Nicht nur das Wirkende bestimmt die Wirkung. Über Vielfalt und
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Nicht nur das Wirkende bestimmt die Wirkung. Über Vielfalt und
http://www.mediaculture-online.de Autorin: Witting, Tanja / Esser, Heike. Titel: Nicht nur das Wirkende bestimmt die Wirkung. Über die Vielfalt und Zustandekommen von Transferprozessen beim Bildschirmspiel. Quelle: Jürgen Fritz / Wolfgang Fehr (Hrsg.): Computerspiele. Virtuelle Spiel- und Lernwelten. Bonn 2003. S. 30-48. Verlag: Bundeszentrale für politische Bildung. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Tanja Witting und Heike Esser Nicht nur das Wirkende bestimmt die Wirkung. Über Vielfalt und Zustandekommen von Transferprozessen beim Bildschirmspiel Zusammenfassung Die Frage nach den (Aus-)Wirkungen virtueller Bildschirmspiele konnte bis heute nicht wissenschaftlich geklärt werden. Weder Forschungsbemühungen, die die Tradition des Wirkungsansatzes aufgreifen, noch Untersuchungen, die sich am Nutzenansatz orientieren, können eindeutige „Wirkungen“ von Computerspielen nachweisen. Während der traditionelle Wirkungsansatz dem Reiz-Reaktionsmodell folgt und ein passives Publikum unterstellt, das durch Medieninhalte beeinflusst wird, beruft sich der Nutzenansatz auf Informationsverarbeitungs-Konzepte und betont die Aktivität des selektierenden Publikums. Dieser Ansatz geht von einer durch die Rezipienten intentional gesteuerten Mediennutzung aus, bei der den Medieninhalten lediglich ein Wirkungspotential zugeschrieben wird. Beide Ansätze sind jedoch nicht in der Lage, die vielfältigen Austauschprozesse zwischen Medium und Rezipient in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Das von Jürgen Fritz entwickelte und auf dieser CD vorgestellte Forschungsparadigma des Transfermodells bemüht sich um eine angemessene Erfassung eben dieser Austauschprozesse und um 1 http://www.mediaculture-online.de eine Überwindung des fruchtlos gewordenen Begriffs der „Medienwirkung“. Im Rahmen einer eigenen qualitativen Untersuchung ist es gelungen, empirische Belege für die Existenz verschiedener Transferprozesse beim Computerspiel zu erbringen. Die Interviewpartner berichten u.a. von Transfers im Bereich der Emotionen, Gedanken und Handlungsweisen zwischen virtueller, realer und mentaler Welt. 1 Mögliche Zusammenhänge Am 29. Juli 1995 schossen zwei junge Männer aus ihrem fahrenden Auto heraus auf einen ihnen vollkommen unbekannten 41-jährigen Mann, der, in seinem Wagen sitzend, wie die beiden die nächtliche Bundesstraße befuhr.1 Der Familienvater, der auf seinem Heimweg war, wurde von dem Schuss aus einer Pumpgun tödlich getroffen. Die Waffe, ein Kultwerkzeug vieler medialer und virtueller Actionhelden, hatten die Jugendlichen zuvor bei einem Waffenhändler in Strassburg käuflich erworben und führten sie stets im Wagen mit. Nach der Festnahme der bis dahin von Befragten als unauffällig und angepasst beschriebenen jugendlichen Täter fanden sich in ihren Zimmern Hunderte von Gewaltvideos und gewalthaltigen Computerspielen. Nach eigenen Aussagen beschäftigten sich die Jugendlichen bis zu 14 Stunden täglich mit dem Spielen von hochaggressiven Ego-Shootern, wobei sie stets die „härtere“ Originalversion bevorzugten.2 Ist die Beschäftigung mit gewalthaltigen Bildschirmspielen und Gewaltvideos als Ursache einer solchen Straftat anzusehen? Wurden die Jugendlichen durch die virtuellen Spiele so beeinflusst, da sie zur Waffe griffen und einen Unbekannten ohne jeden ersichtlichen Grund töteten? Oder zeigte sich im Konsum der gewaltorientierten Medien lediglich die bereits vorhandene Disposition der Täter, Gewalt auszuüben? Die Frage nach den (Aus-)Wirkungen virtueller Bildschirmspiele konnte bis heute wissenschaftlich nicht geklärt werden. Weder Forschungsbemühungen, die die Tradition des Wirkungsansatzes aufgreifen, noch Untersuchungen, die sich am Nutzenansatz 1 Informationen entnommen aus einer Reportage des Süddeutschen Rundfunks mit dem Titel: „Todesspiele – Wenn Gewaltbilder Wirklichkeit werden“. 2 Einige gewalthaltige Spiele erscheinen auf Grund jugendschutzrechtlicher Bestimmungen in veränderter, abgeschwächter Form auf dem deutschen Markt, um einer Indizierung zu entgehen. 2 http://www.mediaculture-online.de orientieren, können eindeutige Wirkungen von Computerspielen nachweisen.3 Während der traditionelle Wirkungsansatz dem Reiz-Reaktionsmodell folgt und ein passives Publikum unterstellt, das durch Medieninhalte beeinflusst wird, beruft sich der Nutzenansatz auf Informationsverarbeitungs-Konzepte und betont die Aktivität des selektierenden Publikums. Dieser Ansatz geht von einer durch die Rezipienten intentional gesteuerten Mediennutzung aus, bei der den Medieninhalten lediglich ein Wirkungspotential zugeschrieben wird. Dennoch lässt sich zunächst auch unter Einbeziehung dieser Theorieansätze nicht eindeutig klären, ob die jugendlichen Computerspieler zu Straftätern wurden, weil sie durch Bildschirmspiele und Videos verführt und manipuliert wurden oder ob sich in ihrer Vorliebe für gewaltorientierte Medien lediglich widerspiegelte, welche Faszination Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen auf sie ausübte. Beide Ansätze sind nicht in der Lage, die vielfältigen Austauschprozesse zwischen Medium und Rezipient in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Das von Jürgen Fritz4 entwickelte und auf dieser CD vorgestellte Forschungsparadigma des Transfermodells bemüht sich um eine angemessene Erfassung eben dieser Austauschprozess und um eine Überwindung des fruchtlos gewordenen Begriffs der „Medienwirkung“. Ziel unseres Beitrags ist, das von Jürgen Fritz entwickelte Modell empirisch zu belegen.5 2 Anlage und Durchführung der Untersuchung Eine Befürchtung, die im Zusammenhang mit virtuellen Welten immer wieder geäußert wird, ist, dass eine häufige Nutzung von Computerspielen Einfluss auf das Verhalten in der Wirklichkeit hat. Es ergibt sich die Frage, ob nach intensiven Aufenthalten in virtuellen Welten die Fähigkeit zur realitätsgetreuen und gesellschaftskonformen Zuweisung von Wahrnehmung und Handlungen beeinflusst wird. 3 Ausführliche Erläuterungen zu den in der Medienwirkungsforschung bestehenden Theorieansätzen finden sich bei: Halff, G. (1998): Die Malaise der Medienwirkungsforschung. Transklassische Wirkungen und klassische Forschung. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 4 Ausführlich dargestellt in Fritz, Jürgen: So wirklich wie die Wirklichkeit; auf dieser CD. 5 Die empirische Untersuchung wurde 1996 im Rahmen unserer Diplomarbeit im Studiengang Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln durchgeführt. 3 http://www.mediaculture-online.de Mit Hilfe ausführlicher, Leitbogen gestützter Interviews haben wir versucht, etwas über die individuellen Motive, Nutzungsformen und vor allem die möglichen Austauschprozesse im Umgang mit Computerspielen in Erfahrung zu bringen. 2.2 Durchführung der Untersuchung Die Grundlage unserer Untersuchung bildeten zwanzig qualitative Interviews, die wir anhand eines Interviewleitbogens durchführten. Nachdem die ersten Interviewpartner feststanden, begannen wir mit der Durchführung der Interviews. Um auch Eindrücke vom Lebensumfeld der Befragten zu erlangen und den Computerplatz in der Wohnung zu sehen, suchten wir jeden der Befragten zu Hause auf. Bei den Gesprächen orientierten wir uns an unserem Interviewleitbogen, wobei wir die Fragen jeweils frei formulierten. Die Interviews wurden in voller Länge auf Kassetten aufgenommen und im Anschluss daran wortwörtlich transkribiert. Jeder Befragung ging ein Vorgespräch voraus, in dem die Vorgehensweise erläutert wurde und die Möglichkeit für den Interviewpartner bestand, Fragen und Bedenken zu äußern. Abschluss eines jeden Interviews bildete ein Nachgespräch, das das Erleben des Befragten während der Interviewsituation zum Thema hatte. 2.3 Probleme bei der Durchführung der Untersuchung Es stellte sich zunächst als Problem heraus, zwanzig befragungswillige Interviewpartner zu finden. Auf unsere Aushänge hin meldete sich lediglich eine Person. Oft bestand nicht die Bereitschaft zu einem Interview, da befürchtet wurde, aufgrund der Aussagen im Interview als „Computerjunkie“ oder „nicht zurechnungsfähig“ abgestempelt zu werden. Allerdings erhielten wir über unsere ersten Interviewpartner weitere Adressen von interviewbereiten Vielspielern, sodass wir die von uns angestrebten zwanzig Befragungen durchführen konnten. In der Interviewsituation selber stellte sich heraus, dass Fragen bezüglich der Transferprozesse oft nicht beantwortet werden konnten, da die Selbstbeobachtung der Befragten in diesem Bereich nicht ausreichend waren. Bei einigen Interviewpartnern schlossen wir darauf, dass Antworten bewusst zurückgehalten oder verändert wurden, um nicht zu viel von sich preiszugeben bzw. um nicht Norm verletzend zu erscheinen. Wir beobachteten bei Fragen zum Transferbereich 4 http://www.mediaculture-online.de häufig eine Verhaltensveränderung, die sich in nervöser und hektischer Mimik und Gestik zeigte oder die Befragten waren äußerst bemüht, abschwächende Formulierungen zu finden, um spontane Aussagen zu relativieren. 2.4 Beschreibung der Untersuchungsgruppe Bei der Festlegung der Zielgruppe entschieden wir uns für erwachsene Vielspieler ab dem 18. Lebensjahr. Diese verfügen in der Regel über mehrjährige Spielerfahrungen und über die für diese Untersuchungsmethode notwendige Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Verbalisierung. Das Durchschnittsalter der von uns interviewten Personen lag bei 24,5 Jahren. Die überwiegende Zahl unserer Interviewpartner (85 %) war männlich. Neunzig Prozent unserer Interviewpartner gaben eine durchschnittliche wöchentliche Spielzeit von mindestens 3,5 Stunden an und können als Vielspieler bezeichnet werden. Es fällt auf, dass die Computerspieler in unserer Untersuchung einen relativ hohen Bildungsstatus hatten. Einen Rückschluss auf einen Zusammenhang von Schulbildung und Computerspielen wollten wir jedoch nicht ziehen, da einerseits die Anzahl der befragten Personen zu gering war und andererseits aufgrund unseres Auswahlverfahrens – Vermittlung weiterer Interviewpartner durch bereits interviewte Personen – überdurchschnittlich viele Studenten erfasst worden waren. Die befragten Personen stellten eine relativ homogene Gruppe dar. Die Gültigkeit der Ergebnisse unserer Untersuchung bezieht sich dementsprechend nur auf diese Gruppe. Als Hauptmotiv, um sich mit dem Computerspiel zu beschäftigen, gab ein Großteil unserer Interviewpartner den Abbau von Langeweile und die Suche nach Spaß und Entspannung an. Selten wurde Frustabbau, das Wettmachen von Misserfolgen oder der Wunsch im Spiel Erfolg zu haben als Spielzweck genannt. Ähnliches bestätigt auch Seeßlen, wenn er schreibt: Für den Erwachsenen ist die Mediennutzung ein positiver Gegenpol gegen seine Alltagserfahrung; sie ist nicht zu verstehen ohne eine spezielle Dialektik zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben des Menschen in unserer Gesellschaft. Das führt zu einem bestimmten Ideal des Medienereignisses, indem es die Grenzen der Zumutbarkeit, Grenzen der emotionalen Belastung zu geben habe. Die Form des Medienereignisses zielt also letztendlich auf Stabilität und Harmonie ab.