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4 INHALT / KURZ NOTIERT KURZ NOTIERT CSA – ein neues, altes Modell TITELTHEMA Zu viel Gülle gefährdet die Gewässer und die Gesundheit „Niedersachsens Wasser ist voll scheiße“ 5 5 6 8 TIERSEUCHEN Rinderbotulismus und Glyphosat LICHTBLICKE Gelbe Karte für Schweinebauern/Lebensmittelklarheit.de 10 13 KAMPAGNE Petition „8hours“: Aus für überlange Tiertransporte Verstecktes Tierleid in Importgeflügel Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger Sauen ist notwendig Tierschützer, Augen auf! 18 33 MAGAZIN Fans wollen keine Hühnerbrust-Trikots Bio made in China Hühnerprojekt in Ruanda bewährt sich Verschwendung von Lebensmitteln Gerd Sonnleitner geht zurück auf die Scholle Auflösung des HANSANO-Bilderrätsels Fleischfrei mit Genuss 22 28 30 34 36 38 42 14 17 CSA – ein neues, altes Modell solidarischer Landwirtschaft Die drei Buchstaben stehen für den etwas unhandlichen Begriff „Community Supported Agriculture“ – ein Wirtschaftsmodell, das in den 1960er Jahren in Japan entwickelt wurde und unabhängig davon 20 Jahre später nach Nordamerika kam. Treibende Kraft für dieses Modell ist der Versuch, dem wachsenden Preisdruck und der Abhängigkeit von der Agrarindustrie zu entkommen. Das Prinzip ist einfach: Ein Landwirt beliefert einen festen Kundenstamm mit Gemüse, Obst und Fleisch, alles in bester Bioqualität. Sein Vorteil: Er hat Planungssicherheit und muss sich nicht um die Vermarktung kümmern. Umgekehrt verpflichten sich die Mitglieder der CSA, den Hof für jeweils ein Jahr zu finanzieren. Ihr Vorteil: Sie wissen, wer ihre Nahrungsmittel wie und wo erzeugt – und haben ein Mitspracherecht. Mensch, Natur und Wirtschaft können dabei harmonisch miteinander interagieren. Ich bin Bio-Bauer aus Leidenschaft. Für mich persönlich stellt diese solidarische Wirtschaftsgemeinschaft die effizienteste und nachhaltigste Form einer ökologischen Kreislauf-Landwirt- AKTUELLES AUS BRÜSSEL Neue GAP – mehr Tierschutz rückt näher 25 GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN Ein Paradies für Wollschweine Mangalitza – ein Schwein mit Locken 44 46 KINDERSEITE GÄNSEFÜSSCHEN 48 BUCH-/DVD-TIPP Richard Rickelmann: Tödliche Ernte Bertram Verhaag: Gekaufte Wahrheit 40 50 IMPRESSUM 51 DAS ALLERLETZTE 52 Mitgliedsbeitrag schon bezahlt? schaft dar. Ich werde mit meinem Hof diesen Weg gehen. Im nächsten PROVIEH-Magazin (4/2012) werde ich einen ausführlichen Bericht zum CSA-Modell schreiben. Aber vorher schon kann jeder am 30.09.12 ab 10 Uhr auf meinem Hof Hörsten in 23715 Bosau mehr zu diesem Thema erfahren beim Besuch der Veranstaltung „Zukunft säen“. Auf ihr werden wir gemeinsam mit den Menschen gesundes Saatgut ausbringen und anschließend mit dem Arbeitspferd „Larsson“ die Saat zudecken. Und Sie werden erfahren, wie Heu in höchster Qualität hergestellt werden kann. Ein Vortrag/Film, Kaffee und Kuchen sowie Kinderaktionen, wie zum Beispiel Reiten auf dem Arbeitspferd, werden den Tag abrunden. Volker Kwade Hof Hörsten, Volker Kwade, 23715 Bosau/ Holsteinische Schweiz, Tel.: 0172. 450 10 46; Wir bieten Mitfahrgelegenheiten aus Kiel an. Bitte melden Sie sich bei Verena Stampe, 0431. 248 28 13 6 TITELTHEMA 7 Gülleüberschüsse gefährden die Gewässerqualität und unsere Gesundheit Wasser ist eine der wertvollsten Ressourcen dieser Erde. Daher müssen die Gewässer Europas geschützt werden. Das beschloss die EU in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL 2000/60/EG), die im Jahr 2000 in Kraft trat. Nach ihr sollen in der EU alle Oberflächengewässer, also Flüsse, Seen, Kanäle, Küstengewässer und das Grundwasser bis 2015 in gutem Zustand sein. Die EU-Länder verpflichteten sich, die Richtlinie in ihre nationale Gesetzgebung zu integrieren und im vorgeschriebenen Zeitplan eine Bestandsaufnahme über ihre Gewässer anzufertigen. Die Analyse des Zustands sowie eine darauf basierende Erstellung von Bewirtschaftungs- und Maßnahmenplänen mussten bereits bis 2009 abgeschlossen sein. Deutschland scheint die Umsetzung der Richtlinien für nicht erstrebenswert zu halten und bummelte. Die Folge: Trotz mehrfacher Mahnungen seitens der EU-Kommission wird Deutschland nun wegen fortgesetzter Verletzung der WRRL vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Der Vorwurf lautet: Deutschland setze die Richtlinie nur teilweise um. Massentierhaltung verschärft Überdüngungsproblematik Die Oberflächengewässer und das Grundwasser befinden sich in Deutschland noch überwiegend in einem Zustand, der es nicht erlaubt, die Ziele der EU-Richtlinie bis 2015 zu erreichen. Laut einer Broschüre des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2010 befinden sich lediglich zehn Prozent der Oberflächengewässer in einem sehr guten oder guten ökologischen Zustand. Besorgniserregend ist auch der Zustand der Grundwasservorkommen: 37 Prozent davon wird kein guter Zustand attestiert. Als ein Hauptgrund wird die fortwährende landwirtschaftliche Verschmutzung angeführt. „Die Gewässer werden vor allem durch Düngemittel belastet, die zu 77 Prozent aus der Landwirtschaft kommen“, sagte der UBA-Präsident Jochen Flasbarth am 01. Februar 2011 in der ZDF-Sendung Frontal Früher wurden Jauche und Mist aus der Viehhaltung auf den Feldern in der direkten Umgebung der Bauernhöfe als natürlicher Wirtschaftsdünger eingesetzt. Heutzutage gibt es fast nur noch die Gülle (Gemisch aus Harn und Kot), die aus viel größeren Viehbeständen stammt und oft nur teilweise als Dünger auf die Felder des Betriebs ausgebracht werden kann. Es bleiben also Gülleüberschüsse, die entsorgt werden müssen. Für diesen Zweck wurde vor einigen Jahren die sogenannte „Güllebörse“ eingerichtet, an der Tierhalter ihren Gülleüberschuss an andere Landwirte verkaufen können, die zu wenig oder – mangels Viehbestands – gar keinen betriebseigenen Wirtschaftsdünger haben. Doch der Haken ist, dass dieser Handel nicht kontrolliert wird. Unbekannte Mengen an Gülle können deshalb auch weiterhin auf Nutzflächen stark belasteter Gebiete landen, ohne dass sie von den Pflanzen und Böden aufgenommen werden können. Also sickert der Gülleüberschuss ins Grundwasser oder wird bei Regen in die Manche Regionen „ersaufen“ fast in Gülle der Schweiz bei nur 25 mg/l), wird oft aber nicht eingehalten: Werte von über 150 mg/l wurden unter anderem in Gebieten Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens gemessen, also in Regionen mit hoher Viehdichte. Betroffen sind auch Teile der neuen Bundesländer, wo es besonders intensive Landwirtschaft und viele Tierfabriken gibt. Einmal kontaminiertes Grundwasser ist schwer zu reinigen. Deshalb werden die negativen Folgen der Trinkwasserverschmutzung noch über Jahrzehnte nachweisbar sein. Flüsse, Seen und Meere gespült. Die Wirkungen sind in beiden Fällen verheerend. Überdüngung eutrophiert Oberflächengewässer Hohe Nitratwerte im Grundwasser gefährden die Gesundheit In Flüssen, Seen und Meeren führt der Überschuss an ausgebrachter Gülle zu „Eutrophierung“, das heißt zu einer Übersättigung mit Pflanzennährsalzen. In einem solchen Milieu können Algen wuchern und als Algenpest jegliches aerobe Leben (an die Verfügbarkeit von Sauerstoff gebunden) abtöten. Dann können sich nur noch anaerobe Bakterien vermehren, für die Sauerstoff Gift ist und die gefährliche Faulgase bilden: Das Gewässer „kippt um“. Dieses Phänomen wird regelmäßig an zahlreichen deutschen Badeseen beobachtet, aber auch in tieferen Zonen von Binnenmeeren wie der Ostsee. Wenn Gülleüberschüsse ins Grundwasser gelangen, verliert dieses seine Eignung als Trinkwasser. Also gibt es in belasteten Regionen Probleme bei der Trinkwasserversorgung. Diese Probleme müssen ernst genommen werden, denn das Nitrat aus der Gülle wird im Körper von Menschen und anderen Säugetieren zu Nitrit umgewandelt, das den Sauerstofftransport im Blut verschlechtert. Das kann besonders für Säuglinge gefährlich werden. Außerdem entstehen Nitrosamine, die als krebserregend gelten. Einen Hinweis auf die Risiken geben die gehäuften Krebserkrankungen in Gebieten mit besonders hoher Nitratbelastung. Laut Antwort der Bundesregierung (13/7110) auf eine Anfrage der SPD (13/6803) gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der Nitratbelastung des Trinkwassers und der Jodmangelkrankheit: Nitrat kann die Jodaufnahme in der Schilddrüse behindern. In Deutschland liegt der Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser bei 50 Milligramm pro Liter (in „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“ So steht es in der Wasserrahmenrichtlinie. Aber die Regierung schaut weg. Hoffentlich bringt die EU-Klage Deutschland auf Trab. Markttaugliche und schnell umsetzbare Vorschläge zur Eindämmung der Gülleproblematik gibt es jedenfalls genug (siehe Beitrag in diesem Heft). Ulrike Behre 8 TITELTHEMA 9 „Niedersachsens Wasser ist voll scheiße“ … titelte die Berliner Tageszeitung (taz), als sie über das Fachsymposium „Nährstoffmanagement und Grundwasserschutz“ am 8. Juni 2012 in Hannover berichtete. Dort musste der niedersächsische Umweltminister Stefan Birkner (FDP) zugeben, dass sein Land die Vorgaben für Nitratwerte der EU-Wasserrahmenrichtlinie (siehe Beitrag in diesem Heft) nicht fristgerecht erreichen könne. In Niedersachsen sind die Werte aus zwei Gründen vielerorts überhöht: 1. Vor allem in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg, Emsland und der Grafschaft Bentheim werden weit mehr Tiere gehalten als für die regionale Nutzung von deren Gülle tragbar ist. 2. Zusätzlich importiert Niedersachsen Gülleüberschüsse aus den Niederlanden. Im März 2012 hat der niedersächsische Grünen-Abgeordnete Christian Meyer das Problem in einer Kleinen Anfrage in Zahlen so ausgedrückt: Gelte die von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen angegebene maximale Phosphat-Düngemenge von 80 Kilogramm pro Hektar und Jahr, dann haben allein die Landkreise Vechta und Cloppenburg eine Eigenversorgung mit organischem Dünger (Gülle, Festmist und Trockenkot) von 246 beziehungsweise 209 (statt nur 100) Prozent Kunstdünger. Gärreste aus Biogasanlagen sind im Zahlenbeispiel nicht berücksichtigt. Der Überschuss wiegt 3.260.000 Tonnen und müsste zur Einhaltung der Düngevorgaben in vieharme Regionen transportiert werden. Dafür wären über 100.000 Transportfahrten nötig mit LKWs, die 25.000 Liter fassen – eine enorme Belastung für die Straßen. Die Verunreinigung der Wasserressourcen allein mit Nitrat zeigt an, dass bisher viel zu wenig organischer Dünger fortgeschafft wurde. Jahrelang verschärfte Niedersachsen das Problem durch die Genehmigung weiterer Mastanlagen für Schweine und Geflügel. Erst jetzt leitete das Land eine Entschärfung ein mit der neuen Gülle-Verordnung, die ab 1. Juli 2012 gilt. Sie schreibt den Tierhaltern vor, zweimal im Jahr die anfallende und die auf die Felder verbrachte Gülle an die Landwirtschaftskammer zu melden. Verkaufen die Tierhalter Gülle, müssen auch die Transporteure und Abnehmer zweimal im Jahr alle Mengen genau melden. Die Grünen im niedersächsischen Landtag fordern zusätzlich die Einführung eines Güllekatasters, das die Ausbringungen von organischem Dünger flurgenau festhält. Dieses Kataster würde alle zu düngenden Flächen und ihren Nährstoffbedarf angeben mit dem Ziel, Flächen vor Überdüngung zu schützen. Anders als in Deutschland arbeitet die niederländische Regierung schon länger an der Beseitigung der Umweltbelastung durch organischen Dünger. Hühnermist, der sich leicht trocknen und dadurch gut transportieren lässt, wird gern auch über längere Strecken exportiert. Schweinegülle dagegen ist flüssig und verursacht deshalb höhere Transportkosten. Daher wird sie eher über kürzere Distanzen transportiert, zum Beispiel nach Niedersachsen. An einem Verfahren zur Trocknung und anschließender Pelletierung von Schweinegül- Die Gülleüberschüsse in viehdichten Regionen verseuchen zunehmend das Grundwasser le für den Transport wird in den Niederlanden geforscht. Seit Jahren hat die niederländische Regierung maximale Tierzahlen pro Fläche vorgeschrieben und eine Verschmutzungsgebühr pro Schweinemastplatz erhoben. Diese Regelung soll aber 2015 auslaufen. Das ist bedauerlich; denn die handelbaren Verschmutzungsgebühren sind ein markttauglicher Ansatz für eine effiziente Umsetzung des europaweit angestrebten Verursacherprinzips. Damit das System funktioniert, müssten aber alle EULänder mitmachen, damit nicht das geschieht, womit Deutschland noch lange zu kämpfen haben wird: Mit staatlicher Hilfe bauen einige niederländische Investoren seit Jahren riesige Schweinemastanlagen und Sauenhaltungen in den neuen Bundesländern. Die Gülle fällt jetzt dort an und nicht mehr in den Niederlanden. Das Problem wurde also nur exportiert statt gelöst, 1:0 für Holland. In Deutschland hat sich kein regierungsseitiger Widerstand dagegen geregt. Nur Nichtregierungsorganisationen, zu denen Bürgerinitiativen, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und PROVIEH gehören, leisten ihn. Das Gülle-Problem könnte am besten durch eine europaweite Flächenbindung von Tierzahlen gelöst werden. Dann nämlich können nur so viele Tiere gehalten werden, wie für die regionale Nutzung des anfallenden organischen Düngers sinnvoll ist. Auf diese Weise würden die Tierzahlen sinken, weniger Viehfutter müsste importiert werden und weniger Antibiotika würden eingesetzt. Den Wasserressourcen würde das alles gut tun. Der verringerte Antibiotikaeinsatz würde sogar die Schädlichkeit von Gülle verringern, wie Professor Manfred Grote von der Universität Paderborn herausfand: Antibiotika und antibiotikaresistente Keime, bisher mit der Gülle auf die Äcker verbracht, sind nicht nur auf der Oberfläche des dort gewachsenen Gemüses zu finden, sondern können auch in die Pflanzen hineingelangen. Auch Jahre nach dem Ausbringen belasteter Gülle sei dies noch möglich. Eine akute Warnung vor dem Gemüseverzehr sprechen Grote und andere Experten dennoch nicht aus. Weiterhin bleibe Gemüseverzehr gesund und ein gutes Mittel, riesige Tierbestände überflüssig zu machen. Sievert Lorenzen 10 TIERSEUCHEN 11 Das Leben sterben sehen – Rinderbotulismus und Glyphosat Ein schleichendes Problem geht um in der deutschen Milchviehhaltung: Rinderbotulismus. Seit 1996 wurde die Krankheit schon auf über tausend Betrieben nachgewiesen, von denen die meisten in Nordwestdeutschland liegen. