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INHALT / KURZ NOTIERT
KURZ NOTIERT
CSA – ein neues, altes Modell
TITELTHEMA
Zu viel Gülle gefährdet die Gewässer und die
Gesundheit
„Niedersachsens Wasser ist voll scheiße“
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TIERSEUCHEN
Rinderbotulismus und Glyphosat
LICHTBLICKE
Gelbe Karte für Schweinebauern/Lebensmittelklarheit.de
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KAMPAGNE
Petition „8hours“: Aus für überlange Tiertransporte
Verstecktes Tierleid in Importgeflügel
Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger
Sauen ist notwendig
Tierschützer, Augen auf!
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MAGAZIN
Fans wollen keine Hühnerbrust-Trikots
Bio made in China
Hühnerprojekt in Ruanda bewährt sich
Verschwendung von Lebensmitteln
Gerd Sonnleitner geht zurück auf die Scholle
Auflösung des HANSANO-Bilderrätsels
Fleischfrei mit Genuss
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CSA – ein neues, altes Modell solidarischer Landwirtschaft
Die drei Buchstaben stehen für den etwas
unhandlichen Begriff „Community Supported
Agriculture“ – ein Wirtschaftsmodell, das in
den 1960er Jahren in Japan entwickelt wurde und unabhängig davon 20 Jahre später
nach Nordamerika kam. Treibende Kraft für
dieses Modell ist der Versuch, dem wachsenden Preisdruck und der Abhängigkeit von der
Agrarindustrie zu entkommen. Das Prinzip ist
einfach: Ein Landwirt beliefert einen festen
Kundenstamm mit Gemüse, Obst und Fleisch,
alles in bester Bioqualität. Sein Vorteil: Er hat
Planungssicherheit und muss sich nicht um die
Vermarktung kümmern. Umgekehrt verpflichten sich die Mitglieder der CSA, den Hof für
jeweils ein Jahr zu finanzieren. Ihr Vorteil: Sie
wissen, wer ihre Nahrungsmittel wie und wo
erzeugt – und haben ein Mitspracherecht.
Mensch, Natur und Wirtschaft können dabei
harmonisch miteinander interagieren.
Ich bin Bio-Bauer aus Leidenschaft. Für mich
persönlich stellt diese solidarische Wirtschaftsgemeinschaft die effizienteste und nachhaltigste Form einer ökologischen Kreislauf-Landwirt-
AKTUELLES AUS BRÜSSEL
Neue GAP – mehr Tierschutz rückt näher
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GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN
Ein Paradies für Wollschweine
Mangalitza – ein Schwein mit Locken
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KINDERSEITE GÄNSEFÜSSCHEN
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BUCH-/DVD-TIPP
Richard Rickelmann: Tödliche Ernte
Bertram Verhaag: Gekaufte Wahrheit
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IMPRESSUM
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DAS ALLERLETZTE
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Mitgliedsbeitrag
schon bezahlt?
schaft dar. Ich werde mit meinem Hof diesen
Weg gehen. Im nächsten PROVIEH-Magazin
(4/2012) werde ich einen ausführlichen Bericht zum CSA-Modell schreiben.
Aber vorher schon kann jeder am 30.09.12
ab 10 Uhr auf meinem Hof Hörsten in 23715
Bosau mehr zu diesem Thema erfahren beim
Besuch der Veranstaltung „Zukunft säen“. Auf
ihr werden wir gemeinsam mit den Menschen
gesundes Saatgut ausbringen und anschließend mit dem Arbeitspferd „Larsson“ die Saat
zudecken. Und Sie werden erfahren, wie Heu
in höchster Qualität hergestellt werden kann.
Ein Vortrag/Film, Kaffee und Kuchen sowie
Kinderaktionen, wie zum Beispiel Reiten auf
dem Arbeitspferd, werden den Tag abrunden.
Volker Kwade
Hof Hörsten, Volker Kwade, 23715 Bosau/
Holsteinische Schweiz, Tel.: 0172. 450 10
46; Wir bieten Mitfahrgelegenheiten aus Kiel
an. Bitte melden Sie sich bei Verena Stampe,
0431. 248 28 13
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TITELTHEMA
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Gülleüberschüsse gefährden die Gewässerqualität und unsere Gesundheit
Wasser ist eine der wertvollsten Ressourcen
dieser Erde. Daher müssen die Gewässer Europas geschützt werden. Das beschloss die EU
in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie
(WRRL 2000/60/EG), die im Jahr 2000 in
Kraft trat. Nach ihr sollen in der EU alle Oberflächengewässer, also Flüsse, Seen, Kanäle,
Küstengewässer und das Grundwasser bis
2015 in gutem Zustand sein. Die EU-Länder
verpflichteten sich, die Richtlinie in ihre nationale Gesetzgebung zu integrieren und im
vorgeschriebenen Zeitplan eine Bestandsaufnahme über ihre Gewässer anzufertigen. Die
Analyse des Zustands sowie eine darauf basierende Erstellung von Bewirtschaftungs- und
Maßnahmenplänen mussten bereits bis 2009
abgeschlossen sein. Deutschland scheint die
Umsetzung der Richtlinien für nicht erstrebenswert zu halten und bummelte. Die Folge: Trotz mehrfacher Mahnungen seitens der
EU-Kommission wird Deutschland nun wegen
fortgesetzter Verletzung der WRRL vor dem
Europäischen Gerichtshof verklagt. Der Vorwurf lautet: Deutschland setze die Richtlinie
nur teilweise um.
Massentierhaltung verschärft
Überdüngungsproblematik
Die Oberflächengewässer und das Grundwasser befinden sich in Deutschland noch
überwiegend in einem Zustand, der es nicht
erlaubt, die Ziele der EU-Richtlinie bis 2015
zu erreichen. Laut einer Broschüre des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2010
befinden sich lediglich zehn Prozent der
Oberflächengewässer in einem sehr guten
oder guten ökologischen Zustand. Besorgniserregend ist auch der Zustand der Grundwasservorkommen: 37 Prozent davon wird kein
guter Zustand attestiert.
Als ein Hauptgrund wird die fortwährende
landwirtschaftliche Verschmutzung angeführt.
„Die Gewässer werden vor allem durch Düngemittel belastet, die zu 77 Prozent aus der
Landwirtschaft kommen“, sagte der UBA-Präsident Jochen Flasbarth am 01. Februar 2011
in der ZDF-Sendung Frontal
Früher wurden Jauche und Mist aus der Viehhaltung auf den Feldern in der direkten Umgebung der Bauernhöfe als natürlicher Wirtschaftsdünger eingesetzt. Heutzutage gibt es
fast nur noch die Gülle (Gemisch aus Harn
und Kot), die aus viel größeren Viehbeständen
stammt und oft nur teilweise als Dünger auf
die Felder des Betriebs ausgebracht werden
kann. Es bleiben also Gülleüberschüsse, die
entsorgt werden müssen. Für diesen Zweck
wurde vor einigen Jahren die sogenannte
„Güllebörse“ eingerichtet, an der Tierhalter
ihren Gülleüberschuss an andere Landwirte
verkaufen können, die zu wenig oder – mangels Viehbestands – gar keinen betriebseigenen Wirtschaftsdünger haben. Doch der Haken ist, dass dieser Handel nicht kontrolliert
wird. Unbekannte Mengen an Gülle können
deshalb auch weiterhin auf Nutzflächen stark
belasteter Gebiete landen, ohne dass sie von
den Pflanzen und Böden aufgenommen werden können. Also sickert der Gülleüberschuss
ins Grundwasser oder wird bei Regen in die
Manche Regionen „ersaufen“ fast in Gülle
der Schweiz bei nur 25 mg/l), wird oft aber
nicht eingehalten: Werte von über 150 mg/l
wurden unter anderem in Gebieten Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens gemessen, also in Regionen mit hoher Viehdichte.
Betroffen sind auch Teile der neuen Bundesländer, wo es besonders intensive Landwirtschaft und viele Tierfabriken gibt. Einmal
kontaminiertes Grundwasser ist schwer zu
reinigen. Deshalb werden die negativen Folgen der Trinkwasserverschmutzung noch über
Jahrzehnte nachweisbar sein.
Flüsse, Seen und Meere gespült. Die Wirkungen sind in beiden Fällen verheerend.
Überdüngung eutrophiert Oberflächengewässer
Hohe Nitratwerte im Grundwasser gefährden die Gesundheit
In Flüssen, Seen und Meeren führt der Überschuss an ausgebrachter Gülle zu „Eutrophierung“, das heißt zu einer Übersättigung mit
Pflanzennährsalzen. In einem solchen Milieu
können Algen wuchern und als Algenpest jegliches aerobe Leben (an die Verfügbarkeit von
Sauerstoff gebunden) abtöten. Dann können
sich nur noch anaerobe Bakterien vermehren,
für die Sauerstoff Gift ist und die gefährliche
Faulgase bilden: Das Gewässer „kippt um“.
Dieses Phänomen wird regelmäßig an zahlreichen deutschen Badeseen beobachtet, aber
auch in tieferen Zonen von Binnenmeeren wie
der Ostsee.
Wenn Gülleüberschüsse ins Grundwasser gelangen, verliert dieses seine Eignung als Trinkwasser. Also gibt es in belasteten Regionen
Probleme bei der Trinkwasserversorgung. Diese Probleme müssen ernst genommen werden,
denn das Nitrat aus der Gülle wird im Körper
von Menschen und anderen Säugetieren zu
Nitrit umgewandelt, das den Sauerstofftransport im Blut verschlechtert. Das kann besonders
für Säuglinge gefährlich werden. Außerdem
entstehen Nitrosamine, die als krebserregend
gelten. Einen Hinweis auf die Risiken geben
die gehäuften Krebserkrankungen in Gebieten mit besonders hoher Nitratbelastung. Laut
Antwort der Bundesregierung (13/7110) auf
eine Anfrage der SPD (13/6803) gibt es auch
einen Zusammenhang zwischen der Nitratbelastung des Trinkwassers und der Jodmangelkrankheit: Nitrat kann die Jodaufnahme in der
Schilddrüse behindern.
In Deutschland liegt der Grenzwert für Nitrat
im Trinkwasser bei 50 Milligramm pro Liter (in
„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden
muss.“ So steht es in der Wasserrahmenrichtlinie. Aber die Regierung schaut weg. Hoffentlich bringt die EU-Klage Deutschland auf
Trab. Markttaugliche und schnell umsetzbare
Vorschläge zur Eindämmung der Gülleproblematik gibt es jedenfalls genug (siehe Beitrag
in diesem Heft).
Ulrike Behre
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TITELTHEMA
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„Niedersachsens Wasser ist
voll scheiße“
… titelte die Berliner Tageszeitung (taz), als
sie über das Fachsymposium „Nährstoffmanagement und Grundwasserschutz“ am
8. Juni 2012 in Hannover berichtete. Dort
musste der niedersächsische Umweltminister
Stefan Birkner (FDP) zugeben, dass sein Land
die Vorgaben für Nitratwerte der EU-Wasserrahmenrichtlinie (siehe Beitrag in diesem Heft)
nicht fristgerecht erreichen könne. In Niedersachsen sind die Werte aus zwei Gründen
vielerorts überhöht: 1. Vor allem in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg, Emsland und
der Grafschaft Bentheim werden weit mehr
Tiere gehalten als für die regionale Nutzung
von deren Gülle tragbar ist. 2. Zusätzlich importiert Niedersachsen Gülleüberschüsse aus
den Niederlanden.
Im März 2012 hat der niedersächsische
Grünen-Abgeordnete Christian Meyer das
Problem in einer Kleinen Anfrage in Zahlen
so ausgedrückt: Gelte die von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen angegebene
maximale Phosphat-Düngemenge von 80 Kilogramm pro Hektar und Jahr, dann haben allein die Landkreise Vechta und Cloppenburg
eine Eigenversorgung mit organischem Dünger (Gülle, Festmist und Trockenkot) von 246
beziehungsweise 209 (statt nur 100) Prozent
Kunstdünger. Gärreste aus Biogasanlagen
sind im Zahlenbeispiel nicht berücksichtigt.
Der Überschuss wiegt 3.260.000 Tonnen und
müsste zur Einhaltung der Düngevorgaben
in vieharme Regionen transportiert werden.
Dafür wären über 100.000 Transportfahrten
nötig mit LKWs, die 25.000 Liter fassen –
eine enorme Belastung für die Straßen. Die
Verunreinigung der Wasserressourcen allein
mit Nitrat zeigt an, dass bisher viel zu wenig
organischer Dünger fortgeschafft wurde.
Jahrelang verschärfte Niedersachsen das Problem durch die Genehmigung weiterer Mastanlagen für Schweine und Geflügel. Erst jetzt
leitete das Land eine Entschärfung ein mit der
neuen Gülle-Verordnung, die ab 1. Juli 2012
gilt. Sie schreibt den Tierhaltern vor, zweimal
im Jahr die anfallende und die auf die Felder
verbrachte Gülle an die Landwirtschaftskammer zu melden. Verkaufen die Tierhalter Gülle,
müssen auch die Transporteure und Abnehmer
zweimal im Jahr alle Mengen genau melden.
Die Grünen im niedersächsischen Landtag
fordern zusätzlich die Einführung eines Güllekatasters, das die Ausbringungen von organischem Dünger flurgenau festhält. Dieses Kataster würde alle zu düngenden Flächen und
ihren Nährstoffbedarf angeben mit dem Ziel,
Flächen vor Überdüngung zu schützen.
Anders als in Deutschland arbeitet die niederländische Regierung schon länger an der
Beseitigung der Umweltbelastung durch organischen Dünger. Hühnermist, der sich leicht
trocknen und dadurch gut transportieren lässt,
wird gern auch über längere Strecken exportiert. Schweinegülle dagegen ist flüssig und
verursacht deshalb höhere Transportkosten.
Daher wird sie eher über kürzere Distanzen
transportiert, zum Beispiel nach Niedersachsen. An einem Verfahren zur Trocknung und
anschließender Pelletierung von Schweinegül-
Die Gülleüberschüsse in viehdichten Regionen verseuchen zunehmend das Grundwasser
le für den Transport wird in den Niederlanden
geforscht.
Seit Jahren hat die niederländische Regierung
maximale Tierzahlen pro Fläche vorgeschrieben und eine Verschmutzungsgebühr pro
Schweinemastplatz erhoben. Diese Regelung
soll aber 2015 auslaufen. Das ist bedauerlich; denn die handelbaren Verschmutzungsgebühren sind ein markttauglicher Ansatz für
eine effiziente Umsetzung des europaweit
angestrebten Verursacherprinzips. Damit das
System funktioniert, müssten aber alle EULänder mitmachen, damit nicht das geschieht,
womit Deutschland noch lange zu kämpfen
haben wird: Mit staatlicher Hilfe bauen einige
niederländische Investoren seit Jahren riesige
Schweinemastanlagen und Sauenhaltungen
in den neuen Bundesländern. Die Gülle fällt
jetzt dort an und nicht mehr in den Niederlanden. Das Problem wurde also nur exportiert
statt gelöst, 1:0 für Holland. In Deutschland
hat sich kein regierungsseitiger Widerstand
dagegen geregt. Nur Nichtregierungsorganisationen, zu denen Bürgerinitiativen, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
(AbL) und PROVIEH gehören, leisten ihn.
Das Gülle-Problem könnte am besten durch
eine europaweite Flächenbindung von Tierzahlen gelöst werden. Dann nämlich können
nur so viele Tiere gehalten werden, wie für
die regionale Nutzung des anfallenden organischen Düngers sinnvoll ist. Auf diese Weise
würden die Tierzahlen sinken, weniger Viehfutter müsste importiert werden und weniger
Antibiotika würden eingesetzt. Den Wasserressourcen würde das alles gut tun.