“6 6 Seeßlen, Georg (1990): Videospiele, Fluchtburg im Kinderzimmer. In: Schindler, Friedemann: Spieglein, Spieglein in der Hand... . Stuttgart: Edition aej. 5 http://www.mediaculture-online.de 3 Ergebnisse der Auswertung der Untersuchung 3.1 Problem lösender Transfer 3.1.1 Transfer von der virtuellen Welt in die mentale Welt Bei diesem Transfer geht es um die Reaktionen und Vorgehensweisen von Computerspielern im Anschluss an ein Spiel, wenn sich während eines Spiels Probleme im Spielverlauf ergeben haben. Dies kann beispielsweise in einem Adventure der Fall sein, wenn zu einem gestellten Rätsel nicht die Lösung gefunden wird, sodass die weitere Entwicklung des Spiels stagniert. In einem Actionspiel hingegen kann die Nichtbewältigung einer Aufgabe das Ende des Spiels zur Folge haben. Ist der Spieler nicht in der Lage, sich mit Hilfe der von ihm gesteuerten Spielfigur gegen Angriffe von Gegnern zu verteidigen und verliert alle „Lebenspunkte“, so ist das Spiel verloren. Verhindert werden kann dies dadurch, dass vor kritischen Kampfsituationen der Spielstand abgespeichert wird, um so die Sequenz wiederholen zu können. Aber auch so kann sich der Spielverlauf nicht weiterentwickeln und das Ziel des Spieles nicht erreicht werden. Treten solche Situationen auf, die auch nach einer längeren Zeit der Beschäftigung und des Ausprobierens am Computer nicht bewältigt werden können, wird in der Regel das Gerät ausgeschaltet. Alle von uns interviewten Personen gaben an, in einer solchen Situation – nach dem Ausschalten des Computers – auch weiterhin über eventuelle Lösungsmöglichkeiten nachzudenken. Dies geschieht sowohl direkt im Anschluss nach Beendigung des Spiels, als auch während der nächsten Tage. Besonders häufig fanden sich Problem lösende Transfers nach der Beschäftigung mit Adventures oder Strategiespielen, da diese ein besonders tiefes Eintauchen in die Spielrealität erfordern. Einige Beispiele sollen belegen, inwieweit sich die Computerspieler noch über das Ausschalten des Computers hinaus mit problematischen Situationen auseinander setzten7: • „DOCH, DARÜBER DENKT MAN SCHON NACH. UND MAN SCHREIBT SICH AUCH TEILWEISE BEI DEN DENKSPIELEN... MAN MACHT SICH NOTIZEN UND ÜBERLEGT HALT IRGENDWAS , WENN MAN MAL EINE FREIE MINUTE HAT, WIE MAN 7 Siehe auch: Schachtner, Christel (1993): Geistmaschine, Faszination und Provokation am Computer, 105f. und 160. Frankfurt: Suhrkamp. Im Rahmen einer sechsunddreißig Interviews umfassenden Untersuchung konnte Schachtner den Problem lösenden Transfer auch für SoftwareentwicklerInnen nachweisen. 6 http://www.mediaculture-online.de WEITERKOMMEN KÖNNTE. ABER DIE COMPUTERWELT, DIE NORMALE WIE SIE DA GESCHIEHT, DIE BEZIEH ICH ALSO DA SCHALT ICH AB. ABER UM LÖSUNGEN RAUSZUFINDEN, DA SETZT MAN SICH SCHON EINMAL HIN UND ÜBERLEGT DANN.“ JETZT NICHT AUF MEIN LEBEN. • „ABER ICH MUSS SAGEN, WENN HALT DA IRGENDWELCHE KNIFFLIGEN UND SCHWIERIGEN SITUATIONEN ENTSTEHEN AUF DEM COMPUTER, DANN KANN DAS SCHON MAL SEIN, ALSO WENN ICH DANN HALT AUSSCHALTE, DASS ICH MIR TROTZDEM IM KOPF NOCH WEITERHIN ÜBERLEGE, WIE ICH DA JETZT WEITER VORGEHE UND WIE ICH DA WEITERMACHE, DAMIT ICH DAS HALT DANN DA SCHAFFEN KANN. ABER, ICH SAG JA, SONST SO IM ALLTAG , DA MACHE ICH DA EIGENTLICH... ALSO ICH MEINE, DENN GRÖßTENTEILS IST ES AUCH SO, WENN ICH DEN COMPUTER AUSSCHALTE, DANN DENKE ICH DANN AUCH NICHT WEITER DRÜBER NACH. ABER WENN HALT AB UND ZU DIE SITUATION MAL EINTRITT, DASS ES WIRKLICH SEHR KNIFFLIG WIRD, DANN KANN DAS SCHON MAL SEIN, DASS ICH DA DANN ETWAS LÄNGER DRÜBER NACHDENKE.“ • „DA HAB ICH DAUERND DRÜBER NACHGEDACHT, BEI ‚LEMMINGS‘ UND SO. ICH DENKE DANN ÜBER DAS PROBLEM NACH. ICH DENKE MIR DANN: ‚KÖNNTEST DU DANN NOCH DA LANG LAUFEN? WO IST DER SCHALTER?‘ DAS SIND IMMER SO FRAGEN, DIE MICH INTERESSIEREN. DANN HÖR ICH DANN AUF, WEIL ICH DAS PROBLEM NICHT DIREKT LÖSEN KANN UND TROTZDEM BESCHÄFTIGT MICH DAS PROBLEM WEITER. DAS PROBLEM, DAS ABSTRAKTE, BESCHÄFTIGT MICH WEITER.“ • „DA ÜBERLEGT MAN HALT. MAN WENDET SICH ANDEREN DINGEN ZU UND ES HOLT EINEN DANN PLÖTZLICH WIEDER EIN; DAS KANN TAGE SPÄTER SEIN, DAS KANN IN DEN NÄCHSTEN DREI STUNDEN SEIN. DAS KOMMT, WIE ES WILL.“ Für die Fälle, in denen solche Gedankengänge nicht sofort nach Beendigung des Spiels ablaufen, haben wir weiterhin untersucht, in welchen Situationen eine gedankliche Beschäftigung mit der Problemlösung auftritt und wie lange sie anhält. Beispiele aus den Interviews: • „WENN ICH NICHTS BESSERES ZU TUN HABE, SAG ICH MAL, SO BEIM SCHWIMMEN. WENN DANN DREITAUSEND MEMMTER KRAUL KOMMEN, DANN KANN DAS SCHON SEIN, DASS ICH DANN SO EIN BISSCHEN RUMWUSEL. ABER SOBALD MAN HALT IRGENDWAS ANDERES MACHT, DANN NICHT MEHR.“ • „UND JA GUT, MAN HATTE SICH VORGENOMMEN WAS ZU LERNEN UND MAN KOMMT DANN MIT DEM LERNEN NICHT SO RICHTIG VORAN, NICH. WO MAN DANN GEDANKLICH SO ABSCHWEIFT, NICH: "DU BIST DOCH DA GESTERN ODER LETZTE WOCHE SO KLEMMEN GEBLIEBEN. VERSUCHST DU ES DOCH NOCH MAL AUF DIE WEISE.“ • „DAS SIND EHER SO SITUATIONEN, WO MAN NICHTS ZIELGERICHTET VERSUCHT, SONDERN EHER SICH UNTERBEWUSST MIT WAS BESCHÄFTIGT.“ • „ICH SAß IN ‘NER KNEIPE UND DIE ANDEREN HABEN SICH ÜBER IRGENDWAS UNTERHALTEN, DAS MICH EH NICHT INTERESSIERT HAT. UND ICH HAB‘ HALT WEITERGEDACHT, JA, UND PLÖTZLICH FIEL DER GROSCHEN.“ Es wird deutlich, dass sich derartige Überlegungen dann einstellen, wenn die Personen ihre Gedanken schweifen lassen und sich nicht zielgerichtet auf eine bestimmte Sache konzentrieren. 7 http://www.mediaculture-online.de Der Problem lösende Transfer wird jedoch dann unterbunden, wenn das Bewusstsein nach Beendigung des Spiels auf andere Bereiche ausgerichtet wird. Ein Beispiel aus einem Interview: • „JA, DAS KOMMT DANN AUF DIE UMGEBUNG AN. WENN ICH GRAD DIREKT LOS MUSS IN DIE SCHULE UND DANN DA AUCH DIREKT VOM PROFESSOR BELABERT WERDE ODER MIT LEUTEN LERN, DANN IST DAS SEHR SCHNELL WEG, WEIL DANN HALT AUF ANDERE SACHEN GESCHALTET WIRD. ABER WENN DANN DANACH NIX BESONDERES KOMMT, DANN KANN DAS SCHON WAS LÄNGER WERDEN.“ Auf die Frage nach der Dauer des Problem lösenden Transfers gab die Mehrzahl unserer Interviewpartner den Zeitraum von 5-10 Minuten an. Nur selten wurden Zeiträume genannt, die eine halbe Stunde überschreiten, mit dem Hinweis darauf, dass bei einer so intensiven Auseinandersetzung der Handlungsimpuls so stark ist, dass der Computer wieder angeschaltet wird. Ein Beispiel aus einem Interview: • „SICHER DENK ICH DARÜBER NACH, ABER AUCH NICHT LÄNGER ... NICHT LÄNGER ALS ‘NE HALBE STUNDE ODER SO ... ALSO, WENN ES MICH DANN DOCH STÄRKER BESCHÄFTIGT, DANN WÜRDE ICH DEN COMPUTER WIEDER ANMACHEN UND ES WEITER VERSUCHEN.“ 3.1.2 Transfer von der virtuellen Welt in die reale Welt oder in die mediale Welt Wurde durch die gedankliche Beschäftigung mit der Problematik des Spiels keine Lösungsmöglichkeit gefunden, so wendete sich die Mehrzahl der Interviewpartner zwecks Informationsbeschaffung an andere Personen bzw. zog andere Medien zur Hilfe heran. Informationsbeschaffung Personen in % Anzahl der Personen über andere Personen 90 18 über Fachzeitschriften 65 13 Fidonetz, Mailbox) 15 3 über Hotline 5 1 über Datennetz (Internet, Tabelle 18: Informationsbeschaffung An erster Stelle stand dabei immer die Informationsbeschaffung über andere Personen. Das zeigt, dass sich die Computerspieler nicht nur alleine mit ihren Spielen beschäftigen, sondern dass diese auch Anlass sind, sich mit anderen über deren Erfahrungen 8 Mehrfachnennungen waren erlaubt. Bei den Angaben ist zu berücksichtigen, dass die Befragung im Jahre 1996 durchgeführt wurde. Es ist anzunehmen, dass im Rahmen der weiteren Verbreitung des Internetzugangs auch die Informationsbeschaffung über das Internet zugenommen hat. 8 http://www.mediaculture-online.de auszutauschen. Erst wenn über Freunde und Bekannte keine Lösungsmöglichkeit gefunden wird, greift man auf Fachzeitschriften oder Informationen aus dem Datennetz zurück. Dies sollen wiederum Beispiele aus unseren Interviews verdeutlichen: • „ERST MAL ÜBER FREUNDE, VON DENEN ICH WEIß, DASS SIE AUCH DAS SELBE SPIEL HABEN. WENN DAS NICHT KLAPPT, AUCH ÜBER DIE MEDIEN, ALSO ZEITUNG, ZEITSCHRIFTEN, DIE GEBEN VIELE TIPPS. ICH WÜRD’ MIR DIE ZEITUNG ABER NICHT KAUFEN, SONDERN EHER IM LADEN DURCHLESEN, DAS WAS ICH BRAUCHE. ALSO HAUPTSÄCHLICH FREUNDE, DANACH KOMMT DANN ZEITSCHRIFTEN.“ • „MEIN BRUDER, DER KAUFT SICH AB UND ZU SO ZEITSCHRIFTEN. DA STEHEN AUCH IMMER GANZ GUTE TIPPS DRIN. ABER SELBER HAB ICH MIR NOCH NIE EINE GEKAUFT, DAS WÄR‘ MIR DAS GELD NICHT WERT. ALSO DANN DOCH EHER BEI FREUNDEN. WENN ICH DAS JEMAND ANDERS VERSUCHEN.“ PROBLEM HABE, DASS ICH NICHT WEITERKOMME, DANN LASS ICH DAS • „ABER OFT IST AUCH SO, DASS MAN DIE SPIELE AUCH AN LEUTE WEITERGEGEBEN HAT UND DANN DIE AUCH ERST MAL FRAGT. UND WENN ICH DA DANN AUCH KEINE TIPPS BEKOMME, DANN IST DIE NÄCHSTE MÖGLICHKEIT EBEN AUCH DIE MAILBOX, DASS MAN DA DANN EBEN AUCH MAL NACHFRAGT.“ Alle geschilderten Bemühungen lassen den Schluss zu, dass für unsere Interviewpartner unter anderem die erfolgreiche Beendigung des Spiels von großer Bedeutung war. Dies steht im Widerspruch zu den in Punkt 1.4 genannten Spielzwecken. Das Ziel, Erfolg im Spiel zu haben, scheint einer der Auslöser für den Problem lösenden Transfer darzustellen. 3.2 Auf das Gedächtnis bezogener Transfer Mit der Frage nach dem auf das Gedächtnis bezogenen Transfer wollten wir in Erfahrung bringen, was der Computerspieler nach der vollständigen Beendigung eines Spiels von diesem in Erinnerung behält. Was verbleibt im Gedächtnis, wenn das Spiel abgeschlossen ist und bereits schon längere Zeit zurückliegt? Wie erinnern die Spieler sich an ein Spiel, wenn der Name des Spiels in einem Gespräch fällt oder sie das Bild des Spiels in einer Werbung sehen? Bei der Frage, welche Elemente eines Spiels oder der Spielsituation am längsten in Erinnerung bleiben, waren Mehrfachnennungen möglich. Dreizehn Personen (65 %) gaben an, sich spontan an ihre eigenen emotionalen Einschätzungen und Reaktionen zu erinnern. Fast ebenso häufig – insgesamt waren dies zwölf Personen (60 %) – wurde die Erinnerung an die Spieloberfläche oder an bestimmte Bilder erwähnt. Die Erinnerung an bewertende Aspekte bezüglich des Spiels wurde von acht Personen (40 %) benannt, dicht gefolgt von der Erinnerung an die im Spiel geforderten Handlungsmuster, die von sieben Personen (35 %) angesprochen wurden. 9 http://www.mediaculture-online.de Lediglich drei Interviewpartner (15 %) konnten bestätigen, sich an die Spielgeschichte zu erinnern. Außerdem gab keiner der Befragten an, bestimmte Namen in Erinnerung zu behalten. Erinnerung an Interviewpartner in % Anzahl der Interviewpartner 65 13 bestimmte Bilder 60 12 bewertende Aspekte 40 8 geforderte Handlungsmuster 25 7 die Spielgeschichte 15 3 bestimmte Namen 0 0 emotionale Einschätzungen und Reaktionen die Spieoberfläche oder Tabelle 29: Auf das Gedächtnis bezogener Transfer Beispiele aus den Interviews: • „JA, DAS MIT DEN SITUATIONEN IST EIGENTLICH SCHON GANZ GUT. DAS WÜRDE ICH AUCH SAGEN. ICH MEINE, SPIEL DENKE, SO SPEZIELL, DANN VERBINDE ICH DAS AUCH MIT IRGENDEINEM GEFÜHL HALT. ALSO SO, WIE GESAGT, WENN ICH DARAN DENKE AN ‚MYST’, DANN FÜHLE ICH MICH ARG GEFRUSTET MEISTENS, WIE ICH DA HALT NICHT, JA, WEIß NICHT, NAJA... UND HALT AUF JEDEN FALL SO SPIELE, ANDERE, WENN DANN SO EINER DA NACHFRAGT DANN DENKE ICH HALT SOFORT DARAN, DAS IST IRGENDWIE LANGWEILIG ODER IST DOCH GANZ GUT, GANZ INTERESSANT. ALSO KANN MAN SCHON SAGEN, DAS VERBINDE ICH SCHON MIT GEFÜHL.