Dietrich Kittner

Transcription

Dietrich Kittner
Am 15. Februar 2013 ist Dietrich Kittner in seiner Wahlheimat Dedenitz in Österreich
im Alter von 77 Jahren gestorben. Hier soll es nicht um biographische Daten gehen,
die anderswo eingesehen werden können, sondern um die Würdigung einer
politischen und künstlerischen Persönlichkeit.
Dietrich Kittner, Kabarettist und leidenschaftlicher Einmischer, war nicht nur ein
wortmächtiger Aufklärer, sondern Agitator im besten Sinne, dem immer auch an der
direkten Aktion gelegen war.
Legendär die von ihm in seiner ersten Heimatstadt Hannover 1969 initiierte Aktion
»Roter Punkt«, bei der im breitesten Bündnis phantasievolle Aktivitäten gegen
ÖPNV-Fahrpreiserhöhungen gestartet wurden. Autofahrer wurden aufgerufen, einen
Zettel mit einem roten Punkt ins Fenster zu hängen, um so nicht nur Unterstützung
zu signalisieren, sondern zugleich Mitfahrgelegenheiten anzubieten. Ein voller Erfolg
in Hannover, wo die Fahrpreiserhöhungen rückgängig gemacht wurden, und zugleich
ein Funke, der in zahlreiche andere Städte der Republik übersprang. So fanden sich
dann Anfang der 70er Jahre auch im Ruhrgebiet wir jungen Leute bei
Blockadeaktionen an Straßenkreuzungen prügelnden Polizisten gegenüber und kurz
nach Massenfestnahmen regelmäßig im Polizeipräsidium wieder. Doch es soll
niemand sagen, wir seien nicht gewarnt worden. Aus einem seiner damaligen
Programme stammt der Kittner’sche Hinweis »Wer denkt, kriegt Beulen«, den er wie
folgt ableitete: »Wer denkt, denkt links. Wer links denkt, diskutiert nicht nur, sondern
geht auf die Straße. Wer auf die Straße geht und demonstriert, den haut die Polizei
mit Gummiknüppeln. Also: Wer denkt, kriegt Beulen.«
Hubert Reichel schrieb in der DKP-Zeitung »UZ« über Kittners 22. Programm »Das
Verte reicht…« am 18.02.1994 u.a.: »Das rote Evergreen unter den Satirikern
deutscher Zunge hat nicht nur auf den Bühnen seine garstigen Lieder gesungen.
Seitdem er 1965 auf offener Straße mit Stahlhelm und Gasmaske verhaftet wurde,
war er Aktivist bei den Aktionen in der Leinestadt, Mitstreiter bei den Aktionen des
„Roten Punktes“, den Ostermärschen und anderen Friedensaktionen, waren
Werkhallen und Streiklokale seine Spielstätten. Erst an diesem Vormittag trat er vor
2.000 Metallarbeitern auf, die ihre Forderungen in einem Warnstreik bekräftigten.
„Wenn ich eins gelernt habe in meinem Leben, dann dies: Man darf nicht aufgeben!“,
sagt er nach der Vorstellung bei einem Bier.«
Mit solcherart Gedankengut »infizierte« Kittner immer neue Generationen junger
Menschen (siehe u.a.: http://www.dietrich-kittner.de). Es versteht sich von selbst,
dass er dafür von den Herrschenden gehasst wurde. Dietrich war jahrzehntelang
Objekt der Bespitzelung durch die politische Polizei, Staatsschutz und all den
anderen Inlandsgeheimdiensten. Doch Bangemachen gilt nicht: Er selbst
recherchierte diese Vorgänge, brachte sie auf die Bühne, überschüttete die
Schlapphüte und deren Auftraggeber mit Spott und Häme und holte sie dadurch vom
Sockel der Macht herunter, gab sie dem Gespött derer »da unten« preis.
Wie andere Künstler seines Formats, erinnert sei an den verstorbenen Franz-Josef
Degenhardt, wurde ihm dafür der Zugang zu den Massenmedien verwehrt. Jetzt,
nach seinem Tod, geben jene Medien, die ihn jahrzehntelang boykottiert haben,
offen zu, was sie vorher vehement abstritten:
- Die Essener NRZ schreibt am 16.02., dass seine Haltung ihm »so etwas wie
ein real existierendes TV-Verbot einbrachte«.
2
-
-
-
Hallo Niedersachsen auf ndr.de schreibt am 15.02.2013 verschämt: »Auch im
Fernsehen war er wegen seiner scharfzüngigen Analysen nicht gern
gesehen.«
Die HAZ-Hannoversche Allgemeine Zeitung gibt am selben Tag unumwunden