Der verringerte Antibiotikaeinsatz würde sogar die Schädlichkeit von Gülle verringern,
wie Professor Manfred Grote von der Universität Paderborn herausfand: Antibiotika und
antibiotikaresistente Keime, bisher mit der
Gülle auf die Äcker verbracht, sind nicht nur
auf der Oberfläche des dort gewachsenen
Gemüses zu finden, sondern können auch
in die Pflanzen hineingelangen. Auch Jahre
nach dem Ausbringen belasteter Gülle sei dies
noch möglich. Eine akute Warnung vor dem
Gemüseverzehr sprechen Grote und andere
Experten dennoch nicht aus. Weiterhin bleibe
Gemüseverzehr gesund und ein gutes Mittel,
riesige Tierbestände überflüssig zu machen.
Sievert Lorenzen
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TIERSEUCHEN
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Das Leben sterben sehen –
Rinderbotulismus und Glyphosat
Ein schleichendes Problem geht um in der deutschen Milchviehhaltung: Rinderbotulismus.
Seit 1996 wurde die Krankheit schon auf über
tausend Betrieben nachgewiesen, von denen
die meisten in Nordwestdeutschland liegen.
Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch, denn die
Krankheit breitet sich in einem Betrieb schleichend aus und wird zunächst leicht übersehen. Je weiter die Erkrankungsrate an Fahrt
aufnimmt, desto mehr Kühe leiden an Leistungsabfall, Muskel- und Pansenlähmung, Labmagenverlagerung, Bewegungs- und Schluckbeschwerden und an gestörten Lid-, Ohr- und
Zungenreflexen – alles Folgen von Rinderbotulismus. Auf dessen Ursachengeflecht fällt erst
allmählich Licht und offenbart schon jetzt dessen Gemeingefährlichkeit. „Das Leben sterben
sehen“ – mit diesen Worten überschrieb ein
Milchbauer aus Schleswig-Holstein die Tragödie, als der Rinderbotulismus viele seiner
Milchkühe elendig dahinraffte.
Akuter und chronischer (= viszeraler) Botulismus
Botulismus wird erzeugt durch das Gift des
Bakteriums Clostridium botulinum. Alle rund
200 Clostridium-Arten sind Anaerobier (nur
unter Sauerstoffausschluss aktiv) und spielen
in der Natur eine wichtige Rolle bei der Zersetzung toter organischer Substanz. 35 dieser
Arten sind pathogen (krankheitserregend),
und von ihnen können 15 starke Gifte bilden.
Als Dauerstadien werden Sporen gebildet,
die hitze- und trockenresistent sind und für viele Jahre oder Jahrzehnte in der Erde und im
Wasser überleben können. Geraten sie in einen geeigneten Zersetzungsherd, werden sie
aktiv und starten einen neuen Vermehrungszyklus.
Das Gift von C. botulinum ist ein Neurotoxin
(Nervengift), das als BoNT bezeichnet wird.
Es ist stärker als jedes andere von Lebewesen gebildete Gift. Rein theoretisch lässt sich
mit 40 Gramm die gesamte Weltbevölkerung
vernichten (Kritischer Agrarbericht 2001). Es
verhindert an den Synapsen zwischen Nervenfasern und Muskeln die Ausschüttung des
Botenstoffs Acetylcholin und legt so die Muskulatur lahm. Zum Glück kann das Immunsystem Antikörper gegen das BoNT bilden, weil
es als Eiweiß von partikulärer Natur ist.
Wird das BoNT mit verdorbener Nahrung aufgenommen, wird akuter Botulismus erzeugt.
Werden dagegen Sporen von C. botulinum
aufgenommen, die erst im Darmtrakt auskeimen und einen Vermehrungszyklus starten,
der zur chronischen Bildung von BoNT führt,
spricht man von chronischem (= viszeralem)
Botulismus. Er macht das betroffene Rind zum
Dauerausscheider von Sporen von C. botulinum und damit zu einem chronischen Infektionsrisiko für die gesamte Herde. Je kranker
das Rind schon geworden ist, desto besser
kann sich C. botulinum in ihm noch mehr vermehren und so die Gift- und Sporenfracht erhöhen. Dem Teufelskreis können außer Rindern
auch Menschen zum Opfer fallen – bei Säuglingen kann es eine Ursache für den plötzli-
Auf der Schattenseite – chronischer Rinderbotulismus
chen Kindstod sein (siehe Advisory Committee
on Microbiological Safety of Food 2006).
Pionier der deutschen Forschung über chronischen Rinderbotulismus ist Prof. Dr. Helge
Böhnel aus Göttingen. Seit einigen Jahren
nimmt sich auch die private Agrar- und Veterinär-Akademie (AVA) in Horstmar-Leer im
Münsterland des Themas an und setzt im Rahmen ihrer Tagungsveranstaltungen wichtige
Forschungsimpulse. Doch die Bundesregierung bekundete noch 2011 „Zweifel, dass
der ‚chronische’ Botulismus als Krankheitsbild
existiert. Es handelt sich um eine Hypothese
zur Erklärung eines unspezifischen Krankheitsbildes.“ Diese Aussage ist sehr arrogant,
denn wie in guter Wissenschaft üblich, wurde
die Hypothese auf einer handfesten Datenlage erarbeitet und hat schon mehrere Prüfungen bestanden. Wenn der Eindruck nicht
täuscht, ist die Hypothese ein Dorn im Auge
von Agrarindustriellen und politisch Verantwortlichen, weil sie die Gemeingefährlichkeit
mancher üblich gewordener Gepflogenheiten
der industriellen Landwirtschaft offenbart.
Rinderbotulismus im Spiegel
der Agrarindustrie
Je schwächer das Immunsystem und je höher
die Belastung mit Sporen von C. botulinum,
desto eher können Rinder an chronischem Botulismus erkranken. Prof. Dr. Monika Krüger
von der Universität Leipzig erkannte, dass
vor allem Milchkühe mit hoher Milchleistung
einem weiteren Schadfaktor ausgesetzt sind:
Glyphosat, Wirkstoff des Totalherbizids Roundup und in zu starker Konzentration in gentechnisch veränderter (GV) Soja enthalten,
die Glyphosat verträgt. Seit einigen Jahren
werden Getreide- und Kartoffelfelder kurz vor
der Ernte mit Glyphosat gespritzt, um alle grünen Pflanzenteile abzutöten (Sikkation, siehe
PROVIEH-Magazin 1/2012). Mit GV-Soja
und sikkiertem Getreide im Kraftfutter nehmen
Milchkühe auch Glyphosat auf. Es gelangt
aus dem Darmtrakt in alle durchbluteten Körperteile, wie eingehende Analysen bewiesen.
Außer im Harn von Rindern wurde Glyphosat
auch im Harn von Großstädtern nachgewiesen, ein Zeichen, dass es in der Nahrungskette weitergegeben wird.
Wie vielfältig die von Glyphosat angerichteten Schäden sind, hat Prof. Krüger am 30.
Juni 2012 auf einer AVA-Tagung angeführt.
Bei ausreichender Konzentration führt Glyphosat zu Störungen der Fruchtbarkeit, zu Fehlund Missgeburten, Nekrosen an Ohren und
Schwanz und zu Leber- und Nierenschäden.
Glyphosat bindet Spurenelemente wie Kupfer,
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TIERSEUCHEN / LICHTBLICKE
Mangan und Kobalt und macht sie so unverfügbar für Lebewesen, dass diese Opfer von
Mangelkrankheiten werden können. Schon in
äußerst geringen Konzentrationen hemmt Glyphosat die Vermehrung von Enterokokken und
anderen Bakterien, die zu einer gesunden
Darmflora gehören und potente Gegenspieler
von C. botulinum sind. Zu den Abbauprodukten von Glyphosat gehört die Substanz AMPA,
die im Pansen die Anheftung der Pansenbakterien an das aufgenommene Futter behindert.
Dann kann die Kuh das aufgenommene Futter nur noch mangelhaft verwerten. Auf vielfältige Weise also stresst Glyphosat die Kuh,
schwächt ihr Immunsystem und macht sie zu
einem leichten Opfer von chronischem Botu-
Geographische Verteilung der 1.108 betroffenen
landwirtschaftlichen Betriebe, gruppiert nach
Postleitzahlbereichen im Untersuchungszeitraum
1996 – 2010 (Quelle: Böhnel & Gessler, Tierärztliche Umschau 67, Juli 2012)
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lismus, aber auch von Rausch- und Gasbrand,
die von anderen Clostridium-Arten verursacht
werden.
Außer Glyphosat gibt es noch ein zweites
Botulismusrisiko für Rinder. So werden FleischKnochenmehle nicht nur an die Zementindustrie geliefert, sondern fein gemahlen auch als
Dünger ausgebracht. Das schafft ideale Bedingungen für die Vermehrung von Clostridium-Arten. Außerdem können sich diese Arten
auch in den Biogasanlagen vermehren, weil in
ihnen Gärung unter Sauerstoffausschluss stattfindet und kleinräumig auch andere Lebensbedingungen erfüllt sind. Neben Gülle werden
dem Gärsubstrat oft auch Nachgeburten und
Geflügelkot beigegeben. Selbst wenn nach
der Gärung die Gärreste erhitzt werden, bleiben die Sporen keimfähig. Die Gärreste werden als Dünger geschätzt. Werden Grasäcker
mit einer oder beiden der genannten Düngersorten gedüngt, gelangen die Sporen in die
Silage, die an die Rinder verfüttert wird.
Dem Rinderbotulismus liegt mit Glyphosat
und angereicherten Mengen von ClostridiumSporen also ein hochgefährliches Ursachengeflecht zugrunde. Gegenmaßnahmen gegen
diese Risiken erwiesen sich in der Praxis als
überraschend erfolgreich, wie Tierarzt Achim
Gerlach aus Burg (Dithmarschen, SchleswigHolstein) auf der AVA-Tagung 2012 berichtete. Auch Schweinebauern erlebten, wie die
Gesundheit ihrer Schweine aufblühte nach
Umstellung auf glyphosatfreies Futter. PROVIEH wird die noch ziemlich neuen Erkenntnisse über die Gemeingefährlichkeit der erörterten agrarindustriellen Gepflogenheiten
verstärkt in seine Arbeit einbringen.
Sievert Lorenzen
„Gelbe Karte“ für Schweinebauern
Mit einer „Gelben Karte“ können dänische
Schweinehalter und Tierärzte für einen übermäßig hohen Antibiotikaeinsatz verwarnt
werden. Die Überwachung wird ermöglicht
durch staatliche Statistik-Einrichtungen, die
sowohl die Tierbestände auf den Höfen als
auch die Menge der an Landwirte ausgelieferten Antibiotika erfassen. Wird ein Betrieb
ertappt, zu viele Antibiotika an seine Schweine verabreicht zu haben, bekommt er in einer
ersten Phase neun Monate Zeit, seinen Antibiotikaverbrauch durch Gegenmaßnahmen
zu senken. Kann er in dieser Frist nicht die
Tiergesundheit verbessern, muss er in den
nächsten zwei Phasen mit weiteren unangemeldeten Kontrollen durch die Behörde, mit
einem vorgegebenen Sanierungsplan und mit
Maßnahmen wie der zwangsweisen Verringerung der Besatzdichte rechnen, so lange bis
der Einsatz von Antibiotika unter den vorgegebenen Schwellenwert gesunken ist.
Die „Gelbe Karte“-Initiative wurde 2010 in
Dänemark eingeführt und hat zu einer Senkung des Antibiotikaverbrauchs in der Schweinemast geführt.
Silke Broxtermann
Auf dem richtigen Weg: Lebensmittelklarheit.de
Seit Juli 2011 ist das Online-Portal Lebensmittelklarheit.de im Netz und wird rege genutzt.
Bisher wurde die Seite rund 300.000mal pro
Monat angeklickt, und pro Woche kommen
70 bis 100 neue Anfragen zu den bisherigen hinzu. 5.000 Produkte mit irreführender
Verpackung wurden von Kunden gemeldet,
zum Beispiel Kalbswiener mit Anteilen vom
Schwein oder Früchtetee ohne Früchte.
Die Lebensmittelindustrie kennt viele Tricks, um
Produkte besser darzustellen als sie sind. Jetzt
können Verbraucher diese Praxis in konkreten
Fällen online zur Rede stellen und haben schon
Erfolge erzielt: Schon im ersten Jahr haben 30
Prozent der Firmen einige ihrer Verpackungen
geändert. Die Firma Iglo hat sogar angekün-
digt, ein Produkt vom Markt zu nehmen. Ihre
„Chicken-Nuggets“, die laut Verpackung zu
100 Prozent aus Hähnchenbrust bestehen sollen, tatsächlich aber nur aus Formfleisch und
Zusatzstoffen zusammengeklebt sind, wird es
so nicht mehr geben. Der Etikettenschwindel
bei den angeprangerten Produkten ist zwar
meist legal, aber der Verbraucheransturm hat
gezeigt, wie sehr Menschen klare und wahre Auskünfte über das jeweilige Lebensmittel
wünschen. Es ist nun Aufgabe der Politik von
der Lebensmittelindustrie klare Kennzeichnungen zu verlangen, etwa Auskünfte über die
Art der Tierhaltung oder ob gentechnisch veränderte Futtermittel eingsetzt wurden.
Susanne Kopte
KAMPAGNE
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Petition für Begrenzung der Transportzeit für Schlachttiere auf 8 Stunden
In der geltenden EU-Tierschutztransportverordnung 1/2005 heißt es: „Es ist davon auszugehen, dass sich lange Beförderungen auf
das Befinden der beförderten Tiere nachteiliger auswirken als kurze.“ Diese Verordnung
zum Schutz von Tieren beim Transport regelt
sämtliche Bedingungen während des gesamten Transportzeitraums von Nutztieren und
soll eigentlich deren Wohlergehen gewährleisten. Doch in vielen Fällen erlaubt sie das
genaue Gegenteil. Sie erlaubt, Schweine und
Pferde 24 Stunden ohne Unterbrechung zu
transportieren, nach einer Ruhepause von 24
Stunden den Transport für weitere 24 Stunden
INFOBOX
Gravierende Mängel bei
Tiertransporten
Laut Bericht der EU-Kommission
(11/2011) gibt es teilweise „gravierende Mängel“ bei Tiertransporten. Allein im Jahr 2009 wurden
innerhalb der EU sowie aus und in
Drittländer ca. 37 Millionen lebende
Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen
und Pferde sowie über eine Milliarde Stück Geflügel transportiert – ein
Drittel davon über Langstrecken.
Transporte innerhalb der einzelnen
Länder werden dabei gar nicht in
die Statistik eingerechnet. Vollständige Statistiken über alle Tiertransporte
gibt es bisher weder in Deutschland
noch in der EU. Die Zahlen dürften
also wesentlich höher liegen.
fortzusetzen und so weiter, ohne Obergrenze.
Rinder dürfen für die Dauer von 14 Stunden
transportiert werden, noch nicht abgesetzte
Kälber und Lämmer neun Stunden. Nach jeweils nur einer Stunde Pause darf der Transport um weitere 14 beziehungsweise 9 Stunden fortgesetzt werden und so weiter. Wieder
gibt es keine Obergrenze.
Doch auch zu kurze Transportzeiten von unter
zwei Stunden können bei den Tieren zu Stress
führen, wie neuere Studien aus Deutschland
und den USA zeigen. Denn selbst unter guten
Transportbedingungen haben die Tiere dann
nicht Zeit genug, sich vom Verladungsstress zu
erholen, bevor sie durch die Entladung erneut
gestresst werden (mehr dazu auf der Startseite
unserer Homepage).
Zu lange Transporte führen oft
zu großem Leid
Die Erfahrungen von Organisationen wie zum
Beispiel Animals Angels, die seit vielen Jahren
Schlachttiertransporte auf der ganzen Welt
begleiten, zeigen, dass die immer noch erlaubten extremen Langstreckentransporte quer
durch Europa oft regelwidrig verlaufen und
den Tieren besonders schwer zusetzen.
