Eiweiß-Recycling im besten Sinne

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Eiweiß-Recycling im besten Sinne
„Eiweiß-Recycling im besten Sinne“
Kreis Böblingen: Heckengäulinsenschweine bringen eine neue Fleischqualität auf die Palette heimischer Produkte / Künftig urtümliche Wollschweine auf der Wiese
ner und Brät verarbeitet. Die restlichen drei
Schweine aus Kindlers Stall gehen an die
Heckengäu-Köche Thomas Heiling in Böblingen. Andreas Koppe in Bietigheim und
Andreas Walker in Renningen. In deren
Restaurants findet das besondere Fleisch in
der nächsten Zeit den Weg auf die Speisenkarten.
Von unserem Redakteur
Hansjörg Jung
Wirtschaftliche Prosperität, lebendige Gemeinwesen, einen schönen Naturpark vor
der Haustür – dass der Landkreis Böblingen
im übertragenen Sinne Schwein hatte, lässt
sich an vielen Ecken und Enden nachvollziehen. Weniger bekannt ist, dass der Landkreis auch richtig Schwein hat – besser gesagt hatte, in realiter, mit Steckdosennase,
Glubschäuglein und Ringelschwänzchen.
Als im Frühjahr das Landwirtschaftsamt
von Herrenberg in die neuen Räume ins
Landratsamt gezogen war, bekam der Erste
Landesbeamte Wolf Eisenmann zur Feier
des Tages ein Ferkel in den Arm gedrückt,
als Glücksbringer. Doch stellte sich nach der
Feier die Frage: Wohin mit dem Borstenvieh? Zurück nach Gärtringen, in den Heimatstall schied aus Gründen des Seuchenschutzes aus. Dem jungen Ferkelleben ein
jähes Ende bereiten, wollte ad hoc auch keiner. Also nahm es der Renninger Landwirt
Andreas Kindler unter seine Fittiche.
Der Vorsitzende des Kreisbauernverbands ist ein rühriger Zeitgenosse, wenn es
darum geht, der hiesigen Landwirtschaft
Impulse zu geben, neue Geschäftsfelder zu
erschließen. Vor ein paar Jahren hatte er
den Linsenanbau im Landkreis aus dem
Dornröschenschlaf erweckt, jetzt hob er das
Heckengäulinsenschwein aus der Taufe.
Gemeinsam mit drei weiteren Artgenossen fütterte er das Landkreis-Ringelschwänzchen nicht mit Linsen, die sind als
Viehfutter zu schade. Aber mit Linsenaus-
Mangalitza und Hällische
Schöne Schweinerei – in Renningen fraßen sich diese vier Ferkel dem Schlachtgewicht entgegen.
putz, einem eiweißreichen Abfallprodukt
der Linsenlese. „Recycling im besten Sinne“,
sagt Wolf Eisenmann, Vize-Landrat und als
Umweltdezernent zuständig für das Plenum
Heckengäu. Denn: Eiweiß ist, wie beim Bodybuilder, das A und O in der Tiermast, damit die Ferkel oder Kälber ordentlich
Fleisch ansetzen.
Je langsamer sie das tun, desto besser –
Turbo-Mast zeitigt nicht die besten Ergebnisse in Sachen Fleischqualität. Und Eiweiß
ist nicht gleich Eiweiß. „Mir ist wichtig, dass
kein Sojaschrot verfüttert wird“, sagt Heckengäukoch und Metzger Christoph Heinkele. Der Hintergrund: Auf dem Weltmarkt
ist meist genverändertes Soja unterwegs,
das auf den Futtermitteln nicht deklariert
werden muss.
Am Ende haben die Schweine in Kindlers
Stall dennoch ein wenig Speck angesetzt
und rund 200 Kilogramm auf die Waage gebracht. „Das ist ein bisschen viel, daran
Bild: z
müssen wir noch feilen“, sagt der Renninger. Christoph Heinkele ist mit der Qualität
dennoch zufrieden. „Das Fleisch ist trotzdem schön marmoriert und hat einen kräftigen Geschmack. Man merkt den Unterschied zum herkömmlichen Futter. Es ist
ein anderer Duft und auch ein anderes Aroma“, sagt der Dätzinger, der das Schwein
nicht nur portionsweise vom Rücken, Hals
oder Filet auf den Tisch bringt, sondern
auch zu Edelschinken, Schinkenwurst, Lyo-
Der Stall von Andreas Kindler ist derzeit
alles andere als verwaist: Einerseits fressen
sich dort zurzeit noch fünf Jungschweine an
dem eiweißreichen Brei aus Linsenausputz,
Gerste, Hafer und Weizen zur Schlachtreife.
Dazu wurden die Lücken mit drei Mangalitza-Ferkeln und einem kleinen SchwäbischHällischen-Landschwein aufgefüllt. Mangalitza-Schweine sind eine urtümliche Rasse
aus Ungarn, die mit ihrem zottigen Pelz an
Wildschweine erinnern.
Längerfristig plant der Renninger Landwirt jedoch den Stall zu räumen und mit
den Schweinen auf die Wiese zu ziehen. An
eine Ausweitung des Bestands denkt Andreas Kindler im Moment jedoch noch nicht.
„Das Ganze muss langsam wachsen, wir
müssen ja auch sehen, wie wir das Fleisch
vermarkten können“. Immerhin: Auf dieser
Grundlage wäre ein Bestand von rund 120
Schweinen pro Jahr möglich. Wolf Eisenmann: „Heckengäulinsen und Heckengäulinsenschweine – das passt doppelt zu unserem Ziel, regionale Produkte auf den Markt
zu bringen. Doch wir brauchen nicht nur
diese Qualität – wie brauchen auch Abnehmer dafür.“

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