziel abgegeben werden kann als bei einer Explosion an der Oberfläche.25 Bunkeranlagen in nur geringfügig größerer Tiefe als der Eindringtiefe des RNEP könnten möglicherweise doch erfolgreich ins Ziel gefasst werden – wäre damit nicht ein weiteres Problem verbunden: Auch kleine Nuklearexplosionen von "nur" 0,1 KT Sprengkraft müssten in einer Tiefe von mindestens 43m stattfinden, um das Austreten von Radioaktivität an die Oberfläche zu verhindern.26 So wurden Nukleartests in den USA aus Sicherheitsgründen folglich niemals in geringerer Tiefe als 185m gezündet, um den unkontrollierten Austritt von Radioaktivität auszuschließen.27 (Den Zusammenhang zwischen Sprengkraft und der zur Eindämmung der Ra- 21 22 23 24 25 26 27 So sei nach Aussage der RNEP-Gegner auch die offiziell vom Defense Science Board des Pentagon ins Feld geführte Expertise zu Machbarkeit und Konsequenzen des RNEP-Einsatzes nicht stichhaltig, da sie sich auf Daten aus unrealistischen Testanordnungen aus der Zeit des Kalten Krieges stütze, vgl. Levi, Michael A. 2004: Dreaming of clean nukes. Can the Pentagon defend its plans for new nuclear bombs?, in: Nature, Vol. 428, S. 892. Siehe Nelson 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 4. Ebd., S. 5ff. Ebd., S. 8. Siehe die Daten zu "Guided Bomb Unit-28 (GBU-28) BLU-113 Penetrator" auf der Website der Federation of American Scientists, http://www.fas. org/man/dod-101/sys/smart/gbu-28.htm <rev. 06-07-2005>. Siehe Gronlund, Lisbeth/Wright, David 2002: Earth-Penetrating Weapons, Union of Concerned Scientists Backgrounder, June 2002, http://www.ucsusa.org/global_security/nuclear_weapons/page.cfm?page ID=777 <rev. 13-07-2005>, S. 1; siehe auch Nelson, Nuclear Bunker Busters, Mini Nukes, and the US Nuclear Stockpile, S. 35. Siehe Nelson 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 9ff.; siehe Gronlund/Wright, S. 1. Diese Zahlen werden gestützt durch die Erfahrungen aus dem US Projekt Plowshare, in welchem nukleare Explosionen von 0,1 bis 104 Kilotonnen Sprengkraft als Grabungsmethode für Kanäle oder Hafenbecken getestet wurden. Im Rahmen des Plowshare Tests "Cabriolet" wurde ein 2,3 Kilotonnen Sprengsatz 9 dioaktivität mindestens notwendigen Explosionstiefe illustriert Grafik 1).28 Da jedoch schon eine Bombe mit der Sprengkraft von 1 KT (die nach Grafik 1 mindestens 100m tief in der Erde explodieren müsste, damit keine Radioaktivität an die Oberfläche dringt) keine Struktur gefährden kann, die vom Ort der Detonation durch mehr als 30m Beton geschützt wird, wären vermutlich sogar größere Sprengkräfte als nur solche im Bereich von 0,1 - 1 KT notwendig, um ein HDBT wirklich sicher zu zerstören.29 Wie oben gesehen, ist man offenbar von der Entwicklung einer EPW noch weit entfernt, die eine Sprengkraft von 0,1 KT (diese wird von RNEP-Konstrukteuren als "adäquat" erachtet)30, geschweige denn eine von 1 KT oder mehr, so tief in die Erde verbringen könnte, dass mit der Explosion keine Radioaktivität an die Grafik 1: Die durchgezogene Linie markiert das theoretische Minimum an Grabungstiefe in Metern, das für die Eindämmung einer unterirdischen Nuklearexplosion (in Abhängigkeit von Sprengkraft (Yield) in KT) notwendig ist. Die gepunktete Linie zeigt die tatsächlich verwendeten, sogar größeren Grabungstiefen für Explosionen auf dem Testgelände der USA in Nevada. Oberfläche dringt und kein gefährlicher fallout entsteht.31 Dessen Verteilung ist zwar von einer Vielzahl von Faktoren, wie eben Explosionstiefe, Bodenbeschaffenheit, Windrichtung und -stärke sowie den Gegebenheiten der Landschaft abhängig.32 Doch würden radioaktive Explosionsrückstände, die aus dem entstehenden Krater wie in einem Schornstein nach oben geblasen werden, für die Zivilbevölkerung, wenn sie sich in der Nähe des Einsatzortes des RNEP befindet, eine lebensbedrohliche Gefahr darstellen.33 Schätzungen für die Explosion einer 5 KT Waffe in 10 Metern Tiefe in 28 29 30 31 32 33 in einer Tiefe von 52 Metern gezündet. Ein 36m tiefer Krater von 100m Durchmesser entstand. Dabei unmittelbar frei werdende hochradioaktive Partikel bedeckten eine Fläche von 2,5 km Durchmesser, vgl. Nelson 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 12, Figure 5. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Siehe Rogers/Whitby/Young, S. 10. Siehe Gronlund/Wright, S. 2. Siehe Nelson 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 12. Da tödliche Dosen von Radioaktivität bereits innerhalb der ersten 24 Stunden aufgenommen werden, wäre die Evakuierung einer großen Zahl von Zivilisten nach dem Einsatz des RNEP in (oder nahe) besiedeltem Gebiet nicht ohne Verluste zu realisieren, siehe Nelson 2002: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 15ff.; vgl. auch Nelson, Robert W. 2001: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, in: Journal of the Federation of American Scientists (F.A.S) 54:1, S. 1-5, hier S. 2ff. 10 der Nähe von besiedeltem Gebiet ergaben für das Beispiel Damaskus in Syrien 230.000 unmittelbare Opfer und weitere 280.000 Opfer in den darauffolgenden zwei Jahren.34 Eine Mini-Atombombe, die tief genug in die Erde eindringt, um verbunkerte Ziele ernsthaft zu gefährden und gleichzeitig keine gefährlichen Mengen an fallout produziert, wird in absehbarer Zeit nicht konstruiert werden können. Ein "sauberer" Einsatz von Nuklearwaffen wird also auch mit dem RNEP nicht möglich. Trotzdem erscheint er seinen Befürwortern immer noch als eine "einsetzbare" Alternative zu den im Vergleich viel größeren Atomwaffen des bestehenden Arsenals.35 Die bereits Anfang der 1990er Jahre vom US Kongress geäußerte Befürchtung, dass mit der fortgesetzten Entwicklung solcher Mininukes die Grenze zwischen konventionellen und nuklearen Waffen verwischt würde und die Hemmschwelle zum Einsatz von Nuklearwaffen gefährlich sinken könnte, ist also nicht unplausibel. Die politischen und militärischen Folgekosten einer solchen gesunkenen Hemmschwelle aber wären katastrophal hoch. Als erfolgversprechendes Instrument der Counterproliferation fungiert der RNEP aus militärischer Sicht darüber hinaus schon deshalb nicht, weil unterirdisch verbunkerte Ziele notorisch schwer lokalisierbar sind. Und da dieser Umstand natürlich auch Proliferatoren und atomaren Aspiranten bekannt ist, wird die massive Aufstockung und Verteilung der eigenen Arsenale und Anlagen, um das wertvolle Abschreckungspotenzial vor der Zerstörung zu bewahren, für sie zur logischen Konsequenz. Die Aufrüstung mittels des RNEP ist folglich im Sinne der Non-Proliferation ein durch und durch kontraproduktives Unterfangen und keine Alternative zum NV-Regime. Der RNEP stellt selbst einen Proliferationsanreiz dar. Die Weigerung der USA, den umfassen Teststoppvertrag (CTBT) für Nuklearwaffen zu unterzeichnen, der eine Entwicklung des RNEP nachhaltig verzögern würde, verstärkt diesen Proliferationsimpuls zusätzlich.36 Die teure Entwicklung des Waffensystems RNEP, dessen letztendliche Machbarkeit höchst fraglich bleibt, mutet vor dem Hintergrund der konventionellen Überlegenheit der USA und den daraus erwachsenden Alternativen, wie beispielsweise dem Agent Defeat Warhead (ADW), auch in Bezug auf das wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Kalkül unvernünftig an.37 34 35 36 37 Vgl. Medalia, Nuclear Weapon Initiatives, S. 27. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe verfügte über eine Sprengkraft von 15 KT, die größten Atomsprengköpfe jüngeren Datums über Sprengkräfte im Megatonnen-Bereich. Siehe Deibel, Terry L. 2002: The Death of a Treaty, in: Foreign Affairs 81:5, S. 142-161; siehe auch Nelson 2001: Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons, S. 5. Der ADW stellt ein konventionelles Waffensystem auf thermokorrosiver Basis dar, welches bereits heute die Möglichkeit bietet, ABC-Arsenale bei niedrigem Druck aber lang anhaltenden und hohen Temperaturen von über 2000°C zu verbrennen und dabei nicht in der Umwelt zu verteilen, siehe Nelson, Robert W. 2004: Nuclear "Bunker Busters" would more likely disperse than destroy buried stockpiles of biological and chemical agents, in: Science and Global Security 12, S. 71f.; siehe für Alternativen zum RNEP als Mittel der militärischen Counterproliferation auch Nelson, Nuclear Bunker Busters, Mini Nukes, and the 11 IV. Proliferation Security Initiative – Eine Koalition von Willigen gegen Proliferation Die Proliferation Security Initiative (PSI) ging aus einer Rede des US Präsidenten George W. Bush in Krakau am 31. Mai 2003 hervor. Ihre Grundlagen waren bereits seit 2002 mit der USamerikanischen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen gelegt. Katalysator für die Ausrufung der Initiative war eine Lieferung nordkoreanischer Scud-Raketen an den Jemen im vorangegangenen Dezember, welche trotz der Intervention spanischer und USamerikanischer Seestreitkräfte letztlich nicht verhindert werden konnte.38 Die PSI dient daher, anders als das RNEP-Programm, nicht der Zerstörung bestehender nuklearer (biologischer, chemischer) Potenziale, sondern hat die Unterbrechung der Transportwege für Massenvernichtungswaffen und deren Komponenten zum Ziel. Als Antwort auf die gestiegene Proliferationsgefahr in der Welt soll die PSI dort ansetzen, wo Exportkontrollen nicht mehr greifen. Sie soll also verhindern, dass bestimmte Staaten und Terroristen über den Land-, Luft- oder Seeweg in den Besitz nuklearer Kapazitäten gelangen. Unter der Führung der USA wird die Initiative als ein informelles "Netzwerk von Aktivitäten"39 ohne feste vertragliche oder organisatorische Struktur von inzwischen 17 Ländern mitgetragen. Dazu gehörte von Anfang an auch Deutschland. Im Einzelnen bestand die Kerngruppe zu Beginn aus Australien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, den Niederlanden, Polen, Portugal, Spanien, Großbritannien und den USA. Später stießen Singapur, Kanada, Dänemark, Norwegen, die Türkei und kürzlich auch Russland dazu.40 Am 4. September 2003 hatten sich die elf Gründungsteilnehmer der PSI auf ihrem Treffen in Paris mit dem Statement of Interdiction Principles auf einen national und international rechtskonformen Maßnahmen- und Zielkatalog geeignet, der vier Punkte umfasst: 38 39 40 US Nuclear Stockpile, S. 33; siehe auch Levi, Fire in the Hole, S. 10ff.; siehe auch Sepp, S. 22, 25; siehe auch Medalia, Nuclear Weapon Initiatives, S. 10; siehe auch Carter, S. 82. Vgl. Chamerblain, Nigel 2003: Interdiction under the Proliferation Security Initiative. CounterProliferation or Counter-Productive?, in: BASIC Briefing 6 October 2003, online auf der Website des British American Security Informationen Council unter http://www.basicint.org/nuclear/ UK_Policy/psi20031006.htm <20-07-2005>; siehe auch Joseph, Jofi 2004: The Proliferation Security Initiative: can interdiction stop proliferation?, in: Arms Control Today 43:5, S. 6-13, hier S. 7; siehe auch Mannhardt, Jürgen/Reiser, Ulrich 2005: Proliferation Security Initiative – als Instrument für die Weiterentwicklung des Seerechts, in: Europäische Sicherheit 54:1, S. 50-54, hier S. 50; siehe auch Schaller, Christian 2004: Die Unterbindung des Seetransports von