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch, denn die Krankheit breitet sich in einem Betrieb schleichend aus und wird zunächst leicht übersehen. Je weiter die Erkrankungsrate an Fahrt aufnimmt, desto mehr Kühe leiden an Leistungsabfall, Muskel- und Pansenlähmung, Labmagenverlagerung, Bewegungs- und Schluckbeschwerden und an gestörten Lid-, Ohr- und Zungenreflexen – alles Folgen von Rinderbotulismus. Auf dessen Ursachengeflecht fällt erst allmählich Licht und offenbart schon jetzt dessen Gemeingefährlichkeit. „Das Leben sterben sehen“ – mit diesen Worten überschrieb ein Milchbauer aus Schleswig-Holstein die Tragödie, als der Rinderbotulismus viele seiner Milchkühe elendig dahinraffte. Akuter und chronischer (= viszeraler) Botulismus Botulismus wird erzeugt durch das Gift des Bakteriums Clostridium botulinum. Alle rund 200 Clostridium-Arten sind Anaerobier (nur unter Sauerstoffausschluss aktiv) und spielen in der Natur eine wichtige Rolle bei der Zersetzung toter organischer Substanz. 35 dieser Arten sind pathogen (krankheitserregend), und von ihnen können 15 starke Gifte bilden. Als Dauerstadien werden Sporen gebildet, die hitze- und trockenresistent sind und für viele Jahre oder Jahrzehnte in der Erde und im Wasser überleben können. Geraten sie in einen geeigneten Zersetzungsherd, werden sie aktiv und starten einen neuen Vermehrungszyklus. Das Gift von C. botulinum ist ein Neurotoxin (Nervengift), das als BoNT bezeichnet wird. Es ist stärker als jedes andere von Lebewesen gebildete Gift. Rein theoretisch lässt sich mit 40 Gramm die gesamte Weltbevölkerung vernichten (Kritischer Agrarbericht 2001). Es verhindert an den Synapsen zwischen Nervenfasern und Muskeln die Ausschüttung des Botenstoffs Acetylcholin und legt so die Muskulatur lahm. Zum Glück kann das Immunsystem Antikörper gegen das BoNT bilden, weil es als Eiweiß von partikulärer Natur ist. Wird das BoNT mit verdorbener Nahrung aufgenommen, wird akuter Botulismus erzeugt. Werden dagegen Sporen von C. botulinum aufgenommen, die erst im Darmtrakt auskeimen und einen Vermehrungszyklus starten, der zur chronischen Bildung von BoNT führt, spricht man von chronischem (= viszeralem) Botulismus. Er macht das betroffene Rind zum Dauerausscheider von Sporen von C. botulinum und damit zu einem chronischen Infektionsrisiko für die gesamte Herde. Je kranker das Rind schon geworden ist, desto besser kann sich C. botulinum in ihm noch mehr vermehren und so die Gift- und Sporenfracht erhöhen. Dem Teufelskreis können außer Rindern auch Menschen zum Opfer fallen – bei Säuglingen kann es eine Ursache für den plötzli- Auf der Schattenseite – chronischer Rinderbotulismus chen Kindstod sein (siehe Advisory Committee on Microbiological Safety of Food 2006). Pionier der deutschen Forschung über chronischen Rinderbotulismus ist Prof. Dr. Helge Böhnel aus Göttingen. Seit einigen Jahren nimmt sich auch die private Agrar- und Veterinär-Akademie (AVA) in Horstmar-Leer im Münsterland des Themas an und setzt im Rahmen ihrer Tagungsveranstaltungen wichtige Forschungsimpulse. Doch die Bundesregierung bekundete noch 2011 „Zweifel, dass der ‚chronische’ Botulismus als Krankheitsbild existiert. Es handelt sich um eine Hypothese zur Erklärung eines unspezifischen Krankheitsbildes.“ Diese Aussage ist sehr arrogant, denn wie in guter Wissenschaft üblich, wurde die Hypothese auf einer handfesten Datenlage erarbeitet und hat schon mehrere Prüfungen bestanden. Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist die Hypothese ein Dorn im Auge von Agrarindustriellen und politisch Verantwortlichen, weil sie die Gemeingefährlichkeit mancher üblich gewordener Gepflogenheiten der industriellen Landwirtschaft offenbart. Rinderbotulismus im Spiegel der Agrarindustrie Je schwächer das Immunsystem und je höher die Belastung mit Sporen von C. botulinum, desto eher können Rinder an chronischem Botulismus erkranken. Prof. Dr. Monika Krüger von der Universität Leipzig erkannte, dass vor allem Milchkühe mit hoher Milchleistung einem weiteren Schadfaktor ausgesetzt sind: Glyphosat, Wirkstoff des Totalherbizids Roundup und in zu starker Konzentration in gentechnisch veränderter (GV) Soja enthalten, die Glyphosat verträgt. Seit einigen Jahren werden Getreide- und Kartoffelfelder kurz vor der Ernte mit Glyphosat gespritzt, um alle grünen Pflanzenteile abzutöten (Sikkation, siehe PROVIEH-Magazin 1/2012). Mit GV-Soja und sikkiertem Getreide im Kraftfutter nehmen Milchkühe auch Glyphosat auf. Es gelangt aus dem Darmtrakt in alle durchbluteten Körperteile, wie eingehende Analysen bewiesen. Außer im Harn von Rindern wurde Glyphosat auch im Harn von Großstädtern nachgewiesen, ein Zeichen, dass es in der Nahrungskette weitergegeben wird. Wie vielfältig die von Glyphosat angerichteten Schäden sind, hat Prof. Krüger am 30. Juni 2012 auf einer AVA-Tagung angeführt. Bei ausreichender Konzentration führt Glyphosat zu Störungen der Fruchtbarkeit, zu Fehlund Missgeburten, Nekrosen an Ohren und Schwanz und zu Leber- und Nierenschäden. Glyphosat bindet Spurenelemente wie Kupfer, 12 TIERSEUCHEN / LICHTBLICKE Mangan und Kobalt und macht sie so unverfügbar für Lebewesen, dass diese Opfer von Mangelkrankheiten werden können. Schon in äußerst geringen Konzentrationen hemmt Glyphosat die Vermehrung von Enterokokken und anderen Bakterien, die zu einer gesunden Darmflora gehören und potente Gegenspieler von C. botulinum sind. Zu den Abbauprodukten von Glyphosat gehört die Substanz AMPA, die im Pansen die Anheftung der Pansenbakterien an das aufgenommene Futter behindert. Dann kann die Kuh das aufgenommene Futter nur noch mangelhaft verwerten. Auf vielfältige Weise also stresst Glyphosat die Kuh, schwächt ihr Immunsystem und macht sie zu einem leichten Opfer von chronischem Botu- Geographische Verteilung der 1.108 betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe, gruppiert nach Postleitzahlbereichen im Untersuchungszeitraum 1996 – 2010 (Quelle: Böhnel & Gessler, Tierärztliche Umschau 67, Juli 2012) 13 lismus, aber auch von Rausch- und Gasbrand, die von anderen Clostridium-Arten verursacht werden. Außer Glyphosat gibt es noch ein zweites Botulismusrisiko für Rinder. So werden FleischKnochenmehle nicht nur an die Zementindustrie geliefert, sondern fein gemahlen auch als Dünger ausgebracht. Das schafft ideale Bedingungen für die Vermehrung von Clostridium-Arten. Außerdem können sich diese Arten auch in den Biogasanlagen vermehren, weil in ihnen Gärung unter Sauerstoffausschluss stattfindet und kleinräumig auch andere Lebensbedingungen erfüllt sind. Neben Gülle werden dem Gärsubstrat oft auch Nachgeburten und Geflügelkot beigegeben. Selbst wenn nach der Gärung die Gärreste erhitzt werden, bleiben die Sporen keimfähig. Die Gärreste werden als Dünger geschätzt. Werden Grasäcker mit einer oder beiden der genannten Düngersorten gedüngt, gelangen die Sporen in die Silage, die an die Rinder verfüttert wird. Dem Rinderbotulismus liegt mit Glyphosat und angereicherten Mengen von ClostridiumSporen also ein hochgefährliches Ursachengeflecht zugrunde. Gegenmaßnahmen gegen diese Risiken erwiesen sich in der Praxis als überraschend erfolgreich, wie Tierarzt Achim Gerlach aus Burg (Dithmarschen, SchleswigHolstein) auf der AVA-Tagung 2012 berichtete. Auch Schweinebauern erlebten, wie die Gesundheit ihrer Schweine aufblühte nach Umstellung auf glyphosatfreies Futter. PROVIEH wird die noch ziemlich neuen Erkenntnisse über die Gemeingefährlichkeit der erörterten agrarindustriellen Gepflogenheiten verstärkt in seine Arbeit einbringen. Sievert Lorenzen „Gelbe Karte“ für Schweinebauern Mit einer „Gelben Karte“ können dänische Schweinehalter und Tierärzte für einen übermäßig hohen Antibiotikaeinsatz verwarnt werden. Die Überwachung wird ermöglicht durch staatliche Statistik-Einrichtungen, die sowohl die Tierbestände auf den Höfen als auch die Menge der an Landwirte ausgelieferten Antibiotika erfassen. Wird ein Betrieb ertappt, zu viele Antibiotika an seine Schweine verabreicht zu haben, bekommt er in einer ersten Phase neun Monate Zeit, seinen Antibiotikaverbrauch durch Gegenmaßnahmen zu senken. Kann er in dieser Frist nicht die Tiergesundheit verbessern, muss er in den nächsten zwei Phasen mit weiteren unangemeldeten Kontrollen durch die Behörde, mit einem vorgegebenen Sanierungsplan und mit Maßnahmen wie der zwangsweisen Verringerung der Besatzdichte rechnen, so lange bis der Einsatz von Antibiotika unter den vorgegebenen Schwellenwert gesunken ist. Die „Gelbe Karte“-Initiative wurde 2010 in Dänemark eingeführt und hat zu einer Senkung des Antibiotikaverbrauchs in der Schweinemast geführt. Silke Broxtermann Auf dem richtigen Weg: Lebensmittelklarheit.de Seit Juli 2011 ist das Online-Portal Lebensmittelklarheit.de im Netz und wird rege genutzt. Bisher wurde die Seite rund 300.000mal pro Monat angeklickt, und pro Woche kommen 70 bis 100 neue Anfragen zu den bisherigen hinzu. 5.000 Produkte mit irreführender Verpackung wurden von Kunden gemeldet, zum Beispiel Kalbswiener mit Anteilen vom Schwein oder Früchtetee ohne Früchte. Die Lebensmittelindustrie kennt viele Tricks, um Produkte besser darzustellen als sie sind. Jetzt können Verbraucher diese Praxis in konkreten Fällen online zur Rede stellen und haben schon Erfolge erzielt: Schon im ersten Jahr haben 30 Prozent der Firmen einige ihrer Verpackungen geändert. Die Firma Iglo hat sogar angekün- digt, ein Produkt vom Markt zu nehmen. Ihre „Chicken-Nuggets“, die laut Verpackung zu 100 Prozent aus Hähnchenbrust bestehen sollen, tatsächlich aber nur aus Formfleisch und Zusatzstoffen zusammengeklebt sind, wird es so nicht mehr geben. Der Etikettenschwindel bei den angeprangerten Produkten ist zwar meist legal, aber der Verbraucheransturm hat gezeigt, wie sehr Menschen klare und wahre Auskünfte über das jeweilige Lebensmittel wünschen. Es ist nun Aufgabe der Politik von der Lebensmittelindustrie klare Kennzeichnungen zu verlangen, etwa Auskünfte über die Art der Tierhaltung oder ob gentechnisch veränderte Futtermittel eingsetzt wurden. Susanne Kopte KAMPAGNE 14 15 Petition für Begrenzung der Transportzeit für Schlachttiere auf 8 Stunden In der geltenden EU-Tierschutztransportverordnung 1/2005 heißt es: „Es ist davon auszugehen, dass sich lange Beförderungen auf das Befinden der beförderten Tiere nachteiliger auswirken als kurze.