A) Die Substanz Die Substanz

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A) Die Substanz Die Substanz
A) Die Substanz
1. Die Entdeckung von Phosphor
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2. Das Element Phosphor
a. In der Chemie
b. In der Natur
c. Verwendung im Alltag
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3. Physiologie und Pathologie
a. Physiologie
b. Phosphor-Pathologie
b.1 Hypophosphatämie (zu niedriger Blut-Phosphatspiegel)
b.2 Hyperphosphatämie (zu hoher Blut-Phosphatspiegel)
b.3 Vergiftungssymptome
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B) Phosphor-Bezüge in der Literatur und der Mythologie
1. Gedicht anlässlich der Entdeckung von Phosphor
2. Mythologie: vom Morgenstern zum Satan
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C) Das homöopathische Arzneimittel Phosphor
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5.
Arzneimittelbild
DD Tuberculinum
DD Schmetterlingsarzneien
DD Phosphoricum Acidum
Zusammenfassung
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Die Substanz
1. Die Entdeckung von Phosphor
Der Alchimist Hennig Brand entdeckte auf seiner Suche nach dem „Stein der Weisen“ zwischen 1669
und 1675 den Phosphor. Der „Stein der Weisen“ sollte unedle Metalle in Silber und Gold verwandeln.
Brand dampfte hierzu u.a. den „goldgelben“ Harn ein und glühte den Rückstand unter Luftabschluss.
Dabei erhielt er ein im Dunkeln leuchtendes Produkt, weil das im Harn vorkommende Phosphorsalz
beim Glühen von dem durch Verkohlung organischer Substanzen entstandenen Kohlenstoff zu
weißem Phosphor reduziert wurde. Die Substanz leuchtete im Dunkeln und war extrem entzündlich.
Er nannte sie „kaltes Feuer“.
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Phosphor-Essenz: Schnell begeistert / entflammt, schnell erschöpft /
ausgebrannt. Früher wurde für das Zündholz (giftiger) weißer Phosphor verwendet; heute besteht die
Reibefläche aus Tetraphosphohrtrisulfid und Kaliumchlorid, die miteinander reagieren.
2. Das Element Phosphor
a) in der Chemie
Phosphor ist ein nicht-metallisches Element und besitzt im Periodensystem der Elemente die
Ordnungszahl 15 (= 15 Protonen im Atomkern). Sein chemisches Symbol ist P. Phosphor gehört zur
Stickstoffgruppe (zusammen mit Stickstoff, Arsen, Bismut und Antimon). Phosphor kommt in der
Natur nicht in elementarer Form vor, sondern nur in Form der Phosphate, bei denen es sich um
organische oder anorganische sauerstoffhaltige Verbindungen handelt. Elementarer Phosphor
kommt in vier Modifikationen vor:
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dem weißen bzw. gelben giftigen Phosphor,
dem roten,
dem schwarzen und
dem violetten Phosphor.
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Weißer Phosphor kann aus dem Erz des Apatits (Ca-F-Cl-Phosphat) gewonnen werden,
das einen besonders hohen Phosphoranteil hat. Er ist wachsweich und „riecht wie ein
elektrischer Funke“. Hauptvorkommen für Apatit liegen in den USA, in den GUS-Staaten, in
Marokko und in China.
• Der rote Phosphor, ein amorphes Pulver, entsteht durch längeres Erhitzen des weißen
Phosphors über 250° C.
• Bei noch längerem Erhitzen geht dieser in den kristallinen violetten Phosphor über.
• Beim Einsatz von hohen Temperaturen und einem hohen Druck lässt sich aus weißem
Phosphor schwarzer Phosphor gewinnen. Dieser kann Strom leiten.
Im Dunkeln leuchtet weißer Phosphor, daher der Begriff Phosphoreszenz. Dieser Leuchteffekt
entstammt einer Chemolumineszenz, wobei sich das an der Oberfläche mit der Luft gebildete P2O3 in
das energieärmere und stabilere P2O5 umwandelt. Bei diesem Oxidationsprozess wird die freigesetzte
Energie in Form von Licht (und Wärme) abgegeben. Oberhalb von 50°C entzündet sich weißer
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Phosphor von selbst und verbrennt mit gelblich-weißer und relativ heller Flamme, daher darf weißer
Phosphor nie an der Luft aufbewahrt werden. Brennender weißer Phosphor ist sehr schwer zu
löschen (nur mit Sand) und führt auf der Haut des Menschen zu schwersten Verbrennungen. Die
Opfer von Phosphorbrandbomben sind schlimme Beispiele dafür.
Dagegen entzündet sich roter Phosphor erst bei Temperaturen oberhalb von 300° C.
Die wichtigsten Eigenschaften in Kürze:
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Phosphor ist fünfwertig, d.h., Phosphor kann fünf Bindungen eingehen. Phosphor wird daher
als sehr bindungsfreudig bezeichnet.
Phosphor und Phosphorverbindungen sind schlecht löslich.
Weißer Phosphor ist äußerst reaktiv.
Phosphor ist hydrophil.
Phosphor hat eine hohe Affinität zu Sauerstoff, d.h. es löst sich mit dem Sauerstoff praktisch
„in Luft auf“.
b) in der Natur
Phosphor ist in Pflanzen und in Tieren selbst vorhanden, besonders reichlich aber in Fischen und
Algen. Im Körper eines Erwachsenen findet sich etwa 700 Gramm Phosphor in organischen
Verbindungen, davon der Hauptteil in Knochen und Zähnen. Phosphorlipide bilden die
Zellmembrane, Phosphor wird zur Energiegewinnung benötigt und ist Bestandteil der DNA und RNA.
Phosphor ist ebenfalls im Kot von Meeresvögeln enthalten („Guano“).
Phosphorhaltige Lebensmittel sind:
-
Milch und Milchprodukte
Fleisch, Fisch, Geflügel
Getreide
Hülsenfrüchte.
Phosphatmineralien bilden ca. 0,1 Prozent Massenanteil an der Erdkruste.
c) Verwendung im Alltag
In der Industrie wird roter Phosphor für Streichhölzer und Feuerwerkskörper verwendet. Weißer
Phosphor wird vor allem zur Erzeugung von Phosphaten für Waschmittel und Düngemittel verwendet
(in Deutschland für Waschmittel seit 1986 verboten). Phosphor wird außerdem als Phosphat
(Sauerstoffverbindung) Lebensmitteln zugesetzt. Es dient als Stabilisator und Emulgator. Resultat:
Das Wasserbindungsvermögen wird durch die hydrophilen Eigenschaften erhöht, die Lebensmittel
sehen voller/knackiger/frischer aus.
