arznei-telegramm®

Transcription

arznei-telegramm®
4330
a-t im Internet: www.arznei-telegramm.de
10/13
Die Information für Ärzte und Apotheker
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
arznei-telegramm
44. Jahrgang, 11. Oktober 2013
Fakten und Vergleiche für die rationale Therapie
IM BLICKPUNKT
..................................................................................................
85
Diskussion um die Masernimpfung
THERAPIEKRITIK
DISKUSSION UM DIE MASERNIMPFUNG
.............................................................................................
87
Tiotropium-Lösung (SPIRIVA RESPIMAT) –
Sicherheitsstudie veröffentlicht
LESER FRAGEN UND KOMMENTIEREN 88
...
Zur Dauer der Therapie mit Bisphosphonaten bei
Osteoporose
Aldosteronantagonist Eplerenon (INSPRA): Reservemittel
bei chronischer Herzinsuffizienz
Opioid-Substitution: Weitere Alternativen erforderlich
Fortbildungsveranstaltungen: Erschlichene Zertifizierung
KURZ UND BÜNDIG
....................................................................................
95
Perioperative Neuverordnung von Betablockern zur
kardialen Prophylaxe bei nichtkardialen Eingriffen
Zwangsstörungen: Augmentation mit Verhaltenstherapie
wirksam, Augmentation mit Risperidon ohne Nutzen
Rotavirusimpfung und Stillen
Japan: Ermittlungen gegen Novartis wegen manipulierter
Valsartan (DIOVAN)-Studien
NETZWERK AKTUELL
........................................................................
96
Kammerflimmern unter Pregabalin (LYRICA)
e a-t IM INTERNET
.....................................................................................................
Alemtuzumab (LEMTRADA) gegen Multiple Sklerose
29.000-mal teurer als Gold
STICHWORTVERZEICHNIS
Aldosteronantagonisten
93
Alendronat
88
Ärztekammer
95
Augmentation
95
Betablocker
95
BILANZ-Studie
88
Bisphosphonate
88
Buprenorphin
94
COPD
87
Datenmanipulation
96
Denosumab
88
EMPHASIS-HF-Studie 93
Enzephalitis,
postinfektiöse
85
Eplerenon
93
Fehlverhalten,
wissenschaftliches 95,96
Femurfrakturen,
atypische
88
Fortbildung
95
Gynäkomastie
94
Herzinsuffizienz
93
INSPRA
93
Jikei-Heart-Studie
96
Kammerflimmern
96
Kiefernekrosen
88,93
Kyoto-Heart-Studie
96
Masern
85
Masernausbrüche
86
Masernimpfstoff
85
Medical Tribune GmbH95
MMR-Impfstoff
86
Neuroleptika
95
Novartis
96
Operation
95
Opioid-Substitution
94
Osteoporose
88
Panenzephalitis,
subakute skleros.
85
Im Blickpunkt
POLDERMANS, D.
95
Pregabalin
96
Risperidon
95
Rotavirusimpfung
96
SerotoninWiederaufnahmehemmer, selektive
95
SPIRIVA RESPIMAT 87
Spironolakton
93
SSPE
85
STIKO
86,96
Stillen
96
Therapiedauer
88
TIOSPIR-Studie
87
Tiotropium
87
Valsartan
96
Verhaltenstherapie
95
Zertifizierung
95
Zoledronat
88
Zwangsstörungen
95

 = Vorsicht: weniger als 5 Jahre im Handel, geringe Erfahrungen.
Vor genau 50 Jahren wurde der erste Masernimpfstoff zugelassen.1 Bis 2015 sollen Masern in Europa eliminiert sein, so
das erklärte Ziel der WHO,2 das ursprünglich zunächst für das
Jahr 2000 und dann für 2010 geplant war.3 Masernausbrüche
unter anderem in Berlin und Bayern, bei denen bis zum
1. September 2013 bereits 1.542 Erkrankungen gemeldet wurden4 und damit fast zehnmal soviel wie in 2012 (167 Berichte5), lassen dieses Ziel jedoch erneut in weite Ferne rücken und
sorgen für eine heftige Diskussion über Schulverbote und die
Einführung einer Impfpflicht.6,7 Im Folgenden geben wir einen Überblick über Masernerkrankung und -impfung.
