Materialmappe - Staatstheater Braunschweig

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Materialmappe - Staatstheater Braunschweig
Schauspiel Staatstheater Braunschweig
Spielzeit 2013/2014
www.staatstheater-braunschweig.de
Theaterpädagogin: [email protected]
Tel. (0531) 1234 553
Dramaturgin: [email protected]
Tel. (0531) 1234 540
»Apathisch für Anfänger«
von Jonas Hassen Khemiri
aus dem Schwedischen von Jana Hallberg
Deutschsprachige Erstaufführung
Materialmappe
Mitte der Nuller-Jahre erkrankten in Schweden zahlreiche Kinder. Sie hörten auf zu essen
und zu trinken, verloren den Kontakt zur Außenwelt, wurden apathisch. Ihre Eltern waren
Flüchtlinge, die entweder eine Ablehnung ihres Asylantrags erwarteten oder bereits
bekommen hatten. Es entstand eine Protestbewegung, die versuchte, die Politiker davon zu
überzeugen, die kranken Kinder im Land zu lassen, stattdessen wurden sie zwangsweise
abgeschoben. Was war eigentlich geschehen? Es gab viele Gerüchte: die Kinder hätten
simuliert, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Oder ihre Eltern hätten sie vergiftet.
Oder aber unser Asylsystem hätte sie krank gemacht. Wer war eigentlich schuld daran – die
Eltern, die Beamten oder die Politiker?
vlnr: Ursula Hobmair, Oliver Simon, Rika Weniger, Hans-Werner Leupelt, Mattias Schamberger
Mit dieser Mappe möchten wir Ihnen Anregungen zur Vor- und Nachbereitung eines
Theaterbesuchs von »Apathisch für Anfänger« anbieten, dabei beschäftigen wir uns mit
verschiedenen Schlaglichtern unserer Inszenierung. Die Inszenierung lässt sich – nach
unserer Einschätzung – sowohl in den Unterricht Darstellendes Spiel, dem Fach Deutsch
aber auch dem Fach Politik und Wirtschaft / Werte und Normen einbinden.
Die Materialsammlung ist eine dramaturgisch und theaterpädagogisch aufgearbeitete
Sammlung an Hintergrundwissen und Arbeitsangeboten vor allem für die Lehrerschaft und
für Ihren Unterricht. Die Bausteine sind frei kombinierbar. Nicht alle Informationen dienen
dazu detailliert an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben zu werden. Es ist Ihnen
überlassen, wie viel Sie verraten wollen und welche Übungen Sie von dem praktischen Voroder Nachbereitungsblock im Unterricht einsetzen. Wir empfehlen Ihnen auf jeden Fall vor
dem Vorstellungsbesuch etwas zum Stückinhalt, der Grundthematik sowie der Ästhetik
unserer Inszenierung mit den Schülerinnen und Schülern zu thematisieren.
Wir wünschen einen anregenden Theaterbesuch, sind auf Meinungen zum Stück und zu
dieser Mappe gespannt,
Angelika Andrzejewski & Katrin Breschke
Herausgeber Staatstheater Braunschweig, Am Theater, 38100 Braunschweig
Generalintendant Joachim Klement
Redaktion und Gestaltung Angelika Andrzejewski, Katrin Breschke
Fotos Volker Beinhorn
Redaktionsschluss 20.09.2013
Änderungen vorbehalten!
Materialmappe »Apathisch für Anfänger«
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Besetzung
Inszenierung Mina Salehpour
Bühne Jorge Enrique Caro
Kostüme Maria Anderski
Dramaturgie Katrin Breschke
Theaterpädagogik Angelika Andrzejewski
1– Mann: Die Stimme, Klassenkamerad, Lehrer, Psychologe,
Peter, Samo, Nachbar Hans-Werner Leupelt
2 – Mann: Die Stimme, Dino, Rafiq, Neutraler Dolmetscher, Gösta,
Ministerpräsident Oliver Simon
3 – Frau: Die Stimme, Maja, Eva, Ministerin,
Demonstrantin Ursula Hobmair
4 – Frau: Die Stimme, Klassenkameradin, Böse Beamtin,
Gute Beamtin, Nachbarin Rika Weniger
5 – Der Ermittler Mattias Schamberger
Regieassistenz Max Hanisch, Lisa Kempter Abendspielleitung Max Hanisch Ausstattungsassistenz Veronika Kaleja, Stella Schüler Inspizienz Heiko Angerstein Soufflage Arne
Ziegfeld Hospitanz Larissa Sprigade (Regie & Ausstattung), Carolina Kuder (Regie &
Ausstattung)
Ausstattungsleitung / Technische Direktion Ralf Wrobel Technischer Inspektor Kleines Haus
Alexander Wladarsch Bühneneinrichtung Claus Nehrig Leitung Beleuchtungsabteilung
Frank Kaster Beleuchtungseinrichtung Harry Heutink Leitung Tontechnik Burkhard
Brunner Toneinrichtung Katharina Heine, Rainer Leue Video Gregor Dobiaschowski
Leitung Requisite Guido Amin Fahim Requisite Daniela Klosa, Renate Lange, Anke
Kusber Waffenmeister Helmut Menz Leitung Kostümabteilung Ernst Herlitzius Leitung
Maskenabteilung Nicolas Guth Maske Bernadette Bertkau, Angelika Kühnel Leitung
Ausstattungswerkstätten Petra Röder Produktionsingenieur Stephan Busemann Leitung
Schlosserei Armin Zühlke Leitung Malsaal Sonja Bähr Leitung Tischlerei Peter
Kranzmann Leitung Deko - und Möbelabteilung Axel Schneider Leitung der Statisterie Jiři
Kobylka
Das Fotografieren, Film-, Video- und Tonaufnahmen sowie die Benutzung drahtloser
Kommunikationsmittel während der Aufführung sind nicht gestattet. Bitte schalten Sie Ihre
Mobiltelefone für die Dauer der Vorstellung aus.
Aufführungsdauer ca. 1 Stunden 20 Minuten, keine Pause
Premiere am 12. September 2013 im Kleinen Haus
Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Reinbek bei Hamburg
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vlnr: Hans-Werner Leupelt, Oliver Simon, Rika Weniger, Ursula Hobmair
vlnr: Ursula Hobmair, Oliver Simon, Mattias Schamberger
Materialmappe »Apathisch für Anfänger«
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Inhalt des Stückes
Einführung
Mitte der Nuller-Jahre erkrankten in Schweden zahlreiche Kinder. Sie hörten auf zu essen
und zu trinken, verloren den Kontakt zur Außenwelt, wurden apathisch. Ihre Eltern waren
Flüchtlinge, die entweder eine Ablehnung ihres Asylantrags erwarteten oder bereits
bekommen hatten. Es entstand eine Protestbewegung, die versuchte, die Politiker davon zu
überzeugen, die kranken Kinder im Land zu lassen, stattdessen wurden sie zwangsweise
abgeschoben. Was war eigentlich geschehen? Es gab viele Gerüchte: die Kinder hätten
simuliert, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Oder ihre Eltern hätten sie vergiftet.
Oder aber unser Asylsystem hätte sie krank gemacht. Wer war eigentlich schuld daran – die
Eltern, die Beamten oder die Politiker?
SZENE 1: INTRO – Die Freunde
Der Ermittler ist allein. Aber seine Stimmen lassen ihn nicht in Ruhe. Sie erinnern ihn an
nicht getane Arbeit. Zum Beispiel seinen Bericht über die apathischen Flüchtlingskinder. Der
Auftrag diesen Bericht zu schreiben, wurde zwar nie erteilt, aber einmal ausgesprochen,
kreisen seine Gedanken um den Fall. Bei einem Klassentreffen hatte der Ermittler auf die
Nachfrage, was er denn gerade tue, gelogen und den Auftrag für eine Reportage über die
apathischen Flüchtlingskinder erfunden. Seine innere Stimme nimmt ihn nun in die Pflicht. Er
beginnt den Fall zu recherchieren, Akten und Aussagen zu lesen, Interviews zu sammeln.