Auch die Tierschutzorganisationen Eyes on
Animals und Animal Welfare Foundation
beobachteten in der Zeit vom 22. bis zum
29. Juni 2012 Tiertransporte an der bulgarisch-türkischen Grenze. Mehr als die Hälfte
der von ihnen kontrollierten Transporte verstießen gegen die bestehende EU-Verordnung.
Neben der Transportzeit sind vor allem die Transportbedingungen für die Tiere sehr wichtig
Die gravierendsten Verstöße waren zu viele
Tiere auf zu engem Raum, eine mangelhafte
Versorgung mit Wasser und eine unzureichende Einstreu. Die Folge war eine erhebliche
Belastung mit Ammoniak, die zu Atemproblemen führte. Diese Mängel waren kombiniert
mit extrem hohen Transportzeiten von bis zu
60 Stunden ohne Unterbrechung. Es kam zu
vielen Verletzungen bis hin zum Tod. Die Tiere
waren also erheblichem Leid ausgesetzt. Die
zuständigen Behörden haben nicht kontrolliert
oder nicht eingegriffen, denn sonst hätten die
Qualen vermieden werden können.
Die Beobachtungen von Tierschützern zeigen beispielhaft, dass die vorgeschriebenen
Stopps für Ruhe- und Versorgungszeiten bei
mehrtägigen Transporten zu oft nicht eingehalten werden. Allerdings ist die Vorschrift
auch alles andere als ideal. Denn die Einhaltung der gesetzlichen Pausen bedeutet zusätzliche Ent- und Wiederaufladevorgänge sowie
einen Aufenthalt in einer fremden Umgebung.
Dabei besteht auch das Risiko, dass Gruppen
von Tieren neu gemischt und dadurch Rangordnungskämpfe ausgelöst werden. Solche
Pausen führen also in jedem Fall zu viel Stress
für die Tiere.
Die Praxis belegt die Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts
Grundsätzlich, auch bei Inlandstransporten
und Fahrten unter acht Stunden, sind für die
transportierten Tiere Ladedichte, Lüftung,
Temperaturen und Trinkwasserversorgung besonders wichtig. Doch zahlreiche Transporte
verstoßen schon wegen des mangelhaften
technischen Zustandes der Lastwagen gegen
die Tierschutzvorschriften. Außerdem sind
die Transporter oft überladen und führen zu
wenig Wasser mit – um Treibstoff zu sparen.
Wasser wiegt schwer und verursacht Kosten.
Wenn Transporte durch mehrere Länder bis
in die warmen Mittelmeeranrainerstaaten
führen, dann kann die Kombination von zu
langer Transportzeit und zu wenig Wasser an
Bord schnell zur Tortur für die Tiere werden.
Effektive Überwachung und geeignete Sanktionsmechanismen könnten das Leid vermeiden
helfen, aber es gibt sie derzeit nicht. So monierte auch die EU-Lebensmittelaufsichtsbehörde (EFSA) in ihrer Stellungnahme von 2011
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KAMPAGNE
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Petition für maximal acht Stunden Transportzeit braucht weitere Unterstützung
Tagelange Tiertransporte sind qualvoll
erhebliche Mängel bei den Tiertransporten
und dass die geltende EU-Verordnung nicht
mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand
entspricht. (siehe www.efsa.europa.eu/de/
efsajournal/doc/1966.pdf)
Die EU-Tierschutztransportverordnung ist in
ihrer derzeitigen Fassung also nicht praktikabel und aus Tierschutzsicht ungenügend.
Deswegen hatten die beiden Vorgänger des
amtierenden Verbraucherschutzkommissars
John Dalli – Markos Kyprianou und Androula Vassiliou – wiederholt eine Überarbeitung
der Verordnung angekündigt, sie dann aber
immer wieder auf später verschoben (siehe
PROVIEH-Magazine 1 und 2/2009 sowie
1/2010). Und als die EU-Landwirtschaftsminister auf der Agrarratssitzung am 18. Juni
2012 in Luxemburg über die neue EU-Tierwohlstrategie (2012–2015) berieten, konnten
sie sich ebenfalls nicht auf einen von Dänemark, Schweden, Großbritannien, Belgien,
Österreich und den Niederlanden unterstützten Antrag zur Verbesserung der Transportbedingungen einigen.
Eine konkrete Forderung zur Verbesserung
stellt die Petition zur Begrenzung der Schlachttiertransporte auf acht Stunden dar. Sie wurde dem amtierenden EU-Gesundheits- und
Verbraucherschutzkommissar John Dalli am
07. Juni 2012 in Brüssel von der Gründerin
von Animals Angels, Christa Blanke, dem
Kampagnenleiter von „8 Hours“, Adolfo Sansolini, und dem dänischen Europaabgeordneten Dan Jørgensen überreicht. Zuvor hatten
mehr als 1,1 Million Menschen aus sieben EUMitgliedsstaaten die Petition unterschrieben.
Auch die Abgeordneten des Europäischen
Parlaments (EP) hatten sie als Schriftliche Erklärung bereits am 15. März 2012 mit einer
satten Mehrheit (395 Stimmen) verabschiedet.
Bei der Übergabe der Petition hatte Dalli vor
Pressevertretern noch die Überarbeitung der
Verordnung zugesagt. Wenige Tage darauf
folgte aber ein Dementi. Laut Dalli sollen sich
Anstrengungen auf eine einheitliche Umsetzung der bestehenden Tierschutzregelungen
konzentrieren. Allerdings stellte er eine gesonderte Prüfung der Situation von Tieren wie
Schlachtpferden in Aussicht, die über besonders weite Strecken transportiert werden.
PROVIEH unterstützt die neue Online-Kampagne von „8hours“. Mit einem online-Brief (auf
Deutsch) können Sie EU-Kommissar Dalli an
sein Versprechen erinnern und ihn auffordern,
mindestens die überfällige Verkürzung der
Schlachttiertransportzeiten einzuführen (siehe
http://www.8hours.eu/letter_to_dalli_de/).
Ulrike Behre und Sabine Ohm
Verstecktes Tierleid in Importgeflügel
Es braucht Jahre, oft Jahrzehnte, um bessere
Tierschutzstandards in einem Land umzusetzen. Doch die Zerstörung dieser Standards
geht schnell: Man muss nur die höherwertigen
Erzeugnisse mit Billigangeboten aus tierschutzwidriger Haltung vom Markt verdrängen. So
fällt die Entscheidung für den schlechtesten
Standard letztlich an der Ladentheke. Diese
Gefahr hat auch der Schweizer Tierschutz
(STS) erkannt und eine Aufklärungskampagne über Importgeflügel aus der EU gestartet.
PROVIEH unterstützt diese Kampagne aktiv.
„Hähnchenfleisch aus Intensivmast ist krankhaft billig“, so lautete die Botschaft von PROVIEH auf der Medienkonferenz des STS am
11. Juli 2012 in Zürich. Der massive Einsatz
von Antibiotika in der Hähnchenmast, die dramatische Zunahme von Krankheitserregern,
die gegen mehrere Antibiotika resistent geworden sind, und der grotesk anmutende Verdrängungswettbewerb zwischen den großen
Hähnchenfleischerzeugern in Deutschland,
Frankreich und den Niederlanden – das sind
Themen, die auch für Schweizer Konsumenten relevant sind. Sie essen nämlich ebenso
gerne „Poulet-Brüstli“ wie ihre deutschen
Nachbarn, nur dass ihnen dabei der Tierschutz viel mehr wert ist. Hähnchenfleisch aus
Schweizer Erzeugung kostet nämlich rund das
Dreifache vom Standard-EU-Broiler. Dafür ist
die Tierdichte in den Mastställen aber auch
rund ein Drittel geringer als in der EU. Und
Hähnchenmastanlagen mit mehr als 25.000
Hühnern, die in Deutschland noch als kleine
„Nebenerwerbsanlagen“ angesehen werden,
gelten in der Schweiz schon als zu groß und
sind verboten.
PROVIEH will gemeinsam mit dem STS erreichen, dass die EU-Tierschutzstandards auf
Schweizer Niveau angehoben werden. Verbesserungen in der Tierhaltung lassen sich
nicht per Knopfdruck herbeiführen, denn sie
erfordern Investitionen in neue Stallsysteme,
ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft
bei den Landwirten und nicht zuletzt auch die
Bereitschaft des Handels, den Konsumenten
höhere Lebensmittelpreise abzuverlangen.
Verstecktes Tierleid in Importgeflügel dagegen
ist Gift für den Tierschutz – in der Schweiz
und überall.
Stefan Johnigk
18
KAMPAGNE
19
Massive Förderung der Gruppenhaltung trächtiger Sauen ist notwendig
stehen die Sauenhalter plötzlich unter Zugzwang; denn die EU hat für die Einhaltung
der Schweinerichtlinie umfassende Kontrollen
ab Anfang 2013 angekündigt.
Am 01.01.2013 tritt die Pflicht zur Gruppenhaltung tragender Sauen EU-weit in Kraft.
Dann müssen alle tragenden Sauen in der
Zeitspanne von vier Wochen nach dem Decken bis eine Woche vor dem voraussichtlichen Abferkeln in Gruppen gehalten werden.
Das ist ein Fortschritt im Vergleich zur bisher
ganzjährigen Kastenstandhaltung.
Viele Ferkelerzeuger sind noch unentschlossen, was sie tun werden. Laut Umfragen
denken gerade die kleinen und mittleren Betriebe daran aufzugeben, weil sie sich die
Investitionen wegen oft nicht kostendeckender
Ferkelpreise bei gleichzeitig steigenden Futter- und Energiepreisen meist nicht leisten können. Oder sie haben keinen Hofnachfolger,
so dass die Investition sich nicht lohnt. Dazu
stieg der Wettbewerbsdruck in den vergangenen zehn Jahren enorm an durch neue, hoch
technisierte Großanlagen etwa im Stile von
Alt Tellin mit 10.500 Stammsauen, die sogar
– zum Teil heute noch – mit EU-Agrargeldern
subventioniert werden.
Das Fachblatt topagrar meldete aber im Juni
2012 in Deutschland hätten „laut internen Statistiken“ noch immer mehr als die Hälfte der
Betriebe die Gruppenhaltung nicht eingeführt.
Große Betriebe schnitten besser ab als kleine: Mit der Gruppenhaltung arbeiteten schon
knapp zwei Drittel aller Betriebe mit mehr als
250 Sauen, aber nur 35 Prozent der Betriebe
mit weniger als 100 Tieren. In einigen anderen
Raufutter sättigt und beschäftigt die Sauen
EU-Ländern sieht es nicht besser aus: Kommissar Dalli teilte dem Agrarrat im vergangenen
Juni mit, dass mindestens neun Staaten die
fristgerechte Umsetzung zum Jahreswechsel
verpassen werden. Spanien, Frankreich und
Italien sollen laut einiger Schätzungen erst
zu 30 bis 40 Prozent umgestellt haben. Die
zögerliche Umstellung liegt wohl auch daran,
dass EU-Tierschutzvorschriften bisher nicht besonders ernst genommen wurden. So werden
beispielsweise die seit 2001 bestehenden
Verbote weitestgehend missachtet, den Ferkeln routinemäßig den Schwanz zu kupieren
und die Spitzen der Eckzähne abzuschleifen.
Wer Sanktionen vermeiden
will, muss jetzt investieren
Die Zeit wird enden, in der Verstöße gegen
EU-Tierschutzvorschriften ungestraft bleiben.
PROVIEH hat 2009 vor der EU eine Klage gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung der
Schweinehaltungsrichtlinie in der geltenden
Fassung von 2008 angestrengt (siehe PROVIEH Magazin 4/2009). Dank einer EU-weiten Kampagne von Tierschutzorganisationen,
darunter auch PROVIEH, gegen die Nichteinhaltung des Batteriekäfigverbotes für Legehennen ab 1. Januar 2012 wurde die EU-Kommission 2011 aktiv. Sie führt seither vermehrte
Kontrollen durch und übt starken Druck auf die
Nachzügler aus – auch mit entsprechenden
Sanktionsandrohungen: Wer gegen eine EUVorschrift verstößt und erwischt wird, muss mit
einer Agrar-Subventionskürzung rechnen. Das
wissen die Tierhalter mittlerweile. Deswegen
Der Strukturwandel frisst kleine Betriebe auf
Die Zuchtsauenbestände gingen laut Untersuchungen der Universität Vechta in Deutschland
zwischen 1999 und 2010 um fast 12 Prozent
von 2,68 auf 2,36 Millionen Zuchtsauen zurück.
Im gleichen Zeitraum schieden etwa 33.300
Sauenhalter aus, über 80 Prozent davon kleine Höfe mit unter 50 Sauen. Betriebe mit weniger als zehn Sauen werden ab 2008 zwar
nicht mehr gezählt, was den statistischen Vergleich etwas verzerrt, aber klar erkennbar ist
dennoch: Die durchschnittliche Betriebsgröße
stieg von 1999 bis 2010 rasant an: 1999
standen noch etwa 33 Prozent der Sauen in
Betrieben mit unter 20 Tieren, rund 40 Prozent
in Beständen mit 20 bis 49 Sauen, um die 18
Prozent in Betrieben mit 50 bis 99 Sauen, gut
Artgemäße Sauenhaltung in Gruppen
zehn Prozent in Betrieben mit 100 bis 199
Sauen und nur 2 bis 3 Prozent in Betrieben
mit über 200 Sauen (davon keine mit über
500 Sauen). Diese Verhältnisse haben sich
bis 2010 nahezu umgekehrt: knapp über 30
Prozent der Sauen standen nun in Betrieben
mit über 500 Sauen, weitere gut 30 Prozent
in Betrieben mit 200 bis 500 Sauen, rund 22
Prozent in Betrieben mit 100 bis 199 Sauen,
nur noch knapp 10 Prozent in Betrieben mit
50 bis 99 Sauen und sogar nur sieben Prozent in Betrieben mit weniger als 50 Sauen
– davon ein Prozent in Betrieben mit unter 20
Sauen.
Doch mit Bestandsaufstockungen und neuen
Großbetrieben wird die durch die drohenden
Betriebsaufgaben entstehende Lücke im Ferkelangebot künftig kaum zu schließen sein.
Dafür sorgen auch Bürgerinitiativen (auch von
PROVIEH unterstützt) und die anstehende Änderung des Baurechtes, die die Bauvorhaben
erschweren.
In der Vergangenheit konnte der Rückgang
der Betriebs- und Sauenzahlen dadurch wett-
KAMPAGNE
gemacht werden, dass die Zahl der im Mittel
abgesetzten Ferkel je Sau und Jahr von 1999
bis 2010 um drei Ferkel je Sau und Jahr auf
durchschnittlich rund 23 Ferkel gesteigert
wurde. Aber diese „Produktivitätssteigerung“
kann nicht beliebig fortgesetzt werden.
Die Zucht auf mehr Leistung ist
ausgereizt
Die Tendenz zu weniger Sauen in größeren
Beständen und zu immer mehr Ferkeln pro Sau
und Jahr lässt sich nicht fortsetzen. Die Sauen
werden schon jetzt über ihre Leistungsgrenze
hinaus strapaziert. Konnte die Leistung einer
Sau bis in die 1990er Jahre noch um rund
0,1 abgesetztes Ferkel pro Jahr züchterisch
gesteigert werden, so explodierte die weitere
Leistungssteigerung im letzten Jahrzehnt auf
0,5 bis 1 Ferkel pro Sau und Jahr. In heutigen
Spitzenbetrieben werden schon über 25 Ferkel bis teilweise 30 Ferkel pro Sau und Jahr
abgesetzt (mit Altersgenossen zur Ferkelaufzucht umgestallt). Zu dieser Steigerung trug
auch die Zunahme der Wurfhäufigkeit von
durchschnittlich 1,8 Würfen pro Jahr (vor 30
Jahren üblich) auf heute über 2,3 Würfe pro
Jahr bei.