“ Diese Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport regelt sämtliche Bedingungen während des gesamten Transportzeitraums von Nutztieren und soll eigentlich deren Wohlergehen gewährleisten. Doch in vielen Fällen erlaubt sie das genaue Gegenteil. Sie erlaubt, Schweine und Pferde 24 Stunden ohne Unterbrechung zu transportieren, nach einer Ruhepause von 24 Stunden den Transport für weitere 24 Stunden INFOBOX Gravierende Mängel bei Tiertransporten Laut Bericht der EU-Kommission (11/2011) gibt es teilweise „gravierende Mängel“ bei Tiertransporten. Allein im Jahr 2009 wurden innerhalb der EU sowie aus und in Drittländer ca. 37 Millionen lebende Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde sowie über eine Milliarde Stück Geflügel transportiert – ein Drittel davon über Langstrecken. Transporte innerhalb der einzelnen Länder werden dabei gar nicht in die Statistik eingerechnet. Vollständige Statistiken über alle Tiertransporte gibt es bisher weder in Deutschland noch in der EU. Die Zahlen dürften also wesentlich höher liegen. fortzusetzen und so weiter, ohne Obergrenze. Rinder dürfen für die Dauer von 14 Stunden transportiert werden, noch nicht abgesetzte Kälber und Lämmer neun Stunden. Nach jeweils nur einer Stunde Pause darf der Transport um weitere 14 beziehungsweise 9 Stunden fortgesetzt werden und so weiter. Wieder gibt es keine Obergrenze. Doch auch zu kurze Transportzeiten von unter zwei Stunden können bei den Tieren zu Stress führen, wie neuere Studien aus Deutschland und den USA zeigen. Denn selbst unter guten Transportbedingungen haben die Tiere dann nicht Zeit genug, sich vom Verladungsstress zu erholen, bevor sie durch die Entladung erneut gestresst werden (mehr dazu auf der Startseite unserer Homepage). Zu lange Transporte führen oft zu großem Leid Die Erfahrungen von Organisationen wie zum Beispiel Animals Angels, die seit vielen Jahren Schlachttiertransporte auf der ganzen Welt begleiten, zeigen, dass die immer noch erlaubten extremen Langstreckentransporte quer durch Europa oft regelwidrig verlaufen und den Tieren besonders schwer zusetzen. Auch die Tierschutzorganisationen Eyes on Animals und Animal Welfare Foundation beobachteten in der Zeit vom 22. bis zum 29. Juni 2012 Tiertransporte an der bulgarisch-türkischen Grenze. Mehr als die Hälfte der von ihnen kontrollierten Transporte verstießen gegen die bestehende EU-Verordnung. Neben der Transportzeit sind vor allem die Transportbedingungen für die Tiere sehr wichtig Die gravierendsten Verstöße waren zu viele Tiere auf zu engem Raum, eine mangelhafte Versorgung mit Wasser und eine unzureichende Einstreu. Die Folge war eine erhebliche Belastung mit Ammoniak, die zu Atemproblemen führte. Diese Mängel waren kombiniert mit extrem hohen Transportzeiten von bis zu 60 Stunden ohne Unterbrechung. Es kam zu vielen Verletzungen bis hin zum Tod. Die Tiere waren also erheblichem Leid ausgesetzt. Die zuständigen Behörden haben nicht kontrolliert oder nicht eingegriffen, denn sonst hätten die Qualen vermieden werden können. Die Beobachtungen von Tierschützern zeigen beispielhaft, dass die vorgeschriebenen Stopps für Ruhe- und Versorgungszeiten bei mehrtägigen Transporten zu oft nicht eingehalten werden. Allerdings ist die Vorschrift auch alles andere als ideal. Denn die Einhaltung der gesetzlichen Pausen bedeutet zusätzliche Ent- und Wiederaufladevorgänge sowie einen Aufenthalt in einer fremden Umgebung. Dabei besteht auch das Risiko, dass Gruppen von Tieren neu gemischt und dadurch Rangordnungskämpfe ausgelöst werden. Solche Pausen führen also in jedem Fall zu viel Stress für die Tiere. Die Praxis belegt die Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts Grundsätzlich, auch bei Inlandstransporten und Fahrten unter acht Stunden, sind für die transportierten Tiere Ladedichte, Lüftung, Temperaturen und Trinkwasserversorgung besonders wichtig. Doch zahlreiche Transporte verstoßen schon wegen des mangelhaften technischen Zustandes der Lastwagen gegen die Tierschutzvorschriften. Außerdem sind die Transporter oft überladen und führen zu wenig Wasser mit – um Treibstoff zu sparen. Wasser wiegt schwer und verursacht Kosten. Wenn Transporte durch mehrere Länder bis in die warmen Mittelmeeranrainerstaaten führen, dann kann die Kombination von zu langer Transportzeit und zu wenig Wasser an Bord schnell zur Tortur für die Tiere werden. Effektive Überwachung und geeignete Sanktionsmechanismen könnten das Leid vermeiden helfen, aber es gibt sie derzeit nicht. So monierte auch die EU-Lebensmittelaufsichtsbehörde (EFSA) in ihrer Stellungnahme von 2011 16 KAMPAGNE 17 Petition für maximal acht Stunden Transportzeit braucht weitere Unterstützung Tagelange Tiertransporte sind qualvoll erhebliche Mängel bei den Tiertransporten und dass die geltende EU-Verordnung nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entspricht. (siehe www.efsa.europa.eu/de/ efsajournal/doc/1966.pdf) Die EU-Tierschutztransportverordnung ist in ihrer derzeitigen Fassung also nicht praktikabel und aus Tierschutzsicht ungenügend. Deswegen hatten die beiden Vorgänger des amtierenden Verbraucherschutzkommissars John Dalli – Markos Kyprianou und Androula Vassiliou – wiederholt eine Überarbeitung der Verordnung angekündigt, sie dann aber immer wieder auf später verschoben (siehe PROVIEH-Magazine 1 und 2/2009 sowie 1/2010). Und als die EU-Landwirtschaftsminister auf der Agrarratssitzung am 18. Juni 2012 in Luxemburg über die neue EU-Tierwohlstrategie (2012–2015) berieten, konnten sie sich ebenfalls nicht auf einen von Dänemark, Schweden, Großbritannien, Belgien, Österreich und den Niederlanden unterstützten Antrag zur Verbesserung der Transportbedingungen einigen. Eine konkrete Forderung zur Verbesserung stellt die Petition zur Begrenzung der Schlachttiertransporte auf acht Stunden dar. Sie wurde dem amtierenden EU-Gesundheits- und Verbraucherschutzkommissar John Dalli am 07. Juni 2012 in Brüssel von der Gründerin von Animals Angels, Christa Blanke, dem Kampagnenleiter von „8 Hours“, Adolfo Sansolini, und dem dänischen Europaabgeordneten Dan Jørgensen überreicht. Zuvor hatten mehr als 1,1 Million Menschen aus sieben EUMitgliedsstaaten die Petition unterschrieben. Auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) hatten sie als Schriftliche Erklärung bereits am 15. März 2012 mit einer satten Mehrheit (395 Stimmen) verabschiedet. Bei der Übergabe der Petition hatte Dalli vor Pressevertretern noch die Überarbeitung der Verordnung zugesagt. Wenige Tage darauf folgte aber ein Dementi. Laut Dalli sollen sich Anstrengungen auf eine einheitliche Umsetzung der bestehenden Tierschutzregelungen konzentrieren. Allerdings stellte er eine gesonderte Prüfung der Situation von Tieren wie Schlachtpferden in Aussicht, die über besonders weite Strecken transportiert werden. PROVIEH unterstützt die neue Online-Kampagne von „8hours“. Mit einem online-Brief (auf Deutsch) können Sie EU-Kommissar Dalli an sein Versprechen erinnern und ihn auffordern, mindestens die überfällige Verkürzung der Schlachttiertransportzeiten einzuführen (siehe http://www.8hours.eu/letter_to_dalli_de/). Ulrike Behre und Sabine Ohm Verstecktes Tierleid in Importgeflügel Es braucht Jahre, oft Jahrzehnte, um bessere Tierschutzstandards in einem Land umzusetzen. Doch die Zerstörung dieser Standards geht schnell: Man muss nur die höherwertigen Erzeugnisse mit Billigangeboten aus tierschutzwidriger Haltung vom Markt verdrängen. So fällt die Entscheidung für den schlechtesten Standard letztlich an der Ladentheke. Diese Gefahr hat auch der Schweizer Tierschutz (STS) erkannt und eine Aufklärungskampagne über Importgeflügel aus der EU gestartet. PROVIEH unterstützt diese Kampagne aktiv. „Hähnchenfleisch aus Intensivmast ist krankhaft billig“, so lautete die Botschaft von PROVIEH auf der Medienkonferenz des STS am 11. Juli 2012 in Zürich. Der massive Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast, die dramatische Zunahme von Krankheitserregern, die gegen mehrere Antibiotika resistent geworden sind, und der grotesk anmutende Verdrängungswettbewerb zwischen den großen Hähnchenfleischerzeugern in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden – das sind Themen, die auch für Schweizer Konsumenten relevant sind. Sie essen nämlich ebenso gerne „Poulet-Brüstli“ wie ihre deutschen Nachbarn, nur dass ihnen dabei der Tierschutz viel mehr wert ist. Hähnchenfleisch aus Schweizer Erzeugung kostet nämlich rund das Dreifache vom Standard-EU-Broiler. Dafür ist die Tierdichte in den Mastställen aber auch rund ein Drittel geringer als in der EU. Und Hähnchenmastanlagen mit mehr als 25.000 Hühnern, die in Deutschland noch als kleine „Nebenerwerbsanlagen“ angesehen werden, gelten in der Schweiz schon als zu groß und sind verboten. PROVIEH will gemeinsam mit dem STS erreichen, dass die EU-Tierschutzstandards auf Schweizer Niveau angehoben werden. Verbesserungen in der Tierhaltung lassen sich nicht per Knopfdruck herbeiführen, denn sie erfordern Investitionen in neue Stallsysteme, ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft bei den Landwirten und nicht zuletzt auch die Bereitschaft des Handels, den Konsumenten höhere Lebensmittelpreise abzuverlangen. Verstecktes Tierleid in Importgeflügel dagegen ist Gift für den Tierschutz – in der Schweiz und überall. Stefan Johnigk 18 KAMPAGNE 19 Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger Sauen ist notwendig stehen die Sauenhalter plötzlich unter Zugzwang; denn die EU hat für die Einhaltung der Schweinerichtlinie umfassende Kontrollen ab Anfang 2013 angekündigt. Am 01.01.2013 tritt die Pflicht zur Gruppenhaltung tragender Sauen EU-weit in Kraft. Dann müssen alle tragenden Sauen in der Zeitspanne von vier Wochen nach dem Decken bis eine Woche vor dem voraussichtlichen Abferkeln in Gruppen gehalten werden. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zur bisher ganzjährigen Kastenstandhaltung. Viele Ferkelerzeuger sind noch unentschlossen, was sie tun werden. Laut Umfragen denken gerade die kleinen und mittleren Betriebe daran aufzugeben, weil sie sich die Investitionen wegen oft nicht kostendeckender Ferkelpreise bei gleichzeitig steigenden Futter- und Energiepreisen meist nicht leisten können. Oder sie haben keinen Hofnachfolger, so dass die Investition sich nicht lohnt. Dazu stieg der Wettbewerbsdruck in den vergangenen zehn Jahren enorm an durch neue, hoch technisierte Großanlagen etwa im Stile von Alt Tellin mit 10.500 Stammsauen, die sogar – zum Teil heute noch – mit EU-Agrargeldern subventioniert werden. Das Fachblatt topagrar meldete aber im Juni 2012 in Deutschland hätten „laut internen Statistiken“ noch immer mehr als die Hälfte der Betriebe die Gruppenhaltung nicht eingeführt. Große Betriebe schnitten besser ab als kleine: Mit der Gruppenhaltung arbeiteten schon knapp zwei Drittel aller Betriebe mit mehr als 250 Sauen, aber nur 35 Prozent der Betriebe mit weniger als 100 Tieren. In einigen anderen Raufutter sättigt und beschäftigt die Sauen EU-Ländern sieht es nicht besser aus: Kommissar Dalli teilte dem Agrarrat im vergangenen Juni mit, dass mindestens neun Staaten die fristgerechte Umsetzung zum Jahreswechsel verpassen werden. Spanien, Frankreich und Italien sollen laut einiger Schätzungen erst zu 30 bis 40 Prozent umgestellt haben. Die zögerliche Umstellung liegt wohl auch daran, dass EU-Tierschutzvorschriften bisher nicht besonders ernst genommen wurden. So werden beispielsweise die seit 2001 bestehenden Verbote weitestgehend missachtet, den Ferkeln routinemäßig den Schwanz zu kupieren und die Spitzen der Eckzähne abzuschleifen. Wer Sanktionen vermeiden will, muss jetzt investieren Die Zeit wird enden, in der Verstöße gegen EU-Tierschutzvorschriften ungestraft bleiben. PROVIEH hat 2009 vor der EU eine Klage gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung der Schweinehaltungsrichtlinie in der geltenden Fassung von 2008 angestrengt (siehe PROVIEH Magazin 4/2009). Dank einer EU-weiten Kampagne von Tierschutzorganisationen, darunter auch PROVIEH, gegen die Nichteinhaltung des Batteriekäfigverbotes für Legehennen ab 1. Januar 2012 wurde die EU-Kommission 2011 aktiv. Sie führt seither vermehrte Kontrollen durch und übt starken Druck auf die Nachzügler aus – auch mit entsprechenden Sanktionsandrohungen: Wer gegen eine EUVorschrift verstößt und erwischt wird, muss mit einer Agrar-Subventionskürzung rechnen. Das wissen die Tierhalter mittlerweile. Deswegen Der Strukturwandel frisst kleine Betriebe auf Die Zuchtsauenbestände gingen laut Untersuchungen der Universität Vechta in Deutschland zwischen 1999 und 2010 um fast 12 Prozent von 2,68 auf 2,36 Millionen Zuchtsauen zurück. Im gleichen Zeitraum schieden etwa 33.300 Sauenhalter aus, über 80 Prozent davon kleine Höfe mit unter 50 Sauen. Betriebe mit weniger als zehn Sauen werden ab 2008 zwar nicht mehr gezählt, was den statistischen Vergleich etwas verzerrt, aber klar erkennbar ist dennoch: Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg von 1999 bis 2010 rasant an: 1999 standen noch etwa 33 Prozent der Sauen in Betrieben mit unter 20 Tieren, rund 40 Prozent in Beständen mit 20 bis 49 Sauen, um die 18 Prozent in Betrieben mit 50 bis 99 Sauen, gut Artgemäße Sauenhaltung in Gruppen zehn Prozent in Betrieben mit 100 bis 199 Sauen und nur 2 bis 3 Prozent in Betrieben mit über 200 Sauen (davon keine mit über 500 Sauen). Diese Verhältnisse haben sich bis 2010 nahezu umgekehrt: knapp über 30 Prozent der Sauen standen nun in Betrieben mit über 500 Sauen, weitere gut 30 Prozent in Betrieben mit 200 bis 500 Sauen, rund 22 Prozent in Betrieben mit 100 bis 199 Sauen, nur noch knapp 10 Prozent in Betrieben mit 50 bis 99 Sauen und sogar nur sieben Prozent in Betrieben mit weniger als 50 Sauen – davon ein Prozent in Betrieben mit unter 20 Sauen. Doch mit Bestandsaufstockungen und neuen Großbetrieben wird die durch die drohenden Betriebsaufgaben entstehende Lücke im Ferkelangebot künftig kaum zu schließen sein. Dafür sorgen auch Bürgerinitiativen (auch von PROVIEH unterstützt) und die anstehende Änderung des Baurechtes, die die Bauvorhaben erschweren. In der Vergangenheit konnte der Rückgang der Betriebs- und Sauenzahlen dadurch wett- KAMPAGNE gemacht werden, dass die Zahl der im Mittel abgesetzten Ferkel je Sau und Jahr von 1999 bis 2010 um drei Ferkel je Sau und Jahr auf durchschnittlich rund 23 Ferkel gesteigert wurde. Aber diese „Produktivitätssteigerung“ kann nicht beliebig fortgesetzt werden. Die Zucht auf mehr Leistung ist ausgereizt Die Tendenz zu weniger Sauen in größeren Beständen und zu immer mehr Ferkeln pro Sau und Jahr lässt sich nicht fortsetzen. Die Sauen werden schon jetzt über ihre Leistungsgrenze hinaus strapaziert. Konnte die Leistung einer Sau bis in die 1990er Jahre noch um rund 0,1 abgesetztes Ferkel pro Jahr züchterisch gesteigert werden, so explodierte die weitere Leistungssteigerung im letzten Jahrzehnt auf 0,5 bis 1 Ferkel pro Sau und Jahr. In heutigen