“ WENN ICH JETZT SO AN DAS • „NEE, ALSO ZUERST, ALSO WIE ICH DAS GESPIELT HABE, OB ICH DAS GESCHAFFT HABE ODER NICHT. DAS KOMMT VOR. UND DAS ZWEITE, DA WÜRDE MIR DANN WAHRSCHEINLICH EIN BILD ODER SO WAS DAZU EINFALLEN, WAS MIR JETZT SO AM BESTEN IN ERINNERUNG GEBLIEBEN IST. WIE ES HALT DA AUSSAH, DIE GRAFIK.“ • „EIGENTLICH, WIE ES MIR GEFALLEN HAT.“ „UND DANACH? WAS KOMMT DIR DANN IN DEN SINN?“ „JA, MAN VERBINDET DANN MIT DEM SPIEL GLEICH, WAS WAR ES, WAS HAST DU DA GEMACHT. OKAY, MAN IST GEFESSELT WORDEN VON DEM SPIEL UND SICHERLICH, EINIGE BILDER AUS DEM SPIEL SCHIEßEN EINEM DA SCHON DURCH DEN KOPF.“ • „WIE ICH DAS GEFUNDEN HABE FÄLLT MIR EIN UND OB ICH GUT ODER SCHLECHT WAR. ABER DAS HÄNGT JA SOWIESO DAMIT ZUSAMMEN. WIE ICH DABEI ABGESCHLOSSEN HABE, BEEINFLUSST MEINE WERTUNG DES SPIELS; NICHT ZWANGSLÄUFIG, ABER IN DER REGEL. DANN WÜRDEN MIR VIELLEICHT AUCH IRGENDWELCHE BILDER EINFALLEN.“ • „AM EHESTEN NOCH AN DIE UMGEBUNG. ICH MEINE, DAS IST JA JETZT AUCH EXTREM, WENN ICH JETZT DENKE AN DIESE ‚MONKEY-ISLAND-NÄCHTE’, DIE WIRKLICH URGEMÜTLICH WAREN. ES WAR POTTWARM DRAUßEN UND EIN BIERKASTEN DIREKT DANEBEN. UND DANN WIRKLICH UM DREI UHR NACHTS NOCH MAL VOLL DIE FRESSALIEN HOCHGEHOLT UND DANN WEITERGESPIELT. WENN MIR JETZT JEMAND VON ‚MONKEY ISLAND’ ERZÄHLT, DANN ERINNERE ICH MICH DARAN.“ 9 Mehrfachnennungen waren erlaubt. 10 http://www.mediaculture-online.de • „ICH DENK DA IMMER GANZ SPONTAN AN DIE SCHOCKEFFEKTE. WENN DA PLÖTZLICH JEMAND HERVORGESPRUNGEN KAM UND EINEN ANGEGRIFFEN HAT, DAS HAT MAN IMMER BESONDERS INTENSIV ERLEBT UND DAS MERKT MAN SICH DANN AUCH AM LÄNGSTEN.“ • „WIE ICH DAS SPIEL ERLEBT HAB. JA, SAGEN WIR MAL SO, WIE ICH DAS SPIEL HALT FAND, OB ICH MICH GUT IN DIESEM SPIEL GEFÜHLT HABE ODER NICHT.“ Besonders einprägsam waren den Computerspielern die Gefühle, die das Spiel in ihnen auslöste. Betrachtet man in diesem Zusammenhang den theoretischen Ansatz der strukturellen Koppelung10, erscheint dies gut nachvollziehbar. Die Auswahl der Computerspiele ist davon abhängig, ob ein Spiel die Interessen, die Persönlichkeit oder die Lebenssituation des Spielers widerspiegelt oder kompensiert „– also diesen auch emotional anspricht. Da der Aspekt des emotionalen Erlebens des Spiels von großer Bedeutung ist, verbleibt er in der Regel auch am längsten im Gedächtnis. Die häufige Erwähnung der Erinnerung an die Spieloberfläche oder bestimmte Bilder verwundert nicht in Anbetracht der grafischen Darstellungsmöglichkeiten. Das Hauptelement des Computerspiels sind die Bilder, die immer aufwendiger und realistischer gestaltet sind. Eine Vielzahl der von uns Befragten sagte, dass sie Wert auf eine gute Grafik legen. Ein Beispiel aus einem Interview: • „SPIELE MIT SCHLECHTER GRAFIK SPIEL‘ ICH EIGENTLICH AUCH GAR NICHT MEHR, WEIL MAN WIRD DOCH IMMER WIEDER IM LAUFE DER ZEIT AUF EIN ANDERES NIVEAU GEBRACHT. DA KOMMT DIE SUPER-VGA-GRAFIK UND DANN HAT MAN‘S UND DANN WILL MAN DAS ALTE, DASS MAN NOCH HAT, GAR NICHT MEHR SPIELEN.“ Fast ebenso viele Computerspieler gaben an, dass auch eine gute Spielgeschichte für sie sehr wichtig sei, besonders bei Adventures. So ist es verwunderlich, dass nur drei Personen (15 %) bestätigen konnten, sich an die Spielgeschichte zu erinnern. Dieses Ergebnis legt den Schluss nahe, dass die Spielgeschichte nicht von so großer Bedeutung für das Spielerleben ist, wie die Spieler zunächst angeben. Die Funktion der Spielgeschichte ist vielmehr im Rahmen des motivationalen Einstiegs in ein Spiel zu sehen. Entscheidend ist, ob die Spielgeschichte im Sinne von primären Aufforderungsreizen Themen und Inhalte anbietet, die den Spieler ansprechen.11 10 Ausführlich dargestellt in a.a.O. [4]. 11 Neuere Ergebnisse zur Beduetung der Inhalte von Computerspielen finden sich auch bei Wittig, Esser, Ibrahim: Ein Computerspiel ist kein Fernsehfilm; auf dieser CD. 11 http://www.mediaculture-online.de 3.3 Emotionaler Transfer 3.3.1 Stimmungstransfer von der virtuellen Welt in die mentale Welt Es konnte beobachtet werden, dass Empfindungen und Gefühle, deren Ursache im Spielverlauf lagen, in die mentale Welt transferiert wurden, sodass sie Auswirkungen auf die Stimmung im Alltag nach sich zogen. Stellt sich kein Spielerfolg ein, kann dies Frustgefühle erzeugen, die nach Beendigung des Spiels in die mentale Welt übernommen werden. Ein Beispiel aus einem Interview: • „DAS KLAPPT NICHT UND DAS KLAPPT NICHT, DANN WIRD MAN ÄRGERLICH. DAS IST GENAU WIE WENN DU HUNGER HATTEST UND BESTELLST DIR `NE PIZZA UND DIE SCHMECKT EINFACH NICHT. DAS KANN DIR HALT AUCH DIE LAUNE VERDERBEN. WIE ANDERE DINGE AUCH, KANN DIR DIESES TEIL AUCH DIE LAUNE VERMIESEN.“ Aber auch positive Empfindungen aufgrund eines reibungslosen und erfolgreichen Spielablaufes wurden in die mentale Welt transferiert. Beispiele aus den Interviews: • „ICH SAG MAL, WENN MAN SEHR GUT DURCH KOMMT, IST MAN NATÜRLICH AUCH EIN BISSCHEN AUF SICH STOLZ. DAS IST KLAR. DAS IST DOCH ABER BEI JEDER SACHE, OB DU NUN IM STUDIUM GUT DURCHKOMMST ODER AUCH IM JOB... KLAR HAT MAN NICHT DIESES ÜBERWÄLTIGENDE GLÜCKSGEFÜHL, ABER DOCH IST MAN SO EIN BISSCHEN STOLZ DRAUF, DASS MAN DAS SO EINIGERMAßEN GESCHAFFT HAT.“ • „WENN MAN EIN SPIEL POSITIV BEENDET HAT, FREUT MAN SICH SCHON. UND MAN IST JA DOCH EIN BISSCHEN STOLZ AUF SICH, MUSS MAN WIRKLICH SAGEN. WEIL MAN HÖRT JA VON EINIGEN, DIE ES NOCH NICHT GESCHAFFT HABEN UND DANN DENKT MAN SICH: ‚HÄ, HÄ, ICH HAB‘S GESCHAFFT!’“ Dreizehn unserer Interviewpartner (65 %) gaben an, sowohl negative als auch positive Gefühle aus der virtuellen Welt zu transferieren. Zwei Personen bestätigten dies lediglich für negative Stimmungen, während eine Person diesen Transfer für sich nur im positiven Bereich feststellte. Von vier Personen wurde kein emotionaler Transfer in die mentale Welt beobachtet. Transfer sowohl Transfer Transfer Kein negativer als negativer positiver Transfer auch positiver Gefühle Gefühle 2 1 Gefühle Anzahl der Interviewpartner 13 12 4 http://www.mediaculture-online.de Tabelle 3: Emotionaler Transfer von der virtuellen Welt in die mentale Welt Viele der Befragten schränkten sowohl die Dauer als auch die Auswirkung, die diese Beeinflussung nach sich zieht, stark ein. Beispiele aus den Interviews: • „ALSO DER ERSTE MOMENT, WENN MAN DIE TREPPE DANN HOCHGEHT, DANN DENKT MAN DOCH: ‚MEIN GOTT, WAS HAT MAN FÜR EINEN MIST GEBAUT!’ ABER DAS BAUT SICH DANN DOCH INNERHALB VON FÜNF MINUTEN AB UND DANN, WENN MAN HIER IM HAUS DANN JEMAND ANDERS BEGEGNET, DANN IST ES SCHON VORBEI. DAS THEMA IST DANN VERGESSEN. DAS KOMMT DANN ERST WIEDER, WENN MAN SICH DAS NÄCHSTE MAL DRANSETZT UND DANN AN DER GLEICHEN STELLE WIEDER HÄNGT. ABER SONST, AUF DEN ALLTAG WIRKT SICH DAS NICHT AUS.“ • „JA KLAR, MAN IST ERST MAL ENTTÄUSCHT, DAS IST RICHTIG. ABER DAS GEHT NICHT SO, DASS ICH DANN DEN GANZEN TAG SCHLECHT DRAUF BIN UND DAS AN ANDEREN LEUTEN AUSLASSE ... ICH DENK MAL, WENN MAN SICH VERABREDET HAT ODER WENN MAN DANACH ABENDS MIT LEUTEN WEGGEHT, VERGISST MAN DAS MEISTENS. GUT, WENN MAN DANACH DEN TAG ÜBER ALLEINE IST, DANN NERVT ES SCHON. MAL ANHALTEN, ABER ...“ DANN KANN SO‘NE LAUNE AUCH SCHON • „DAS IST IMMER DIE FRAGE, WIE SPÄT MAN DAS MACHT. WENN MAN DANN AUFHÖRT UND GEHT DANN SCHLAFEN, DANN HÄLT DAS NATÜRLICH SCHON EIN BISSCHEN AN. WENN ABER FREUNDE KOMMEN, DAS IST DANN JA AUCH WIEDER ‘NE ABLENKUNG, SAG ICH MAL, DASS MAN WIEDER WAS VERNÜNFTIGES MACHT.“ „ALSO SELBST WENN ICH JETZT VOR DEM COMPUTER SITZE UND ES LÄUFT ABSOLUT GAR NICHT, ICH MEINE, DANN ÄRGERT MAN SICH, DAS IST NATÜRLICH KLAR, ABER DAS IST DANN NICHT SO, DASS ICH DANN HIER DEN GANZEN ABEND SITZE UND NUR, KANN MICH ÜBERHAUPT KEINER MEHR ANSPRECHEN UND SO.“ Die Einschränkungen dieses Transfers wurden jedoch nicht nur in Abhängigkeit vom nachfolgenden Geschehen gesehen (Ablenkung), vielmehr begründeten die Vielspieler dies auch mit der Möglichkeit des Abspeicherns. Sowohl Frust- als auch Erfolgsgefühle verlieren an Bedeutung, wenn der Spieler durch das Abspeichern die Möglichkeit hat, schwierige Situationen so oft anzugehen, bis er in der Lage ist, diese zu bewältigen. Frustrationsmomente erfahren so eine gewisse Relativierung, die die Wirkung des emotionalen Transfers abschwächt. Beispiele aus den Interviews: • „DAS KANN MAN AUCH GAR NICHT SO ÜBERBEWERTEN, WEIL MAN – ICH ZUMINDEST – DANN DOCH AUCH SCHWER FUCKELT. MAL ‘NEN SPIELSTAND ABSPEICHERN, PROBIEREN; GUT, HAT NICHT GEKLAPPT; NA GUT WIEDER VON VORN ANFANGEN. VON DAHER IST DAS SCHON NICHT HOCH ZU BEWERTEN, DAS GEWINNEN AM COMPUTER.“ • „ICH HAB ES HALT DOCH GESCHAFFT, DASS BEI DEM COMPUTER ZU SEHEN, DASS DAS SEHR UNWICHTIG IST. ABER EIN BISSCHEN FRUSTRIERT BIN ICH DANN SCHON, DASS ICH DAS DANN NICHT GESCHAFFT HAB. ABER BEI ‚DOOM’ HAB ICH JA AUCH IMMER DIE MÖGLICHKEIT DES ZWISCHENABSPEICHERNS. WIEDER EINSTEIGEN, EGAL, WAS PASSIERT.“ MAN WEIß JA, DA KANN MAN IMMER • „ABER DER VORTEIL BEI DIESEN SPIELEN IST HALT AUCH, DASS MAN ES JEDERZEIT ABSPEICHERN KANN. DAS BEEINFLUSST DAS SPIELVERHALTEN UND AUCH DAS SPIELERLEBEN SCHON EXTREM. WENN ICH MICH IN EINE RISKANTE SITUATION IM SPIEL BEGEBE UND DANN RADIKAL ABGESCHOSSEN WERDE, SAGE ICH MIR: ‚EGAL , ICH 13 http://www.mediaculture-online.de HAB JA VORHER ALLES ABGESPEICHERT’. DA BIN ICH DANN RAUS AUS DEM SPIELERLEBEN. HÄTTE ICH VERGESSEN ABZUSPEICHERN, WÄRE ICH SAUER UND MÜSSTE VON VORNE ANFANGEN. DAS BEEINFLUSST DIE EMOTIONEN SCHON EIN BISSCHEN (...)“ „IST DAS ABSICHERN AUCH SO EIN ‚HINTERTÜRCHEN’ IN DER REALITÄT? „JA, GENAU. DAS MACHT VIEL MIT DEM SPIEL. DAS VERHINDERT SO AUCH DIESEN GROßEN FRUST.“ Abschließend möchten wir noch ergänzen, dass wir gerade bei Fragen zu diesem Bereich häufig den Eindruck hatten, dass unsere Interviewpartner Antworten zurückgehalten bzw. abgemildert haben, um den Eindruck zu erwecken, nicht so stark durch das Computerspielen beeinflusst zu werden. Dieser Eindruck entstand durch häufige Widersprüche in den Antworten und durch eine nervöse Gestik und Mimik. 3.3.2 Stimmungstransfer von der mentalen Welt in die virtuelle Welt Einige der Befragten berichteten auch von einem Transferprozess von der mentalen Welt in die virtuelle Welt. Sie beschrieben Situationen, in denen sie den Computer anschalteten, um Gefühle wie Wut, Frust, Enttäuschung und Trauer, die sie in den verschiedensten Situationen entwickelt hatten, in die virtuelle Welt zu übertragen und dort abzureagieren. Beispiele aus den Interviews: • „ACH JA, DAS IST... MANCHMAL MACHT MAN DAS... DAS IST INTERESSANT: MAN KANN SEHR GUT ABSCHALTEN DAMIT. ABER DAS IST WIRKLICH NUR FÜR DIESE SPANNE; ALSO ICH BIN EINE ZEITLANG – VOR CIRCA EINEM JAHR – EXTREM DEPRIMIERT GEWESEN, SEHR SCHLECHT DRAUF. DA BIN ICH IRGENDWANN DAHINTER GEKOMMEN, DASS ICH DAS JA MAL VERSUCHEN KÖNNTE. ES GING MIR JA WIRKLICH GANZ MISERABEL. ALSO MEINE FREUNDIN HATTE MICH VERLASSEN UND DAS WAR JA SEHR SCHLIMM FÜR MICH UND DA BIN ICH AUF DIE IDEE GEKOMMEN, DAS MAL ZU PROBIEREN. UND ES WIRKTE ALSO HERVORRAGEND ...“ • „DIE ANDERE MÖGLICHKEIT IST MEISTENS IRGENDWIE, WENN MAN FRUSTRIERT IST ODER BEI DER ARBEIT NICHT WEITERKOMMT. DANN IST DAS VIELLEICHT SO DIE BESTE MÖGLICHKEIT, SICH ABZUREAGIEREN ...