Beispiel: Würstchen. Würstchen bestehen praktisch nur aus Fett. Da Fette hydrophob sind, kann kein
Wasser zugesetzt werden.
Beispiel: Cola enthält Phosphorsäure zur Konservierung, aber auch, um das Durstgefühl zu verstärken
und den Zuckergeschmack zu überdecken.
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Weiterhin ist Phosphorsäure in Kosmetika und Pharmaprodukten zu finden (Stabilisator und
Emulgator). Auch als nervenlähmendes Insektengift findet Phosphor Einsatz.
Die Weltproduktion von Phosphat betrug 1990 157 Millionen Tonnen!
3. Physiologie und Pathophysiologie
a) Physiologie
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Phosphorlipide bilden unsere Zellmembrane.
Phosphor ist als ATP (Adenosintriphosphat) die wichtigste Energiequelle aller Organismen: Die
Energie entsteht durch die Abspaltung einer Phosphatgruppe.
Phosphor wird zu 60 – 80 % über die Niere und zu 20 – 40 % über den Stuhl ausgeschieden. Ein
geringer Teil wird über den Schweiß ausgeschieden.
Phosphor ist – zusammen mit Calcium und Magnesium - für den Körper ein sog. „Bau-Mineral“,
während Jod, Natrium, Kalium und Chlor zu den „Regler-Mineralien“ zählen.
Phosphor bildet das Gerüst der Nukleinsäuren, die die Erbübertragung gewährleisten und die
Eigenschaften der Zellen und Organismen bestimmen (DNA und RNA).
Phosphorsäure bildet drei verschiedene Salze mit verschiedenen Säurestärken; diese Salze
beteiligen sich an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Säure-Basen-Haushalts.
Phosphor dient hier als Puffer.
Phosphat im Blut steigt durch den Konsum von Kochsalz.
Phosphorsalze bilden im Darm mit Magnesium und Kalzium nicht lösliche und nicht
resorbierbare Salze. Damit mindern sie das Angebot an Kalzium und Magnesium für den
Körper.
Wenn zuviel Phosphor im Körper ist, bildet die Nebenschilddrüse das Hormon „Parathormon“,
das den Phosphor über die Niere ausscheidet.
Die Ausscheidung von überschüssigem Phosphor geht einher mit der Ausscheidung von
Calcium aus den Knochen.
b) Phosphor-Pathologie
b.1 – Hypophosphatämie / zu niedriger Blut-Phosphatspiegel
Ursachen u.a.
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Vitamin-D-Mangel
Alkalose
Alkoholismus
Nierentransplantation
Hämodialyse
Einigen Rachitisformen
Schwere Verbrennungen
Symptome der Hypophosphatämie
Bei Kindern wirkt sich ein Phosphormangel durch verzögertes Wachstum, schlechte Knochen- und
Zahnbildung und Rachitis aus. Die Symptome ähneln einem Calcium- und Vitamin-D-Mangel.
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Phosphormangel kann in jedem Alter zu einem Gewichtsverlust führen und Müdigkeit hervorrufen.
Auch anormaler Appetit (starkes Verlangen nach phosphorhaltigen Substanzen, die keine
Lebensmittel sind - Kreide, Ton, Kalk o.ä.) gehört zu den Symptomen.
Ein Mangel an Phosphor kann lange Zeit verborgen bleiben, da Phosphor aus den Knochen
mobilisiert, also abgebaut wird. Dies zeigten auch Beobachtungen aus den Kriegs- und
Nachkriegsjahren. Nach längerer verminderter Zufuhr von Phosphat trat die so genannte 'HungerKnochenerweichung' auf. Bei Einnahme von zu viel Calcium und zu wenig Phosphor kann es zur
Bildung von Nierensteinen kommen. Tierversuche zeigen, dass Phosphormangel neben dem bereits
erwähnten Gewichtsverlust zu einem unzureichenden Ausbau des Skeletts und im Extremfall zum
Tod durch Kräfteverfall führen kann.
b.2 Hyperphosphatämie / zu hoher Blut-Phosphatspiegel
Ursachen u.a.
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Niereninsuffizienz
Hypoparathyreoidismus
Akromegalie
Morbus Addison
Vitamin-D-Überdosierung
Knochenkrebs
Medikamente (Furosemid, Phenytoin, Tetrcycline)
Symptome der Hyperphosphatämie u.a.
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Osteoporose
„saure“ Stoffwechsellage
diskutiert wird auch ein Zusammenhang zwischen Phosphorüberschuss und Unruhe bis
hin zur Hyperaktivität von Kindern
soll Prostata-Krebs begünstigen; vermutlich auch Zusammenhang zwischen
Phosphorüberschuss und anderen Krebsen
b.3 Zeichen einer Phosphorvergiftung (insbesondere weißer Phosphor):
1. akut: Übelkeit, Erbrechen (mit knoblauchartigem Geruch), schmerzhafte Durchfällen
2. nach Latenz von 1–3 Tagen (Resorption): Symptome seitens Leber (Verfettung, tox.
Degeneration) u. zentralem Nervensystem (Kopfschmerzen, Halluzinationen, delirante
Zustände),
3. präfinal körperlicher Verfall und Koma; chronisch v.a. Knochenveränderungen
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Phosphor-Bezüge in der Literatur und der Mythologie
1. Gedicht von Gottfried W. Leibniz anlässlich der Entdeckung von Phosphor
Doch ein Feuer, wie Phosphor, ward nie gesehen:
Es ist kalt, und es kann im Wasser bestehen.
In diesem verliert es den Feuerschein,
Sonst würd' es entschweben dem Erdensein.
(…)Wer seine Natur nicht näher kennt,
Der fürchtet im Dunkeln, daß er brennt;
Indessen man kann ihn gefahrlos berühren,
Von seinem Feuer ist nichts zu spüren.
Den Dingen teilt mit er sein Körperlicht;
bestreicht man mit ihm das Angesicht,
So wird es leuchtend und man geht einher
Wie Moses, umgeben vom Flammenmeer.