Spitzenbetrieben werden schon über 25 Ferkel bis teilweise 30 Ferkel pro Sau und Jahr abgesetzt (mit Altersgenossen zur Ferkelaufzucht umgestallt). Zu dieser Steigerung trug auch die Zunahme der Wurfhäufigkeit von durchschnittlich 1,8 Würfen pro Jahr (vor 30 Jahren üblich) auf heute über 2,3 Würfe pro Jahr bei. Doch die zu vielen Ferkel pro Sau haben zu einem Problem geführt. Eine Sau hat in der Regel nur 12–14 funktionsfähige Zitzen, bekommt pro Wurf aber bis zu 17 Ferkel. Dann kann die Sau nicht mehr alle von ihnen ausreichend säugen. Das bringt viele Schwierigkeiten mit sich, unter anderem eine mangelhafte Ausbildung des Immunsystems der Ferkel, Krankheitsverbreitung durch Umsetzen „überzähliger“ Ferkel an andere „Ammensauen, sich schlecht entwickelnde Kümmerer und hohe Ferkelverluste. Vor allem bei dänischen 21 Sauen kommen zwar zuchtbedingt schon bis zu 20 funktionsfähige Zitzen vor, die sich in ihrer Milchleistung allerdings stark unterscheiden. Ein Zuviel an Ferkeln pro Wurf bleibt also auch in diesen Fällen ein Problem. Nicht überraschend sind daher die alarmierenden Ferkelverlustzahlen aus einer Schweizer Studie mit 50.000 Sauen (Suisag 2008): In Würfen bis 14 Ferkel wurden nur 11,8 abgesetzt, in Würfen bis 17 Ferkel nur 12,2 – selbst bei Sauen mit 16 Zitzen! Wegen Überforderung leiden auch die Gesundheit und die Fruchtbarkeit der Sauen, so dass sie spätestens nach vier bis fünf Würfen – also nach nur rund zwei Jahren Zuchtleistung – „gemerzt“ (entsorgt) werden. Nur ein Viertel der Sauen gelangt heutzutage aus Altersgründen in die Schlachtung. Das Fazit der Überzüchtung sieht düster aus: 2010 haben von den ca. 63,5 Millionen in Deutschland geborenen Ferkeln nur ca. 52 Millionen die Schlachtreife erreicht. Jedes fünfte Tier erlebte das Mastende also nicht. Abgesehen von der Frage, ob derartig hohe Verluste ethisch vertretbar sind, ist eine weitere Verringerung der Sauenbestände also kaum noch – wie bisher – durch höhere Leistungen der Tiere auszugleichen. Ferkelimporte sind kein Ausweg Laut Schätzung der Agrarmarkt InformationsGesellschaft mbH (AMI) haben deutsche Mäster im Jahr 2011 insgesamt knapp zehn Millionen Ferkel importiert: 6,3 Millionen aus Dänemark und 3,7 Millionen Ferkel aus den Niederlanden. Daraus ergeben sich drei Probleme. 1. Anders als in Deutschland ist zum Beispiel in Dänemark die „Stabilisierung“ der Verdauungstätigkeit durch die Verabreichung des umwelttoxischen Zinkoxids an Ferkel üblich und erlaubt. Dadurch konnte der AntibiotikaEinsatz in Dänemark zwar reduziert werden, aber wenn dänische Ferkel in Deutschland eingestallt werden, müssen sie zwangsläufig erst einmal mit Antibiotika behandelt werden, weil sie ohne Zinkoxid dem Infektionsdruck nicht gewachsen sind. 2. Wegfallende deutsche Kapazitäten können unsere Nachbarn ohnehin künftig kaum ausgleichen, da sie an ökologische Grenzen stoßen. Eine wachsende Abhängigkeit vom Ausland ist aber auch gar nicht wünschenswert, denn sie erfordert Ferkeltransporte – teilweise über lange Strecken. Die bergen die Gefahr der Verbreitung von Tierseuchen und mindern die Unabhängigkeit bei der Umsetzung von Standards und Gesetzen. 3. Selbst bei einer durchaus wünschenswerten Verringerung der Mastbestände in Deutschland rückt die Selbstversorgung mit Ferkeln aus tierfreundlichen Beständen in immer weitere Ferne, weil zu viele kleine und mittlere Betriebe aufgeben. ELER-Programms in Millionenhöhe anfordern, um tierfreundliche Sauenhaltung zu fördern. Wie eine solche Haltung tierfreundlich und kostengünstig eingerichtet werden kann, dafür gibt der anerkannte Schweinefachmann Rudolf Wiedmann sehr gute Tipps (siehe Infobox). Alles, was über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgeht, ist nach EU-Recht förderungswürdig. Für geeignete Maßnahmen und Förderprogramme zur Sauenhaltung wird es allerhöchste Zeit, denn 2013 steht fast vor der Tür. Sabine Ohm Ist den kleinen und mittleren Sauenhaltern zu helfen? Um die Grundlagen der heimischen Erzeugung zu stärken und den „Nachschub“ an gesetzestreu produzierten Ferkeln mittel- und langfristig zu sichern, ist es wünschenswert, in Deutschland möglichst viele Betriebe mit bis zu 200 Sauen zu erhalten. Deshalb ruft PROVIEH die Bundesländer auf, vor allem kleine und mittlere Sauenhalter zu unterstützen, die ihren Betrieb gern zukunftsfähig gestalten würden, aber nicht die Mittel dazu haben. In solchen Fällen könnten die Länder bereitstehende EU-Fördermittel des INFOBOX 20 Rudolf Wiedmann zeigt in seinem Buch „Gruppenhaltung tragender Sauen“, dass kostengünstiges Wirtschaften und Tierschutz kein Widerspruch sein müssen. Er vergleicht gängige Haltungsverfahren nach tiergerechten Kriterien wie der gleichzeitigen, ungestörten, individuell abgestimmten Fütterung. Er gibt umfangreiche Tipps zu Größe und Zusammenstellung einer Sauengruppe, zu Minimierung von Rangordnungskämpfen, zu Gestaltung von Funktionsbereichen, zu Liegekomfort und zu Beschaffenheit von Raufutter und Beschäftigungsmaterial. Auf knapp 100 Seiten beschreibt er Praxisfälle der Umstellung auf Gruppenhaltung. Und er warnt davor, nur die unzureichenden gesetzlichen Mindestanforderungen einzuhalten: Zu geringe Platzangebote, zu große Spaltenweiten und Perforation im Liegebereich bewirken Stress, Verletzungen und verfrühte Abgänge. 22 MAGAZIN 23 Fans wollen keine Hühnerbrust-Trikots Die Nachricht schlug ein wie ein gut platzierter Elfmeter: Der Geflügelkonzern Wiesenhof ist seit August 2012 neuer Trikot-Werbepartner des Bundesligisten SV Werder Bremen. Dafür erntet der Fußballverein nicht nur bei Tierschützern Pfiffe und Buh-Rufe, auch viele Tausend Fans des norddeutschen Traditionsclubs empfinden das Wiesenhof-Logo auf den grünen Trikots ihrer Mannschaft als grobes Foul im Strafraum. Verschiedene „WerderFans gegen Wiesenhof“-Facebook-Gruppen wuchsen in kürzester Zeit auf über 22.000 Enge Räume, lahme Füße Mitglieder an, Tendenz steigend. Die Vereinsspitze versucht, die Wogen durch glatt formulierte Standard-Pressebriefe zu glätten, auch gegenüber PROVIEH. Höchste Zeit, hier einmal aufzuklären, was aufrechten Fußballfans an Industriehühnern nicht schmecken kann. „Räume zu eng“ Fußball lebt von der Bewegung im Raum. Das Spielfeld im Weserstadion ist 105 Meter lang und 68 Meter breit, also 7.140 Quadratmeter groß. Auf dieser Fläche bewegen sich normalerweise 22 Spieler und ein Schiri – ziemlich artgemäß für Fußballer. Wollte man dort stattdessen Hühner mästen, und zwar ebenso artgemäß, würden zum Beispiel nach Neuland-Richtlinien höchstens 6.000 Broiler bei Werder auflaufen. Bei Wiesenhof und allen anderen industriellen Hühnermästern hocken stattdessen über 150.000 Hühner auf einem Fußballfeld. Wollte Werder die Räume in Zukunft ebenso eng machen wie der Sponsor, müssten sie 538 Spieler auf den Rasen stellen. Dagegen wäre selbst die Betonabwehr von Chelsea ein Samba-Tanzclub. Olé. wegung vermeiden. Der Beweis dafür kommt aus dem Mutterland des Fußballs: Englische Wissenschaftler mischten den Tieren Schmerzmittel ins Futter, und siehe da, diese bewegten sie sich wieder so fleißig wie gesunde Hühner. Um also ihrem Sponsor gerecht zu werden, sollten Spieler im Wiesenhof-Trikot sich einfach vor das Tor setzen und warten, dass der Schmerz nachlässt. Aua. „Die Jugend verheizen“ Ein normaler Fußballer muss im Schnitt rund 18 bis 20 Jahre alt werden, um heran zu reifen. Ein normales Huhn schafft das in drei bis vier Monaten. In der industriellen Hühnermast aber werden die Vögel in nur vier bis fünf Wochen auf Schlachtreife getrimmt und dann zerlegt. Dabei erreichen die jugendlichenTurbohühner ein Gewicht, wie es sonst nur ein dreimal so altes Normalo-Huhn auf die Waage bringen würde. Gesund ist das nicht, aber die übliche Leistungserwartung des Werder-Sponsors. Übersetzt man diesen Anspruch in die Bundesliga, so müsste Werder zukünftig schon seine G-Jugend gegen HSV & Co. anrollen und verheizen lassen, und zwar mit dem Kampfgewicht von Sumo-Ringern. Fett. „Fußlahm und lauffaul“ „Auf Leistung dopen“ Ein gesunder Fußballer legt im Schnitt eine Laufstrecke von acht bis neun Kilometer pro Spiel zurück. Ein gesundes Huhn läuft selbst im Stall knapp 1,5 Kilometer am Tag. Industrielle Masthühner dagegen laufen nur noch, wenn es gar nicht anders geht. Sie sitzen fast den ganzen Tag herum, wenn sie nicht gerade fressen oder trinken. Entzündete Fußballen und durch das unproportionierte Körperwachstum überlastete Gelenke schmerzen die Broiler so sehr, dass sie jede unnötige Be- Wer im Fußball nach dem Spiel in den Becher pinkeln muss, verantwortet lediglich die selbst eingeworfenen Medikamente. Auch beim SV Werder wäre undenkbar, dass Torwart Mielitz pharmazeutisch mit gepäppelt wird, weil den Innenverteidiger Sokratis Knieprobleme plagen. Beim Sponsor aus der Geflügelindustrie ist das anders. Hier bekommen alle Broiler im Stall Antibiotika verabreicht, wenn auch nur ein Tier feuchte Furze lässt. Das heißt dann „Metaphylaxe“ und gilt nicht als verbotene Leistungsförderung. Wenn der SV Werder diese Praxis übernimmt, kann man sich die Dopingproben am Spielschluss schenken und gleich den ganzen Kader sperren. Krank. „Viel Verletzungspech einkalkulieren“ Wenn im Training oder beim Spiel eine Muskelfaser, ein Kreuzband oder ein Innenband reißen, so ist das für den Spieler schlimm und ein derber Ausfall für den Verein. Verletzungsserien wie bei Werder in der englischen Woche im April 2012 sind den Fans ein Graus. Doch darüber grinst man nur in der industriellen Hühnermast. Krankenabteile kennen die Geflügelindustriellen nicht. Pro Mast-Match wirft man mindestens drei bis acht Prozent aller eingesetzten Hühner als „Abgang“ in die Tonne. Sollte Werder das Verletzungspech an die Gewohnheiten seines Sponsors anpassen, werden zukünftig pro Saison 30 Spieler im Hühnerbrust-Trikot vom Platz getragen. Nein, nicht ins Krankenabteil. Tot. Satire beiseite Noch ist nicht absehbar, wie schmerzhaft die Verbrüderung des SV Werder mit der Geflügelindustrie dem Ansehen des Profi-Fußballs schaden wird. Fakt ist: Ein grobes Foul sollte immer Konsequenzen nach sich ziehen. Noch hofft die Vereinsführung des SV Werder auf die Blindheit des Schiedsrichters, in diesem Fall verkörpert durch die Fans. Erst etwa 0,1 Prozent der Vereinsmitglieder (etwa 50 von 40.000) seien in den ersten zehn Tagen spontan ausgetreten, wie der Vorsitzende der Geschäftsführung Klaus Allofs in einem Interview gegenüber der Presse zugab. Das sind noch keine Abgangsraten wie in den Ställen der Geflügelindustrie. Aber der mediale Ruf MAGAZIN / AKTUELLES AUS BRÜSSEL des Vereins von der Weser ist ernsthaft beschädigt, und die Moral der Mannschaft wird sich auf eine lange Leidensprobe einstellen müssen. Das peinliche Ausscheiden der Bremer in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen die Drittligisten von Preußen Münster gab schon einen bitteren Vorgeschmack, was es heißt, ohne Moral Fußball spielen zu wollen. „Das war kein Pokal, das war naiv“, schimpfte Klaus Allofs nach dem Spiel. Sein Deal mit Wiesenhof dagegen war nicht naiv, sondern berechnend. Das bestraft nicht der Schiri, sondern das Leben. INFOBOX 24 25 Stößt Sie das Werbebündnis des SV Werder mit der Geflügelindustrie auch ab? Dann schreiben Sie dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Klaus Allofs. Hier die Adresse: Sport-Verein „Werder“ von 1899 e.V., Franz-Böhnert-Straße 1c, 28205 Bremen Hotline: 01805. 937 337 Geschäftsstelle: 0421. 493 555 Fan-Beauftragter: 0152. 