“ • „MACHEN WIR ES ANDERS: LANGER SAMSTAG IN DER CITY UND AM BESTEN NOCH EINER DER VORWEIHNACHTSTAGE. WO ICH IMMER SO DIESES GEFÜHL HATTE, WER SICH HIER JETZT NICHT VORSTELLT, EINE WAFFE ZU HABEN UND AMOK ZU LAUFEN, DASS DER EIGENTLICH SCHON EHER KRANK SEIN MÜSSTE. NEIN, WO ICH GEMERKT HABE, ES GIBT EINFACH BESTIMMTE SACHEN, DIE MICH AGGRESSIV MACHEN. WO ICH AUCH WEIß, ICH ÜBERSCHREITE DIESE GRENZE NICHT. ODER ICH FANGE JETZT AUCH NICHT AN, IN DER INNENSTADT RUMZUPÖBELN ODER MIR DEN WEG FREI ZU BOXEN, NEIN. UND DAS IST DANN SO ‘NE MÖGLICHKEIT, DIE MAN DANN AUF EINMAL HAT BEIM COMPUTER ODER IN DIESEN VIRTUELLEN WELTEN. UND DA AUCH MAL ZU SAGEN: ‚SCHEIß EGAL, LAUF AMOK!’“ Verläuft dieser Transfer erfolgreich und es gelingt dem Spieler, seine negativen Gefühle durch einen erfolgreichen Spielverlauf zu kompensieren, bedingt dies wiederum einen Transfer von der virtuellen in die mentale Welt. Die positive Stimmung aufgrund des Erfolgserlebnisses hat Einfluss auf die gefühlsmäßige Verfassung. Aber auch wenn es 14 http://www.mediaculture-online.de dem Spieler nicht gelingt, seine negativen Gefühle abzureagieren, kann es zu einem Transfer von der virtuellen in die mentale Welt kommen. Ein Beispiel aus den Interviews: • „ABER WENN ICH SO RICHTIG MIES DRAUF BIN UND SAGE MIR, ICH BALLERE JETZT DA EIN BISSCHEN RUM, AUCH UM DA EIN PAAR AGGRESSIONEN REINZULEGEN UND WAS SCHÖNES RAUSZUHOLEN, UND DANN KOMMT EINFACH NICHTS... DAS FINDE ICH DANN NOCH SCHLIMMER. DAS KANN MEINE SCHLECHTE STIMMUNG DANN NOCH STEIGERN.“ 3.3.3 Anspannungstransfer von der virtuellen Welt in die mentale Welt Viele Bildschirmspiele sind gekennzeichnet von einer dichten Impulsfolge und verlangen stets die volle Aufmerksamkeit der Spieler. Die Spieler sind dann ausschließlich auf das Spiel konzentriert. Es entstehen Anspannungsgefühle aus dem Wunsch heraus, die Anforderungen des Spiels erfolgreich bewältigen können. Bei der Frage nach dem Anspannungstransfer interessierte uns, ob die Spieler nach solchen einnehmenden Spielphasen auch nach der Beendigung des Spiels noch Anspannungsgefühle verspüren. Gelang es den Computerspielern mit der virtuellen Welt zu verschmelzen – in die Spielrealität einzutauchen - berichteten sieben unserer Interviewpersonen (35 %), dass es ihnen nach der Beendigung des Spiels schwer fiel, vollkommen von diesem abzuschalten. Wurde die Aufmerksamkeit nicht auf andere Bereiche gelenkt, beschäftigten sich die Befragten weiterhin mit dem Spiel und mit prägnanten Bildern. Beispiele aus den Interviews: • „ABER ICH BIN SCHON, ALSO, DAS MERKT MAN AUCH, WENN ICH DANN AUFHÖRE ZU SPIELEN, DASS ICH DANN ABENDS IM BETT NOCH WEITERSPIELE ... ALSO WENN ICH SO NACHMITTAGS ODER SO SPIELE, DANN IST DAS KEIN PROBLEM. ABER WENN ICH KURZ VOR DEM ZUBETTGEHEN HALT SPIELE, DANN HALT ABENDS, DANN VOR DEM EINSCHLAFEN, DANN SEHE ICH HALT DIE BILDER, WENN ICH DIE AUGEN ZUMACHE, SOFORT DIE BILDER VOM GANZEN COMPUTERSPIEL VOR MIR. ICH BAUE DANN IMMER WEITER STÄDTE ODER SO.“ • „JA, IRGENDWIE MERK ICH DANN AUCH, WENN ICH DANN ANSCHLIEßEND INS BETT GEHE, HABE ICH ERST MAL MIT DEN AUGEN SO EIN BISSCHEN FLIMMERN UND DANN IST DA AUCH NOCH DAS GANZE SPIEL SO WIE EINGEBRANNT IN MEIN INNERES AUGE SOZUSAGEN. DAS FLIMMERT DANN NOCH EINE GANZE WEILE SO VOR MIR HER. WENN MAN DANN SO LANG DRAN GESESSEN HAT, BRAUCHT MAN WIRKLICH ERST MAL WIEDER EINE GANZE WEILE, UM DANN WIEDER ABZUSCHALTEN.“ • „WENN MAN VOR DEM ZUBETTGEHEN COMPUTER SPIELT, DANN KANN MAN NICHT ABSCHALTEN UND DANN SPIELT MAN WEITER, SPIELT MAN WEITER, SPIELT MAN WEITER ... UND WENN‘S SCHLIMM IST, KANN MAN NICHT EINSCHLAFEN UND WENN‘S GUT IST, SCHLÄFT MAN EIN UND TRÄUMT DAVON ...“ 15 http://www.mediaculture-online.de Die Anspannung, die die Spieler während des Spiels empfanden, wurde von einigen auch über die Spielphase hinaus erlebt. Wir fragten nach der Intensität und der Dauer des Anspannungsgefühls. Beispiele aus den Interviews: • „DAS HÄNGT NATÜRLICH AUCH WIEDER DAVON AB, WIE SCHWIERIG DAS GEWESEN IST, NICH. WENN‘S SEHR SCHWER WAR, DANN HÄLT ES SCHON AN, JA. DAS IST JA DANN DIE SACHE, WO ICH MICH DANN IM NACHHINEIN FRAGE, OB DAS JETZT WIRKLICH ‘NE ERHOLUNG WAR ... SAG ICH MAL, WENN ICH AN DEM ABEND DANN NICHTS ZU TUN HABE, NICH, JA, DANN LESE ICH EINFACH IRGENDWAS ODER ICH SETZE MICH EINFACH HIN UND HÖRE MUSIK. DANN GEHT DAS SCHON NOCH RECHT SCHNELL VORBEI.“ • „WIE LANGE DAS DANN ANHÄLT, IST IMMER ABHÄNGIG VON DEM, WAS MIR DANACH PASSIERT. ALSO WENN ICH MICH DANACH AUF‘S BETT LEG UND MUSIK HÖRE, KANN ICH DAS BESSER ABBAUEN, ALS WENN ICH DANACH IN EINE STRESSSITUATION KOMME.“ Emotionale Transfers im Allgemeinen stellen sich, unabhängig vom Genre, sehr häufig ein. Die Dauer dieser Art von Transfers beschränkt sich auf einen sehr kurzen Zeitraum. Interessant ist auch, dass die Vielspieler betonten, der Verlauf der Computerspiele sei für ihre gefühlsmäßige Verfassung bei weitem nicht so relevant wie andere Dinge in ihrem Lebensalltag. Beispiele aus den Interviews: • „ICH WÜRD‘ SAGEN, NUR SEHR BEGRENZT. WENN ICH JETZT MAL VERGLEICHE, SAGEN WIR MAL EIN ERFOLGSERLEBNIS BEIM SPORT ODER AUCH AN DER UNI, IST MIR DA BEDEUTEND MEHR WERT. DIE BEEINFLUSSUNG DURCHS COMPUTERSPIEL IST DA WIEDER NUR SEHR KURZFRISTIG.“ • „ALSO MEIN SELBSTWERTGEFÜHL HABE ICH NIE DARAUS GEZOGEN. ICH HABE JA ANDERE DINGE, DIE VIEL WICHTIGER SIND.“ Interessant wäre es zu untersuchen, wie der emotionale Transfer bei Kindern und Jugendlichen verläuft, da diese eventuell stärker nach Selbstbestätigung im Computerspiel suchen und dadurch emotional intensiver eingebunden sind. 3.4 Ethisch-moralischer Transfer Die in der virtuellen Welt vorherrschenden ethisch-moralischen Prinzipien stehen häufig im Gegensatz zu denen der realen Welt. Betrachtet man diverse Action-, Shooting- und Fight-Spiele, stellt man fest, dass deren oberste Divise ist, möglichst schnell, möglichst viele, wie auch immer geartete Gegner auszuschalten. Die Rollen von Gut und Böse sind stets eindeutig zugewiesen und die einzige Form der Konfliktbewältigung ist, den Gegner zu töten. Häufig existiert nicht die Möglichkeit, mit dem Gegner Kontakt aufzunehmen und 16 http://www.mediaculture-online.de mit diesem zu verhandeln. Der alleinige Weg zum Sieg besteht darin, alles, was einem im Wege steht, auszulöschen. Seitdem es diese Art von Spielen gibt, beschäftigt sich die Forschung mit der Frage, ob und wenn ja, inwieweit durch den Aufenthalt in einer derartigen virtuellen Welt eine Beeinflussung des Denkens und Handelns in der Realität möglich ist. Dabei konnte jedoch nicht eindeutig geklärt werden, ob es beispielsweise einen Zusammenhang zwischen aggressiven Computerspielen und aggressivem Verhalten in der Realität gibt. Hier lassen sich die Ergebnisse empirischer Studien in vier theoretischen Richtungen einordnen und zwar in 1. die Stimulationstheorie, die von einer Förderung von Aggressionsbereitschaft durch Computerspiele ausgeht, 2. die Inhibitionstheorie, die sagt, Gewaltdarstellung in Computerspielen erzeuge Angst und hemme so die Bereitschaft zu eigenen Gewaltausübungen, 3. die Habitualisierungstheorie, die den Gewaltszenen eine abstumpfende Wirkung zuschreibt und damit eine Gewöhnung des Individuums an Gewalt verursache, 4. die Katharsistheorie, die in der Beobachtung aggressiver Handlungen eine Möglichkeit zum Spannungsabbau und damit eine Minderung von Aggressivität sieht.12 Keine dieser Theorien konnte allerdings bisher eindeutig bestätigt werden. Aus diesem Grund hat uns die Frage beschäftigt, ob die von uns befragten Vielspieler eine Beeinflussung ihrer Wertorientierung festgestellt haben. Alle Befragten verneinten diese Frage. Drei Personen (15 %) gaben an, dass für sie in der virtuellen Welt die selben Wertmaßstäbe gelten wie in der realen Welt. Aufgrund dessen spielten diese Personen keine Spiele, die gegen ihre ethisch-moralischen Prinzipien verstoßen. Beispiele aus den Interviews: • „JA, KRIEGSSPIELE Z.B., JA, KRIEGSSPIELE, DIE LEHNE ICH EIGENTLICH TOTAL AB.“ • „ICH SPIELE JA AUCH AM COMPUTER NICHT GERNE BALLERSPIELE UND ICH LEHNE AUCH IN DER REALEN WELT AGGRESSIVITÄT AB. ANDERERSEITS FINDE ICH, DASS MAN ALLE REALEN KRIEGE AM COMPUTER AUSFÜHREN SOLLTE. DANN GEWINNT DER, DER DEN BESSEREN TAKTISCHEN ZUG MACHT. SO IST DAS BEI EINEM RICHTIGEN KRIEG AUF DEM SCHLACHTFELD JA AUCH, NUR DASS DA NOCH TAUSENDE MENSCHEN STERBEN MÜSSEN.“ Dagegen erläuterten siebzehn Personen (85 %), dass sie unterschiedliche und getrennte Moral- und Wertvorstellungen bezüglich der virtuellen Welt und der realen Welt besitzen und deshalb keine Gefahr der Beeinflussung ihrer persönlichen Wertorientierung durch die virtuelle Welt sehen. Dennoch existierten für einige dieser Spieler auch in der virtuellen Welt ethisch-moralische Grenzen, die diese nicht überschreiten mochten. Beispiele aus den Interviews: 12 Fritz, Jürgen (1995): Warum Computerspiele faszinieren. Empirische Annäherung an Nutzung und Wirkung von Bildschirmspielen, 13. Weinheim und München: Juventa. 17 http://www.mediaculture-online.de • „WENN ICH Z.B. PER MAUSKLICK IRGENDEINE FRAU VERGEWALTIGEN WÜRDE, DAS WÜRD‘ ICH NICHT SPIELEN. ODER WENN ICH DURCH DIE SPIELFIGUR IN DIE ROLLE EINES NAZIS GEDRÄNGT WERDEN SOLL ODER IRGENDWELCHE RASSISTISCHEN TENDENZEN NACHSPIELE, WÜRDE ICH’S LASSEN.“ • „UND ANSONSTEN SO WAS ABSCHRECKENDES, DAS SIND AUCH SO RECHTSEXTREME SACHEN, SO RECHTSEXTREME, GEWALTTÄTIGE SACHEN. DAS SPIELE ICH AUCH NICHT.“ • „JA, GUT, SO UNHEIMLICH BLUTRÜNSTIGE SPIELE MÜSSEN ES NICHT UNBEDINGT SEIN. ODER, WAS ES HALT AUCH GIBT, WAS WEIß ICH, ERST KAUFEN.“ RECHTSEXTREMISTISCHES ODER SO WAS. ALSO SO WAS WÜRDE ICH MIR AUCH GAR NICHT Andere ziehen ihre Grenzen weiter. Ein Beispiel aus einem Interview: • „ALSO, ÄHM... ETHISCH-MORALISCHE BEDENKEN HAB ICH BEI KEINEM EINZIGEN SPIEL, SAG ICH JETZT MAL. ALSO ICH SAG’S JETZT MAL GANZ KRASS, WENN ICH IN EINEM SPIEL EIN NAZI WÄRE, DER JUDEN ERSCHIEßT, DANN WÄR MIR DAS VOLLKOMMEN EGAL; WEIL ICH BIN KEIN NAZI. WENN ICH WÜSSTE, DASS ICH MIT DEM SPIEL EINE NEONAZISTISCHE ORGANISATION UNTERSTÜTZE, INDEM ICH DAS ERWERBE, WÜRDE ICH ES NICHT SPIELEN.“ Viele der Befragten erwähnten, dass sie das Geschehen in der virtuellen Welt so weit abstrahieren, dass sie keine Verbindung zur realen Welt herstellen können. Aus diesem Grund schlossen sie einen ethisch-moralischen Transfer bei sich aus. Das Agieren am Computer wird in solchen Fällen durch eine Rahmungshandlung13 ausschließlich der virtuellen Welt zugeordnet, ohne dies in Beziehung zur realen Welt zu setzen. Beispiele aus den Interviews: • „ICH HAB AUCH SPIELE GESPIELT, WO MAN MIT EINEM KLEINEN MÄNNCHEN IM FLUGZEUG BOMBEN ÜBER EINEM LANDSTRICH ABGEWORFEN HAT UND AUCH ANDERE KLEINE MÄNNCHEN IN FLIEGERN BOMBARDIERT HAT. ABER IRGENDWIE HAB ICH DA NIE EINEN BEZUG ZUR REALITÄT HERGESTELLT. ICH DENKE SCHON, DASS ICH DAS EINFACH GETRENNT SEHEN KANN. ABER ICH SEH’ DA TROTZDEM NOCH EINE GEFAHR; BESONDERS BEI SPIELEN WIE ‚DOOM’, WO ALLES ZIEMLICH DICHT AN DER REALITÄT IST VON DER DARSTELLUNG HER, Z.B. AUCH DURCH DIE PERSPEKTIVE, WO DU DEINE HAND SIEHST MIT DER JEWEILIGEN WAFFE UND SO. ABER ICH EMPFINDE DA IMMER NOCH, DASS ICH’S MIT DER MAUS MACHE UND DASS ICH SITZE. ICH SPÜRE HALT NICHT, DASS ICH GEHE ODER AUßER ATEM BIN ODER VERLETZT BIN. WAS MICH DA FASZINIERT, IST DIE REAKTION, DIE EINEM IN SO ‘NEM SPIEL ABVERLANGT WIRD; DIE ICH AUCH VON MIR ABVERLANGEN ODER TRAINIEREN MÖCHTE. DAS KÖNNTE AUCH DURCH SPIELE PASSIEREN, DA KÖNNTE AUCH AUF TONTAUBEN ODER SO GESCHOSSEN WERDEN. DAS BEWEGTE ZIEL LÖST DEN REIZ AUS, SEINE REAKTIONSFÄHIGKEIT FÖRDERN ZU WOLLEN.