Massenvernichtungswaffen. Völkerrechtliche Aspekte der "Proliferation Security Initiative", SWP Studie, Berlin, S. 7; siehe auch Winner, Andrew C. 2005: The Proliferation Security Initiative: The New Face of Interdiction, in: The Washington Quarterly 28:2, S. 129-143. Jahresabrüstungsbericht 2004, S. 40. Siehe Pothier, Fabrice 2004: The Proliferation Security Initiative. Towards a New Anti-Proliferation Conssensus?, in: BASIC Notes 18 November 2004, Occasional Papers on international Security Policy, online auf der Website des British American Security Informationen Council unter http://www.basicint.org/ pubs/Notes/BN0 41118.htm <rev. 19-07-2005>; siehe auch Squassoni, Sharon 2005: Proliferation Security Initiative (PSI), in: Congressional Research Service (CRS), Report for Congress, Library of Congress, Order Code RS21881. 12 Zum Ersten die Unterbrechung der Transportwege für Massenvernichtungswaffen, Trägersysteme und zu deren Herstellung benötigter Materialien und Technologien in Richtung verdächtiger Akteure ("States or non-state actors of proliferation concern"). Zum Zweiten die Einrichtung verbesserter Kanäle für den Austausch relevanter Sicherheitsinformationen zwischen den PSI-Teilnehmern. Zum Dritten die Anpassung und Schärfung nationaler und internationaler Rechtsinstrumente. Sowie zum Vierten die Schaffung notwendiger Voraussetzungen, um verdächtige Schiffe und Flugzeuge selbst stoppen und durchsuchen zu können oder derlei Operationen unterstützen zu können.41 Die PSI erscheint als schlanker und flexibler Lösungsansatz, doch sind mit ihr auch Probleme und Bedenken verbunden. So kann sich die Initiative zwar auf Resolutionen des UNSicherheitsrats berufen, die Massenvernichtungswaffen zur Bedrohung für Sicherheit und Frieden erklären und zur Zusammenarbeit im Kampf gegen deren Verbreitung, insbesondere in Richtung nichtstaatlicher Akteure, aufrufen. Doch vor allem für die maritimen PSIEinsatzszenarien besteht dringender juristischer Klärungsbedarf. Das Stoppen und Entern von Schiffen auf hoher See ohne Zustimmung des Flaggenstaates, also dem Land unter dessen Flagge das Schiff fährt, bleibt nämlich bis auf wenige Ausnahmefälle weiterhin ein Akt der Piraterie.42 Und in Küstennähe genießen Schiffe das im Völkergewohnheitsrecht verankerte "Recht auf friedliche Durchfahrt", so dass auch Küstenstaaten ohne Zustimmung des Flaggenstaats nur im Falle ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen eine Passage behindern dürfen. Das Transportieren von Massenvernichtungswaffen stellt aber in beiden Fällen keine solche Ausnahme dar.43 Mit der Wendung "States of proliferation concern" sind zwei weitere Probleme verbunden. Wie tragfähig ist die Formulierung "States or non-state actors of proliferation concern" in juristischer Hinsicht? Zum Einen ist nicht definiert, was unter Gesichtspunkten der Proliferation im Rahmen der PSI als problematisch betrachtet wird, ob also nur unmittelbar Massenvernichtungswaffen-taugliche Fracht oder möglicherweise auch dual-use-Güter zum Einschreiten berechtigen. Zum Anderen gelten als problematische Zielländer für Lieferungen unter anderem Kuba, Syrien oder Nordkorea, womit das zweite der beiden Probleme benannt ist: Wer bestimmt, welche Staaten oder nichtstaatlichen Akteure als bedenklich ("reasonably suspected") einzustufen sind und welche nicht? So fällt zum Beispiel keiner der drei bereits genannten, außerhalb des NVV-Rahmens verweilenden, Atomwaffenstaaten Israel, Indien oder Pakistan nach offizieller Sprachregelung auf Seiten der USA in die entsprechende Kate41 42 43 Siehe die Statement of Interdiction Principles auf der Website des US Department of State unter http://www.state.gov/t/np/rls/fs/23764.htm <rev. 19-07-2005>. Vgl. Müller: Massenvernichtungswaffen, S. 46; siehe auch Schaller, S. 15ff. Vgl. Schaller, S 11f. 13 gorie. Zumindest im Falle Pakistans ist das vor dem Hintergrund des kürzlich enttarnten, weltweiten Schmuggelnetzwerks von Abdul Qadir Khan sehr überraschend – schließlich zeichnet sich dieser maßgeblich für die Aufrüstung Irans und Nordkoreas mit Urananreicherungstechnologie verantwortlich.44 Den Fall Nordkorea zum Anlass nehmend wurden – auch von deutscher Seite – bereits Bedenken geäußert, nach denen eine Fixierung der USA auf bestimmte Zielstaaten und das Instrument PSI eine Eskalationsgefahr heraufbeschwören und das bestehende Völkerrecht um das NV-Regime untergraben könnte.45 Inwieweit solche Bedenken gerechtfertigt sind, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, da die PSI noch in ihren Anfängen steckt. Festhalten lässt sich zunächst, dass die Initiative nach nur fünf Vorbereitungstreffen schnell in ihre operative Phase eingetreten ist. Es wurden bereits zahlreiche Manöver abgehalten und die Seestreitkräfte sowie Küstenschutzund Zollorgane der PSI-Teilnehmer entlang der Statement of Interdiction Principles koordiniert. Nicht selten werden inzwischen auch kleinere technische Mängel ("broken tail-light scenario")46 als ein Vorwand genutzt, um Schiffe noch im Hafen zu inspizieren. Bereits im Oktober 2003 konnte die PSI einen ersten Erfolg vermelden, nachdem eine Lieferung von Röhren für Uranzentrifugen an Libyen abgefangen worden war. Über die genau Zahl erfolgreicher Operationen schweigen sich die Teilnehmer allerdings aus. Sie wird auf ungefähr ein Dutzend geschätzt.47 Trotz der frühen Erfolge besteht aber noch erheblicher Verbesserungsbedarf für die PSI, nicht allein in Bezug auf die Klärung der rechtlichen Fragen. Das Reformziel lässt sich in einer knappen Formel als "Formalisierung und Multilateralisierung ohne Flexibilitäts- und Effizienzverlust" zusammenfassen. Wenige, dafür regelmäßige Treffen und ein kleines, informelles Sekretariat haben sich beispielsweise im Missile Technology Control Regime (MTCR) als minimales Formalisierungskonzept bereits sehr zweckmäßig erwiesen. Damit ließe sich sowohl die Einstandsverpflichtung der Teilnehmer für die bisher noch freiwilligen Operationen der PSI erhöhen, als auch die Verständigung über Zielsetzungen der Initiative mit der Führungsmacht USA erleichtern. Vor allem die USA wollen die Initiative überschaubar und möglichst formlos halten, stellen sich aber nicht prinzipiell gegen eine Erweiterung.48 So ließe sich durch Ausdehnung bilateraler Abkommen, die die Vereinigten Staaten heute bereits mit den 44 45 46 47 48 Vgl. Joseph, S. 9. Vgl. Deutsche Beteiligung and der Proliferationssicherheitsinitiative Proliferation Security Initiative: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Werner Hoyer ... und der Fraktion der FDP - Drucksache 15/2222/Deutscher Bundestag, Köln, Bundesanzeiger 2004; siehe auch Joseph, S. 8. Squassoni, S. 3. Vgl. Joseph, S. 6, 8, 10. Siehe Bush, George W.: Remarks by the President to the People of Poland, May 31, 2003, The White House, online unter www.whitehouse.gov/news/releases/2003/05/print/20030531-3.html <22-07-2005>. 