53239034 [email protected] Stefan Johnigk Die Protestwelle gegen Wiesenhof als Werder-Sponsor hält an Gemeinsame Agrarpolitik ab 2014: Mehr Tierschutz rückt näher Zurzeit wird in der Europäischen Union über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verhandelt, die seit ihrer Gründung im Juli 1962 einen der wichtigsten Eckpfeiler der europäischen Politik bildet. Immer noch fließen mit über 50 Milliarden Euro fast die Hälfte aller EU-Mittel in die Agrartöpfe, obwohl sich die Zeiten – und damit auch die Ziele – im Laufe der Jahrzehnte geändert haben. So steht heute nicht mehr die Sicherstellung der Nahrungsmittelerzeugung zur Vermeidung von Hungersnöten in Europa im Vordergrund, sondern die Ausrichtung auf die Weltmärkte. Deshalb gibt es statt einer vernünftigen Einkommenssicherung für Bauern vor allem satte Zuschüsse für Industriebetriebe (siehe PROVIEH-Magazin 2/2009). Das wurde seit 2007 endlich offensichtlich, nachdem eine Transparenzinitiative, an der sich auch PROVIEH aktiv beteiligte, zur verpflichtenden Veröffentlichung der Agrarsubventionszahlungen geführt hatte. Nach Ansicht der EU-Kommission soll die aus Steuermitteln finanzierte Agrarförderung künftig mehr an den schonenden Umgang der Bauern mit Umwelt, Natur und Ressourcen gekoppelt werden, also an Güter oder Dienstleistungen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Die EU-Bürger haben ein Recht darauf, denn die Agrarsubventionen kosten jeden der rund 500 Millionen EU-Bürger täglich 30 Cent. Dennoch werden die Forderungen der EU-Bürger nur zögernd umgesetzt – auch in Deutschland, denn hierzulande kommen so- gar noch Tierfabriken häufig in den Genuss von Fördermitteln. Tierschutz im Europaparlament auf der Tagesordnung PROVIEH setzt sich seit Jahren vehement dafür ein, dass neben Maßnahmen für Umwelt- und Klimaschutz auch solche für Tierschutz besser vergütet werden. Im Zuge der Reformdebatte haben wir gemeinsam mit europäischen Partnerorganisationen immer wieder gezielte Kampagnenaktionen durchgeführt, und durch unsere Teilnahme an zahlreichen Veranstaltungen und Konsultationen wurde ein direkter Austausch mit Vertretern der EU-Institutionen ermöglicht. Diese Bemühungen tragen Früchte: Der Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) hat einige unserer wichtigsten Forderungen in seinen Berichtsentwurf zum Legislativ-Vorschlag der EU-Kommission aufgenommen. Beispielsweise wurden die möglichen Maßnahmen im Rahmen der Verordnung über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) erweitert um die Formulierung „Verbesserungen im Tierschutz“. Erfreulich ist auch, dass die sogenannten „Zahlungen für Tierschutzmaßnahmen“ für Verbesserungen in bestehenden Tierhaltungsbetrieben erhalten bleiben sollen, statt wie im bisherigen Reformvorschlag vorgesehen, verwässert zu werden. Damit sind die Chancen für die Förderung von Tierschutzmaßnahmen mit GAP-Mitteln AKTUELLES AUS BRÜSSEL 27 einiger weiterer wichtiger Forderungen, mehr Tierschutz durch Agrarmittel zu fördern, sowie die Verabschiedung des oben erwähnten Berichtsentwurfs zum GAP-Reformvorschlag der EU-Kommission durch das Plenum des Europäischen Parlaments stehen noch aus. Im Dialog mit den Entscheidern auf nationaler und EU-Ebene setzen wir uns deshalb weiter für eine nachhaltige tier- und umweltfreundliche Agrarpolitik ein. Im Herbst 2012 geht es in Brüssel in die nächste Gesprächsrunde. Breites Bündnis zieht für eine umwelt- und tierfreundliche GAP nach Brüssel PROVIEH fordert von Deutschland und der EU eine tier- und umweltfreundliche Agrarpolitik ab 2014 erheblich gestiegen. Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments liegt der Tierschutz seit einiger Zeit sehr am Herzen, und zum ersten Mal besitzen sie – dank des Vertrages von Lissabon – bei einer Agrarreform das volle Mitbestimmungsrecht. Am 4. Juli 2012 verabschiedeten die Abgeordneten ihre Entschließung zur Tierwohlstrategie 2012–2015 der EU-Kommission (siehe PROVIEH-Magazin 1/2012). Mit 574 von 780 Stimmen fordern sie darin mehr Tierschutzkontrollen, die Schließung von Gesetzeslücken und höhere Strafen bei Verstößen gegen Tierschutzvorschriften. Sie bemängeln die zu unterschiedlichen Tierschutzregelungen in den einzelnen EU-Ländern und befürworten ein einheitliches EU-Tierschutzgesetz sowie dessen strenge Überwachung. Die Europaabgeordneten verlangen die Kennzeichnung von Fleisch von unbetäubt geschlachteten (geschächteten) Tieren. Auch soll der Tierschutz einbezogen werden bei Freihandelsabkommen mit Drittländern außerhalb der EU, um die Unterlaufung der höheren EU-Standards durch Billigimporte zu vermeiden. Beim Klonen von Tieren zur Nahrungsmittelerzeugung beharrten die Abgeordneten außerdem auf dem von PROVIEH unterstützten umfassenden Verbot, das bisher durch die Blockade von Rat und Kommission verhindert wurde (siehe PROVIEH-Magazin 2/2011). Auch die Tiertransportzeiten wollen sie verkürzen (siehe Beitrag in diesem Heft). Dies alles zeigt ein ernsthaftes Engagement für Tierschutz seitens der Europaabgeordneten. Aber noch gibt es keinen Anlass, sich auf Lorbeeren auszuruhen. Die Berücksichtigung Unterdessen unterstützt PROVIEH tatkräftig den Aufruf zum „Good Food March“ von München nach Brüssel. Dieser „Marsch für eine bessere Agrarpolitik“ findet vom 25. August bis 19. September 2012 über rund 900 INFOBOX 26 PROVIEH fordert die EU-Kommission auf, wie 2005 versprochen die noch verbleibenden Exportsubventionen für Zuchttiere bis 2013 abzuschaffen, statt sie nach der GAP-Reform fortzusetzen. Denn beim Export von Zuchttieren gibt es noch immer erhebliche Probleme. So wurden 2010 drei Prozent der beantragten Exporterstattungen (für 2.149 Tiere) von der EU wegen Gesetzes- oder Tierschutzverstößen zurückgefordert bzw. nicht ausbezahlt, weil die Tiere verletzt oder tot ankamen oder während des Transports eine Fehlgeburt erlitten oder Nachwuchs zur Welt gebracht hatten. Sabine Ohm Kilometer durch Süddeutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien statt. Veranstalter ist die Kampagnenplattform „Meine Landwirtschaft“, bei der auch PROVIEH Mitglied ist, gemeinsam mit weiteren deutschen und europäischen Partnern. Ähnlich wie bei den Demonstrationen anlässlich der Grünen Woche 2011 und 2012 in Berlin (siehe PROVIEH-Magazine 4/2010, 1/2011 und 4/2011) werden Umwelt- und Tierschützer mit Verbrauchern sowie Bauern gemeinsam mit Fahrrädern und Traktoren quer durch Europa ziehen. Damit wird der Unmut über die derzeitige Agrarpolitik kundgetan, die vor allem der Agrarindustrie nutzt. Wir fordern die EU auf, die Agrarfördermittel ab 2014 für den Umbau zu einer nachhaltigen, sozialen und bäuerlichen Landwirtschaft mit hohen Tier- und Umweltschutzstandards einsetzen. Die Tour soll den Verantwortlichen im Europäischen Parlament, in der EU-Kommission und im Rat unsere Botschaft nahebringen und für mehr öffentliche Aufmerksamkeit für diesen wichtigen Reformprozess der gemeinsamen Agrarpolitik in den Mitgliedsstaaten sorgen. Jeder Interessierte kann eine oder mehrere Etappen mitfahren oder sich an lokalen Veranstaltungen beteiligen. Foto-Botschaften von Bürgern aus ganz Europa mit persönlichen Nachrichten zur Agrarpolitik werden derzeit gesammelt und am 19. September 2012 an die Europäischen Institutionen übergeben. Informationen zur Tour, den Foto-Botschaften und den Aktionen in zahlreichen europäischen Ländern gibt es unter www.meine-landwirtschaft.de bzw. www.goodfoodmarch.eu. Sabine Ohm MAGAZIN 29 Bio – made in China Melamin im Baby-Milchpulver, Pestizide im Gemüse, Hormone im Schweinefleisch oder Chemikalien im Reis – die Liste der Lebensmittelskandale in China ist lang. Das Vertrauen der Chinesen in ihre Nahrungsmittel ist erschüttert. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung trauen der Qualität der Lebensmittel nicht mehr, so das Ergebnis einer Umfrage der Pekinger Qinghua-Universität. Drei Jahrzehnte Wirtschaftswachstum um jeden Preis haben Luft, Wasser und Erde verdreckt. Vergiftetes und verdorbenes Essen sind die Folgen. Die chinesische Regierung weiß um die Probleme, tut jedoch kaum etwas dagegen. Nur die patriotische Tageszeitung Global Times schreibt Klartext: „Wir sind heute in der Lage, unsere Taikonauten ins All zu schießen. Warum können wir dann nicht sichere Nahrungsmittel gewährleisten?“ China kann es und beweist dies schon seit Jahren. Landesweit gibt es Bauernhöfe, die Biokost eigens für Behörden und Parteistellen produzieren. Dieses politische Privileg wird von der Bevölkerung hingenommen. Doch für die Menschen ist es nur ein weiterer Beweis dafür, wie schlecht „normale“ Lebensmittel in China sind. Immer mehr Chinesen, die es sich leisten können, kaufen deshalb Bio-Produkte. Global gesehen ist China schon heute ein Riese, was den Bio-Anbau betrifft. Das Land hat gewaltige Anbauflächen und günstige Arbeitskräfte. Laut dem Weltdachverband für Biolandbau IFOAM entfielen 2011 von den weltweit 31 Millionen Hektar biologisch bewirtschafteter Fläche etwa 2,3 Millionen Hektar auf China. Damit belegt die Volksrepublik Platz drei hinter Australien, das rund 11,8 Millionen Hektar für den ökologischen Anbau nutzt und Argentinien mit drei Millionen Hektar Bio-Anbaufläche. Auf rund 3.000 Biofarmen, meist Kollektivbetrieben, setzen chinesische Bauern darauf, mit dem grünen Siegel mehr zu verdienen als mit konventionellem Ackerbau. Zwar liegt der Anteil von Bioprodukten noch unter einem Prozent, aber der Markt wächst schnell. In Chinas Großstädten findet man immer mehr Supermärkte, die Gemüse und Obst aus kontrolliert biologischem Anbau anbieten. Auch breiten sich neue Bioladen-Ketten aus mit Namen wie Organic Farm. Rund um die Metropolen wächst die Zahl der Öko-Dörfer, die Öko-Lebensmittel im Direktverkauf und Lieferservice für Bio-Gemüsekisten anbieten. Treibende Kraft im Bio-Geschäft sind Handelsfirmen, die Kooperationen mit Kleinbauern eingehen und ihnen finanziell bei der Umstellung der Betriebe helfen. Diese Unterstützung ist wichtig, weil es in der Regel drei und mehr Jahre dauert, bis die schwer belasteten Böden reaktiviert und erst dann für den BioAnbau geeignet sind. Unterstützt werden die Handelsfirmen auch vom Staat, der ihnen mit Steuererleichterungen hilft. Um dem Bio-Boom INFOBOX 28 Chinas Athleten durften monatelang vor den olympischen Sommerspielen in London keine normale chinesische Nahrung essen – aus Angst, es könnten sonst Hormonrückstände bei Dopingkontrollen nachgewiesen werden. Chinas Biobauern profitieren vom wachsenden Wohlstand der neuen Mittelschicht eine Struktur zu geben, wurde außerdem eine Ökokontrollbehörde eingerichtet, die eine einheitliche Bio-Zertifizierung ausstellt, auch für den Export. Zu den größten Bio-Produzenten in China gehört die Firma Kaize Organic in der Provinz Shandong. Sie baut Bio-Obst und Bio-Gemüse an und hat inzwischen mit etwa 500 Landwirten Lieferverträge abgeschlossen, die für die Bauern längerfristige Abnahmegarantien bedeuten. Produziert wird hauptsächlich für den Export, vorwiegend Japan, Europa und die USA. Auch Deutschland importiert viele Bioprodukte aus China, in erster Linie Getreide, Hülsenfrüchte, Sesam und Sonnenblumenkerne und zum Beispiel grünen Tee. Nach Meinung von Experten werden die chinesischen Bio-Exporte nach Deutschland weiter zulegen. Zum einen, weil es in Deutschland noch nicht genug Bio-Bauern gibt, um die stei- gende Nachfrage zu decken. Zum anderen weil der zunehmende Verkauf von Bio-Produkten in Discountern sehr auf die Preise drückt. Kostengünstige Bezugsalternativen aus China werden damit attraktiv. Bei vielen Abnehmern gelten chinesische BioLieferungen aber noch immer als unsicher – nicht ohne Grund. Denn oft genug wurden bei Testproben zum Beispiel Rückstände von Pestiziden in Bioprodukten festgestellt. Es mehren sich aber optimistische Stimmen von Händlern, die viel Zeit in das Geschäft mit Bio-Importen aus China investiert haben. China habe aus all den Skandalen, die in verschiedenen Wirtschaftsbereichen auftraten, seine Lehren gezogen und gegengesteuert. Möglicherweise stimmt das, denn vor nichts haben die Chinesen mehr Angst, als durch mangelnde Qualität Märkte zu verlieren. Susanne Kopte 30 MAGAZIN 31 Hühnerprojekt bewährt sich Hühner in Deutschland haben dieselben Lebensbedürfnisse wie Hühner in Ruanda. Diese simple Weisheit ist der Schlüssel für eine gesunde und tiergerechte Hühnerhaltung. Auch die Lebensbedürfnisse der Menschen in Ruanda und in Deutschland unterscheiden sich nicht grundlegend. Nur sind in beiden Ländern die Ausgangsbedingungen für ein gesundes und menschenwürdiges Leben denkbar ungleich verteilt. So gewinnt das Tierschutzthema „Bauernhahn statt Turbohuhn“ eine ganz andere Qualität, wenn man über den eigenen Horizont hinaus auf den afrikanischen Kontinent blickt. Artgemäße Hühnerhaltung ist bei uns vor allem eine Frage der Würde und Wertschätzung. Für eine Familie in Ruanda dagegen kann sie existenziell sein. Deshalb unterstützt PROVIEH im Rahmen seiner Kampagnen ein Hühnerprojekt der gemeinnützigen Ruanda Stiftung. Eigens für diesen Zweck wurde zu Pfingsten 2011 ein mobiler Hühnerstall für den eigenen Garten bei einem Hühnerfest auf der „Kulturellen Landpartie“ im Wendland versteigert. Der Erlös von 1.340 Euro trägt Früchte: Die erste Nachzucht der Bauernhähne für Ruanda ist bereits ausgebrütet – und zwar von Glucken, nicht von einer Brutmaschine! Stolze neue Hühnerbesitzer (Verteilung durch Ruanda-Stiftung im März 2012) Die Ruanda Stiftung hilft, die Lebensumstände von notleidenden Kindern in Ruanda zu verbessern, indem sie insbesondere die Familien dauerhaft stärkt und deren weitere eigenständige Entwicklung fördert. Hierzu baut die Stiftung Latrinen und Zisternen an Schulen und vergibt Mikrokredite für Kleinstunternehmer; an bedürftige Kinder werden Ziegen, Hühner, Schweine oder Hasen verteilt, um den Familien die Möglichkeit zu bieten, sich eine kleine Tierzucht aufzubauen, ein wenig Einkommen zu erwirtschaften und sich damit eigenständig zu entwickeln. Im Rahmen des „Hühnerprojektes“ verteilte die Ruanda Stiftung im März 2012 jeweils zwei Hühner an 200 bedürftige Kinder an der Grundschule in Busake im nördlichen Ruanda. Dies bedeutete einen weiteren wichtigen Schritt in eine bessere Zukunft, denn die Kinder und Familien profitierten sehr schnell von der Aktion: Frische Eier wirken der permanenten Eiweiß-Unterversorgung der Kinder entgegen, und der Nachwuchs der Hühner kann verkauft werden. Haushaltskasse und Speiseplan der Familien werden somit aufgewertet. Das ist ein wichtiger Beitrag für eine bessere Ernährung und wirkt sich positiv auf die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder aus. Das Projekt in Busake hat sich sehr gut entwickelt. Die Hühner stammen nicht aus industrieller Zucht, sondern aus einer lokalen, robusten Rasse. Das ist wichtig für die Familien, um sich eine eigene Nachzucht aufbauen zu können. Nur wenige Monate nach Verteilung der Hühner hat sich bereits Nachwuchs eingestellt. Die Küken gedeihen