Zu fest berührt von harter Hand
Voll Zorn gerät er leicht in Brand.
Mit Geprassel loht empor sein Gischt,
Der, wie die Naphta schwer erlischt.
Das feurige Kleid, von Medea beschert,
Wird leichter am Brennen als Phosphor gestört,
Doch ruhig liegend verbirgt er die Kraft,
Kaum fühlt man die Wärme als Eigenschaft.
Sein Glanz nur zeigt, daß ihm Leben nicht fehle:
Ein Sinnbild ist er der glücklichen Seele!
Kommentar:
der Diener iz
schmierteeiner Party
Phosphor ein, weil es
Dunkeln so
Resultat: Er trug
tiefe Verbrennungen
Genau wie die
von
im 2. Weltkrieg
2. Mythologie: Vom Morgenstern zum Satan
Der Name Phosphor stammt von dem griechischen Gott des Morgensterns, Phosphorus, einem Sohn
der Göttin der Morgenröte (Eos). Der Legende nach fuhr Eos jeden Morgen mit einer prächtigen
Kutsche, vor die weiße Pferde gespannt waren, aus dem Meer in den Himmel. Phosphorus und seine
Schwester Thalassa wiesen ihr den Weg.
Einer anderen Legende nach erfuhr Phosphorus eine Transformation: Er durfte kurze Zeit als
Morgenstern leuchten, musste bald darauf in der Unterwelt verschwinden und durfte am Abend
dann wieder für kurze Zeit als Abendstern leuchten.
Das lateinische Wort für Lichtträger oder Lichtbringer ist Lucifer, und gemeint war damit der Planet
Venus, der hellste Planet am Himmel. Damit sind wir beim Satan. Die Kirchenväter machten sich die
Legende des Phosphorus zu Nutzen, indem sie die Bibel wie folgt deuteten:
Gott schuf zunächst die Engel. Einer der höchsten Engel war Luzifer, fast so schön wie Gott. Als Gott
jedoch Lucifer befahl, den Menschen zu dienen, verweigerte dieser sich. Also verstieß Gott ihn aus
dem Himmelreich. Gott stieß ihn, und Lucifer fiel in die Morgenröte. Andere Engel lehnten sich
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dagegen auf. Sie folgten Lucifer als gefallene Engel bzw. als Dämonen. (In einer anderen Version
wurde Lucifer vom Erzengel Michael mit Unterstützung Gottes gestürzt.)
Seiner himmlischen Macht beraubt, trachtete Lucifer – nunmehr Fürst der Dunkelheit und Herrscher
des Hades, der Unterwelt – den Menschen nach ihrem sorglosen Leben. Seine Versuchungen sind:
die Lüge, alles Schattenhafte, die Gier, Machtmissbrauch, seelenlose Lüsternheit, Bestechlichkeit und
Maßlosigkeit. Er erscheint dem Menschen nicht immer offensichtlich, sondern sehr trickreich, eben
auch in einer gut verpackten oder sehr verlockenden Form.
Arzneimittelbild
1. Arzneimittelbild
a) Geist und Gemüt
Einen „reinrassigen“ Phosphor-Patienten empfangen wir gern in unserer Praxis: Sie kommt zwar
einige Minuten zu spät, weil sie noch „wahnsinnig viel zu tun“ hatte, was sie uns mit leuchtenden
Augen und entschuldigendem Wimpernaufschlag mitteilt, während sie ihr schönstes Lächeln zeigt,
lassen uns aber sofort besänftigen: „Diesen Termin hier in Ihrer wundervollen Praxis mit Ihnen, liebe
Frau Hofmann, wollte ich auf keinen Fall verpassen! Es geht mir immer so gut hinterher!“
Während wir also im Geiste noch damit beschäftigt sind, das wohltuende phosphorische
Komplimente-Öl in unsere Zellen sickern zu lassen, tänzelt unsere Phosphor-Patientin katzengleich
(DD u.a.: Lac felinum und andere Katzen, Schmetterlinge, Tuberculinum) durch den Praxisraum und
lobt, als sei unsere Praxis das Taj Mahal, bis wir es selbst fast glauben. Flugs vergessen wir unseren
Grundsatz, keinen Kaffeeklatsch, sondern eine Anamnese abzuhalten, und fragen, ob sie einen Tee
möchte.
Während unsere Phosphor-Patientin also begeistert wissen möchte, woher wir die wundervollen
Sessel haben, wir in entspanntem Wohlbehagen den Tee einschenken und uns auf einen
30minütigen Smalltalk einstellen, den beide mit einem Gefühl von Wärme und Verbundenheit
verlassen, erinnern wir uns (hoffentlich) noch an unsere Aufgabe, nämlich die Führung einer
homöopathischen Anamnese.
Die wir uns natürlich sparen könnten, weil das Arzneimittel uns entgegenleuchtet, aber unser
Anamnesebogen ist noch leer, bis auf das § 153-Symptom, das wir erstaunt als Eigenbeobachtung
schnell in eine Ecke gekritzelt haben: „(Ich lächele seit zehn Minuten und fühle mich angenehm
euphorisiert!)“
Selbst hartgesottene Homöopathen, die dank ihrer ausgeklügelten Anamnese-Technik ein Buch über
Verhörmethoden für Geheimdienste schreiben könnten, werden in Gegenwart ihrer PhosphorPatienten handzahm. Als ich noch blutige Anfängerin war, mir aber bereits der Spitzname „Mrs. CIA“
anhing, begegnete ich meiner ersten Phosphor-Patientin. Sie kam zwei Minuten zu spät,
entschuldigte sich lächelnd, setzte sich so anmutig wie eine Feder auf den Sessel und sagte: „Ich weiß
gar nicht so genau, warum ich eigentlich hier bin!“ Dann bewunderte sie meine Ohrringe. Meine
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Supervisorin legte ihren Kugelschreiber zur Seite und begann, über ihre Einkaufsliste nachzudenken –
das Mittel hatte zu ihr gesprochen. Glücklicherweise gab es dann doch noch ein paar Symptome, die
ich der Form halber repertorisieren konnte: die Neigung zum Erröten vom Hals beginnend hinauf
zum Kopf, die extreme Geruchsempfindlichkeit und das durch Gemütsbewegungen ausgelöste
Nasenbluten.
