„Am Anfang war der Tanz und nicht das Wort“ (Rudolf von Laban)

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„Am Anfang war der Tanz und nicht das Wort“ (Rudolf von Laban)
„Am Anfang war der Tanz und nicht das Wort“
(Rudolf von Laban)
Universität Duisburg-Essen
Fachbereich Erziehungswissenschaft
AkzepTANZ
Tanz als Medium der interkulturellen Pädagogik in der
offenen Ganztagsgrundschule
Diplomarbeit DII
Erstgutachterin: Prof. Dr. Renate Nestvogel
Zweitgutachterin: Prof. Dr. Maria Dietzel-Papakyriakou
Diana Determann
Einigkeitstr.22
45133 Essen
Matr.Nr. ES 0117516700
WS 2005/2006
Abgabe: 13.11.2005
INHALTSVERZEICHNIS
1.
EINLEITUNG .............................................................................................. 1
2.
DIE MULTIKULTURELLE GESELLSCHAFT ..................................... 4
2.1
Deutschland: (K)ein Einwanderungsland.................................................. 4
2.2
Annäherung an einen streitbaren Begriff .................................................. 5
2.3
Integrative Fragen an die multikulturelle Gesellschaft............................ 7
3.
INTERKULTURELLE PÄDAGOGIK ................................................... 10
3.1
Anmerkungen zum Kulturbegriff im Kontext interkultureller
Pädagogik.................................................................................................... 10
3.1.1 Der Begriff der Kultur: Versuch einer Definition............................. 11
3.1.2 Dimensionen des Kulturbegriffs ....................................................... 12
3.1.3 Kultur und Identität ........................................................................... 17
3.2
Konzept im Wandel: Von der Ausländer- zur interkulturellen
Pädagogik.................................................................................................... 19
3.2.1 Kurze Geschichte der interkulturellen Pädagogik............................. 20
3.2.2 Multikulturelle Gesellschaft und interkulturelle Pädagogik ............. 21
3.3
Ziele interkultureller Pädagogik............................................................... 24
3.3.1 Erkennen des eigenen unvermeidlichen Ethnozentrismus................ 25
3.3.2 Grundlegung von Anerkennung/Toleranz......................................... 26
3.3.3 Umgehen mit Befremdung................................................................ 27
3.3.4 Umgang mit Differenzen................................................................... 28
3.3.5 Multiperspektivische Bildung ........................................................... 30
3.3.6 Antirassistische Erziehung ................................................................ 31
3.3.7 Zusammenfassung der Ziele interkultureller Pädagogik................... 32
4.
DIE OFFENE GANZTAGSGRUNDSCHULE ALS ORT
INTERKULTURELLEN LERNENS ...................................................... 34
4.1
Interkulturelles Lernen in der Grundschule ........................................... 34
4.1.1 Theoretischer Exkurs: Kinder und Vorurteile................................... 34
4.1.2 Interkulturelles Lernen in der Grundschule ...................................... 36
4.2
Zum Konzept der offenen Ganztagsgrundschule in NRW .................... 39
4.2.1 Interkulturelles Lernen in der offenen Ganztagsgrundschule ........... 39
4.2.2 Die offene Ganztagsschule in NRW ................................................. 41
5.
TANZ........................................................................................................... 44
5.1
„Jeder Mensch ist ein Tänzer“: Einführende Betrachtungen zum
Thema Tanz ................................................................................................ 45
5.2
Wirkfaktoren vom Tanz ............................................................................ 47
5.2.1 Bedeutung für das Selbstkonzept ...................................................... 48
5.2.2 Bedeutung für Entwicklung auf der sozialen Ebene ......................... 51
5.2.3 Bedeutung für die affektive Entwicklung ......................................... 51
5.2.4 Bedeutung für die kognitive Entwicklung ........................................ 53
5.2.5 Zusammenfassung............................................................................. 53
5.3
Kreativer Kindertanz ................................................................................ 54
5.3.1 Exkurs Kreativität ............................................................................. 54
5.3.2 Kreativer Kindertanz......................................................................... 57
5.4
Tanz in der Schule...................................................................................... 59
5.4.1 Kurzer historischer Abriss ................................................................ 60
5.4.2 Vorstellung des Projekts „Tanz in der offenen Ganztagsgrundschule“............................................................................................... 61
6.
MÖGLICHKEITEN UND ZIELE VON TANZ ALS MEDIUM
INTERKULTURELLER PÄDAGOGIK ................................................ 63
6.1
Allgemeine theoretische Grundannahmen: Zum Zusammenspiel von
Körper, Interkulturalität und Tanz ......................................................... 64
6.2
Die sozialen und interkulturellen Lernpotenziale des Tanz................... 67
6.2.1 Soziales Lernen durch Tanz? .............................................................. 67
6.2.2 Interkulturelles Lernen durch Tanz? ................................................... 70
6.3
Zusammenfassung...................................................................................... 74
7.
SCHLUSSBETRACHTUNG .................................................................... 76
8.
LITERATURVERZEICHNIS .................................................................. 80
Einleitung
1. Einleitung
„Denkt ja nicht, dass
(Royston Maldoom)
ihr
bloß
tanzt!“
Das Gesellschaftsbild Deutschlands und der anderen westlichen Industrienationen
hat sich in den vergangen Jahrzehnten im Zuge von Migrationsprozessen nachhaltig verändert. In Deutschland leben heute gut 14 Millionen Menschen mit
Migrationshintergrund – jeder sechste Einwohner weist somit einen Migrationshintergrund auf. Aufgrund demografischer Veränderungen wird der prozentuale
Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zukünftig weiter
steigen. Kulturelle Vielfalt ist somit ein wesentliches Merkmal unserer heutigen
Gesellschaft. Diese Veränderungen mitsamt ihren Chancen und Konflikten als gesamtgesellschaftliche Herausforderungen anzuerkennen, muss eines der handlungsleitenden Gebote aller gesellschaftlichen Akteure sein.
Als Teildisziplin der Pädagogik nimmt sich interkulturelle Pädagogik in
besonderer Weise den Herausforderung der multikulturellen Gesellschaft an. Gefragt sind jedoch nicht nur bereits etablierte Konzepte. Interkulturelle Pädagogik
muss vielmehr nach neuen Wegen suchen und ihren eigenen konzeptionellen und
praxisrelevanten Rahmen erweitern, um auch zukünftig die an sie gerichteten Erwartungen im Umgang mit den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft gerecht zu werden. Auf der Suche nach neuen Mitteln und Formen kann es
durchaus hilfreich sein, sich auf verschlungene Pfade zu begeben, um sich den
Zielen interkulturellen Lernens zu nähern. In dieser Arbeit begebe ich mich auf
einen solchen Weg, nicht ohne Hoffnung, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten,
den Methodenkoffer interkultureller Pädagogik um das Thema Tanz zu erweitern.
Ob Tanz ein gangbarer Weg interkulturellen Lernens sein kann, ist die zielführende Fragestellung dieser Arbeit. Dabei werden nicht nur mögliche
Wirkungszusammenhänge zwischen Tanz und interkulturellem Lernen beleuchtet,
sondern es wird darüber hinaus der Frage nach einem möglichen institutionellen
Rahmen nachgegangen. Der Annahme folgend, dass interkulturelles Lernen schon
im frühen Kindesalter ansetzen sollte, wird mit der offenen Ganztagsgrundschule
ein solcher Rahmen untersucht. Ob und inwieweit die offene Ganztagsgrundschule als institutioneller Rahmen für interkulturelles Lernen im Allgemeinen und
1
Einleitung
den Tanz als Medium interkulturellen Lernens im Besondern auch tatsächlich
trägt, ist ein weiterer Aspekt, der in der Arbeit behandelt wird. Diese Fragen
sollen gewissermaßen als Kompass zur Orientierung für diese Arbeit dienen.
Mit dem ersten Kapitel „Die multikulturelle Gesellschaft“ soll auf deskriptiver
und normativer Ebene die gesellschaftliche Kulisse gezeichnet werden, vor der
sich Konzepte und Theorien interkultureller Pädagogik seit Beginn der 1980er
Jahre entwickelt haben.
In einem zweiten Schritt werden - nach einigen theoretischen Vorüberlegungen
zum Begriff der Kultur - die Ziele interkultureller Pädagogik skizziert. Sie bilden
gleichsam das theoretische Fundament für den weiteren Verlauf der Arbeit.
Als Zwischenschritt wird anschließend mit der offenen Ganztagsgrundschule in
Nordrhein-Westfalen ein möglicher institutioneller Rahmen als Ort interkulturellen Lernens vorgestellt.
In einem zweiten großen Theorieblock werden schließlich einige tanztheoretische
Grundlagen erarbeitet. Das Hauptaugenmerk gilt hierbei den Wirkfaktoren des
Tanzes auf sozialer, affektiver und kognitiver Ebene sowie deren Bedeutung für
das Selbstkonzept. Gleichsam wird mit der Vorstellung des Projekts „Tanz in der
offenen
Ganztagsgrundschule“
eine
Rückkopplung
zum
vorangestellten
institutionellen Rahmen vorgenommen.
Mit dem Kapitel „Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium der interkulturellen Pädagogik“ befinde ich mich schließlich auf dem bereits erwähnten
verschlungenen Pfad. Im Vordergrund dieses, die beiden großen theoretischen
Themenkomplexe verbindenden Kapitels, steht die Frage, ob und wie tanzpädagogische Maßnahmen einen Beitrag für das Erreichen der Ziele interkultureller Pädagogik leisten können.
Vorweg noch eine Anmerkung zu dem für diese Arbeit gewählten Begriff der
AkzepTANZ:
AkzepTANZ beinhaltet die Annahme, dass Tanz ein vielversprechendes Medium
sein kann, das einen Beitrag zur wechselseitigen Akzeptanz des jeweils ‚fremden’
leisten kann. Dabei soll Akzeptanz bzw. akzeptieren verstanden werden als aner2
Einleitung
kennen, annehmen. In der multikulturellen Gesellschaft kommt dem Aspekt der
Akzeptanz / Anerkennung vor dem Hintergrund kultureller Differenzen eine besondere Bedeutung zu. Gelingt es innerhalb der multikulturellen Gesellschaft
nicht, ein Klima der wechselseitigen Akzeptanz bzw. wechselseitigen Anerkennung unterschiedlicher kultureller Lebensformen bzw. –wirklichkeiten zu
schaffen, kann dies folgenreiche Auswirkungen sowohl auf der individuellen als
auch auf der gesellschaftlichen Ebene haben. Bezogen auf die individuelle Ebene
beschreibt Taylor diese Auswirkungen wie folgt:
„Die These lautet, unsere Identität werde teilweise von der Anerkennung oder
Nicht-Anerkennung, oft auch von der Verkennung durch die anderen geprägt, so
dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen wirklich Schaden nehmen, eine
wirkliche Deformation erleiden kann, wenn die Umgebung oder die Gesellschaft ein
einschränkendes, herabwürdigendes oder verächtliches Bild ihrer selbst zurückspiegelt. Nichtanerkennung oder Verkennung kann Leiden verursachen, kann eine
Form von Unterdrückung sein, kann den anderen in ein falsches deformiertes
Dasein einschließen.“1
In diesem Sinne steht die interkulturelle Pädagogik gewissermaßen in der gesellschaftlichen Verantwortung nach möglichen Wege zu suchen, die ein Klima der
Anerkennung für das Individuum erfahrbar machen. Die Beantwortung der Frage,
ob und wie Tanz hierzu etwas beisteuern kann, ist das zentrale Anliegen dieser
Arbeit.
1
Taylor (1997, 14f.)
3
Die multikulturelle Gesellschaft
2. Die multikulturelle Gesellschaft
Der Begriff der multikulturellen Gesellschaft steht seit Anfang der 1980er Jahre
sowohl in Deutschland als auch in anderen westlichen Ländern im Blickpunkt
wissenschaftlicher und politischer Diskussionen. Zentraler Hintergrund der Diskussion über eine multikulturelle Gesellschaft sind internationale Migrationsprozesse, zu denen insbesondere Prozesse der Arbeitsmigration und Flüchtlingsbewegungen gehören. Die Prozesse der internationalen Wanderungs- bzw.
Fluchtbewegungen werden durch eine Vielzahl sogenannter push – und pull Faktoren verursacht.2 Vor allem aber werden sie durch Verhältnisse von struktureller
oder direkter Gewalt auf nationaler und/oder internationaler Ebene bedingt.
Der Begriff der Multikulturellen Gesellschaft lässt sich sowohl in einem
normativen als auch in einem deskriptiven Sinn verwenden. Im deskriptiven Sinn
wird die multikulturelle Gesellschaft als ein sozialer Tatbestand aufgefasst. Dieser
soziale Tatbestand wird jedoch nicht als ein statisches Phänomen, sondern als ein
historisch-dynamisches
Phänomen
des
Zusammenlebens
von
Menschen
verschiedener kultureller und ethnischer Herkunft verstanden. Bei der normativen
Kontroverse um die multikulturelle Gesellschaft geht es im Kern um die Frage,
wie dieser soziale und kulturelle Wandel interpretiert und wie auf ihn gesellschaftspolitisch bzw. pädagogisch reagiert werden soll.
2.1 Deutschland: (K)ein Einwanderungsland
In Deutschland war die politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte
in den vergangenen Jahrzehnten geprägt durch einen Dissens, der sich daran entfachte, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Der analytischdeskreptive Blick auf die demografische Struktur gibt hierzu ein relativ klares
Bild ab: Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten bunter geworden. So
leben heute in der Bundesrepublik 7,3 Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahren
2
Unter „push“-Faktoren werden die Auswanderungs- bzw. Fluchtmotive wie bspw. Krieg, Armut,
religiöse Intoleranz, politische Verfolgung und der Wunsch nach Verbesserung der Lebensbedingungen verstanden, unter „pull“-Faktoren die Anreize der Aufnahmeländer wie beispielsweise. materielle Unterstützung, privilegierter Rechtsstatus, Religionsfreiheit.
4
Die multikulturelle Gesellschaft
über 4 Millionen Aussiedler mit einem deutschen Pass – meist aus Osteuropa
kommend - eingewandert. Des weiteren wachsen rund 1,5 Millionen Kinder in binationalen Ehen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf. Und seit der Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts wurden über eine Millionen Ausländer zu Deutschen.
Zusammen leben gut 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der
Bundesrepublik Deutschland – bei einer Gesamtbevölkerung von 82,5 Millionen
ist das nahezu jeder sechste Einwohner.3
Diese Zahlen beschreiben die Realität einer Einwanderungsgesellschaft, deren
sprachliche, ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt stetig gewachsen ist. Und
aufgrund demografischer Faktoren wird der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund zukünftig weiter wachsen. Schon heute hat jedes vierte Neugeborene
mindestens einen ausländischen Elternteil und in Westdeutschland hat jeder dritte
Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Als sozialer Tatbestand lässt sich die
multikulturelle Gesellschaft ebenso wenig leugnen wie – eng damit verbunden –
die Tatsache, dass die Bundesrepublik „objektiv, gemessen an ihren statistischen
Einwanderungsgewinnen, ein Einwanderungsland (ist).“4 Die Gräben innerhalb
der (gesellschafts-) politischen Debatte müssen also vielmehr entlang der
normativen Ausgestaltung der multikulturellen Realität verlaufen. Bade
konstatiert in diesem Zusammenhang:
„Die Bewegung von Menschen über Grenzen, von Grenzen über Menschen und die
Begegnung der Kulturen gehören zu den Kernproblemen unserer Zeit. Was den
einen kulturelle Bereicherung ist, verstehen andere als existentielle Bedrohung der
eigenen Kultur. Unterschiedliche historische Erfahrungen, verschieden gelagerte
aktuelle Probleme, politische Positionen und ‚Weltanschauungen’ führen zu unterschiedlichen
Antworten auf die multikulturelle Herausforderung in Geschichte, Gegenwart und
absehbarer Zukunft.“5
2.2 Annäherung an einen streitbaren Begriff
Hinter dem Begriff bzw. dem sozialen Tatbestand der ‚multikulturellen Gesellschaft’ haben sich seit den frühen 1980er Jahren sehr unterschiedliche
3
Beck (2005: 3)
Radtke (1997: 33)
5
Bade (1996: 9)
4
5
Die multikulturelle Gesellschaft
programmatische Ansätze versammelt, was auf seiner normativen Ebene zu einer
inhaltlichen Diffusion geführt hat. Die Popularität des multikulturellen Gesellschaftsprogramm sieht Radtke darin begründet, „weil hier konstruktive und
humane Handlungsmöglichkeiten zu liegen scheinen.“6 Aber gerade diese
Handlungsmöglichkeiten haben dazu beigetragen, dass die sich als multikulturell
verstehenden Gesellschaftsentwürfe in ihrer normativ-programmatischen Auslegung sehr unterschiedlich sind. Für Radtke wurde mit den Konzepten des Multikulturalismus das im Spannungsfeld zwischen rechtlicher Integration und sozialer
Ausgrenzung liegende Problem von der strukturellen auf die kulturelle Ebene verschoben:
„Aus dem Dilemma zwischen den unerwünschten Folgen von Abschiebung, Ausgrenzung und Ghettoisierung auf der einen Seite und dem fehlenden Konsens über
eine vollständige rechtliche und staatsbürgerliche Integration schien das Konzept
des Multikulturalismus einen Ausweg zu weisen. Multikulturalismus als Option war
der in der Mitte liegende Kompass.“7
In Anlehnung an Radtke unterscheidet Bade insgesamt vier unterschiedlich angelegte Konzepte von Multikulturalismus: Das programmatisch-pädagogische
Konzept impliziert dabei die Idee der interkulturellen Erziehung. Es setzt auf
gegenseitige Respektierung und Anerkennung der kulturellen Gleichwertigkeit
und verfolgt das Ziel „das tolerante Nebeneinander von Lebensformen nach dem
Pluralismusmodell zu organisieren.“8 Neben das Konzept des progammatischpädagogischen Multikulturalismus stellt er die Konzepte des kulinarischzynischen, des demografisch-instrumentellen und reaktiv-fundamentalistischen
Multikulturalismus.9 Da die konzeptionellen Ideen dieser Entwürfe im Verlaufe
dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden, soll an dieser Stelle nicht weiter auf sie
eingegangen werden. Mit der bloßen Etikettierung soll lediglich die Spannbreite
der multikulturellen Programmatik angedeutet werden.
In Anbetracht der - hier nur schemenhaft angerissenen - programmatischen Diffusion von Multikulturalität erscheint es an dieser Stelle angebracht, eine
6
Radtke (1997: 36)
ebd.
8
Radtke (1990), zit. nach Bade (1996: 17)
9
vgl. Bade (1996: 17ff)
7
6
Die multikulturelle Gesellschaft
programmatische Position zu beziehen. Die Chancen einer multikulturellen
Gesellschaft sollen im (pädagogischen) Fokus der Auseinandersetzung mit eben
dieser stehen – ohne dabei die Risiken außer Acht zu lassen. Schultze folgend ist
es wichtig, „die sich entlang ethnischer Differenzierung ausbrechenden Konfliktlinien zu erkennen und die sich darin ausdrückenden Interessensgegensätze und
Benachteiligungen ernst zu nehmen.“10 Die weiter oben bereits erwähnte Anerkennung der kulturellen Gleichwertigkeit und die gleichberechtigte Koexistenz
der Lebensformen in einer pluralistischen Gesellschaft sind die inhaltlichpragmatischen Grundideen des dieser Arbeit zugrunde liegende normativen Verständnisses einer multikulturellen Gesellschaft. Gleichberechtigte Koexistenz der
Lebensformen in einer multikulturellen Gesellschaft soll dabei im Sinne
Habermas verstanden werden:
„In multikulturellen Gesellschaften bedeutet die gleichberechtigte Koexistenz der
Lebensformen für jeden Bürger eine gesicherte Chance, ungekränkt in einer
kulturellen Herkunftswelt aufzuwachsen und seine Kinder darin aufwachsen zu
lassen, die Chance sich mit dieser Kultur – wie mit jeder anderen auseinanderzusetzen, sie konventionell fortzusetzen oder sie zu transformieren, auch die Chance,
sich von ihren Imperativen gleichgültig abzuwenden oder selbstkritisch loszusagen,
um fortan mit dem Stachel eines bewusst vollzogenen Traditionsbruchs (oder gar
mit gespaltener Identität) zu leben. Der beschleunigte Wandel moderner Gesellschaften sprengt alle stationären Lebensformen. Kulturen bleiben nur am Leben,
wenn sie aus Kritik und Sezession die Kraft zur Selbsttransformation ziehen.“11
2.3 Integrative Fragen an die multikulturelle Gesellschaft
„Multikulturalität ist eine Tatsache, Integration ist eine Aufgabe.“12 Unter dieser
Überschrift fasst die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration Marieluise Beck das integrationspolitische Programm der
scheidenden Bundesregierung zusammen. Integration als Aufgabe impliziert jedoch auch die Möglichkeit des Scheiterns von gesellschaftlichen Integrationsangeboten bzw. individuellen Integrationsentwürfen. Insbesondere Heitmeyer hat
in seinen bisherigen Arbeiten auf die desintegrativen Tendenzen innerhalb einer
multikulturellen Gesellschaft hingewiesen. Desintegration versteht Heitmeyer in
10
Schultze (1992:8)
Habermas (1997:175)
12
Beck (2005: 7)
11
7
Die multikulturelle Gesellschaft
erster Linie als Auflösungsprozesse, die entlang der folgenden drei Dimensionen
verlaufen können:
a) die Auflösung von Beziehungen zu anderen Personen oder Institutionen
b) die Auflösung faktischer Teilnahme an gesellschaftlichen Institutionen
c) die Auflösung der Verständigung über gemeinsame Norm- und Wertvorstellungen.13
Die Auswirkungen individueller Auflösungs- oder Desintegrationsprozesse hat
die jüngste Welle der Gewalt in Frankreichs Städten eindringlich aufgezeigt. Ob
aber, wie der Spiegel unter der Überschrift „Aufruhr in Eurabia“ berichtet, „der
Traum eines friedlichen Multikulti-Miteinanders zerplatzt“14, sei an dieser Stelle
dahingestellt:
„Was als ethnischer oder kultureller Konflikt erscheint, entpuppt sich oft im Kern
als soziale Frage. Migranten sind heute weit überdurchschnittlich arbeitslos und
von Armut bedroht, ihre Kinder scheitern schon früh am deutschen Bildungssystem
und geraten in das gleiche soziale Abseits wie ihre Eltern. (...) Erfolgreiche Einwanderungsgesellschaften ermöglichen einen sozialen Fahrstuhl-Effekt über die
Generationen hinweg: Aufstieg durch harte Arbeit und Bildung. In Deutschland
steckt ein Großteil der Migranten zwischen Keller und Erdgeschoss fest. Was die
Präsenz von Immigranten in den Führungsetagen von Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft betrifft, sind wir nachgerade ein Entwicklungsland.“15
Festzuhalten bleibt, dass gerade die multikulturelle Gesellschaft besondere
Integrationskonzepte braucht. Die Forderung nach einer interkulturellen Öffnung
gesellschaftlicher Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstellenund Arbeitsmarkt sollte hierbei oberste Priorität auf der gesellschaftspolitischen
Agenda für multikulturellen Integration haben:
„Es geht nicht darum, die Bindungen der Einwanderer zu ihrem Herkunftsland,
seiner Sprache und Kultur zu kappen. Aber es geht sehr wohl darum, sie für das
Land zu gewinnen, in dem sie jetzt leben. Erfolgreiche Integration bedeutet die Verwandlung von Fremden in Bürger. Tatsächlich gibt es Anzeichen, dass die Entfremdung zwischen Migranten der zweiten und dritten Generation und der Mehr-
13
vgl. Heitmeyer (1994: 378)
Falksohn (2005)
15
Fücks (2005)
14
8
Die multikulturelle Gesellschaft
heitsgesellschaft wächst. Das ist ein Alarmzeichen. Wenn die Zuwanderer aus der
Türkei sich nicht mit ihrer neuen Heimat identifizieren, werden sie eine nationale
Minderheit in Deutschland bilden. Das mag man unter Berufung auf das
zusammenwachsende Europa für undramatisch halten - darin kann aber für die Zukunft erheblicher politischer und sozialer Konfliktstoff stecken. Auch vor diesem
Hintergrund sollten wir das Leitbild der multikulturellen Republik keinesfalls ad
acta legen. Wir werden es noch brauchen.“16
16
ebd.