Doch die zu vielen Ferkel pro Sau haben zu
einem Problem geführt. Eine Sau hat in der
Regel nur 12–14 funktionsfähige Zitzen, bekommt pro Wurf aber bis zu 17 Ferkel. Dann
kann die Sau nicht mehr alle von ihnen ausreichend säugen. Das bringt viele Schwierigkeiten mit sich, unter anderem eine mangelhafte Ausbildung des Immunsystems der
Ferkel, Krankheitsverbreitung durch Umsetzen
„überzähliger“ Ferkel an andere „Ammensauen, sich schlecht entwickelnde Kümmerer und
hohe Ferkelverluste. Vor allem bei dänischen
21
Sauen kommen zwar zuchtbedingt schon bis
zu 20 funktionsfähige Zitzen vor, die sich in
ihrer Milchleistung allerdings stark unterscheiden. Ein Zuviel an Ferkeln pro Wurf bleibt
also auch in diesen Fällen ein Problem. Nicht
überraschend sind daher die alarmierenden
Ferkelverlustzahlen aus einer Schweizer Studie mit 50.000 Sauen (Suisag 2008): In Würfen bis 14 Ferkel wurden nur 11,8 abgesetzt,
in Würfen bis 17 Ferkel nur 12,2 – selbst bei
Sauen mit 16 Zitzen!
Wegen Überforderung leiden auch die Gesundheit und die Fruchtbarkeit der Sauen, so
dass sie spätestens nach vier bis fünf Würfen
– also nach nur rund zwei Jahren Zuchtleistung – „gemerzt“ (entsorgt) werden. Nur ein
Viertel der Sauen gelangt heutzutage aus Altersgründen in die Schlachtung.
Das Fazit der Überzüchtung sieht düster aus:
2010 haben von den ca. 63,5 Millionen in
Deutschland geborenen Ferkeln nur ca. 52
Millionen die Schlachtreife erreicht. Jedes
fünfte Tier erlebte das Mastende also nicht.
Abgesehen von der Frage, ob derartig hohe
Verluste ethisch vertretbar sind, ist eine weitere Verringerung der Sauenbestände also kaum
noch – wie bisher – durch höhere Leistungen
der Tiere auszugleichen.
Ferkelimporte sind kein Ausweg
Laut Schätzung der Agrarmarkt InformationsGesellschaft mbH (AMI) haben deutsche
Mäster im Jahr 2011 insgesamt knapp zehn
Millionen Ferkel importiert: 6,3 Millionen aus
Dänemark und 3,7 Millionen Ferkel aus den
Niederlanden. Daraus ergeben sich drei Probleme. 1. Anders als in Deutschland ist zum
Beispiel in Dänemark die „Stabilisierung“ der
Verdauungstätigkeit durch die Verabreichung
des umwelttoxischen Zinkoxids an Ferkel üblich
und erlaubt. Dadurch konnte der AntibiotikaEinsatz in Dänemark zwar reduziert werden,
aber wenn dänische Ferkel in Deutschland
eingestallt werden, müssen sie zwangsläufig
erst einmal mit Antibiotika behandelt werden,
weil sie ohne Zinkoxid dem Infektionsdruck
nicht gewachsen sind. 2. Wegfallende deutsche Kapazitäten können unsere Nachbarn
ohnehin künftig kaum ausgleichen, da sie an
ökologische Grenzen stoßen. Eine wachsende Abhängigkeit vom Ausland ist aber auch
gar nicht wünschenswert, denn sie erfordert
Ferkeltransporte – teilweise über lange Strecken. Die bergen die Gefahr der Verbreitung
von Tierseuchen und mindern die Unabhängigkeit bei der Umsetzung von Standards und
Gesetzen. 3. Selbst bei einer durchaus wünschenswerten Verringerung der Mastbestände
in Deutschland rückt die Selbstversorgung mit
Ferkeln aus tierfreundlichen Beständen in immer weitere Ferne, weil zu viele kleine und
mittlere Betriebe aufgeben.
ELER-Programms in Millionenhöhe anfordern,
um tierfreundliche Sauenhaltung zu fördern.
Wie eine solche Haltung tierfreundlich und
kostengünstig eingerichtet werden kann, dafür gibt der anerkannte Schweinefachmann
Rudolf Wiedmann sehr gute Tipps (siehe Infobox). Alles, was über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgeht, ist nach EU-Recht
förderungswürdig. Für geeignete Maßnahmen und Förderprogramme zur Sauenhaltung
wird es allerhöchste Zeit, denn 2013 steht fast
vor der Tür.
Sabine Ohm
Ist den kleinen und mittleren
Sauenhaltern zu helfen?
Um die Grundlagen der heimischen Erzeugung zu stärken und den „Nachschub“ an
gesetzestreu produzierten Ferkeln mittel- und
langfristig zu sichern, ist es wünschenswert,
in Deutschland möglichst viele Betriebe mit bis
zu 200 Sauen zu erhalten.
Deshalb ruft PROVIEH die Bundesländer auf,
vor allem kleine und mittlere Sauenhalter zu
unterstützen, die ihren Betrieb gern zukunftsfähig gestalten würden, aber nicht die Mittel
dazu haben. In solchen Fällen könnten die
Länder bereitstehende EU-Fördermittel des
INFOBOX
20
Rudolf Wiedmann zeigt in seinem
Buch
„Gruppenhaltung
tragender Sauen“, dass kostengünstiges
Wirtschaften und Tierschutz kein
Widerspruch sein müssen. Er vergleicht gängige Haltungsverfahren
nach tiergerechten Kriterien wie der
gleichzeitigen, ungestörten, individuell abgestimmten Fütterung. Er gibt
umfangreiche Tipps zu Größe und
Zusammenstellung einer Sauengruppe, zu Minimierung von Rangordnungskämpfen, zu Gestaltung von
Funktionsbereichen, zu Liegekomfort
und zu Beschaffenheit von Raufutter und Beschäftigungsmaterial. Auf
knapp 100 Seiten beschreibt er
Praxisfälle der Umstellung auf Gruppenhaltung. Und er warnt davor, nur
die unzureichenden gesetzlichen
Mindestanforderungen einzuhalten:
Zu geringe Platzangebote, zu große
Spaltenweiten und Perforation im
Liegebereich bewirken Stress, Verletzungen und verfrühte Abgänge.
22
MAGAZIN
23
Fans wollen keine Hühnerbrust-Trikots
Die Nachricht schlug ein wie ein gut platzierter Elfmeter: Der Geflügelkonzern Wiesenhof
ist seit August 2012 neuer Trikot-Werbepartner des Bundesligisten SV Werder Bremen.
Dafür erntet der Fußballverein nicht nur bei
Tierschützern Pfiffe und Buh-Rufe, auch viele
Tausend Fans des norddeutschen Traditionsclubs empfinden das Wiesenhof-Logo auf den
grünen Trikots ihrer Mannschaft als grobes
Foul im Strafraum. Verschiedene „WerderFans gegen Wiesenhof“-Facebook-Gruppen
wuchsen in kürzester Zeit auf über 22.000
Enge Räume, lahme Füße
Mitglieder an, Tendenz steigend. Die Vereinsspitze versucht, die Wogen durch glatt formulierte Standard-Pressebriefe zu glätten, auch
gegenüber PROVIEH. Höchste Zeit, hier einmal aufzuklären, was aufrechten Fußballfans
an Industriehühnern nicht schmecken kann.
„Räume zu eng“
Fußball lebt von der Bewegung im Raum. Das
Spielfeld im Weserstadion ist 105 Meter lang
und 68 Meter breit, also 7.140 Quadratmeter groß. Auf dieser Fläche bewegen sich normalerweise 22 Spieler und ein Schiri – ziemlich artgemäß für Fußballer. Wollte man dort
stattdessen Hühner mästen, und zwar ebenso
artgemäß, würden zum Beispiel nach Neuland-Richtlinien höchstens 6.000 Broiler bei
Werder auflaufen. Bei Wiesenhof und allen
anderen industriellen Hühnermästern hocken
stattdessen über 150.000 Hühner auf einem
Fußballfeld. Wollte Werder die Räume in Zukunft ebenso eng machen wie der Sponsor,
müssten sie 538 Spieler auf den Rasen stellen.
Dagegen wäre selbst die Betonabwehr von
Chelsea ein Samba-Tanzclub. Olé.
wegung vermeiden. Der Beweis dafür kommt
aus dem Mutterland des Fußballs: Englische
Wissenschaftler mischten den Tieren Schmerzmittel ins Futter, und siehe da, diese bewegten
sie sich wieder so fleißig wie gesunde Hühner. Um also ihrem Sponsor gerecht zu werden, sollten Spieler im Wiesenhof-Trikot sich
einfach vor das Tor setzen und warten, dass
der Schmerz nachlässt. Aua.
„Die Jugend verheizen“
Ein normaler Fußballer muss im Schnitt rund
18 bis 20 Jahre alt werden, um heran zu
reifen. Ein normales Huhn schafft das in drei
bis vier Monaten. In der industriellen Hühnermast aber werden die Vögel in nur vier bis
fünf Wochen auf Schlachtreife getrimmt und
dann zerlegt. Dabei erreichen die jugendlichenTurbohühner ein Gewicht, wie es sonst
nur ein dreimal so altes Normalo-Huhn auf die
Waage bringen würde. Gesund ist das nicht,
aber die übliche Leistungserwartung des Werder-Sponsors. Übersetzt man diesen Anspruch
in die Bundesliga, so müsste Werder zukünftig schon seine G-Jugend gegen HSV & Co.
anrollen und verheizen lassen, und zwar mit
dem Kampfgewicht von Sumo-Ringern. Fett.
„Fußlahm und lauffaul“
„Auf Leistung dopen“
Ein gesunder Fußballer legt im Schnitt eine
Laufstrecke von acht bis neun Kilometer pro
Spiel zurück. Ein gesundes Huhn läuft selbst
im Stall knapp 1,5 Kilometer am Tag. Industrielle Masthühner dagegen laufen nur noch,
wenn es gar nicht anders geht. Sie sitzen
fast den ganzen Tag herum, wenn sie nicht
gerade fressen oder trinken. Entzündete Fußballen und durch das unproportionierte Körperwachstum überlastete Gelenke schmerzen
die Broiler so sehr, dass sie jede unnötige Be-
Wer im Fußball nach dem Spiel in den Becher
pinkeln muss, verantwortet lediglich die selbst
eingeworfenen Medikamente. Auch beim SV
Werder wäre undenkbar, dass Torwart Mielitz
pharmazeutisch mit gepäppelt wird, weil den
Innenverteidiger Sokratis Knieprobleme plagen. Beim Sponsor aus der Geflügelindustrie
ist das anders. Hier bekommen alle Broiler im
Stall Antibiotika verabreicht, wenn auch nur
ein Tier feuchte Furze lässt. Das heißt dann
„Metaphylaxe“ und gilt nicht als verbotene
Leistungsförderung. Wenn der SV Werder
diese Praxis übernimmt, kann man sich die
Dopingproben am Spielschluss schenken und
gleich den ganzen Kader sperren. Krank.
„Viel Verletzungspech einkalkulieren“
Wenn im Training oder beim Spiel eine Muskelfaser, ein Kreuzband oder ein Innenband
reißen, so ist das für den Spieler schlimm und
ein derber Ausfall für den Verein. Verletzungsserien wie bei Werder in der englischen Woche im April 2012 sind den Fans ein Graus.
Doch darüber grinst man nur in der industriellen Hühnermast. Krankenabteile kennen die
Geflügelindustriellen nicht. Pro Mast-Match
wirft man mindestens drei bis acht Prozent aller eingesetzten Hühner als „Abgang“ in die
Tonne. Sollte Werder das Verletzungspech an
die Gewohnheiten seines Sponsors anpassen,
werden zukünftig pro Saison 30 Spieler im
Hühnerbrust-Trikot vom Platz getragen. Nein,
nicht ins Krankenabteil. Tot.
Satire beiseite
Noch ist nicht absehbar, wie schmerzhaft die
Verbrüderung des SV Werder mit der Geflügelindustrie dem Ansehen des Profi-Fußballs
schaden wird. Fakt ist: Ein grobes Foul sollte immer Konsequenzen nach sich ziehen.
Noch hofft die Vereinsführung des SV Werder
auf die Blindheit des Schiedsrichters, in diesem Fall verkörpert durch die Fans. Erst etwa
0,1 Prozent der Vereinsmitglieder (etwa 50
von 40.000) seien in den ersten zehn Tagen
spontan ausgetreten, wie der Vorsitzende der
Geschäftsführung Klaus Allofs in einem Interview gegenüber der Presse zugab. Das sind
noch keine Abgangsraten wie in den Ställen
der Geflügelindustrie. Aber der mediale Ruf
MAGAZIN / AKTUELLES AUS BRÜSSEL
des Vereins von der Weser ist ernsthaft beschädigt, und die Moral der Mannschaft wird
sich auf eine lange Leidensprobe einstellen
müssen. Das peinliche Ausscheiden der Bremer in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen die Drittligisten von Preußen Münster gab
schon einen bitteren Vorgeschmack, was es
heißt, ohne Moral Fußball spielen zu wollen.
„Das war kein Pokal, das war naiv“, schimpfte Klaus Allofs nach dem Spiel. Sein Deal mit
Wiesenhof dagegen war nicht naiv, sondern
berechnend. Das bestraft nicht der Schiri, sondern das Leben.
INFOBOX
24
25
Stößt Sie das Werbebündnis des SV
Werder mit der Geflügelindustrie
auch ab? Dann schreiben Sie dem
Vorsitzenden der Geschäftsführung,
Klaus Allofs. Hier die Adresse:
Sport-Verein „Werder“ von 1899
e.V., Franz-Böhnert-Straße 1c,
28205 Bremen
Hotline: 01805. 937 337
Geschäftsstelle: 0421. 493 555
Fan-Beauftragter: 0152. 53239034
[email protected]
Stefan Johnigk
Die Protestwelle gegen Wiesenhof als Werder-Sponsor hält an
Gemeinsame Agrarpolitik ab 2014:
Mehr Tierschutz rückt näher
Zurzeit wird in der Europäischen Union über
die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik
(GAP) verhandelt, die seit ihrer Gründung im
Juli 1962 einen der wichtigsten Eckpfeiler der
europäischen Politik bildet. Immer noch fließen mit über 50 Milliarden Euro fast die Hälfte aller EU-Mittel in die Agrartöpfe, obwohl
sich die Zeiten – und damit auch die Ziele
– im Laufe der Jahrzehnte geändert haben. So
steht heute nicht mehr die Sicherstellung der
Nahrungsmittelerzeugung zur Vermeidung
von Hungersnöten in Europa im Vordergrund,
sondern die Ausrichtung auf die Weltmärkte. Deshalb gibt es statt einer vernünftigen
Einkommenssicherung für Bauern vor allem
satte Zuschüsse für Industriebetriebe (siehe
PROVIEH-Magazin 2/2009). Das wurde seit
2007 endlich offensichtlich, nachdem eine
Transparenzinitiative, an der sich auch PROVIEH aktiv beteiligte, zur verpflichtenden Veröffentlichung der Agrarsubventionszahlungen
geführt hatte.
Nach Ansicht der EU-Kommission soll die
aus Steuermitteln finanzierte Agrarförderung
künftig mehr an den schonenden Umgang der
Bauern mit Umwelt, Natur und Ressourcen gekoppelt werden, also an Güter oder Dienstleistungen von allgemeinem gesellschaftlichem
Interesse. Die EU-Bürger haben ein Recht darauf, denn die Agrarsubventionen kosten jeden
der rund 500 Millionen EU-Bürger täglich 30
Cent. Dennoch werden die Forderungen der
EU-Bürger nur zögernd umgesetzt – auch in
Deutschland, denn hierzulande kommen so-
gar noch Tierfabriken häufig in den Genuss
von Fördermitteln.