Die zeitintensive Erstanamnese ist für unsere phosphorischen Patienten quasi so etwas wie der
zweite Geburtstag im Jahr. Sie lieben Aufmerksamkeit, und so gern sie unverbindliche
Unterhaltungen initiieren – 80 % des Inhalts sollte doch von ihnen handeln, sonst langweilen sie sich.
Denn im Grunde genommen hält jeder ausgewachsene Phosphoriker sich selbst, seine Gedanken,
Ideen und Gefühle für weitaus interessanter als sein Gegenüber, weswegen er diesen wohlwollend
und ausführlich daran teilhaben lässt.
Phosphor ist allerdings sehr wohl auch sehr schüchtern, was wir insbesondere bei Kindern erleben:
Sie verstecken sich zunächst einmal hinter Mamas Beinen, um uns von dort aus vorsichtig zu
beäugen. Erhalten sie ein Lächeln oder gar einige aufmunternde Worte, verlassen sie ihr Versteck
jedoch schnell, und dann kann aus dem schüchternen Kind, das sich soeben noch versteckte, flugs ein
Plappermaul werden, das eine Stunde lang unermüdlich durch freundliche Einmischung in alles
versucht, den Großteil der Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Betonung liegt auf dem Wort
„freundlich“: Phosphor-Kinder fallen meistens NICHT durch negatives Verhalten auf, und wenn, dann
unbeabsichtigt.
Blick in das Repertorium:
Phosphor ist NICHT vertreten in den Rubriken (Radar Version 10.5)
- Lügner (Phosphor finden wir hier nur als Calcium phosphoricum (1))
- Manipulierend
- Unaufrichtig
Wir finden Phosphor allerdings in folgenden Rubriken:
- Naiv, leichtgläubig (2)
- Heuchelei (1)
- Gefallsüchtig (3)
- Faulheit (3)
- Gleichgültigkeit gegen geliebte Personen (3)
- Gleichgültigkeit gegen Verwandte (4)
- Mitgefühl (3)
- Mitteilsam (3)
- Schmeichlerisch (3)
Wie passt das also zusammen – wer schmeichlerisch und gefallsüchtig ist, bleibt immer bei der
Wahrheit?
Ich zitiere Jack Nicholson aus dem Film „Was das Herz begehrt“, in dem er einen alternden
Musikproduzenten spielt, dessen stetig wechselnde Freundinnen nicht älter als 30 Jahre sein dürfen
– und sich dann ausgerechnet in eine Mittfünfzigerin (von der wunderbaren Diane Keaton gespielt)
verliebt, der er unbedarft gesteht: „Ich lieb‘ dich.“ Diane Keaton enttarnt das fehlende „e“ sofort:
„Ich lieb‘ dich“ ist sehr viel unverbindlicher als „Ich liebe dich“.
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Sie verbringen eine Nacht miteinander, und Jack Nicholson stellt fest: „Du bist eine Frau zum
Heiraten.“ Dann geht er, um sich mit der nächsten jungen Frau zu vergnügen. Während er also vor
der Liebe davonrennt, erkennt die reife Frau die Wahrheit und nimmt sie an: Sie hat sich in einen
Playboy verliebt. Also gesteht sie ihm in aller Form ihre Gefühle, woraufhin er erschrocken
zurückweicht und nichts zu erwidern weiß, doch zum Ende des Gesprächs hin sagt er: „Ich habe dir
immer eine Variante der Wahrheit gesagt.“
Phosphor lügt also nicht, sondern kommuniziert und lebt Varianten der Wahrheit. Vorzugsweise
wählt er die Variante, die sich für alle Beteiligten gut anfühlt: Ja, er hat in diesem Moment tatsächlich
Liebe für die Frau empfunden. Aber eben nur in diesem Moment, und weil er nicht weiß, was Liebe
ist, hat er auch nicht gelogen, sondern eine Variante der Wahrheit präsentiert. Eine andere Wahrheit
wäre die gewesen, dass er trotz des momentanen Gefühls von Liebe in sein altes Playboy-Leben
zurückkehren wird, um wie ein Schmetterling von einer verführerisch duftenden Blüte zur nächsten
zu fliegen.
Ahnt er die Wahrheit, und zwar nicht nur die beste Variante? Ein wenig. Wir finden Phosphor zwar
nicht in der Rubrik „Beschwerden durch Scham“, aber immerhin 1wertig in der Rubrik „Beschwerden
durch Verlegenheit“.
Ich zitiere Diane Keaton: „Die Wahrheit hat keine Varianten!“ Nein, für sie nicht. Sie sammelt weiße
Steine am Strand. Ihr Haus ist weiß eingerichtet. Sie trägt immer Rollkragenpullover, auch im
Sommer. Sie ist erfolgreich und einsam, hat sich aber mit ihrem durchorganisierten Leben gut
arrangiert. Und nun rauscht die Liebe in ihr Leben und bringt alles durcheinander. Sie liebt, und er
auch, irgendwie zumindest, aber er bevorzugt dennoch ein Leben ohne sie. Sie gehen gemeinsam am
Strand spazieren, sie sammelt ihre weißen Steine – und er hebt einen schwarzen Stein für sie auf. Sie
lacht, nimmt den Stein und bewahrt ihn später in einem Glas voller weißer Steine auf – allseits
sichtbar, ein deutlicher Bruch in ihrer geradlinigen, weißen Welt ohne Kanten und Farben. Nach der
Trennung ringt sie um ihre Fassung: „Mein Leben war in Ordnung, wie es war, aber dann habe ich
dich kennengelernt … wie soll ich jetzt nur weitermachen, ohne dich?“
Phosphormenschen haben die Fähigkeit, andere tief zu berühren – und natürlich berühren sie
insbesondere die Menschen, die viel Angst vor Berührung haben, die sich in ihrem weißen Leben
eingerichtet haben, ohne noch viel zu erwarten, und die vielleicht sogar Angst vor der Veränderung
haben: Besser, es bleibt so überschaubar, wie es ist, ohne Höhen und Tiefen … doch betritt Phosphor
die weite, gleichförmige Lebensebene dieser Menschen, wachsen Berge und Täler, und die Ebene,
die durch ihre Überschaubarkeit viel Sicherheit bot, ist plötzlich nicht mehr so attraktiv.