SZENE 2: DIE FAMILIE
Die Abschiebung des apathischen Mädchens Mariana Kaurova im Jahr 2003 in Schweden
war der Auftakt für eine breite öffentliche Debatte und umfangreiche politische Diskussion
über die apathischen Flüchtlingskinder. Der Ermittler trifft zuerst auf Dino und Maja, zwei
Klassenkameraden von Mariana, die ihm erzählen, wie alles angefangen hat. Wie Mariana
neu in die Klasse kam, wie sie anders war als all die anderen Kinder und wie sie schließlich
apathisch wurde und verschwand. Dino und Maja erzählen auch von Marianas Eltern und
ihrem großen Bruder, die sich aufopfernd um sie kümmerten, als sie krank wurde.
Der Erzählung von Dino und Maja werden die Aussagen eines Psychologen und der
Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde, die für Mariana und ihre Familie zuständig
waren, gegenüber gestellt. Auf einmal gibt es zwei Seiten einer Geschichte mit
unterschiedlichen Details, unterschiedlichen Wertungen und mehreren Wahrheiten. Die
Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde weist unter anderem darauf hin, dass
Marianas Eltern in der Erkrankung ihrer Tochter die Chance sahen, den schwedischen Staat
zu erpressen, ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. In einer direkten Konfrontation
verteidigt die Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde das Vorgehen des Amtes in
Bezug auf die Abschiebung der Familie aus Schweden.
SZENE 3: INTERLUDIUM 1 – Der Verkomplizierer
Dem Ermittler reicht es. Er steht auf Seiten der Kinder und will mit der Schuldzuweisung an
die Beamten seinen Bericht abschließen. Aber die Stimmen, die er hört, lassen ihn nicht zur
Ruhe kommen. Sie treiben seine Gedanken weiter. Eine zufällige Erinnerung an seine
eigene Kindheit führt ihm vor Augen, dass es immer mehrere Seiten einer Geschichte gibt,
nichts eineindeutig ist. Der Ermittler entschließt sich, weiter zu forschen und nimmt Kontakt
zu den Kindern der ehemaligen Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde auf.
Materialmappe »Apathisch für Anfänger«
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SZENE 4: DIE BEAMTIN
Die erwachsenen Kinder der Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde erzählen dem
Ermittler, wie sie sich früher als Chefin eines Asylheims für Flüchtlinge eingesetzt hat. Aus
dieser Zeit kennt auch Rafiq sie. Der Ermittler erfährt, was sie als Leiterin eines Asylheims
erlebt hat, wann sie abgestumpft ist, wann sie anfing »›sie‹ zu sagen, statt ›wir‹, wenn
Familien Asyl beantragten« und wie sie schließlich zur Leiterin des
Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlingskinder ernannt wurde.
In mehreren Zeitsprüngen wird während der Szene erzählt, wie sie dem Asylsuchenden
Samo näher kam und enttäuscht wurde, wie es ihr immer schwerer fiel bei den Geschichten
der Flüchtlinge eine Entscheidung zwischen Wahrheit und Lüge zu treffen und wie sie als
Leiterin des Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlinge Beweise sammelte, die
ihre These stützten, dass die apathischen Flüchtlingskinder von ihren Eltern manipuliert,
krank gemacht und unter Drogen gesetzt wurden. Die Kinder nehmen ihre Mutter in Schutz
und verweisen darauf, zu welchen Aussagen sie vielleicht aus politischen Gründen
gezwungen war.
SZENE 5: INTERLUDIUM 2 – Der Leserkommentar
Der Ermittler schließt seinen Bericht mit einer Anklage der Politiker. Außerdem beginnt er,
seinen Bericht phantasievoll auszuschmücken und metaphorisch zu überfrachten: da grillen
zwei Politiker Flüchtlingskinder über offenem Feuer, die Ministerin für Migration tritt mit
stacheligem Schwanz, Hörnern und Dreizack auf. Er reibt sich bereits vorfreudig die Hände,
denn »das wird voll krass, wenn jemand eine Theaterversion daraus macht.«
Doch die Stimmen mischen sich erneut ein. Auch sie schmücken eine Erinnerung des
Ermittlers metaphorisch aus und verändern somit die Wahrheit. Der Ermittler versteht und
macht sich auf die Suche nach neuen Interviewpartnern.
SZENE 6: DIE POLITIKERIN
Der Ermittler trifft in einem Gemeindezentrum auf Rentner, die die politische Karriere
ihres kleinen Nachbarmädels aufmerksam verfolgt haben, als sie zur Migrationsministerin
der sozialdemokratischen Regierung ernannt wurde. Die Rentner verfolgten auch die
Meldungen über die apathischen Flüchtlingskinder. Die Skepsis gegenüber Ausländern im
Allgemeinen wich einer Empörung über die Behandlung der apathischen Flüchtlingskinder.
Daher begannen die Rentner, sich zu engagieren, wollten ihrem Nachbarsmädel helfen und
ihr den richtigen Weg zeigen. Sie sammelten Unterschriften und reichten eine Petition ein,
die Gegenstand einer Debatte im Reichstag wurde. Aber anders als ihre Forderung
entschied sich die Regierung gegen den Erlass einer allgemeinen Aufenthaltsgenehmigung
für erkrankte Kinder und deren Familien.
SZENE 7: OUTRO – Die Feinde
Die Gerüchte über eine Simulation der erkrankten Kinder konnten nicht bestätigt werden.
Und trotzdem kann der Ermittler nichts für die Kinder tun, nur feststellen und festhalten.
Schließlich trifft er erneut auf seine ehemaligen Klassenkameraden. Viel Zeit ist vergangen.
Von seinen Klassenkameraden erfahren wir, dass die Reportage des Ermittlers großes
Aufsehen erregt hat, daraus ein Buch ebenso wie eine Theaterversion gemacht wurde. Und
was kommt als nächstes?
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Eine wahre Begebenheit
Jonas Hassen Khemiris Stück »Apathisch für Anfänger« basiert auf einer wahren
Begebenheit. Die öffentliche Debatte um die apathischen Flüchtlingskinder in Schweden
begann im Jahr 2005. Heute gilt allgemein, dass Apathie eine Reaktion auf Depression,
Hoffnungslosigkeit und Stress ist, welche eine Kombination aus der im Asylverfahren
resultierenden Unsicherheit und den Erlebnissen von Gewalt und Missbrauch in der
Vergangenheit ist. Zu der Zeit, als das Phänomen die Medien beherrschte, war die
Auseinandersetzung durch die vorherrschende Meinung geprägt, dass es sich um Imitation,
Manipulation, Unterernährung und Simulation handeln müsse.
Definition
Apathie lässt sich mit Unempfindlichkeit oder Teilnahmslosigkeit übersetzen. Sie bezeichnet
einen Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber Mitmenschen, äußeren Eindrücken, der
Umwelt sowie mangelndes Engagement. Das Phänomen lässt sich auch mit den Begriffen
»Resignations-Syndrom« oder »Erschöpfungssyndrom« umschreiben.
Symptome
Erkrankte Kinder und Jugendliche zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen. Die
Variationen reichen von der Weigerung zur Schule zu gehen, bis hin zur Bettlägerigkeit des
Kindes, das nicht sprechen kann und über eine Sonde ernährt werden muss. Waren die
Kinder geheilt, zeigten sie keine Amnesie für die Zeit, in der sie nicht ansprechbar waren.