gut, weil sie unter sehr einfachen, aber natürlichen Bedingungen aufwachsen. Der örtliche Veterinär verabreicht ihnen auf Kosten des Projektes eine Impfung gegen die wichtigsten lokal vorkommenden Hühnerkrankheiten. Umso wichtiger ist es, dass die Lebensbedingungen der Vögel so gut sind, dass sie nicht erkranken. Und wenn sie es doch tun und nicht mehr fressen und Federn verlieren, dann wenden die Familien Naturheilmittel an, um die Tiere zu kurieren: Sie kochen einen Sud aus den Blättern des ruandischen Umuravumba Busches, dem eine antibiotische Wirkung zugesprochen wird. Nachdem die Hühner diesen Sud zu trinken bekommen haben, erholen sie sich meistens sehr schnell und fressen wieder. Um die Hühner vor natürlichen Feinden wie Greifvögeln und streunenden Hunden zu schützen, werden sie meistens in einfachen Gehegen gehalten und dort mit Mais, Maniok oder Süßkartoffeln gefüttert. Die freilaufenden Hühner ernähren sich von Pflanzen und Insekten sowie von Abfällen. Zu ihrem Schutz kommen die Hühner nachts vielfach ins Haus der Familie. Fabien TUYIKUNDE hat als einer der Schüler zwei Hühner erhalten. Er lässt sie tagsüber frei herumlaufen und bringt sie nachts ins schützende Haus. Mittlerweile haben seine Hühner Nachwuchs bekommen. Fünf Küken sind geschlüpft. Seinen ersten Nachwuchs möchte Fabien behalten, um damit eine kleine Hühnerzucht aufzubauen. Den nächsten Nachwuchs aber muss er verkaufen, damit er sein Schulgeld bezahlen und seine Familie unterstützen kann. Auch Schülerin Aline NIYONIZERA hat zwei Hühner erhalten, lässt sie tagsüber frei herumlaufen und nimmt sie nachts ins Haus. Aline träumt davon, eine kleine Hühnerzucht MAGAZIN / KAMPAGNE 33 Tierschützer, Augen auf! Fabien ist stolz auf seinen ersten Nachwuchs, der bei einfachster Haltung gut gedeiht aufzubauen, aber sie muss schon ihren ersten Nachwuchs verkaufen, um die Familie zu unterstützen und ihr Schulgeld zu bezahlen. Erst wenn die nächsten Küken geschlüpft sind, kann sie vielleicht ihren Traum von einer kleinen Hühnerzucht verwirklichen. PROVIEH will Jugendliche wie Aline und Fabien dabei unterstützen, mit Erfolg eine tiergerechte und artgemäße Hühnerzucht aufzubauen. Auch in Deutschland wächst die Zahl der Menschen, die sich lieber selbst um Hühner kümmern, statt sie der Industrie auszuliefern. Wenn jede dieser Familien eine Hühnerpatenschaft für eine Glucke in Ruanda übernehmen würde, wäre das nicht nur eine wirksame Hilfe, sondern auch ein liebenswertes Zeichen der Solidarität und Wertschätzung. Stefan Johnigk in Zusammenarbeit mit der Ruanda-Stiftung INFOBOX 32 Mehr über die Ruanda Stiftung und ihre Projekte erfahren Sie bei der Projektkoordinatorin Monika Seelinger unter der folgenden Adresse: Ruanda Stiftung, Am Messplatz 4, 76726 Germersheim. Tel.: 07274 3012, E-Mail: monika.seelinger@ ruanda-stiftung.com, www.ruandastiftung.com Spenden nimmt die Stiftung über das Spendenkonto Ruanda Stiftung bei der Sparkasse Südliche Weinstraße in Landau (BLZ 54850010), Konto 1700 159 79, entgegen Was würden Sie tun, wenn ein Frontlader voller toter Puten an Ihrem Fenster vorbeifährt? Und dann noch einer? Und wieder einer? Frau K. aus Roddahn in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls wurde stutzig. Dann holte sie einen Notizblock und zählte mit. Spätestens als die zwanzigste Ladung toter Puten an ihrem Fenster vorbei rollte, war der Nachbarin klar: In der Putenmastanlage nebenan läuft etwas grundlegend schief. Sie brach ihre Zählaktion ab und informierte die örtliche Bürgerinitiative „Für gesundes Leben ohne intensive Putenmast“. Diese wandte sich an PROVIEH und gemeinsam ging man den Hintergründen nach. Die Bürgerinitiative wehrt sich vor allem gegen die massive Geruchsbelastung aus den Intensivmastställen, und die Nutztierschützer von PROVIEH wollen die Lebensbedingungen der Puten spürbar verbessern. Diese Ziele verbinden. An diesem Tag im Sommer 2012 waren über 700 Tiere und damit fast zehn Prozent des Putenbestandes in dem ehemaligen LPG-Schafstall in Roddahn verendet. Der Amtstierarzt, der bei solchen Vorfällen vom Tierhalter hinzugezogen werden muss, gab „Entwarnung“: Keine Tierseuche hätte die Vögel dahingerafft, sondern eine Kombination aus Stress, schlechtem Management und mangelhafter Lüftungstechnik. Auch ein Gewitter sei wohl als Stressfaktor im Spiel gewesen. Für die Bürgerinitiative ist dieser Vorfall eine weitere Bestätigung, dass die marode Anlage, die in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern und einer Kindertagesstätte liegt, so nicht länger hinzunehmen ist. Sie wollen statt der Intensivmast eine extensive, tier- und umweltgerechte Putenhaltung in ihrer Nachbarschaft, mit wenig Tierleid und wenig Gestank. Und für PROVIEH sind die 700 elendig verendeten Puten weitere gewichtige Argumente, bei den laufenden Verhandlungen mit dem Verband der Putenhalter auf deutlich verbesserte Haltungsbedingungen zu drängen. Es hilft also, wenn engagierte Tierschützerinnen und Tierschützer die Augen offen halten. So kommen die Missstände der Intensivtierhaltung aus dem Halbdunkel geschlossener Ställe ans Licht der Öffentlichkeit. Nur so entsteht Veränderungsdruck. Stefan Johnigk Dem Licht der Öffentlichkeit entzogen 34 MAGAZIN 35 Verschwendung von Lebensmitteln In Deutschland landen jedes Jahr bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Eine gewaltige Masse, die mit vielen kleinen Schritten deutlich reduziert werden könnte. Doch wo sind die Gründe für die Verschwendung zu suchen? Ein Ansatz der Ursachenforschung findet sich im Lebensmitteleinzelhandel. Aus meiner Zeit als Filialleiter* in genau diesem Bereich weiß ich, dass hier noch nicht alles perfekt läuft. Daneben werden Warenwirtschaftssysteme so weiterentwickelt, dass die Warenversorgung immer besser an die tatsächliche Nachfrage der Konsumenten angepasst wird. Außerdem versucht man Bestellrhythmen zu verkürzen und Verpackungseinheiten zu verkleinern. Alles Schritte in die richtige Richtung. Konsumenten greifen nach hinten So wird einem Filialleiter beispielsweise gesagt, er solle darauf achten, dass die Summe der weggeworfenen Lebensmittel nicht zu hoch ausfallen dürfe – allerdings seien „Fehlartikel“ (gähnende Leere im Regal) noch wesentlich schlimmer. Der Grund hierfür ist ziemlich simpel: Was nicht verfügbar ist, kann nicht verkauft werden. Man fürchtet außerdem, dass man einen Kunden dauerhaft an die Konkurrenz verlieren könnte, wenn er seinen Artikel ein- oder zweimal nicht erhalten hat. Der Wettbewerb um die Kunden ist groß. Es gibt immer genügend Anbieter mit gleichem Sortiment und ähnlicher Preisstruktur. Das ABC des Marketing besagt außerdem, dass die Kunden durch üppige Warenpräsentation und gut gefüllte Regale eher zum Kauf angeregt werden. Die Vorgabe, alle Artikel jederzeit verfügbar zu haben, erhöht allerdings auch das Risiko, dass am Ende einwandfreie Lebensmittel im Müll landen. Auch manche Kunden könnten ihr Einkaufsverhalten überdenken. Es gibt hier teilweise Parallelen zur Aktionsweise des Einzelhandels. Je größer der Zeitraum ist, in dem die Versorgung sichergestellt werden soll, desto schwieriger ist die Kalkulation der benötigten Waren. Im Umkehrschluss heißt das: Je kürzer die Einkaufsintervalle, desto weniger Lebensmittel landen im Endeffekt in der Tonne. Verschwendung entsteht auch durch das Herausgreifen von Waren aus den hinteren Reihen. Bei jeder Warenanlieferung erfolgt eine „Warenwälzung“ durch einen Mitarbeiter. Das heißt, die frische Ware wird logischerweise unter oder hinter die vorhandene Ware gestellt. Wobei es sich gerade in den Kühltheken nicht selten um lediglich ein oder zwei Tage Unterschied beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) handelt. Wenn immer nur Ware aus dem frischeren Bestand herausgenommen wird, bleibt natürlich ein Teil der Ware so lange im Regal, bis sie entsorgt werden muss. Den Handel aber nun als alleinigen Schuldigen zu verdammen wäre falsch. Zumal sich in den letzten Jahren schon einiges getan hat. So hat sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit den „Tafeln“ stark verbessert. Ich hatte in meiner Funktion als Filialleiter den Test gemacht, Neuware einfach vor die vorhandene Ware zu stellen. Es wurde weiterhin nach hinten gegriffen. Ein Beweis dafür, dass häufig gar nicht nach dem MHD geschaut Viele Lebensmittel sind weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch bedenkenlos essbar wird, sondern diese Art des Einkaufens vollautomatisch abläuft. Abgelaufen ist nicht gleich schlecht Das Mindesthaltbarkeitsdatum trägt auch zur Verschwendung bei. Hier liegt der Fehler schon in der Namensgebung. Eigentlich verbirgt sich hinter dem Mindesthaltbarkeitsdatum lediglich die Garantie des Herstellers, dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Eigenschaften, wie zum Beispiel Konsistenz oder Farbe des Produkts, gewährleistet sind. Gleichzeitig ist das MHD das Datum, an dem die Haftung vom Hersteller auf den Handel übergeht. Ob das Produkt noch verzehrt werden kann oder nicht, hat also relativ wenig mit dem MHD zu tun. Dennoch hat die Einführung des MHD allgemein dafür gesorgt, dass ausschließlich nach diesem Datum eingekauft wird. Das MHD wird offenbar oft als Verfallsdatum missverstanden. Dabei ist der Verzehr oft lange darüber hinaus unbedenklich. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Lebensmittel deutlich weniger verschwendet werden könnten, wenn der Handel noch mehr darauf achtet, sie in den „richtigen Mengen“ anzubieten, und auch jeder Konsument „bewusst“ einkauft. *Der Autor möchte nicht genannt werden 36 MAGAZIN 37 Gerd Sonnleitner geht zurück auf die Scholle Unsinn von Agrarsubventionen und ihrer Veröffentlichung wehrte er mit dem Totschlagargument ab, sie seien „nur der menschlichen Eigenschaft des Neides geschuldet.“ Nachdem die BSE-Krise mehr schlecht als recht beendet war, kam es für ihn, den konservativen Bauernvorsitzenden, noch schlimmer. Die grüne Verbraucherministerin Renate Künast trat an, um die Agrarwende umzusetzen, nach dem Motto „Klasse statt Masse“. Sonnleitner blockierte unverzüglich und mit rhetorischen Tricks: Die Bauern würden bereits „Klasse und Masse“ produzieren. Sonnleitner hat viele Angriffe aushalten müssen. Einer kam aus dem eigenen Lager und hätte ihn fast den Kopf gekostet. 2009 rebellierten die Milchbauern gegen ihn, als Sonnleitner gesagt hatte, die gerade wieder aktuelle Milchkrise sei „nicht mit einer erneuten Quotendiskussion zu lösen“. Die Milchlieferungen der Bauern seien eh rückläufig, man solle sich lieber auf Absatzförderungen konzentrieren. Aus Frust über diese Linie liefen die Milchbauern in Scharen vom DBV zum neu gegründeten Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) über, der Hungerstreiks, Lieferboykotte gegen Molkereien und Demonstrationen gegen Sonnleitner organisierte. In Brüssel bewarfen Bauern ihn, der ihr Vertreter sein sollte, mit Eiern, Kastanien und einer Mistgabel. 15 Jahre lang war Gerd Sonnleitner (Jahrgang 1948) der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und verteidigte als solcher die konventionelle industrielle Landwirtschaft gegen alle Anfeindungen. Er forderte Evolution statt Reformen und meinte damit möglichst langsam möge sich möglichst wenig verändern. Er baute sich den Ruf auf, einer der erfolgreichsten und umtriebigsten Lobbyisten des Landes zu sein. Hilfreich und finanziell einträglich waren ihm hierfür seine etwa 30 Vorstands- und Aufsichtsratsposten in der weitverzweigten Agrarindustrie, aber auch bei Banken und Versicherungen. Unter anderem war er Vorsitzender der „Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL). Hinter diesem Namen verbergen sich die Großen der Agrarwirtschaft, die unter Nachhaltigkeit Massentierhaltung, Pestizid- und Kunstdüngereinsatz und neuerdings Gentechnik auf dem Acker verstehen. Bei so viel Nähe zum Agrobusiness wundert es nicht, dass Sonnleitner für deren Interessen oft mehr Verständnis aufbrachte als für die eigene Basis. 