Höhen und Tiefen gibt es im Leben der Phosphormenschen viele. Ihre Sensibilität ist ausgeprägt. Sie
leben, lieben und leiden intensiv. Das tief empfundene Leiden kann von Außenstehenden oftmals
nicht nachvollzogen werden, wird der Anlass als ‚nichtig‘ abgetan. So wurde eine Phosphorpatientin
von ihrem einwöchigen Liebhaber verlassen und schilderte mir ihren Schmerz mit den Worten: „Ich
liege in einem Bett, auf einem weißen Laken, und ich blute aus meinem offenen Herzen so stark, dass
sich das Laken ganz rot färbte.“
Die Silicea-Freundin rät ihr spitz: „Sei froh, dass du den so früh losgeworden bist, suche dir einen
soliden Mann.“ Sepia bemerkt pragmatisch: „Jetzt kannst du dich wieder ganz auf deine Arbeit
konzentrieren.“ (Und fügt in Gedanken verächtlich hinzu: Typisch Mann …!) Die Natrium-Freundin
schiebt ihr eine DVD hin: „Sinn und Sinnlichkeit“ von Jane Austen, damit ihre leidende Freundin den
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Liebeskummer noch einmal so richtig schön ausleben kann, denn Schmerz ist das Salz in der Suppe
des Lebens …
Doch Phosphor will keinen Schmerz. Es soll alles schön sein und harmonisch. Die Tränen werden
weggewischt, der Kosmetiktermin gebucht, und ein lachendes Gesicht wird aufgesetzt: Auf zum
nächsten Abenteuer! Drei Wochen später fragt die Natrium-Freundin behutsam: „Na … wie geht es
dir mit Bernhard?“ Und Phosphor fragt verdutzt nach: „Mit wem?“ Denn Bernhard ging so schnell,
wie er kam, und David, der nette Mann aus dem Chatforum, könnte wirklich der Richtige sein …
Wir schauen uns die Rubriken im Repertorium an:
NICHT enthalten ist Phosphor in:
-
Traurigkeit durch enttäuschte Liebe
Verzweiflung durch enttäuschte Liebe
Eifersucht aus enttäuschter Liebe
Enthalten ist Phosphor in:
-
Beschwerden durch enttäuschte Liebe: (1) – 93 Mittel in der Rubrik!
Liebevoll, voller Zuneigung, herzlich (2)
Mitgefühl (3)
Verlangen nach Mitleid (4)
Gefühl, verlassen zu sein (2)
Verlangen nach Gesellschaft (4)
Verlangen, mit jemandem zu sprechen (2)
Phantasien übertrieben, hochfliegend (2)
Abhängig von anderen (2)
Beschwerden durch sexuelle Enthaltsamkeit (2)
Beschwerden durch sexuelle Exzesse (2)
Sehr interessant sind folgende Rubriken:
-
Manisch durch enttäuschte Liebe – Phosphor ist das einzige Mittel und 2wertig
Verlangen, magnetisiert zu werden (3) – 12 Mittel in der Rubrik
Phosphor hat also kein Verlangen nach tief empfundener Liebe, weil diese durchaus auch Konflikte
mit sich bringt und früher oder später der Alltag einkehrt. Phosphor hat Interesse am Austausch, und
zwar nicht nur mit wenigen, besonders nahestehenden Personen, sondern mit vielen Menschen auf
vielen Ebenen. Es geht Phosphor hierbei nicht um langwierige Diskussionen mit schweren Inhalten,
sondern – ausgedrückt in der Rubrik: Verlangen, magnetisiert zu werden – um die positive Spannung.
Es soll interessant und auf- und anregend sein. Gesellschaft ist für Phosphor ein wichtiges
Lebenselixier, allerdings nicht so wie bei Calcium carb., der mit seiner Familie im Wohnmobil durchs
Ländle fährt, wenn er sich überhaupt mal vom Campingplatz wegbewegt, sondern eher wie ein
Wasserläufer, der die Oberflächenspannung des Wassers nutzt, um voranzukommen. Auch Phosphor
will vorankommen, will sich entwickeln, Neues erleben, aber in unbekannte Tiefen will Phosphor
nicht abtauchen. Das Anticken der Oberfläche reicht. Ausgedrückt finden wir diese Abneigung gegen
tiefere Begegnungen in der Rubrik: Furcht vor Berührung – Phosphor ist mit 3 Punkten dabei.
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Betrachten wir nun die Rubrik „Manisch durch enttäuschte Liebe“, wird klar, wie Phosphor mit
Liebeskummer umgeht – ausgedrückt in einem Lied von Hildegard Knef:
Nur nicht aus Liebe weinen,
es gibt auf Erden nicht nur den einen.
Es gibt so viele auf dieser Welt
ich liebe jeden, der mir gefällt!
Und darum will ich heut' Dir gehören,
Du sollst mir Treue und Liebe schwören,
wenn ich auch fühle, es muss ja Lüge sein,
ich lüg auch und bin Dein.
Wir kommen nun zu Phosphor und der Angst. Phosphor ist ein äußerst ängstliches Mittel – und die
spezifische Angst der Phosphoriker erkennen wir, wenn wir uns die Rubriken ansehen – und wir
starten mit den Rubriken, in denen Phosphor 3- und 4wertig genannt ist:
-
Angst, wenn allein
Angst, hypochondrisch
Angst um die eigene Gesundheit
Angst durch Schmerzen
Angst in Bezug auf die Zukunft
Furcht etwas werde geschehen
Furcht vor Gespenstern
Furcht vor Gewitter
Furcht vor dem Tod
Furcht vor drohender Krankheit
Furcht, beim Gehen ins Freie überfahren zu werden
Wir sehen also, dass Phosphor eine gute Arznei für eine generalisierte Angststörung ist. 2wertige
Ängste finden wir natürlich auch; hier sind u.a. die Ängste um andere Menschen genannt. Phosphor
kompensiert diese Ängste mit Gesellschaft.