9
Interkulturelle Pädagogik
3. Interkulturelle Pädagogik
In diesem Kapitel soll nunmehr ein theoretischer Rahmen der interkulturellen
Pädagogik gezogen werden. Der Begriff der Kultur ist in dem Konzept der interkulturellen Pädagogik von elementarer Bedeutung. Daher soll zunächst der
Begriff der Kultur beleuchtet werden, bevor ich mich dem eigentlichen Konzept
interkultureller Pädagogik widmen werde.
3.1 Anmerkungen zum Kulturbegriff im Kontext interkultureller
Pädagogik
Kultur wird im allgemeinen und alltäglichen sowie im wissenschaftlichen Sprachgebrauch sehr weit und vieldeutig verwendet. Aufgrund dieser diffusen Weite und
Vieldeutigkeit des Begriffs – so soll es weit über 100 verschiedene Kulturbegriffe
geben17 - ist auch der hierauf aufbauende Begriff der interkulturellen Pädagogik
umstritten. So wird der Begriff der interkulturellen Pädagogik beispielsweise von
Diehm und Radtke abgelehnt, da sie eine Kulturalisierung gesellschaftlicher Probleme befürchten. Sie sehen vor allem die Gefahr, dass beispielsweise Schwierigkeiten der Integration von Migrantinnen und Migranten verkürzt durch Kulturdifferenzen erklärt würden.18
Vor diesem Hintergrund erscheint es für das Konzept der interkulturellen
Pädagogik zunächst sehr wichtig, den ihm immanenten Begriff des Kulturellen im
Hinblick auf seine inhaltliche Bedeutung zu klären. Während einige theoretische
Konzepte ein sehr enges und einseitiges Verständnis von Kultur haben, ist
anderen Konzepten eine dynamische, an Lebens- und Alltagswelten von
Menschen gebundene Dimension des Kulturellen implizit. Letztgenannte
Konzepte berücksichtigen sowohl eine inter- als auch intrakulturelle Vielfalt.
Zudem werden Überschneidungen und Wechselbeziehungen zwischen Kulturen
beachtet. Die Möglichkeit der hieraus erwachsenden gesellschaftlichen Problemlagen sowie auf dem Kulturellen aufbauende Machtasymmetrien und deren
17
vgl. Nestvogel
(http://www.venro.org/schwerpunkte/bildung21/dokumentation/arbeitsforen/5_nestvogel.html)
18
vgl. Auernheimer (2003: 73)
10
Interkulturelle Pädagogik
gesellschaftlichen Auswirkungen werden in dem dynamischen Konzept nicht
übergangen.19
3.1.1 Der Begriff der Kultur: Versuch einer Definition
Wie weiter oben bereits erwähnt, gibt es weit über 100 Definitionen von Kultur.
Bei aller Unterschiedlichkeit weisen diese Definitionen jedoch auch Gemeinsamkeiten auf. Zwei übereinstimmende Aspekte, die sich in vielen Definitionen verschiedenster Disziplinen wiederfinden lassen, sind der „symbolische Charakter“
und die „Orientierungsfunktion“ von Kultur.20
Der symbolische Charakter einer Kultur beinhaltet bestimmte, in einer Gesellschaft gelebte Rituale oder Kommunikationsformen (z.B. zwischen den
Generationen), die für die einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft mit Bedeutung
gefüllt sind. Die Funktion kultureller Symbole ist die Verständigung und die Darstellung ‚nach Außen’. Ein symbolisches Mittel der Darstellung kann z.B. Kleidung sein. Sie kann als Ausdruck unserer Selbst aber auch der Repräsentation
spezifischer kultureller Symbole dienen.
Die Orientierungsfunktion bezieht sich auf die Tatsache, dass Werte und Normen
allgemein als grundlegende Bestandteile von Kultur gesehen werden können.
Diese kommen nach Auernheimer „in den stillschweigenden Verhaltenserwartungen des Alltags zur Geltung“21 und werden in der Regel im Laufe des
Sozialisationsprozess vom Individuum internalisiert.
Hierauf aufbauend bezeichnet eine allgemeine Definition von Kultur diese als
„Landkarten der Bedeutung’, welche die Dinge für ihre Mitglieder verständlich
machen. Diese Landkarten der Bedeutung’ trägt man nicht einfach im Kopf mit sich
herum: sie sind in den Formen der gesellschaftlichen Organisationen und
Beziehungen objektiviert.“ 22
19
vgl. Nestvogel
(http://www.venro.org/schwerpunkte/bildung21/dokumentation/arbeitsforen/5_nestvogel.html)
20
Auernheimer (2003: 73)
21
ebd. (74)
22
Clarke, zit. nach Auernheimer (2003: 75)
11
Interkulturelle Pädagogik
Innerhalb dieser Definition werden die Systeme Sprache, Religion, Wissenschaft
Kunst etc. berücksichtigt. Sie sind „tradierbare symbolische Formen“23, auf deren
Grundlage Menschen miteinander umgehen und sich verständigen. Im alltäglichen
Leben sind diese Formen beispielsweise als Bräuche, Konventionen, Wertungen
und Traditionen zu beobachten. Von diesem allgemeinen Verständnis von Kultur
ausgehend, sollen im weiteren Verlauf der Annäherung an einen ebenso vielschichtigen wie bedeutsamen Begriff die verschiedenen Dimensionen des Kulturbegriffs beleuchtet werden.
3.1.2 Dimensionen des Kulturbegriffs
Einer bestimmten inhaltlichen Bestimmung des Kulturbegriffes liegt immer auch
ein entsprechendes Menschenbild zugrunde. Diese Bestimmung zu klären, ist
deshalb in der konkreten interkulturellen Arbeit mit Kinder, Jugendlichen oder
Erwachsenen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft sehr wichtig.
Dimensionen entlang derer sich der eigene Kulturbegriff reflektieren lässt, hat
Nestvogel entlang von sieben dichotomen Begriffspaaren herausgearbeitet, die im
Folgenden kurz skizziert werden sollen.24
statisch – dynamisch
Ein statisch verstandener Kulturbegriff leugnet, dass Kulturen einem Wandel
unterliegen und prozesshaft zu sehen sind. Ein dynamisch konzipierter Kulturbegriff impliziert hingegen die prinzipielle Möglichkeit des kulturellen Wandels
bzw. (inter-) kultureller Durchlässigkeit. Dennoch kann es beispielsweise für
Angehörige einer ethnischen Minderheit wichtig sein, einzelne Kulturelemente zu
bewahren und zu leben, um sich so der Vereinnahmung durch eine Majorität zu
widersetzen. Sie sind so in der Lage, ein ‚kulturelles Selbstwertgefühl’ zu entwickeln bzw. zu erhalten.
unhistorisch – historisch
Ein historisch verwendeter Kulturbegriff bezieht in seinem Verständnis von
Kulturen deren vergangene und gegenwärtige Verflechtungen mit anderen
23
24
Cabrera-Rivas (1999: 96)
vgl. Nestvogel (2002: 25ff.)
12
Interkulturelle Pädagogik
Kulturen ein. Hier werden also vergangene ‚Phänomene’, die für die aktuelle
Lebenssituation von Menschen noch Bedeutung haben können (wie beispielsweise der Nationalsozialismus oder der Kolonialismus), berücksichtigt. Zudem
können bestimmte Beziehungsstrukturen zwischen Kulturen und Menschen oftmals nur vor dem Hintergrund vergangener Phänomene verstanden werde. Ein
unhistorischer Ansatz hingegen negiert das oben beschriebenen Wirkungspotenzial.
an alltägliche Lebenswelten gebunden – elitär
Ein elitärer Kulturbegriff beschränkt sich auf die künstlerischen und geistigen
Lebensformen des Bildungsbürgertums. Diese Kulturphänomene haben jedoch
nicht unbedingt etwas mit der Lebenswelt aller Menschen einer Gesellschaft zu
tun.
Ein an alltäglichen Lebenswelten gebundener Kulturbegriff hingegen umfasst
beide Bereiche, d.h. sowohl den als Kultur bezeichneten künstlerischen Lebensbereich, als auch insbesondere die Alltagskultur. Diese beinhaltet die jeweils
spezifischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Verhaltensmuster, die bestimmte
Bereiche des alltäglichen Lebens betreffen (z.B. Erziehungsstile, Formen der
Konfliktregelung, der Umgang in Generationen- und Geschlechterbeziehungen
etc.).
hierarchisierend – von Gleichwertigkeit ausgehend
Ein hierarchisch verstandener Kulturbegriff nimmt eine Wertung zwischen
Kulturen vor. Oftmals werden westlich-europäische Kulturen als an der Spitze der
Entwicklung stehend gesehen. Andere vermeintlich weniger entwickelte bzw.
ausdifferenzierte Gesellschaften und Kulturen müssen sich zwangsläufig oder
durch zivilisatorische Anstrengung zu dieser Stufe hinentwickeln. Abwertend
suggeriert dieser hierarchisierende Kulturbegriff eine kulturelle Rückständigkeit
dieser Menschen. Bestimmte sicherlich kritikwürdige Aspekte und Praktiken der
13
Interkulturelle Pädagogik
sogenannten weiterentwickelten Kulturen werden in diesem Kulturverständnis
ausgeblendet.25
Im Gegensatz zum hierachisierenden Ansatz gibt der auf Gleichwertigkeit aufbauende Kulturbegriff - da er eben keine Wertigkeiten verschiedener kultureller
Lebenswirklichkeiten zulässt - kein konkretes Entwicklungsziel vor.
exotisch – alltäglich
Der exotische Blick auf andere Kulturen hebt vor allem die Andersartigkeit
fremder Kulturen im Kontrast zur eigenen Kultur hervor. Dieser verkürzte Blickwinkel dient häufig als Projektionsfläche für eigene nicht ausgelebte Wünsche
und Bedürfnisse und stellt ein eindimensionales Bild anderer Kulturen dar. Beispiele für Kulturbegegnungen, in denen der exotische Aspekt im Vordergrund
steht, sind oftmals im organisierten Tourismus zu finden. Im Vordergrund
sogenannter touristischer Attraktionen stehen folkloristische Darbietungen, bei
denen besondere Tänze, Menschen in einer bestimmte Bekleidung oder auch
Nacktheit und kulinarische Spezialitäten dargeboten werden. Der Alltag der dort
lebenden Menschen sowie geschichtliche und kulturelle Hintergründen zu den
spezifischen Darbietungen, aber auch das Vorhandensein kultureller Gemeinsamkeiten werden meistens außer Acht gelassen.
homogen, abgeschlossen – heterogen, vielfältig, offen
Der Begriff des Kulturkreises impliziert Homogenität und Abgeschlossenheit einzelner Kulturen. Die Vorstellung eines homogenen und abgeschlossenen Kulturkreises leugnet die soziale Tatsache einer multikulturelle Gesellschaft, in der
Menschen verschiedenster kultureller und ethnischer Herkunft leben. Ebenso
blendet das Konstrukt von Kulturkreisen sowohl aktuelle als auch vergangene
Völkerwanderungen, Migrationen und Flüchtlingsbewegungen aus. Des weiteren
kann die Konstruktion sogenannter Kulturkreise schnell zur Bildung von Feindbildern und Differenzen führen, die zu politischen Zwecken missbraucht werden
könnten. Man denke hier beispielsweise an die aktuelle Debatte vom „Kampf der
25
In diesem Kontext sei an den im deutschsprachigen Raum gesellschaftlich selten hinterfragten
Begriff der „unterentwickelten“ Gesellschaft bzw. Kultur erinnert, der unausgesprochen das
eigentliche Entwicklungsziel hin zu einer kapitalistischen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft impliziert.
14
Interkulturelle Pädagogik
Kulturen“ und den damit einhergehenden konstruierten Gegensatz zwischen dem
‚westlich- aufgeklärten Kulturkreis’ und dem ‚islamischen Kulturkreis’.26
Gleichzeitig suggeriert der Begriff des Kulturkreises die Existenz einer
kulturellen, in sich abgeschlossen Einheit. Unberücksichtigt bleibt dabei die intrakulturelle Vielfalt einer Gesellschaft. So gibt es in jeder Kultur auch unterschiedliche Subkulturen wie beispielsweise verschiedene Jugend-, Stadt- und
Land- oder auch klassenspezifische Kulturen. Neben einer interkulturellen Vielfalt
ist also auch eine intrakulturelle Vielfalt zu berücksichtigen. Zudem lassen sich
auch nationen- und kulturübergreifende Gemeinsamkeiten zwischen den
jeweiligen Teilkulturen finden. Aus diesem Grund scheint eine Konstruktion von
Kulturkreisen abwegig, die Kulturen als gänzlich anders oder abgegrenzt von
anderen Kulturen versteht.
essentialistisch – konstruktivistisch
Ein essentialistischer Kulturbegriff begreift Kultur als zum Wesen des Menschen
gehörend, die - einmal angeeignet - nicht mehr veränderbar ist. Dagegen geht ein
konstruktivistisches Kulturverständnis davon aus, dass Menschen in der aktiven
Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, den jeweils spezifischen kulturellen
Bräuchen sowie Deutungsmustern, Normen und Werten eine ‚kulturelle
Identität’27 erwerben. Diese ‚kulturelle Identität’ ist jedoch nicht unveränderlich,
sondern kann in kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen oder anderen
Kultur(en) erweitert oder verändert werden.
Zusammenfassend zeigen die mannigfaltigen Facetten des Kulturbegriffs, wie
schwierig dieser inhaltlich eindeutig zu fassen ist. So vielfältig die analytischen
Aspekte sind, die sich unter dem Begriff Kultur subsumieren lassen, so unterschiedlich können auch die Auswirkungen von individuell unterschiedlich gelebtem Kulturverständnis für das soziale Miteinander sein. Das eigene Kulturverständnis kann sich auf die Qualität der Begegnung und Beziehung zu
26
Der Einfluss der vermeintlichen Logik des „Clash of Civilizations“ auf das Argumentieren und
Handeln politischer Entscheidungsträger wurde in Besorgnis erregender Weise in jüngster Vergangenheit in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und Irak sichtbar.
27
Auf den Begriff der ‚Kulturellen Identität’ wird in Kapitel 3.1.3 noch genauer eingegangen.
15
Interkulturelle Pädagogik
Menschen aus und in verschiedenen Kulturen auswirken. Alltäglichen Diskursen
und Diskriminierungen liegt oftmals ein einseitiges oder verengtes Kulturverständnis zugrunde. Wie sich dieses äußern kann, möchte ich kurz an einem
Beispiel zum Thema Tanz verdeutlichen:
In
einer
Tanz-Performance
afrikanischer
Tänzerinnen
und
Tänzer
im
pact-Zollverein in Essen wurden zwei Choreographien aufgeführt, in denen
Elemente traditioneller afrikanischer Tänze mit Elementen des modernen Tanzes
verbunden wurden.28 Zwei Rezensionen großer regionaler Tageszeitungen
nahmen wie folgt zu den gezeigten Choreografien Stellung:
„Sie sind schwarz. Aber sie tanzen keinen Buschmann-Tanz.“29
„Da gab es keine Folklore aus dem Busch zu sehen, sondern zeitgenössischen,
außergewöhnlichen Tanz“30
Den Zitaten liegt offensichtlich ein sehr problematisches Konzept von Kultur
zugrunde. Der Begriff ‚Buschmanntanz’ im Kontext afrikanischer Tanzkulturen
ist abwertend und undifferenziert. Er wird den traditionellen afrikanischen Tänzen
in ihrer Vielfalt und Bedeutung – auch für das alltägliche Leben – nicht gerecht.
Dem Vergleich von ‚Folklore aus dem Busch’ und ‚zeitgenössischen, außergewöhnlichen Tanz’ ist ein hierarchisches Kulturverständnis immanent. Die traditionellen Tänze werden, verglichen mit dem modernen Tanz, abgewertet.
Die Aussage, dass die Tänzerinnen und Tänzer, obwohl sie schwarz sind keinen
‚Buschmann-Tanz’ tanzen, lässt sich durchaus dahingehend interpretieren, dass
hier Verwunderung darüber besteht, dass es in Afrika neben traditionellen afrikanischen Tanzkulturen auch andere Tanzkulturen gibt. Die Aussage gibt ein Verständnis von der (Tanz-)Kultur in Afrika wieder, das sowohl statisch als auch
homogen und abgeschlossen zu sein scheint. Ein statisches Kulturverständnis
leugnet die Wandlung von Kulturen und damit auch von Tanzkulturen, ein
homogenes und abgeschlossenes Kulturverständnis streitet die intrakulturelle
Vielfalt der (Tanz-) Kulturen ab.
28
Gezeigt wurden zwei Choreographien der Preisträger des 5. Choreographischen Wettbewerbs
Afrika und Indischer Ozean. „Danse en Création/Sanga III 2003, in Antananarivo, Madagaska
29
Schenk-Gülich (2004a)
30
Schenk-Gülich (2004b)
16
Interkulturelle Pädagogik
Diese kurze Darstellung verdeutlicht, wie aufmerksam man mit der Zuschreibung
kultureller Phänomene anderer Kulturen umgehen sollte. Zusammenfassend soll
für diese Arbeit ein Konzept des Kulturbegriffs zugrunde gelegt werden, dass vor
allem die dynamische und historische Dimension betont. Die alltägliche Lebenswelt soll in dem Konzept ebenso Berücksichtigung finden wie die Heterogenität
und Offenheit von Kulturen. Heruntergebrochen auf die individuelle Ebene bedeutet dies, dass das Individuum seine kulturelle Identität stets überprüfen und
neu aushandeln bzw. konstruieren kann.
3.1.3 Kultur und Identität
Das abgrenzbare Spezifische, das einen Menschen von anderen unterscheidet,
wird als Identität bezeichnet. Für den einzelnen verbirgt sich die Antwort dessen,
was Identität ist, hinter der Frage ‚Wer bin ich?’. Erlebt wird Identität als eine
gewisse Einheit, die einen Rahmen bildet „in dem unsere Vorlieben, Wünsche,
Meinungen und Strebungen Sinn bekommen.“31 Dabei ist der Prozess der
Identitätsentwicklung ein lebenslanger und stellt das Individuum vor immer neue
Herausforderungen. Sie kann als die subjektiv verarbeitende Auseinandersetzung
einer Person mit ihrer spezifischen Umgebung bezeichnet werden:
„Identität stellt die Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen Erwartungen an den
einzelnen und dessen psychischer Einzigartigkeit dar. Sie ist das Produkt der Vermittlung und eine dynamische Balance zwischen beiden Seiten.“ 32
Zwar entwickelt jeder Mensch im Laufe seines Sozialisationsprozesses bestimmte
Vorstellungen über sich selbst, versucht sich in Beziehungen zu positionieren und
seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Doch Veränderungen der Lebensbedingungen führen immer auch zu individuellen Wandlungen und umgekehrt.
Das Individuum präsentiert sich anderen also nicht in einem immer gleichbleibenden Bild, sondern fügt neue Aspekte hinzu. Dabei ist das Gefühl, trotz der
zum Teil widersprüchlichen Teilidentitäten mit sich selbst im Einklang zu sein,
für die körperliche und psychische Stabilität essentiell.33 Die Gegenwarts-
31
Taylor (1997, 22)
Keupp (1997: 93)
33
vgl. Antonowsky 1987 zit. nach Keupp (1997: 18)
32
17
Interkulturelle Pädagogik
gesellschaft in ihrer Ausdifferenzierung und Komplexität, zu deren Besonderheiten Urbanisierung und Migration, Globalisierung und Massenkommunikation
zählen, stellt besondere Anforderungen an das Individuum und seinen Identitätsentwurf. Auernheimer folgend soll Identität als „offenes, unabschließbares
Projekt“ verstanden werden, das von „kritischen Lebensereignissen stets neu angestoßen“ wird. Sie ist „ein Komplex von (Re-) Konstruktionen und etwas, dass
immer neu ausgehandelt werden muss.“34 In der individualisierten Gesellschaft
wird in dem Zusammenhang häufig auch von Patchwork-Identität gesprochen.35
Der Begriff des Kulturellen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Identität
deutet darauf hin, dass sich Identität in einem bestimmten kulturellen Rahmen
entwickelt. In der multikulturellen Gesellschaft gewinnt die kulturelle Identität
zunehmend an Bedeutung. Dabei darf kulturelle Identität jedoch nicht mit
kultureller Prägung verwechselt werden, da dieser Begriff etwas Endgültiges und
Statisches beinhaltet. Dies berücksichtigend nimmt Auernheimer eine Unterscheidung zwischen Identität und Habitus vor. Letzteren Begriff verwendet er in
Anlehnung an Bourdieu, der hierunter ein meist schon in der frühen Kindheit verinnerlichtes Schema des Wahrnehmens, Bewertens und Handelns versteht. Diese
im alltäglichen, sozialen Umgang inkorporierte Erfahrungen und Eigenschaften
können nicht mit Identität im klassischen Sinne gleichgesetzt werden.36 Kulturelle
Identität kann vielmehr als Auseinandersetzung mit dem kulturellen Habitus bezeichnet werden. Die Stellungnahme zu bestimmten kulturellen Symbolen, Handlungen etc. können als Syntheseleistung des Subjekts verstanden werden. Der oder
die Einzelne setzt sich hier mit dem auseinander, was ihm oder ihr habituell geworden ist und kann sich zu verschiedenen kulturellen Eigenheiten ins Verhältnis
setzten.
Die bewusste Auseinandersetzung mit dem kulturell spezifischen Habitus findet
meist erst in der Fremdbegegnung oder in einer Minderheitensituation statt. Diese
34
Auernheimer (2003: 69)
vgl. Berger (1996: 71f.)
36
Gemeint ist hier die identitätstheoretische Tradition seit G.H. Mead und Erikson. Nach Erikson
ist Identität als eine erst in der Adoleszenz gestellte Entwicklungsaufgabe und Leistung des
Individuums zu verstehen. Diese Leistung erfordert, dass der oder die einzelne sich zum einen mit
sozialen Zuschreibungen und Erwartungen auseinandersetzt und zum anderen mit der persönlichen
Lebensgeschichte, also mit dem, was jemandem zum kulturell spezifischen Habitus geworden ist.
35
18
Interkulturelle Pädagogik
Auseinandersetzung kann Auswirkungen auf den Umgang mit spezifischen
Kulturelementen wie z.B. Sprache, weltanschauliche Orientierung, Werte,
Symbole oder Lebensstile haben. Das Individuum kann sie für sich neu auslegen,
verwerfen oder umdeuten. Für Angehörige einer kulturellen Minderheit ist zudem
die Tatsache relevant, welche Identitätsangebote ihnen von der Mehrheitsgesellschaft gemacht werden und ob diese sie integriert oder ausgrenzt. Für das
Individuum können natürlich mehrere kulturelle Systeme von Bedeutung sein.37
Hieraus lässt sich ein für die multikulturelle Gesellschaft und damit für die interkulturelle Pädagogik leitendes Prinzip ableiten: Anerkennung bzw. Akzeptanz.