“ • „ICH ABSTRAHIERE DAS EINFACH SOWEIT, OB DAS NUN MÄNNEKEN SIND ODER SO... ICH FIND DAS SO ALBERN, DASS ES ALSO SPIELE GIBT, WO DIE ROBOTER NEHMEN STATT MENSCHEN FÜR DEN DEUTSCHEN MARKT.“ Zwar schlossen alle Personen eine Beeinflussung ihrer persönlichen Moralvorstellungen aus, gleichzeitig wiesen sie jedoch darauf hin, dass sie eine Gefährdung anderer Personen – insbesondere jüngerer Personen - durchaus für möglich halten. Beispiele aus den Interviews: 13 Ausführlich dargestellt in a.a.O. [4]. 18 http://www.mediaculture-online.de • „JA, ICH WÜRD‘ SCHON SAGEN, DASS ICH SOWEIT VERNÜNFTIG SCHON BIN. ABER ICH DENK MAL, DAS HÄNGT AUCH EIN BISSCHEN MIT MEINEM ALTER ZUSAMMEN. ICH DENK‘ MAL, DASS JÜNGERE EHER EIN PROBLEM HABEN. ZEHN-, ZWÖLFJÄHRIGE. ABER DAS IST DANN AUCH DIE AUFSICHTSPFLICHT DER ELTERN, DAFÜR ZU SORGEN, DASS DANN Z.B. NICHT ‚DOOM‘ GESPIELT WIRD ODER SO WAS. DA GIBT‘S DOCH AUCH GENÜGEND KINDERPROGRAMME.“ • „ALSO DA HABE ICH GAR KEINE BEDENKEN FÜR MICH; FÜR ANDERE SCHON. ALSO ICH SAG JA: LABILE, JUGENDLICHE UND SO SOLLTE MAN DIE SPIELE ÜBERHAUPT NICHT SPIELEN LASSEN.“ Bereits durch andere Untersuchungen mit Vielspielern wurde bestätigt, dass die Spieler ein Gefährdungspotential in Computerspielen vermuten, wobei sie sich selbst davon nicht betroffen sehen. Insgesamt fällt auf, dass die Spieler sich selbst zutrauen mit Problemen, die von den Computerspielen ihrer Meinung nach ausgehen, umgehen zu können, jüngeren Spielern wird diese ‚Fähigkeit‘ nicht zugetraut oder zumindest angezweifelt. (...) Ob die von den Vielspielern geäußerten Bedenken, wirklich so von ihrer Person getrennt werden können, wie sie behaupten, ist zumindest fraglich. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Spieler z.B. zum Schutz - als Rechtfertigung ihrer eigenen Spielweise - andere Personen vorschoben oder ob sie in ihrer Vergangenheit selbst Spiele gespielt haben, die sie bis heute bedenklich ansehen. (...) Es ist aber davon auszugehen, dass die Vielspieler selber gewisse Probleme bei dem Umgang mit Computerspielen bei sich erkannt haben und nicht sicher sind, ob und wie - gerade jüngere Spieler damit umgehen können.14 Das Phänomen der Annahme, dass dritte Personen generell stärker beeinflussbar seien als man selbst, ist in der Kommunikationsforschung unter dem Begriff „third person effect“ bekannt. Demnach tendieren Befragte allgemein dazu, die Wirkung von Medien auf ihr eigenes Verhalten eher hinunterzuspielen. 3.5 Instrumentell-handlungsorientierter Transfer Im Gegensatz zu anderen Medien bietet das Computerspiel seinen Nutzern die Möglichkeit, selbst aktiv in das Geschehen einzugreifen. Indem der Spieler die Maus oder den Joystick bewegt oder Eingaben über die Tastatur macht, nimmt er Einfluss auf die virtuelle Welt. Er kann Gegenstände und Spielfiguren bewegen, bzw. Spielelemente zum Beispiel auch durch Auswahlmenüs verändern. Handlungsmuster, die der Spieler so ausführt, können auch in andere Welten übernommen werden. Sieben der von uns befragten Computerspieler (35 %) gaben an, schon einmal Handlungsmuster aus der virtuellen Welt in andere Welten übertragen zu haben. 14 Kaufmann, Markus (1995): Bedeutung von Computerspielen für Vielspieler, 69f. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der FH Köln, Fachbereich Sozialpädagogik. Köln. 19 http://www.mediaculture-online.de 3.5.1 Transfer von der virtuellen Welt in die reale Welt Auf unsere Frage, inwieweit Handlungsmuster in die reale Welt übernommen worden sind, wurden wir häufig darauf hingewiesen, dass dies aufgrund der speziellen Thematik der einzelnen Spiele gar nicht möglich ist. Beispiele aus den Interviews: • „ACH HERRJE! NEE, WEIL DIESE SPIELCHEN, DA MUSS MAN JA VON BILDCHEN ZU BILDCHEN ANDERS VORGEHEN. ABER DAS JETZT AUF DIE REALE WELT RÜBERZUZIEHEN... IN DER REALEN WELT DA BIN ICH JA KEIN SCHWARZKOPF DER DA IM GOLFKRIEG IRGENDWAS MACHT, SONDERN ICH BIN JA NUR STUDENT, DER SEINE KLAUSUREN SCHAFFEN WILL. VON DAHER IST DAS JA ÜBERHAUPT NICHT VERGLEICHBAR.“ • „NICHTS, NEIN. WEIL ES WAR JA IN DIESEM MYSTISCHEN ANGESIEDELT UND ... NEIN, TUT MIR LEID, ICH KANN KEINE GIFTBEUTEL SCHLEUDERN.“ Ein instrumentell-handlungsorientierter Transfer in die Realität scheint in Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen virtuellen Welt nicht möglich zu sein. Mit zunehmender Abstraktionstiefe kann es aber dennoch auch hier zu solchen Übertragungsprozessen kommen. Andere Befragte hielten den Transfer in die Realität deshalb nicht für wahrscheinlich, weil bestimmte virtuelle Handlungsmuster im Widerspruch zu den in der Realität herrschenden ethischen Prinzipien stehen. Beispiel aus den Interviews: • „NEE, KANN ICH MIR NICHT VORSTELLEN. KANN ICH AUCH NICHT GLAUBEN, WENN DIE LEUTE ERZÄHLEN, DASS DANN, NUR WEIL EINER AM COMPUTER, WAS WEIß ICH, ‚DOOM‘ SPIELT, HABT IHR VIELLEICHT SCHON GEHÖRT, ALSO DIESE SPIELCHEN MIT DER KETTENSÄGE UND SO, DASS DER SICH DANN ECHT, WENN ER ‘NE KETTENSÄGE FINDET, DAMIT RUMRENNT UND LEUTE ZERSÄGT. ALSO DAS FINDE ICH TOTALEN BLÖDSINN.“ Im Gegensatz dazu bieten Sportspiele – besonders beliebt sind Basketball-Simulationen – leichter die Möglichkeit, Handlungsmuster auf die reale Welt zu übertragen. Sportsimulationen bilden einen bekannten Aspekt des realen Lebens und weisen somit klare Parallelen zur realen Sportwelt auf. Beispiele aus den Interviews: • „JA, VON DER NBA. EINEN SPIELZUG, DEN FAND ICH ABSOLUT GUT AM COMPUTER. DA HAB ICH DANN MAL AUSPROBIERT, DAS SELBER ZU MACHEN ALS ICH MAL RICHTIG GESPIELT HAB. DAS WAR SO EINE BESTIMMTE ART, EINEN GEGENSPIELER ZU UMGEHEN. DIE ZEIGEN BEI DEN BASKETBALLSPIELEN IMMER RICHTIG GUTE DEMOS VON DER NBA.“ • „DA SIND JA IMMER BEIM BASKETBALL... DA WIRD JA MITTLERWEILE DURCH STIMMEN ALLES MÖGLICH GEMACHT. WENN MAN SPEZIELLE WÜRFE MACHT, DANN SCHREIEN DIE AUCH SO UND WENN MAN DANN MAL DRAUßEN SPIELT, DANN MERKT MAN AUCH AN DER GANZEN RUNDE, DASS DAS DOCH ALLES BEEINFLUSST. WENN MAN DANN SO 20 http://www.mediaculture-online.de EINEN WURF MACHT, DANN MACHT MAN DIE STIMME NACH. IMMER, WER WELCHES SPIEL ZU HAUSE SPIELT.“ ALSO DAS KOMMT DOCH VOR ... NACHHER WEIß ICH Es werden jedoch nicht nur Handlungsmuster übernommen, die der spezifischen Thematik des Spiels entspringen, sondern auch die generelle instrumentelle Handlungsweise im Umgang mit dem Computer auf die Realität ist übertragbar. Beispiele aus den Interviews: • „ODER MAN HAT EINEN KNOPF GESEHEN, WO ICH DANN SOFORT DACHTE ‚ANKLICKEN‘. DAS WAREN DIE SACHEN, DIE EINEN DARAUS VERFOLGT HABEN ... ICH SAG ‘ JA, ICH HAB‘ SO ELEMENTE VON ‚DUNGEON MASTER‘ ÜBERNOMMEN. ODER HAB‘ IN DER REALITÄT SACHEN GESEHEN UND HATTE SO DIESES GEFÜHL‚ ETWAS ANKLICKEN ZU MÜSSEN‘.“ • „DAS IST MIR NUR MAL, JA, IN DER REALITÄT PASSIERT, DAS STIMMT. DA BIN ICH AN SO ‘NER MAUER VORBEIGEGANGEN, DIE AUCH GENAU MIT SO, MIT SO BACKSTEINEN AUFGETEILT WAR. UND ICH HATTE WIRKLICH NUR GANZ KURZ DIESEN EFFEKT: ‚KLICK DOCH MAL DEN STEIN DA AN, DER IST LOSE, DA IST BESTIMMT WAS HINTER!‘ ICH MEINE, MIR WAR DANN AUCH SOFORT BEWUSST, DASS ICH DIESEN STEIN NICHT ANKLICKEN KANN, ABER DAS ... DANN JA.“ • „ICH HAB DAS WOHL, DASS ICH WAS ÜBERTRAGE VOM SPIEL AUF DIE REALITÄT. DAS IST MIR PASSIERT – ICH KANN MICH LEIDER NICHT MEHR DARAN ERINNERN, WAS DAS FÜR EIN SPIEL WAR – DASS ICH HALT KURZ MAL DAS GEFÜHL HATTE, ICH KÖNNTE AUCH IN DER REALEN WELT SO EINE MAUSMACHT ODER SO WAS AUSÜBEN, STIMMT. ABER DANN HAB ICH MICH DARÜBER AMÜSIERT. DAS WAR TOTAL LUSTIG.“ • „JOA, MIT IN DEN ALLTAG. DA IST ES GERADE Z.B. SO, DASS DU JETZT Z.B. BEIM SCHALTEN DANN DEN FEUERKNOPF SUCHST AUF DEM SCHALTKNÜPPEL, WENN DIR DANN DER VORDERMANN AUF DEN GEIST GEHT (LACHT). DAS KOMMT DANN SCHON MAL VOR, ABER ... SO WAS EIGENTLICH WENIGER.“ Ein instrumentell-handlungsorientierter Transfer bezogen auf den Bereich des Autofahrens verwundert nicht, erscheint doch die Perspektive auf die reale Welt aus dem Auto heraus wie eine „Bildschirmwelt“. Wie bei einem Computerspiel sind wir durch eine Scheibe von dieser Welt getrennt und können immer nur einen kleinen Ausschnitt von ihr sehen. Die Kontaktaufnahme zu der „Welt hinter der Scheibe“ ist nicht unmittelbar und direkt körperlich möglich, sondern nur durch Zuhilfenahme bestimmter Geräte: was in der virtuellen Welt über den Joystick (die Maus oder die Tastatur) geschieht, wird beim Auto fahren über den Schaltknüppel, das Lenkrad und die Pedale geregelt.15 3.5.2 Transfer von der virtuellen Welt in die mediale Welt Aufgrund des Bildschirms besteht eine große Ähnlichkeit zwischen dem Medium Computer und dem Medium Fernsehen. Sowohl die virtuelle als auch die mediale Welt entfaltet sich durch die Bilder, die auf dem Bildschirm erscheinen. Gerade diese 15 Die Ähnlichkeit zwischen Fahrsimulation und realem Autofahren hat heutzutage noch mehr zugenommen, da eine Vielzahl der Fahrsimulationen mit Hilfe von nachempfundenen Lenkrädern und Pedalen gesteuert werden können. 21 http://www.mediaculture-online.de Übereinstimmung ermöglicht leicht einen Transfer der instrumentellen Handlungsweise aus der virtuellen Welt in die mediale Welt. Beispiele aus den Interviews: • „SO GENAU KANN ICH DAS JETZT NICHT MEHR SAGEN, ABER DAS WAR IRGENDEIN SPIELFILM, WO ICH EINE PERSON ANKLICKEN WOLLTE.“ • „DAS KANN ICH JETZT EIGENTLICH NICHT SAGEN, OBWOHL... ICH HAB MAL EINEN FILM GESEHEN, DER HATTE SCHON ANGEFANGEN ALS ICH ZUGESCHALTET HATTE. DA HABEN SICH ZWEI MÄNNER GEPRÜGELT UND ICH WUSSTE GAR NICHT WORUM‘S GING. DER EINE HAT DEN ANDEREN DANN RICHTIG ZUR TÜR RAUSGEPRÜGELT UND DER ANDERE HATTE DIE NASE BLUTIG. ICH WUSSTE EIGENTLICH GAR NICHT, FÜR WEN ICH PARTEI ERGREIFEN SOLLTE, ABER ICH WOLLTE DA IRGENDWO ANKLICKEN UND DAS NOCH MAL MACHEN. ICH DACHTE, DAS HÄTTE MAN AUCH ANDERS MACHEN KÖNNEN. ICH FAND DAS ECHT WAHNSINN ... DAS GIBT‘S DOCH NICHT.“ Auffällig ist, dass das Auftreten instrumentell-handlungsorientierter Transfers in der realen und der medialen Welt bestimmte Reaktionen und Empfindungen hervorruft. Wird der Person bewusst, dass sie eine Handlungsweise oder ein Handlungsmuster von der virtuellen Welt übernommen hat, so empfindet sie selbst dies als unpassend, seltsam oder belustigend. Das Gehirn hat bestimmte Muster entwickelt, wie es mit Reizeindrücken aus den verschiedenen Welten umgeht. Werden virtuelle Muster in unangemessener Weise auf die Realität übertragen und von einer Kontrollinstanz des Gehirns erkannt, so kommt es zu den beschriebenen Reaktionen auf diesen Transferprozess. Beispiele aus den Interviews: • „ABER DANN HAB ICH MICH DARÜBER AMÜSIERT. DAS WAR TOTAL LUSTIG.“ • „ICH FAND DAS ECHT WAHNSINN... DAS GIBT‘S DOCH NICHT.