Eine generalisierte Angststörung zeigt sich u.a. mit folgenden Symptomen:
-
Zittern
Herzrasen
Schwindel
Übelkeit
Schweißausbrüche
Konzentrationsstörungen
Unruhe
Globusgefühl im Hals
Dissoziative Störungen (z.B. Entfremdungsgefühl gegenüber der Umwelt, Gefühl, immer nur
zum Teil anwesend zu sein)
Schlafstörungen
Phosphor ist u.a. vertreten in den Rubriken:
-
Schwindel chronisch (3)
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-
Schwindel in einer Menschenmenge (2)
Angst in der Brust (3)
Beklemmungsgefühl in der Brust (3)
Reichlich Schweiß morgens und nachts (3)
Schweiß bei Angst (2)
Gefühllosigkeit, Taubheit der Extremitäten (3)
Kribbeln in den Extremitäten (3)
Ruhelosigkeit in den Extremitäten (2)
Schwäche in den Extremitäten (3)
Schwankender Gang (3)
Feuchte Hände (3)
Gefühl verlassen zu sein (2)
Erwachen wie durch Schreck (2)
Auf der körperlichen Seite zeigt sich die phosphorische Angst in der Regel verstärkt durch
neurologische Auffälligkeiten. Weniger betroffen sind das Herz und das Magen-Darm-System, wobei
Phatak allerdings „heftiges Herzklopfen mit Ängstlichkeit“ erwähnt. In der Rubrik „Diarrhoe durch
Furcht“ finden wir Phosphor nur 1wertig (Kalium phosphoricum 2wertig). Ebenfalls kann Phosphor
Schlaflosigkeit durch Angst entwickeln (Radar: Schlaf gestört durch Angst (2)). Generell wird
Phosphor jedoch durch Schlaf gebessert; auffällig ist hierbei, dass sogar ein sehr kurzer Schlaf zu
einer deutlichen Verbesserung führt.
Die phosphorische Angst entwickelt sich durch die hohe Sensibilität des Mittels. Phosphoriker sind
äußerst aufnahmebereit und –fähig und in der Lage, auch „zwischen den Zeilen“ vieles entziffern zu
können. Durch ihre Neigung zum Selbstbezug kommen sie jedoch häufig zu der Ansicht, dass das
Gehörte, Gesehene oder Interpretierte mit ihnen zu tun haben müsste, und durch ihren in der Regel
gut entwickelten Geist und ihre Phantasie bauen sie dann je nach Gemütszustand rosa Luftschlösser
(„Fast jeder Mann verliebt sich in mich“) oder Weltuntergangsszenarien („Ich werde sowieso nie älter
als 50 Jahre, ich spüre das“).
Entwicklung der psychischen Pathologie von Phosphor
Phosphor ist das Nachbarelement von Sulfur, und genau wie Sulfur kompensiert Phosphor seine
Ängste auch durch „schöne Phantasien“. Der Unterschied zwischen Phosphor und Sulfur besteht im
Gegenstand: Sulfur phantasiert sich das Umfeld und die eigene Person schön, Phosphor phantasiert
sich nur die eigene Person schön.
-
Wahnidee, er sei adlig (1) – 3
Angenehme Wahnideen (1) – 9
Wahnidee, arbeitet hart (1) - 6
Wahnidee, das Geschäft sei ein Erfolg (1) – 1
Wahnidee, er sei eine hochgestellte Persönlichkeit (1) – 33
Wahnideen von Reichtum (1) – 16
Wahnidee, er sei eine Person von Rang (1) - 3
Die Notwendigkeit, diese Wahnideen zu entwickeln, resultiert aus dem Gefühl, ungeliebt und
deswegen allein zu sein, und Phosphor tendiert außerdem dazu, extreme Schuldgefühle aufgrund
von Nichtigkeiten zu entwickeln:
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-
Wahnidee, er sei allein auf der Welt (1) – 20
Wahnidee, er habe jemanden ermordet (1) – 2
Wahnidee, ihm gelingt nichts (1) – 24
Bezichtigt sich selbst einer obszönen Handlung, der sie nicht schuldig war (2) – 1
Wahnidee, er würde verachtet (1) – 22
Wahnidee, er sei ein Verbrecher (1) – 37
Phosphor sucht die Bestätigung für die erwünschte Identität in den (wohlwollenden) Blicken anderer
Menschen, weil Phosphor selbst keine klare, feste Identität entwickelt hat:
-
Wahnidee, sie sei jemand anderer (1) – 10
Wahnidee, der Körper sei verstreut (1) – 8
Wahnidee, die Knochen seien in Stücken und er könnte die Teile nicht mehr
zusammensetzen (1) – 1
Wahnidee, der Körper würde aus mehreren Teilen bestehen und sie könnte die Teile nicht
mehr zusammensetzen (1) – 1
b) Physische Leitsymptome
Körperlich erkennen wir Phosphor zunächst einmal an der auffälligen Häufung von brennenden
Schmerzen. Ein Patient mit eher unspezifischen, gelegentlich auftretenden Magenschmerzen
beschrieb den Schmerz als „kaltes Brennen“ – eine Beschreibung, die förmlich nach Phosphor schreit.
(Wir erinnern uns an das Gedicht von Leibniz: Ein Feuer wie Phosphor ward nie gesehen, es ist kalt,
und es kann im Wasser bestehen.) Auffällig ist das Gefühl von brennenden Schmerzen entlang der
Wirbelsäule sowie ein Gefühl von aufsteigender Hitze entlang des Rückens.
Auch die Halsschmerzen sind charakteristisch: Das Brennen wird häufig von einem stechenden
Schmerz begleitet, und das Trinken von kaltem Wasser hilft kurzfristig. (Tritt neben den brennenden
und stechenden Schmerzen ein Schwellungsgefühl auf, wäre Apis das richtige Mittel.) Weitere
Polychreste, die brennende Schmerzen als Leitsymptom haben, sind z.B. Arsenicum album, Sulfur,
Cantharis oder Causticum.
Dann sind phosphorische Beschwerden häufig von Zittern und/oder Schwindel begleitet. Der
Schwindel tritt besonders häufig morgens auf, während (3) oder nach dem (3) Aufstehen. Er verstärkt
sich durch Anstrengung der Augen (4). Ist der Auslöser des Schwindels die Augenbewegung, ist
Phosphor das Mittel erster Wahl! Der Schwindel ist hierbei so stark, dass er ein Taumeln auslöst.
Nash erwähnt Phosphor als vorzügliches Mittel beim Altersschwindel. Phosphor ist weiterhin
zusammen mit Belladonna das einzige 3wertige Mittel, das in der Rubrik „chronisches Schwindeln“ zu
finden ist.
Zu weiteren Leitsymptomen des Mittels zählen Wachstumsschmerzen (3) sowie ein plötzlich
auftretender Hunger, auch nachts (3)(andere 3wertige Arzneien: Psorinum, Lycopodium und China).