14 wichtigsten Flaggenstaaten Liberia und Panama (sog. "flag of convenience"-Staaten) unterhalten, die PSI mit Effizienzgewinn weiter multilateralisieren. Auch der Ausbau des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (SUA-Konvention), das von 104 Staaten ratifiziert wurde, könnte der PSI ein wichtiges Teilinstrument hinzufügen.49 Die PSI-Staaten fordern schon heute von Fall zu Fall immer wieder die Kooperation von Nichtteilnehmern. Auch wird versichert, die PSI fände im Kreise der Nichtteilnehmer schon heute in weiteren 60 Staaten Unterstützung. Es erscheint aus dieser Sicht nur konsequent, im Rahmen der bereits laufenden "outreach-strategy"50 sowohl China, letzte noch fehlende offizielle Atommacht und P5-Mitglied des UN Sicherheitsrats, als auch Länder aus den Reihe der blockfreien Staaten einzubinden, um deren Vorbehalte gegenüber der PSI abzubauen. Auch das Hinarbeiten auf eine zeitlich befristete Resolution des UNSicherheitsrats zur Steigerung der Legitimität der PSI bis zu ihrer breiteren multilateralen Etablierung und Klärung der offenen Rechtsfragen wäre der Initiative zuträglich.51 Für eine abschließende Bewertung der PSI ist es noch zu früh. Ohne Zweifel hat die Initiative das Potenzial, als wirksame Non-Proliferationsmaßnahme "im Mittelfeld" zwischen Exportkontrollen und dem NV-Regime zu fungieren. Sie macht aber das Bemühen um funktionsfähige Exportkontrollen nicht obsolet. Noch weniger bietet sie eine Alternative zum NVRegime im Sinne eines Ersatzes. Diesen Eindruck zum Schaden der Legitimation des bestehenden NV-Regimes auf Seiten der Nichtteilnehmer der PSI zu erwecken oder gar zu nähren, gilt es im Zuge des Ausbaus der Initiative mithin auch unbedingt zu vermeiden. Die PSI ist mit einem Vertragswerk vom Range des NVV nicht zu vergleichen. Sie schafft keine neuen völkerrechtlichen Verhältnisse – würde sich heute ein zweiter Vorfall wie der des nordkoreanischen Frachters ereignen, so könnte dieser auch trotz PSI nicht aufgehalten werden.52 Erfolgreiche internationale Nichtverbreitungspolitik gründet sich nicht alleine auf neue unverbindliche Initiativen, sondern muss sich stets auf mehrere Instrumente stützen, unter denen das NV-Regime ohne Zweifel das potenziell machtvollste ist. Die deutsche Position gegenüber der PSI reflektiert dies bereits in angemessener Form, da sie das Unterfangen PSI eindeutig auf einer anderen Ebene als das NV-Regime ansiedelt und als nicht mit starken, bindenden Völkerrechtsnormen vergleichbar versteht. Auch auf deutscher Seite steht allerdings die Klärung offener Rechtsfragen, primär um das für den Einsatz der deutschen Marine notwendige Parlamentsmandat, noch aus.53 49 50 51 52 53 Vgl. Schaller, S. 23f. Jahresabrüstungsbericht 2004, S. 41. Siehe Müller, S. 46f.; siehe auch Carter, S. 10ff.; siehe auch Mannhardt/Reiser, S. 53. Vgl. Carter, S. 7. Siehe Mannhardt/Reiser, S. 52f.; siehe auch Schaller, S. 22. 15 V. Schlussfolgerungen und Handlungsperspektiven für die deutsche Außenpolitik Robert McNamara, US-Verteidigungsminister a.D., schlug am Ende der diesjährigen NVVÜberprüfungskonferenz vor, die weltweiten Non-Proliferationsbemühungen zukünftig notfalls ohne die kooperationsunwilligen USA weiter zu verfolgen – einer Reihe von Staaten, darunter Deutschland, wies er dafür eine tragende Rolle zu. Doch noch ist die Zeit nicht reif, diesem Vorschlag zu folgen. Im Gegenteil. Der richtige Weg wurde auf dem EU-US-Gipfel Ende Juni 2005 in Washington eingeschlagen, indem die Stärkung des NVV wieder zum gemeinsamen Ziel erhoben wurde.54 Angesichts der entscheidenden Rolle der USA für den Fortbestand des NV-Regimes sollte Deutschland jetzt weiterhin alles daran setzen, gemeinsam mit seinen europäischen und internationalen Partnern die USA wieder für ihren Platz im Verbund des NV-Regimes zurückzugewinnen, um dieses vor einer endgültigen Erosion zu bewahren. Ende der 1960er Jahre verhinderte der NVV schon einmal ein Ansteigen der Zahl von Kernwaffenstaaten. Bis heute stellt das NV-Regime das einzige Instrument gegen nukleare Proliferation im Werkzeugkasten der Staatengemeinschaft dar, mit dem sowohl eine feste Staatenmehrheit gebunden als auch Problemfälle identifiziert und entsprechende