26.5.2003 Das schwerkranke 11jährige Mädchen Mariana Kaurova wird aus Schweden
zwangsabgeschoben. In Übereinkunft mit dem Abkommen Dublin II, wird sie mit ihrer Familie
nach Deutschland geschickt, dem Land, in dem sie zuerst registriert wurden
2.9.2004 Barbro Holmberg (Ministerin für Migration und Asylpolitik, seit einem Jahr im Amt)
gründet den Untersuchungsausschuss für apathische Flüchtlingskinder. Die
Kinderpsychologin Marie Hessle leitet den Ausschuss. Sie ist für ihre Aussagen bekannt,
dass die Kinder simulierten, um eine Aufenthaltserlaubnis für ihre Familien zu erzwingen
17.2.2005 Die Mehrheit der Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses für Soziales
stimmt gegen den Vorschlag, apathischen Kindern eine Aufenthaltsgenehmigung zu
gewähren
6.4.2005 Die Sozialdemokraten und Konservativen stimmen gegen eine allgemeine
Amnestie für apathische Kinder
26.4.2005 Im ersten Bericht des Untersuchungsausschusses der schwedischen Regierung
heißt es, die apathischen Kinder seien ein unbekanntes und ausschließlich schwedisches
Phänomen.
6.10.2006 Nach der Wahl wird Tobias Billström neuer Minister für Migration und Asylpolitik.
Er veranlasst die
Fortsetzung der Arbeit des Untersuchungsausschusses
29.12.2006 In Verbindung mit Marie Hessles letztem Bericht wird deutlich, dass es keine
Beweise für eine Manipulation der Kinder durch ihre Eltern gibt
Der Abschlussbericht der Untersuchung berichtet von 424 Fällen des Apathie-Syndroms.
Die Betroffenen stammen zu über 60 % aus der ehemaligen Sowjetunion und zu 26 % aus
dem ehemaligen Jugoslawien. Im Jahr 2002 gab es 55 Fälle im Vergleich zu 155 Fällen im
Jahr 2004.
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taz.de vom 03.08.2004
Das Kind rührt sich nicht mehr
AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF
Sie haben aufgegeben. Die zehnjährige Trichna aus Bangladesch, die zwölfjährige Jenifer
aus Mazedonien, die dreizehnjährige Karman aus Aserbaidschan. Rund 150 Kinder
zwischen vier und siebzehn Jahren sind es. Sie stammen aus Flüchtlingsfamilien. Die
meisten von ihnen sind Mädchen, die Hälfte aus Ländern Exjugoslawiens und der
ehemaligen Sowjetunion, der Rest aus Staaten wie dem Iran, Syrien, der Türkei, Algerien.
Sie liegen hier in Schweden apathisch in ihrem Krankenhausbett, haben teilweise schon vor
Monaten aufgehört, zu essen und zu sprechen, sich vollständig in sich zurückgezogen.
Sechzehn von ihnen werden oder wurden in der kinderpsychiatrischen Klinik Stockholm
behandelt, alle anderen in Heimen, Kinderkrankenhäusern und Kliniken im ganzen Land. Sie
werden vom Personal künstlich ernährt, die Windeln werden ihnen gewechselt, man dreht
sie regelmäßig in eine andere Lage, um Wundliegen zu vermeiden.
Ihr Zustand hat keinen Namen. Mal wird er als "Phänomen" bezeichnet, mal als Krankheit,
auch als "Kontaktlosigkeit" oder "flüchtlingsbedingte Apathie". Die Ärzte sind meist hilflos, vor
allem was die Fälle angeht, bei denen dieser Zustand schon seit über vierzig Wochen
andauert. Wissenschaftlich dokumentiert ist eine solche Erkrankung nach einer
Untersuchung der schwedischen Kinderhilfsorganisation Rädda Barnen bislang nirgends auf
der Welt. Und sie scheint außerhalb Schwedens auch so gut wie unbekannt zu sein. Die
betroffenen Kinder seien am ehesten Opfern von Kriegen und traumatischen Erlebnissen
vergleichbar, die anschließend wie Zombies planlos in der Gegend umherliefen. "Im
Unterschied zu den Kindern hier in Schweden legen sich solche Kinder allerdings nicht
einfach hin. Denn sie wissen, dass sie dann sterben würden", sagt Guhn Godani,
Psychologin bei Rädda Barnen.
Godani hat mehrere dieser apathischen Flüchtlingskinder begutachtet und berichtete kürzlich
auf einem Seminar über einige von ihnen. Ein dreizehnjähriges Mädchen aus
Tschetschenien, das seit sechs Monaten in exakt der gleichen Stellung in seinem Bett liegt künstlich ernährt, die Augen geschlossen, auch nicht mehr auf Berührungen reagierend.
Versuche man, sie aufzurichten, "fällt sie zusammen wie eine abgeblühte Blume". Die
Ausländerbehörde warte derzeit darauf, sie mit ihrer Familie ausweisen zu können.
Neulich habe man ein ähnlich apathisches Mädchen nach Bosnien abgeschoben. Sie lebe
jetzt in Banja Luka. "Diese Kinder haben aufgegeben. Sie wissen nicht, was mit ihnen
passiert. Sie haben oft traumatisierte Eltern, die es nicht mehr schaffen, sich um ihre Kinder
zu kümmern." Guhn Godani ist kritisch und bitter: "Unsere Methoden helfen nicht, wir wissen
nicht, was wir machen sollen. Diese Kinder hätten Hilfe gebraucht, als sie hierher gekommen
sind. Doch sie werden erst behandelt, wenn sie ausgewiesen werden sollen."
Der Zustand dieser Kinder steht offenbar in untrennbarem Zusammenhang mit dem
Asylverfahren der Familie oder dessen Hintergründen. Die Eltern der 12-jährigen Jenifer
kamen Weihnachten 2001 nach Schweden, sie sind Roma aus Mazedonien. Jenifer war von
Anfang an mehrfach in Kontakt mit den kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen
verschiedener Krankenhäuser, doch richtig ernst wurde es erst, als der Asylantrag der
Familie abgewiesen und sie abgeschoben werden sollte. Statt ins Flugzeug nach
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Mazedonien wurde sie ins Stockholmer Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus gebracht. Nun
wird sie viermal täglich an eine Sonde angeschlossen und künstlich ernährt.
Wie lange kann dieser Zustand andauern? Bis das Kind stirbt? "Vermutlich", sagt Göran
Bodegård, Oberarzt an der Jugendpsychiatrischen Klinik Stockholm. Seit drei Jahren
beobachtet er diese Art von Erkrankungen, doch erst seit einigen Wochen gibt es eine
öffentliche Debatte darüber. Nicht zuletzt weil die Stockholmer Tageszeitung Svenska
Dagbladet das Thema der apathischen Flüchtlingskinder aufgegriffen und so landesweit
bekannt gemacht hat.
Bodegård hat mittlerweile auch einen ersten wissenschaftlichen Text über das publiziert, was
er "partiellen Funktionsverlust" nennt. In seiner Studie beschreibt er fünf Kinder, alle jünger
als zehn Jahre. Alle kommen aus ehemaligen sowjetischen Republiken: ein Mädchen, das
nach und nach immer passiver wurde, bis es nur noch stumm und kontaktlos dalag; ein
Junge, der gerade noch davon abgehalten werden konnte, von einer Brücke zu springen,
danach aufhörte, zu essen und zu trinken, inkontinent wurde.
Von zweien der fünf Kinder wurden Verwandte ermordet, mehreren der Mütter war im
Beisein der Kinder Gewalt angetan oder sie waren bedroht worden. Drei der Kinder haben
Selbstmordversuche hinter sich. Nach Schweden gekommen, entwickelten sie
Depressionen, Essstörungen, Aggressionen. Schließlich nur noch Passivität. In Behandlung
gekommen waren sie eher zufällig. Weil Betreuungspersonal oder Eltern irgendwann
verstanden hatten, dass nicht körperliche Krankheit, sondern Hoffnungslosigkeit sich hinter
den jeweiligen Symptomen verbarg.