Die Akzeptanz sollte sich auf die verschiedenen Identitätsentwürfe von
Individuen beziehen. Pädagogische Institutionen sollten es Individuen ermöglichen, ihre Identitätsentwürfe unbefangen – ohne Anpassungsdruck seitens
der Mehrheitsgesellschaft, aber auch seitens der Herkunftsgesellschaft - zu repräsentieren und zu erproben. Kulturelle Identität aus pädagogischer Sicht ist als eine
Dimension individueller Identitätskonstruktion relevant. Adl-Amini bringt dies
wie folgt auf den Punkt: „Das Bewusstsein der Menschen wurzelt zwar in der Kulturgemeinschaft, trägt aber entscheidende individuelle Ausprägungen.“38 Die gesellschaftliche Situation ermöglicht jedoch selten einen unbefangenen Umgang
mit Ethnizität. Die Aufgabe einer interkulturellen Pädagogik sollte es sein, einen
Freiraum zu schaffen, in dem ein spielerischer Umgang mit kulturellen Inhalten
und Formen gerade auch der Herkunftskultur möglich ist.
3.2 Konzept im Wandel: Von der Ausländer- zur interkulturellen
Pädagogik
Nachdem der das Konzept der interkulturellen Pädagogik tragende Begriff der
Kultur skizziert worden ist, möchte ich zunächst einen kurzen geschichtlichen Abriss der interkulturellen Pädagogik geben. Vorweg sei erwähnt, dass es viele
unterschiedliche Theorieansätze interkultureller Pädagogik gibt, die inhaltlich und
begrifflich nicht auf einen Nenner zu bringen sind: „Die interkulturelle Pädagogik
gibt es genauso wenig wie die Pädagogik. Auch für sie wie jene gilt: es gibt so
37
38
vgl. Auernheimer (2003: 69ff.)
Adl-Amini (1992: 37)
19
Interkulturelle Pädagogik
viele Ansätze interkultureller Pädagogik wie Theoretiker der Pädagogik.“39 Die
Ansätze der verschiedenen Vertreterinnen und Vertreter der interkulturellen
Pädagogik zu vergleichen und darzustellen würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Aus diesem Grund beziehe ich mich schwerpunktmäßig auf die
inhaltlichen Konzepte von Auernheimer und Nestvogel.
3.2.1 Kurze Geschichte der interkulturellen Pädagogik
Die beginnende Zuwanderung von Arbeitsmigranten aus den sogenannten Anwerbeländern in den 1960er Jahren, führte in den 1970er Jahren zur Herausbildung der Ausländerpädagogik. Kamen in den 1960er Jahren zunächst junge
oftmals ledige Männer nach Deutschland, die ihre Familien in der Heimat zurückgelassen hatten, zogen in den 1970er Jahren vermehrt deren Familien nach. Der
Familiennachzug führte zu einer veränderten Situation in den pädagogischen Institutionen. Da sich Deutschland jedoch nicht als Einwanderungsland definierte,
wurde der Aufenthalt ausländischer Arbeitnehmer- und Flüchtlingsfamilien und
ihrer Kinder bildungspolitisch als zeitlich befristete Aufgabe gesehen. Diese Einschätzung deutscher Migrations- und Bildungspolitik wirkte sich natürlich auf die
in den Schulen umgesetzten pädagogischen Konzepte aus.40 Die pädagogische
Reaktion auf die veränderte Situation in den Schulen zielte vor allem auf die
Behebung von „sprachlichen und kulturellen ‚Eingliederungsdefiziten’“41 der
Migrantenkinder ab. Diese sprachlichen und kulturellen Defizite der Migrantenkinder sah die deutsche Bildungspolitik bis in die 1980er Jahre als entscheidendes
gesellschaftliches Integrationshemmnis an. Gleichzeitig sollte aber durch einen
unterstützenden muttersprachlichen Ergänzungsunterricht die Rückkehrfähigkeit
in die Herkunftsländer erhalten bleiben. Dieser sehr einseitige und defizitorientierte Ansatz forderte jedoch eher eine Assimilation der Migrantinnen und Migranten
als dass von Integration gesprochen werden könnte. Mit anderen Worten: Von
Migrantinnen und Migranten wurde eine Anpassung bzw. eine Angleichung an
bestehende Verhältnisse der Mehrheitsgesellschaft verlangt. Eine Integration hingegen hätte sowohl die Minderheits- als auch die Mehrheitsgesellschaft
39
Borelli, zit. nach Glumper (1998: 209)
vgl. Auernheimer (2003: 35)
41
Karakasoglu-Aydin (2000: 134)
40
20
Interkulturelle Pädagogik
angesprochen und die Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder
Gruppen zu einer gesellschaftlichen und multikulturellen Einheit bedeutet.
In den 1980er begann die interkulturelle Pädagogik die Ausländerpädagogik abzulösen. Vertreterinnen und Vertreter des Konzepts interkultureller Pädagogik
kritisierten an der Ausländerpädagogik insbesondere deren einseitigen kompensatorischen Ansatz, der den Lernbedarf insbesondere auf Seiten der Migrantinnen
und Migranten sah. Interkulturelle Pädagogik hingegen richtet sich nicht ausschließlich an Migrationskinder, sondern bezieht explizit die Kinder der Mehrheitsgesellschaft in das pädagogische Konzept mit ein. Der defizitorientierte
Ansatz wird zugunsten eines ressourcenorientierten Ansatzes (z.B. Bilingualität
der Migrantinnen und Migranten) aufgebrochen.42
3.2.2 Multikulturelle Gesellschaft und interkulturelle Pädagogik
Die Kritikerinnen und Kritiker der Ausländerpädagogik forderten deren Ablösung
durch Konzepte einer interkulturellen Pädagogik. Die Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft und deren Folgen wollten diese nicht als Defizit, Problem
oder Bedrohung verstanden wissen. Vielmehr sollte der Aspekt der kulturellen
Bereicherung und gemeinsamen Lernchancen sowohl für die einheimische
Majoritätsgesellschaft, als auch für die zugewanderte Minorität betont werden.
Die Adressaten der Konzepte interkultureller Pädagogik waren also im Gegensatz
zur Ausländerpädagogik explizit auch die Einheimischen/Deutschen, wie folgendes Zitat von Hohmann verdeutlicht:
„Generell wird interkulturelle Erziehung gegenwärtig verstanden als pädagogische
Reaktion, theoretischer und praktischer Art auf die migrationsbedingte kulturelle
Pluralität der Gesellschaft. (...) Die Mitglieder aller in einer multikulturellen
Gesellschaft zusammenlebenden ethnischen Gruppen gelten als Adressaten der als
interkulturell qualifizierten pädagogischen Maßnahmen, einschließlich ihrer antirassistischen Variante.“ 43
Wie bereits erwähnt, gibt es nicht nur ein Konzept interkultureller Pädagogik.
Vielmehr handelt es sich bei diesem Ansatz um eine Theoriefamilie mit unter-
42
43
vgl. Glumper (1998: 207)
Hohmann zit. nach Glumper (1998: 211)
21
Interkulturelle Pädagogik
schiedlichen konzeptionellen Schwerpunktsetzungen. So lassen sich beispielsweise nach Nestvogel44 drei Strömungen interkultureller Pädagogik beschreiben,
die trotz ihrer verschiedenen inhaltlichen Gewichtungen miteinander verbunden
sind. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um:
•
Interkulturelles Lernen als Reaktion auf die multikulturelle Gesellschaft in
Deutschland
•
Interkulturelles Lernen als Reaktion auf ein zusammenwachsendes Europa
•
Interkulturelles Lernen als Reaktion auf das Weltsystem
Dabei ist nach Nestvogel interkulturelles Lernen als pädagogische Reaktion auf
die multikulturelle Gesellschaft als Hauptstrom zu verstehen. Dieses Konzept bezieht sich räumlich gesehen auf das Zusammenleben von Menschen verschiedener
kultureller und ethnischer Herkunft in Deutschland. Es ist zeitlich auf gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahrzehnte begrenzt.45 Inhaltliche Schwerpunkte dieses Konzepts sind
•
der Erwerb von Wissen über andere Kulturen
•
das soziale Lernen von Kindern, Jugendlichen Erwachsenen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft
•
die Auseinandersetzung mit kulturellen Differenzen sowie die Herstellung
von Gemeinsamkeiten
•
die Reflexion und der Abbau von Vorurteilen
•
die Anerkennung von sogenannten Fremden und die Wertschätzung
fremder Kulturleistungen.
Die konzeptionelle Umsetzung dieses Ansatzes hat sich von einem begegnungsorientierten hin zu einem konfliktorientiertem Schwerpunkt verschoben. In einer
44
vgl. Nestvogel
(http://www.venro.org/schwerpunkte/bildung21/dokumentation/arbeitsforen/5_nestvogel.html)
45
Entgegen des weltsystemischen Ansatzes klammert dieses Konzept weiter zurückliegende gesellschaftliche Entwicklungen und Prozesse wie beispielsweise Kolonialismus und dessen bis in
die Gegenwart hineinreichende Folgen weites gehend aus.
22
Interkulturelle Pädagogik
Pädagogik der Begegnung steht die Betonung der gegenseitigen kulturellen
Bereicherung durch kulturelle Kontakte, der Umgang mit Differenzen zwischen
zugewanderter und Aufnahmekultur und die Repräsentation fremder Kulturen im
öffentlichen Leben im Vordergrund. Begegnungsorientierte Konzepte finden sich
beispielsweise innerhalb der Eine-Welt-Pädagogik wieder.
Der Fokus des konfliktorientierten Ansatzes ist in erster Linie auf die Bekämpfung struktureller Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten
gerichtet und stellt eine Verbindung zwischen politischen und pädagogischen
Forderungen dar, die sich beispielsweise in Konzepten der AntirassismusErziehung und der politischen Bildung wiederfinden. Ziel ist die Herstellung der
Chancengleichheit für Minderheit und Mehrheit. Zudem geht es in dem konfliktpädagogischen Ansatz um die Befähigung, Konflikte, die zwischen Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen auftreten können, auszuhalten und konstruktiv mit
ihnen umzugehen.46
Das Verständnis einer interkultureller Pädagogik, die sich als Reaktion auf die
multikulturelle Gesellschaft in Deutschland versteht, leitet sich aus den Problemen
und Potenzialen ab, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher
kultureller und ethnischer Herkunft mit sich bringt. Der nationalstaatliche Bezugsrahmen lässt dabei jedoch aktuelle wie auch vergangene Auswirkungen nationenübergreifender Verflechtungen im Weltsystem außer Acht (beispielsweise die der
Kolonialzeit
oder
die
ökonomischen
und
ökologischen
Folgen
der
Globalisierung).
Einen Schritt weiter geht das Konzept, das interkulturelles Lernen als Reaktion
auf ein zusammenwachsendes Europa versteht. Es geht über den nationalstaatlichen Kontext der multikulturelle Gesellschaft in Deutschland hinaus. Der
inhaltliche Schwerpunkt dieser Strömung ist vor allem in begegnungspädagogischen Konzepten wiederzufinden. Im Vordergrund stehen die Gemeinsamkeiten in einem kulturell und sprachlich vielfältigen Europa - ohne Beachtung
der tatsächlichen, geschichtlichen und aktuellen Konflikte und Differenzen innerhalb Europas. Beiden beschriebenen Konzepten ist gemein, dass weitgehend
46
vgl. Karakasuglu-Aydin (2000: 135f.)
23
Interkulturelle Pädagogik
ignoriert wird, dass die jeweilige geographische Einheit (Deutschland bzw.
Europa) nicht als isoliert im Weltsystem stehend gedacht werden kann.
Eine dritte Strömung interkultureller Pädagogik – interkulturelle Pädagogik als
Reaktion auf das Weltsystem – berücksichtigt eben diese Zusammenhänge innerhalb des Weltsystems. Sie ist entstanden aus der ‚Dritte-Welt’-Pädagogik aus den
1970er Jahren und wird auch als Eine-Welt-Lernen oder als globales Lernen bezeichnet. Aus dieser Strömung, deren Vertreterinnen und Vertreter sich schon früh
kritisch sowohl mit der Rolle Europas innerhalb des Weltsystems als auch später
insgesamt mit den Fehlentwicklungen der Industrieländer auseinandergesetzt
haben, ist folgende Definition interkulturellen Lernens von Nestvogel hervorgegangen. Sie bezeichnet interkulturelles Lernen als:
„Lernen von fremden Kulturen bei gleichzeitiger kritischer Auseinandersetzung mit
der ‚eigenen’ Kultur und Gesellschaft (kulturelle Selbstreflexion). Diese Auseinandersetzung reicht vom Makrosystem historisch gewachsener Verflechtungen
(inkl. der darin wirksamen Herrschafts- Interessensstrukturen) bis in den Mikrobereich der psychischen Strukturen des Subjekts (inkl. der eigenen Person). Interkulturelles Lernen umfasst damit kognitive, affektive und konative (handlungsorientierte) Dimensionen und erfordert die Fähigkeit zu vernetzter Wahrnehmung
und einer Reflexions- und Handlungskompetenz in komplexen Zusammenhängen.“47
Diese Definition umfasst sowohl die kritische Auseinandersetzung mit nationenübergreifenden Verflechtungen im Weltsystem und deren Auswirkungen und enthält somit Aspekte des Dritte-Welt/Eine-Welt Lernens und globalen Lernens, als
auch die konkrete Auseinandersetzung mit beispielsweise eigenen Vorurteilen auf
der zwischenmenschlichen Beziehungsebene und damit auch der subjektiven
Ebene. Dieser Aspekt entspricht dem Lernen gegen Vorurteile, dem AntiRassismus Lernen und dem sozialen Lernen.
3.3 Ziele interkultureller Pädagogik
Die Ziele der interkulturellen Pädagogik48 basieren auf den zwei Grundsätzen
einer multikulturellen Gesellschaft: dem Prinzip der Gleichheit (insbesondere der
47
Nestvogel
(http://www.venro.org/schwerpunkte/bildung21/dokumentation/arbeitsforen/5_nestvogel.html)
48
Die Ziele der interkulturellen Pädagogik sollen insbesondere in Anlehnung an Nieke (2000) und
Auernheimer (2003) diskutiert werden.
24
Interkulturelle Pädagogik
Rechte und Sozialchancen) und dem Prinzip der Anerkennung (der individuellen
Andersheit). Diese Ziele sind zum einen als Haltungen zu verstehen (wie die Anerkennung bzw. Akzeptanz der für Individuen wertvollen, weil identitätsrelevanten kulturellen Formen und Inhalten), zum anderen als Wissen (wie
beispielsweise das Wissen um die strukturelle Benachteiligung von Kindern mit
Migrationshintergrund) und als Fähigkeiten (wie z.B. Sensibilität im Umgang mit
möglichen Differenzen und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel).49 Nieke
formuliert insgesamt zehn Ziele interkultureller Pädagogik50, von denen sechs
Ziele näher beleuchtet werden sollen:
•
Erkennen des eigenen unvermeidlichen Ethnozentrismus (3.3.1)
•
Grundlegung von Anerkennung/Toleranz (3.3.2)
•
Umgehen mit Befremdung (3.3.3)
•
Umgang mit Differenzen bzw. Herstellung von Gemeinsamkeiten (3.3.4)
•
Multiperspektivische Allgemeinbildung (3.3.5)
•
Antirassistische Erziehung (3.3.6)
3.3.1 Erkennen des eigenen unvermeidlichen Ethnozentrismus
Ethnozentrismus meint die Beurteilung anderer Kulturen vom Standpunkt der
eigenen Kultur mit den ihr zugrunde liegenden Wertmaßstäben. Das Eingebundensein in die Denk- und Handlungsmuster der eigenen Kultur ist unvermeidlich und dient zunächst einmal der raschen und routinierten Orientierung
im Alltag sowie der Aufrechterhaltung der alltäglichen Handlungsfähigkeit. Bei
der Bewertung anderer Kulturen auf der Grundlage eigener Werte und Normen
kommt es jedoch häufig zur Überhöhung der eigenen Kultur.
Idealtypisches Ziel interkultureller Pädagogik ist vor diesem Hintergrund ein
„aufgeklärter Ethnozentrismus“51. Es ist also wichtig, sich der eigenen unvermeidlichen Einbindung in kulturelle Denk- und Handlungsmuster bewusst zu
49
vgl. Auernheimer (2003: 21)
vgl. Nieke (2000: 202ff.)
51
Nieke (2003: 205)
50
25
Interkulturelle Pädagogik
werden und gleichzeitig zu erkennen, dass andere Menschen ebenso in ihrer
Kultur verankert sind. Nur so können Verständnis- und Akzeptanzprobleme wenn nicht gänzlich verhindert - zumindest vermindert werden. In der konkreten
(pädagogischen) Auseinandersetzung mit anderen Lebensarten und Sichtweisen
ist es zudem wichtig, Differenzen und Schwierigkeiten so zu thematisieren, dass
keiner der Beteiligten von vornherein als rückständig oder falschdenkend entwertet wird.
3.3.2 Grundlegung von Anerkennung/Toleranz
Der Begriff der Anerkennung soll dem häufig im interkulturellen Kontext verwendeten Begriff der Toleranz52 vorgezogen werden. Der Begriff der Toleranz
impliziert den Aspekt der bloßen Duldung und deutet zudem im alltagssprachlichen Gebrauch auf eine Machtasymmetrie hin. So wird von der Majorität
Toleranz gegenüber Minderheiten verlangt, sollten sich jedoch Angehörige einer
Minderheit der Majorität gegenüber als tolerant bezeichnen, würde dies als
Arroganz gedeutet.53 Anerkennung hingegen impliziert mehr als Toleranz. Hier
geht es nicht nur um die Anerkennung von Menschen als Rechtssubjekte, sondern
um die Wertschätzung und Zugehörigkeit zu einer jeweiligen Wertegemeinschaft.
Diese volle Anerkennung verlangt immer eine kritische Überprüfung des
kulturellen Selbstverständnisses einer Dominanz-Gesellschaft. Für Honneth gibt
„das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft (...) die Kriterien vor, an
denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert.“54 Auf die Makroebene der modernen Gesellschaft übersetzt, bedeutet dies, dass die Grundlage für
ein gewaltfreies Zusammenleben in einer pluralistischen Demokratie die
Anerkennung ist. Aus diesem Grund müsste eine Erziehung zur Anerkennung
bzw. Akzeptanz einen grundlegenden Aspekt innerhalb der elementaren politischen Bildung darstellen.55
Das Verständnis von Anerkennung innerhalb der interkulturellen Pädagogik gilt
insbesondere den Menschen aus anderen Kulturen mit ihren Orientierungen,
52
auch Nieke verwendet in diesem Kontext den Begriff der Toleranz, vgl. ebd. S. 207
vgl. Auernheimer (2003: 21)
54
Honneth (1994: 198)
55
vgl. Nieke (2000: 207)
53
26
Interkulturelle Pädagogik
Denk- und Handlungsmustern, die den eigenen womöglich widersprechen. So
kann in einem öffentlichen Raum wie z.B. der Schule das Aufeinandertreffen vielfältiger Lebensformen und ihrer Wertgrundlagen zu Konflikten und starken Abwehrhaltungen führen, die mit einer Entwertung anderer Kulturen zur eigenen
Entlastung einhergehen können. An dieser Stelle wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu einem entscheidenden Faktor für das menschliche
Zusammenleben in einer Gesellschaft.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Wunsch nach Anerkennung
bzw. Akzeptanz ein basales menschliches Bedürfnis ist. Soziale Anerkennung und
Zugehörigkeit sind Voraussetzungen für das Empfinden von Identität. Im Umkehrschluss können Erfahrungen von Nicht-Anerkennung oder Verkennung zu
einem verzerrtem Selbstbild führen.56 Grundlegend für die Anerkennung anderer
Menschen und Kulturen muss daher eine kritische Haltung gegenüber dem
eigenen Ordnungs- und Orientierungssystem und ein geschärfter Blick für Missstände und Widersprüche in der eigenen Kultur und Gesellschaft sein. Verlangt ist
also Wachsamkeit gegenüber den eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten.
3.3.3 Umgehen mit Befremdung
Die Auseinandersetzung mit dem Fremden, dem Anderen ist ein wesentlicher
Aspekt im Bereich der interkulturellen Pädagogik. Prinzipiell kann das Andere
oder das Fremde dem Individuum in ganz unterschiedlichen Formen und
Bedeutungsdimensionen begegnen.
•
Gestalt des Anderen als (fremdes) Subjekt mit eigener Biographie und
kultur- und milieuspezifischen Deutungsmustern
•
Dimensionen des fremdgewordenen Eigenen
•
Begegnung mit fremden Objekten als Medien einer fremden Kultur (beispielsweise Tänze, Musik, literarische Texte)
56
vgl. Keupp (1997: 34) oder Taylor (1993: 14ff.)
27
Interkulturelle Pädagogik
•
Begegnung mit der Vergangenheit: Verdrängtes – als das Andere – der
eigenen Vergangenheit (biographisch und kollektiv)57
Die Dimensionen des Fremden können also sowohl von innen, als zum Subjekt
gehörend in Erscheinung treten, als auch von außen, in Form kultureller
Leistungen fremder Kulturen. Darüber hinaus können sie die zwischenmenschliche Beziehungsebene, beispielsweise in der Begegnung mit Menschen
aus verschiedenen Kulturen, betreffen.
Das Gefühl des Befremdens ist oftmals mit Angst besetzt. Dies berücksichtigend,
kann eine Auseinandersetzung mit dem Fremden einer anderen Kultur mit Hilfe
spezieller Lernarrangements stattfinden. Hier steht nicht nur das kognitive Lernen
im Vordergrund, sondern auch die „emotionale Beteiligung des Konfrontationserlebnisses“58 kann in das Arrangement eingebunden werden. Formen dieser Art
des Lernarrangements könnten nonverbale Ausdrucksformen wie Tanz, Rollenbzw. darstellendes Spiel, Pantomime oder bildnerische Kunst sein.
Letztlich ist das Ziel interkultureller Pädagogik aber nicht, das Gefühl des
Befremden zu überwinden; vielmehr geht es darum, den Aspekt der Fremdheit in
zwischenmenschlichen Beziehung anzuerkennen, „sich Befremden einzugestehen,
Differenzen zu akzeptieren, um sich auf sie einlassen zu können, anstatt sich des
Anderen verstehend zu bemächtigen.“59
3.3.4 Umgang mit Differenzen
Den Aspekt kultureller Differenzen bezeichnet Auernheimer als zentrale Kategorie innerhalb der interkulturellen Pädagogik. Differenzerfahrungen sollten stets
ernst genommen und in ihrer Komplexität gesehen werden. In der pädagogischen
Alltagspraxis gibt es allerdings die verbreitete Tendenz, kulturelle Differenzen zu
leugnen oder aber festzuschreiben. Das Leugnen jeglicher Differenz hängt oftmals
mit der Tatsache zusammen, dass viele Menschen sich kulturell bedingte Eigenschaften nur als statische, zur Person gehörende Eigenschaften vorstellen können.
So ergab eine Umfrage mit Erzieherinnen, dass es für den Großteil der
57
vgl. Fleischle-Braun (2002: 125)
Nieke (2000: 201)
59
Auernheimer .(2003: 106 f.)
58
28
Interkulturelle Pädagogik
Erzieherinnen zwischen deutschen Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund keine besonderen Unterschiede gäbe. Dennoch war in fast allen Interviews die Rede von der „Mentalität der Migrantenkinder“.60 Folgerichtig betont
Auernheimer in diesem Zusammenhang, dass der Begriff der kulturellen
Differenz nicht statisch verstanden werden dürfe.61
Als pädagogische Grundregel gilt, sich am Selbstverständnis des Anderen zu
orientieren, d.h. ein Angehöriger einer Mehrheitsgesellschaft sollte die Differenz
nicht definieren wollen. Wichtig ist es, sensibel dafür zu sein, wann Differenz
bedeutsam wird. Beispielsweise kann es in einer Schulklasse zu Irritationen
führen, wenn ein Mädchen plötzlich mit einem Kopftuch zur Schule kommt. Die
Lehrerin oder der Lehrer sollte diese Irritationen nicht einfach übergehen oder
ausblenden, sondern angemessen thematisieren.