KRANKHEITSBILD: Masern sind eine hoch ansteckende
akute Viruserkrankung, die durch Tröpfchen übertragen wird
und bei empfänglichen Personen bereits nach kurzer Exposition zu einer Infektion führt. Nach einer Inkubationszeit von
etwa zehn Tagen treten zunächst Fieber, Schnupfen, Husten
und Konjunktivitis auf. Wenige Tage später erscheinen ein Enanthem mit typischen weißen Flecken an der Mundschleimhaut (KOPLIK-Flecken) sowie ein charakteristisches makulopapulöses Exanthem, das bis zu sieben Tage bestehen bleibt
und häufig mit einer Schuppung der Haut abklingt.3,8,9 Bei
Säuglingen sind infolge mütterlicher Antikörper abgeschwächte Symptome oder subklinische Infektionen möglich.3,8 Die
Erkrankung hinterlässt lebenslange Immunität. Seit 2001 besteht Meldepflicht.3
Masern sind etwa fünf Tage vor bis vier Tage nach Auftreten des Exanthems ansteckend. Die höchste Infektiosität besteht in den drei Tagen vor Erscheinen des Hautausschlags.3,8,9
Häufige Komplikationen einer Masernerkrankung sind
Mittelohrentzündungen (bis 10%), Pneumonien (bis 6%) und
Durchfälle (8%).8,9 Bei bis zu 2% werden Fieberkrämpfe beobachtet.8 Gefürchtet ist eine postinfektiöse Enzephalitis, die bei
0,1% bis 0,3% der Erkrankten meist innerhalb einer Woche
nach Beginn des Exanthems auftritt, häufiger bei Erwachsenen
als bei Schulkindern, und an der bis zu 25% der Betroffenen
versterben. Bei rund einem Drittel der Überlebenden kommt
es zu bleibenden Beeinträchtigungen wie schwerer Retardierung, Erblindung oder Hemiparese.8 Die Mortalität der Masern wird für Großbritannien mit 0,02%9 und für die USA mit
bis zu 0,3% angegeben.8
Eine sehr seltene Spätkomplikation ist die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die durchschnittlich vier
bis zehn Jahre (zum Teil bis 25 Jahre) nach einer Maserninfektion beginnt und innerhalb von ein bis drei Jahren zum Tode
führt. Die Häufigkeit wird auf 4-11/100.000 Masernerkrankungen geschätzt, wobei Kinder, die im ersten oder zweiten
Lebensjahr eine Maserninfektion durchmachen, besonders
häufig betroffen sind (< 1 Jahr: 18/100.000, 1 Jahr: 9,8/
100.000,  5 Jahre: 1,1/100.000).10,11 In einer aktuellen Publikation aus Deutschland wird für Kinder, die vor dem fünften
vor
®
86
arznei-telegramm® 2013; Jg. 44, Nr. 10
zurück
Geburtstag an Masern erkranken, ein sehr viel höheres Risiko
einer SSPE errechnet (30-59/100.000 Masernfälle).12 Die Berechnung basiert allerdings auf mehreren Schätzungen, die
miteinander verknüpft werden, und ist daher unseres Erachtens weniger zuverlässig.
IMPFUNG: Abgeschwächte Lebendimpfstoffe gegen Ma-
sern gibt es seit Anfang der 1960er Jahre, hierzulande seit
1967. In der Folge kamen Kombinationsimpfstoffe gegen Masern und Mumps (1976; früher MM-DIPLOVAX u.a.) sowie
zusätzlich gegen Röteln (1980, MMR-Impfstoff, PRIORIX
u.a.) und Varizellen (2006, PRIORIX TETRA) auf den Markt.