"Das Teuflische ist, dass die Symptome psychischer Natur sind, aber der Schlüssel zur Hilfe
und zum Gesunden für diese Kinder ganz woanders liegt", sagt der Psychologe Andreas
Tunström: "Die Familien wollen Sicherheit, sie wollen Asyl. Darum geht es auch den
Kindern." Was nicht heiße, dass die Kinder simulieren. "Ein Kind liegt nicht apathisch
monatelang herum und tut so, als ob es stirbt", weist Bodegård diesen nahe liegenden
Einwand zurück: "Wer das behauptet, hat solche Kinder noch nicht gesehen."
Gegen die These spreche auch, dass bislang noch nie Kinder, die allein nach Schweden
gekommen seien und hier Asyl gesucht hätten, solche Symptome entwickelt hätten. Immer
nur solche mit Familien. Wobei seiner Erfahrung nach die Mutter und deren Zustand offenbar
eine entscheidende Rolle spiele.
Wenn die Familien bleiben können, fänden die Kinder meist zu ihren normalen Funktionen
zurück. Sie beginnen wieder, zu sprechen, zu essen, zu spielen. Oft dauere es Wochen. Bei
einigen helfe aber nicht einmal der positive Behördenbescheid, so wie sie andererseits auch
schon oft, bevor es Komplikationen im Asylverfahren gebe, krank geworden seien. Doch
meist stehe der Genesungsprozess in direkter Beziehung dazu, wie die Kinder die Situation
der Mutter empfinden. Entscheidend sei also eigentlich die Fähigkeit einer deprimierten
Mutter, den Kindern Lebenslust zu vermitteln. "Offenbar steht in dieser Fluchtsituation
gerade die Mutter den Kindern am nächsten", vermutet Bodegård: "Warum, darüber kann
man nur spekulieren."
"Wir können die Kinder doch nicht dadurch gesund machen, dass wir der Familie eine
Aufenthaltserlaubnis liefern", wendet Rigmor Långström von der Ausländerbehörde
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Migrationsverket ein: "Selbst wenn die Folge einer solchen Erkrankung häufig ist, dass die
Familie letzlich bleiben kann, kann das nicht unser Ausgangspunkt sein."
Beim Migrationsverket hat man nun als erste Konsequenz einige MitarbeiterInnen speziell für
die Befragung von Kindern ausgebildet und will versuchen, schneller auf Familien
aufmerksam zu werden, deren Kinder Gefahr laufen, schwer zu erkranken. Und auch
Långström wirft den Kindern nicht etwa vor, ihre Krankheit zu simulieren. "Kinder können
solche Symptome gar nicht spielen", weiß Guhn Godani aus ihrer Erfahrung: "Die sind
wirklich krank."
Auch Godani sieht die Ursache der Erkrankungen in den von Bodegård beschriebenen
Lebensverhältnissen der Kinder: in traumatischen Erlebnissen im Heimatland, auf der Flucht.
Verzweifelte, deprimierte und handlungsunfähige Eltern, die ihre Rolle nicht mehr ausfüllen
und ihren Kindern die Hoffnung auf eine bessere oder überhaupt eine Zukunft nicht mehr
vermitteln könnten. Zudem das lange Warten auf eine Entscheidung. Das schwedische
Asylverfahren ist nicht humaner oder inhumaner als anderswo in Westeuropa, die
Verfahrensdauer ist der in Deutschland vergleichbar. Warum es die apathischen
Flüchtlingskinder vorwiegend in Schweden zu geben scheint, ist daher eine Frage, auf die es
bislang noch keine rechte Antwort gibt.
Der schwedische Psychiatrieprofessor Sten Lewander hat zusammen mit dem
Kinderpsychiater Hans Adler KollegenInnen in vielen anderen Ländern kontaktiert und
erfahren, dass dort das Phänomen solcher Kinder mit partiellem Funktionsverlust völlig
unbekannt ist. Lewander glaubt deshalb an spezielle schwedische Ursachen. Welche auch
immer: "Wir produzieren psychische Erkrankungen, die wir dann nicht mehr behandeln
können."
Kinderpsychiater Bodegård kann sich das aber nicht vorstellen. Trifft seine Vermutung zu,
gibt es diese Kinder tatsächlich zu tausenden überall in Europa: "Es kann nämlich sehr gut
sein, dass man darauf in anderen Ländern nur noch nicht so systematisch aufmerksam
geworden ist." Eine Vermutung, die der Psychologe Andreas Tunström teilt: "Vielleicht ist das
jetzt nur nach oben geschwemmt worden, weil dem Problem hier ein Platz eingeräumt und
ein Name gegeben wurde." Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern stehe die
psychiatrische Krankenversorgung in Schweden nämlich auch Flüchtlingen und Kindern von
illegal hier lebenden AusländerInnen offen.
PSYCHOLOGIN GUHN GODANI:
"Diese Kinder hätten Hilfe gebraucht, als sie hier angekommen sind"
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Zum Autor
Nicht nur das Phänomen der apathischen Flüchtlingskinder ist eine wahre Begebenheit.
Es gibt ebenso das Buch, den Bericht über die Fälle, das Verhalten der Behörden,
die Analyse der öffentlichen Debatte. Der Journalist Gellert Tamas veröffentlichte
im Jahr 2009 sein Buch »Die Apathischen. Über Macht, Mythen und Manipulation.«
Am Anfang seines Buches über die apathischen Kinder schildert er die Szene, wie
Mariana Kaurova von Polizisten aus dem Krankenhaus abgeholt und abgeschoben
wird. »Für die schwedischen Behörden war der Fall damit formal abgeschlossen. Ihre
Aufgaben – und das Interesse – endeten an der schwedischen Grenze. Und vielleicht
gibt es nicht mehr viel hinzuzufügen. Weitere Kinder von Asylbewerbern aus Schweden
wurden abgelehnt. Weitere Fälle ›abgeschlossen‹. Ist der Fall abgeschlossen, werden
die Dokumente archiviert. Somit könnte diese Geschichte vorbei sein. Aber vielleicht
beginnt sie erst hier, die Geschichte des Landes Schweden.« Eine Geschichte über
ein Land, eine Nation, eine europäische Gesellschaft.
Jonas Hassen Khemiri, geboren 1978 in Schweden, ist Kind einer schwedischen
Mutter und eines tunesischen Vaters. Khemiri studierte Literaturwissenschaft und
internationale Wirtschaft in Stockholm und Paris. Er schreibt sowohl Romane als
auch Theaterstücke. Seine Werke sind mehrfach ausgezeichnet, wurden in mehr als
15 Sprachen übersetzt und seine Stücke werden weltweit gespielt.
»Apathisch für Anfänger« entstand als Auftragsarbeit für das Volkstheater Göteborg.
»Unmöglich!« war damals Khemiris spontane Antwort auf die Anfrage aus der Reportage
über die apathischen Flüchtlingskinder von Gellert Tamas ein Theaterstück zu machen.