Neben der Auseinandersetzung mit Differenzen kann es in bestimmten
Situationen von Bedeutung sein, kulturelle Gemeinsamkeiten zu betonen.
Hamburger konstatiert in diesem Zusammenhang:
„Pädagogisch produktiv ist das Vorgehen, in den verschiedenen Kulturen ähnliche
oder gleiche allgemeine Werte und Normen zu identifizieren, die gleichermaßen
(und nicht in einer hierarchischen Reihenfolge) auf allgemeine Prinzipien hinweisen.“62
Erstrebenswert sollte eine Balance sein zwischen der Berücksichtung der Besonderheiten einer Kultur - ohne einer damit verbundenen künstlichen Fixierung
auf nicht mehr gelebte Kultur oder ihrer Gleichsetzung mit Nation - und der
Betonung des Gemeinsamen.63 Es ist wichtig, kulturelle Differenz anzuerkennen
und gleichzeitig für Chancengleichheit einzutreten. Es ist stets daran zu erinnern,
„dass die Differenz der kulturellen Muster in der Regel nur in Verbindung mit
Machtasymmetrie und Stereotypenbildung problematisch wird.“64
60
Feil, Schönhammer (1983), zit. nach Auernheimer (2003: 132)
vgl Erdmann (1999: 8)
62
Hamburger (1994: 46)
63
vgl. Nieke (2000: 211)
64
ebd. (137)
61
29
Interkulturelle Pädagogik
3.3.5 Multiperspektivische Bildung
Ursprünglich lässt sich die Idee der Multiperspektivität auf Konzepte der sogenannten ‚Dritte Welt’ – Pädagogik zurückführen. In der multiperspektivischen
Allgemeinbildung kommt besonders stark das in Kapitel 3.3.2. skizzierte
Anerkennungsmotiv zum tragen. Bei der multiperspektivischen Bildung geht es
darum, den eigenen Blickwinkel sowohl auf die eigene als auch auf andere
Kulturen sowie auf weltsystemische Zusammenhänge zu erweitern. Ziel ist die
Überwindung eigener monokulturelle Orientierung.
Das Prinzip der Multiperspektivität ist maßgebend geworden für Konzepte des
interreligiösen Schulunterrichts und des interkulturellen Kunst- und Musikunterrichts. Umgesetzt werden diese Konzepte beispielsweise, indem Musik,
Instrumente und Tänze aus verschiedenen Kulturen zum Unterrichtsthema
gemacht werden. Auch in der Sprachbildung kann das Prinzip der Multiperspektivität herangezogen werden. Der Schwerpunkt liegt hier nicht auf einem
reinen Sprachunterricht, sondern die Sprachbildung zielt auf ein Kennenlernen
und auf Beachtung der Vielfalt der Sprachen ab, die beispielsweise die
Schülerinnen und Schüler in einer Klasse sprechen.65
Ziel multiperspektivischer Bildung ist die Dezentrierung unserer Weltsicht.
Multiperspektivität umschließt die Einsicht in die Vielfalt menschlicher
Schöpfungen und zugleich die kritische Sicht auf fragwürdige Entwicklungen in
der eigenen Gesellschaft. Dieser kritische und zugleich über vermeintlich
kulturelle Grenzen hinwegschauende Blick kann letztlich zu einer bereichernden
Entwicklung der eigenen Kultur führen. Auf diese Weise schließt multiperspektivische Bildung „den Reichtum und die Vielfalt menschlichen Denkens
ein und gibt der globalen Entwicklung die Kraft der Utopien, die in den verschiedenen Kulturen anwesend sind.“66
65
Als ein Praxisbeispiel wäre hier das Projekt „Regenbogen an der Ruhr“ zu nennen. In diesem
Projekt gingen neun Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus sieben Nationen in Grundschulen,
um ihre Geschichten und Gedichte in zweisprachigen Lesungen vorzustellen. Ziel dieses vom
Schriftstellerverband NRW, von den RAAs und der Projekt Ruhr GmbH ins Leben gerufenen Projekts war die Aufwertung der Mehrsprachigkeit der Kinder mit Migrationshintergrund und die
Förderung der Lesekompetenz aller Kinder.
66
Schmitt (1987: 117)
30
Interkulturelle Pädagogik
Multiperspektivische Bildung soll also auf der einen Seite Einblicke in die
kulturellen Leistungen anderer Kulturen verschaffen und deren Beitrag zu unserer
Kultur verdeutlichen. Auf der anderen Seite soll sie mit dem Blick auf weltsystemische Zusammenhänge dazu verhelfen, die Auswirkungen der europäischen
bzw. westlichen Expansion auf andere Länder und Kulturen zu sehen und die Opfer bzw. die Ungerechtigkeiten einer globalisierten Welt wahrzunehmen. Dies ist
auch zugleich ein Beitrag zur politischen Bildung.
3.3.6 Antirassistische Erziehung
Rassismus lässt sich auf sowohl auf einer individuellen als auch einer
gesellschaftlichen Ebenen betrachten. Dabei besteht ein Grundzug rassistischer
Auffassungen und Praktiken „in der Zuschreibung von Wesenseigenschaften an
eine Gruppe von Menschen, die als eine durch fixe Merkmale charakteristischen
Einheit vorgestellt werden.“67 Die individuelle Äußerungsform von Alltagsrassismen basieren auf Vorurteilen. Diese erfüllen oftmals eine psychische
oder/und soziale Funktion. Vorurteile bzw. Alltagsrassismen können beispielsweise der Stabilisierung des Selbstwertgefühls dienen, indem Unsicherheiten,
Ängste und Minderwertigkeitsgefühle durch Projektion und Verschiebung auf
Andere verdrängt werden. Ebenso können sie der Sicherung von Macht und
Privilegien der eigenen Person oder sozialen Gruppe dienen. Die gesellschaftliche
Wirksamkeit von Rassismus zeigt sich in der strukturellen Benachteiligung von
Minderheiten, die sich beispielsweise in der fehlenden Chancengleichheit im
Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt oder auch auf dem Wohnungsmarkt zeigen
kann.68
Das Leitmotiv antirassistischer Arbeit ist die Verbesserung der Chancengleichheit. Sie entspricht damit dem der multikulturellen Gesellschaft zugrundeliegenden Leitmotiv der Gleichheit – Rassismus dient letztlich als Rechtfertigung
von Ungleichheit. Dabei muss antirassistische Erziehungsarbeit sowohl die
individuelle als auch gesellschaftliche Ebene des Rassismus berücksichtigen: Sie
muss ebenso bei der Aufklärung über gesellschaftliche Strukturen wie bei der
67
Auernheimer (http://www.uni-koeln.de/ewfak/paedagogik/interkulturelle/publikationen/pol_bildung.html)
68
vgl. Auernheimer (2003: 91)
31
Interkulturelle Pädagogik
individuellen Selbstreflexion ansetzen. Themen, die die gesellschaftliche Ebene
betreffen, sind beispielsweise das Ausländerrecht, die Bildungsbenachteiligung
von Kindern mit Migrationshintergrund, Ursachen von Migrations- und Fluchtbewegungen im globalen Zusammenhang und die Ethnisierung von Konflikten.
Auf der individuellen Ebene geht es in erster Linie um die Bewusstmachung
eigener Rassismen.
Häufig sind Rassismen als Bestandteil des kollektiven Bewusstseins auf der
individuellen Ebene emotional tief verankert. Reine Aufklärungsstrategien werden
daher skeptisch beurteilt. Mit der selben Vorsicht sind aber umgekehrt auch antirassistische Konzepte einzuschätzen, die nur auf die subjektive Betroffenheit abzielen. Daher hat sich innerhalb der Konzepte antirassistischer Erziehung die
Forderung nach ganzheitlichen Ansätzen durchgesetzt. Zur Überwindung von
Lernwiderständen ist die Lernsituation konzeptionell in eine Atmosphäre von
Akzeptanz und Vertrauen einzubetten. Ein gutes Lernklima soll die Lernenden
ermuntern, gesellschaftliche Missverhältnisse sowie eigene Ängste und Vorurteile
selbst zu entdecken.69
3.3.7 Zusammenfassung der Ziele interkultureller Pädagogik
Als vorrangiges Ziel interkultureller Pädagogik kann zusammenfassend die
Fähigkeit der kulturellen Selbstreflexion genannt werden. Diese umfasst die
Reflexion eigener kulturgebundener Präferenzen und Wahrnehmungsmuster und
die Bewusstwerdung des eigenen Ethnozentrismus. Anerkennung bzw. Akzeptanz
von Menschen anderer kultureller oder ethnischer Herkunft sollte als grundlegende Haltung in der interkulturellen Begegnung gesehen werden. Auf der gesellschaftlichen Ebene steht die kritische Beachtung struktureller Ungleichheiten
vor allem bei der Benachteiligung von Migranten und Migrantinnen im Vordergrund. Darüber hinaus soll die Einsicht gefördert werden, dass strukturelle Ungleichheiten mit kulturellen Dominanzverhältnissen und rassistischen Diskursen
verschränkt sind.
69
vgl. ebd. (156)
32
Interkulturelle Pädagogik
Diese Ziele können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die
pädagogischen Institutionen vom Kindergarten an aufwärts den Ideen der Gleichheit und Anerkennung verpflichtet sind. Das auch der Grundschule eine wichtige
Bedeutung zukommt, soll im nächsten Kapitel dargestellt werden.
33
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
4. Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen
Lernens
Laut der vom Landesamt für Datenverwaltung und Statistik Nordrhein-Westfalen
(kurz: LDS-NRW) herausgegebenen Zahlen lernten in NRW im Schuljahr
2004/2005 an insgesamt 3.451 Grundschulen 768.123 Schülerinnen und Schüler
das kleine Einmaleins. Die Statistik der Zusammensetzung der Schülerschaft an
den
Grundschulen
in
NRW
weist
für
das
gleiche
Schuljahr
einen
‚AusländerInnen’-Anteil von 15,6 Prozent aus – das entspricht 119.536
‚AusländerInnen’ an NRWs Grundschulen.70 Die Zahlen erfassen jedoch nicht
jene Kinder, von denen nur ein Elterteil einen Migrationshintergrund aufweist
bzw. jene die aus ehemals deutsch besiedelten Gebieten stammen. Die Zahlen von
Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund dürften somit wesentlich
höher liegen.
Mit der heterogenen Zusammensetzung der Schülerschaft ist an den Grundschulen
im Gegensatz zu den weiterführenden Schulen eine besondere Situation gegeben.
Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund entspricht hier dem Anteil der
entsprechenden Jahrgänge an der Gesamtbevölkerung, wohingegen beispielsweise
an den Hauptschulen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund stark
über- und an den Gymnasien stark unterrepräsentiert sind.71
4.1 Interkulturelles Lernen in der Grundschule
4.1.1 Theoretischer Exkurs: Kinder und Vorurteile
Um angemessene Konzepte interkulturellen Lernens für die Grundschule entwickeln zu können, ist es wichtig zu wissen, ob Kinder ethnische Vorurteile
kennen und wie sie diese äußern. In einem kurzen theoretischen Exkurs soll in
diesem Kapitel dieser Frage nachgegangen werden.
Als Vorurteile werden diejenigen Urteile über Menschen bezeichnet, die nicht auf
ihre Gültigkeit in der Realität überprüft werden. Vorurteilen werden sowohl
70
71
http://www.lds.nrw.de/statistik/datenangebot/daten/d/allgbildschulen/r313schul2.html
vgl. Marburger et al. (1997: 2f.)
34
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
kognitive und affektive Aspekte als auch entsprechende Handlungsdispositionen
zugesprochen:
„Vorurteile sind negative oder ablehnende Einstellungen einem Menschen oder
einer Menschengruppe gegenüber, wobei dieser Gruppe in Folge stereotyper Vorstellungen bestimmte Eigenschaften von vornherein zugeschrieben werden, die sich
aufgrund von Starrheit, gefühlsmäßiger Ladung, selbst bei widersprechenden
Erfahrungen, schwer korrigieren lassen.“72
Aufbauend auf diesem Verständnis von Vorurteilen haben Erfahrungsberichte von
Pädagoginnen und Pädagogen belegt, dass bereits Kinder mit negativen oder ablehnenden Einstellungen anderen Menschen oder einer Menschengruppe gegenüber behaftet sind.73 Allerdings liegen nur marginale wissenschaftliche
Erkenntnisse aus dem Feld der Entwicklungspsychologie über die Bildung von
Vorurteilen bei Kindern vor. Als wissenschaftlich belastbar gilt die Annahme,
dass Kinder schon sehr früh Interesse an Unterschieden zwischen Menschen entwickeln. Sobald sie sprechen können, zeigen ihre Fragen und Äußerungen, dass
sie die in einer Gesellschaft vorhandenen negativen Bilder, Gefühle oder
Gedanken über Menschen übernehmen. Dabei beziehen sich die sogenannten
‚Vor-Vorurteile’ auf Menschen, die z.B. eine dunklere Hautfarbe haben als die
Kinder selbst, eine andere Sprache sprechen oder eine körperliche Beeinträchtigung haben. Soziale Kategorisierungen und Eigengruppenpräferenz sind
psychologischen Untersuchungen zur kindlichen Vorurteilsbildung folgend schon
ab dem dritten Lebensjahr zu verzeichnen. Bei Kinder wird aber eher vorsichtig
von „prejudice-like attitudes“74, also von vorurteilsähnlichen Einstellungen
gesprochen. Diese Einschränkung erscheint sinnvoll, da die Vorurteile von
Kindern aufgrund ihres kognitiven und emotionalen Entwicklungsstandes nicht
den Vorurteilen von Erwachsenen und älteren Kindern entsprechen können.
Gesellschaftlich vorhandene Vorurteile beeinflussen zunächst alle Kinder - egal
ob sie der gesellschaftlichen Mehrheit oder einer Minderheit angehören. In ihren
72
Nicklas / Ostermann (1980: S.535ff.). In diesem Zusammenhang sei kurz auf den Begriff des
Stereotyps eingegangen: Er bezeichnet ein standardisiertes Bild einer bestimmten Gruppe von
Menschen, bspw. kulturalistische Zuschreibungen, die die Wahrnehmung und Anerkennung bzw.
Akzeptanz individueller Merkmale eines Menschen verhindert.
73
vgl. Preissing / Wagner (2003); Quehl (2000)
74
Aboud zit. nach Auernheimer (2003: 89)
35
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
Auswirkungen können Vorurteile je nach gesellschaftlicher Gruppenzugehörigkeit
der Kinder (Mehrheit vs. Minderheit) sehr unterschiedlich sein. Kinder der gesellschaftlichen Mehrheit haben bessere Chancen sich positiv mit ihrer sozialen
Gruppe zu identifizieren als dies bei Kinder einer gesellschaftlichen Minderheit
der Fall ist. Die Auswirkungen von Vorurteilen bei Kindern einer Minderheit
können einen äußerst kritischen Verlauf nehmen, wenn diese die Abwertung ihrer
sozialen Gruppe in ihr Selbstbild aufnehmen. Eine defizitäre Entwicklung von
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen kann in einem solchen Fall die Folge
sein.75
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Kinder bereits im Alter von drei bis
fünf Jahren Vorurteile gegenüber Menschen anderer kultureller Herkunft entwickeln können. Allerdings wird in pädagogischen Konzepten oftmals überschätzt, was bei Kindern in den jeweiligen Altersstufen an interkulturellen Verständnis erreichbar ist. Bei vielen Kindern fehlt die Entwicklung der kognitiven
Struktur, die Voraussetzung für das Verständnis der Lebenssituation anderer
Menschen mit anderen kulturellen Normen und Werten. Auf der anderen Seite ist
wissenschaftlich unbestritten, dass Kinder schon sehr früh fähig sind, sich
emotional anderen zuzuwenden, mit ihnen mitzufühlen und spontan helfen zu
wollen.76 Auf letzterem aufbauend muss es Aufgabe einer sich an Grundschulkinder richtenden interkulturellen Pädagogik sein, geeignete Konzepte zu entwickeln, die die kognitive und emotionale Entwicklung der Kinder berücksichtigen. Das Erreichen der Ziele interkulturellen Lernens wird durch den Einsatz
kreativer Methoden im spielerischen Umgang mit Kindern gefördert.
4.1.2 Interkulturelles Lernen in der Grundschule
In ihrem Bericht über die Zukunft der Bildung kommt die Bildungskommission
NRW zu folgendem Ergebnis:
„Das reflektierte Zusammenleben in einer multikulturellen Schule und insgesamt
einer dauerhaft multikulturellen Gesellschaft erfordert eine durchgängige interkulturelle Erziehung in allen Schulstufen und Bildungsgängen und die Förderung
75
76
vgl. Wagner (2003: 39ff)
vgl. Auernheimer (2003: 127)
36
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
der Chancengleichheit von Schülerinnen und Schülern aus ethnischen Minderheiten.“ 77
Diese Forderung der Kommission anerkennend, muss bereits Grundschulpädagoginnen und –pädagogen die besondere Aufgabe zukommen, Wege zu
finden, den gemeinsamen Schulalltag einer Klasse mit Kindern unterschiedlicher
kultureller und ethnischer Herkunft zu gestalten.78 An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass sich interkulturelles Lernen an alle Kinder richtet. Folgerichtig
soll auch in Klassen, in denen nur wenige Kinder einen Migrationshintergrund
haben, interkulturellem Lernen ein wichtiger Stellenwert zukommen:
„Interkulturelle Pädagogik – und hier liegt der entscheidende Unterschied zu Ausländerpädagogik – kann und soll auch gerade in solchen Klassen praktiziert
werden, in denen keine oder nur wenige Migrantenkinder vorhanden sind.“79
Grundschulkinder sind in einem Alter, in dem sie bei der aktiven Konstruktion
ihres Verständnisses von der Welt versuchen, soziale Kategorien wie beispielsweise ’Junge/Mädchen’, ‚deutsch/türkisch’ oder auch ‚arm/reich’ zu begreifen
und für sich mit Bedeutung zu füllen.80 Aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung
denken sie in den Kategorien ‚richtig/falsch`, ‚gut/schlecht’ und erwerben erst
später die Kompetenzen differenzierter zu denken. Im Spielverhalten von Grundschulkindern ist oftmals zu beobachten, dass beispielsweise türkische und
deutsche Kinder nicht miteinander Fußballspielen, sondern getrennte, also
deutsche und türkische Teams bilden. Das Spiel mit Kindern der gleichen
kulturellen Herkunft wird bevorzugt. Diese Erkenntnis ist beispielsweise von
Wagner empirisch belegt worden.81 Er hat in einer groß angelegten Befragung von
Grundschülerinnen und Grundschülern der vierten Klasse gezeigt, dass deutsche
Kinder klar ihre eigene ethnischen Gruppe den anderen Kinder gegenüber bevorzugt haben. Auf der anderen Seite müssen schon in diesem Alter einige Kinder
mit Migrationshintergrund erkennen, dass sie einen anderen (niedrigeren) gesell-
77
Bildungskommission NRW (1995: 117)
vgl. Avci-Werming (2004: 53)
79
Diehm, Radtke (1999: 130)
80
vgl. Quehl (2001: 27)
81
vgl. Wagner (2001)
78
37
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
schaftlichen Status als deutsche Kinder haben. Ihnen wird bewusst, dass sie in
gesellschaftlich unterschiedlich bewerteten Gruppen aufwachsen.82
Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen und strukturellen Benachteiligung
von Kindern mit Migrationshintergrund, die ihren Niederschlag u.a. in der extrem
hohen sozialen Selektion im deutschen Bildungssystem findet, kommt der Grundschule eine wichtige integrative Aufgabe zu. Zudem ist – wie bereits weiter oben
dargestellt - auch dem Aspekt der Entwicklung von Vorurteilen bei Kinder in
angemessener, kindgerechter Weise zu begegnen. Spielerische Methoden wie
Tanz, Rollenspiele, etc. können dabei helfen, Vorurteile zu thematisieren. Der
Aspekt des ‚Lernens mit allen Sinnen’ ist hierbei als methodische Grundlage zu
berücksichtigen. Themenbereiche des interkulturellen Lernens in der Grundschule
können sein:
•
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kinder
•
die Vielfalt der Sprachen
•
die soziale Welt der Kinder
•
unterschiedliche Religionen der Kinder
•
Kommunikative Fähigkeiten und soziales Lernen
Ausgangspunkt des Lernens sollten immer die konkreten Erfahrungen der Kinder
sein. In Verbindung mit den Zielen interkulturellen Lernens kommt diesem
grundschulpädagogischen Prinzip eine besondere Bedeutung zu. Soziale Aspekte
wie Ausgrenzung, Sich-fremd-fühlen oder Erfahrungen mit Vorurteilen und Zuschreibungen sollen auch für Kinder der Mehrheit beispielsweise in Tanz- oder
Rollenspielen erfahrbar gemacht und reflektiert werden. Es sollen also Bezüge
zum jeweils eigenen Erfahrungsraum hergestellt werden. Daneben kann durch die
Berücksichtung und explizite Thematisierung persönlicher Erfahrungen deutlich
gemacht werden, dass Kinder beispielsweise deutscher, türkischer oder
82
vgl. Avci-Werning (2004: 13)
38
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
nigerianischer Herkunft in sich vielfältig sind und einem ständigen individuellen
Wandel unterliegen.83
Die Sprachförderung in Grundschulen ist ein weiterer Aspekt, der seit den
Ergebnissen der PISA und IGLU-Studien immer wieder diskutiert wird.
Forderungen, die sich zumeist hauptsächlich an Kinder mit Migrationhintergrund
richten und dabei vor allem die Förderung der deutschen Sprache im Blickpunkt
haben - also kein umfassendes Programm interkultureller Pädagogik und Zweitsprachendidaktik
vorweisen
–
zeigen,
wie
handlungsleitend
ausländer-
pädagogische Konzepte auch heute noch sind. Auernheimer betont zu diesem
Punkt:
„Zur Verbesserung der Chancengleichheit unabdingbar, und Folge konsequenter
Anerkennung von Andersheit, ist der Anschluss an die jeweilige Erstsprache am
Schulanfang, also eine zweisprachige Alphabetisierung. Zu fordern ist diese zumindest für die größeren Sprachminderheiten.“84
Der Überblick über Ziele und Themen interkulturellen Lernens in der Grundschule soll verdeutlichen, wie wichtig die Umsetzung und Berücksichtung interkultureller Themen bereits in der Primarerziehung ist. Themen und Ziele interkultureller und antirassistischer Pädagogik müssen sich fächerübergreifend durch
alle Lernbereiche der Grundschule ziehen. Hierbei sei abschließend noch einmal
betont, dass interkulturelles und antirassistisches Lernen immer auf kognitivem,
sozialem und affektivem Lernen aufbaut. Mit anderen Worten: interkulturelles
Lernen entfaltet seine größte Wirkung immer dann, wenn es Kindern auch Spaß
macht und als bedeutsam erlebt wird.85
4.2 Zum Konzept der offenen Ganztagsschule in NRW
4.2.1 Interkulturelles Lernen in der offenen Ganztagsgrundschule
Die ernsthafte und wirkungsvolle Umsetzung der Ziele interkulturellen Lernens
erfordert einen entsprechenden institutionellen Rahmen. Insgesamt kann für das
83
vgl. Quehl (2001: 28)
Auernheimer (http://www.uni-koeln.de/ewfak/paedagogik/interkulturelle/publikationen/speyer.html)
85
vgl. Quehl (2001: 28)
84
39
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
deutsche Bildungssystem angemerkt werden, dass es im Allgemeinen vergleichsweise ungünstige Bedingungen bereitstellt (vgl. 4.2.2.). Erwähnt wird in diesem
Zusammenhang von Auernheimer, neben der starken äußeren Differenzierung und
Selektivität sowie dem starken Anstaltscharakter, auch der kaum verbreitete
Ganztagsbetrieb in den Schulen.86 Solange Schulen nur auf den Vormittagsunterricht konzentriert sind und damit den Charakter einer bloßen Unterrichtsanstalt behalten, sind die Rahmenbedingungen für interkulturelles Lernen eher
ungünstig. So fehlt beispielsweise für das professionell begleitete Lernen im Umgang mit Differenzen oder aber der intensiven Auseinandersetzung mit Themen
wie Konfliktaustragung und Kooperation an den traditionellen Schulen schlichtweg der zeitliche und inhaltliche Raum. Zudem sind die Möglichkeiten des Ausgleichs von Sozialisations- und Leistungsdefiziten bei Schülerinnen und Schülern
geringer als in Ganztagsschulen.