Tierschutz im Europaparlament
auf der Tagesordnung
PROVIEH setzt sich seit Jahren vehement dafür
ein, dass neben Maßnahmen für Umwelt- und
Klimaschutz auch solche für Tierschutz besser
vergütet werden. Im Zuge der Reformdebatte haben wir gemeinsam mit europäischen
Partnerorganisationen immer wieder gezielte
Kampagnenaktionen durchgeführt, und durch
unsere Teilnahme an zahlreichen Veranstaltungen und Konsultationen wurde ein direkter
Austausch mit Vertretern der EU-Institutionen
ermöglicht.
Diese Bemühungen tragen Früchte: Der
Landwirtschaftsausschuss des Europäischen
Parlaments (EP) hat einige unserer wichtigsten Forderungen in seinen Berichtsentwurf
zum Legislativ-Vorschlag der EU-Kommission
aufgenommen. Beispielsweise wurden die
möglichen Maßnahmen im Rahmen der Verordnung über die Förderung der Entwicklung
des ländlichen Raums (ELER) erweitert um die
Formulierung „Verbesserungen im Tierschutz“.
Erfreulich ist auch, dass die sogenannten
„Zahlungen für Tierschutzmaßnahmen“ für
Verbesserungen in bestehenden Tierhaltungsbetrieben erhalten bleiben sollen, statt wie im
bisherigen Reformvorschlag vorgesehen, verwässert zu werden.
Damit sind die Chancen für die Förderung
von Tierschutzmaßnahmen mit GAP-Mitteln
AKTUELLES AUS BRÜSSEL
27
einiger weiterer wichtiger Forderungen, mehr
Tierschutz durch Agrarmittel zu fördern, sowie die Verabschiedung des oben erwähnten
Berichtsentwurfs zum GAP-Reformvorschlag
der EU-Kommission durch das Plenum des
Europäischen Parlaments stehen noch aus. Im
Dialog mit den Entscheidern auf nationaler
und EU-Ebene setzen wir uns deshalb weiter
für eine nachhaltige tier- und umweltfreundliche Agrarpolitik ein. Im Herbst 2012 geht es
in Brüssel in die nächste Gesprächsrunde.
Breites Bündnis zieht für eine
umwelt- und tierfreundliche
GAP nach Brüssel
PROVIEH fordert von Deutschland und der EU eine tier- und umweltfreundliche Agrarpolitik
ab 2014 erheblich gestiegen. Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments liegt der
Tierschutz seit einiger Zeit sehr am Herzen,
und zum ersten Mal besitzen sie – dank des
Vertrages von Lissabon – bei einer Agrarreform das volle Mitbestimmungsrecht. Am 4.
Juli 2012 verabschiedeten die Abgeordneten ihre Entschließung zur Tierwohlstrategie 2012–2015 der EU-Kommission (siehe
PROVIEH-Magazin 1/2012). Mit 574 von
780 Stimmen fordern sie darin mehr Tierschutzkontrollen, die Schließung von Gesetzeslücken und höhere Strafen bei Verstößen
gegen Tierschutzvorschriften. Sie bemängeln
die zu unterschiedlichen Tierschutzregelungen
in den einzelnen EU-Ländern und befürworten
ein einheitliches EU-Tierschutzgesetz sowie
dessen strenge Überwachung. Die Europaabgeordneten verlangen die Kennzeichnung
von Fleisch von unbetäubt geschlachteten (geschächteten) Tieren. Auch soll der Tierschutz
einbezogen werden bei Freihandelsabkommen mit Drittländern außerhalb der EU, um
die Unterlaufung der höheren EU-Standards
durch Billigimporte zu vermeiden. Beim Klonen von Tieren zur Nahrungsmittelerzeugung
beharrten die Abgeordneten außerdem auf
dem von PROVIEH unterstützten umfassenden
Verbot, das bisher durch die Blockade von
Rat und Kommission verhindert wurde (siehe
PROVIEH-Magazin 2/2011). Auch die Tiertransportzeiten wollen sie verkürzen (siehe
Beitrag in diesem Heft).
Dies alles zeigt ein ernsthaftes Engagement
für Tierschutz seitens der Europaabgeordneten. Aber noch gibt es keinen Anlass, sich auf
Lorbeeren auszuruhen. Die Berücksichtigung
Unterdessen unterstützt PROVIEH tatkräftig
den Aufruf zum „Good Food March“ von
München nach Brüssel. Dieser „Marsch für
eine bessere Agrarpolitik“ findet vom 25. August bis 19. September 2012 über rund 900
INFOBOX
26
PROVIEH fordert die EU-Kommission
auf, wie 2005 versprochen die noch
verbleibenden Exportsubventionen
für Zuchttiere bis 2013 abzuschaffen, statt sie nach der GAP-Reform
fortzusetzen. Denn beim Export
von Zuchttieren gibt es noch immer
erhebliche Probleme. So wurden
2010 drei Prozent der beantragten
Exporterstattungen (für 2.149 Tiere)
von der EU wegen Gesetzes- oder
Tierschutzverstößen zurückgefordert
bzw. nicht ausbezahlt, weil die Tiere
verletzt oder tot ankamen oder während des Transports eine Fehlgeburt
erlitten oder Nachwuchs zur Welt
gebracht hatten.
Sabine Ohm
Kilometer durch Süddeutschland, Frankreich,
Luxemburg und Belgien statt. Veranstalter ist
die Kampagnenplattform „Meine Landwirtschaft“, bei der auch PROVIEH Mitglied ist,
gemeinsam mit weiteren deutschen und europäischen Partnern.
Ähnlich wie bei den Demonstrationen anlässlich der Grünen Woche 2011 und 2012 in
Berlin (siehe PROVIEH-Magazine 4/2010,
1/2011 und 4/2011) werden Umwelt- und
Tierschützer mit Verbrauchern sowie Bauern
gemeinsam mit Fahrrädern und Traktoren
quer durch Europa ziehen. Damit wird der
Unmut über die derzeitige Agrarpolitik kundgetan, die vor allem der Agrarindustrie nutzt.
Wir fordern die EU auf, die Agrarfördermittel
ab 2014 für den Umbau zu einer nachhaltigen, sozialen und bäuerlichen Landwirtschaft
mit hohen Tier- und Umweltschutzstandards
einsetzen.
Die Tour soll den Verantwortlichen im Europäischen Parlament, in der EU-Kommission und
im Rat unsere Botschaft nahebringen und für
mehr öffentliche Aufmerksamkeit für diesen
wichtigen Reformprozess der gemeinsamen
Agrarpolitik in den Mitgliedsstaaten sorgen.
Jeder Interessierte kann eine oder mehrere
Etappen mitfahren oder sich an lokalen Veranstaltungen beteiligen. Foto-Botschaften von
Bürgern aus ganz Europa mit persönlichen
Nachrichten zur Agrarpolitik werden derzeit
gesammelt und am 19. September 2012 an
die Europäischen Institutionen übergeben.
Informationen zur Tour, den Foto-Botschaften
und den Aktionen in zahlreichen europäischen Ländern gibt es unter www.meine-landwirtschaft.de bzw. www.goodfoodmarch.eu.
Sabine Ohm
MAGAZIN
29
Bio – made in China
Melamin im Baby-Milchpulver, Pestizide im
Gemüse, Hormone im Schweinefleisch oder
Chemikalien im Reis – die Liste der Lebensmittelskandale in China ist lang. Das Vertrauen
der Chinesen in ihre Nahrungsmittel ist erschüttert. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung trauen der Qualität der Lebensmittel nicht
mehr, so das Ergebnis einer Umfrage der Pekinger Qinghua-Universität. Drei Jahrzehnte
Wirtschaftswachstum um jeden Preis haben
Luft, Wasser und Erde verdreckt. Vergiftetes
und verdorbenes Essen sind die Folgen. Die
chinesische Regierung weiß um die Probleme,
tut jedoch kaum etwas dagegen. Nur die patriotische Tageszeitung Global Times schreibt
Klartext: „Wir sind heute in der Lage, unsere
Taikonauten ins All zu schießen. Warum können wir dann nicht sichere Nahrungsmittel gewährleisten?“
China kann es und beweist dies schon seit
Jahren. Landesweit gibt es Bauernhöfe, die
Biokost eigens für Behörden und Parteistellen
produzieren. Dieses politische Privileg wird
von der Bevölkerung hingenommen. Doch für
die Menschen ist es nur ein weiterer Beweis
dafür, wie schlecht „normale“ Lebensmittel in
China sind.
Immer mehr Chinesen, die es sich leisten können, kaufen deshalb Bio-Produkte. Global gesehen ist China schon heute ein Riese, was
den Bio-Anbau betrifft. Das Land hat gewaltige Anbauflächen und günstige Arbeitskräfte.
Laut dem Weltdachverband für Biolandbau
IFOAM entfielen 2011 von den weltweit 31
Millionen Hektar biologisch bewirtschafteter
Fläche etwa 2,3 Millionen Hektar auf China.
Damit belegt die Volksrepublik Platz drei hinter
Australien, das rund 11,8 Millionen Hektar für
den ökologischen Anbau nutzt und Argentinien mit drei Millionen Hektar Bio-Anbaufläche.
Auf rund 3.000 Biofarmen, meist Kollektivbetrieben, setzen chinesische Bauern darauf,
mit dem grünen Siegel mehr zu verdienen als
mit konventionellem Ackerbau. Zwar liegt der
Anteil von Bioprodukten noch unter einem
Prozent, aber der Markt wächst schnell. In
Chinas Großstädten findet man immer mehr
Supermärkte, die Gemüse und Obst aus kontrolliert biologischem Anbau anbieten. Auch
breiten sich neue Bioladen-Ketten aus mit
Namen wie Organic Farm. Rund um die Metropolen wächst die Zahl der Öko-Dörfer, die
Öko-Lebensmittel im Direktverkauf und Lieferservice für Bio-Gemüsekisten anbieten.
Treibende Kraft im Bio-Geschäft sind Handelsfirmen, die Kooperationen mit Kleinbauern
eingehen und ihnen finanziell bei der Umstellung der Betriebe helfen. Diese Unterstützung ist wichtig, weil es in der Regel drei und
mehr Jahre dauert, bis die schwer belasteten
Böden reaktiviert und erst dann für den BioAnbau geeignet sind. Unterstützt werden die
Handelsfirmen auch vom Staat, der ihnen mit
Steuererleichterungen hilft. Um dem Bio-Boom
INFOBOX
28
Chinas Athleten durften monatelang
vor den olympischen Sommerspielen in London keine normale chinesische Nahrung essen – aus Angst,
es könnten sonst Hormonrückstände
bei Dopingkontrollen nachgewiesen
werden.
Chinas Biobauern profitieren vom wachsenden Wohlstand der neuen Mittelschicht
eine Struktur zu geben, wurde außerdem eine
Ökokontrollbehörde eingerichtet, die eine einheitliche Bio-Zertifizierung ausstellt, auch für
den Export.
Zu den größten Bio-Produzenten in China gehört die Firma Kaize Organic in der Provinz
Shandong. Sie baut Bio-Obst und Bio-Gemüse
an und hat inzwischen mit etwa 500 Landwirten Lieferverträge abgeschlossen, die für die
Bauern längerfristige Abnahmegarantien bedeuten. Produziert wird hauptsächlich für den
Export, vorwiegend Japan, Europa und die
USA. Auch Deutschland importiert viele Bioprodukte aus China, in erster Linie Getreide,
Hülsenfrüchte, Sesam und Sonnenblumenkerne und zum Beispiel grünen Tee.
Nach Meinung von Experten werden die chinesischen Bio-Exporte nach Deutschland weiter zulegen. Zum einen, weil es in Deutschland
noch nicht genug Bio-Bauern gibt, um die stei-
gende Nachfrage zu decken. Zum anderen
weil der zunehmende Verkauf von Bio-Produkten in Discountern sehr auf die Preise drückt.
Kostengünstige Bezugsalternativen aus China
werden damit attraktiv.
Bei vielen Abnehmern gelten chinesische BioLieferungen aber noch immer als unsicher –
nicht ohne Grund. Denn oft genug wurden
bei Testproben zum Beispiel Rückstände von
Pestiziden in Bioprodukten festgestellt. Es
mehren sich aber optimistische Stimmen von
Händlern, die viel Zeit in das Geschäft mit
Bio-Importen aus China investiert haben. China habe aus all den Skandalen, die in verschiedenen Wirtschaftsbereichen auftraten,
seine Lehren gezogen und gegengesteuert.
Möglicherweise stimmt das, denn vor nichts
haben die Chinesen mehr Angst, als durch
mangelnde Qualität Märkte zu verlieren.
Susanne Kopte
30
MAGAZIN
31
Hühnerprojekt bewährt sich
Hühner in Deutschland haben dieselben Lebensbedürfnisse wie Hühner in Ruanda. Diese
simple Weisheit ist der Schlüssel für eine gesunde und tiergerechte Hühnerhaltung. Auch
die Lebensbedürfnisse der Menschen in Ruanda und in Deutschland unterscheiden sich nicht
grundlegend. Nur sind in beiden Ländern die
Ausgangsbedingungen für ein gesundes und
menschenwürdiges Leben denkbar ungleich
verteilt. So gewinnt das Tierschutzthema „Bauernhahn statt Turbohuhn“ eine ganz andere
Qualität, wenn man über den eigenen Horizont hinaus auf den afrikanischen Kontinent
blickt. Artgemäße Hühnerhaltung ist bei uns
vor allem eine Frage der Würde und Wertschätzung. Für eine Familie in Ruanda dagegen kann sie existenziell sein. Deshalb unterstützt PROVIEH im Rahmen seiner Kampagnen
ein Hühnerprojekt der gemeinnützigen Ruanda Stiftung. Eigens für diesen Zweck wurde
zu Pfingsten 2011 ein mobiler Hühnerstall für
den eigenen Garten bei einem Hühnerfest auf
der „Kulturellen Landpartie“ im Wendland versteigert. Der Erlös von 1.340 Euro trägt Früchte: Die erste Nachzucht der Bauernhähne für
Ruanda ist bereits ausgebrütet – und zwar von
Glucken, nicht von einer Brutmaschine!
Stolze neue Hühnerbesitzer (Verteilung durch Ruanda-Stiftung im März 2012)
Die Ruanda Stiftung hilft, die Lebensumstände
von notleidenden Kindern in Ruanda zu verbessern, indem sie insbesondere die Familien
dauerhaft stärkt und deren weitere eigenständige Entwicklung fördert. Hierzu baut die Stiftung Latrinen und Zisternen an Schulen und
vergibt Mikrokredite für Kleinstunternehmer;
an bedürftige Kinder werden Ziegen, Hühner,
Schweine oder Hasen verteilt, um den Familien die Möglichkeit zu bieten, sich eine kleine
Tierzucht aufzubauen, ein wenig Einkommen
zu erwirtschaften und sich damit eigenständig
zu entwickeln.
Im Rahmen des „Hühnerprojektes“ verteilte
die Ruanda Stiftung im März 2012 jeweils
zwei Hühner an 200 bedürftige Kinder an
der Grundschule in Busake im nördlichen Ruanda. Dies bedeutete einen weiteren wichtigen Schritt in eine bessere Zukunft, denn die
Kinder und Familien profitierten sehr schnell
von der Aktion: Frische Eier wirken der permanenten Eiweiß-Unterversorgung der Kinder
entgegen, und der Nachwuchs der Hühner
kann verkauft werden. Haushaltskasse und
Speiseplan der Familien werden somit aufgewertet. Das ist ein wichtiger Beitrag für eine
bessere Ernährung und wirkt sich positiv auf
die körperliche und geistige Entwicklung der
Kinder aus.