1997, zu Beginn seiner Bauernpräsidentschaft, schien die Welt noch in Ordnung. Agrarpolitik war reine Klientelpolitik, von Bauern für Bauern. Kaum jemand interessierte sich für Felder und Ställe. Erst das BSE-Desaster änderte ab 2000 alles schlagartig. Als Landwirte mit erkrankten Rindern nun im Rampenlicht standen, wollten die Menschen plötzlich alles über Tierhaltung wissen, und Sonnleitner sollte es ihnen erklären. Lautes Kontern mit Halbwahrheiten, routiniertes Gesundbeten, stures Beharren und die Kunst des Ausbremsens gehörten zu den Strategien, die Sonnleitner im Kampf für seine Klientel anwendete. Für seine Schützlinge – vor allem für Großbauern – machte er sich überall dort stark, wo es etwas zu verteilen gibt. Dafür konnte er sich eines immensen Apparats bedienen: In Berlin residiert der Bauernverband gemeinsam mit einem Geflecht von Organisationen der Land- und Ernährungswirtschaft in einem schicken vierstöckigen Neubau mit viel Bürofläche, nur einen Katzensprung von Bundestag und Kanzleramt entfernt. Trotz Spardruck und Reformdebatten schlug Sonnleitner für die deutschen Bauern jährlich rund sieben Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt heraus. Nur wenig davon fließt bis heute in eine umweltschonende Landwirtschaft. Den Löwenanteil kassieren Großbetriebe mit Äckern voller Monokulturen und mit Mastanlagen, in denen zehntausende Schweine oder Rinder stehen. Gerd Sonnleitner kämpfte für dieses System, bayerisch charmant zwar, im Bauernschlau auch gegen EU-Pläne Inhalt aber beinhart und ganz und gar nicht zum Wohl der Tiere. Über die Hälfte der Bauern in Deutschland bekommen aus Brüssel nicht einmal 5.000 Euro pro Jahr. Die Großbauern dagegen erhalten ein Drittel der gesamten Direktzahlungen, obwohl sie lediglich 1,5 Prozent der Betriebe ausmachen. Sonnleitner hat selbst einen 100 Hektar Hof in Ruhstorf nahe Passau und bekam 2009 für ihn exakt 36.353,30 Euro aus dem EU-Topf, wie im damals erstmals veröffentlichten Online-Datenverzeichnis aller EU-Subventionsempfänger nachzulesen war. Selbstverständlich hatte Sonnleitner gegen diese Veröffentlichung wie ein Löwe gekämpft. Er wollte keine Transparenz in diesem Bereich. Die Öffentlichkeit sollte nicht wissen, dass sich unter den Empfängern der EU-Agrarsubventionen zahlreiche Großunternehmen befinden – an der Spitze die Südzucker AG mit mehr als 34 Millionen Euro (2008). Öffentliche Debatten über Sinn oder „Der Deutsche Bauernverband ist die Stimme der deutschen Bauern und muss es bleiben“, rief Sonnleitner den Mitgliedern des Bauernverbandes am Ende seiner Abschiedsrede trotzig entgegen. Ein geschickter Demagoge und Tatsachenverdreher sonnte sich ein letztes Mal im tosenden Applaus. Wen kümmert es, dass während seiner Amtszeit allein in Bayern 104.000 Bauernfamilien aufhören mussten. Der Nachfolger Joachim Rukwied wird Sonnleitners Werk wohl fortführen, eventuell mit noch mehr Betonung auf Gentechnik. Seine ersten öffentlichen Auftritte geben leider wenig Anlaß für Hoffnung. Susanne Kopte 38 MAGAZIN 39 Auflösung des HANSANO-Bilderrätsels Im letzten PROVIEH-Magazin 2/2012 stellten wir Ihnen in der Rubrik „das Allerletzte“ das HANSANO-Bilderbuch „Wo kommt die Milch her?“ vor. HANSANO versucht Kindern in diesem Buch eine heile Welt mit glücklichen und zufriedenen Milchkühen vorzugaukeln. Die Realität sieht anders aus. Wir haben sehr viel Zuspruch und Anfragen zu diesem Rätsel erhalten und gehen daher an dieser Stelle gern ausführlich auf die Lösungen ein. Weidegang ist nicht selbstverständlich. Nur 42 Prozent aller in Deutschland gehaltenen Milchkühe durften im Jahr 2009 für rund fünfeinhalb Monate auf die Weide, das ergab die Landwirtschaftszählung 2010. Alle anderen Milchkühe blieben ganzjährig im Stall in Lauf- oder Anbindehaltung und ohne Rücksicht auf ihren Bewegungsdrang. HANSANO macht keine Angaben über die Haltung seiner Milchkühe. Nicht einmal die Bezeichnung „Weidemilch“ von HANSANO garantiert, dass die Milch von Milchkühen mit Weidegang stammt, denn in Deutschland ist nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen Milch als Weidemilch gekennzeichnet werden darf. Hörner sind selten. Hörnertragende Kühe beanspruchen in der Regel mehr Platz als hornlose Artgenossinnen und stellen eine Verletzungsgefahr für den Bauern und seine Tiere dar. Deshalb werden in Deutschland die Hornansätze bei mehr als 90 Prozent aller Kühe bereits im Kälberalter weggebrannt. Diese Prozedur ist sehr schmerzhaft, denn die Hornansätze sind von empfindlichen Nervenbahnen durchzogen. HANSANOs behornte Bilderbuchkühe spiegeln also nicht die Realität wider. Sieht man sich auf deutschen Weiden um, gehören hörnertragende Rinder zur Ausnahme. Die Haltung von Rindern mit Hörnern ist natürlich durchaus möglich. Bei dem Ökoverband Demeter ist das Enthornen von Rindern verboten. Mehr Platz, Ausweichmöglichkeiten und mehr Fressplätze verhindern Stress, Verletzungen und Unruhe im Stall. Häufige Erkrankungen am Euter. Maßvoll große Euter und gute Eutergesundheit, wie im HANSANO-Bilderbuch dargestellt, gehören vergangenen Zeiten an. Die häufigste Erkrankung bei Milchkühen ist die Mastitis, eine bakterielle Entzündung der Euterdrüsen. Rund 40 Prozent aller deutschen Milchkühe leiden unter ihr. Je höher die individuelle Milchleistung einer Kuh und je schlechter die Stallhygiene, desto höher ist das Risiko, an Mastitis zu erkranken. Keine Mutter-Kind-Beziehung. Kälber von Milchkühen werden nach ihrer Geburt unverzüglich von ihrer Mutter getrennt, damit sich keine Mutter-Kalb-Beziehung aufbauen kann. Deshalb hat ein frischgeborenes Kalb kaum Gelegenheit, ausreichend Biestmilch (das Kolostrum, Milch der ersten fünf Tage nach dem Kalben) seiner Mutter zu trinken. Die Aufnahme ist aber sehr wichtig, weil die Biestmilch Antikörper gegen Infektionskrankheiten enthält, die nur in den ersten Lebensstunden durch die Darmwand des Kalbs in dessen Blut gelangen können und es dann vor Infektionen schützen. Fehlt dieser Schutz, Ammenmärchen statt Ammenkühe – so versucht die Milchwirtschaft ihr Image aufzupolieren werden die Kälber leicht krank. Sie erkranken zum Beispiel an schwerem Durchfall. Der idyllische Spaziergang von Mutterkuh und Kalb auf der Wiese, wie im HANSANO-Bilderbuch dargestellt, entspricht also nicht der Realität. Anders ist die Lage bei Fleischrindern, die ganzjährig auf der Weide gehalten werden. Die Kälber bleiben nach der Geburt bis zu zehn Monate bei ihrer Mutter und haben von Anfang an eine robuste Gesundheit. Diese Form der Haltung ist als Mutterkuhhaltung bekannt. Milch nur für den Menschen. Nach Aussage von HANSANO gibt die Kuh „mehr Milch als das Kalb braucht“, so dass der Überschuss der menschlichen Ernährung dienen kann. Die Biestmilch allerdings darf nicht an die Molkerei abgeliefert werden, sie wird zu hundert Prozent an die Kälber verfüttert, doch oft zu spät, so dass die Kälber den Immunschutz nicht mehr aufnehmen können. Von der Milch, die an die Molkerei geliefert wird, bekommen die Kälber meist nichts. Stattdessen bekommen sie eine Ersatzflüssigkeit, die als „Milchaustauscher“ bezeichnet wird. Was nicht jeder weiß: Nach der Geburt eines Kalbes kann die Kuh nicht beliebig lange Milch bilden. Sie muss vielmehr jedes Jahr Nachwuchs gebären, damit die Milchbildung immer wieder angeregt wird. Um wirtschaftliche Verluste zu vermeiden ist die Milchkuh nahezu dauerträchtig, denn schon bald nach der Geburt eines Kalbes wird sie wieder künstlich besamt. Eine auf Hochleistung gezüchtete Kuh kann heute bis zu 50 Liter Milch am Tag geben. Nach der zweiten oder dritten Laktationsperiode (die Zeit, in der die Kuh Milch produziert) ist der Körper dann soweit ausgemergelt, dass die Kuh zum Schlachter kommt und zu Wurst oder Hackfleisch verarbeitet wird. Milchkühe, die nicht auf Hochleistung gezüchtet wurden, können sechs und mehr Kälber gebären und 12 bis 15 Jahre alt werden. Fazit: Für viele Menschen ist die Landwirtschaft heute nicht mehr greifbar. Sie kommen mit ihr nicht mehr in Berührung und kennen nicht die Realität auf den Höfen. Bunte Bilder und Etiketten mit zufriedenen Kühen, lachenden Schweinen und lebhaften Hühnern auf bunten Wiesen neben prunkvollen Bauernhöfen sollen dem Verbraucher eine artgemäße Tierhaltung vortäuschen. Die Unwissenheit des Verbrauchers wird mit den bunten Bildern also schamlos ausgenutzt, damit er guten Gewissens kauft. Lassen Sie sich nicht täuschen! Verena Stampe 40 BUCHTIPP 41 Richard Rickelmann: Tödliche Ernte Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet. Richard Rickelmann, Jahrgang 1939, arbeitete lange Jahre als Journalist für den Spiegel und den Stern in den Bereichen Wirtschaft und Politik. Für beide Magazine hat er in der Vergangenheit Skandale aufgedeckt und begleitet – also eigentlich kein Wunder, so denkt man sich als Nutztierschützer, dass sein Augenmerk nun auf die Agrarindustrie gefallen ist. Skandale findet man hier ausreichend, um mehr als ein Buch zu füllen. Rickelmann unterteilt sie in die Bereiche der Grünen Gentechnik, der Intensivtierhaltung und der Subventionen, wobei Verflechtung, Intransparenz und Gier sich als Leitmotive durch die Agrarindustrie und damit auch durch sein Buch ziehen. Inzwischen steht selbst aus Sicht der Konzerne fest, dass durch den Anbau von Bt-Mais das Schädlingsproblem nicht – wie ursprünglich versprochen – auf umweltfreundliche Weise gelöst wurde. Stattdessen sind die Schädlingsarten resistent gegen das Bt-Gift vom Bt-Mais geworden und haben in manchen Gegenden der USA Ernteausfälle von bis zu 60 Prozent verursacht. Politiker, die von der Gentechnik überzeugt sind, interessieren sich für solche Fakten nicht. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gab 2010 eine Jubelschrift über die Grüne Gentechnik heraus und wollte so einen „Beitrag zur größeren Akzeptanz der neuen Technologie leisten“. Doch die Nachteile der Grünen Gentechnik wurden zugunsten der Aufzählung von Pro-Argumenten Das Buch ist, wie der Untertitel klarstellt, eine Polemik, aber durch Quellenangaben belegt. Interessierte Leserinnen und Leser können die Aussagen des Autors also überprüfen oder in den Fußnoten Stoff zum Weiterlesen finden. Die Todesfälle und Vergiftungen durch das Agrar- und Lebensmittelkartell, die der Untertitel erwarten lässt, sind in den meisten Fällen indirekter Art: Zum Beispiel beschreibt Rickelmann die Subventionierung hochgradig ungesunder Produkte wie Nutella, aber auch den sorglosen Umgang mit Glyphosat und BtGiften. Noch drastischere Beispiele findet er in der Vergangenheit, etwa den Umgang mit Agent Orange oder PCB. Aus der Realität bekommt Rickelmann leider reichlich Material für drastische Schilderungen des Absurden und der Verantwortungslosigkeit. Ein Beispiel aus der Grünen Gentechnik: ausgespart. Die unausgewogene Darstellung traf auf Kritik, auch in Expertenkreisen und selbst innerhalb der DFG. Tierschützer unter den Lesern mögen über die Jubelschrift wenig überrascht sein, wenn sie sich noch erinnern, dass die DFG bereits eine entsprechende Broschüre zum Thema Tierversuche veröffentlicht hat. Angesichts der oft nicht nachvollziehbaren Bereitschaft des Europäischen Patentamts, Patente auf Leben zu erteilen, weist Rickelmann darauf hin, dass das Patentamt sich „ausschließlich über die Gebühren für die angemeldeten und verteilten Patente finanziert“. Kritiker sehen „darin einen Anreiz, Patente weniger nach Qualität als nach Quantität zu vergeben“. 2009 versuchte Monsanto ein Patent auf Schinken und Schnitzel aus Schweinen zu erhalten, die mit Gen-Soja von Monsanto gefüttert worden waren. Rickelmann: „Vergleichbar wäre der Versuch der MineralölKonzerne, Besitzansprüche auf die mit ihrem Sprit betriebenen Autos anzumelden.“ Das Thema Nutztierschutz resümiert Rickelmann unter der Überschrift: „Die FrankensteinIndustrie“. „Der Umgang vor allem mit dem Federvieh entspricht einem Maß an Ausbeutung, das nach Ansicht vieler Wissenschaftler alle Kriterien einer zivilisierten Gesellschaft verletzt.“ Er erinnert auch daran, dass die Ausbeutung zu Selbstmord bei Bauern geführt hat, ein Thema, über das gemeinhin lieber geschwiegen wird. Er berichtet besorgt über die Medienmacht der Landwirtschaftsverbände, die als „Propagandamaschine“ die Meinungen ihrer Leserschaft zu kontrollieren sucht. Pestizidrückstände kann man nicht sehen Wohin die europäische Subventionspolitik geführt hat, macht Rickelmann an verschie- Tödliche Ernte – Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet Richard Rickelmann, Econ-Verlag, April 2012; 320 Seiten, 18,00 € ISBN-13: 9783430201254 denen Beispielen deutlich. Unwirtschaftliche Großunternehmen, die auf einem freien Markt keine Chance hätten, werden durch große Agrarsubventionen am Leben gehalten, während die kleinen Betriebe sich weitestgehend selbst tragen müssen. Aber auch im Kleinen sieht man absurde Wirkungen des europäischen Gießkannenprinzips. So konnte sich der Schützenverein im brandenburgischen Seelow von den EU-Agrargeldern, die er für sein Waldstück erhielt, einen neuen Schießstand leisten. Der deutsche Steuerzahler hält dieses System mit rund 100 Euro pro Kopf und Jahr am Leben. Man kann nur hoffen, dass das Buch viele Leserinnen und Leser zum Nachdenken und Handeln aufrüttelt. Irene Wiegand MAGAZIN 42 43 Fleischfrei mit Genuss Im Januar 2012 unterstützte die Starköchin Sarah Wiener PROVIEH bei der Übergabe des „Appell für den Ausstieg aus der Massentierhaltung“. Der Appell mit 33.000 Unterschriften wurde in ihrem Café Restaurant im Hamburger Hauptbahnhof in Berlin an Ministerialdirektor Bernhard Kühnle aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium übergeben. Sarah Wiener hat den erfolgreichen Appell von Anfang an nachdrücklich unterstützt. Sarah Wiener Lasagne vom Kürbis mit Jüterboger Büffelricotta und Pfifferlingen Zutaten Sie ist die bekannteste Starköchin im deutschen Fernsehen und wird auch „Köchin für nachhaltigen Genuss“ genannt. Doch nicht nur als Fernsehköchin ist die Wienerin erfolgreich, sondern auch als Unternehmerin und Buchautorin. In Berlin betreibt sie drei biozertifizierte Restaurants. Öffentlich tritt sie für eine ethisch-ökologische Ernährungsweise, für eine artgemäße Tierhaltung und für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein. • 250 ml Milch (1,5 %) • 100 ml Weißwein • 100 g Bergkäse • 12 Stk. Lasagneblätter (ohne Vorkochen) • 700 g Hokaido-Kürbis • 2 EL Pflanzenöl • 700 g Pfifferlinge • Salz, Pfeffer, Muskat und Speisestärke • 150 g Schalotten • 150 g