2012 hat Sanofi Pasteur MSD den Vertrieb des Masern-Einzelimpfstoffes (MASERN-IMPFSTOFF MERIEUX) eingestellt.
Er ist aber noch als Import von EurimPharm erhältlich.
In einer 1964 gestarteten, nach Geburtsdatum randomisierten (= quasi-randomisierten) Studie des britischen Medical Research Councils mit mehr als 36.000 Kindern zwischen
zehn Monaten und zwei Jahren verhindert der Masernimpfstoff
in den ersten neun Monaten nach einmaliger Immunisierung
84% der Erkrankungen. Für die darauf folgenden zwei Jahre,
in denen allerdings in der Kontrollgruppe nur noch Kinder
sind, deren Eltern ein Impfangebot nach neun Monaten nicht
wahrgenommen haben, wird die Effektivität mit 94% angegeben.13,14 Auch nach insgesamt 25-jährigem Follow-up findet
sich kein Hinweis auf ein Nachlassen der Immunität.15
Randomisierte plazebokontrollierte Studien zur klinischen
Wirksamkeit des MMR-Kombinationsimpfstoffes fehlen und
werden heute als unethisch erachtet.14,16 Drei randomisierte
Vergleichsstudien ergeben aber keinen Hinweis auf Unterschiede in den Serokonversionsraten nach Impfung mit einem
Masern-Einzelimpfstoff oder der MMR-Vakzine.14 In einem
Cochrane Review von 2011 wird die Effektivität des MMRImpfstoffs hinsichtlich der Verhinderung klinischer Masern
auf Basis von drei Kohortenstudien mit insgesamt 3.100 Kindern und nur mäßigem Verzerrungsrisiko nach einer Impfdosis mit mindestens 95% angegeben und für die Sekundärprophylaxe nach Haushaltskontakt mit 92% (bei einer Dosis, für
zwei Dosierungen 95%).16 Ein weiteres systematisches Review,
das auch Einzelimpfstoffe gegen Masern einbezieht, kommt zu
ähnlichen Ergebnissen.17
Als Beleg für die hohe Effektivität der Masernimpfung
kann auch die Elimination der Erkrankung auf dem amerikanischen Kontinent sowie beispielsweise in Finnland nach Erreichen hoher Impfquoten und Durchführung von Catch-upProgrammen unter anderem für Schulkinder herangezogen
werden.16,18 In Ländern mit guter Masernkontrolle sinkt zudem mit zeitlicher Verzögerung auch die Inzidenz der SSPE.
Kommt es in solchen Ländern zu erneuten Masernausbrüchen, steigt einige Jahre danach auch die Zahl der Neuerkrankungen an SSPE vorübergehend an.10
Häufige bis sehr häufige unerwünschte Effekte des MMRImpfstoffs sind vor allem Fieber (bei bis zu 15% ≥ 39 °C) und
Lokalreaktionen an der Injektionsstelle sowie Hautausschlag.