“ Diese Reaktionen können dadurch erklärt werden, dass es für den Menschen sehr wichtig ist zu wissen, in welcher Welt er sich befindet und wie er zu handeln hat. Kommt es zu Übertragungen oder Verwechslungen innerhalb des Zuweisungssystems von Handlungsmustern zu bestimmten Welten, kann dies dann als belustigend empfunden werden, solange der Person dadurch keine Gefahren drohen. Werden jedoch beispielsweise die Handlungsmuster eines Formel-Eins-Simulationsspiels übernommen und auf ein Überholmanöver auf einer realen Autobahn übertragen, kann dies unter Umständen einige Risikos in sich bergen. Ein Beispiel aus einem Interview: 22 http://www.mediaculture-online.de • „ICH HABE MAL SO EIN AUTORENNEN GESPIELT, DAS WAR AUCH RELATIV REALISTISCH UND... JA, DANN MUSSTE ICH SOFORT AUTOFAHREN. UND DA HABE ICH NOCH GEMERKT: ‚MOMENT, IRGENDWIE LÄUFT HIER WAS FALSCH!’, WEIL ICH DACHTE, ICH BIN NOCH IN DEM SPIEL DRIN. ICH HABE DAS IRGENDWIE NICHT, ALSO DIE SITUATION AUTOFAHREN NICHT RICHTIG WAHRGENOMMEN.“ 3.6 Assoziativer Transfer Der assoziative Transfer ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Reizeindrücke in der realen Welt spontan mit Bildern, Geräuschen oder Situationen der virtuellen Welt verbinden. Insgesamt gaben dreizehn der Interviewpartner (65 %) an, dass sich bei ihnen bereits solche Assoziationen eingestellt haben. Interviewpersonen in % Anzahl der Interviewpersonen Assoziativer Transfer allgemein 65 13 Bilder werden assoziiert 45 9 assoziiert 35 7 Situatione werden assoziiert 35 7 Geräusche werden Tabelle 416: Assoziativer Transfer In einigen Fällen erlebt der Computerspieler Situationen als bekannt – ähnlich dem Déjàvu-Effekt – ohne sie bestimmten Computerspielen zuordnen zu können. Beispiele aus den Interviews: • „MAN DENKT ÖFTER: ‚DAS KENNST DU DOCH IRGENDWOHER!‘ UND MAN KOMMT ZUNÄCHST GAR NICHT DRAUF, DASS DAS MAL IN EINEM SPIEL SO WAR.“ • „JA, MANCHMAL. TEILWEISE WAREN DANN PLÖTZLICH SOLCHE BILDER DA, UND ICH WUSSTE GAR NICHT SO RECHT, WO ES HER KOMMT.“ Andere Interviewpartner dagegen wurden durch bestimmte Bilder und Situationen ganz konkret an einzelne Spielsequenzen oder Bilder aus Computerspielen erinnert. Beispiele aus den Interviews: • „ALSO GUT, ICH WAR IM SOMMER IN DEN USA AUF DEM GRÖßTEN UND MODERNSTEN KRIEGSCHIFF DER WELT (LACHEN). WIR WAREN IN SAN FRANCISCO UND DIE LAGEN ZUFÄLLIG DA UND DA HABEN WIR ES GESCHAFFT, ES BESUCHEN ZU KÖNNEN. UND ES WAR SCHON IRGENDWIE KOMISCH, WEIL ICH HAB HIER SO EIN SPIEL, DAS HALT EINS VON DEN SCHIFFEN SIMULIERT UND ÄHH... WENN MAN DANN PLÖTZLICH IN DEM KOMMANDO-CENTER STEHT 16 Mehrfachnennungen waren erlaubt. 23 http://www.mediaculture-online.de UND VOM AUSSEHEN IST DAS DANN GENAUSO. GANZ GUTE INFORMATIONEN!‘“ DA HAB ICH DANN ZUMINDEST GEDACHT: ‚OH JA, DER HATTE JA • „DIESES SPIEL LIEF DIE GANZE ZEIT IMMER IM KELLERGEWÖLBE AB. MAN HAT IMMER NUR DIESES MAUERWERK GESEHEN UND ES WAR DANN TOTAL OFT, WENN ICH DANN AN MAUERN ODER AN GROßEN GEBÄUDEN - WIE JETZT DER KÖLNER DOM MIT DIESEM GRAUEN STEIN - DARAN VORBEI GEGANGEN BIN... ICH HAB DANN EINFACH SOFORT AN ‚DUNGEON MASTER‘ DENKEN MÜSSEN.“ • „JA, BEI ‚SIM CITY‘ Z.B., IRGENDWIE DA BAUT MAN JA DANN SO STÄDTE, ODER SO. UND DANN WAR HALT ‘NE STÄDTEPLANUNG FÜR IRGENDEIN GEBIET UND SO. UND DAS HAT MICH TOTAL SO AN DAS SPIEL DANN ERINNERT.“ • „ES IST NUR EBEN SO, DASS MAN AB UND ZU MIT VERBLÜFFUNG EBEN GEMERKT HAT – GERADE WENN DAS SPIEL NEU WAR, SIEHE ‚DOOM‘-– ICH BIN EINE STRAßE LANG GELAUFEN, DA KAM EIN HUND UM DIE ECKE UND DA HAB ICH MIR VÖLLIG UNBEWUSST GEDACHT: ‚WARUM GEHT DER JETZT EINFACH SO UNVORSICHTIG UM DIE ECKE, DER DAS WAR SCHON EIN BISSCHEN ERSCHRECKEND, JA.“ (LACHEN) KÖNNTE JA ABGESCHOSSEN WERDEN‘. Aber auch Musikstücke oder auch Geräusche der realen Welt rufen Assoziationen zu Geräuschen der virtuellen Welt oder zur Hintergrundmusik bestimmter Spiele hervor. Auch dazu wiederum einige Beispiele aus den Interviews: • „ICH HABE IRGENDWANN MAL EINEN WECKER BEI ANDEREN LEUTEN GEHÖRT. DER KLANG WIE, WIE AUS `NEM HITAND-RUN. ABER DAS IST AUCH DAS EINZIGE.“ • „ERSTAUNLICHERWEISE FÄLLT MIR DA HÄUFIG DIE BEGLEITENDE MUSIK EIN, DIE MAN ZUFÄLIGERWEISE BEI DEM SPIEL NOCH ZUSÄTZLICH LAUFEN HATTE. GANZ MERKWÜRDIG. ES WAR Z.B. AUCH WIEDER BEI ‚DOOM‘ - DAS WÄR DANN AUCH WIEDER EIN GERÄUSCH AUS DER REALITÄT BEI DEM MAN AN EIN SPIEL DENKT. DAS WAR JETZT NICHT DAS GERÄUSCH VON ‚DOOM’ SELBER, SONDERN EIN TITEL VON EINER CD UND DER HAT IMMER NUR AN ’DOOM‘ ERINNERT, OBWOHL DAS ÜBERHAUPT NICHT PASSTE. DAS WAR SO RICHTIG LIEBLICH GESUNGEN UND DAS ERINNERTE MICH AN ‚DOOM‘ ODER ERINNERT MICH IMMER NOCH AN ‚DOOM‘.“ • „ALSO ICH HABE MAL EIN MUSIKSTÜCK GEHÖRT, DAS HAT MICH IMMER ZIEMLICH STARK AN DIESES ‚TÜRÖFFNEN‘ BEI ‚DOOM‘ ERINNERT. UND, ICH SCHÄTZE MAL, DAS HABEN DIE AUCH ÜBERNOMMEN IRGENDWIE, ABER …“ • „JA, DIE GERÄUSCHE SCHON EHER. JA, DOCH KLAR, BEI ‚DOOM‘ SO, SO HINTERGRUNDMUSIK. DASS MAN DANN EINFACH MEINT, DIE MUSIK WIEDERZUFINDEN, NICH.“ Auffallend ist das häufige Erwähnen des Spiels Doom. Bei diesem Spiel handelt es sich um ein Shooting Game. Der Spieler befindet sich in einem Labyrinth, auf das er durch die Perspektive der subjektiven Kamera Einblick erhält. Seine Aufgabe besteht darin, möglichst effektive Waffen zu sammeln und damit die allgegenwärtigen Monster zu beseitigen. Dabei ist lediglich die virtuelle Hand, die die Waffe hält, im Blickfeld des Spielers auf dem Monitor abgebildet und vermittelt ihm den Eindruck, mit seiner eigenen Person am Spiel teilzunehmen. Das Spiel ist durch eine permanente Bedrohungssituation gekennzeichnet. Dadurch wird das Erleben der virtuellen Welt in besonderer Weise affektiv aufgeladen. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung dieser virtuellen Welt stark an die Art der Wahrnehmung der realen Welt angelehnt. Diese beiden Faktoren – intensives 24 http://www.mediaculture-online.de affektives Erleben und die besondere Form der Wahrnehmung – scheinen den assoziativen Transfer zu verstärken. 3.7 Auf Phantasietätigkeiten bezogener Transfer 3.7.1 Transfer von der virtuellen Welt in die mentale Welt Der Aufenthalt in der virtuellen Welt kann sich stimulierend auf die Phantasie der Computerspieler auswirken. Neun Interviewpartner (45 %) berichteten von Phasen, in denen sie sich phantasievoll mit einzelnen Elementen der Computerspiele auseinandergesetzt haben. Dabei teilte sich diese Gruppe in zwei Untergruppen auf. Bei fünf Personen handelte es sich um eine phantasievolle Weiterentwicklung des Spiels oder um Vorstellungen, was sie in dem betreffenden Spiel noch erwarten könnte. Beispiele aus den Interviews: • „JA, DAS KOMMT EIGENTLICH SELTEN BEI MIR VOR, ABER DAS KANN SCHON SEIN. DAFÜR IST ES NATÜRLICH SCHON BESSER, WENN MAN SO SPIELE SPIELT WIE ‚MYST’. DA KANN MAN SICH SCHON EHER AUSMALEN, WAS DA JETZT NOCH SO ALLES KOMMT. ABER BEI DEN SPIELEN, DIE ICH DANN HALT MEISTENS BEVORZUGE IST DAS DANN EHER NICHT SO DER FALL. WEIL MEISTENS HALT AUCH KLAR IST, WIE DAS SPIEL DANN WEITERGEHT.“ • „BESTIMMT. JA, NATÜRLICH, BEI DIESEN ADVENTURES PHANTASIERT MAN IMMER, WAS NOCH AUF EINEN ZUKOMMEN KÖNNTE. ICH DENKE MIR AUCH AUS, WIE ICH GERNE DIE LÖSUNG DES SPIELS HÄTTE. AUCH BEI DEN EINZELNEN RÄTSELN STELLT MAN SICH VOR, WIE MAN SELBER DAS GESTALTET HÄTTE. DAS IST KLAR, DASS ICH DANN AUTOMATISCH EIN BISSCHEN RUMSPINNE.“ Vier Interviewpartner entwickelten Phantasien darüber, wie ein bestimmtes Spiel verbessert werden könnte: • „JOA, ICH WÜRD‘ SAGEN, ICH MACH MIR GEDANKEN, WIE MAN DIE SPIELE EIGENTLICH NOCH VERBESSERN KÖNNTE. DENN ICH KENN MICH RECHT GUT DAMIT AUS UND ÄRGER MICH MANCHMAL, WIE DUMM SICH DER COMPUTER VERHÄLT. KONKRET ÜBERLEG‘ ICH MIR, WENN DER COMPUTER ANDERE MANÖVER BEHERRSCHEN WÜRDE, WIE DAS SPIEL DANN AUSGEGANGEN WÄRE. HAUPTSÄCHLICH GEHT ES MIR DARUM. ALSO ICH BIN KEIN PROGRAMMIERER, ABER WENN ICH EINER WÄRE, WÜRDE ICH VERSUCHEN, DAS SPIEL ZU VERBESSERN. ICH WÜRD‘ GERN MAL MIT JEMANDEM SPRECHEN, DER SO WAS PROGRAMMIERT.“ • „JA, GANZ FRÜHER. ZU MEINER AMIGA-ZEIT, DA GAB‘S SO EIN SPIEL, DA HAB ICH MIR GEDACHT, DA HÄTTEN DIE AUCH VIELE SACHEN NOCH BESSER MACHEN KÖNNEN. ABER DAS BESTE BEISPIEL DAFÜR IST DANN WOHL S. (FREUND), DER BEIM KRAFTTRAINING VON EINER DOPPELLÄUFIGEN KETTENSÄGE FÜR ‚DOOM‘ VORGESCHWÄRMT HAT.“ • „DAS PASSIERT HÖCHSTENS MAL – UND DANN NUR KURZ – WENN MIR IRGENDEIN VORGANG NICHT GEFÄLLT. WO ICH DANN ÜBERLEGE, WAS MAN DA STATT DES DRACHENS ODER WAS WEIß ICH, EINSETZEN KÖNNTE. DASS ICH MIR ÜBERLEGE: ‚DA KÖNNTE MAN DAS UND DAS SZENARIO AUFBAUEN.‘ ABER ICH ÜBERLEGE DANN NUR, WIE MAN DANN DAS NÄCHSTE BILD VERÄNDERN KÖNNTE UND NICHT, WIE DIE GANZE GESCHICHTE WEITERGEHEN KÖNNTE.“ • „JA, DAS HAB ICH SCHON. ALSO ICH HAB MIR OFT ÜBERLEGT, WIE MAN‘S HÄTTE BESSER MACHEN KÖNNEN.“ 25 http://www.mediaculture-online.de 3.7.2 Transfer von der virtuellen Welt in die Traumwelt Neben dem Transfer in die mentale Welt kann auch ein Transfer in die Traumwelt stattfinden. Im Traum werden dann Inhalte aktiviert, die in irgendeiner Form aus einem Computerspiel stammen. Der Computerspieler bewegt sich beispielsweise innerhalb der Traumwelt in Landschaften, die dem Computer entstammen, oder er trifft auf Figuren, die die Hauptrolle in einem Spiel gespielt haben. Welche Inhalte in einem Traum repräsentiert werden und in welcher Form, ist individuell verschieden. Zwölf Personen (60 %) konnten angeben, dass sie bereits einmal von Computerspielen geträumt haben, wobei einige dieser Personen sich nicht mehr an konkrete Inhalte dieser Träume erinnern konnten. Beispiele aus den Interviews: • „ODER DER EINE TRAUM, DAS WUSSTE ICH NOCH – ICH WEIß NICHT MEHR DEN TRAUMINHALT UND DER HATTE AUCH NICHTS MIT ‚DUNGEON MASTER‘ ZU TUN. ABER DIE TRAUMBILDER, DIE ICH GESEHEN HABE, DIE WAREN GENAU IN DIESEM KLICKENDEN, RUCKWEISE VORGEHEN, WIE IN DEM COMPUTERSPIEL.“ • „HAST DU SCHON MAL VON EINEM SPIEL ODER EINZELNEN ELEMENTEN EINES SPIELS GETRÄUMT?“ „JA, EIN BISSCHEN. ZWEI, DREIMAL.“ „GING ES DABEI MEHR UM BILDER ODER EHER UM HANDLUNGSELEMENTE?“ „DAS WAREN HANDLUNGSELEMENTE. DAS WAR EINMAL NACH ‚WARLORDS‘. DAS FAND ICH SO SCHRECKLICH, DAS SPIEL. DAS HAT MICH RICHTIG GEÄRGERT. DA HAB ICH DANN EINE SO ‘NE ABFOLGE GETRÄUMT; DAS EINFACH NOCH MAL ABGESPIELT. ZU ‚CIVILISATION‘ HAB‘ ICH WAS NEUES GETRÄUMT, EINE WELT SELBER GEMACHT.“ • „ABER ES KANN DANN SCHON PASSIEREN, NACH SO ‘NEM SPIELEABEND, DASS MAN DANN NACHTS DAVON TRÄUMT. ABER NICHT ALBTRAUMMÄßIG, SONDERN IRGENDWO VÖLLIG BLÖDSINNIG. DANN RENNT MAN DURCH DIE GLEICHEN DINGE DURCH, NICH.“ • „WENN MAN SO WILD DURCHEINANDER GETRÄUMT HAT, DANN TAUCHTEN DA SO EINZELNE FIGUREN AUF UND DAS WAR ES DANN EBEN.“ • „JA JETZT, DAS HATTE ICH LETZTE WOCHE. BEIM ‚SCHWARZEN AUGE‘ HAT MAN UNTEN DIE LEISTE, WO ANGEZEIGT WIRD, WIE VIELE ASTRALPUNKTE UND WIE VIEL LEBENSENERGIE MAN HAT. UND DURCH SCHLAF UND ESSEN KANN MAN DIE IMMER WIEDER ERHÖHEN. UND ICH WAR IM HALBSCHLAF, HABE AUF DEN WECKER GEGUCKT UND WUSSTE, ICH HAB‘ NOCH ‘NE HALBE STUNDE UND ICH DACHTE: ‚SO, JETZT SCHLAF NOCH ‘NE HALBE STUNDE, DANN HAST DU MEHR LEBENS- UND ASTRALPUNKTE.‘(LACHT). ICH MEINE DAS WAR WIRKLICH, ALS ICH DANN SO RICHTIG WACH GEWORDEN BIN, DASS ICH DANN DACHTE: ‚DAS DARF ECHT NICHT WAHRSEIN SO WAS!‘ ABER ICH SAH WIRKLICH SO DIESE BEIDEN SÄULEN VOR MIR IN ROT UND BLAU UND WIE SIE ANSTIEGEN WÄHREND ICH SCHLIEF. DAS FAND ICH DANN SCHON SEHR KOMISCH.“ • „HAST DU SCHON MAL VON ‘NEM SPIEL GETRÄUMT?“ „JA, VON ‚SPACE QUEST‘ DIE LÖSUNG.“ „KÖNNTEST DU DAS WAS NÄHER BESCHREIBEN?