Trotz guten Appetits sind phosphorische Menschen zu Beginn ihrer Erkrankung meist schlank.
Phosphor ist in der Lage, schwere körperliche Pathologien zu entwickeln. Hierzu zählen u.a.
Krebsleiden:
-
Lippenkrebs (3)
Krebs im Hals (2)
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-
Uteruskrebs (3)
Magenkrebs (2)
Knochenkrebs (2)
Eine körperliche Besonderheit ist die Neigung der Phosphoriker zu Blutungen. So werden auch
Krebsleiden oft von Blutungen begleitet. Das Blut ist hierbei in der Regel dünnflüssig und hellrot.
(Rubriken u.a.: Blutungen bei Krebs (3), Hämophilie (3)).
Weiterhin finden wir u.a.
-
Multiple Sklerose (2)
Parkinson-Syndrom (2)
Lähmungen (2)
Gehirnblutung (2)
Nierenentzündung (2)
Phosphor entwickelt aufgrund der hohen Begeisterungsbereitschaft auch hochgradige Erschöpfung
und chronische Müdigkeit. Anfänglich kann die Erschöpfung noch mit einem mittäglichen Schlaf
beseitigt werden, doch durch das Beibehalten der erschöpfenden Lebensumstände entwickelt sich
ein chronischer Zustand.
2. Arzneimittel-Abgrenzungen
Tuberculinum
Phosphor ist eine der Hauptarzneien im tuberkulinen Miasma und daher mit Tuberculinum auch gut
zu verwechseln. Phosphor ist wie ein Streichholz, der brennt – schnell entflammt, aber auch schnell
abgebrannt. Tuberculinum ist ein Streichholz, der an zwei Enden brennt. Auffällig sind die
Unterschiede in folgenden Rubriken:
Symptom
Angst, nachts bei Kindern
Angst, wenn allein
Angst um die eigene Gesundheit
Angst hypochondrisch
Leicht beleidigt
Beschimpfen, beleidigen (Kinder)
Boshaft
Eigensinnig (Kinder)
Verlangen nach Gesellschaft
Verlangen nach Mitleid
Krankhafte Triebe, Impulse
Schreien, bei Kindern
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Tuberculinum
Phosphor
4
4
3
3
3
3
4
3
3
3
1
1
1
4
4
1
Anhand dieser Auswahl erkennen wir den wesentlichen Unterschied beider Arzneimittel: Phosphor
ist bemüht, liebenswürdig zu sein, um das große Verlangen nach Gesellschaft befriedigen zu können.
Tuberculinum hat dieses Verlangen nicht und ist daher auch nicht um Konsens bemüht.
Dieses fehlende Interesse an einem harmonischen Miteinander liegt nicht immer offen zutage: Eine
4jährige Patientin, die wegen intermittierenden Fiebers mit Lymphknotenschwellungen zu mir kam,
zeigte sich im Beisein ihrer Familie zunächst eher von einer schüchternen, liebenswürdigen Seite. Als
sie jedoch glaubte, sie würde nicht beobachtet werden, kniff sie ihre Schwester heftig in die Seite, so
dass diese vom Stuhl fiel – und behauptete anschließend ehrlich empört, sie hätte nichts getan …
womit ich mich dann eindeutig für Tuberculinum entscheiden konnte. Das Fieber entwickelte sich
noch einmal, und seither (Zeitraum: 3 Jahre) ist das Mädchen beschwerdefrei.
Schmetterlingsarzneien
Die Schmetterlinge sind in der Homöopathie noch relativ neu und daher klinisch wenig erprobt.
Mit ihrem großen Verlangen nach Schönheit, Veränderung und Vergnügen sowie ihrer
Selbstbezogenheit ähneln sie Phosphor. Ebenfalls sind sie, wie Phosphor, sehr lebhaft und aktiv und
mit ihrer Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, was man selbst bei Babys schon gut beobachten
kann.
Inachis io, das Tagpfauenauge
Einer Patientin, die in längeren Abständen von mir Phosphor aufgrund ihrer generellen
Kreislaufschwäche mit Kollapsneigung erhalten hat, sich aber in ihrer exaltierten und auf möglichst
viele und häufig stattfindende Kontakte ausgerichteten Persönlichkeit nicht wesentlich
weiterentwickelte, erhielt von mir „Inachis Io“, das Tagpfauenauge. Unter Phosphor war sie zwar
weitestgehend beschwerdefrei und „immer vergnügt“ (Wortwahl der Patientin), entwickelte sich
aber insbesondere in ihren persönlichen Beziehungen nicht weiter und war auch nicht gewillt, ihren
zeit- und energieaufwändigen Lebensstil zu ändern. Nach der Gabe von Inachis Io C200 hatte sie
keine Angst mehr vor dem Alleinsein, weswegen sie alle Bekanntschaften aufgab, die sie bereits seit
Jahren „aussaugten“ (Wortwahl der Patientin – die meisten Schmetterlinge haben einen Saugrüssel,
mit dem sie die flüssige Nahrung aufnehmen). Auch beruflich trennte sie sich nicht nur von vielen
Kontakten, sondern auch von ihrer Vorstellung, dass sie „sich selbst verkaufen“ müsse, um
erfolgreich zu sein.
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Phosphoricum acidum
Phosphorsäure ist, wie alle Säuren, durch Schwäche gekennzeichnet – man fühlt sich abgebrannt,
ausgebrannt, extrem erschöpft. Der Erschöpfungszustand resultiert oftmals aus heftigen,
wechselnden Gemütsbewegungen. Wir vergleichen die Auslöser der Beschwerden von Phosphor und
Phosphoricum acidum:
Symptom
Beschwerden durch Enttäuschung
Beschwerden durch Erregung des Gemüts
Beschwerden durch sex. Enthaltsamkeit
Beschwerden durch Heimweh
Beschwerden durch Kränkung
Beschwerden durch Kummer
Beschwerden durch lang anhaltenden Kummer
Beschwerden durch enttäuschte Liebe
Beschwerden durch Tod von geliebten
Personen
Phosphoricum
acidum
Phosphor
3
3
3
3
3
1
3
3
2
3
1
3
1
-
Phosphor ist enttäuscht, hat Kummer – aber das vergeht auch wieder, und zwar relativ schnell.