Das Risiko von Fieberkrämpfen ist erhöht.19,20 Bis zu 5% der
Impflinge entwickeln „Impfmasern” mit mäßigem Fieber,
flüchtigem Exanthem und respiratorischen Symptomen, meist
in der zweiten Woche nach der Impfung.3 Mehrere epidemiologische Studien weisen auf ein erhöhtes Risiko einer thrombozytopenischen Purpura hin, einer Erkrankung, die auch
nach Infektion mit Masern-Wildvirus beschrieben ist und
nach der Impfung meist mild verlaufen soll. Die Häufigkeit
wird auf 1/20.000 bis 1/50.000 Impfdosen geschätzt.16,20 Ein
Zusammenhang der Immunisierung mit dem Auftreten von
Masern-Enzephalitis, Autismus (vgl. a-t 2011; 42: 25-6), Asthma, Leukämie, Typ-1-Diabetes, Morbus Crohn, Heuschnupfen oder demyelinisierenden Erkrankungen lässt sich nicht
nachweisen. Für einige Mumps-Impfviren wird ein erhöhtes
Risiko einer aseptischen Meningitis errechnet, nicht aber für
den Stamm, der in den hierzulande angebotenen Vakzinen
verwendet wird.16
Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass die Masernimpfung selbst eine SSPE verursachen
kann. Soweit Gewebeproben Erkrankter untersucht wurden,
wurde dort immer ein Wildvirus nachgewiesen – auch bei Geimpften ohne Masernanamnese. Es gibt auch keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Immunisierung eine SSPE anstoßen oder den Verlauf beschleunigen kann.10
IMPFEMPFEHLUNG: In den alten Bundesländern wird
die Immunisierung seit 1973 empfohlen, zunächst mit einer
Dosis und seit 1991 mit zwei Dosierungen. In der DDR war
die einmalige Masernimpfung ab 1970 Pflicht, die Zweitimpfung für alle Kinder wurde dort 1986 eingeführt. Seit 2001 soll
die zweite Dosis bereits im zweiten Lebensjahr gegeben werden.21 Es handelt sich dabei nicht um eine Auffrischimpfung,
sondern die zweite Dosis soll die Ansprechrate erhöhen, da etwa 5% bis 10% der Impflinge nach der ersten Dosis keine Immunität entwickeln (primäre Impfversager).9 Alle Immunisierungen sind vorzugsweise mit einer MMR-Vakzine durchzuführen.21 Seit 2010 empfiehlt die Ständige Impfkommission
(STIKO) allen nach 1970 Geborenen über 17-Jährigen ohne
oder mit nur einmaliger Masernimpfung oder mit unklarem
Impfstatus die einmalige Immunisierung gegen Masern, ebenfalls vorzugsweise mit dem MMR-Impfstoff.22
Die Impfraten sind in den vergangenen Jahren zwar angestiegen, erfüllen die Bedingung für eine erfolgreiche Eliminierung der Masern jedoch nach wie vor nicht. Dafür sind dauerhafte Impfquoten von mindestens 95% für die Zweitimpfung
erforderlich. In Schuleingangsuntersuchungen lag der Anteil
der zweimal geimpften Kinder 2011 aber lediglich bei 92,1%.23
Da dabei nur die Kinder einbezogen werden, die einen Impfausweis vorlegen, und aus Ausbruchsuntersuchungen bekannt
ist, dass die Durchimpfung bei Kindern, für die kein Impfdokument vorgelegt wird, schlechter ist, dürften die Impfraten
noch überschätzt sein.21 Aus Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen wird zudem deutlich, dass die Immunisierung häufig nicht zeitgerecht erfolgt: Von den untersuchten im Jahr 2008 geborenen Kindern erhielten bis zum
Alter von zwei Jahren nur 59,8% beide Masernimpfungen.24
In mehreren Untersuchungen fallen dabei erhebliche regionale Unterschiede auf: So liegen die Impfraten in den einzelnen Bundesländern zwischen 88,6% (Bayern) und 96,1%
(Mecklenburg Vorpommern).21,23 Noch größere Differenzen
ergeben sich auf Landkreisebene,21,24 wo in den vergangenen
Jahren beispielsweise in Bayern Spannen zwischen 54% und
93% für die zweite Masernimpfung festgestellt wurden.21