»Das Buch ist eine starke und beeindruckende journalistische Arbeit. Es stellt das Bild der
Medien in Frage. Eine einfache Adaption des Buches, hätte geheißen, ein langes und
langweiliges Stück zu schreiben. Die Stücke, die ich mag, versuchen mich aber nicht von
einer Meinung zu überzeugen, sondern lassen mich eher etwas besorgt zurück« sagt Jonas
Hassen Khemiri im Interview mit der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagblatt. Trotz
seiner ersten Reaktion auf das Vorhaben, begann er, sich mit dem Thema Manipulation
auseinanderzusetzen. »Ich war schon immer davon fasziniert, wie schnell Wörter bewegt
und für verschiedene Dinge in verschiedenen Kontexten benutzt werden können. In diesem
Fall war es fantastisch, darüber zu schreiben, wie die Worte aus den Händen der
Machthaber verdreht werden konnten. In dem Stück geht es nicht wirklich um apathische
Flüchtlingskinder, sondern darum, wie wir uns unser Selbstbild mit ihnen bauen. Die
Gerüchte, die über die Kinder entstanden, waren ein Ausdruck für den einfachen
Wunsch, einen Sündenbock zu finden. Und es wäre so einfach und praktisch
gewesen, wenn man alle Schuld auf die Eltern oder eine Böse Beamtin hätte schieben
können.
Ähnlich zwischen ›Apathisch für Anfänger‹ und vielen Dingen, die ich bisher geschrieben
habe, ist der Versuch die Geschwindigkeit der Wörter zu untersuchen; wie Worte
übermittelt werden und wie sie ihre Bedeutung ändern können. Dieses Gefühl, dass
wir in einer Zeit leben, in der sich Worte und Botschaften so schnell verbreiten und
manipulieren lassen, ist etwas, worin für mich eine große Inspirationsquelle liegt.«
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vlnr: Hans-Werner Leupelt, Rika Weniger, Oliver Simon, Ursula Hobmair
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thematische Schwerpunkte
der Inszenierung
»Manipulation ist ein wiederkehrendes Thema im Stück. Woher weiß man, wer hinter einer
Botschaft steht? Was sagen kursierende Gerüchte über unsere geheimsten, verbotensten
Gedanken aus? Wie kommt es, dass bestimmte Gerüchte sich hartnäckig halten und so
rasant verbreitet werden? Wer hat die Macht über unsere gemeinsame Erinnerung?« (Jonas
Hassen Khemiri)
Mediengesellschaft / Formen der Manipulation
Wie funktioniert unsere Mediengesellschaft
Was ist eine Nachricht / Schlagzeile >> was sind die Fakten hinter einer Nachricht, was wird
tatsächlich in der Öffentlichkeit verbreitet
Wie verändert sich eine Geschichte abhängig davon wer sie erzählt und wie weit das
Erzählte zurück liegt
Gibt es eine objektive Wahrheit
Wie verfälscht oder verändert die Erinnerung ein Ereignis
Wie beeinflussen Vorurteile unsere Erzählungen
Macht und Rolle der Sprache
Flüchtlings- und Asylpolitik
Aus welchen Länder kommen und warum suchen Flüchtlinge in Europa Schutz
Wie verläuft das Asylbewerberverfahren
In welcher Situation, mit welchen Rechten und mit welchen Auflagen leben Asylbewerber
während des Asylbewerberverfahrens in Deutschland
Komik
Ein anderer Blick auf die Wirklichkeit
Umgang mit Vorurteilen
Verwenden von Klischees
Der Autor Jonas Hassen Khemiri hat kein Dokumentarstück geschrieben und auch die
Inszenierung sucht nicht den Weg, den Fall dokumentarisch darzustellen. Trotz des ersnten
Ausgangsthemas handelt es sich um eine schwarze Komödie. Frei nach Dürrenmatt »Uns
kommt nur noch die Komödie bei. Das Groteske ist eine der großen Möglichkeiten, genau zu
sein. Sie ist unbequem, aber nötig…« .
Auszug aus Friedrich Dürrenmatt: Anmerkungen zu Komödie, 1952
»Das Groteske ist eine äußerste Stilisierung ein plötzliches Bildhaftmachen und gerade
darum fähig Zeitfragen, mehr noch, die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder
Reportage zu sein. Ich könnte mir daher wohl eine schauerliche Groteske des Zeiten
Weltkrieges denken, aber noch nicht eine Tragödie, da wir noch nicht die Distanz dazu
haben können. Diese Kunst will nicht mitleiden wie die Tragödie, sie will darstellen.«
Auszüge aus Friedrich Dürrenmatt: Theaterprobleme, 1954
»Doch die Aufgabe der Kunst, soweit sie überhaupt eine Aufgabe haben kann, und somit die
Aufgabe der heutigen Dramatik ist, Gestalt, Konkretes zu schaffen. Dies vermag vor allem
die Komödie. Die Tragödie, als die gestrengste Kunstgattung, setzt eine gestaltete Welt
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voraus. Die Komödie – sofern sie nicht Gesellschaftskomödie ist wie bei Molière – eine
ungestaltete, im Werden, im Umsturz begriffene, eine Welt, die am Zusammenpacken ist wie
die unsrige. Die Tragödie überwindet die Distanz. Die Komödie schafft Distanz.«
»Das Mittel, mit dem die Komödie Distanz schafft, ist der Einfall. Die Tragödie ist ohne
Einfall. Sie [die Komödien, in diesem Fall des Aristophanes] fallen in die Welt wie
Geschosse, die, indem sie einen Trichter aufwerfen, die Gegenwart ins Komische, aber
dadurch auch ins Sichtbare verwandeln.«
Im Rahmen des Kerncurriculum empfehlen sich aus unserer Sicht folgende Module
zur Bezugnahme auf Khemiris «Apathisch für Anfänger«.
Deutsch / Oberstufe
Rahmenthema 5
Literatur und Sprache von 1945 bis zur Gegenwart
Wahlpflichtmodul 3:
Literatur und Protest
Politisches Engagement und Gesellschaftskritik der Schriftsteller
Wahlpflichtmodul 5:
Ein anderer Blick auf die Wirklichkeit: Vom Kabarett zur Comedy /
Sprachwitz /
Formen des Komischen
Wahlpflichtmodul 7:
Leben in verschiedenen Kulturen
Erfahrungen von Ferne und Fremdheit
Wahlpflichtmodul 8:
Neue und neueste Tendenzen der Erzählliteratur
Rahmenthema 6
Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch
Wahlpflichtmodul 3:
Medienkritik
Wahlpflichtmodul 4:
Sprache als Instrument politischer und gesellschaftlicher
Interessen
Wahlpflichtmodul 7:
Sprache-Denken-Wirklichkeit
Werte und Normen
Rahmenthema 1
Fragen nach Individuum und Gesellschaft
Rahmenthema 2
Fragen nach dem guten Handeln
Rahmenthema 4
Fragen nach Wissen und Glauben
Politik
V. Europäische Union
VI. Globalisierung
VII. Internationale Sicherheit
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ästhetische Aspekte der Inszenierung
vlnr: Rika Weniger, Mattias Schamberger, Hans-Werner Leupelt, Oliver Simon
»Das Stück springt so oft, wir sind in jeder Szene woanders. Das kann man definieren. Man
kann sagen, das ist da und da. Als Ganzes betrachtet kann alles jederzeit überall spielen, in
der Vergangenheit, in der Gegenwart oder in der Zukunft. Denn die Themen, die verhandelt
werden, bleiben ja. Dass über bestimmte Dinge nicht gesprochen wird, ist kein Phänomen,
welches Mitte der Nuller Jahre in Schweden aufgetreten ist. Das ist ein universelles Problem.