Das Projekt in Busake hat sich sehr gut entwickelt. Die Hühner stammen nicht aus industrieller Zucht, sondern aus einer lokalen, robusten Rasse. Das ist wichtig für die Familien,
um sich eine eigene Nachzucht aufbauen zu
können. Nur wenige Monate nach Verteilung
der Hühner hat sich bereits Nachwuchs eingestellt. Die Küken gedeihen gut, weil sie unter
sehr einfachen, aber natürlichen Bedingungen
aufwachsen. Der örtliche Veterinär verabreicht
ihnen auf Kosten des Projektes eine Impfung
gegen die wichtigsten lokal vorkommenden
Hühnerkrankheiten. Umso wichtiger ist es,
dass die Lebensbedingungen der Vögel so
gut sind, dass sie nicht erkranken. Und wenn
sie es doch tun und nicht mehr fressen und
Federn verlieren, dann wenden die Familien
Naturheilmittel an, um die Tiere zu kurieren:
Sie kochen einen Sud aus den Blättern des
ruandischen Umuravumba Busches, dem eine
antibiotische Wirkung zugesprochen wird.
Nachdem die Hühner diesen Sud zu trinken
bekommen haben, erholen sie sich meistens
sehr schnell und fressen wieder.
Um die Hühner vor natürlichen Feinden wie
Greifvögeln und streunenden Hunden zu
schützen, werden sie meistens in einfachen
Gehegen gehalten und dort mit Mais, Maniok
oder Süßkartoffeln gefüttert. Die freilaufenden Hühner ernähren sich von Pflanzen und
Insekten sowie von Abfällen. Zu ihrem Schutz
kommen die Hühner nachts vielfach ins Haus
der Familie.
Fabien TUYIKUNDE hat als einer der Schüler
zwei Hühner erhalten. Er lässt sie tagsüber
frei herumlaufen und bringt sie nachts ins
schützende Haus. Mittlerweile haben seine
Hühner Nachwuchs bekommen. Fünf Küken
sind geschlüpft. Seinen ersten Nachwuchs
möchte Fabien behalten, um damit eine kleine Hühnerzucht aufzubauen. Den nächsten
Nachwuchs aber muss er verkaufen, damit er
sein Schulgeld bezahlen und seine Familie unterstützen kann.
Auch Schülerin Aline NIYONIZERA hat zwei
Hühner erhalten, lässt sie tagsüber frei herumlaufen und nimmt sie nachts ins Haus.
Aline träumt davon, eine kleine Hühnerzucht
MAGAZIN / KAMPAGNE
33
Tierschützer, Augen auf!
Fabien ist stolz auf seinen ersten Nachwuchs, der bei einfachster Haltung gut gedeiht
aufzubauen, aber sie muss schon ihren ersten Nachwuchs verkaufen, um die Familie zu
unterstützen und ihr Schulgeld zu bezahlen.
Erst wenn die nächsten Küken geschlüpft sind,
kann sie vielleicht ihren Traum von einer kleinen Hühnerzucht verwirklichen.
PROVIEH will Jugendliche wie Aline und Fabien dabei unterstützen, mit Erfolg eine tiergerechte und artgemäße Hühnerzucht aufzubauen. Auch in Deutschland wächst die Zahl der
Menschen, die sich lieber selbst um Hühner
kümmern, statt sie der Industrie auszuliefern.
Wenn jede dieser Familien eine Hühnerpatenschaft für eine Glucke in Ruanda übernehmen
würde, wäre das nicht nur eine wirksame Hilfe, sondern auch ein liebenswertes Zeichen
der Solidarität und Wertschätzung.
Stefan Johnigk in Zusammenarbeit mit der
Ruanda-Stiftung
INFOBOX
32
Mehr über die Ruanda Stiftung und
ihre Projekte erfahren Sie bei der
Projektkoordinatorin Monika Seelinger unter der folgenden Adresse:
Ruanda Stiftung, Am Messplatz 4,
76726 Germersheim. Tel.: 07274
3012, E-Mail: monika.seelinger@
ruanda-stiftung.com, www.ruandastiftung.com
Spenden nimmt die Stiftung über das
Spendenkonto Ruanda Stiftung bei
der Sparkasse Südliche Weinstraße
in Landau (BLZ 54850010), Konto
1700 159 79, entgegen
Was würden Sie tun, wenn ein Frontlader voller toter Puten an Ihrem Fenster vorbeifährt?
Und dann noch einer? Und wieder einer? Frau
K. aus Roddahn in Mecklenburg-Vorpommern
jedenfalls wurde stutzig. Dann holte sie einen
Notizblock und zählte mit. Spätestens als
die zwanzigste Ladung toter Puten an ihrem
Fenster vorbei rollte, war der Nachbarin klar:
In der Putenmastanlage nebenan läuft etwas
grundlegend schief. Sie brach ihre Zählaktion ab und informierte die örtliche Bürgerinitiative „Für gesundes Leben ohne intensive
Putenmast“. Diese wandte sich an PROVIEH
und gemeinsam ging man den Hintergründen
nach. Die Bürgerinitiative wehrt sich vor allem
gegen die massive Geruchsbelastung aus den
Intensivmastställen, und die Nutztierschützer
von PROVIEH wollen die Lebensbedingungen
der Puten spürbar verbessern. Diese Ziele verbinden.
An diesem Tag im Sommer 2012 waren über
700 Tiere und damit fast zehn Prozent des Putenbestandes in dem ehemaligen LPG-Schafstall in Roddahn verendet. Der Amtstierarzt,
der bei solchen Vorfällen vom Tierhalter hinzugezogen werden muss, gab „Entwarnung“:
Keine Tierseuche hätte die Vögel dahingerafft, sondern eine Kombination aus Stress,
schlechtem Management und mangelhafter
Lüftungstechnik. Auch ein Gewitter sei wohl
als Stressfaktor im Spiel gewesen. Für die
Bürgerinitiative ist dieser Vorfall eine weitere
Bestätigung, dass die marode Anlage, die in
unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern und
einer Kindertagesstätte liegt, so nicht länger
hinzunehmen ist. Sie wollen statt der Intensivmast eine extensive, tier- und umweltgerechte
Putenhaltung in ihrer Nachbarschaft, mit wenig Tierleid und wenig Gestank. Und für PROVIEH sind die 700 elendig verendeten Puten
weitere gewichtige Argumente, bei den laufenden Verhandlungen mit dem Verband der
Putenhalter auf deutlich verbesserte Haltungsbedingungen zu drängen. Es hilft also, wenn
engagierte Tierschützerinnen und Tierschützer die Augen offen halten. So kommen die
Missstände der Intensivtierhaltung aus dem
Halbdunkel geschlossener Ställe ans Licht der
Öffentlichkeit. Nur so entsteht Veränderungsdruck.
Stefan Johnigk
Dem Licht der Öffentlichkeit entzogen
34
MAGAZIN
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Verschwendung von Lebensmitteln
In Deutschland landen jedes Jahr bis zu 20
Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Eine
gewaltige Masse, die mit vielen kleinen Schritten deutlich reduziert werden könnte. Doch
wo sind die Gründe für die Verschwendung
zu suchen? Ein Ansatz der Ursachenforschung
findet sich im Lebensmitteleinzelhandel. Aus
meiner Zeit als Filialleiter* in genau diesem
Bereich weiß ich, dass hier noch nicht alles
perfekt läuft.
Daneben werden Warenwirtschaftssysteme so
weiterentwickelt, dass die Warenversorgung
immer besser an die tatsächliche Nachfrage
der Konsumenten angepasst wird. Außerdem
versucht man Bestellrhythmen zu verkürzen
und Verpackungseinheiten zu verkleinern. Alles Schritte in die richtige Richtung.
Konsumenten greifen nach
hinten
So wird einem Filialleiter beispielsweise gesagt, er solle darauf achten, dass die Summe der weggeworfenen Lebensmittel nicht
zu hoch ausfallen dürfe – allerdings seien
„Fehlartikel“ (gähnende Leere im Regal)
noch wesentlich schlimmer. Der Grund hierfür ist ziemlich simpel: Was nicht verfügbar
ist, kann nicht verkauft werden. Man fürchtet
außerdem, dass man einen Kunden dauerhaft
an die Konkurrenz verlieren könnte, wenn er
seinen Artikel ein- oder zweimal nicht erhalten
hat. Der Wettbewerb um die Kunden ist groß.
Es gibt immer genügend Anbieter mit gleichem Sortiment und ähnlicher Preisstruktur.
Das ABC des Marketing besagt außerdem,
dass die Kunden durch üppige Warenpräsentation und gut gefüllte Regale eher zum Kauf
angeregt werden. Die Vorgabe, alle Artikel jederzeit verfügbar zu haben, erhöht allerdings
auch das Risiko, dass am Ende einwandfreie
Lebensmittel im Müll landen.
Auch manche Kunden könnten ihr Einkaufsverhalten überdenken. Es gibt hier teilweise Parallelen zur Aktionsweise des Einzelhandels.
Je größer der Zeitraum ist, in dem die Versorgung sichergestellt werden soll, desto schwieriger ist die Kalkulation der benötigten Waren. Im Umkehrschluss heißt das: Je kürzer die
Einkaufsintervalle, desto weniger Lebensmittel
landen im Endeffekt in der Tonne. Verschwendung entsteht auch durch das Herausgreifen
von Waren aus den hinteren Reihen. Bei jeder
Warenanlieferung erfolgt eine „Warenwälzung“ durch einen Mitarbeiter. Das heißt, die
frische Ware wird logischerweise unter oder
hinter die vorhandene Ware gestellt. Wobei
es sich gerade in den Kühltheken nicht selten
um lediglich ein oder zwei Tage Unterschied
beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) handelt. Wenn immer nur Ware aus dem frischeren Bestand herausgenommen wird, bleibt
natürlich ein Teil der Ware so lange im Regal,
bis sie entsorgt werden muss.
Den Handel aber nun als alleinigen Schuldigen zu verdammen wäre falsch. Zumal sich
in den letzten Jahren schon einiges getan
hat. So hat sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit den „Tafeln“ stark verbessert.
Ich hatte in meiner Funktion als Filialleiter den
Test gemacht, Neuware einfach vor die vorhandene Ware zu stellen. Es wurde weiterhin
nach hinten gegriffen. Ein Beweis dafür, dass
häufig gar nicht nach dem MHD geschaut
Viele Lebensmittel sind weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch bedenkenlos essbar
wird, sondern diese Art des Einkaufens vollautomatisch abläuft.
Abgelaufen ist nicht gleich
schlecht
Das Mindesthaltbarkeitsdatum trägt auch
zur Verschwendung bei. Hier liegt der Fehler schon in der Namensgebung. Eigentlich
verbirgt sich hinter dem Mindesthaltbarkeitsdatum lediglich die Garantie des Herstellers,
dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Eigenschaften, wie zum Beispiel Konsistenz oder Farbe
des Produkts, gewährleistet sind. Gleichzeitig
ist das MHD das Datum, an dem die Haftung
vom Hersteller auf den Handel übergeht. Ob
das Produkt noch verzehrt werden kann oder
nicht, hat also relativ wenig mit dem MHD zu
tun. Dennoch hat die Einführung des MHD
allgemein dafür gesorgt, dass ausschließlich
nach diesem Datum eingekauft wird. Das
MHD wird offenbar oft als Verfallsdatum missverstanden. Dabei ist der Verzehr oft lange
darüber hinaus unbedenklich.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Lebensmittel deutlich weniger verschwendet werden
könnten, wenn der Handel noch mehr darauf
achtet, sie in den „richtigen Mengen“ anzubieten, und auch jeder Konsument „bewusst“
einkauft.
*Der Autor möchte nicht genannt werden
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MAGAZIN
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Gerd Sonnleitner geht zurück
auf die Scholle
Unsinn von Agrarsubventionen und ihrer Veröffentlichung wehrte er mit dem Totschlagargument ab, sie seien „nur der menschlichen
Eigenschaft des Neides geschuldet.“
Nachdem die BSE-Krise mehr schlecht als
recht beendet war, kam es für ihn, den konservativen Bauernvorsitzenden, noch schlimmer.
Die grüne Verbraucherministerin Renate Künast trat an, um die Agrarwende umzusetzen,
nach dem Motto „Klasse statt Masse“. Sonnleitner blockierte unverzüglich und mit rhetorischen Tricks: Die Bauern würden bereits „Klasse und Masse“ produzieren.
Sonnleitner hat viele Angriffe aushalten müssen. Einer kam aus dem eigenen Lager und
hätte ihn fast den Kopf gekostet. 2009 rebellierten die Milchbauern gegen ihn, als
Sonnleitner gesagt hatte, die gerade wieder
aktuelle Milchkrise sei „nicht mit einer erneuten Quotendiskussion zu lösen“. Die Milchlieferungen der Bauern seien eh rückläufig,
man solle sich lieber auf Absatzförderungen
konzentrieren. Aus Frust über diese Linie liefen die Milchbauern in Scharen vom DBV zum
neu gegründeten Bundesverband Deutscher
Milchviehhalter (BDM) über, der Hungerstreiks, Lieferboykotte gegen Molkereien und
Demonstrationen gegen Sonnleitner organisierte. In Brüssel bewarfen Bauern ihn, der ihr
Vertreter sein sollte, mit Eiern, Kastanien und
einer Mistgabel.
15 Jahre lang war Gerd Sonnleitner (Jahrgang
1948) der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und verteidigte als solcher
die konventionelle industrielle Landwirtschaft
gegen alle Anfeindungen. Er forderte Evolution statt Reformen und meinte damit möglichst
langsam möge sich möglichst wenig verändern. Er baute sich den Ruf auf, einer der
erfolgreichsten und umtriebigsten Lobbyisten
des Landes zu sein. Hilfreich und finanziell
einträglich waren ihm hierfür seine etwa 30
Vorstands- und Aufsichtsratsposten in der weitverzweigten Agrarindustrie, aber auch bei
Banken und Versicherungen. Unter anderem
war er Vorsitzender der „Fördergemeinschaft
Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL). Hinter
diesem Namen verbergen sich die Großen
der Agrarwirtschaft, die unter Nachhaltigkeit
Massentierhaltung, Pestizid- und Kunstdüngereinsatz und neuerdings Gentechnik auf
dem Acker verstehen. Bei so viel Nähe zum
Agrobusiness wundert es nicht, dass Sonnleitner für deren Interessen oft mehr Verständnis
aufbrachte als für die eigene Basis.
1997, zu Beginn seiner Bauernpräsidentschaft, schien die Welt noch in Ordnung. Agrarpolitik war reine Klientelpolitik, von Bauern
für Bauern. Kaum jemand interessierte sich für
Felder und Ställe. Erst das BSE-Desaster änderte ab 2000 alles schlagartig.
Als Landwirte mit erkrankten Rindern nun im
Rampenlicht standen, wollten die Menschen
plötzlich alles über Tierhaltung wissen, und
Sonnleitner sollte es ihnen erklären.
Lautes Kontern mit Halbwahrheiten, routiniertes Gesundbeten, stures Beharren und die
Kunst des Ausbremsens gehörten zu den Strategien, die Sonnleitner im Kampf für seine Klientel anwendete. Für seine Schützlinge – vor
allem für Großbauern – machte er sich überall
dort stark, wo es etwas zu verteilen gibt. Dafür
konnte er sich eines immensen Apparats bedienen: In Berlin residiert der Bauernverband
gemeinsam mit einem Geflecht von Organisationen der Land- und Ernährungswirtschaft
in einem schicken vierstöckigen Neubau mit
viel Bürofläche, nur einen Katzensprung von
Bundestag und Kanzleramt entfernt.
Trotz Spardruck und Reformdebatten schlug
Sonnleitner für die deutschen Bauern jährlich
rund sieben Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt heraus. Nur wenig davon fließt bis heute in eine umweltschonende Landwirtschaft.
Den Löwenanteil kassieren Großbetriebe mit
Äckern voller Monokulturen und mit Mastanlagen, in denen zehntausende Schweine oder
Rinder stehen. Gerd Sonnleitner kämpfte für
dieses System, bayerisch charmant zwar, im
Bauernschlau auch gegen EU-Pläne
Inhalt aber beinhart und ganz und gar nicht
zum Wohl der Tiere.