zu: »Im öffentlich-rechtlichen westdeutschen Fernsehen hatte er seit 1973
quasi „Fernsehverbot“«, um relativierend hinterzuschieben »aber das machte
er durch seine flächendeckend Bühnenpräsenz, durch Bücher, Mitschnitte und
DVDs wett.«
Ähnlich hinterfotzig wird bei tagesschau.de am 15.02.2013 über Bande
gespielt: »Der Weg ins Fernsehen sei ihm stets versperrt worden, klagte
Kittner noch kürzlich.«
Andere verlängern den Boykott mit subtileren Mitteln. In der »Sozialistischen
Tageszeitung neues deutschland« wirft der Autor Thomas Blum am 16./17.02.2013
dem Künstler Kittner, dem er nicht das Wasser reichen kann, hinterher, dieser sei »in
der postnationalsozialistischen Zeit« (allein für diese Formulierung hätte es vom
Meister verbale Ohrwatschen gehagelt) »nicht nur, aber auch mit seinen Witzen« zur
Stelle gewesen. Als wäre Kittner ein Witzeerzähler vom Miniaturformat niveauloser
»Comedians« gewesen. Vom »Stilmittel des Sprachspiels« sei »inflationär Gebrauch
gemacht worden (…) ein Sermon gegen Ausbeutung, Militarismus und
Ausländerfeindlichkeit, verpackt in wortspielgesättigte Witzigkeit, die nicht
jedermanns Sache war.« Und überhaupt sei Kittners Kabarett »vollständig frei von
jeder Selbstironie«. Keine Selbstironie? Dietrichs Programme waren für ihre Länge
bekannt. Hierzu sein Originalkommentar: »So lange Reden gibt es nur noch bei Fidel
Castro und bei mir.«
Dietrich war ein konsequenter Internationalist. Als das sozialistische Cuba 1989/1990
durch die Liquidierung der sozialistischen Staaten Europas quasi über Nacht 85%
seiner Außenhandelspartner verlor, stand es plötzlich unter einer doppelten
3
Blockade. Daran beteiligte sich die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Kohl in
besonders perfider Art und Weise. Sie kündigte einseitig alle Handelsverträge
zwischen Cuba und der DDR, darunter auch jenen über die Lieferung von
Milchpulver für Cubas Kinder.
Die Empörung über diesen ungeheuerlichen Vorgang wurde auch von Dietrich und
Christel Kittner geteilt und es war für sie eine Selbstverständlichkeit, das bedrohte
Cuba zu unterstützen. So warf Dietrich in jenen Jahren zum Ende jeder Vorstellung
seine Schiffermütze ins Publikum, um Spenden für Milch für Cubas Kinder zu
sammeln. Die legendäre Aktion »Applausstopper« war geboren, deren Bezeichnung
Kittner (zitiert nach dem o.g. UZ-Artikel) so begründete: »Wie wollen Sie klatschen,
wenn Sie eine Hand an der Geldbörse haben?«.
Die »NETZWERK CUBA – Nachrichten« konnten in ihrer Ausgabe Nr. 6, Mai/Juni
1994, melden, dass bis zum 13. Mai dieses Jahres DM 141.836,08 (!!!) gesammelt
(und umgehend nach Cuba gesandt) worden waren. Ein Schriftwechsel zu diesem
Thema zwischen Kittner und dem damaligen Bundespräsidenten Richard von
Weizsäcker ist in der Schriftenreihe »BRD und Dritte Welt«, Magazinverlag Kiel, Heft
33, veröffentlicht worden.
Diese Solidarität mit Cuba war eine anhaltende. Die Kittners unterstützten bspw.
auch den Kampf für die Befreiung der MIAMI 5 und hatten anhaltenden Kontakt mit
der Solidaritätsbewegung, darunter dem Solidaritätskomitee »Basta Ya«.
Noch vor wenigen Wochen hatte wir eine Gedanken- und Meinungsaustausch, u.a.
über die derzeitigen kapitalistischen Verhältnisse hierzulande im allgemeinen und die
Wut darüber im speziellen und über mögliche zukünftige Aktivitäten, zu denen es nun
nicht mehr kommen wird.
Dem Kumpel, Kämpfer, Kommunisten und Internationalisten rufe ich zu:
Dietrich, der Kampf geht weiter – Venceremos!
Unsere tiefsten Gefühle der Anteilnahme sind in diesem Moment bei seiner Frau,
Genossin und künstlerischen Partnerin Christel:
¡Dietrich – Presente!
Heinz-W. Hammer, 18.02.2013

Documents pareils