Und das spiegelt sich ein wenig in Bühne und Kostümen wieder, dass es völlig losgelöst ist
von Raum und Zeit.« (Regisseurin Mina Salehpour)
»Das Stück besteht aus sieben Szenen, in denen wir den ERMITTLER auf der Suche nach
der Wahrheit über die apathischen Kinder begleiten. Auf der Bühne sehen wir eine
dramatisierte Fassung des Untersuchungsberichts des ERMITTLERS. DIE STIMME ist eine
magische Figur, die allein vom ERMITTLER gesehen und gehört wird. 1, 2, 3, 4 gestalten die
Wahrheitssuche, indem sie zahlreiche Rollen übernehmen und wieder abgeben. Dabei
begleiten wir sie durch eine Art Lebenszyklus. In Szene 2 sind die Hauptpersonen jung, in
Szene 4 sind sie mittleren Alters, in Szene 6 sind sie alt.« (Aus dem Vorwort zu »Apathisch
für Anfänger«)
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Bühne
Wir befinden uns in einem überdimensionierten Archiv, die Schrankwand, die wir sehen, ist
nur ein Teil davon. Der gesamte Bühnenraum ist Archiv. Archiviert ist unsere gemeinsame
Erinnerung. Der Fall der apathischen Kinder ist eine davon. Die Wandelbarkeit des
Bühnenbildes ermöglicht uns eine Recherchereise durch Zeiten und Schauplätze der
Geschichte. Gesucht wird die Wahrheit.
Das Bühnenbild ist als eine Art Puzzle anzusehen, dessen Zusammenhang von vielen
Faktoren abhängig ist. Verschiedene Kombinationsmöglichkeiten ergeben scheinbar
unendlich viele Wahrheiten.
Jede Schublade enthält ein Stück der Vergangenheit: eine Geschichte. Das Geheimnis der
Unendlichkeit von diesem Raum liegt daran, dass jede Schublade mindestens einmal
dupliziert ist. Dies bedeutet, dass eine Geschichte von zwei verschiedenen Betrachtern
erzählt wird. Und für den Fall, dass ein dritter Erzähler die Inhalte der beiden Schubladen
vergleichen will, entsteht automatisch eine neue Schublade, die die Informationen von
beiden verschmelzen lässt. Je nach historischem Ereignis, kann sich die Duplizierung endlos
vervielfältigen.
Bühnenbildmodell
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Bühnenbildmodell
Kostüme
Alles was auf der Bühne zu sehen ist, erfahren wir durch den Filter des Ermittlers.
Somit erwachen die »Hirngestalten« (oder
Gedanken, Stimmen) mit seinem
natürlichen Lebensraum, dem Archiv. Sie
stellen die perfekte Anpassung an den
Raum und den Ermittler dar.
Mit der Erkenntnis, dass es keine objektiven
Fakten gibt, gelangt man zwangsläufig sehr
schnell in eine artifizielle Welt, die man aber
ebenso als eine subjektive Welt lesen
könnte, denn diese »Gestalten« fungieren
als kritisierende, treibende, lenkende
Stimmen, die den Ermittler in die
verschiedensten Erinnerungen auf seinem
Weg der Reportage drängen. Seine
Wahrheitssuche ist losgelöst von einer
konkreten Zeit. Die »Hirngestalten« sind
kleine Kopien oder Mutanten des Ermittlers,
die Suche könnte zu jeder Zeit beginnen.
Verwandeln sich die Stimmen in die
Gesprächspartner der Interviews, werden
einzelne Kleidungsteile, Accessoires und
Requisiten dem Grundkostüm hinzugefügt.
Grundkostüm
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Vorbereitung
Hier finden Sie Übungseinheiten, Spiele, Gedankenanstöße um Ihre Schülerinnen und
Schüler auf den Vorstellungsbesuch einzustimmen. Wir haben sowohl thematische als auch
ästhetische Aspekte in unserem Angebot berücksichtigt.
1 Warm up:
1,2,3 Ochs vorm Berg
Ein Schüler steht auf der einen Seite des Raums, die Anderen befinden sich auf der anderen
Seite. Der einzelne Schüler ist der »Ochs« und sagt mit Rücken zur Gruppe
(Geschwindigkeit variiert): 1, 2, 3 Ochs vorm Berg, dann dreht er sich ruckartig um. Die
Gruppe versucht während er ihnen den Rücken zeigt zum anderen Ende des Raumes zu
gelangen: Dreht sich der »Ochs« um, müssen alle einfrieren.
Das bekannte Kinderspiel kann an das Stück angepasst werden, in dem die Gangarten an
verschiedene Figuren angeglichen werden. Zum Beispiel können die Schüler als Monster,
als schlechtes Gewissen, als lustige Partygesellschaft, als Beamte, als liebevolle Mütter oder
als Paparazzi versuchen auf die andere Seite zu kommen. So entstehen interessante
Standbilder oder emotionale Gruppenformationen, die als Inspiration für die Arbeit an
Szenen im späteren Verlauf dienen können.
2 Gerüchteküche
Schüler stehen im Kreis
Man beginnt mit einer Aussage über ein Geschehen. Zum Beispiel: »Heute Morgen ist in
unserem Klassenraum jemand in Ohnmacht gefallen.« oder auch: »Ein Kind aus einer
Flüchtlingsfamilie wurde in eine Braunschweiger Klinik eingewiesen.« Gerne kann die
Schlagzeile aber aus dem Kontext der Schüler sein.
Die Schüler stehen in einem Kreis nahe beieinander, der erste Schüler beginnt die Aussage
seinem Nachbarn mitzuteilen, als wäre es eine sehr wichtige Information bzw. wie beim
Tratschen. Der Nächste denkt sich eine Erweiterung oder Übertreibung zu der Aussage aus
und gibt diese euphorisch an seinen Nachbarn weiter, der wiederum etwas hinzufügt usw.
Variation
Die Übung kann auch variiert wie bei »Stille Post« als Flüstern weitergeben werden.
Nebeneinander stehen dann nur die Anfangs- und Endmeldung
3 Mit dem Gedanken spielen…
Schüler laufen in Dreiergruppen durch den Raum
In dem Stück »Apathisch für Anfänger« hört der Ermittler innere Stimmen, die ihn nicht in
Ruhe lassen, antreiben und zur Weiterarbeit treiben. Sie sind wie einzelne Gedanken, die
einem durch den Kopf gehen. Die Schüler gehen in Dreiergruppen durch den Raum. Die
folgenden Redewendungen werden vom Spielleiter immer wieder reingerufen. Die Schüler
müssen in ihren Dreiergruppen schnell eine Umsetzung dafür finden (wer ist der Gedanke,
wer der Ermittler, wie stehen sie im Verhältnis zueinander, ist die Szene bewegt oder ein
Standbild, …). Wenn alle Gruppen eine Umsetzung gefunden haben, gehen sie wieder
normal weiter und die nächste Redewendung kann rein gegeben werden.
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in einen Gedanken verliebt sein
mit dem Gedanken spielen
einen Gedankenblitz haben
den Gedanken beiseite schieben
die Gedanken drehen sich im Kreis
auf blöde Gedanken kommen
Die Gedanken sind frei
einem Gedankengang folgen
in Gedanken versunken sein
in Gedanken vertieft
mit den Gedanken ganz woanders
sein
seine Gedanken ordnen
seine Gedanken sammeln
seinen Gedanken freien Lauf
lassen
sich auf einen Gedanken einlassen
gequält von Gedanken
verfolgt von Gedanken
an einen Gedanken hängen
Ich bin in Gedanken
Die Kraft der Gedanken
Ich werde meine Gedanken zu
Papier bringen.
4 Bühnenbildentwurf
Das Stück beschreibt eine Recherche, eine Wahrheitssuche. Entwerft ein Bühnenbild, das
die Grundsituation (Kopf des Ermittlers, in dem seine Stimmen wohnen, Recherche,
Wahrheitssuche) sowie die verschiedenen Orte des Stückes (Interviews, Café, Büro, zu
Hause des Ermittlers, Rentnertreff im Gemeindezentrum) berücksichtigt. Wie könnte eine
Bühne aussehen, die keine komplizierten Umbauten benötigt? (Je nach verfügbarer Zeit,
können Vorschläge ausgetauscht, Skizzen angefertigt oder Collagen erstellt werden.)