In England beispielsweise, wo Schulen in der Regel als Ganztagsschulen geführt
werden, können sie zu einem Lebensraum mit einer Vielfalt von außerunterrichtlichen Aktivitäten werden. Dort kann ein ganz anderer Rahmen für den
Umgang mit Themen wie Differenz, Gemeinsamkeiten, Vorurteile etc. geschaffen
werden. Diese Aspekte können beispielsweise durch kreativ-künstlerische Prozesse sowohl erfahrbar gemacht als auch in einem entsprechenden Rahmen aufgearbeitet werden.87 Über eine Kölner Schule, die von einer reinen Vormittagsschule in eine Ganztagsschule umgewandelt wurde, heißt es zum Zusammenhang
von interkulturellem Lernen und Ganztagsschule: „Die Übermittagsbetreuung
schafft neue Möglichkeiten des Kontakts und damit des interkulturellen Lernens."88
Diese Beispiele aus der Praxis deuten darauf hin, dass sich durch eine gezielte
institutionelle Rahmensetzung Ziele interkultureller Pädagogik besser umsetzen
lassen. Das Konzept der offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen
kann in diesem Zusammenhang als erster Schritt in die richtige Richtung ver-
86
vgl. Auernheimer (http://www.uni-koeln.de/ewfak/paedagogik/interkulturelle/publikationen/artikel.html)
87
vgl. Auernheimer (http://www.uni-koeln.de/ewfak/paedagogik/interkulturelle/publikationen/speyer.html)
88
Ratzki 2001 zit. nach Auernheimer ebd.
40
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
standen werden - auch wenn eine im Auftrag des Ministeriums für Schule, Jugend
und Kinder erstellte Zwischenbilanz konstatiert, dass interkulturelle Ansätze in
der offenen Ganztagsgrundschule insgesamt noch wenig verbreitet sind.89
4.2.2 Die offene Ganztagsgrundschule in NRW
Eine Reform des deutschen Bildungswesen steht nicht erst seit PISA auf der
Agenda des politischen und öffentlichen Interesses. Das deutsche Schulwesen
scheint in vielen Bereichen rückständig. Mit ihrem Konzept zur offenen Ganztagsschule hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen versucht, eine Antwort
auf die neuen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen zu
geben. Flitner beschreibt diese neuen Herausforderungen für die Schulen wie
folgt:
„Die Schule müsste (...) sich selber nach den Bedürfnissen des Lernens laufend verändern, weil die Sozialbedingungen, die Lerngegenstände, die Erfordernisse und
auch die Kinder in ständiger Veränderung begriffen sind.“90
Bevor die Landesgerierung das Konzept der offenen Ganztagsgrundschule durchsetzte, plante sie einen flächendeckenden Ausbau der Halbtags- zur Ganztagsgrundschule. Für die Landesregierung hätte dies bedeutet, dass die Entwicklung
und Verantwortung für das Konzept sowie die Finanzierung des pädagogischen
Personals in ihrer Verantwortung geblieben wären. Angesichts der angespannten
Haushaltslage verbunden mit einer anders geleiteten politischen Prioritätensetzung war dieses Vorhaben nicht umsetzbar. Aus diesem Grund setzte die Landesregierung auf das Konzept des offenen Ganztages, welches seit dem Schuljahr
2003/2004 im Primarbereich an einigen Schulen des Landes umgesetzt wird:
„Mit der ‚offenen Ganztagsschule im Primarbereich’ geht die Landesregierung
einen neuen Weg, um unseren Kindern mehr Bildungschancen zu eröffnen und
Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Die offene Ganztagsschule - zumeist Grundschulen - ist dabei mehr als Unterricht. Um dem ganzheitlichen
Förderauftrag
entsprechen
zu
können,
sollen
unterschiedliche
Professionen zusammen wirken und ein breites Angebot an Förderkursen, Sport,
Kultur und Freizeit bereithalten. Die Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe,
89
90
Behrer (2005: 11)
Flitner (1999: 231)
41
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
Sportvereinen und Organisationen der Kultur sind Voraussetzung für das
Gelingen.“ 91
Das Konzept der offenen Ganztagsgrundschule (kurz: OGGS) sieht vor, dass die
Schulen Betreuungsangebote (z.B. musische und sportliche Aktivitäten, Hausaufgabenbetreuung, Sprachförderung, etc.) werktags ganztäglich bis mindestens
15.00 Uhr, in der Regel bis 16.00 Uhr und nach Bedarf auch länger unterbreiten.
Im Modell der offenen Ganztagsgrundschule sind die bisher getrennten Systeme
Schule und Jugendhilfe hinsichtlich der Betreuung und Förderung der Grundschulkinder zusammengefasst.92 Bei der Finanzierung der Einrichtungs- und
Betriebskosten geht das Land von einem Bedarf in Höhe von 1.230 Euro pro Kind
und Jahr aus. Dieser Betrag wird zu zwei Dritteln vom Land bereit gestellt und zu
einem Drittel von den Kommunen. Die Kommunen wiederum können Elternbeiträge (bis zu 100 Euro) auf ihren Anteil anrechnen lassen. Ein Entgelt für das
Mittagessen wird zusätzlich erhoben. Bis zum Schuljahr 2007/2008 soll das Konzept der OGGS für zwei Drittel aller Grundschulen in NRW verpflichtend sein –
insgesamt sollen bis dahin etwa 200.000 Ganztagsplätze in der OGGS geschaffen
werden, so dass für jedes vierte Kind im Grundschulalter ein Platz zur Verfügung
steht.93
Das Konzept der offenen Ganztagsgrundschule erscheint insbesondere hinsichtlich seiner finanziellen und pädagogischen Ausgestaltung kritikwürdig. Ute
Schäfer, ehemalige Ministerin für Schule, Jugend und Kinder, betonte: „Die
offene Ganztagsgrundschule wird kein Pflichtangebot. Es ist eine Angebotsschule,
die auf freiwilliger Teilnahme basiert.“94 Da also eine verpflichtende Teilnahme
ausgeschlossen ist, heißt dies im Klartext, dass Gebühren erhoben werden. Auf
die Steigerung der Chancengleichheit und Bildungsqualität wirken sich aber die
Gebühren und die freie Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Angebots kontraproduktiv aus. Darüber hinaus wird kritisiert, dass die vom Land errechneten Kosten pro Kind und Jahr nicht für die Bereitstellung eines qualifizierten pädagogischen Angebotes ausreichen. So haben einige Kommunen
91
http://www.bildungsportal.nrw.de/BP/Schule/System/Ganztagsbetreuung/
vgl. Reichmann (2005: 163f:)
93
MSJK April 2003 zit. nach Westerhoff (2005: 84)
94
MSJK März 2003 zit. nach Westerhoff (2005: 87)
92
42
Die Offene Ganztagsgrundschule als Ort interkulturellen Lernens
errechnet, dass ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf zwischen 400 und 1.200
Euro pro Kind und Jahr benötigt wird. Eine erweiterte Finanzierung aus Elternbeiträgen würde die oben beschriebenen Zugangsbarrieren von Kindern aus sozial
schwachen Familien zusätzlich verschärfen.
In diesem Zusammenhang muss eine Stellungnahme des nordrhein-westfälischen
Schulministeriums kritisch gesehen werden. Dort heißt es: „Offen heißt: Schule ist
mehr als Unterricht und öffnet sich in das Gemeinwesen, sie wird zum Lern- und
Lebensort für Kinder.“95 Ein Lern- und Lebensort für alle Kinder darf jedoch
keine Zugangsbarrieren haben. Soll also eine Förderung von Kindern mit
Migrationshintergrund und Kindern aus sozial schwachen- bzw. sogenannten
bildungsfernen Schichten in der OGGS erfolgen, muss sie als Bildungseinrichtung, deren Besuch Pflicht und damit unentgeltlich ist, offensiv vorangetrieben werden.96
95
96
MSJK März 2003 zit. nach Westerhoff (2005: 161)
vgl. Westerhoff (2005: 150)
43
Tanz
5. Tanz
„Der Tanz ist unsere Mutterkunst (...). Rhythmische Bewegungen im Neben und Nacheinander, gestaltetes
Raumgefühl, lebendige Nachbildung erschauter und erahnter Welt – tanzend schafft sie der Mensch im eigenen
Körper, bevor er Stoff und Wein und Wort zwischen sich
und sein Erleben setzt.“ 97
Tanz kann als eine der ältesten Formen menschlichen Ausdrucksstrebens überhaupt gesehen werden. Hinsichtlich der Bewertung und Verwendung von Tanz im
alltäglichen Leben gibt es elementare Unterschiede zwischen den Kulturen. In
vielen asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Kulturen hat Tanz beispielsweise eine außerordentliche Bedeutung im alltäglichen Leben. In vielen
afrikanischen Kulturen sind traditioneller Tanz, Gesang und Rhythmus bei allen
wichtigen Lebenssituationen wie Geburt und Tod, Initiation und Heirat, bei
Krankheit oder Anrufung der Ahnen von tragender Bedeutung. Jedes Ritual und
jedes Fest hat eine eigene, genau festgelegte Musik und einen untrennbar damit
verbundenen Tanz. In vielen Kulturen hat der Tanz somit eine wichtige
Bedeutung im Sozialisationsprozess des Einzelnen. So wird Tanz beispielsweise
dazu verwendet, die soziale Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu bestätigen oder die
individuelle Entwicklung des Einzelnen zu unterstützen. Auch spielt er eine
wichtige Rolle innerhalb der psychosozialen Vorsorge und Therapie. Es gibt
Tänze, die dazu dienen, Kranke zu heilen, die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen
oder einen wichtigen Beitrag zur Friedenstiftung leisten. In Kulturen, in denen
Tanz eine so große Bedeutung hat, findet man deshalb eine große Bandbreite an
alltäglichen Arbeitstänzen, therapeutischen Heiltänzen und sakralen Riten.98
In vielen westlichen Ländern hingegen wird ein Bedürfnis nach Tanz oder
ritueller Körperbewegung im Allgemeinen als unnötig erachtet und aus dem alltäglichen Leben und der schulischen Erziehung weitestgehend ausgeklammert.
97
98
Sachs zit. nach Willke (1985: 465)
vgl. Nürnberger (2001)
44
Tanz
„Tanz ist nicht per se von untergeordneter Bedeutung – er wird vielmehr in unseren
Breitengraden an den gesellschaftlichen Rand gedrängt- und diese Marginalisierung bedeutet Verlust an einzigartigem Potenzial“99
5.1 „Jeder Mensch ist ein Tänzer“: Einführende Betrachtungen zum
Thema Tanz
„Jeder Mensch ist ein Tänzer“ 100: Dieses Zitat von Rudolph von Laban beruht auf
der Annahme, dass Tanz jedem Menschen innewohnt. Diese Tatsache kann als
Vorraussetzung der Existenzberechtigung von Tanz als Medium der Pädagogik
gesehen werden. Dabei ist die Vorstellung dessen, was Tanz ist bzw. wie tanzen
sich anfühlt, individuell mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen, Ansprüchen,
Begriffen und Gefühlen verbunden. Zudem hat Tanz - wie oben bereits erwähnt in unterschiedlichen Kulturen ganz unterschiedliche Bedeutungen Deshalb ist
Tanz auch schwer allgemeingültig zu definieren:
„Wo fängt es an zu tanzen, wo nicht? Wo ist der Beginn? Wann sagt man Tanz? Das
hat schon etwas mit Bewusstsein zu tun, mit dem Körperbewusstsein, und wie man
etwas formt. Aber das braucht nicht diese tradierte Art von ästhetischer Form zu
haben, es kann auch eine ganz andere sein und trotzdem Tanz bleiben.“101
Es gibt viele Aspekte nach denen sich Tanz beobachten lässt. Die jeweiligen
Schwerpunkte werden je nach Betrachter und Betrachterin verschieden gesetzt. Im
Folgenden sollen einige wesentliche, den Tanz charakterisierenden Merkmale
dargestellt werden.
Rudolf von Laban beispielsweise unterscheidet die tänzerische von der alltäglichen Bewegung. Er verweist darauf, dass bei der alltäglichen Bewegung die
Verfolgung praktischer Ziele im Vordergrund steht, wohingegen Tanz nicht zielgerichtet ist. „Im ersten Fall lenkt der Geist die Bewegung, im zweiten ruft die
Bewegung geistige Aktivität hervor.“102 In dieser nicht den alltäglichen Erforder-
99
Nürnberger (2001)
Rudolf von Laban (später Rudolf Laban), geb. 1879 in Ungarn, gestorben 1958 in Großbritannien, war Tänzer, Choreograph, Ballettmeister und Tanztheoretiker. Er floh 1938 vor den
Nationalsozialisten nach Großbritannien und entwickelte dort ein Bewegungssystem in Abgrenzung zum klassischen Ballett. vgl. Vogel (2004: 199)
101
Bausch (1994: 19)
102
Laban (1975: 37)
100
45
Tanz
nissen dienenden Bewegung, die ihren Zweck in sich selbst hat, steht die Lust an
der Bewegung im Vordergrund.
Ein weiteres für den Tanz typisches Merkmal ist die Auseinandersetzung der
Tänzerin / des Tänzers mit der Musik. Musik kann dem Tanz einen rhythmischen
Rahmen geben, MusikerInnen und TänzerInnen können sich aber auch gegenseitig beeinflussen und in einen Dialog treten. Zwar gibt es auch Tänze ohne
Musikbegleitung, diese sind dann aber durch Schrittfolgen, Stampfen, Hüpfen
bzw. durch den inneren Rhythmus der TänzerInnen strukturiert.103
Was Tanz von einer alltäglichen bzw. einer anderen sportlichen Bewegung unterscheidet, ist die Möglichkeit, das jeweils Eigene im Tanz auszudrücken:
„Ein expressives Sich-Bewegen ist damit keine mechanische Körperaktivität (wie sie
oft im Sport gefordert ist) sondern wird zu einem ,Nach außen-Bringen` von zuvor
verinnerlichten Eindrücken.“104
Mit anderen Worten: Tanz bietet die Möglichkeit, durch die enge Verknüpfung
von Körper und Psyche persönliche Befindlichkeiten in einem individuellen
Bewegungsausdruck darzustellen. So können im Tanz beispielsweise Emotionen
wie Wut oder Aggression durch bewusstes kraftvolles Stampfen oder Hüpfen ausgedrückt und / oder abgebaut werden. In diesem Sinne soll auch Hubert verstanden werden, der zum Zusammenhang von Körper und Psyche im Tanz festhält:
„Es kann nunmehr festgestellt werden, dass die Zellform von Tanz eine erfahrungsgestützte und erlebnismäßig-emotional gestaltete Bewegung (im System von Körper
und Psyche) zur Realisierung der Innenwelt durch Vergegenständlichung von
Körper und Psyche ist.“105
Darüber hinaus nehmen einige Autoren eine Unterscheidung zwischen dem
Tanzen als einer unmittelbaren Form des Gefühlsausdrucks und dem Tanz als
einen gestalteten Bewegungsausdruck vor. Beim Tanzen bringen Menschen die
Bewegungen ihres Körpers mit dem Rhythmus und ihrer aktuellen Stimmung in
103
vgl. Vogel (2004: 15)
Haselbach zit. nach Vogel (2004: 14)
105
Hubert (1993: 84)
104
46
Tanz
Einklang. Es dient der subjektiven Befriedigung, indem das rhythmische Erleben
mit dem persönlichen Bewegungsvermögen in einen individuellen Bewegungsausdruck gebracht wird. Der Tanz hingegen ist eine ausgestaltete Form, mit der
Absicht etwas mitzuteilen bzw. bei anderen hervorzurufen. Die besondere Ausgestaltung eines Tanzes ist wiederholbar und für andere erlernbar.106
Die genannten Gesichtspunkte verdeutlichen die Schwierigkeit, eine objektive
Definition für Tanz zu finden, da die Faktoren, die aus Bewegung Tanz entstehen
lassen, subjektiv empfunden werden. Für das der Arbeit zugrundelegende Verständnis von Tanz soll in Anlehnung an Schmitt festgehalten werden, dass eine
Bewegung dann zu Tanz wird, „wenn sie intentional und beseelt ist, also von
einem Willen getragen und an seelisches Erleben angebunden ist.“107 Definitionskriterien sollen nicht das Beherrschen bestimmter Schrittmuster, Gruppenformationen oder die minutiöse Festlegung derselben in Choreographien sein.
5.2 Wirkfaktoren vom Tanz
Bei der Diskussion der Frage, ob Tanz ein geeignetes Medium interkulturellen
Lernens sein kann, gilt es zunächst allgemein herauszuarbeiten, was die Besonderheiten am pädagogischen Tanz sind und wie Tanz wirkt. Wissenschaftliche
Erkenntnisse auf diesem Bereich gibt es wenige. Die meisten Erkenntnisse gehen
zurück auf Beobachtungen von Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen oder auf
Beschreibungen eigener Erfahrungen mit Tanz. Auch innerhalb der Tanztherapie
beziehen sich die Erkenntnisse über die spezifischen Wirkfaktoren hauptsächlich
auf Beschreibungen von Einzelfällen, die exemplarisch für die Wirksamkeit dieser
speziellen Therapieform stehen.
Die Bedeutung von Tanz für die kindliche Entwicklung lässt sich auf die
individuelle, soziale, affektive und kognitive Ebene herunterbrechen. Die Übergänge zwischen diesen Ebenen sind fließend, sollen aber der Übersicht halber
auseinandergehalten werden.
106
107
vgl. Cabrera-Rivas (2002: 21)
Schmitt (2000: 12)
47
Tanz
5.2.1 Bedeutung für das Selbstkonzept
Mit dem Begriff des Selbstkonzepts ist zunächst einmal ein System von
kognitiven, affektiven und verhaltenssteuernden Komponenten gemeint, die als
Ganzes der Selbstbewertung dienen. Der Begriff
„(...) umschreibt die individuelle Auffassung der Person über alle relevanten Merkmale der eigenen Person, wie sie etwa in Selbstattributionen zu Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen Wünschen, Gefühlen, Stimmungen, Wertschätzungen und Handlungen der eigenen Person hervortreten.“108
Ob ein Kind Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hat oder ob es seine Fähigkeiten nur gering einschätzt, ob es aktiv auf andere Menschen zugeht, oder ob es
sich eher abwartend verhält, ob es bei Schwierigkeiten schnell aufgibt oder diese
eher als Herausforderung sehen kann - all das ist abhängig von dem Bild, das ein
Kind von sich selbst hat. Dieses Selbstbild, das Teil des Selbstkonzeptes ist,
gründet auf den Erfahrungen, die ein Kind in der Auseinandersetzung mit der
sozialen und materiellen Umwelt gemacht hat.109 Gerade bei Kindern sind in
diesem Zusammenhang die über den Körper und die Bewegung gemachten Erfahrungen von großer Bedeutung. Durch Bewegungshandlungen lernen Kinder
sich selbst kennen. Sie erhalten Rückmeldungen über das, was sie können. Sie
haben Erfolgserlebnisse oder erfahren Misserfolg und sie erkennen, dass sie Erfolg oder Misserfolg selbst bewirken können. Sie erleben aber auch, was andere
ihnen zutrauen und wie sie von ihren Bezugspersonen eingeschätzt werden:
„Der Mensch ist ein auf Bewegung angelegtes Wesen, besonders Kinder brauchen
Bewegung, um sich auf ihre Umwelt einstellen und sich mit ihr auseinandersetzen zu
können. Bewegung eröffnet den Kindern den Zugang zur Welt; sie vermittelt
zwischen Kind und Welt, sie ist das Medium, durch das es die Welt erschließt, auf
sie zugeht, sie erfasst und begreift. In Bewegung passt sich das Kind den Erfordernissen der Umwelt an, es greift jedoch auch in sie ein, macht sie sich passend.
Durch Bewegung tritt das Kind mit seiner Umwelt in einen Dialog, die Erfahrungen,
die es in diesem Prozess macht, stellen die Grundlage kindlichen Handels dar.“110
108
Deusinger zit. nach Holzbrecher (1997: 107)
vgl. Zimmer (2001: 16)
110
Zimmer (1993: 317)
109
48
Tanz
Ein wichtiger Aspekt des Selbstkonzepts ist die Selbstwirksamkeit. Diese beinhaltet die subjektive Überzeugung selbst etwas bewirken oder verändern zu
können. Dazu gehört die Annahme, selbst Kontrolle über die jeweilige Situation
zu haben, sich kompetent zu fühlen und durch die eigenen Handlungen Einfluss
auf die materielle oder soziale Umwelt nehmen zu können.111 Erfahrungen der
eigenen Wirksamkeit können Kinder besonders im Bewegungsverhalten machen.
Im Umgang mit bestimmten Bewegungsaufgaben oder mit Geräten können
Kinder eine Wirkung hervorrufen, die sie auf sich zurückführen können. Das
Ergebnis einer Handlung können die Kinder mit eigenen Anstrengungen und
eigenem Können verbinden. Auf diese Weise entsteht ein erstes Konzept eigener
Fähigkeiten.
Gerade der Tanz als besondere Form der Bewegung ermöglicht Kindern die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und deren Weiterentwicklung. Beim Tanzen ist die
gesamte Persönlichkeit beteiligt, da durch die Verbindung der Bewegung mit
Musik und dem Einbringen eigener Ideen und Gefühle alle Persönlichkeitsanteile
und alle Sinne angesprochen werden. Da Kinder Bewegungsaufgaben meist
schnell beherrschen, ist ihnen durch den Tanz die Möglichkeit gegeben, unmittelbare und viele Erfolgserlebnisse zu haben: „Man merkt, dass Kinder, die es in
anderen Fächern schwer haben, sich hier besonders anstrengen. Dadurch steigt
ihre Anerkennung in der Klasse und letztlich ihr Selbstwertgefühl.“112
Daneben ist der Aspekt, dass beim Tanz der sportliche Leistungsgedanke ausgeschaltet ist, hilfreich für die Kinder, die sich beispielsweise nicht mit anderen
messen oder etwas leisten wollen. Da es beim Tanz nicht darum geht, höher,
schneller oder weiter zu springen oder zu laufen als andere Kinder, lässt der Tanz
keinen direkten Leistungsvergleich zu. Vogel bemerkt in dieser Beziehung: „Statt
auf den Vergleich mit anderen lenkt die Bewegung zur Musik die Aufmerksamkeit
des Kindes auf sich selbst und die Musik“113 Etwas zu leisten meint in diesem Fall
111
vgl. Zimmer (2001: 19f.)
Tagesspiegel vom 04.10.2005; Anmerkung einer Lehrerin zu der beobachteten Wirkung von
Tanz auf ihre Schülerinnen und Schüler. In Berlin wurde Mitte des Jahres 2005 das Projekt
„TanzZeit-Zeit für Tanz an Schulen von der Tänzerin und Choreographin Livia Patrizi ins Leben
gerufen. Tanz findet dort als reguläres Unterrichtsfach an 25 ausgewählten Berliner Grundschulen
statt. Die Finanzierung ist allerdings zunächst nur bis Februar 2006 gesichert.