“ „ICH SAG MAL, DEN WEG ZUM ZIEL, DEN HAB ICH MIR IRGENDWIE SO ERTRÄUMT, WEIL ICH SO EXTREM VERTIEFT WAR IN DEM SPIEL UND AUCH SCHON SEIT TAGEN DA DRAN WAR UND ES NICHT GELÖST BEKOMMEN HAB. GERADE BEI ADVENTURES, DA IST MAN SO VERTIEFT IN EIN SPIEL, DASS MAN AUCH DAVON TRÄUMEN KANN. ICH TRÄUM EIGENTLICH SEHR SELTEN, ABER WENN ICH DANN TRÄUME, DANN SIND ES ENTWEDER VERSAUTE TRÄUME ODER COMPUTERTRÄUME.“ 26 http://www.mediaculture-online.de Bemerkenswert ist, dass niemand von Albträumen im Zusammenhang mit Computerspielen berichtete. Hier ist jedoch wiederum fraglich, ob solche Träume wirklich nicht auftreten, oder ob diese im Interview verschwiegen wurden. 3.8 Zeit erlebender Transfer Kennzeichen der virtuellen Welt sind auch spezielle Zeitaspekte. Man kann zwei Zeitmodi unterscheiden17: 1. Turn-Modus Die Zeit der Virtualität schreitet nur dann voran, wenn der Spieler seine Eingabe gemacht hat. Dem Spieler wird die Wirkung seines Handelns aufgezeigt, und der virtuelle Zeitfluss kommt wieder zum Erliegen bis zum nächsten Zug (Turn). Dies bedeutet, der Spieler steht nicht unter Zeitdruck und kann seine Vorgehensweise in Ruhe planen. 2. Realtime-Modus Im Realtime-Modus dagegen ist der Spieler vollkommen in den virtuellen Zeitfluss eingebunden. Das Spiel läuft vor ihm ab wie ein Film und zwingt ihn zum unverzüglichen Handeln. Der Spieler steht unter starkem Zeitdruck, das heißt, dass er seine Entscheidungen sehr schnell treffen muss und eine enorme Reaktionsschnelligkeit von ihm gefordert wird. Uns interessierte, ob die virtuelle Zeiterfahrung des Realtime-Modus Einfluss auf das Zeitempfinden in der realen Welt hat. Neun Personen (45 %) konnten zu diesem Bereich keine Angaben machen, da sie Spiele mit Realtime-Modus selten oder gar nicht gespielt haben. Von den restlichen elf Interviewpersonen bestätigten drei, einen Einfluss der virtuellen Zeiterfahrung auf die reale Welt feststellen zu können: • „DA WÜRDE ICH DANN EINFACH JA SAGEN. DAS IST AUCH SO WAS, WO ICH BESCHREIBEN KANN, DASS ICH, WENN ICH VOM COMPUTER AUFSTEHE, DA BIN ICH UNKONZENTRIERT, FAHRIG...(...) UND VOR ALLEN DINGEN BEI UNTERSCHIEDLICHEN SPIELEN IST DAS AUCH UNTERSCHIEDLICH STARK. BEI ‚JUMP AND RUN‘-SPIELEN EMPFINDE ICH DAS IMMER SEHR, SEHR STARK. JA.“ • „ÄH, HAB ICH VIELLEICHT MAL GEHABT. ABER DAS WAR AUCH ZU EINEM ZEITPUNKT... ALSO ICH HABE KAUM NOCH SO SPIELE. JA, DAS WÄREN DIESE GANZEN AUTOMATISCHEN SPIELE ODER BALLERSPIELE, WO MAN EINFACH AUCH SCHON WEIß, WANN KOMMT DER GEGNER, WO MAN GEMERKT HAT, MAN WIRD SCHNELLER. MAN KANN EINFACH BESTIMMTE VISUELLE DINGE GANZ ANDERS WAHRNEHMEN. (...) DA GAB ES ‚STAR WARS ’, WO MAN MIT ‘NEM RAUMSCHIFF RUMGEFLOGEN IST UND DANN DURCH TUNNELGÄNGE RAUF UND RUNTER UND ALLES ABSCHIEßEN MUSSTE. UND DANN HATTE ICH EHER SO DEN SPRUNG AUF DEM FAHRRAD AUCH; GANZ SCHNELL UND DANN KAM IRGENDWAS UND MAN MUSSTE AUSWEICHEN KÖNNEN ODER MÜSSEN.“ • „MAN IST DANN AUFGEWECKTER ODER HAT SO DEN EINDRUCK, DASS MAN AUFMERKSAMER IST.“ „IST DAS AUCH EINE BESTIMMTE ZEITPHASE, WO DIR DAS DANN AUFFÄLLT?“ „AUCH WIEDER NICHT SO LANGE. DAS WÄRE DANN WIEDER SO NACH ENDE DES SPIELS SO ‘NE HALBE STUNDE.“ 17 Vgl. Fritz, Jürgen (1997): Was sind Computerspiele? In: Fritz, Jürgen / Fehr, Wolfgang [Hrsg.]: Handbuch Medien: Computerspiele. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. 27 http://www.mediaculture-online.de „ZEIGT SICH DAS DANN NUR IN DER BEWEGUNG ODER AUCH VOM GEDANKEN HER? DASS DU...“ „ALSO ICH GLAUBE MAN IST WIRKLICH SCHNELLER NOCH ‘NE ZEIT LANG.“ „NUR SCHNELLER ODER AUCH UNRUHIGER? WIE EMPFINDEST DU DAS?“ „EHER, JA, EHER HEKTISCH, ALSO NEGATIV SCHON.“ Das Gefühl, schneller reagieren zu können – aber auch reagieren zu müssen –, scheint in die reale Welt transferiert worden zu sein. Es deutet sich aber auch ein Transfer in die mentale Welt an, wenn die Interviewpartner beschreiben, sie fühlten sich nach solchen Spielen „fahrig, unkonzentriert und hektisch“. Interessant wäre hier auch wieder eine Untersuchung mit Kindern und Jugendlichen. Diese haben eine deutlich stärkere Fähigkeit zur sensumotorischen Synchronisation, die bei solchen Spielen häufig gefordert wird. Der zeitliche Transfer könnte sich eventuell noch stärker zeigen, wenn es durch die sensumotorische Synchronisation zu einem intensiveren Eintauchen in die virtuelle Welt kommt. Alle Interviewpartner bemerkten, dass sie während des Aufenthalts in der virtuellen Welt ihr Empfinden für die Zeit der realen Welt verlieren. Beispiele aus den Interviews: • „DIE ZEIT IST MIR GAR NICHT MEHR BEWUSST, DASS ES DA IRGENDEINE ZEIT GIBT.“ • „JA, DOCH, DIE ZEIT VERGEHT SCHNELLER. SO HAT MAN DANN ZWEI ODER DREI STUNDEN ZIEMLICH SCHNELL RUM UND HAT ES DOCH NICHT GEMERKT.“ Mit der Beendigung des Spiels und dem Wiedereintritt in die reale Welt wird den Spielern bewusst, wie viel Zeit tatsächlich vergangen ist. Einige Personen empfinden dies in manchen Fällen als Zeitverlust, da die reale Zeit „unwiederbringlich verloren“ ist. Sie bewerten es negativ, die Zeitspanne in der virtuellen Welt vertan zu haben, anstatt diese Zeit in der realen Welt zu nutzen. Lediglich ein Interviewpartner gab an, dass er diesen Zeitverlust nach allen Spielsituationen so erlebt: • „ZEITVERLUST? DOCH ZEITVERLUST HAT MAN SCHON EMPFUNDEN. ABER DAS WAR EBEN, DASS DIE ZEIT VOM SPIELEN EIGENTLICH VERLOREN IST, WEIL MAN ETWAS ANDERES HÄTTE MACHEN MÜSSEN." „DU BEWERTEST GESPIELTE ZEIT GENERELL ALS VERLORENE ZEIT?“ „DAS SCHON, JA.“ Fünf weitere Interviewpartner antworteten auf unsere Frage nach dem Empfinden von Zeitverlust, dass dies davon abhängig sei, wie viel Zeit ihnen zur Verfügung stünde und welche Aufgaben und Pflichten zu erledigen wären: 28 http://www.mediaculture-online.de • „ZEITVERLUST EIGENTLICH NICHT. ES WIRD ERST PROBLEMATISCH, WENN MAN AN DEM ANDEREN TAG `WAS VORGEHABT HAT. DANN EMPFINDET MAN DAS SCHON ALS ZEITVERLUST, WEIL MAN SICH DANN LETZTENDLICH AM NÄCHSTEN TAG NUR INS BETT LEGT. DA SCHLÄFT MAN JA AUCH NICHT SOFORT EIN, WEIL MAN JA AUCH ZIEMLICH AUFGEWÜHLT IST. DA BRAUCHT MAN MANCHMAL NOCH ‘NE STUNDE, BIS MAN SO GANZ WEG IST. DANN EMPFINDET MAN DAS SCHON ALS VERLORENE ZEIT. WENN MAN ABER AM ANDEREN TAG NICHTS VORHATTE, IST ES EGAL.“ • „ICH EMPFINDE DAS NICHT ALS ZEITVERLUST, DENN ICH MACH‘S NUR DANN, WENN ICH GENUG ZEIT HAB. ABER DE FACTO IST ES NATÜRLICH ZEITVERLUST. ICH MACH‘S ABER NUR DANN, WENN ICH NICHTS BESSERES ZU TUN HAB.“ • „JA, TEILWEISE FINDE ICH DAS WIRKLICH SCHADE. UND TEILWEISE FINDE ICH DAS AUCH SINNLOS. WAS HAT MIR DAS JETZT GEBRACHT, DA DREI STUNDEN RUMZUSITZEN? EINKAUFEN WAR.“ DANN HUNGER ICH AM ABEND, WEIL ICH NICHT • „DAS KOMMT GANZ DARAUF AN, OB ICH ETWAS MACHEN WOLLTE, WAS ICH DANN NICHT GEMACHT HABE, ODER DARAUFHIN ERST SPÄTER MACHEN KANN.“ • „KOMMT DARAUF AN, OB ICH NOCH IRGENDWIE WAS ANDERES VORHATTE. DANN IST DAS DOCH SCHON EIN ZEITVERLUST. NORMALERWEISE SPIELE ICH JA, WENN ICH FREIZEIT HABE, WENN ICH NICHTS BESONDERES ZU TUN HABE.“ Um dem Zeitverlust vorzubeugen, entwickelten die von uns Befragten verschiedene Strategien: z.B. Wecker stellen, Spiele löschen, Computer „abschließen“. Beispiele aus den Interviews: • „ÄHM, ALSO MANCHMAL MUSS ICH MIR SOGAR EINEN WECKER STELLEN, WENN ICH WEIß, ICH MUSS UM ACHT UHR HALT NOCH MAL WEG ODER SO. DANN VERLASSE ICH MICH NICHT NUR DARAUF, DASS ICH IMMER WIEDER MAL AUF DIE UHR GUCKE, SONDERN DANN MUSS DER WECKER GESTELLT WERDEN.“ • „JA, ALSO ICH MERKE DANN IN DIESEM AUGENBLICK SCHON, DASS DAS NICHT GUT IST. DAS IST EINFACH NICHT GUT. MAN HAT ANDERE DINGE ZU TUN, DIE SIND VIEL WICHTIGER, SICH UM ANDERE SACHEN ZU KÜMMERN. IN MEINEM FALL WAR DAS AUCH BERUF, WO ICH GERADE DOKTORARBEIT GESCHRIEBEN HATTE. DA WAR MIR KLAR, DAS IST EINFACH NICHT GUT. VERSUCHUNG.“ ALSO LÖSCH ICH DAS SPIEL LIEBER, DA KOMM‘ ICH GAR NICHT MEHR IN • „DESHALB HAB‘ ICH AUCH SO EIN ZWANGSPROGRAMM ZUM COMPUTERABSCHLIEßEN. DAS IST WOHL AUCH ZIEMLICH EINMALIG UND WIRD GANZ GERN BELÄCHELT, ABER DAS IST BEI MIR DIE EINZIGE MÖGLICHKEIT, DASS ICH DANN VOR DEN KLAUSUREN DANN NICHT MEHR SPIELE. OBWOHL ICH SELBER WEIß, DASS DAS SO SCHEIßE IST.“ 3.9 Informationell-realitätsstrukturierender Transfer 3.9.1 Transfer von der virtuellen Welt in die reale Welt Einen neueren Trend auf dem Computermarkt stellen Infotainment-Produkte dar, durch die versucht werden soll, bestimmtes Wissen gekoppelt mit Unterhaltung zu vermitteln. Aber auch reguläre Computerspiele beschäftigen sich inhaltlich mit Themen, die sich auf die Realität beziehen und Informationen zu diesem Gebiet vermitteln können. Besonders die unterschiedlichsten Arten der Simulationsspiele stellen Modelle von Realität dar, die die Möglichkeit bieten, informative Inhalte zu transferieren. Sowohl Fahrzeugsimulationen, 29 http://www.mediaculture-online.de Sportsimulationen, Militärsimulationen und Wirtschaftssimulationen, aber auch Simulationen politischer oder ökologischer Prozesse bieten die Möglichkeit, Einblick in komplexe Netzwerke sich wechselseitig steuernder Faktoren zu erlangen. Indem es dem Computerspieler möglich wird, ein Abbild der Realität im spielbaren Modell zu beeinflussen und zu beherrschen, kann sich auch sein Verständnis für diesen Bereich verändern oder erweitern. Bei unserer Untersuchung gaben sechzehn Personen (80 %) an, aus Spielen Informationen herausgezogen zu haben, die ihrem Verständnis der Realität dienlich waren. Besonders häufig wurden Städtesimulationen wie Civilization oder SIM-City erwähnt. Beispiele aus den Interviews: • „JA, INFORMATIONEN IN DEM SINNE, DASS HALT MANCHE SACHEN DA ERKLÄRT WERDEN, WIE BEI ‚CIVILIZATION II’, DA SIND SO ERKLÄRUNGEN DABEI, DIE, SOWEIT ICH DAS BEURTEILEN KANN, DER REALITÄT ENTSPRECHEN. NATÜRLICH KLAR. DA KANN MAN DANN IRGENDWELCHE INFORMATIONEN HERAUSZIEHEN.“ DAS IST • „JA, BEI ‚SIM CITY’ Z.B., IRGENDWIE DA BAUT MAN JA DANN SO STÄDTE ODER SO UND DANN WAR HALT ‘NE STÄDTEPLANUNG FÜR IRGENDEIN GEBIET UND SO UND DAS HAT MICH TOTAL SO AN DAS SPIEL DANN ERINNERT.“ „WÜRDEST DU DENN SAGEN, DASS DU SO WAS BESSER VERSTEHEN KANNST, DADURCH, DASSDU SOLCHE STÄDTESIMULATIONEN SPIELST?“ „JA, AUF JEDEN FALL, AUF JEDEN FALL.“ • „ACH DOCH, NA GUT. DA GIBT‘S Z.B. DAS SPIEL ‚DIE SIEDLER‘. DAS FINDE ICH EBEN AUCH KNUFFIG. DIESE GANZEN KLEINEN MÄNNCHEN DA UND DIE SPÄßCHEN, DIE DIE DA MACHEN. DA IST NATÜRLICH AUCH ‘NE GEWISSE FASZINATION DURCH DIE GANZE ORGANISATION. DAS EINE BEDINGT DAS ANDERE, NICH, UND WENN DAS EINE NICH WÄRE, DANN KÖNNTE DAS ANDERE AUCH NICH, NE. UND IN GEWISSEM MAßE LERNT MAN DABEI AUCH, NICH. DASS MAN SICH DARÜBER WUNDERT: ‚DAS HABE ICH MIR GAR NICHT KLAR GEMACHT. NATÜRLICH GEHÖRT DAS ZUSAMMEN.’ OHNE, DASS DAS JETZT DIREKT EIN LERNSPIEL SEIN MUSS.“ Aber auch Wirtschaftssimulationen verschiedenster Arten können das Verständnis der Realität fördern. Beispiele aus den Interviews: • „BEI ‚CAPITALISM‘ WIRD EINEM SCHON KLAR, WAS ALLES EINFLUSS AUF DEN WARENGÜTERMARKT HAT, UND DANN VERSTEHT MAN AUCH SCHON WIE SO PREIS-LEISTUNGSVERHÄLTNISSE ZUSTANDE KOMMEN UND WAS ALLES STIMMEN MUSS, WENN MAN WAREN ANBIETEN WILL.“ • „DAS GIBT‘S, JA. MAN KANN DA SCHON EINIGE INFORMATIONEN RAUSZIEHEN. DAS BEISPIEL BÖRSE IST EIN GUTES BEISPIEL. MAN LERNT WIRKLICH, WAS DAX IST UND SO.