Mittel zur Aufklärung ins Feld geführt werden können – es muss nur entsprechend genutzt werden.55 Die Belebung und Stärkung des NV-Regimes durch die Wiedereinbindung der USA sollte folglich für deutsche Nichtverbreitungspolitik das Primärziel sein, um dem schmerzlichen Verlust eines bewährten und völkerrechtlich verbindlichen Instruments der Proliferationsbekämpfung zuvorzukommen. Einer klaren Absage an die amerikanischen Militärpläne im Rahmen der Counterproliferation – namentlich die Entwicklung des RNEP – sollte dies aber nicht im Wege stehen. Zukünftige Nichtverbreitungspolitik sollte auch weiterhin die Unterstützung kooperativer Ansätze wie der PSI als nützliche Ergänzungsmaßnahmen, nicht jedoch als Alternative oder Ersatz zu bestehendem Völkerrecht und NV-Regime, beinhalten. Um nach dem Ausgang der Überprüfungskonferenz ein klares politisches Zeichen zu setzen, sollte das Thema Non-Proliferation zunehmend auch auf höchster Staats- und Regierungsebene behandelt werden. Deutschland, als einflussreicher und glaubwürdiger Akteur im Feld der Nichtverbreitungspolitik, muss seine Spielräume zugunsten des NV-Regimes weiter nutzen. Bei der diesjährigen Konferenz zählte die deutsche Delegation zu den aktivsten. Sie hat bei dieser Gelegenheit demonstriert, dass Widerspruch unter Freunden in der Sache angemessen und klar geübt werden kann, ohne dass damit die Beziehungen beschädigt würden. In enger Kooperation mit seinen Partnern in der EU kann Deutschland zukünftig also sowohl auf die 54 55 Siehe European Union and Unites States Joint Program of Work on the Non-proliferation of Weapons of Mass Destruction, Washington June 20, 2005, online unter http://europa.eu.int/comm/external_relations/ us/sum06_05/declarations/non_pro_action.pdf <22-07-2005>. Vgl. Müller 2004: Massenvernichtungswaffen, S. 44. 16 europäischen Kernwaffenstaaten Frankreich und Großbritannien Einfluss geltend machen, als auch gewichtige Argumente in die Diskussion mit den USA einbringen.56 Die mittel- und langfristigen Perspektiven der deutschen Außen- und Nichtverbreitungspolitik lassen sich in folgende sechs Aufgabenstellungen gießen, von denen die ersten vier für einen kurzfristigen und die letzten zwei für einen eher mittel- bis langfristigen Zeithorizont gelten: 1. Die Nuklearisierung Irans verhindern: Zusammen mit der Krise in Nordkorea ist der Fall Iran derzeit eine der drängendsten Aufgaben für die deutsche Nichtverbreitungspolitik. Anders als in den Verhandlungen mit Nordkorea, hat Deutschland aber in Sachen Iran mit den EU/E3-Verhandlungen die Möglichkeit zur unmittelbaren Einflussnahme. Eine engere Abstimmung mit den USA und Russland, im Hinblick auf eine mögliche Befassung des Sicherheitsrats auch China, sollte angestrebt werden. Die gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien etablierte Verhandlungslinie im Rahmen der EU/E3-Verhandlungen muss geschlossen gehalten und der Iran vor klare Alternativen gestellt werden: Entweder die neue Regierung in Teheran erteilt der Schließung des Brennstoffkreislaufs eine Absage und behält so die Aussicht auf gute wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen oder sie besteht auf ihrer nuklearen Option und isoliert sich auf diese Weise nachhaltig von Europa. 2. Eine geschlossene Position der EU unter Einbindung der beiden Atommächte Frankreich und Großbritannien erwirken: Auf der diesjährigen Überprüfungskonferenz hat sich gezeigt, dass Frankreich und Großbritannien zwar teilweise deckungsgleiche Interessen mit den betont NVV-skeptischen USA vertreten, sich aber niemals gegen eine geschlossene europäische Position stellen würden. Deutschland sollte alles daran setzen, die beiden Atommächte gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der EU auf eine geschlossene Position mit einer klaren Zusage zum NVV einzuschwören, die auch dem Druck der Verhandlungen auf der nächsten Überprüfungskonferenz standhält. 