113
Vogel (2004: 306)
112
49
Tanz
für die Kinder etwas zu können, was sie vorher nicht konnten - ohne dass es darum geht, etwas besser oder schlechter zu können als die anderen. Der Anreiz der
Verbesserung von Bewegungsabläufen oder Bewegungsausdruck soll von der
Tätigkeit selbst ausgehen. Zudem wird als Leistung auch das Einbringen
individueller Bewegungsabläufe in die Gestaltung eines Tanzes sowie die
persönliche Auseinandersetzung mit einem Bewegungsthema als Leistung
bezeichnet. Da dies sehr persönliche Prozesse sein können, gibt es kein ‚richtig’
oder ‚falsch’. Dieser Leistungsbegriff ist somit auch mit den Zielen der Kreativität
vereinbar, wie Dietrich und Landau bestätigen:
„Der Leistungsbegriff widerspricht auch dann nicht der Kreativität, wenn vorausgesetzt wird, dass zum Beispiel auch der Prozess der Lösungsfindung mit all seinen
Irrwegen, die Gestaltung selbst, mit all ihren Ungereimtheiten oder auch das Lösen
von Konflikten im sozial-affektiven Bereich als Leistung angesprochen werden.“114
Struktur und Sicherheit sind wichtige Gesichtspunkt für die Entwicklung der
Persönlichkeit des Kindes. Diese werden im Tanz durch das Metrum, den
Rhythmus und die Form der Musik vorgegeben. Sicherheiten und Strukturen
können dem Kind als Orientierung dienen. Gerade für Kinder sind Ordnungen und
feste Einheiten wie auch Rituale und ritualisierte Handlungen daher sehr
wichtig.115 Die gleichmäßig wiederkehrenden Rhythmen und Formabschnitte in
der Musik geben dem Kind ein Lustgefühl, da sie durch Vorhersehbarkeit
charakterisiert sind. So haben Untersuchungen hierzu gezeigt, dass Kinder
Rhythmen, in denen sie eine regelmäßige Struktur wahrnehmen können, unstrukturierteren Rhythmen bevorzugen.116
Das Kind kann die im Tanz gemachten Erfahrungen wie z.B. sich zu orientieren
oder ein Formbewusstsein zu entwickeln auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Kiphard hält diesbezüglich fest:
„Wir müssen eine innere Form wachsen lassen, statt uns mit einer durch Amt und
Autorität erzeugten äußeren Ordnung zufriedenzugeben. (...) Die Unterordnung
114
Dietrich, Landau (1990: 52)
vgl. Vogel (2004: 305)
116
Gembris zit. nach Vogel (2004: 305)
115
50
Tanz
unter den eigenen Willen ist aber dringend notwendig für die Formung und Reifung
der Persönlichkeit“117
5.2.2 Bedeutung für Entwicklung auf der sozialen Ebene
Die Bedeutung des Tanzes auf der sozialen Ebene lässt sich durch den dem Tanz
innewohnenden Aspekt der nonverbalen Kommunikation begründen. Kindern
liegt es im Allgemeinen näher, sich durch Bewegungen und Handlungen mitzuteilen, als über Sprache. Das Tanzen bietet ihnen somit vielfältige Möglichkeiten und Formen der Kommunikation. Da die Formen der Tänze und die
Strukturierung der Musik die Art und Dauer der Kommunikation vorgeben
können, kann unsicheren und gehemmten Kindern die Kommunikation erleichtert
werden. Darüber hinaus werden Kinder, die sich sonst im Schulalltag aus dem
Weg gehen würden, durch häufig wechselnde Bewegungsformen dazu animiert,
für eine kurze Weile miteinander zu tanzen. Bestimmte Tänze – wie beispielsweise Kreistänze – fördern außerdem die soziale Kommunikation innerhalb einer
Gruppe. Durch die gebundene Form, kann ein Gruppengefühl entstehen, das den
einzelnen tanzenden Kinder ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Für Kinder dürfte es eine wichtige Erfahrung sein, dass eine bestimmte
Form (beispielsweise ein Kreis) sowie das Halten eines Rhythmus nur dann
gelingen kann, wenn sich alle am Tanz Beteiligten um das Zustandekommen
bemühen.118
5.2.3 Bedeutung für die affektive Entwicklung
Kinder teilen – im Gegensatz zu Erwachsenen - ihre Gefühle noch sehr unmittelbar über Bewegungen mit. Ihre positiven und negative Gefühlsäußerungen wie
beispielsweise Freude, Wut oder Ärger zeigen sie unverstellt durch spontanen
Bewegungsausdruck. Dieses nach außen bringen von Gefühlen kann den Kindern
zum einen helfen, Kommunikation mit Anderen herzustellen bzw. eine solche
Kommunikation herauszufordern. Zum anderen entwickeln sie ebenso ihre
Persönlichkeit, indem sie sich über den Ausdruck eigener Gefühle ihrer
117
118
Kiphard (1980: 305)
vgl. Vogel (2004: 308)
51
Tanz
Befindlichkeiten bewusst werden.119 Vor diesem Hintergrund kann Tanz den
Kindern eine kreative Auseinandersetzung durch unmittelbaren Körper- und
Gefühlsausdruck ermöglichen. Im Tanz können spontane Gefühle sofort in
Bewegung umgesetzt und geäußert werden. Kinder erhalten über die Förderung
des Körpergefühls und des Körper- bzw. Bewegungsausdrucks die Möglichkeit
ihre Gefühle zu zeigen. Sie lernen Aggressionen abzubauen, Konflikte zu
bearbeitet und Energien freizusetzen. Dies kann für die Kinder eine wohltuende
und befreiende Wirkung haben.120
Auffälliges Bewegungsverhalten bei Kindern kann auf bestimmte psychische
Probleme oder Konflikte hinweisen, die mit der Unfähigkeit, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, einhergehen können. Auch wenn es auf den ersten
Blick paradox klingen mag, können gerade Bewegungen hier helfen, blockierte
Konflikte und Gefühle freizusetzen und sich somit – wie Kiphard betont - positiv
auf die kindliche Entwicklung auswirken:
„Konflikte und neurotische Fixierungen können weitgehend verhindert werden,
wenn das gesunde Kind früh genug lernen würde, seinen Körper als elementarstes
Ausdrucksmittel zu gebrauchen, um dadurch einen natürlichen Ausgleich zwischen
innerer Antriebs- und Gefühlsdynamik und dem äußeren Bewegungsverhalten zu
vollziehen.“121
Über Tanz kann das Ausdrucksvermögen gefördert werden, so dass die affektive
Entwicklung unterstützt werden kann. Der besondere Umgang mit Gefühlen im
Tanz ist deren Transformation in eine gestaltete Bewegung, mit anderen Worten:
Es geht im Tanz nicht um einen unreflektierten Ausdruck von Gefühlen durch
Bewegung, sondern die Gefühle werden in eine Struktur gebracht, was Kindern
wiederum helfen kann, diese zu verstehen und zu bewältigen:
„Art forming is a way of putting the abstract quality of feeling into a concrete and
sensory form. By giving form to felt response we learn to order and formulate the
feelings associated with our perceptions and with our sensed informations. (...)
feeling explored in a context enable the children to go beyond the more primitive
119
vgl. ebd. (229)
vgl. ebd. (309)
121
Kiphard (1980: 129)
120
52
Tanz
feelings of fear and anger, exploring emotions that do not necessarily lead to action
in every day life.”122
5.2.4 Bedeutung für die kognitive Entwicklung
Nach Piaget entwickelt sich die Intelligenz des Kindes stufen- und phasenweise in
der handelnden Auseinandersetzung mit der Umwelt. Über den Zusammenhang
von kognitiver Entwicklung und Bewegung im Allgemeinen sowie Tanz im
Speziellen gibt es verschiedene Untersuchungen in Anlehnung an Piagets Theorie.
Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen zeigen, dass nicht nur die Entwicklung des Bewusstseins, sondern auch die der Wahrnehmung, der Begriffsbildung, des Vorstellungsvermögens, des abstrakten Denkens und damit der gesamten kognitiven Entwicklung von Bewegung abhängig ist.123
Spezielle neurophysiologische Untersuchungen zum Tanz haben zudem gezeigt,
dass beim Tanzen beide Gehirnhälften angesprochen werden, d.h. dass Tanz sowohl kognitive als auch emotionale Prozesse beinhaltet. Im Unterschied zum
traditionellen Lernen, bei dem nur die linke Hemisphäre angesprochen wird,
findet so beim Tanzen eine bessere Nutzung der Gehirnkapazität statt.124 Da als
Grundlage für das Erlernen der Kulturtechniken Rechnen, Lesen und Schreiben
eine gut ausgebildete Motorik und eine differenzierte auditive, taktile und visuelle
Wahrnehmung gesehen werden können, bietet sich der Tanz an, diese Kompetenzen zu fördern. Auf eine differenzierte Betrachtung der Möglichkeiten von Tanz
als Medium der Förderung der kognitiven Entwicklung bei Kindern soll jedoch an
dieser Stelle verzichtet werden, da dieser Aspekt für die Fragestellung der Arbeit
nicht weiter relevant ist.
5.2.5 Zusammenfassung
Zusammenfassend kann die These aufgestellt werden, „dass Tanz unter günstigen
Bedingungen in einmaliger Weise zur sozialen, emotionalen und kognitiven
Regulierung des Selbst beitragen kann.“125 Diese These findet der Tänzer und
122
Lowden zit. nach Vogel (2004: 310)
vgl.Vogel (2004: 300)
124
Nürnberger (2001)
125
Nürnberger (2001)
123
53
Tanz
Choreograph Rayston Maldoom in seiner langjährigen tanzpädagogischen Arbeit
beispielsweise mit Straßenkindern in Äthiopien oder strafgefangenen Jugendlichen in England bestätigt. Maldoom, dessen Arbeit jüngst in beeindruckender
Weise in dem Film „Rhythm is it“ dokumentiert wurde, äußert sich über die
potenzielle Wirkungskraft des Tanzes wie folgt:
„It happens that the act of creating dance, working together, and performing has
within it so many things that can transform people's lives. The activity is in itself
quite extraordinary because it is a physical activity, it is an emotional experience,
it's a spiritual experience, it's a social experience, it's a cognitive experience. So that
dance is very, very special in that way – because it uses the whole self. Without the
whole self you can't dance in any meaningful way. There is nothing between you and
the people you are communicating with. You have to bring your whole self to the
process. The artistic, creative experience is transforming and can transform individuals who in time through their transformation can change the community. That is
my experience. But I am not a social worker.”126
5.3 Kreativer Kindertanz
Bevor inhaltlich auf den kreativen Kindertanz eingegangen wird, soll in einem
kurzen Exkurs zunächst der Begriff der Kreativität erläutert werden.
5.3.1 Exkurs Kreativität
Es gibt eine Vielzahl von inhaltlichen Bestimmungen des Begriffes der
Kreativität. Die häufigsten mit dem Begriff in Verbindung gebrachten Attribute
sind Originalität, Einfallsreichtum, Flexibilität, Entdeckung, Außergewöhnliches
und Intelligenz.127 Fromm folgend soll zwischen einer kreativen Haltung und
kreativem Tun (als künstlerische Tätigkeit) unterschieden werden. Kreative
Haltung bedeutet, vorurteilsfrei zu sehen, ganzheitlich wahrzunehmen und zu
reagieren Sie wird von Fromm als elementare Basis für ein menschlich erfülltes
Leben angesehen.128 Kreativität in dieser Hinsicht kann als grundlegende Haltung
im Prozess des interkulturellen Lernens verstanden werden. Dabei ist Kreativität
nicht losgelöst vom einzelnen Menschen zu betrachten. Sie schließt den ganzen
126
Maldoom zit. nach:
<http://www.rhythmisit.com/de/php/index_flash.php?HM=2&SM=2&CM=19>
127
vgl. Eisler-Stehrenberger (1990: 115)
128
ebd. (128)
54
Tanz
Menschen ein, der mit bestimmten Erfahrungen, in einer bestimmten Kultur mit
einem besonderen persönlichen Hintergrund lebt.
Das kreative Tun impliziert den prozesshaften Charakter der Kreativität, deren
Hauptquelle nach Rogers die Tendenz des Menschen auf Selbstverwirklichung ist.
Er definiert den Prozesscharakter der Kreativität als „das Aufkommen eines neuen
relationalen Produktes aufgrund von Handeln.“ Dieses „erwächst einerseits aus
der Einzigartigkeit des Individuums und andererseits aus den Materialien,
Ereignissen, Menschen und Umständen seines Lebens.“129 Dabei gilt, dass
kreative Leistung nicht an besondere Begabungen gebunden ist. Sie kann vielmehr in allen alltäglichen Lebensbereichen in Erscheinung treten. Im Verlauf
eines kreativen Prozesses erschafft eine Person oder eine Gruppe etwas für sie bis
dahin Unbekanntes.
Der kreative Prozess wird von Poincare und Wallas130 in vier Phasen unterteilt:
Vorbereitungsphase, Inkubationsphase, Einsichtsphase und Verifikationsphase.
Im gelebten kreativen Prozess, der immer unregelmäßig abläuft und zudem abhängig von persönlichen Eigenarten und sozialen Gegebenheiten ist, können diese
Phasen nicht immer so klar voneinander getrennt werden.
In der Vorbereitungsphase wird ein Problem oder eine Aufgabe als solche erkannt und es werden zunächst Lösungsvorschläge und Ideen gesammelt. Diese
Phase erfordert ein „mutiges Einlassen auf das Ausprobieren unkonventioneller
Ideen und Lösungsvorschläge“131. Es sollte möglichst keine Zensur stattfinden, so
dass alle Einfälle sozusagen ungehindert einfließen können, damit später ein
spielerischer Umgang mit den Elementen möglich ist.
Die Inkubationsphase ist durch eine Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten gekennzeichnet. Diese werden nach dem Aspekt der Nützlichkeit für die
Lösung des Problems ausgewählt.
Nur der ernsthafte Wunsch, ein Problem zu lösen, führt zu einem kreativen Prozess. Im Verlauf des kreativen Prozesses müssen die erarbeiteten Ideen sinnvoll
129
Rogers (1990: 239)
Die vier Phasen des kreativen Prozesses werden in Anlehnung an Eisler-Stehrenberger (1990)
dargestellt.
131
Vogel (2004: 332)
130
55
Tanz
miteinander verknüpft und strukturiert werden, d.h. Beliebigkeit bzw. Regellosigkeit müssen ausgeschlossen werden. Dies geschieht in der Einsichtsphase, in
der es zu einem „Aha- Erlebnis“ kommt – dem plötzlichen Auftauchen einer
Problemlösung. Dieses wird oftmals begleitet
„(...) von einer emotionalen Veränderung, mit Gefühlen der Entlastung, Befreiung,
Gemeinsamkeit, Zugehörigkeit, Zufriedenheit, die sich nonverbal in Mimik und
Gestik und körperlicher Nähe zeigen und die insgesamt eine veränderte
Bewusstseinslage ausdrücken.“132
In der Verifikationsphase werden die entwickelten Ideen und Lösungsvorschläge
kritisch hinterfragt und gegebenenfalls geändert. In einer Gruppe ist dazu die
Bereitschaft notwendig, sich auf die Ideen und Vorschläge Anderer einzulassen.
Dies erfordert Toleranz und Offenheit sowie eine hohe Sozialkompetenz. Für eine
Einzelperson ist in dieser Phase eine kritische Selbstreflexion unabdingbar.
Damit Kreativität entstehen und sich entfalten kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese sollen in Ergänzung zum Vier-Phasen-Modell kurz
dargestellt werden
Die Kreativität begünstigenden Voraussetzungen beziehen sich sowohl auf die
handelnde Person selbst (subjektive Ebene) als auch auf den äußeren Rahmen
(objektive Ebene). Persönlichkeitseigenschaften, die als Voraussetzungen für
Kreativität auf der subjektiven Ebene gesehen werden sind u.a. Selbstbewusstsein,
Unbefangenheit, Mut zum Risiko, Spontaneität, Bereitschaft sich anzustrengen,
eine hohe Frustrationstoleranz und nonkonformes Denken. Die Angst vor Fehlern,
das Streben nach Perfektion oder die Überbetonung von Konformität und formaler
Logik bzw. Denkprozessen können dagegen den kreativen Prozess blockieren.133
Auf der objektiven Ebene können wesentliche äußere Bedingungen für kreative
Prozesse geschaffen werden. Eine soziale Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, der Sicherheit und Geborgenheit haben entscheidenden Einfluss auf die
Bereitschaft der Kinder, sich zu öffnen und sich einzulassen. Rogers ist der
132
133
Eisler-Stehrenberger (1990: 154)
vgl. Vogel (2004: 334)
56
Tanz
Ansicht, dass der oder die Kreative derselben Umgebung bedarf wie ein Klient
der Therapie. Gemeint
sind damit eine Atmosphäre des Verstanden- und
Akzeptiertseins und die Freiheit für jegliche Form der Expression.134 Die
Bedeutung des äußeren Rahmens für kreative Prozesse unterstreicht von Hentig:
„Eine gewichtigere Schwäche der seit den sechziger Jahren herrschenden Stimmung
von Kreativität ist, dass sie sich ausschließlich an der Person festmacht, die ebendiese Eigenschaft hat. Es könnten ja auch Situationen sein, die Menschen kreativ
oder steril reagieren lassen, die sprichwörtliche Not, die Beine macht oder in der
der Teufel Fliegen frisst.“135
5.3.2 Kreativer Kindertanz
Die dargestellten allgemeinen Phasen eines kreativen Prozesses lassen sich auch
speziell auf den kreativen (Kinder-) Tanz übertragen. Tanzunterricht, bei dem die
Förderung kreativer Prozesse im Vordergrund steht, fordert weitaus mehr von der
Lehrperson und den Schülerinnen und Schülern als es die Vermittlung reiner
Tanztechniken vermag. Geht es bei der Vermittlung von Tanztechniken um
‚richtige’ Bewegungsabläufe, sind beim kreativen Tanz vielfältige Bewegungsvorschläge erwünscht, auf die spontan reagiert werden sollte:
„Da sowohl Vorstellungskraft als auch Geschicklichkeit miteinbezogen werden,
bietet Tanz ein effektives Mittel um originelle Lösungen eines Problems zu suchen
und auszudrücken. Kreativität bedeutet generell neue Ordnung für unstrukturiertes
Material zu finden oder eine originelle Reorganisation angelernter Schemata. Die
Suche nach neuen Formen verlangt eine Projektion der ganzen Persönlichkeit. In
diesem Sinn öffnet eine kreative Haltung Wege zur Intelligenz. Darüber hinaus ist
sie auch Quelle menschlicher Zufriedenheit.“136
Ganz allgemein sollen als Kindertanz alle tänzerischen Aktivitäten bezeichnet
werden, die im Kindesalter durchgeführt werden - egal ob sie im schulischen oder
außerschulischen Rahmen stattfinden. Es gibt unterschiedliche Formen des
Kindertanzes, wie beispielsweise Ballettunterricht für Kinder, Jazztanzunterricht,
Unterricht in HipHop oder Video-Clip-Dancing. Alle diese Formen des Tanzunterrichts zeichnen sich dadurch aus, dass Kinder festgelegte Bewegungsabläufe
134
vgl. Rogers (1990: 38)
von Hentig (1998: 20)
136
Nürnberger (2001)
135
57
Tanz
erlernen, damit sie sich in dieser Stilrichtung des Tanzes bewegen können. Die
Methodik dieser erwähnten Formen des Tanzes für Kinder und Jugendliche
besteht hauptsächlich aus dem Vor- und Nachmachen. Im Gegensatz dazu
begründet sich der kreative Kindertanz auf einem veränderten Verständnis von
Tanz. Die Kinder lernen im kreativen Tanz nicht nur technische Möglichkeiten
des Bewegens, sondern ihre Bewegungskreativität und Persönlichkeit soll sich
darüber hinaus entfalten können. Individuelle Arten des Sich-Bewegens sind
wichtiger als festgelegte Abläufe. Aus diesen Grundsätzen ist zu folgern, dass es
auch keine festgelegte spezifische Methodik geben kann. Dies bedeutet für die
Tanzpädagogin oder den Tanzpädagogen, die die Persönlichkeit und Individualität
des Kindes fördern möchte, selbst kreativ und individuell in ihrem Unterrichtsstil
und in ihren eigenen Bewegungsmöglichkeiten sein zu müssen. Daraus ergibt sich
die Schwierigkeit, dass die Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen jeweils individuelle Ziele festlegen können, unterschiedliche Inhalte auswählen und verschiedene Methodiken praktizieren. Aus diesem Grund ist es schwierig, den
kreativen Kindertanz als Gesamtphänomen darzustellen.
Eine erste systematische Darstellung über Inhalte, Ziele und Methoden des
kreativen Kindertanzes im deutschsprachigen Raum speziell für die Grundschule
hat Corinna Vogel in ihrem 2004 erschienen Buch „Tanz in der Grundschule“ geliefert. Das Konzept, dass sie in Anlehnung an Rudolf Labans Ideen zum „modern
educational dance“ und den in den Niederlanden (dansexpressie) und Großbritannien (creative dance) bereits existierenden Konzepten entwickelt hat, soll
eine Integration des kreativen Tanzunterricht in den Schulunterricht ermöglichen:
„Das Konzept lehnt das Einstudieren exakt vorgegebener Schritt und Bewegungsfolgen
zugunsten
kreativ-gestalterischer
Prozesse
unter
Berücksichtigung
musikalischer Aspekte ab, bezieht überlieferte Tanzformen mit ein, stellt Bezüge zur
Kunst her und stellt das tanzende Kind in den Mittelpunkt.“137
Aufbauend auf den elementaren Bewegungsgrundformen (Gehen, Laufen,
Hüpfen, Federn, Springen, Schwingen und Drehen) knüpft der kreative Kindertanz am natürlichen Bewegungsverhalten der Kinder an. Den Rahmen für
137
Vogel (2004: 329)
58
Tanz
kreativen Kindertanz bilden Einheiten aus vorgegebenen Anteilen und Improvisationsmöglichkeiten. Die vorgegebenen Anteile, die dem Tanz die äußere
Struktur verleihen, sind zunächst ein Thema, eine Spielidee oder eine
Bewegungsaufgabe, einzelne erarbeitete Bewegungstechniken und die Faktoren
Zeit, Raum und Form und Rhythmus. In der Improvisation wird den Kinder die
Möglichkeit gegeben, ihre Person in Form von jeweils individuellen Bewegungsabläufen einzubringen. Kreativer Kindertanz kann in der Gruppe, mit einem
Partner oder alleine stattfinden „und ermöglicht intensive soziale Kontakte.“138
Grundlegend für den kreativen Kindertanz ist die Annahme, dass sich durch das
Tanzen positive Auswirkungen auf die psychische, geistige sowie die motorischkörperliche Entwicklung des Kindes ergeben. Das Kind soll in seiner Ganzheit
gefördert werden. Mit andern Worten: Ziel des kreativen Kindertanzes ist es, die
individuelle und persönliche Entwicklung des Kindes zu fördern. Seine Umsetzung muss also konsequent darauf angelegt sein, einen Gestaltungsspielraum
zu eröffnen und vielfältige Möglichkeiten zu bieten, sich in Bewegung zu
erfahren, zu erleben und zu entdecken.