5 Vorgänge in Kleingruppen spielen/lesen
In Kleingruppen (max. 5 Schüler) sollen die folgenden Szenen improvisiert / erarbeitet
werden. Wie kann dabei mit Requisiten umgegangen werden? Wie kann man die
verschiedenen Rollen und Rollenwechsel in der Szene darstellen?
1. Der Ermittler und seine Stimmen im Kopf (schlechtes Gewissen?)
Es sind Hilferufe zu hören, die von den Stimmen kommen. Der Ermittler versucht sie zu
ignorieren, er bleibt neutral, als wenn er sie nicht hört. Sie versuchen ihn zu verunsichern, zu
provozieren. Sie versuchen mit ihren Aussagen Gefühle und Regungen bei ihm zu erzeugen,
bis sie ihn mit einer Provokation kriegen und er sich daraufhin regt. Der Ermittler fragt, was
die Stimme will. Die Stimme wirft dem Ermittler vor, seine Arbeit nicht gut gemacht zu haben.
Der Ermittler versucht sich zu rechtfertigen. Die Stimme stimmt ihm ironisch zu und macht
sich über ihn lustig. (Wie endet die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle
aussteigen, oder?)
2. Die Stimmen erinnern den Ermittler an eine Party…
Die Stimmen ärgern den Ermittler. Sie machen sich über seinen Beruf lustig und meinen er
solle sich an das Klassentreffen erinnern, auf dem er Gast war. Er behauptet, sich nicht
daran zu erinnern. Sie meinen dabei gewesen zu sein und erinnern ihn an eine »flirtige«
Begegnung mit einem Mädchen auf der Party. Damit haben sie ihn, denn er erinnert sich
doch. Alle Figuren befinden sich plötzlich in der Partyszene (ähnlich einem Zeitsprung: eben
noch der Ermittler und seine Stimmen, jetzt der Ermittler auf einer Party → Partyatmosphäre
mit Flirtstimmung). Dort trifft der Ermittler alte Klassenkameraden, die ihn euphorisch
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begrüßen, obwohl er sich an sie gar nicht erinnert, Smalltalk. (Wie endet die Sequenz? mit
Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?)
3. Hahaha, wie lustig: »apathische Flüchtlingskinder, ich pack mich weg…«, der Ermittler als
Außenseiter.
Smalltalk auf der Party: ehemalige Klassenkameraden fragen, was aus dem Ermittler
geworden sei. Sie erinnern sich daran, dass er Staatswissenschaften studiert hat. Er
bestätigt das und sagt er sei arbeitslos und geschieden. In dem Moment greifen die Stimmen
greifen ein und erinnern ihn, dass er gerade nicht die Wahrheit gesagt habe. Stattdessen
habe er von einer Untersuchung erzählt, die er leite. Diese beschäftige sich mit den
apathischen Flüchtlingskindern. Die Klassenkameraden beginnen laut zu lachen, machen
sich lustig, sie erfinden skurrile Fälle, die man untersuchen könnte. Der Ermittler fühlt sich
wie ein Außenseiter. Die Stimmen auf der anderen Seite sind verzweifelt. (Überlegt, wie ihr
die verschiedenen Rollen mit nur 5 Spielern im Raum darstellt, Wie endet die Sequenz? mit
Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?)
4. Wie war das nochmal, als die Neue aus Georgien in die Klasse kam?
Der Lehrer erzählt den Schülern von einer neuen Schülerin aus Georgien. Ihr Name ist
Mariana Kaurova. Der Lehrer ermahnt die Schüler sie besonders nett zu behandeln, was die
Schüler verwundert. Sie fragen den Lehrer, was der Grund dafür sei. Er erzählt ihnen, dass
Mariana es nicht leicht gehabt habe, da sie lange auf Reisen gewesen sei. Ein Schüler kann
das nicht nachvollziehen, da Reisen für ihn sehr angenehm ist. Nach einiger Zeit in der
Klasse beginnt Mariana zu erzählen, von ihrer Mutter, die Kosmetikerin war und von ihrem
Vater, der eine Partei gegründet hat und einmal entführt wurde. Mariana hatte zwei Seiten,
meinen die Mitschüler, eine normale und eine teilnahmslose. Einmal ist sie völlig
ausgerastet, weil ein Krankenwagen vorbeigefahren ist, von da an haben die zwei sie in der
Schule damit aufgezogen. Bald kommt die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und Mariana
wird krank. Sie stellt komische Dinge an, isst nicht, trinkt nicht… wird apathisch. (Wie endet
die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?)
5. Ein Mitschüler erinnert sich, Mariana liegt regungslos in ihrem Zimmer und der Bruder
kümmert sich um sie.
Dino, Mitschüler/in von Mariana erzählt, dass einige aus Marianas Klasse in Azamat,
Marianas Bruder verknallt waren. Dino ist ein Freund von Azamat. Als einziger Mitschüler
hat er Mariana einmal wiedergesehen. Er erinnert sich vor dem Ermittler, dass er mit Azamat
in sein Asylheim gegangen ist. Dino erzählt: Dort sieht es aus wie in einer normalen
Wohnung, nur das alles beengter, dunkler und schmutziger ist. Auch Marianas Zimmer und
Mariana in ihrem Bett sehen fast normal aus, aber trotzdem ist etwas komisch, unangenehm,
ungewohnt: Azamat dreht die bettlägerige Mariana um und erklärt dem Mitschüler das er das
tut, damit sich ihre Liegewunden nicht entzünden. Als Mariana Speichel aus dem Mund tropft
und sie in ihre Windel uriniert, obwohl sie schon elf ist, wischt Azamat sich die Hände ab und
geht schnell nach draußen. (Wie endet die Sequenz? was macht Dino?)
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Nachbereitung
Ein moderiertes Nachgespräch, ein spielerisches Rekonstruieren der Erinnerungen vom
Inszenierungsbesuch, Rezensionen schreiben, und vieles mehr kann bei der Nachbereitung
eingesetzt werden.
Hier finden Sie Vorschläge zum Nachbereiten des Inszenierungsbesuchs.
1 Praktischer Einstieg und Nachgespräch
Gruppenweise einigen sich die Schülerinnen und Schüler auf eine Erinnerung aus der
Inszenierung, ein intensives Bild. Stellen es zusammen als eingefrorenes Bild dar, bewegen
sich / spielen die Situation 100% an und frieren wieder ein. (gegenseitige Präsentation nach
5minütiger Erarbeitungsphase)
Sprechen Sie im Anschluss an die Präsentationen über die unterschiedlichen Erinnerungen.
Was ist in Erinnerung geblieben?
Beschreibe ein Bild (auch bewegtes Bild), das dir im Gedächtnis bleibt; eins, das die
Darsteller gebaut haben
Beschreibe, wie das Stück angefangen hat.
Beschreibe, wie das Stück zu Ende ging.
Tragt die Vorurteile, Gerüchte und Behauptungen zusammen, die es über die apathischen
Flüchtlingskinder und ihre Familien gab
Welche Stellen waren lustig? Wo wurde gelacht?
An welchen Stellen war es ganz still im Publikum; Was ist da auf der Bühne passiert?
Was war der intensivste Moment der Inszenierung für dich?
Gibt es ein Hauptthema des Stücks, was kann uns das Stück erzählen?
Gab es thematische, symbolische Anspielungen zu der Welt oder Politik, in der wir leben?
Versuche dich an ein Bild oder eine Szene zu erinnern.
Worauf könnte jemand, dem du das Stück empfiehlst, achten?
Was hat dich an dem Stück interessiert?