Die regionalen Unterschiede begünstigen Masernausbrüche, deren Risiko sowohl durch die Zahl als auch durch die
Verteilung von Personen bestimmt wird, die nicht gegen die
Erkrankung geschützt sind. Daher kommt es in Deutschland,
aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, immer
wieder zu teilweise ausgedehnten Masernwellen mit Infektionszahlen, die im Bereich der jetzt beobachteten Erkrankungshäufigkeit liegen (z.B. 2011: 1.608 Erkrankungen, 2006:
2.308).5,21 Das Kriterium für eine Eliminierung der Masern,
eine jährliche Inzidenz von maximal einer Erkrankung pro
1 Mio. Einwohner, hat Deutschland noch nie erreicht: In den
vergangenen zehn Jahren betrug die niedrigste Neuerkrankungsrate 1,5/1 Mio. (2004), die höchste 28,2/1 Mio (2006).5
Während der Anteil der gemeldeten Erkrankungen mit
Komplikationen seit 2001 ziemlich konstant zwischen 5% und
7% liegt, stieg der Anteil der aufgrund von Masern Hospitalisierten von 9% im Jahr 2001 auf 25% im Jahr 2012. Dies dürfte unter anderem auf eine Verschiebung des Erkrankungsalters
in höhere Altersgruppen zurückzuführen sein: 2012 waren etwa 70% der Masernkranken zehn Jahre und älter und knapp
39% über 20 Jahre alt. Die höchste altersspezifische Inzidenz
wird seit Jahren allerdings bei den Ein- und unter Einjährigen
beobachtet. Mögliche Ursache ist neben einer nicht zeitgerecht durchgeführten Impfung ein unzureichender Nestschutz. Zum einen weisen geimpfte Frauen niedrigere Antivor
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
MasernImpfstoff:
MEASLES
VACCINE
(CH)
MasernMumpsRötelnImpfstoff:
PRIORIX
(A, CH)
MasernMumpsRötelnWindpockenImpfstoff:
PRIORIX
TETRA
(A, CH)
87
arznei-telegramm® 2013; Jg. 44, Nr. 10
zurück
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Salmeterol:
SEREVENT
(A, CH)
Tiotropium
Kapseln zur
Inhalation:
SPIRIVA
(A, CH)
Tiotropium
Lösung zur
Inhalation:
SPIRIVA
RESPIMAT
(A)
körpertiter auf als solche nach einer Maserninfektion, und die
Leihimmunität bei den Kindern dieser Mütter hält im Durchschnitt weniger lang an. Zudem steigt der Anteil der Frauen
im gebärfähigen Alter, die überhaupt keine Immunität gegen
Masern haben.5
Die Ursachen für die zum Teil schlechte Akzeptanz der
Masernimpfung und die bestehenden Impflücken sind vielfältig: In einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) im Sommer 2012 von Personen, die nach
1970 geboren sind, geben 80% an, noch nie von der Impfempfehlung der STIKO gehört zu haben. Ein Viertel derjenigen
mit unvollständigem oder unklarem Immunstatus stufen Masern als „keine besonders schwere Krankheit” ein, 18% haben
„Angst vor Nebenwirkungen”. Nur 13% äußern die Absicht,
sich in den nächsten zwölf Monaten gegen Masern impfen zu
lassen.25
Noch alarmierender sind die Ergebnisse einer Elternbefragung: Fast ein Viertel gibt an, kein Vertrauen in die öffentlichen Impfempfehlungen zu haben. Nebenwirkungen, die ärztlich behandelt werden müssen, treten nach Ansicht von 14%,
bleibende gesundheitliche Schäden nach Meinung von 6%
sehr oft oder oft als Folge von Impfungen auf. 21% glauben,
dass Impfungen eine Ursache für die Zunahme von Allergien
sind. Andererseits schätzt mehr als ein Drittel Masern als
harmlos ein. Knapp 70% glauben, „dass es gut für die Entwicklung ihres Kindes ist, wenn es die eine oder andere ,Kinderkrankheit’ durchmacht”.26
In der anthroposophischen Weltanschauung kommt dabei
den Masern eine besondere Bedeutung zu.27 Belastbare Belege
dafür, dass das Durchmachen der Masern wichtig für die kindliche Entwicklung ist oder einen Schutz vor Allergien bietet,
gibt es unseres Wissens jedoch nicht.