Nach Vogel umfasst die folgende, dieses Kapitel abschließende Definition alle
wesentlichen Aspekte des Kindertanzes: „The art of dancing is the art of moving
the body in a rhythmical way, usually to music, to express an emotion or idea, to
narrate a story, or simply take delight in the movement itself.”139
5.4 Tanz in der Schule
Im Gegensatz zu den Niederlanden und Großbritannien, wo Tanz für Kinder in
Schulen bereits zum festen Bestandteil des Curriculum zählt, steckt die Umsetzung von Tanz als integraler Bestandteil des Bildungssystems im Elementarbereich noch in den Kinderschuhen. Nicht zuletzt aufgrund des Projektes „Tanz in
138
139
ebd. (17)
Encyclopedia Britannica (1982: 451f.) zit. nach Vogel (2004: 17)
59
Tanz
der offenen Ganztagsgrundschule“ gibt es erste leise Anzeichen dafür, dass dieses
Thema zunehmend auch in Deutschland Fuß fasst.140
5.4.1 Kurzer historischer Abriss
Erste Ansätze einer Integration des Tanzes in Deutschlands Schulen gab es im
ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit wurde eine Vielzahl neuer
Tanzstile entwickelt, die auch für Kinder geeignet waren. Dies neuen Tanzstile
standen auch mit den damaligen allgemeinen Erziehungszielen im Einklang. So
gab es pädagogisch akzeptierte Tanzformen wie beispielsweise den Ausdruckstanz und die rhythmische Sportgymnastik, die durch die Vorgaben der Lehrpläne
seit 1914 im Musikunterricht und seit 1929 im Sportunterricht vorgesehen waren.
Reformbemühungen zur Integration des Tanzes in die Schulen wurden mit der
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gestoppt oder im Sinne der NSIdeologie umgedeutet. Während der Zeit des Nationalsozialismus durften nur
deutsche Volkstänze und im nationalsozialistischen Sinn umgedeutete Formen
einzelner Ausdrucktänze getanzt werden. Tanz diente im Nationalsozialismus
allein der Erziehung zum deutschbewussten und gemeinschaftsfähigen Menschen.
Diese Ziele galten sowohl für den Tanz in der Gesellschaft als auch für den Tanz
in der Schule und waren als Folge der Gleichschaltung und der Kontrolle durch
die Nationalsozialisten zu sehen
Aufgrund der Instrumentalisierung deutscher Volkstänze und einzelner Ausdruckstänze zum Zwecke der Verbreitung der NS-Ideologie in der schulischen
Erziehung, war der Tanz als Medium der Pädagogik, noch lange Zeit nach dem
Ende des Dritten Reiches mit der faschistischen Ideologie besetzt. Erst Ende der
1960er Jahre erfuhr der Tanz eine Aufarbeitung und konnte wieder als Inhalt
innerhalb schulischen Unterrichts betrachtet werden.141 Umgesetzt als fester
Bestandteil des Unterrichts wurde er jedoch bis heute nicht. Dem Tanz werden
zwar in den Vorworten der Richtlinien und Lehrplänen der Bundesländer wieder
zahlreiche positive Eigenschaften zugesprochen. Dem steht jedoch die
140
Eine Ländervergleichende Darstellung der Berücksichtigung von Tanz in der Grundschule in
Deutschland, der primary school in Großbritannien und der basisschool in der Niederlande hat
Vogel geliefert. vgl. Vogel (2004: 201 – 292)
141
vgl. Vogel (2004: 43 -.110)
60
Tanz
tatsächliche marginale Berücksichtung von Tanz im Unterricht entgegen. Als
eigenes Fach ist Tanz nicht anerkannt. Im Musikunterricht dient er vorrangig der
Musikanalyse, im Sportunterricht wird Tanz vor allem als Sportart angesehen und
dient der Verbesserung der Bewegungsfertigkeit. Die dem Tanz innewohnenden
kreativitätsfördernden Potenziale werden in der Umsetzung nur in Ausnahmefällen berücksichtigt.142
5.4.2 Vorstellung des Projekts „Tanz in der offenen Ganztagsgrundschule“
Das vom Ministerium für Schule und dem Ministerpräsidenten des Landes NRW
geförderte Projekt „Tanz in der offenen Ganztagsgrundschule“ wurde vom „NRW
Landesbüro Tanz“143 ins Leben gerufen. Seit Beginn des Schuljahrs 2003/2004
gehen vom „NRW Landesbüro Tanz“ verstärkt konkrete Bestrebungen aus, den
Stellenwert von Tanz in der Grundschule zu verbessern. Den Rahmen für diese
Umsetzung bildet die derzeitige Umstrukturierung von Halbtagsgrundschulen in
offene Ganztagsgrundschulen. Seit Beginn des Schuljahres 2003/2004 konnten ca.
28 Schulen in Nordrhein-Westfalen als Projektpartner gewonnen werden. An
diesen Ganztagsgrundschulen wird Tanz für Schülerinnen und Schüler angeboten.
Finanziert wird der Tanzunterricht derzeit aus eigenen Mitteln der Schulen. Einige
Grundschulen erhielten zwar finanzielle Unterstützung des Kooperationspartners
„Landesarbeitsgemeinschaft Tanz Nordrhein-Westfalen“, diese Förderung ist
jedoch ausgelaufen. Darüber hinaus wurden vier Schulen in besonderer Weise
vom Ministerium für Schule, Jugend und Kinder finanziell unterstützt. Auch diese
Förderung ist ausgelaufen. Somit wird derzeit nur noch das als Koordinierungsstelle fungierende „NRW Landesbüro Tanz“ mit zusätzlichen öffentlichen
Landesmitteln finanziell gefördert.
Der Tanzunterricht soll nach den Vorstellungen des „NRW Landesbüro Tanz“ an
ein bis zwei Nachmittagen in der Woche für jeweils ein bis zwei Stunden stattfinden. Die Gruppen sollten möglichst nicht aus mehr als 15 Kindern bestehen.
142
vgl. ebd. (129)
Das “NRW Landesbüro Tanz“ wurde 1995 gegründet und wird von der Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz NRW e.V. im Auftrag des Landes NRW getragen. Zu den Aufgaben des
Landesbüros gehören unter anderem Fortbildungen im tanzpädagogischen Bereich sowie insbesondere die Integration des Tanzes in allgemeinbildende Schulen. (www.tanznrw.de)
143
61
Tanz
Die Lehrenden - Tänzerinnen und Tänzer, Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen, auch Sportpädagoginnen und Sportpädagogen aus dem Fachbereich
Spiel, Musik und Tanz - werden den Ganztagsgrundschulen durch das „NRW
Landesbüro Tanz“ vermittelt. Das Landesbüro hat hierzu einen Pool qualifizierter
Dozentinnen und Dozenten aufgebaut, der kontinuierlich ausgebaut wird. Durch
aktive und theoretische Weiterbildung sollen die Unterrichtenden ihre
Kompetenzen festigen. Vor und während ihrer Arbeit ist eine künstlerischpädagogische und methodisch-didaktische Betreuung sowie Erfahrungsaustausch
eine Grundvoraussetzung für die Qualitätssicherung der Tanzerziehung.
62
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
6. Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Relativ losgelöst voneinander wurden im Verlauf dieser Arbeit zwei theoretische
Rahmen gezogen. Auf der einen Seite wurden die Inhalte und Ziele der interkulturellen Pädagogik dargestellt. Die Fähigkeit zur kulturellen Selbstreflexion,
der Umgang mit kulturellen Differenzen sowie Befremdung und – damit eng verwoben – die Anerkennung und Akzeptanz von Menschen anderer kultureller oder
ethnischer Herkunft wurden in diesem Kontext auf der Mikroebene als Hauptziele
einer interkulturellen und antirassistischen Pädagogik identifiziert. Auf der
Makroebene soll in einem ersten Schritt der Blick für strukturell bedingte
Benachteiligungen geschärft werden. In einem zweiten Schritt kann und soll
interkulturelle
Pädagogik
einen
Beitrag
zum
Abbau
gesellschaftlicher
Chancenungleichheit leisten.
Auf der anderen Seite wurde mit einigen tanztheoretischen Überlegungen ein
zweiter Rahmen gezogen. Besonderes Augenmerk galt hierbei der Ausarbeitung
der Wirkfaktoren von Tanz, insbesondere dem Potenzial von Tanz für eine
soziale, emotionale und kognitive Regulierung des Selbst. Da Tanz im Allgemeinen und Kindertanz im Besonderen zur Entfaltung von Kreativität beiträgt,
wurde in einem weiteren Schritt der kreative Prozess näher beleuchtet.
In diesem Kapitel sollen mögliche Schnittstellen der beiden erarbeiteten Themenkomplexe untersucht werden. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, ob und wie
tanzpädagogische Maßnahmen einen Beitrag für das Erreichen der Ziele einer interkulturellen Pädagogik beisteuern können. Zu dieser Frage wurde auf dem Tanz
Symposium NRW 2004 „Politik für Tanz in finanziell schwierigen Zeiten“ eine
recht eindeutige Stellung bezogen: „Tanz ist nonverbal und hilfreich für die
Integration von Kindern unterschiedlicher Herkunft.“144 Eine theoretische Ableitung dieser Annahme wird in diesem Kontext allerdings nicht gegeben. Ein
Umstand hierfür dürfte sein, dass fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zu
diesem Themenkomplex nicht vorliegen. Die Beantwortung der vorangestellten
144
http://www.tanznrw.de/tanztexte/Lobbyarbeit-Ergebnisse.pdf
63
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Frage im Rahmen dieser Arbeit kann daher auch nicht auf bereits etablierte
wissenschaftliche Theoriemodelle zurückgreifen.
6.1 Allgemeine theoretische Grundannahmen:
Zum Zusammenspiel von Körper, Interkulturalität und Tanz
Um sich der Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage anzunähern, soll in
einem ersten theoretischen Schritt die Bedeutung von Körperlichkeit im Kontext
interkultureller Begegnungen dargestellt werden. Für das bessere Verständnis sei
die bedeutsame Annahme vorweggestellt, dass im Zentrum des Tanzes der Körper
steht. Mit anderen Worten: Im Tanz bzw. in der Bewegung findet in besonderer
Weise eine Auseinandersetzung mit dem eigenen und dem fremden Körper und
Körperlichkeit statt. Diese Annahme baut auf der Erkenntnis auf, dass „‚Fremdheit’ zuallererst und vor allem über die Körperlichkeit erkannt [wird].“145
‚Fremdheit’, aber auch das Fremdsein kann vor allem körperlich erfahren werden.
Häufig berichten Menschen, die sich in einem Land aufhalten, dessen Sprache
und Kultur ihnen unbekannt ist, dass sie sich wie ein Fremd-Körper fühlen. Sich
wie ein Fremd-Körper zu fühlen impliziert zunächst sich nicht anerkannt, nicht
akzeptiert zu fühlen. Das Gefühl des Fremd-Körpers verweist hier auf die Tatsache, dass interkulturelle Begegnungen häufig primär auf der Ebene des Körperlichen erlebt werden. Aspekte nonverbaler Kommunikation stehen also oftmals im
Vordergrund interkultureller Begegnungen. Als Beispiel für diese These kann die
kulturell unterschiedlich ausgeprägte Dimension vom Wunsch nach oder Ertragen
von körperlicher Nähe oder Distanz herangezogen werden. Ein weiteres Beispiel
unterschiedlicher Auslegungen nonverbaler Interaktion ist der Augenkontakt zu
einem Gegenüber: In manchen Kulturen gilt es als unhöflich oder aufdringlich
seinem Gegenüber in die Augen zu schauen, in anderen wird gerade das Wegschauen als Unhöflichkeit und Desinteresse interpretiert. Diese körperlichsozialen Zeichen - also typische Haltungen, Gesten oder bestimmte Bewegungsmuster - auf der äußeren Ebene sind häufig entscheidender im Umgang mit
Fremden als sprachlich-diskursive Kommunikation.146 Sie können in bestimmten
konkreten sozialen Situationen kulturelle Bedeutungen, Werte und Welt-
145
146
Nürnberger (2001 )
vgl. Hedenigg (1999:49)
64
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
vorstellungen repräsentieren. Wie Bourdieu betont, werden solche kulturell
spezifischen nonverbalen Ausdruckmodi bereits im Kindesalter ‚einverleibt’:
„In allen Gesellschaften zeigen die Kinder für die Gesten und Posituren, die in ihren
Augen den richtigen Erwachsenen ausmachen, außerordentliche Aufmerksamkeit:
also für ein bestimmtes Gehen, eine spezifische Kopfhaltung, ein Verziehen des
Gesichts, für die jeweiligen Arten sich zu setzen (...), dies alles in Verbindung mit
einem jeweiligem Ton der Stimme, einer Redeweise und – wie könnte es anders sein
– mit einem spezifischen Bewusstseinsinhalt.“147
Der Körper kann also als das Medium gesehen werden, über das sich Erfahrungsstrukturen ausbilden und sich Bedeutungen konstituieren. Diese sind nicht nur
subjektiv beliebig, sondern sind immer historisch, kulturell und sozial mitbestimmt, da Erfahrungen mit dem Körper immer auch geschichtlich oder
gesellschaftlich verankert sind.148 Das Phänomen der kulturell geprägten
körperlichen Gesten und Bewegungsmuster beschreibt Land wie folgt:
„Wir hätten die Sprachbarrieren als selbstverständlich empfunden, haben dabei
aber nicht die Körpersprachbarriere als solche empfunden. Dieses Phänomen, dass
Menschen aus anderen Kulturen auch körperlich anders artikulieren, war für uns in
neues Aha-Erlebnis.“149
Dabei bezieht sich Land auf die Erfahrungen aus einem Tanz-Workshop zum
Thema ‚Kunst und kulturelle Identität am Beispiel von Tanz und Theater’, deren
Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterschiedlicher kultureller Herkunft waren.
Heruntergebrochen auf die konkrete Praxis interkulturellen Lernens bedeutet dies,
dass in tanzpädagogische Bildungsprozesse, die die Erfahrung neuer Sichtweisen
und Einstellungen ermöglichen sollen, das Subjekt als Leib-Subjekt mit einbezogen wird. Der Körper als Speicher von jeweils individuell einverleibten
Erfahrungen und Gewohnheiten sollte hiernach immer Berücksichtigung finden.
„Anknüpfungspunkt bzw. Maßstab anzustrebender Bildungsprozesse ist somit das
Subjekt in seiner körperlichen Verfasstheit.“150 Tanz als Medium interkulturellen
Lernens soll in solchen Bildungsprozessen ein ganzheitlicher Erkenntnisansatz
147
Bourdieu zit. nach Alkemeyer (2001: 154)
vgl. Klinge (2001: 246)
149
Land (1993: 150)
150
Klinge (2001: 247)
148
65
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
zugrunde gelegt werden, der versucht, „den Menschen in seiner Verwobenheit von
psychischen, gesellschaftlich kulturellen, ökologischen und leiblich-motorischen
Bezügen zu verstehen, den Mensch als Leibsubjekt mit sozial-ökologischen
Bezügen.“151 Insbesondere die folgende von Haneberg formulierte Annahme
unterstreicht die Bedeutung des Körpers bzw. Leibes im Kontext menschlichen
Erlebens.
„Das Erleben, Empfinden und Wahrnehmen, von dem man vormals annahm, dass es
im Kopf zentriert sei, wobei der Leib allenfalls als Vermittler fungiert, rutscht
gleichsam wieder in den ‚Leib’ als seine eigentliche Mitte zurück und kann dort als
unmittelbares ‚leibliches Erleben’ entdeckt werden. Dabei enthüllt sich die Welt im
Modus des leiblichen Spürens unmittelbar als weit, eng, bedrückend, erhebend oder
tragend, ebenso wie die ‚Anderen’ am Leib unmittelbar als eindringlich, einengend,
abweisend oder als wohltuend, befreiend oder haltgebend empfunden werden
können.“152
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Tanz als Medium interkulturellen Lernens in geeigneter Weise die über den Körper „inkorporierte
soziale Strukturen“153 berücksichtigen kann. In geeigneter Weise, da Tanz trotz
seiner kulturellen Verschiedenartigkeit als universelle, nonverbale Sprache über
die kulturellen Grenzen hinweg verstanden wird. So können kulturellen Differenzen, die im Alltag ggf. ein Gefühl des Befremdens auslösen könnten, im Tanz in
spielerischer Form Ausdruck verliehen werden. Zugespitzt soll abschließend die
These formuliert werden, dass durch Tanz ein Prozess interkultureller
Annäherung Richtung Akzeptanz kultureller Differenzen gefördert werden kann.
Inwiefern und ob Tanz als kreativ-künstlerische Methode interkulturelles Lernen
in der Grundschule fördern kann, soll im Folgenden in Anlehnung an die in
Kapitel 3.3 formulierten Ziele interkulturellen Pädagogik und der in Kapitel 5.2
erarbeiteten Wirkfaktoren des Tanzes diskutiert werden. Dabei werden Thesen
formuliert, die auf Grundlage der in diesem Kapitel erarbeiteten Annahmen aufgestellt werden.
151
Moegling (2001: 8)
Haneberg (1995: 7)
153
Bourdieu (1994: 729)
152
66
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
6.2 Die sozialen und interkulturellen Lernpotenziale des Tanz
Bevor die Potenziale von Tanz als Medium interkulturellen Lernens skizziert
werden, sollen zunächst allgemeine Prozesse sozialen Lernens, die durch
kreativen Kindertanz gefördert werden können, beleuchtet werden. Dabei findet
die Annahme Berücksichtigung, dass interkulturelle Bildungsprozesse auf den
grundlegenden Elementen sozialen Lernens basieren.
6.2.1 Soziales Lernen durch Tanz?
Quehl hat vor dem Hintergrund der Ziele interkulturellen Lernens in der Grundschule folgende Gesichtspunkte sozialen Lernens als elementaren Bildungsauftrag
für die Grundschulpädagogik definiert.154 Im Rahmen der Grundschule - so Quehl
- sei es wichtig, Kindern
a) die Gelegenheit zu geben, ihr Selbstwertgefühl zu stärken,
b) die Möglichkeit zu geben, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken,
c) beizubringen, bei Konflikten nach Lösungen zu suchen und Kompromisse
zu finden und
d) Mitsprachemöglichkeiten zu geben und sie darin zu bestärken, diese zu
nutzen
Zu a)
Wie in Kapitel 5.2.1 aufgezeigt, kann kreativer Kindertanz für Kinder einen
möglichen Erfahrungsraum für die Stärkung ihres Selbstwertgefühls bieten. Dies
gilt insbesondere für jene Kinder, die in sogenannten „harten“ Schulfächern wie
Mathematik oder Deutsch Schwierigkeiten haben. Für sie kann der kreative Kindertanz mit seinem im weitesten Sinne noten- und leistungsfreien Rahmen, in dem
Kategorien wie ‚richtig’ oder ‚falsch’ keinen Platz haben, eine kompensatorische
Aufbaufunktion für ihr Selbstwertgefühl haben. Hier kommt der Tanzpädagogin
oder dem Tanzpädagogen eine bedeutsame Rolle zu. Sie müssen besonders sensibel und wachsam im Umgang mit Kindern sein und insbesondere jenen Kindern
154
vgl. Quehl (2001: 33)
67
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, die Schwierigkeiten in den
elementaren Schulfächern bzw. innerhalb der Tanzgruppe eine ‚Außenseiterrolle’
haben. In diesem Sinne äußert sich auch der Tanzpädagoge Maldoom, der im
Tanz einen erfolgversprechenden Weg sieht, Kinder darin zu bestärken, Herausforderungen in ihrer Schul- und Lebenswirklichkeit positiv zu begegnen:
„Mein Argument ist: Die Künste - und speziell der Tanz - können präcurricular
junge Menschen auf das Lernen vorbereiten. Sie erfahren, wie es ist, sich einer
Sache gewachsen zu fühlen und Herausforderungen annehmen zu können. Wenn wir
nicht daran glauben, Herausforderungen meistern zu können, wenn unsere Fertigkeiten nicht ausreichen, werden wir deprimiert und demotiviert. Deshalb ist es sehr
wichtig für mich, dass Tanz und Kunst verfügbar sind, bevor die Menschen mit anderen Themen des Lehr- und Lernprozesses konfrontiert sind, so dass sie Vertrauen
in sich gewinnen und sich vorstellen können, viel mehr zu erreichen, als sie sich je
zugetraut haben.“155
Zu b)
Die Fähigkeit, Gefühle und Gedanken wahrzunehmen, auszudrücken und mitzuteilen, ist grundlegend für den Austausch und die Beziehung zwischen
Menschen. In Kapitel 5.2.3 wurde dargelegt, dass Kinder ihre Gefühle noch sehr
unmittelbar über Bewegungen ausdrücken und mitteilen. Tanz ist insofern ein
geeignetes Mittel, Gefühlen einen Ausdruck zu geben und Gefühle zu
kommunizieren.
Vor
diesem
Hintergrund
kann
Tanz
als
nonverbale
Kommunikationsform auch dann hilfreich sein, wenn sprachliche Barrieren
Kommunikation erschweren. Dem Tanz wohnt insofern ein integratives Potenzial
inne. Zudem fördert die Auseinandersetzung mit nonverbaler Kommunikation das
Verständnis nonverbaler Zeichen, wie Nürnberger konstatiert:
„Tänzerische Kommunikation beinhaltet multisensorische Kanäle. Bewegung ist
auch der primitivste Kanal der Kommunikation, die Matrix, aus der sich die Befähigung zur Unterscheidung, Interpretation und Ausdruck kognitiver und
emotionaler Informationen herausbildet. Selbstanpassung und –kontrolle hängen
vom korrekten Gebrauch und Verständnis kommunikativer Signale ab. Tanz fördert
155
Maldoom, zit. nach Bildungsklick.de vom 17.12.2004
(http://bildungsklick.de/serviceText.html?serviceTextId=7465)
68
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Wahrnehmung und Ausdruck nichtverbaler Zeichen und in der Folge auch
Gebrauch und Regulierung nichtverbaler Kanäle der Kommunikation.“156
Auf der nonverbalen Ebene lassen sich zudem Aspekte wie ‚fremd sein – sich
fremd fühlen’, ‚Dazugehören – Ausgeschlossen sein’ sowie ‚Nähe – Distanz’
gestalterisch umsetzen. Die Kinder können auf diese Weise spielerisch lernen,
ihren Gefühlen tänzerischen Ausdruck zu verleihen. Die Tanzpädagogin oder der
Tanzpädagoge hat hierbei darauf zu achten, im Anschluss an den Tanz die Tanzerfahrungen der Kinder gemeinsam mit diesen zu reflektieren.
Zu c) und d)
Im Hinblick auf die Herausforderung, gemeinsam in der Gruppe ein Problem zu
erarbeiten und Lösungen zu finden, wird von den einzelnen Gruppenmitgliedern
die Fähigkeit erwartet, Kompromisse eingehen zu können. Bezogen auf den
kreativen Kindertanz ist diese Fähigkeit in der Entwicklung eines gemeinsamen
Tanzes gefordert. Hier sei auf den kreativen Prozess im Allgemeinen und auf den
kreativen Prozess im Tanz im Besonderen verwiesen (Kapitel 5.3.1). Im kreativen
Kindertanz, der aus vorgegebenen Strukturen und Improvisationsmöglichkeiten
besteht, werden die Kinder ausdrücklich dazu ermuntert, ihre eigenen Ideen und
Vorschläge zu einem bestimmten Thema einzubringen. Sie erhalten sozusagen
Gelegenheit, ihr Mitspracherecht zu nutzen und gemeinsam etwas zu gestalten.
Der Prozess erfordert das Einlassen auf die Ideen anderer und die Bereitschaft
Kompromisse einzugehen. Wenn die Gestalt eines Tanzes in der sogenannten
Einsichtsphase Form annimmt, wird der kreative Prozess oftmals begleitet von
Gefühlen der Erleichterung und Entlastung. Da der Tanz zudem als ein gemeinsam erarbeitetes ‚Produkt’ gesehen werden kann, verstärkt der Prozess das
Gefühl der Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit der Kinder. Dieses kann sich nonverbal in Mimik, Gestik und körperlicher Nähe zeigen. 157
Diese allgemeinen sozialen Kompetenzen, die im kreativen Kindertanz gefördert
werden, sollen als unabdingbare Vorraussetzung für interkulturelles Lernen
gesehen werden.