3. Internationale Unterstützung mobilisieren und die PSI erweitern: Deutschland sollte seine Bemühungen nicht nur in Europa, sondern auch mit weiteren auf dem Feld der Nichtverbreitung profilierten Nationen und Akteuren im Rahmen der UN enger koordinieren, um den Zusammenhalt des NV-Regimes zu demonstrieren. Behutsame Formalisierung und Multilateralisierung der PSI kann die Absprachen mit den USA in Gang halten und gleichzeitig dazu genutzt werden, durch Vermittlung von "ownership" das Vertrauen auf Seiten der blockfreien Staaten wiederzugewinnen ohne die Erosion des NV-Regimes zu begünstigen. 56 Siehe Müller 2005: Vertrag im Zerfall, S. 29. 17 4. Das NV-Regime durch Wiedereinbindung der USA festigen: Weit über die Einflussnahme im Rahmen der PSI hinaus, sollte den USA eine klare Absage im Hinblick auf militärische Non-Proliferationsmaßnahmen wie den RNEP signalisiert werden, da diese für die Stärkungsbemühungen des NV-Regimes kontraproduktiv sind. Es gilt dabei zu vermitteln, dass im Sinne eines gefestigten Führungsanspruchs auch den USA an einem funktionierenden NV-Regime gelegen sein muss. Deutschland und seine Partner sollten sich daher nicht scheuen, die USA klar auf die Tatsache hinzuweisen, dass stabile Partnerschaften und intakte Regime ihren Interessen stets mehr genutzt haben als Aufrüstung und beliebige ad hoc-Koalitionen. Zuallererst der NVV, aber auch das erfolgreiche Nunn-LugarProgramm zur Sicherung von waffenfähigem Material in der ehemaligen Sowjetunion, die Globale Partnerschaft der G8 zur Entsorgung russischer Atom-U-Boote sowie Sicherung von Spaltmaterial und Beschäftigung früherer Rüstungswissenschaftler, zukünftig auch eine verbesserte PSI, können dafür als Belege gelten. Schließlich könnten die USA, mit der versammelten Staatengemeinschaft im Rücken und einem funktionierenden NVRegime an der Hand, auch im Falle Nordkorea größeren Druck erzeugen, in welchem sich militärische Lösungen aufgrund der Gefährdung Südkoreas ohnehin verbieten. 5. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und die PrepCom 2007 nutzen: Auf mittelfristige Sicht sollte Deutschland sich auf seine EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 so vorbereiten, dass sie optimal während der nächsten Vorbereitungsrunde für die Überprüfungskonferenz 2010 genutzt werden kann. Die EU muss 2010 geschlossen für das NV-Regime eintreten. 6. Die notwendigen Reformen des NV-Regimes bei der nächsten Überprüfungskonferenz 2010 umsetzen: Längerfristig muss der NVV überarbeitet werden, um das Regime zu stärken. Die nächste Überprüfungskonferenz sollte daher unter anderem dafür genutzt werden, Absatz 1 des Artikel X über Vertragsaustritte zu spezifizieren, um – beispielsweise durch das Einführen der Notwendigkeit einer UN-Sicherheitsratsentscheidung – einen zusätzlichen Boden gegen das "Herausfallen" aus dem Regime einzuziehen. Die Lehren aus dem Fall Nordkorea zeigen, dass Länder mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf sonst leicht den NVV quittieren, IAEO-Inspektoren aus dem Land werfen und ihr angereichertes Uran und Plutonium für den Bombenbau verwenden könnten. Auch die bereits im Jahre 2000 beschlossenen und von den USA und Frankreich bei der diesjährigen Konferenz ignorierten "13 Schritte zur Abrüstung" müssen 2010 wieder auf den Verhandlungstisch zurückbefördert, zeitgemäß angepasst und zur Umsetzung gebracht werden. Es gilt, die Haves damit unmissverständlich an ihre Abrüstungsverpflichtung zu erinnern.