Um die Impfbereitschaft zu erhöhen, ist eine verstärkte
Information sowohl über die Masernerkrankung und die
Häufigkeit sowie die Schwere von Komplikationen als auch
über die Datenlage zu Nutzen und Risiken der Immunisierung unerlässlich. Dabei sollte auch auf Ängste über vermeintliche Risiken der Impfung sowie auf Behauptungen
angeblich positiver Effekte der Masern eingegangen werden.
Die Aufklärung sollte nicht nur die individuellen Aspekte,
sondern auch die gesellschaftlichen Folgen einer Entscheidung für oder gegen eine Immunisierung beinhalten.
(R = randomisierte Studie)
1 LARSON, H. et al.: Drug Saf. 2012; 35: 1053-9
2 WHO Regional Office for Europe: Eliminating measles and rubella, Stand
2012; http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/156776/e96153Eng-final-version.pdf
3 RKI: Ratgeber für Ärzte Masern, Stand Sept. 2010
4 Apotheke adhoc vom 11. Sept. 2013: Sprunghafter Anstieg bei Masern
5 MATYSIAK-KLOSE, D.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1231-7
6 ISER, J.: taz vom 20. Sept. 2013, Seite 18
7 NÖSSLER, D.: Ärzte Ztg. online vom 22. Juli 2013
8 PERRY, R.T. et al.: J. Infect. Dis. 2004; 189 (Suppl. 1): S4-16
9 SALISBURY, D. et al. (Hrsg.): Immunisation against infectious disease (the
Green Book): Measles, Stand Jan. 2013
10 CAMPBELL, H. et al.: Int. J. Epidemol. 2007; 36: 1334-48
11 MILLER, C. et al.: Int. J. Epidemol. 1992; 21: 998-1006
12 SCHÖNBERGER, K. et al.: PloS One 2013; 8: e68909 (8 Seiten)
R 13 Measles Vaccines Committee : BMJ 1968; 2: 449-52
14 ELLIMAN, D. et al.: Measles, mumps and rubella: prevention. Clinical
Evidence 2009; 12: 316 (23 Seiten, Stand Juli 2007)
15 RAMSAY, M.E.B. et al.: Epidemiol. Infect. 1994; 112: 409-12
16 DEMICHELI, V. et al. : Vaccines for measles, mumps and rubella in
children, Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Mai 2011,
Zugriff Okt. 2013
17 UZICANIN, A. et al.: J. Infect. Dis. 2011; 204 (Suppl. 1): S133-48
18 WICHMANN, O. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1260-9
19 GSK: Fachinformation PRIORIX, Stand März 2013
20 MENTZER, D. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1253-9
21 POETHKO-MÜLLER, C. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1243-52
22 STIKO: Epid. Bull. 2010; Nr. 32: 315-22
23 RKI: Epid. Bull. 2013; Nr. 16: 129-33
24 SCHULZ, M. et al.: Masernimpfungen bei Kindern bis zu einem Alter von
zwei Jahren, Versorgungsatlas.de vom 18. Juli 2013
25 GACZKOWSKA, A. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56: 1270-8
26 BZgA, FORSA: Elternbefragung zum Thema „Impfen im Kindesalter”, Ergebnisbericht, Mai 2011
27 Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland: Merkblatt Masern,
Stand Apr. 2013
Therapiekritik
TIOTROPIUM-LÖSUNG (SPIRIVA RESPIMAT)
…Sicherheitsstudie veröffentlicht
Das inhalative Anticholinergikum Tiotropium (SPIRIVA)
gehört zu den langwirkenden Bronchodilatatoren zur Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Tiotropium mindert die Exazerbationsrate bei COPD sowohl
im Vergleich zu Plazebo als auch im Vergleich zu den hier
ebenfalls empfohlenen langwirkenden Betamimetika-Inhalaten wie Salmeterol (SEREVENT, Generikum).1 Die Mehrzahl
der vorliegenden Studien, darunter alle Vergleiche mit Betamimetika, wurde mit dem älteren Pulverinhalat durchgeführt.