Beschreibe die Atmosphäre die das Bühnenbild, die Kostüme, das Licht, die Ausstattung im
Ganzen erzeugt haben.
Beschreibe den Einsatz von einem Kostüm oder einem Requisit. Wie hat sich die Bedeutung
bzw. die Aussage des Requisits/Kostümteils verändert, beschreibe die Veränderung anhand
eines Beispiels, das du beobachten konntest.
Was hat die Musik, bzw. der Songtext an Gefühlen bei dir ausgelöst?
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Wie würdest du das Genre des Stücks beschreiben, Tragikomödie, Erzählung, ScienceFiction? Mehrere Ideen mit Argumentation sind möglich?
Welche Rollen gibt es, in welche Figuren schlüpfen die Schauspieler? Wer wird alles
befragt?
Wie interagieren die Stimmen mit dem Ermittler, wie erkennt man die Stimmen/Ermittler
Ebene, welche Theatermittel, Regeln werden dafür verwendet?
Woran erkennt man, dass es eine Ermittlung ist?
Was passiert, wenn andere Figuren als die Stimmen ins Spiel kommen? Woran erkennt man
diese Ebenen und diese Rollenwechsel?
2 Zur weiterführenden Diskussion
Die apathischen Flüchtlingskinder sind ein schwedisches Phänomen, jedenfalls gab es in
keinem anderen europäischen Land eine so signifikante Zahl von erkrankten Kindern. Aber
wie reden wir über Flüchtlinge und Asylpolitik? Welche aktuellen Ereignisse / Diskussionen
gibt es?
Im Folgenden sind Ausschnitte aus Zeitungsartikeln der letzten Monate gesammelt. Welche
Vorurteile / Ängste werden hier geschürt / thematisiert. Was wird wie dargestellt?
»Angefangen hat alles im Januar 2012 in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in
Würzburg. Ein iranischer Flüchtling hielt es dort nicht mehr aus und beging Selbstmord. Die
Nachricht war der Auslöser, seitdem protestieren Flüchtlinge überall. Acht Monate später
stehen Protestcamps in neun deutschen Städten. Die Flüchtlinge organisieren sich selbst
und planen einen Sternmarsch nach Berlin - ohne Erlaubnis der Behörden. ›Wir planen einen
Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen die Residenzpflicht zu verstoßen,
gegen die Flüchtlingsgesetze zu protestieren. Wir werden streiken.‹
Die Flüchtlinge versuchen, die Isolation zu durchbrechen, in die sie das deutsche Asylrecht
gezwungen hat.« 3sat vom 05. September 2012
»Irgendwann setzen dann Sprechchöre ein, und das Gemurre und Gepöbel wird zum
Gebrüll. ›Nein zu dem Heim!‹ skandieren Männer vor einem verlassenen Plattenbau im
Berliner Bezirk Hellersdorf. Sie rufen ›Volksverräter!‹ und ›Lügen‹ und ›Fidschis‹, sie wollen
kein Asylbewerberheim hier, ›wir sind hier in Deutschland‹.
Eine alleinerziehende Mutter eilt ans Mikrofon und erzählt, dass ihr Auto gestohlen worden
ist neulich. ›Das ham' wir jetzt davon, dass die Grenzen offen sind‹, ruft sie. ›Ich wohne hier,
das ist hier mein Zuhause!‹ Die Stimme der Frau überschlägt sich und das Publikum, es sind
um die 800 Menschen, klatscht und johlt. Willkommen in der nächsten Runde der
Asyldebatte in Deutschland.« Süddeutsche Zeitung vom 12.Juli 2013
»Etwa 50 Asylbewerber in München, die seit Dienstag in einen Hungerstreik getreten sind,
lehnen jede weitere medizinische Versorgung ab und drohen mit Selbstmord. Die Flüchtlinge
wollen damit die Anerkennung ihrer Asylanträge durchsetzen. In einer Stellungnahme
schreibt die Gruppe, sie werde ›keinen Schritt zurückweichen‹, bis die Forderung erfüllt sei.
Sie fordern ›die Anerkennung aller Asylsuchenden als politische Geflüchtete‹ und einen
›Stopp aller Abschiebungen‹.
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Bayerns Sozialministerin sagt dazu: ›Hierzulande ist Politik nicht erpressbar. Wir leben in
einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung
erzwingen kann.‹« Zeit online vom 28.Juni 2013
»Nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch ist das Camp von Asylbewerbern in
München am Sonntagmorgen geräumt worden. Die Polizei habe eine Sitzblockade aufgelöst.
Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden sei kritisch gewesen. Die Polizei sperrte
den Rindermarkt ab und räumte das Lager.« Der Spiegel vom 30. Juni 2013
»Seit Oktober 2012 hausen auf dem Oranienplatz in Berlin Flüchtlinge in Zelten. Sie halten
eine Schule besetzt, um gegen Abschiebungen, das Leben in Sammelunterkünften und die
Residenzpflicht zu protestieren. Neulich kam es zu einer unangenehmen Begegnung: Ein
türkischstämmiger Berliner, der mit seinem Kind über den Oranienplatz ging, griff einen der
Flüchtlinge mit dem Messer an. Die Polizei soll Mühe gehabt haben, in das Handgemenge,
das dann folgte nicht hineingezogen zu werden.
Einige Ecken weiter, in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ohlauer Straße
leben mehr Flüchtlinge als am Oranienplatz. Die hygienischen Verhältnisse sind dort so,
dass eine Unterstützerin in dringlichem Ton vom Besuch der Schule abrät.« Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 12. Juli 2013
Dieter Schreiber kommentiert den Artikel am 12.07. um 11:42 Uhr im Internet mit den
Worten: »Zum Glück wohne ich in Bayern! Da wird so ein Protestcamp nach wenigen Tagen
geräumt und zwar weil es illegal ist. Gesetze werden hier noch durchgesetzt. In Berlin ist das
schon lange nicht mehr so. Da hat der Sarrazin schon recht: ›Deutschland schafft sich ab‹
wenn ein Asylbewerber ungestraft zur Gesetzesübertretung aufrufen darf.«
»Auch in Niedersachsen sind sie wohl nicht überall willkommen. Wer dieser Tage im
Thomas-Philipps-Markt in Bramsche-Hesepe (Landkreis Osnabrück) einkaufen will, wird am
Eingang von zwei Wachleuten mit einem ›Hallo‹ und einem musternden Blick begrüßt. Als
nächstes fällt einem ein Schild auf. In fünf Sprachen - unter anderem albanisch, persisch,
arabisch und serbokroatisch - steht darauf geschrieben: ›EU-Bürger sind herzlich
willkommen‹.« NDR vom 21. August 2013
»In Bremgarten in der Schweiz dürfen Asylbewerber nicht ohne Begleitung ins Freibad.
Diese Maßnahme soll dem Schutz der Bevölkerung dienen, betroffen sind auch weitere
›sensible Zonen‹ wie Sportanlagen und Schulgebäude.
So solle die Toleranz für die Einquartierung der Asylsuchenden in der Stadt erhöht werden.
Eine Regierungsrätin sagt: ›Diese Regeln sind ein Kompromiss, damit die Bevölkerung in
Bremgarten den Entscheid mitträgt. Schließlich muss man sich in vielen Bereichen des
Lebens an Regeln halten. Man darf am Wochenende nicht Rasenmähen oder den Hund
überall frei laufen lassen.‹« Der Focus vom 06. August 2013
3 Komik
Diskutiert den Einsatz von Witz, Ironie und Komik in der Inszenierung. Wo musstet ihr
Lachen und warum? Darf man über so ein Thema Witze machen? Gab es einen Punkt in der
Inszenierung an dem es euch zu weit ging? Ist euch an einem Punkt das Lachen im Hals
stecken geblieben? Wenn ja, wann war das?
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