Phosphoricum acidum ist enttäuscht, hat Heimweh, ist gekränkt, gedemütigt, hat Kummer, auch
Liebeskummer – hat also deutlich mehr Auslöser für Beschwerden als Phosphor. Während Phosphor
also als ein unermüdliches Stehaufmännchen bald wieder lächelt, erschöpft sich Phosphoricum
acidum immer mehr. Phosphor richtet die Aufmerksamkeit nach außen, auf das Schöne, auf die
Ablenkung, die Oberfläche. Phosphoricum acidum hat diese Energie nicht mehr:
-
Antwortet einsilbig, langsam, undeutlich (3)
Apathie mit Abmagerung und Schwäche (3)
Schweigsam (3)
Stumpf (3)
Vergesslich (3)
Weigert sich zu essen (3)
Abneigung gegen Denken (3)
Stilles Wesen (3)
Phosphoricum acidum hat nur ein 4wertiges Symptom, nämlich Kopfschmerz bei Schulkindern. In
dieser Rubrik gibt es nur noch ein weiteres 4wertiges Mittel, nämlich Calcium phosphoricum.
Zusammenfassung
Phosphor ist eine Arznei für Menschen, denen eine oberflächliche Form der Kommunikation sehr
wichtig ist. Insofern ist es natürlich ein Mittel unserer Zeit: Gechattet wird über Facebook, ICQ & Co.
mit fünf Personen gleichzeitig, und in einer Stunde drückt der Durchschnitts-Jugendliche zehnmal auf
den „Gefällt-mir-Button“. Die Botschaften sind knapp, und es geht um Spaß – Tiefgründiges sucht
man in den Kommunikationsforen des Internets vergeblich.
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Phosphor „gehört dazu“. Mit ihrer charmanten Art, die das Anecken unbedingt vermeiden will, sind
sie gern gesehene Gäste und allseits beliebt – dies allerdings nicht (nur), weil sie menschlich
überzeugen, sondern weil sie fähig sind, anderen Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln. Sie
verbreiten gute Laune und eine Atmosphäre der Leichtigkeit. Eine Phosphor-Patientin bezeichnete
sich als „Engel“, weil sie nach ihrer Überzeugung vielen Menschen Fröhlichkeit ins Leben brachte,
und erzählte immer wieder begeistert davon, wer wie von ihr geschwärmt hätte.
Diese positive Form der Aufmerksamkeit ist für Phosphor-Menschen sehr wichtig. Solange sie über
die Maßen gelobt werden, genügend Verehrerinnen und Verehrer um sich haben, das Telefon oft
genug klingelt und der E-Mail-Strom nicht abreißt, geht es ihnen gut. Sie sind fröhlich, fast schon
ausgelassen, und sehen es als ihre Mission an, andere ausgiebig an ihrem Leben und damit an ihrem
Glück teilhaben zu lassen.
Alles, was sie selbst infrage stellen könnte, wird nicht beachtet oder gar negiert. Insofern haben
phosphorische Menschen auch Schwierigkeiten mit der Selbstreflexion. Mit ihren Schattenseiten
beschäftigen sie sich nicht gern. Lassen widrige Lebensumstände sie in ihren emotionalen Keller
tauchen, versuchen sie, so schnell wie möglich wieder aufzutauchen. (Aus diesem Grunde glaubt der
behandelnde Homöopath auch an den schnellen Erfolg seiner Medizin – der Phosphor-Patient erzählt
ihm strahlend, dass die Kügelchen alles geheilt hätten, er sich wundervoll fühle und keinen Termin
mehr bräuchte. Die Wahrheit ist jedoch, dass wir in unserer Behandlung an einen Punkt gekommen
sind, der einen Gang in den emotionalen Keller anrät – ein Raum, den Phosphor sorgfältig
zubetoniert hat.)
Sowohl Kinder als auch Erwachsene können schüchtern wirken. Diese Schüchternheit verfliegt jedoch
schnell, sobald sie sich wohl fühlen. Sie ist daher nicht vergleichbar mit der generellen
Schüchternheit von Calcium carbonicum oder Barium carbonicum. Während der calcische Junge sich
an seinen Trecker klammert und seine neue Umgebung misstrauisch beäugt, versucht es das
Phosphor-Kind mit einem Lächeln. Umgekehrt kann das phosphorische Kind in der Praxis durch den
Behandler relativ schnell beruhigt werden, weil es sich leicht ablenken lässt.
Das Abgleiten in eine depressive Verstimmung oder gar in eine Depression zählt nicht zu den
phosphorischen Bewältigungsmechanismen:
-
Stilles Wesen (-)
Brütet, grübelt (-)
Selbstbetrachtung (1)
Pessimist (-)
Verzweiflung (1)
In der Rubrik „Traurigkeit“, die mehr als 700 Mittel enthält, ist Phosphor immerhin mit 2 Punkten
genannt, aber die phosphorische Traurigkeit ist keine andauernde Traurigkeit. Wir finden in der
fortschreitenden Pathologie immer weniger Gemütssymptome und immer mehr körperliche
Beschwerden. So sagte eine Patientin, die ich wegen diverser neurologischer Auffälligkeiten
behandelte: „Ich möchte gern wieder so fröhlich und unbeschwert wie früher sein.“
Ich besuchte einmal eine ehemalige (und dann wieder neue) Phosphor-Patientin im Krankenhaus; sie
hatte eine akute Nierenbeckenentzündung. Als ich das Zimmer betrat, hockte sie im Schneidersitz auf
dem Bett und gab einer Krankenschwester Rat in deren Eheproblemen. Die Krankenschwester war
sehr gerührt; als sie ging, sagte sie zu mir: „Sie ist so ein Engel! Ist selbst sehr krank, hat aber
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trotzdem immer ein Ohr für alle anderen Patienten, und nun auch noch für mich!“ Meine Patientin
lächelte wehmütig, als die Schwester ging, und verzog den Mund, als ich ihr die Hand reichte. Ich
fragte sie nach ihrem Stimmungswandel, und sie antwortete: „Gerade eben konnte ich meine
eigenen Probleme wunderbar vergessen. Und jetzt sind Sie da, und Sie stellen diese unangenehmen
Fragen, und ich muss mich mit meinen Problemen beschäftigen, was gar keinen Spaß macht!“
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