Über die Hälfte der Bauern in Deutschland bekommen aus Brüssel nicht einmal 5.000 Euro
pro Jahr. Die Großbauern dagegen erhalten
ein Drittel der gesamten Direktzahlungen, obwohl sie lediglich 1,5 Prozent der Betriebe
ausmachen.
Sonnleitner hat selbst einen 100 Hektar Hof in
Ruhstorf nahe Passau und bekam 2009 für ihn
exakt 36.353,30 Euro aus dem EU-Topf, wie
im damals erstmals veröffentlichten Online-Datenverzeichnis aller EU-Subventionsempfänger
nachzulesen war. Selbstverständlich hatte Sonnleitner gegen diese Veröffentlichung wie ein
Löwe gekämpft. Er wollte keine Transparenz
in diesem Bereich. Die Öffentlichkeit sollte
nicht wissen, dass sich unter den Empfängern
der EU-Agrarsubventionen zahlreiche Großunternehmen befinden – an der Spitze die
Südzucker AG mit mehr als 34 Millionen Euro
(2008). Öffentliche Debatten über Sinn oder
„Der Deutsche Bauernverband ist die Stimme
der deutschen Bauern und muss es bleiben“,
rief Sonnleitner den Mitgliedern des Bauernverbandes am Ende seiner Abschiedsrede
trotzig entgegen. Ein geschickter Demagoge
und Tatsachenverdreher sonnte sich ein letztes
Mal im tosenden Applaus. Wen kümmert es,
dass während seiner Amtszeit allein in Bayern
104.000 Bauernfamilien aufhören mussten.
Der Nachfolger Joachim Rukwied wird Sonnleitners Werk wohl fortführen, eventuell mit
noch mehr Betonung auf Gentechnik. Seine
ersten öffentlichen Auftritte geben leider wenig Anlaß für Hoffnung.
Susanne Kopte
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MAGAZIN
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Auflösung des HANSANO-Bilderrätsels
Im letzten PROVIEH-Magazin 2/2012 stellten
wir Ihnen in der Rubrik „das Allerletzte“ das
HANSANO-Bilderbuch „Wo kommt die Milch
her?“ vor. HANSANO versucht Kindern in
diesem Buch eine heile Welt mit glücklichen
und zufriedenen Milchkühen vorzugaukeln.
Die Realität sieht anders aus. Wir haben sehr
viel Zuspruch und Anfragen zu diesem Rätsel
erhalten und gehen daher an dieser Stelle
gern ausführlich auf die Lösungen ein.
Weidegang ist nicht selbstverständlich.
Nur 42 Prozent aller in Deutschland gehaltenen Milchkühe durften im Jahr 2009 für rund
fünfeinhalb Monate auf die Weide, das ergab
die Landwirtschaftszählung 2010. Alle anderen Milchkühe blieben ganzjährig im Stall in
Lauf- oder Anbindehaltung und ohne Rücksicht auf ihren Bewegungsdrang. HANSANO
macht keine Angaben über die Haltung seiner Milchkühe. Nicht einmal die Bezeichnung
„Weidemilch“ von HANSANO garantiert,
dass die Milch von Milchkühen mit Weidegang stammt, denn in Deutschland ist nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen Milch
als Weidemilch gekennzeichnet werden darf.
Hörner sind selten.
Hörnertragende Kühe beanspruchen in der
Regel mehr Platz als hornlose Artgenossinnen und stellen eine Verletzungsgefahr für
den Bauern und seine Tiere dar. Deshalb
werden in Deutschland die Hornansätze bei
mehr als 90 Prozent aller Kühe bereits im
Kälberalter weggebrannt. Diese Prozedur ist
sehr schmerzhaft, denn die Hornansätze sind
von empfindlichen Nervenbahnen durchzogen. HANSANOs behornte Bilderbuchkühe
spiegeln also nicht die Realität wider. Sieht
man sich auf deutschen Weiden um, gehören
hörnertragende Rinder zur Ausnahme. Die
Haltung von Rindern mit Hörnern ist natürlich
durchaus möglich. Bei dem Ökoverband Demeter ist das Enthornen von Rindern verboten.
Mehr Platz, Ausweichmöglichkeiten und mehr
Fressplätze verhindern Stress, Verletzungen
und Unruhe im Stall.
Häufige Erkrankungen am Euter.
Maßvoll große Euter und gute Eutergesundheit, wie im HANSANO-Bilderbuch dargestellt, gehören vergangenen Zeiten an. Die
häufigste Erkrankung bei Milchkühen ist die
Mastitis, eine bakterielle Entzündung der Euterdrüsen. Rund 40 Prozent aller deutschen
Milchkühe leiden unter ihr. Je höher die individuelle Milchleistung einer Kuh und je schlechter die Stallhygiene, desto höher ist das Risiko, an Mastitis zu erkranken.
Keine Mutter-Kind-Beziehung.
Kälber von Milchkühen werden nach ihrer Geburt unverzüglich von ihrer Mutter getrennt,
damit sich keine Mutter-Kalb-Beziehung aufbauen kann. Deshalb hat ein frischgeborenes
Kalb kaum Gelegenheit, ausreichend Biestmilch (das Kolostrum, Milch der ersten fünf
Tage nach dem Kalben) seiner Mutter zu trinken. Die Aufnahme ist aber sehr wichtig, weil
die Biestmilch Antikörper gegen Infektionskrankheiten enthält, die nur in den ersten Lebensstunden durch die Darmwand des Kalbs
in dessen Blut gelangen können und es dann
vor Infektionen schützen. Fehlt dieser Schutz,
Ammenmärchen statt Ammenkühe – so versucht die Milchwirtschaft ihr Image aufzupolieren
werden die Kälber leicht krank. Sie erkranken
zum Beispiel an schwerem Durchfall. Der idyllische Spaziergang von Mutterkuh und Kalb
auf der Wiese, wie im HANSANO-Bilderbuch
dargestellt, entspricht also nicht der Realität.
Anders ist die Lage bei Fleischrindern, die
ganzjährig auf der Weide gehalten werden.
Die Kälber bleiben nach der Geburt bis zu
zehn Monate bei ihrer Mutter und haben von
Anfang an eine robuste Gesundheit. Diese
Form der Haltung ist als Mutterkuhhaltung bekannt.
Milch nur für den Menschen.
Nach Aussage von HANSANO gibt die Kuh
„mehr Milch als das Kalb braucht“, so dass
der Überschuss der menschlichen Ernährung
dienen kann. Die Biestmilch allerdings darf
nicht an die Molkerei abgeliefert werden, sie
wird zu hundert Prozent an die Kälber verfüttert, doch oft zu spät, so dass die Kälber den
Immunschutz nicht mehr aufnehmen können.
Von der Milch, die an die Molkerei geliefert
wird, bekommen die Kälber meist nichts. Stattdessen bekommen sie eine Ersatzflüssigkeit,
die als „Milchaustauscher“ bezeichnet wird.
Was nicht jeder weiß: Nach der Geburt eines Kalbes kann die Kuh nicht beliebig lange
Milch bilden. Sie muss vielmehr jedes Jahr
Nachwuchs gebären, damit die Milchbildung
immer wieder angeregt wird. Um wirtschaftliche Verluste zu vermeiden ist die Milchkuh
nahezu dauerträchtig, denn schon bald nach
der Geburt eines Kalbes wird sie wieder künstlich besamt. Eine auf Hochleistung gezüchtete
Kuh kann heute bis zu 50 Liter Milch am Tag
geben. Nach der zweiten oder dritten Laktationsperiode (die Zeit, in der die Kuh Milch produziert) ist der Körper dann soweit ausgemergelt, dass die Kuh zum Schlachter kommt und
zu Wurst oder Hackfleisch verarbeitet wird.
Milchkühe, die nicht auf Hochleistung gezüchtet wurden, können sechs und mehr Kälber gebären und 12 bis 15 Jahre alt werden.
Fazit: Für viele Menschen ist die Landwirtschaft heute nicht mehr greifbar. Sie kommen
mit ihr nicht mehr in Berührung und kennen
nicht die Realität auf den Höfen. Bunte Bilder
und Etiketten mit zufriedenen Kühen, lachenden Schweinen und lebhaften Hühnern auf
bunten Wiesen neben prunkvollen Bauernhöfen sollen dem Verbraucher eine artgemäße
Tierhaltung vortäuschen. Die Unwissenheit
des Verbrauchers wird mit den bunten Bildern
also schamlos ausgenutzt, damit er guten Gewissens kauft. Lassen Sie sich nicht täuschen!
Verena Stampe
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BUCHTIPP
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Richard Rickelmann: Tödliche Ernte
Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet.
Richard Rickelmann, Jahrgang 1939, arbeitete lange Jahre als Journalist für den Spiegel
und den Stern in den Bereichen Wirtschaft
und Politik. Für beide Magazine hat er in der
Vergangenheit Skandale aufgedeckt und begleitet – also eigentlich kein Wunder, so denkt
man sich als Nutztierschützer, dass sein Augenmerk nun auf die Agrarindustrie gefallen
ist. Skandale findet man hier ausreichend, um
mehr als ein Buch zu füllen. Rickelmann unterteilt sie in die Bereiche der Grünen Gentechnik, der Intensivtierhaltung und der Subventionen, wobei Verflechtung, Intransparenz und
Gier sich als Leitmotive durch die Agrarindustrie und damit auch durch sein Buch ziehen.
Inzwischen steht selbst aus Sicht der Konzerne
fest, dass durch den Anbau von Bt-Mais das
Schädlingsproblem nicht – wie ursprünglich
versprochen – auf umweltfreundliche Weise
gelöst wurde. Stattdessen sind die Schädlingsarten resistent gegen das Bt-Gift vom Bt-Mais
geworden und haben in manchen Gegenden
der USA Ernteausfälle von bis zu 60 Prozent
verursacht. Politiker, die von der Gentechnik
überzeugt sind, interessieren sich für solche
Fakten nicht. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gab 2010 eine Jubelschrift über die Grüne Gentechnik heraus und
wollte so einen „Beitrag zur größeren Akzeptanz der neuen Technologie leisten“. Doch die
Nachteile der Grünen Gentechnik wurden zugunsten der Aufzählung von Pro-Argumenten
Das Buch ist, wie der Untertitel klarstellt, eine
Polemik, aber durch Quellenangaben belegt.
Interessierte Leserinnen und Leser können die
Aussagen des Autors also überprüfen oder
in den Fußnoten Stoff zum Weiterlesen finden. Die Todesfälle und Vergiftungen durch
das Agrar- und Lebensmittelkartell, die der
Untertitel erwarten lässt, sind in den meisten
Fällen indirekter Art: Zum Beispiel beschreibt
Rickelmann die Subventionierung hochgradig
ungesunder Produkte wie Nutella, aber auch
den sorglosen Umgang mit Glyphosat und BtGiften. Noch drastischere Beispiele findet er
in der Vergangenheit, etwa den Umgang mit
Agent Orange oder PCB.
Aus der Realität bekommt Rickelmann leider
reichlich Material für drastische Schilderungen
des Absurden und der Verantwortungslosigkeit. Ein Beispiel aus der Grünen Gentechnik:
ausgespart. Die unausgewogene Darstellung
traf auf Kritik, auch in Expertenkreisen und
selbst innerhalb der DFG. Tierschützer unter
den Lesern mögen über die Jubelschrift wenig
überrascht sein, wenn sie sich noch erinnern,
dass die DFG bereits eine entsprechende Broschüre zum Thema Tierversuche veröffentlicht
hat.
Angesichts der oft nicht nachvollziehbaren
Bereitschaft des Europäischen Patentamts,
Patente auf Leben zu erteilen, weist Rickelmann darauf hin, dass das Patentamt sich
„ausschließlich über die Gebühren für die angemeldeten und verteilten Patente finanziert“.
Kritiker sehen „darin einen Anreiz, Patente
weniger nach Qualität als nach Quantität zu
vergeben“. 2009 versuchte Monsanto ein Patent auf Schinken und Schnitzel aus Schweinen
zu erhalten, die mit Gen-Soja von Monsanto
gefüttert worden waren. Rickelmann: „Vergleichbar wäre der Versuch der MineralölKonzerne, Besitzansprüche auf die mit ihrem
Sprit betriebenen Autos anzumelden.“
Das Thema Nutztierschutz resümiert Rickelmann unter der Überschrift: „Die FrankensteinIndustrie“. „Der Umgang vor allem mit dem
Federvieh entspricht einem Maß an Ausbeutung, das nach Ansicht vieler Wissenschaftler
alle Kriterien einer zivilisierten Gesellschaft
verletzt.“ Er erinnert auch daran, dass die
Ausbeutung zu Selbstmord bei Bauern geführt
hat, ein Thema, über das gemeinhin lieber geschwiegen wird. Er berichtet besorgt über die
Medienmacht der Landwirtschaftsverbände,
die als „Propagandamaschine“ die Meinungen ihrer Leserschaft zu kontrollieren sucht.
Pestizidrückstände kann man nicht sehen
Wohin die europäische Subventionspolitik
geführt hat, macht Rickelmann an verschie-
Tödliche Ernte – Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet
Richard Rickelmann, Econ-Verlag, April 2012;
320 Seiten, 18,00 €
ISBN-13: 9783430201254
denen Beispielen deutlich. Unwirtschaftliche
Großunternehmen, die auf einem freien Markt
keine Chance hätten, werden durch große
Agrarsubventionen am Leben gehalten, während die kleinen Betriebe sich weitestgehend
selbst tragen müssen. Aber auch im Kleinen
sieht man absurde Wirkungen des europäischen Gießkannenprinzips. So konnte sich
der Schützenverein im brandenburgischen
Seelow von den EU-Agrargeldern, die er für
sein Waldstück erhielt, einen neuen Schießstand leisten.
Der deutsche Steuerzahler hält dieses System
mit rund 100 Euro pro Kopf und Jahr am Leben. Man kann nur hoffen, dass das Buch viele Leserinnen und Leser zum Nachdenken und
Handeln aufrüttelt.
Irene Wiegand
MAGAZIN
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Fleischfrei mit Genuss
Im Januar 2012 unterstützte die Starköchin
Sarah Wiener PROVIEH bei der Übergabe
des „Appell für den Ausstieg aus der Massentierhaltung“. Der Appell mit 33.000 Unterschriften wurde in ihrem Café Restaurant
im Hamburger Hauptbahnhof in Berlin an
Ministerialdirektor Bernhard Kühnle aus dem
Bundeslandwirtschaftsministerium übergeben.
Sarah Wiener hat den erfolgreichen Appell
von Anfang an nachdrücklich unterstützt.
Sarah Wiener
Lasagne vom Kürbis mit
Jüterboger Büffelricotta
und Pfifferlingen
Zutaten
Sie ist die bekannteste Starköchin im deutschen Fernsehen und wird auch „Köchin für
nachhaltigen Genuss“ genannt. Doch nicht
nur als Fernsehköchin ist die Wienerin erfolgreich, sondern auch als Unternehmerin und
Buchautorin. In Berlin betreibt sie drei biozertifizierte Restaurants. Öffentlich tritt sie für eine
ethisch-ökologische Ernährungsweise, für eine
artgemäße Tierhaltung und für die Erhaltung
unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein.
• 250 ml Milch (1,5 %)
• 100 ml Weißwein
• 100 g Bergkäse
• 12 Stk. Lasagneblätter (ohne Vorkochen)
• 700 g Hokaido-Kürbis
• 2 EL Pflanzenöl
• 700 g Pfifferlinge
• Salz, Pfeffer, Muskat und Speisestärke
• 150 g Schalotten
• 150 g Jüterboger Büffelricotta (alternativ
magerer Quark)
• 250 ml Sahne
Den Kürbis waschen und halbieren, die
Pfifferlinge putzen und klein schneiden.
Die Schalotten und den halbierten Kürbis
in kleine Würfel schneiden.