Im Unterschied zum Pulverinhalat (Tagesdosis 18 μg), dessen
Sicherheit durch die große vierjährige UPLIFT*-Studie hinreichend belegt ist (a-t 2008; 39: 111),2 ergibt sich in mehreren
Einjahresstudien mit der neueren Inhalationslösung (SPIRIVA
RESPIMAT, 5 μg/Tag**) ein Risikosignal auf Übersterblichkeit gegenüber Plazebo (a-t 2010; 41: 118),3 möglicherweise
besonders bei vorbestehenden Herzrhythmusstörungen oder
anderen kardialen Erkrankungen.4
Aktuell wird die randomisierte doppelblinde TIOSPIR*Studie publiziert, in der bei 17.135 Patienten zwei Dosierungen der Tiotropium-Inhalationslösung (die zugelassene Tagesdosis von 5 μg sowie täglich 2,5 μg) mit dem Pulverinhalat
verglichen werden. Primärer Sicherheitsendpunkt ist die Gesamtsterblichkeit. Die Studie ist hier auf Nichtunterlegenheit
beider Dosierungen der Lösung gegenüber dem Pulver angelegt. Darüber hinaus prüft die Studie die Überlegenheit von
5 μg Lösung pro Tag im Vergleich zum Pulver im Hinblick auf
das Exazerbationsrisiko.5
Die im Mittel 65 Jahre alten Teilnehmer sind Raucher oder
Exraucher und haben mehrheitlich eine mittelschwere bis
schwere COPD. Die meisten sind vorbehandelt, jeweils rund
60% verwenden eingangs langwirkende Betamimetika bzw. inhalative Glukokortikoide, die in der Studie beibehalten werden können. 11% haben Herzrhythmusstörungen in der Vorgeschichte, 15% eine koronare Herzkrankheit (KHK). Wie in
der UPLIFT-Studie gehören Herzinfarkte in den letzten sechs
Monaten und Krankenhausaufnahmen wegen schwerer Herzinsuffizienz oder interventionsbedürftige lebensbedrohliche
oder instabile Herzrhythmusstörungen in den letzten zwölf
Monaten zu den Ausschlusskriterien.5
In allen Gruppen setzen jeweils 23% die Medikation vorzeitig ab. Nichtunterlegenheit gemäß Studienplanung wird
für beide RESPIMAT-Dosierungen nachgewiesen: Im Verlauf
von durchschnittlich 2,3 Jahren sterben unter dem Pulver
7,7% der Patienten, unter 5 μg Lösung 7,4% (Hazard Ratio
[HR] 0,96; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,84-1,09) und unter
2,5 μg Lösung 7,7% (HR 1,00; 95% CI 0,87-1,14). Die Nachbeobachtung ist mit über 99% vollständig. Ähnliches ergibt
sich, wenn nur die Zeit bis 30 Tage nach Absetzen der Studienmedikation betrachtet wird (5 μg: HR 0,91; 95% CI 0,791,06). Subgruppenmerkmale einschließlich KHK oder Rhythmusstörungen in der Vorgeschichte haben keinen Einfluss auf
das Ergebnis. Signifikante Unterschiede finden sich auch nicht
im Hinblick auf schwerwiegende unerwünschte Effekte. Myokardinfarkte kommen unter der Lösung aber jeweils numerisch häufiger vor als unter dem Pulver (1,3% bzw. 1,2% versus 0,9%).5
Vorteile der RESPIMAT-Zubereitung sind nicht erkennbar: 48% der Patienten in der 5-μg-Gruppe erleiden Exazerbationen, von denen 20% schwer verlaufen, im Vergleich zu 49%
(davon 19% schwer) unter dem Pulver und 49% (davon 20%
schwer) in der 2,5-μg-Gruppe.5
*
**
TIOSPIR = Tiotropium Safety and Performance in Respimat
UPLIFT = Understanding the Potential Long-term Impacts on Function with
Tiotropium
geringere Dosis wegen besserer Lungenverfügbarkeit der Lösung
vor