156
157
Nürnberger (2001)
Eisler-Stehrenberger (1990: 154)
69
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
6.2.2 Interkulturelles Lernen durch Tanz?
In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie Tanz einen
Beitrag zu den Zielen interkultureller Pädagogik leisten kann. Die Diskussion soll
entlang der in Kapitel 3.3 aufgestellten Ziele der interkulturellen Pädagogik
geführt werden.
Differenz - Gemeinsamkeiten
In seinen Handlungsempfehlungen zu den Möglichkeiten interkulturellen Lernens
in der Primarstufe schreibt Quehl, dass es wichtig sei, Kindern Aktivitäten zu
ermöglichen, in denen sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in vielerlei Zusammenhängen immer wieder erfahren können. Spiele und Übungen sollen
Kinder dazu ermuntern, sich mit den Fragen ihrer eigenen Identität und ihrer
Individualität auseinander zu setzen.158
Kreativer Kindertanz kann diesen Aspekten in besonderer Weise gerecht werden.
In Improvisationsübungen werden Kinder dazu ermutigt, zu einem bestimmten
Bewegungsthema Gefühle, Erfahrungen, Ideen, Situationen und Ereignisse in
Tanz umzusetzen und ihren eigenen, individuellen Bewegungsausdruck zu finden.
Da der jeweils eigene, persönliche Ausdruck der Kinder bei dieser Übung im
Vordergrund steht, kann es kein ‚richtig’ oder ‚falsch’ geben. Insbesondere sollen
in diesem Zusammenhang Bewegungen und Tänze verschiedener Kulturen
erwähnt werden. Oftmals ist schon bei Kindern unterschiedlicher kultureller
Herkunft im Grundschulalter zu beobachten, dass diese kulturell bedeutsame
Tänze jeweils in spezieller Weise beherrschen. So gibt es oftmals spezielle
Bewegungsqualitäten beispielsweise in indischen, türkischen oder afrikanischen
Tänzen, die Kinder in unverwechselbarer Weise ‚einverleibt’ haben.159 Übungen,
die Bewegungsmuster aus Tänzen verschiedener Kulturen aufnehmen, können
Unterschiede in Bewegungen als differenziert kulturellen Ausdruck thematisieren
und spielerisch umsetzen. Alkemeyer beschreibt diese Übung bezogen auf
kulturell einverleibter Bewegungsmuster wie folgt:
158
159
vgl. Quehl (2001: 30)
vgl. Merkt (2002: 41)
70
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
„Im mimetischen Spiel mit ihnen [den Bewegungen, Anmerkung D.D.] im Nach- und
Noch-einmal Machen der Bewegungen Anderer, ließen sich nicht nur lustvolle Gefühle vergegenwärtigen, intensivieren und modellieren, sonder auch ungewohnte
Erfahrungen hervorrufen. Es wäre auf diese Weise ein Verständnis für das Eigene
und das Fremde zu befördern und sinnlich erkennbar zu machen, dass keine Körpertechnik natürlich und unwandelbar ist.“160
Durch die gegenseitige Imitation der Bewegungen Anderer soll ein Bewusstsein
für das jeweils ‚Eigene’ und ‚Fremde’ geschaffen werden; zudem soll die
Akzeptanz ‚fremden’ Körperausdrucks geschaffen werden. Auch Nürnberger bestätigt die Bedeutsamkeit, sich innerhalb interkultureller Begegnungen über den
Körper und den Körperausdruck – und damit auch über tänzerischen Ausdruck –
mit Differenzen auseinander zu setzen.
„Es mangelt uns jedoch nicht nur am intellektuellen Verständnis des körperlichen
Ausdrucks der Fremden, wir haben uns – von der spezifischen Situation in multiethnischen Familien – in den allermeisten Fällen ihren Körperausdruck auch nicht
von Kindheit an durch Imitation zu eigen machen können.“161
In einem interkulturell verstandenen tanzpädagogischen Ansatz lassen sich hieraus Übungen konzipieren, die eben mit diesen Differenzen, aber auch mit
Gemeinsamkeiten
arbeiten.
Daneben
ließe
sich
aufgrund
individueller
Bewegungsformen der Kinder verdeutlichen, dass Kinder der gleichen kulturellen
Herkunft in sich vielfältig sind.
Neben der Auseinandersetzung mit Differenzen können und sollen im Tanz auch
Gemeinsamkeiten betont werden. Tanz kann ein verbindendes Element zwischen
Menschen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft sein. So kann im
Tanz das erlebte Teilen von Rhythmus, Bewegung und Emotionen innerhalb einer
Gruppe trotz bestehender und wahrgenommener Differenzen durchaus ein
Gemeinschaftsgefühl vermitteln. Gemeinsamkeiten über kulturelle Grenzen hinweg zu betonen, beschreibt Royston Maldoom als bedeutsame Grundlage für eine
angemessene Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden. Die tänzerischkünstlerische Darstellung von basalen menschlichen Gefühlen können eben solche
160
161
Alkemeyer (2001: 169)
Nürnberger (2001)
71
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Gemeinsamkeiten zwischen Kindern unterschiedlicher kultureller Herkunft verdeutlichen:
„Was wir gemein haben, ist die Art zu lachen, zu weinen, zu hoffen. Wir machen uns
viel zu viele Gedanken über die Unterschiede und wie man sie beseitigen kann, statt
den Blick zuerst auf unsere Gemeinsamkeiten zu richten. Wenn wir auf dieser Ebene
zusammenkommen können, haben wir keine Angst mehr vor unseren kulturellen
Unterschieden.“162
Kindern können über den Tanz verbindende und unterschiedliche Bewegungsmuster verdeutlicht werden. Bei gleichzeitigem respektvollen und anerkennenden
Umgang mit Differenzen hat Tanz das Potenzial, einen Beitrag zum positiven
Selbstkonzept von Kindern unterschiedlicher kultureller Herkunft zu leisten.
Umgehen mit Befremdung
Eng verbunden mit dem pädagogischen Ziel der Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Differenzen ist das Ziel interkultureller Pädagogik, einen
angemessener Umgang mit Befremdung zu ermöglichen. Fremdheit kann dem
Individuum - wie in Kapitel 3.3.3 dargelegt - in unterschiedlichen Formen
begegnen. So können wir beispielsweise mit Fremdheit in Gestalt fremder
Personen konfrontiert werden. Aber auch in Form fremder Bewegungen können
wir uns mit dem jeweils Eigenen und Fremden auseinandersetzen. Da im Tanz die
Auseinandersetzung mit dem Körper im Vordergrund steht, eignet sich Tanz für
die mit dem Erleben von Fremdheit verbundenen interkulturellen Bildungsprozesse. Dies soll um so mehr gelten, da der Körper – wie in Kapitel 6.1 gezeigt
- sowohl für Fremdheitserleben als auch für Fremdheitsdarstellungen und
-zuschreibungen Auslöser sein kann.163
In der kindergerechten praktischen Umsetzung dieses Zieles kann beispielsweise
die weiter oben angeführte tänzerische Übung des wechselseitigen Nachahmens
fremder Bewegungsformen (z.B. in einer Partnerübung) herangezogen werden.
Auch wenn diese Übung zunächst verunsichern und Überwindung kosten kann,
kann eine solche tänzerisch-körperbezogene Auseinandersetzung mit fremden
162
Maldoom, zitiert nach Bildungsklick.de vom 17.12.2004
(http://bildungsklick.de/serviceText.html?serviceTextId=7465)
163
vgl. Gieß-Stüber (2003: 8)
72
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Bewegungsmustern eine Annäherung an das ‚Fremde’ bewirken. Dabei wird der
Prozess der Annäherung über die spielerische Spiegelung des körperlichen Ausdrucks des ‚Anderen’ im Tanz initiiert und vorangetrieben.
Multiperspektivität
Die Erweiterung des eigenen Blickwinkel sowohl auf die eigene als auch auf andere Kulturen ist das primäre Ziel der multiperspektivischen Bildung (vgl. Kapitel
3.3.5). Eine multiperspektivische Sichtweise umschließt somit die Einsicht in die
Vielfalt menschlicher Schöpfungen. Die Beschäftigung mit Tanz aus verschiedenen Kulturen ist vor diesem Hintergrund nicht nur bereichernd aufgrund
seiner Andersartigkeit, sondern kann hervorragend dazu verwendet werden,
Wissen über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten, über Geschichte,
Gesellschaft, Ethik und Religion zu vermitteln.164 Um ihren Blick über kulturelle
Grenzen zu erweitern, könnten Kindern beispielsweise über Tänze aus unterschiedlichen Ländern gleichsam deren kulturelle Bedeutung und deren
geschichtliche Einordnung vermittelt werden. Dabei gilt es, ein Verständnis von
Kultur zu berücksichtigen, wie es in Kapitel 3.2.1 anhand der Dimensionen des
Kulturbegriffs erörtert worden ist. Die Tanzpädagogin oder der Tanzpädagoge ist
hier gefordert, einen geeigneten Rahmen zu setzen. Folgendes Zitat soll diesen
Ansatz exemplarisch verdeutlichen:
„Interkulturelle Erziehung hat nichts mit Exotik zu tun. Das Miteinander von verschiedenen Kulturelementen darf nicht losgelöst von den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen und den Bedürfnissen und Erfahrungen der Kinder sein.
Der Einsatz von ausländischer Folklore zum Beispiel hat oft diesen Beigeschmack,
aber das liegt nicht an der Folklore, sondern daran, wie ich sie einsetze.“ 165
In diesem Kontext ist es durchaus angebracht, Tänze in einem fächerübergreifenden Rahmen einzuführen. Wird im Erdkundeunterricht beispielsweise eine
Unterrichtsreihe zum Thema „Afrika“ angesetzt, könnten in diesem speziellen
Rahmen unterschiedliche afrikanische Tänze und deren Bedeutung im Alltag eingeführt werden. Kindern kann so ein differenziertes Bild von afrikanischen
Ländern vermittelt werden, das nicht allein auf Tanz und Musik beschränkt bleibt.
164
165
vgl. Nürnberger (2001)
Akinpar zit. nach Roth (2002: 304)
73
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
Mit dem Zitat „Sie sind schwarz. Aber sie tanzen keinen Buschmann-Tanz“
wurde in Kapitel 3.1.2 ein Beispiel eines solchen undifferenzierten Bildes afrikanischer Tänze und Kulturen gegeben. Die differenzierte Vermittlung von Tänzen
aus verschiedenen Kulturen und deren gesellschaftliche Hintergründe kann Kindern verdeutlichen, dass Tänze in verschiedenen Kulturen im Alltag sehr bedeutsam und dass (Tanz-) Kulturen sehr unterschiedlich sein können.
Erkennen des eigenen unvermeidlichen Ethnozetnrismus
Ethnozentrismus meint - wie in Kapitel 3.3.1 dargelegt - die Beurteilung anderer
Kulturen vom Standpunkt der eigenen Kultur mit den ihr zugrunde liegenden
Wertmaßstäben. Oftmals kommt es dabei auf der Grundlage der eigenen Normen
und Werte zur Überhöhung der eigenen Kultur. Erst die konkrete Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen und Lebensarten lässt es zu, sich der eigenen
Einbindung in Denk- und Handlungsmuster bewusst zu werden. Übertragen auf
den Tanz bedeutet dies, dass die Begegnung mit Tänzen und Musik aus anderen
Kulturen den eigenen Standort erkennen lässt. Dabei gilt es zu berücksichtigen,
dass im Rahmen der Beschäftigung mit ‚fremden’ Tänzen und der dazugehörigen
Musik bei Kindern zunächst Abwehrreaktionen und Vorurteilsbildungen verstärkt
werden können.166 Dies erfordert einen sensiblen Umgang und einen vorsichtigen
Einstieg in Tänze aus Kulturen, aus denen auch Kinder der Tanz-Gruppe
kommen. So können ethnozentristische Sichtweisen bzw. Abwehrreaktionen den
Kindern bewusst gemacht werden. Aber auch Gemeinsamkeiten (zwischen
Tänzen) werden erfahrbar gemacht, so dass es im Laufe eines Lernprozesses zur
Akzeptanz anderer Verhaltensweisen und Einstellungen kommen dürfte.
6.3 Zusammenfassung
Da interkulturelle Begegnungen häufig auf der körperlichen Ebene bedeutsam
werden, sollten interkulturelle Bildungsprozesse einem ganzheitlichen Ansatz entsprechend das Subjekt als Leib-Subjekt berücksichtigen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die dem Tanz hinsichtlich dieses Ansatzes innewohnen, wurden an
Hand der Ziele interkulturellen Lernens und den potentiellen Wirkfaktoren des
Tanzes skizziert. Die Potenziale des Tanzes ergeben sich dabei zum einen aus den
166
vgl. Böhle (1996: 25)
74
Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik
allgemeinen Prinzipien des kreativen Kindertanzes und zum anderen aus der
Beschäftigung mit Tänzen und Bewegungsformen aus verschiedenen Kulturen.
Als grundlegendes Ziel interkultureller Pädagogik, welches sich in allen Schwerpunkten interkulturellen Lernens wiederfindet, kann bei Kindern die Haltung der
Akzeptanz gegenüber dem jeweils ‚Fremden’ gefördert werden. Der Wunsch
jedes Einzelnen nach Akzeptanz wurde als basales menschliches Grundbedürfnis
beschrieben. Bedingungen zu schaffen, die diesem Bedürfnis vor dem Hintergrund kultureller Differenzen gerecht werden, können somit auch als basale
pädagogische Aufgabe hinsichtlich der Identitätsentwicklung des Einzelnen
gesehen werden. Situationen, die eine Auseinandersetzung mit dem jeweils
‚Eigenen’ und ‚Fremden’ ermöglichen und eine Annäherung an das ‚Fremde’
erlauben, werden auf der Ebene zwischenmenschlicher Beziehungen als Vorraussetzung für die Entwicklung gegenseitiger Akzeptanz gesehen. Im Prozess des interkulturellen Lernens findet die Auseinandersetzung mit dem ‚Fremden’ und
‚Eigenen’ über den Tanz und über den Körper bzw. Leib statt. Dabei kann das
‚Fremde’ über die weiter oben beschriebene nachahmende Bewegung zu eigen
gemacht werden.
Abschließend soll festgehalten werden, das die spezifische Chancen des interkulturellen Lernens durch Tanz sich vor allem daraus ergeben, dass Kinder hier
mehr als in anderen Fächern auf einer affektiven und handlungsbezogenen Ebene
angesprochen werden. So kann Tanz über die Grenzen des eigenen und kulturell
Definierten hinaus nicht nur Akzeptanz vermitteln, sondern auch verkörpern.
75
Schlussbetrachtung
7. Schlussbetrachtung
„Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von
der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zu Gemeinschaft./ Ich lobe den Tanz, der alles fordert und
fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine
beschwingte Seele.“
(Aurelius Augustinus; *354, †430)
Tanz ist eine vielversprechende Methode, um die Ziele interkultureller Pädagogik
zu erreichen – dies war die zielführende These dieser Arbeit. Es ist der Versuch
unternommen worden, diese These durch die Verknüpfung der Prinzipien interkulturellen Lernens mit den Wirkfaktoren des Tanzes zu untermauern. Der Verlauf der Arbeit hat verdeutlicht, dass dieser Versuch derzeit noch auf einem hohen
theoretischen Abstraktionsniveau stattzufinden hat. Mit anderen Worten: Mit der
vorliegenden Arbeit wurde pädagogisches Neuland betreten. Empirische Untersuchungen zum Thema kreativer Kindertanz und insbesondere zu der von mir verfolgten These, dass dieser den Methodenkoffer interkultureller Pädagogik in
ebenso sinnvoller wie vielversprechender Weise erweitern kann, stehen derzeit
noch aus.
Insbesondere die folgenden Möglichkeiten und Ziele von Tanz als Medium interkultureller Pädagogik sind in dieser Arbeit theoretisch erfasst worden:
•
Als grundlegende Annahme wurde die These herausgearbeitet, dass interkulturelle Begegnungen oftmals auf der Ebene des körperlichen bedeutsam
werden. Vor dieser Annahme ist Tanz ein geradezu prädestiniertes
Medium, die Aspekte des Befremdens, der kulturellen Differenzen und
Gemeinsamkeiten über körperliches bzw. leibliches Erleben erfahrbar zu
machen.
•
Die Vielfalt der Tänze aus unterschiedlichen Kulturen kann dazu beitragen, den eigenen Blickwinkel sowohl auf die eigene als auch auf andere
Kulturen zu erweitern. Verschiedene Bewegungsformen sowie die Vermittlung der jeweils kulturell unterschiedlichen Bedeutsamkeit von Tanz
im Alltagsleben können den Kindern gleichsam den Blick über ihren eigenen kulturellen ‚Tellerrand’ ermöglichen.
76
Schlussbetrachtung
•
Tanz kennt keine sprachlichen Kommunikationsbarrieren und kann als
nonverbales Kommunikationsmittel ein integrierendes Potenzial entwickeln.
•
Tanz schafft auf spielerische Weise ein Klima der Akzeptanz kultureller
und individueller Andersartigkeit.
Insbesondere der letzte Punkt erscheint vor dem Hintergrund der Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft von großer Bedeutung. So hat die
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,
Marieluise Beck, auf die gegenseitige Anerkennung als leitendes Prinzip der
multikulturellen Gesellschaft verwiesen. Auch die interkulturelle Pädagogik, die
sich in besonderer Weise den Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft annimmt, verfolgt das Prinzip der „Anerkennung der für Menschen
bedeutungsvollen kulturellen Bezüge oder Werte“167 als handlungsleitendes Ziel.
Zur Frage der Integration der multikulturellen Gesellschaft liegt mit dem Prinzip
der Anerkennung ein wichtiger Lösungsansatz vor. In diesem Sinne soll auch die
vorliegende Arbeit „AkzepTANZ“ verstanden werden: Tanzpädagogische Maßnahmen können auf dem nach wie vor steinigen Weg der wechselseitigen Wahrnehmung und Anerkennung kultureller Unterschiede einen wertvollen Beitrag
leisten. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass diese Maßnahmen
möglichst schon im frühen Kindesalter zum Tragen kommen, um dem Verfestigen
von kulturell bedingten Vorurteilen und Stereotypen frühzeitig entgegen zu
wirken.
Damit Tanz als potenzielle Methode interkultureller Pädagogik den Rahmen einer
kleinen wissenschaftlichen Arbeit verlassen kann, bedarf es noch einiger theoretischer und praxisrelevanter Vorleistungen. Folgende Handlungsempfehlungen
sollen
daher
zum
Abschluss
dieser
Arbeit
ausgesprochen
werden:
167
Auernheimer (http://www.uni-koeln.de/ewfak/paedagogik/interkulturelle/publikationen/pol_bildung.html)
77
Schlussbetrachtung
•
Institutionelle Rahmensetzung
Die Ausbildung des menschlichen Selbstverhältnisses hängt wesentlich von der
Akzeptanz anderer ab. Die Aufgabe der Schule kann unter anderem darin gesehen
werden, allen Schülerinnen und Schülern eine identitätsunterstützende Akzeptanz,
die Achtung als gleichberechtigtes Mitglied einer Gemeinschaft und die soziale
Wertschätzung konkreter Eigenschaften und Fähigkeiten entgegen zu bringen. Der
Ganztag an Schulen ist ein guter Rahmen, um die Ziele interkulturellen Lernens
und somit auch Tanz als mögliche Methode interkulturellen Lernens umzusetzen.
So erkennt auch Politik an, dass die gesellschaftlichen Institutionen in die Lage
versetzt werden müssen, den „Pluralismus produktiv zu nutzen und sich interkulturell zu öffnen.“168 Den Forderungen auf dem Papier müssen jedoch auch entsprechende Maßnahmen folgen. Oftmals reicht der Wurf nicht weit genug, so
auch im Falle des Konzepts der offenen Ganztagsgrundschule der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Da das Armutsrisiko in Deutschland eng mit
der ethnischen und kulturellen Herkunft korreliert, ist zu befürchten, dass gerade
Kinder mit Migrationshintergrund der Zugang zum offenen und gebührenpflichtigen Ganztag verwehrt bleibt. Damit Schulen auch Kinder aus sozial
schwache Bevölkerungsschichten erreichen, müssen die Nachmittagsangebote für
alle Kinder verpflichtend und damit kostenfrei sein. Der Schule als Ort des interkulturellen Lernens würde somit gestärkt.
•
Wissenschaftliche Evaluation
Eine empirische Untersuchung zu der in dieser Arbeit aufgestellten These, dass
Tanz ein vielversprechendes Methode zur Erreichung der Ziele interkultureller
Pädagogik ist, steht derzeit noch aus. An dieser Stelle sind in erster Linie Wissenschaft gefordert. Im Forschungsprojekt „Tanz in der offenen Ganztagsgrundschule“ ist derzeit eine wissenschaftliche Dissertation zu diesem Thema in
Planung. Wünschenswert wäre jedoch auch eine größer angelegte Langzeitstudie,
die den Wirkungszusammenhang von Tanz und interkulturellem Lernen wissenschaftlich fundiert untermauert.
168
Beck (2005: 5)
78
Schlussbetrachtung
Doch auch Politik ist hier in der Verantwortung. Sie kann durch die längerfristige
Bereitstellung von entsprechenden Fördermitteln die Voraussetzungen schaffen,
um tanzpädagogische Konzepte an Schulen zu realisieren. Mit dem Projekt „Tanz
in der offenen Ganztagsgrundschule“ hat die Landesregierung NRW einen ersten
Schritt gemacht. Eine weitere Unterstützung des Projekts ist allerdings derzeit von
Landesseite nicht in Aussicht gestellt.
•
Förderung interkultureller Kompetenzen von Tanzpädagoginnen und
Tanzpädagogen
Im Rückgriff auf die bereits vorhandenen Strukturen müssen die Potenziale
optimaler ausgereizt werden. Das Projekt „Tanz in der offenen Ganztagsgrundschule“, das bereits in einigen Ganztagsgrundschulen in NRW realisiert ist, kann
einen Rahmen bieten Tanz als Medium interkulturellen Lernens stärker zu
berücksichtigen. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich einige Gespräche mit Tanzpädagoginnen geführt, die derzeit in unterschiedlichen offenen Ganztagsgrundschulen Tanz unterrichten. In diesen Gesprächen kristallisierte sich heraus, dass
der interkulturelle Aspekt in der tanzpädagogischen Arbeit mit Kindern keine explizite Berücksichtung findet. Jedoch zeigten sich die Gesprächspartnerinnen sehr
interessiert für dieses Thema. Es besteht nach Auskunft der Tanzpädagoginnen
eine gewisse Sensibilisierung für die Einbeziehung des interkulturellen Ansatzes
in die tanzpädagogische Arbeit. Dieses Defizit kann und sollte zukünftig durch
Fortbildungsmaßnahmen für die tanzpädagogischen Praktikerinnen und Praktiker
behoben werden. Denkbar wären beispielsweise Workshops oder Arbeitsgruppen,
in denen die interkulturellen Kompetenzen der Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen geschult werden. Dem „NRW Landesbüro Tanz“ könnte hier eine zentrale
Koordinierungsfunktion zukommen.
79
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Eidesstattliche Erklärung
Gemäß § 22 Abs.9 der Studienordnung für den Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen vom 08.August 1996 versichere
ich die vorliegende Arbeit unter dem Titel „AkzepTANZ – Tanz als Medium der
interkulturellen Pädagogik in der offenen Ganztagsgrundschule“ selbständig verfasst, keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt und alle Zitate kenntlich
gemacht zu haben.
Essen, 13.11.2005
88

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