So wird ein fleischfreier Tag zum Fest
Pflanzenöl in einem Topf erhitzen, darin die
Pfifferlinge, die Schalotten- und Kürbiswürfel anschwitzen.
schichten, ca. 5 Schichten. Zum Schluss
den Bergkäse gleichmäßig über die Lasagne streuen.
Anschließend mit Weißwein ablöschen.
Sahne und Milch dazugeben und alles ca.
10 Min. köcheln lassen.
Die Lasagne im vorgeheizten Ofen bei
160 °C (Umluft) für 35 Min. garen.
Die Mischung mit Speisestärke leicht abbinden und mit Salz, Pfeffer und Muskat
abschmecken.
Den Backofen auf 160 °C (Umluft) vorheizen.
Abwechselnd die Lasagneblätter, die Kürbis-Pfifferlingsmischung und den Ricotta
Wer möchte, kann das Gericht mit geriebenem Käse oder geröstetem Sesam erweitern.
Tipp: Dazu Vogerlsalat (Feldsalat) mit einer
Kürbiskernöl- Vinaigrette
Guten Appetit!
GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN
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Ein Paradies für Wollschweine
Auf Tomtes Hof, einem großen alten Bauernhof
mitten in der Westermarsch, fand im Oktober
2011 das zweite PROVIEH-TierschutztrainerSeminar statt. Die Begegnung von Mensch
und Tier ist sozusagen Leitsatz auf diesem
schönen Hof. Hauptakteure sind neben den
Wollschweinen (Mangalitza) Ponys, Schafe,
Ziegen, Esel, Meerschweinchen, Kaninchen,
Hühner, Katzen und Hunde. Alle Tiere genießen eine artgemäße Haltung. Eine Gruppe
der angehenden Tierschutztrainer konzentrierte sich auf die sechs wolligen Mangalitzas,
die – wie sie als erstes erfuhren – jeden Morgen im Schweinsgalopp zu ihrem Trainingsplatz wetzen. Dr. Juliane Marliani, Biologin,
Leiterin und Mitbegründerin von Tomtes Hof
e.V., zeigte den angehenden Tierschutztrainerinnen die Übungseinheiten, die sie jeden Tag
mit den Schweinen macht. Die Teilnehmerinnen waren fasziniert von der Vorführung.
Außerdem dürfen die Tiere ein wenig Kopfarbeit leisten. Das tut ihnen gut und macht
ihnen Spaß. Mehr Trainingsmöglichkeiten auf
Parcours oder ähnlichen Strecken gibt es zwei
bis dreimal die Woche zur Mittagszeit.
Es gibt so viele Schweinerassen. Wieso haben Sie sich ausgerechnet für Mangalitzas
auf Tomtes Hof entschieden?
Wollscheine haben eine gute körperliche
Gesundheit und sind robust auch gegenüber
Stress. Sie sind kooperativ und sehr ursprünglich in ihrem Verhalten. Außerdem gefällt mir,
dass sie außer Borsten auch noch Fell haben.
Vielen Menschen ist nicht klar, dass das der
„ursprüngliche Zustand“ bei Schweinen ist.
Außerdem finde ich sie vom Körperbau und
dem Gesicht einfach schön
Wie halten Sie die Wollschweine im Winter?
Sie sind, wie fast alle unsere Tiere, ganzjährig auf der Weide. Natürlich haben sie einen
Stall, der gemütlich und trocken eingestreut
ist. Sie haben Schatten und Zugang zur Graft,
dem breiten Wassergraben um den Hof.
Die Weide ist so groß, dass sie sowohl ausreichend Weidefläche haben als auch nach
Herzenslust wühlen und buddeln können. Wir
achten sehr darauf, dass sie sich wohl fühlen,
und das können sie sehr deutlich äußern.
Werden die Mangalitza bei Ihnen irgendwann geschlachtet?
Die derzeitigen Hofbewohner nicht. Wir werden aber sicherlich wieder einmal Nachwuchs
züchten, den wir dann auch an ökologisch orientierte Betriebe abgeben, die sie gut halten
und fachgerecht und vertretbar schlachten.
Frau Marliani, PROVIEH bedankt sich für das
Interview.
Das Interview führte Verena Stampe
Frau Dr. Marliani, wenn die Schweine morgens aus den Ställen gelassen werden, absolvieren Sie mit Ihnen zuallererst ein Training.
Was machen sie genau und wozu ist das Training wichtig?
Das Training ist ein Stationierungstraining: Unsere Schweine laufen morgens vom Stall auf
einen Sandplatz. Dort hängen sechs Symbole
aus Hartgummi. Jedes Tier hat sein eigenes
Symbol, hinter das es sich stellt. Wenn es auf
Zuruf dieses Symbol mit dem Rüssel berührt,
bekommt es ein Stück Brot – nach dem Prinzip
der positiven Konditionierung. Auf diese Weise verfüttern wir das morgendliche Kraftfutter
an die Schweine. Das hat viele Vorteile: Wir
können die Futtermenge individuell dosieren,
und es kommt nicht zu Streitereien und Stress.
Gelehrige Tiere im Wollschweinparadies: Welches sein
persönliches Zeichen findet, bekommt leckeres Futter
INFOBOX
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Der Verein „Tomtes Hof e.V.“ (www.
tomtes-hof.de, Tel.: 04931. 930 16
34) bietet ein umfassendes Informationsangebot über heimische Hausund Nutztiere, über den artgemäßen
Umgang und die Haltung. Der zertifizierte Begegnungshof bietet außerdem Tierkontakt für pädagogische
und therapeutische Zwecke an. Ziel
ist es, einen artgemäßen Umgang
mit Tieren zu vermitteln, und sie bei
„tiergestützten Aktivitäten“ unter besonderer Berücksichtigung ihres natürlichen Verhaltens einzusetzen.
Stefan Johnigk
GEFÄHRDETE NUTZTIERRASSEN
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Mangalitza – ein Schwein mit Locken
Das Mangalitza wird von Weitem gerne mal
mit einem Schaf verwechselt. Das liegt an
seinem dichten, lockigen Fell, das ihm den
passenden Namen Wollschwein einbrachte.
Der Begriff „Mangalitza“ leitet sich aus dem
serbokroatischen Wort „mangulica“ ab und
bedeutet so viel wie „walzenförmig, leicht fett
werdend“.
Mangalitzas gibt es in drei unterschiedlichen
Farbvarianten: Das zahlenmäßig überwiegende Blonde, das Schwalbenbäuchige und das
Rote. Das Mangalitza stammt vom serbischen
Sumadija-Schwein ab, das mit einheimischen
Schweinerassen gekreuzt wurde. Ein wildfarbener und ein rein schwarzer Farbschlag gelten heute als ausgestorben.
Bereits im 13. Jahrhundert wurde in Ungarn
von „wolligen, fetten Schweinen“ berichtet.
Doch das Wollschwein, so wie wir es heute
kennen, dürfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Die Mangalitzas entwickelten sich schnell zu einer sehr beliebten
Schweinerasse. Um 1900 gab es mehr als
sechs Millionen Wollschweine, die das Landschaftsbild vor allem in Ungarn und Rumänien
prägten. Oft wurden sie über hunderte von
Kilometern bis zum Schlachthof nach Wien
getrieben. Das Interesse von Züchtern aus anderen europäischen Ländern ließ nicht lange
auf sich warten, und so wurde das Mangalitza das führende Zuchtschwein in Europa.
Bis in die 1950er Jahre war das Wollschwein
Lieferant für Fleisch und Speck in großen Teilen Osteuropas und der ehemaligen Habsbur-
INFOBOX
Ausgestattet mit einem großen Bewegungsdrang leisten die Wollschweine bis heute in der extensiven
Haltung einen wichtigen Beitrag zur
Landschaftspflege in Wäldern, auf
sumpfigen Wiesen und Stoppelfeldern. Das Mangalitza wird auch zur
Bekämpfung von Schädlingen wie
den Borkenkäferlarven eingesetzt.
Mangalitza Wollschwein säuft artgemäß aus einer offenen Wasserfläche
ger Monarchie. Und das Mangalitzafleisch
ist bis heute ein wesentlicher Bestandteil der
berühmten ungarischen Salami.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Trend
hin zu magerem Fleisch und das führte zu einem drastischen Einbruch der Zucht. Seit Ende
der 1970er Jahre existierten nicht einmal mehr
200 reinrassige Exemplare. In Österreich, Ungarn, der Schweiz und Deutschland bildeten
sich seit Ende der 1980er Jahre Initiativen
zur Rettung des Wollschweins. Ein Exportabkommen zwischen Ungarn und Spanien zur
Herstellung von Serrano-Schinken bewirkte
schließlich den entscheidenden wirtschaftlichen Wiederaufschwung in der MangalitzaZucht und Haltung. Heute sind die Produkte
dieses urtümlichen Schweins Spezialitäten,
die nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und den USA gefragt sind.
Verena Stampe
Mangalitza Ferkel locken zum Kuscheln, sind aber durchaus borstig
Steckbrief
INFOBOX
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Das Wollschwein ist robust, anspruchslos, sozial und wenig stressanfällig. Durch das
dichte und lockige Haarkleid ist es gegen Kälte und Sonnenbrand geschützt. Das Sommerfell ist dünner und kürzer, so dass die dunkle Haut durchscheint. Auch Rüsselscheibe, Augenlider und Klauen der Tiere sind schwarz. Charakteristisch sind die mittelgroßen nach vorn stehenden Hängeohren. Das eher kleinrahmige Schwein hat einen
kurzen Rumpf mit kräftiger Muskulatur und kurze starke Gliedmaßen. Wollschweine
sind Spätentwickler. Mit 11 – 13 Monaten erreichen sie die Zuchtreife. Außerdem
haben sie relativ kleine Würfe. Die vier bis acht längsgestreiften Ferkel sehen Wildschweinfrischlingen sehr ähnlich – ein Zeichen für die Ursprünglichkeit dieser Rasse.
Das Mangalitza kann ein Gewicht von bis zu 350 kg bei Ebern und 300 kg bei Sauen
erreichen. Das Fleisch ist dunkel, kräftig und von hervorragender Qualität.
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Elena langweilt sich. Eigentlich sind Schulferien ja ganz toll, aber gerade weiß sie nicht,
was sie machen soll. Missmutig malt sie mit
den Fingern die Linien der bunten Tapete im
Esszimmer nach, als ihre Mutter in den Raum
kommt. „Was ist denn mit dir los?“ fragt sie.
„Ach, ich weiß nicht was ich machen soll“,
sagt Elena und seufzt. Ihre Mutter überlegt
kurz und schlägt dann vor: „Du könntest mit
Tom Onkel Franz besuchen gehen. Er freut
sich bestimmt, wenn er euch sieht.“ Elena
strahlt. Onkel Franz ist ihr Lieblingsonkel. Er
hat nämlich einen kleinen Bauernhof. Manchmal hat ihre Mama wirklich gute Ideen. „Ja,
das machen wir!“ ruft sie und rennt hinaus,
um ihren Bruder Tom zu suchen.
Onkel Franz erwartet die Kinder bereits, denn
ihre Mutter hat bei ihm angerufen und Bescheid gesagt, dass sie kommen. Elena und
Tom springen von ihren Fahrrädern und begrüßen ihn stürmisch. „Ich will die Hühner sehen!“ ruft Elena und zieht ihren Onkel am Arm
in Richtung Garten. Onkel Franz hat einen
sehr großen Garten, und die fünf Hühner laufen ganz weit hinten unter den Apfelbäumen
herum. Elena winkt den Hühnern zu, aber sie
bemerken sie nicht. „Wir sind noch zu weit
weg“, erklärt ihr Onkel, „alles, was über 50
Meter weit entfernt ist, können Hühner nicht
mehr gut erkennen.“ Elena schaut Franz erstaunt an – sie kann viel weiter schauen als
nur 50 Meter. Onkel Franz erklärt ihr, dass
Hühner ursprünglich im Urwald mit dichtem
Gebüsch zu Hause waren und dass sie deshalb nicht, wie andere fliegende Vögel, ein
weites Gelände überblicken mussten, um Feinde und Beute zu entdecken. Für Hühner war
es immer viel wichtiger, was in ihrer direkten
Nähe geschah. „Und darauf haben sich ihre
Augen eingestellt“, sagt er. Langsam gehen
Franz und Elena näher an die Hühnerschar
heran.
In der Zwischenzeit hat Tom einen weiten Bogen geschlagen und sich dabei immer wieder
hinter Bäumen und Sträuchern versteckt. Nun
versucht er sich von hinten an die Hühner anzuschleichen. Obwohl ihm die Tiere den Rücken zudrehen, entdecken sie ihn viel früher
als erwartet. Aufgeregt gackernd laufen sie
vor ihm davon. Enttäuscht bleibt Tom stehen.
„Ich wollte sie gar nicht erschrecken“, beteuert er. „Ich wollte nur ganz schnell nah heran,
ohne dass sie weglaufen. Wie konnten sie
mich überhaupt so schnell entdecken?“ Onkel
Franz lacht. „Schau dir doch einmal genau an,
wo bei den Hühnern die Augen sitzen. Fällt
euch etwas auf?“ Tom und Elena beobachten
konzentriert das Federvieh. Nach einer Weile
Gewinnspiel
Schickt uns eure Hühnerfotos!
INFOBOX
Vorlesegeschichte für Kinder von
sechs bis zehn Jahren: Hühner zu
überraschen ist schwer
Fragt eure Eltern, ob sie mit euch
Hühner anschauen und macht Fotos
von den Tieren. Für das schönste
eingesendete Foto (gerne auch per
email) gibt es ein PROVIEH-Überraschungspäckchen.
Die Gewinnerin aus dem letzten
Heft heißt Ylva Zill.
Herzlichen Glückwunsch.
verkündet Tom stolz: „Die Augen sitzen viel
weiter seitlich am Kopf als beim Menschen!“
Onkel Franz lobt ihn für diese Beobachtung
und erklärt: „Dadurch, dass die Augen an der
Seite des Kopfes sitzen, haben die Hühner ein
viel breiteres Sichtfeld. Sie können viel weiter
nach hinten sehen als ihr. Das macht es sehr
schwer, sich an Hühner anzuschleichen. Außerdem hören Hühner fast so gut wie Hunde.
Wahrscheinlich haben sie auch dadurch bemerkt, dass du da bist.“
Die Hühner sind in einigen Metern Entfernung
stehen geblieben. Der große Hahn steht aufgerichtet vor seinen Hennen und beobachtet
misstrauisch Onkel Franz und die Kinder. „Er
passt auf, ob alles in Ordnung ist“, meint der
Onkel. Er greift in seine Hosentasche und zieht
eine Handvoll Körner heraus, die er zwischen
Elena und Tom aufteilt. Die Kinder werfen einen Teil davon ins Gras, einen Teil behalten
Frieda und Hanna auf Futtersuche
sie in der Hand, um die Hühner anzulocken.
Die Hühner fangen sofort an, die Körner vom
Boden aufzupicken. „Im Gras erkennt man
doch gar nicht, wo die Körner liegen. Aber
die Hühner finden sie“, sagt Tom und wundert
sich etwas. „Hühner können nicht nur sehr
scharf sehen und gut hören, sie können auch
sehr gut riechen“, antwortet Franz. „So ist es
kein Problem für sie, die versteckten Körner zu
finden.“ Schließlich kommt Frieda, die älteste
der Hennen, angelaufen und pickt die Körner
Tom direkt aus der Hand. Nach einigem Zögern traut sich auch Hanna, eine junge Henne
mit glänzend hellbraunem Gefieder, zu ihnen
heran und holt sich vorsichtig das Futter von
Elena. Elena strahlt über das ganze Gesicht
und hält ganz still, damit sich das Huhn nicht
erschrickt und wieder davon läuft. „Hanna ist
mein Lieblingshuhn“, verkündet sie leise.
Christina Petersen

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