“ • „JA GUT. DIESES EISENBAHNSPIELCHEN IST HALT AUCH MIT WIRTSCHAFT. MAN MUSS EINE EISENBAHNLINIE AUFBAUEN UND DA SIND DANN NUN KONKURRENTEN, DIE VERSUCHEN DEINE AKTIEN AUFZUKAUFEN UND DEN GANZEN SCHNICKSCHNACK. MAN MUSS HALT VERSUCHEN, DASS DIE EISENBAHN SCHWARZE ZAHLEN KRIEGT. OKAY, DAS IST VIELLEICHT EIN BISSCHEN SO WAS, UM DAS VERSTÄNDNIS ZU FÖRDERN. ABER DAS IST VIELLEICHT 30 http://www.mediaculture-online.de DOCH INTERESSANT, DIESES EISENBAHNSPIELCHEN, DARAUF BIN ICH JETZT WIEDER NUR GEKOMMEN, WEIL ICH IM MOMENT IN DER SCHULE SO EINEN KURS MACHE ‚TECHNOLOGIEORIENTIERTE EXISTENZGRÜNDUNGSLEHRE‘. NAJA, DER PROF DA HAT HALT AUCH ANGEFANGEN MIT UMSATZ UND LIQUIDITÄTSPLÄNEN UND DA HABE ICH GEDACHT ‚HEY, KLASSE!‘ ...“ Einige Personen nannten im Rahmen des informationell-realitätsstrukturierenden Transfers auch Beispiele von Militärsimulationen. Beispiele aus den Interviews: • „DAS HÄNGT JA JETZT VOM SPIEL AB. ALSO ICH HAB JA SEHR VIELE STRATEGIESIMULATIONEN UND DA ICH MICH SEHR FÜR GESCHICHTE UND SO INTERESSIERE, KANN ICH DAMIT Z.B. ... DAS SIND SO SIMULATIONEN, DA KANN ICH TEILE DES ZWEITEN WELTKRIEGES NACHSPIELEN. DAS IST FÜR MICH DABEI DIE MÖGLICHKEIT, NEUES ZU ERFAHREN.“ • „JA, TEILWEISE BESTIMMT SCHON. ES GIBT HALT SPIELE, DIE SICH STARK AN DER REALITÄT ORIENTIEREN; SO KRIEGSSPIELE Z.B., WO DU DIR ECHT GEDANKEN ÜBER KRIEGSFÜHRUNG MACHEN MUSST, DAMIT DU DIE GANZE SITUATION BEHERRSCHST!“ Auf unsere Frage, ob ein Computerspiel von Bedeutung für das Verständnis der Realität sein kann wurden auch Flugsimulationen genannt. Beispiele aus den Interviews: • „PRINZIPIELL JA, WEIL FLUGSIMULATOREN SIND DAS BESTE BEISPIEL DAFÜR. JE REALER, JE BESSER, JE AUFWENDIGER EIN PROGRAMM GESTALTET IST, DESTO NÄHER KOMMT ES AN DIE REALITÄT.“ • „JA, ES GIBT IMMER IRGENDWELCHE SACHEN Z.B. BEI FLUGSIMULATOREN, DIE SIND GANZ INTERESSANT. DA DENKT MAN HALT, DASS SIND DIE GLEICHEN PROBLEME MIT DENEN AUCH EIN PILOT ZU KÄMPFEN HAT UND SO.“ Allerdings wurde die Möglichkeit, mit Hilfe von Computerspielen oder Simulationen sein Wissen oder seine Fähigkeiten zu vermehren, von den Spielern auch in einem erweiterten Rahmen gesehen. Beispiele aus den Interviews: • „ABER VIELLEICHT IST ES AUCH SO, DASS MAN DURCH IRGENDWELCHE COMPUTERSPIELE IRGENDWAS TRAINIEREN KANN, WAS EINEM IN DER REALEN WELT IRGENDWIE WEITERHILFT. ALSO JETZT BEZOGEN AUF REAKTION: DADURCH, DASS ICH MIT DER MAUS IMMER SCHNELLER KLICKEN UND REAGIEREN KANN, WERDE ICH EIN BESSERER AUTOFAHRER, WEIL ICH SITUATIONEN BESSER ERKENNEN UND VORHERSAGEN KANN UND DANN AUCH SCNELLER REAGIEREN KANN.“ • „SICHER STECKEN DA MASSIVE CHANCEN DRIN. DA KANN MAN SICHERLICH VIEL MIT MACHEN. WENN ICH ALLEINE MAL SEHE DIE LEICHENSCHNIBBELEIEN AN DEN UNI‘S. BEI EINER LEICHE DAS GEWEBE, DAS SIEHT VÖLLIG ANDERS AUS ALS BEI EINEM ECHTEN, LEBENDEN MENSCHEN, NICH. EBENSO GUT ÜBER ‚VIRTUAL REALITY’ MACHEN. LEICHENMASSEN.“ UND DIESE GANZEN SCHNIBBELEIEN LIEßEN SICH DA BRAUCHT MAN NICHT DIESEN AUFWAND UND NICHT DIESE Trotz dieser positiv beschriebenen Aspekte, die das Computerspiel in Bezug auf die Übertragbarkeit virtuell vorgegebener Fakten auf die Realität bietet, sollte dies immer 31 http://www.mediaculture-online.de auch kritisch betrachtet werden. Es ist fraglich, inwiefern ein Computerspiel ein geeignetes Referenzmedium für die Aneignung von auf die Realität bezogenem Wissen und Fähigkeiten ist, da nicht zwingend davon ausgegangen werden kann, dass die Darstellungen im Computerspiel realitätsgetreu sind. Ein Beispiel aus einem Interview: • „(...), ABER ICH HINTERFRAGE DIE SACHEN SCHON. ODER ICH ZIEHE DA DANN AUCH NICHT SCHNELL DEN SCHLUSS, DASS, ÄHM, DANN DIE REALITÄT SO WIDERSPIEGELT. ALSO SO GANZ IM GEGENTEIL. DURCH ‚CIVILIZATION’ HATTE ICH SOGAR DAS GEFÜHL, DASS DAS GEFÄHRLICH WIRD. ALSO WO ICH GEDACHT HABE, DIESE ... DER HERSTELLER HAT FÜR MICH WERTE REINGEPACKT UND ÜBERLEGUNGEN ANGESTELLT, DIE MASSIV REALE SACHEN VERFREMDEN ODER IN EIN GANZ ANDERES LICHT RÜCKEN. UND WO ICH MIR EIGENTLICH NUR SO GEWÜNSCHT HABE, DASS SOLCHE SPIELE NICHT WEITER ODER MASSIVER KOMMEN. WEIL ICH EINFACH NICHT WEIß, WIE DAS WÄRE, WENN ICH JÜNGER WÄR‘ ODER DAS WISSEN NICHT HÄTTE, UM DIESE SACHEN ABZUSCHÄTZEN; OB ES DANN NÄMLICH FÜR EINEN DIESEN REALITÄTSSTATUS BEKOMMEN KANN. ODER DAS WÜRDE ICH SAGEN. DA HÄTTE ICH SICHERLICH SO MIT 13, 14 DRAN GEGLAUBT, HÄTTE GESAGT: ‚JA, UND SO UND SO WAR DAS DA.‘“ 4. Resümee Unsere Untersuchung konnte die Existenz der verschiedenen Transferformen belegen. Mit Hilfe des Transfermodells werden sowohl individuelle Faktoren der Spieler als auch das Medium mit seinem ihm eigenen Anregungspotential berücksichtigt. Versucht man die eingangs beschriebene Tat der Jugendlichen mit Hilfe des Transfermodells zu erklären, wird deutlich, dass hier eindeutig ein instrumentell-handlungsorientierter Transfer stattgefunden hat. In Anbetracht der weiten Verbreitung und Nutzung gewaltorientierter Spiele unter Jugendlichen, stellt sich die Frage, warum der Umgang mit solchen Spielen in Einzelfällen derart fatale Folgen hat. Welche Umstände haben es ermöglicht, dass es zu solch einem folgenschweren Transfer gekommen ist? Die beiden jugendlichen Täter hatten sich mehr und mehr aus der realen Welt zurückgezogen und gingen immer stärker in der Auseinandersetzung mit Ego-Shootern auf. In der virtuellen Welt fanden sie die Bestätigung, die ihnen im realen Leben sowohl von Freunden als auch von der Familie versagt wurde. So antwortete einer der Täter auf die Frage der Mutter nach einer Partnerin: „Ich habe eine Freundin, meinen Amiga. Amiga, das heißt Freundin.“18 18 Zitate sinngemäß entnommen aus der Reportage des Süddeutschen Rundfunks mit dem Titel: „Todesspiele – Wenn Gewaltbilder Wirklichkeit werden“. 32 http://www.mediaculture-online.de Versagens- und Existenzängste konnten sie mit Hilfe der Erfolgs- und Machterlebnisse durch die Bildschirmspiele kompensieren. Sie identifizierten sich mit den Helden ihrer Spiele, die ihren Aussagen gemäß „die Möglichkeiten hatten, sich keine Probleme machen zu lassen“. Die Jugendlichen beschafften sich sowohl die Waffen als auch die Kleidung ihrer virtuellen Vorbilder, sodass die Ähnlichkeiten zwischen virtueller Welt und selbst gestalteter realer Welt immer stärker zunahmen. „Wenn man selber loszog, dann war man auch ein bisschen so ein Kämpfer“ erklärte einer der Jugendlichen. Letztendlich waren die Jugendlichen nicht mehr in der Lage, eindeutig zwischen realer und virtueller Welt zu unterscheiden und die Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen. Es ist jedoch äußerst wichtig, die virtuelle Welt als eine eigenständige Welt zu sehen, die auf eine bestimmte Weise wahrgenommen wird und in der eigene Regeln gelten. Zwar steht diese Welt in Zusammenhang mit anderen Welten, aber ihre eigenständige Bedeutung darf nicht auf andere Kontexte übertragen werden. Durch den technischen Fortschritt nähern sich die Wahrnehmungsgewohnheiten von virtueller und realer Welt immer weiter an. Für den Menschen wird es immer schwieriger, Reizeindrücke der entsprechenden Welt zuzuordnen. Das hat zur Konsequenz, dass klare Trennungen der unterschiedlichen Welten problematisch werden. „Das Verschwimmen von Grenzen zwischen den Welten könnte dazu führen, dass der Transfer zwischen den Welten unkontrolliert zunimmt, dass Gedanken, Gefühle, Wünsche, Informationen, Kenntnisse, Werterhaltungen allzu rasch zwischen den Welten hin und her fließen (...).“19 Das unkritische und weitestgehend unbewusste Übertragen von Einstellungen und Verhaltensweisen auf die reale Welt birgt viele Konflikte und Gefahren in sich. Bestimmte Vorgehensweisen, die der Virtualität entspringen, können in der Realität tragische Konsequenzen haben. Deshalb muss immer bewusst sein, was ein bestimmter Reizeindruck in einer anderen Welt bewirken kann. Daraus ergibt sich das „zwingende Erfordernis, die Rahmungskompetenz des Menschen auszubilden: die Fähigkeit, die in ihrer Erscheinungsform sehr ähnlichen Reizeindrücke in angemessener Weise den jeweiligen Welten zuzuordnen und nicht zu vermischen, was sich zwar ähnelt aber eine grundsätzlich andere Bedeutung hat.“20 19 Ausführlich dargestellt in a.a.O. [4]. 20 Ausführlich dargestellt in a.a.O. [4]. 33 http://www.mediaculture-online.de Rahmungshandlungen machen es möglich, verschiedene Welten in Beziehung zueinander zu setzen, ohne dabei deren Unterschiedlichkeit aus dem Blick zu verlieren. Rahmungskompetenz zeigt sich unter anderem darin, dass Menschen in der Lage sind, zu erkennen, dass bestimmte Vorstellungen und Handlungsmuster nur auf eine Welt anzuwenden sind und keine Gültigkeit haben in Bezug auf andere Welten. Bei der Schilderung der Hintergründe der angesprochenen Tat werden bereits einige Bedingungen deutlich, die die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen von Transferprozessen zu begünstigen scheinen: • Nicht hinreichend ausgebildete oder brüchig gewordene Rahmungskompetenz; • Ähnlichkeiten zwischen Elementen der virtuellen Welt und der realen Welt; • Identifikation mit der Spielfigur; • Lange und intensive Spielphasen. Es sind jedoch weitere ausführliche Forschungen nötig, um mehr zu erfahren über die verschiedenen Formen und Ebenen von Transferprozessen und vor allem über die internen und externen Bedingungen, die einen Transfer hemmen oder begünstigen können. Da die Rahmungskompetenz jedoch als oberste Kontrollinstanz für Transferprozesse anzusehen ist, ist es dringend erforderlich, die Rahmungskompetenz der User zu schulen und Transferprozesse ins Bewusstsein 21 zu rufen und zu kontrollieren. Die Fähigkeit, Wahrnehmungen angemessen zu rahmen, kann durch bewusstseinsfördernde Diskurse gestärkt werden. Eine „situative Reflexion ist auf Dauer nur in sozialer Kommunikation face to face möglich.“22 Die reale Welt ist der virtuellen Welt in dem Punkt überlegen, dass sie die Möglichkeit der sozialen Interaktion und des Austauschs bietet. In der realen Welt können Beziehungen eingegangen werden, in denen durch Vertrauensgespräche die Bedeutung der virtuellen Welt relativiert wird und Transferprozesse bewusst gemacht werden können. Innerhalb der virtuellen Welt ist der Bereich der Kommunikation und der sozialen Interaktion – das Inbeziehungtreten mit anderen – nicht von Bedeutung. „Bei den 21 Ausführlich dargestellt in Fritz, Jürgen: Wie virtuelle Welten wirken; auf dieser CD. 22 van den Boom, Holger (1988): Vom Modell zur Simulation – die Zukunft des Designprozesses. In: Schönberger, Angela [Hrsg.]: Simulation und Wirklichkeit. Köln: Dumont. 34 http://www.mediaculture-online.de Computerspielen geht es um das Verstehen und Beherrschen von Reiz-ReaktionsSequenzen, nicht um das ‚Einfühlen‘ in eine emotional getönte Situation.“23 Um in der virtuellen Welt erfolgreich zu sein, ist es weder nötig noch möglich, sich empathisch in die Situation des Gegen- oder Mitspieleres hineinzuversetzen. Die Möglichkeit, soziale Systeme in der virtuellen Welt darzustellen, ist sehr schwierig, da diese hochgradig ungeordnet und unvorhersagbar sind. Gefühle und Beziehungen sind nicht in die Sprache des Computers übersetzbar, da diese (noch?) nicht errechnet werden können. Wenn es möglich ist, durch den Diskurs, das Bewusstsein für die Grenzen der virtuellen Welt zu wecken, kann dies einhergehen mit einer positiveren Wertschätzung der Realität und der ihr eigenen Möglichkeiten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 23 Fritz, Jürgen (1997): Was sind Computerspiele? In: Fritz, Jürgen / Fehr, Wolfgang [Hrsg.]: Handbuch Medien: Computerspiele. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. 35