Jüterboger Büffelricotta (alternativ magerer Quark) • 250 ml Sahne Den Kürbis waschen und halbieren, die Pfifferlinge putzen und klein schneiden. Die Schalotten und den halbierten Kürbis in kleine Würfel schneiden. So wird ein fleischfreier Tag zum Fest Pflanzenöl in einem Topf erhitzen, darin die Pfifferlinge, die Schalotten- und Kürbiswürfel anschwitzen. schichten, ca. 5 Schichten. Zum Schluss den Bergkäse gleichmäßig über die Lasagne streuen. Anschließend mit Weißwein ablöschen. Sahne und Milch dazugeben und alles ca. 10 Min. köcheln lassen. Die Lasagne im vorgeheizten Ofen bei 160 °C (Umluft) für 35 Min. garen. Die Mischung mit Speisestärke leicht abbinden und mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken. Den Backofen auf 160 °C (Umluft) vorheizen. Abwechselnd die Lasagneblätter, die Kürbis-Pfifferlingsmischung und den Ricotta Wer möchte, kann das Gericht mit geriebenem Käse oder geröstetem Sesam erweitern. Tipp: Dazu Vogerlsalat (Feldsalat) mit einer Kürbiskernöl- Vinaigrette Guten Appetit! GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN 45 Ein Paradies für Wollschweine Auf Tomtes Hof, einem großen alten Bauernhof mitten in der Westermarsch, fand im Oktober 2011 das zweite PROVIEH-TierschutztrainerSeminar statt. Die Begegnung von Mensch und Tier ist sozusagen Leitsatz auf diesem schönen Hof. Hauptakteure sind neben den Wollschweinen (Mangalitza) Ponys, Schafe, Ziegen, Esel, Meerschweinchen, Kaninchen, Hühner, Katzen und Hunde. Alle Tiere genießen eine artgemäße Haltung. Eine Gruppe der angehenden Tierschutztrainer konzentrierte sich auf die sechs wolligen Mangalitzas, die – wie sie als erstes erfuhren – jeden Morgen im Schweinsgalopp zu ihrem Trainingsplatz wetzen. Dr. Juliane Marliani, Biologin, Leiterin und Mitbegründerin von Tomtes Hof e.V., zeigte den angehenden Tierschutztrainerinnen die Übungseinheiten, die sie jeden Tag mit den Schweinen macht. Die Teilnehmerinnen waren fasziniert von der Vorführung. Außerdem dürfen die Tiere ein wenig Kopfarbeit leisten. Das tut ihnen gut und macht ihnen Spaß. Mehr Trainingsmöglichkeiten auf Parcours oder ähnlichen Strecken gibt es zwei bis dreimal die Woche zur Mittagszeit. Es gibt so viele Schweinerassen. Wieso haben Sie sich ausgerechnet für Mangalitzas auf Tomtes Hof entschieden? Wollscheine haben eine gute körperliche Gesundheit und sind robust auch gegenüber Stress. Sie sind kooperativ und sehr ursprünglich in ihrem Verhalten. Außerdem gefällt mir, dass sie außer Borsten auch noch Fell haben. Vielen Menschen ist nicht klar, dass das der „ursprüngliche Zustand“ bei Schweinen ist. Außerdem finde ich sie vom Körperbau und dem Gesicht einfach schön Wie halten Sie die Wollschweine im Winter? Sie sind, wie fast alle unsere Tiere, ganzjährig auf der Weide. Natürlich haben sie einen Stall, der gemütlich und trocken eingestreut ist. Sie haben Schatten und Zugang zur Graft, dem breiten Wassergraben um den Hof. Die Weide ist so groß, dass sie sowohl ausreichend Weidefläche haben als auch nach Herzenslust wühlen und buddeln können. Wir achten sehr darauf, dass sie sich wohl fühlen, und das können sie sehr deutlich äußern. Werden die Mangalitza bei Ihnen irgendwann geschlachtet? Die derzeitigen Hofbewohner nicht. Wir werden aber sicherlich wieder einmal Nachwuchs züchten, den wir dann auch an ökologisch orientierte Betriebe abgeben, die sie gut halten und fachgerecht und vertretbar schlachten. Frau Marliani, PROVIEH bedankt sich für das Interview. Das Interview führte Verena Stampe Frau Dr. Marliani, wenn die Schweine morgens aus den Ställen gelassen werden, absolvieren Sie mit Ihnen zuallererst ein Training. Was machen sie genau und wozu ist das Training wichtig? Das Training ist ein Stationierungstraining: Unsere Schweine laufen morgens vom Stall auf einen Sandplatz. Dort hängen sechs Symbole aus Hartgummi. Jedes Tier hat sein eigenes Symbol, hinter das es sich stellt. Wenn es auf Zuruf dieses Symbol mit dem Rüssel berührt, bekommt es ein Stück Brot – nach dem Prinzip der positiven Konditionierung. Auf diese Weise verfüttern wir das morgendliche Kraftfutter an die Schweine. Das hat viele Vorteile: Wir können die Futtermenge individuell dosieren, und es kommt nicht zu Streitereien und Stress. Gelehrige Tiere im Wollschweinparadies: Welches sein persönliches Zeichen findet, bekommt leckeres Futter INFOBOX 44 Der Verein „Tomtes Hof e.V.“ (www. tomtes-hof.de, Tel.: 04931. 930 16 34) bietet ein umfassendes Informationsangebot über heimische Hausund Nutztiere, über den artgemäßen Umgang und die Haltung. Der zertifizierte Begegnungshof bietet außerdem Tierkontakt für pädagogische und therapeutische Zwecke an. Ziel ist es, einen artgemäßen Umgang mit Tieren zu vermitteln, und sie bei „tiergestützten Aktivitäten“ unter besonderer Berücksichtigung ihres natürlichen Verhaltens einzusetzen. Stefan Johnigk GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN 47 Mangalitza – ein Schwein mit Locken Das Mangalitza wird von Weitem gerne mal mit einem Schaf verwechselt. Das liegt an seinem dichten, lockigen Fell, das ihm den passenden Namen Wollschwein einbrachte. Der Begriff „Mangalitza“ leitet sich aus dem serbokroatischen Wort „mangulica“ ab und bedeutet so viel wie „walzenförmig, leicht fett werdend“. Mangalitzas gibt es in drei unterschiedlichen Farbvarianten: Das zahlenmäßig überwiegende Blonde, das Schwalbenbäuchige und das Rote. Das Mangalitza stammt vom serbischen Sumadija-Schwein ab, das mit einheimischen Schweinerassen gekreuzt wurde. Ein wildfarbener und ein rein schwarzer Farbschlag gelten heute als ausgestorben. Bereits im 13. Jahrhundert wurde in Ungarn von „wolligen, fetten Schweinen“ berichtet. Doch das Wollschwein, so wie wir es heute kennen, dürfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Die Mangalitzas entwickelten sich schnell zu einer sehr beliebten Schweinerasse. Um 1900 gab es mehr als sechs Millionen Wollschweine, die das Landschaftsbild vor allem in Ungarn und Rumänien prägten. Oft wurden sie über hunderte von Kilometern bis zum Schlachthof nach Wien getrieben. Das Interesse von Züchtern aus anderen europäischen Ländern ließ nicht lange auf sich warten, und so wurde das Mangalitza das führende Zuchtschwein in Europa. Bis in die 1950er Jahre war das Wollschwein Lieferant für Fleisch und Speck in großen Teilen Osteuropas und der ehemaligen Habsbur- INFOBOX Ausgestattet mit einem großen Bewegungsdrang leisten die Wollschweine bis heute in der extensiven Haltung einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege in Wäldern, auf sumpfigen Wiesen und Stoppelfeldern. Das Mangalitza wird auch zur Bekämpfung von Schädlingen wie den Borkenkäferlarven eingesetzt. Mangalitza Wollschwein säuft artgemäß aus einer offenen Wasserfläche ger Monarchie. Und das Mangalitzafleisch ist bis heute ein wesentlicher Bestandteil der berühmten ungarischen Salami. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Trend hin zu magerem Fleisch und das führte zu einem drastischen Einbruch der Zucht. Seit Ende der 1970er Jahre existierten nicht einmal mehr 200 reinrassige Exemplare. In Österreich, Ungarn, der Schweiz und Deutschland bildeten sich seit Ende der 1980er Jahre Initiativen zur Rettung des Wollschweins. Ein Exportabkommen zwischen Ungarn und Spanien zur Herstellung von Serrano-Schinken bewirkte schließlich den entscheidenden wirtschaftlichen Wiederaufschwung in der MangalitzaZucht und Haltung. Heute sind die Produkte dieses urtümlichen Schweins Spezialitäten, die nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und den USA gefragt sind. Verena Stampe Mangalitza Ferkel locken zum Kuscheln, sind aber durchaus borstig Steckbrief INFOBOX 46 Das Wollschwein ist robust, anspruchslos, sozial und wenig stressanfällig. Durch das dichte und lockige Haarkleid ist es gegen Kälte und Sonnenbrand geschützt. Das Sommerfell ist dünner und kürzer, so dass die dunkle Haut durchscheint. Auch Rüsselscheibe, Augenlider und Klauen der Tiere sind schwarz. Charakteristisch sind die mittelgroßen nach vorn stehenden Hängeohren. Das eher kleinrahmige Schwein hat einen kurzen Rumpf mit kräftiger Muskulatur und kurze starke Gliedmaßen. Wollschweine sind Spätentwickler. Mit 11 – 13 Monaten erreichen sie die Zuchtreife. Außerdem haben sie relativ kleine Würfe. Die vier bis acht längsgestreiften Ferkel sehen Wildschweinfrischlingen sehr ähnlich – ein Zeichen für die Ursprünglichkeit dieser Rasse. Das Mangalitza kann ein Gewicht von bis zu 350 kg bei Ebern und 300 kg bei Sauen erreichen. Das Fleisch ist dunkel, kräftig und von hervorragender Qualität. 48 49 Elena langweilt sich. Eigentlich sind Schulferien ja ganz toll, aber gerade weiß sie nicht, was sie machen soll. Missmutig malt sie mit den Fingern die Linien der bunten Tapete im Esszimmer nach, als ihre Mutter in den Raum kommt. „Was ist denn mit dir los?“ fragt sie. „Ach, ich weiß nicht was ich machen soll“, sagt Elena und seufzt. Ihre Mutter überlegt kurz und schlägt dann vor: „Du könntest mit Tom Onkel Franz besuchen gehen. Er freut sich bestimmt, wenn er euch sieht.“ Elena strahlt. Onkel Franz ist ihr Lieblingsonkel. Er hat nämlich einen kleinen Bauernhof. Manchmal hat ihre Mama wirklich gute Ideen. „Ja, das machen wir!“ ruft sie und rennt hinaus, um ihren Bruder Tom zu suchen. Onkel Franz erwartet die Kinder bereits, denn ihre Mutter hat bei ihm angerufen und Bescheid gesagt, dass sie kommen. Elena und Tom springen von ihren Fahrrädern und begrüßen ihn stürmisch. „Ich will die Hühner sehen!“ ruft Elena und zieht ihren Onkel am Arm in Richtung Garten. Onkel Franz hat einen sehr großen Garten, und die fünf Hühner laufen ganz weit hinten unter den Apfelbäumen herum. Elena winkt den Hühnern zu, aber sie bemerken sie nicht. „Wir sind noch zu weit weg“, erklärt ihr Onkel, „alles, was über 50 Meter weit entfernt ist, können Hühner nicht mehr gut erkennen.“ Elena schaut Franz erstaunt an – sie kann viel weiter schauen als nur 50 Meter. Onkel Franz erklärt ihr, dass Hühner ursprünglich im Urwald mit dichtem Gebüsch zu Hause waren und dass sie deshalb nicht, wie andere fliegende Vögel, ein weites Gelände überblicken mussten, um Feinde und Beute zu entdecken. Für Hühner war es immer viel wichtiger, was in ihrer direkten Nähe geschah. „Und darauf haben sich ihre Augen eingestellt“, sagt er. Langsam gehen Franz und Elena näher an die Hühnerschar heran. In der Zwischenzeit hat Tom einen weiten Bogen geschlagen und sich dabei immer wieder hinter Bäumen und Sträuchern versteckt. Nun versucht er sich von hinten an die Hühner anzuschleichen. Obwohl ihm die Tiere den Rücken zudrehen, entdecken sie ihn viel früher als erwartet. Aufgeregt gackernd laufen sie vor ihm davon. Enttäuscht bleibt Tom stehen. „Ich wollte sie gar nicht erschrecken“, beteuert er. „Ich wollte nur ganz schnell nah heran, ohne dass sie weglaufen. Wie konnten sie mich überhaupt so schnell entdecken?“ Onkel Franz lacht. „Schau dir doch einmal genau an, wo bei den Hühnern die Augen sitzen. Fällt euch etwas auf?“ Tom und Elena beobachten konzentriert das Federvieh. Nach einer Weile Gewinnspiel Schickt uns eure Hühnerfotos! INFOBOX Vorlesegeschichte für Kinder von sechs bis zehn Jahren: Hühner zu überraschen ist schwer Fragt eure Eltern, ob sie mit euch Hühner anschauen und macht Fotos von den Tieren. Für das schönste eingesendete Foto (gerne auch per email) gibt es ein PROVIEH-Überraschungspäckchen. Die Gewinnerin aus dem letzten Heft heißt Ylva Zill. Herzlichen Glückwunsch. verkündet Tom stolz: „Die Augen sitzen viel weiter seitlich am Kopf als beim Menschen!“ Onkel Franz lobt ihn für diese Beobachtung und erklärt: „Dadurch, dass die Augen an der Seite des Kopfes sitzen, haben die Hühner ein viel breiteres Sichtfeld. Sie können viel weiter nach hinten sehen als ihr. Das macht es sehr schwer, sich an Hühner anzuschleichen. Außerdem hören Hühner fast so gut wie Hunde. Wahrscheinlich haben sie auch dadurch bemerkt, dass du da bist.“ Die Hühner sind in einigen Metern Entfernung stehen geblieben. Der große Hahn steht aufgerichtet vor seinen Hennen und beobachtet misstrauisch Onkel Franz und die Kinder. „Er passt auf, ob alles in Ordnung ist“, meint der Onkel. Er greift in seine Hosentasche und zieht eine Handvoll Körner heraus, die er zwischen Elena und Tom aufteilt. Die Kinder werfen einen Teil davon ins Gras, einen Teil behalten Frieda und Hanna auf Futtersuche sie in der Hand, um die Hühner anzulocken. Die Hühner fangen sofort an, die Körner vom Boden aufzupicken. „Im Gras erkennt man doch gar nicht, wo die Körner liegen. Aber die Hühner finden sie“, sagt Tom und wundert sich etwas. „Hühner können nicht nur sehr scharf sehen und gut hören, sie können auch sehr gut riechen“, antwortet Franz. „So ist es kein Problem für sie, die versteckten Körner zu finden.“ Schließlich kommt Frieda, die älteste der Hennen, angelaufen und pickt die Körner Tom direkt aus der Hand. Nach einigem Zögern traut sich auch Hanna, eine junge Henne mit glänzend hellbraunem Gefieder, zu ihnen heran und holt sich vorsichtig das Futter von Elena. Elena strahlt über das ganze Gesicht und hält ganz still, damit sich das Huhn nicht erschrickt und wieder davon läuft. „Hanna ist mein Lieblingshuhn“, verkündet sie leise. Christina Petersen