Leseprobe - Autoren

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Leseprobe - Autoren
Strichmännchen (Leseprobe)
Auf dem Deich, der von ihrem Fenster aus den Horizont begrenzt, laufen trotz des
stürmischen Wetters Leute. In ihren farbigen Regenjacken sehen sie wie bunte Strichmännchen auf einer mit dem Zeichenstift gezogenen Linie aus. Sie stemmen sich gegen den Wind,
bleiben von Zeit zu Zeit stehen und sehen hinüber ins Watt oder auch zur Landseite, wo sich
die kleinen Reetdachhäuschen beinahe aneinanderkuscheln, so als wollten sie sich gegenseitig
wärmen gegen die beißende Novemberluft.
Es führen schmale Treppen zu beiden Seiten des Deiches hinunter, und hin und wieder verschwinden einige der Strichmännchen auf der anderen Seite, dort, wo das Watt im Sommer
moorig an den nackten Füßen kleben bleibt. Doch jetzt ist es zu kalt, um barfuss durchs Watt
zu gehen. Die Strichmännchen tragen bunte Gummistiefel, manche sogar Gummihosen, die
sie vor Wind und Wasser schützen.
Die kleinen Wanderergruppen ziehen sich immer wieder unregelmäßig auseinander,
schließen wieder zueinander auf, gestikulieren mit den Armen. Und auch der ein oder andere
Einzelgänger setzt seinen mühseligen Weg gegen den böigen Wind fort.
Rosa steht am Fenster, dessen kleine, viereckige Scheiben halb von einer Häkelgardine
verdeckt sind. Kleine gehäkelte Segelboote ziehen ihre Bahn über das schmale Fenster, das nur
mühsam die Kälte von draußen abhält.
Der Teebecher in ihrer Hand dampft und wärmt sie zumindest ein wenig, während sich ihre
Brust zum wiederholten Male in einem tiefen Seufzer hebt und wieder senkt.
Eines der Strichmännchen – es ist ein gelbes – winkt mit beiden Armen zu ihr herüber. Es
trägt eine dunkle Pudelmütze und Handschuhe, die Hose ist in gelbe Gummistiefel gesteckt,
und von einem Arm baumelt fröhlich eine Tragetasche. Rosa hebt langsam den Arm und
winkt zurück.
Jorge. Er bringt die Einkäufe. Zweimal die Woche kommt er vom Dorf herüber und bringt
ihr, was sie zum Leben braucht. Er ist ein guter Junge, der Sohn eines spanischen Fischers,
dessen Familie es vor Jahren hierher verschlagen hat und der in dem kleinen Dorfladen
arbeitet: Kisten stapelt, Gemüse putzt, Regale auffüllt und Besorgungen für einige
Stammkunden erledigt.
Das Strichmännchen bewegt sich weiter den Deich entlang, bis es schließlich hinter den
kapuzenartigen Reetdächern der Nachbarhäuser verschwindet.
Rosa stellt den Becher auf der schmalen Fensterbank ab, auf der sich Muscheln, Treibholz und
anderes Strandgut aneinanderreihen, und öffnet die Tür. Jorges gelbe Regenjacke lugt schon
zwischen den unbelaubten Bäumen der angrenzenden Gärten hervor. Er kommt mit seinem
gewohnt forschen und von Tatendrang und Energie zeugenden Gang den schmalen Weg an
den Gärten herunter. Schließlich öffnet er das leicht schief hängende Gartentor und kommt
mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht über den kleinen Plattenweg auf sie zu.
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An Deck (Leseprobe)
Ich liege ausgestreckt an Deck, die Arme hinter meinem Kopf verschränkt, unter mir zwei
dicke Wolldecken, die meinem Rücken die harte Unterlage ein wenig erträglicher machen,
und schaue in den Abendhimmel. Sterne funkeln über mir auf einem endlos nachtschwarzen
Tuch, das sich über unsere dagegen so winzige Welt hier unten spannt. Einige Sternbilder
erkenne ich, andere sind für mich nur unzusammenhängende Lichtpunkte, Einzelgänger in
der Unendlichkeit von Nacht und Firmament...
Es ist still hier in der kleinen Marina, aus der mit dem Untergehen der Sonne zumeist alles
Leben verschwindet. Die Touristen – eben noch waren sie mit den großen Pontonbooten
draußen – sind zurückgekehrt ins Hotel und sitzen vermutlich beim Abendessen oder am
knisternden Kaminfeuer der Hotelbar. So betriebsam es hier tagsüber auch sein mag, am
Abend kehrt Ruhe ein zwischen den Bootsstegen, an denen die Kähne müde im sanften
Abendwind schaukeln. Nur einige kleine Lampen, die die Position der Stege markieren,
schicken ihr schummriges Licht in die Dunkelheit. Taue knarren, Leinen schlagen gegen die
metallenen Masten, das Wasser gluckst an den Bootswänden, und die ein oder andere Flagge
lässt sich vom Wind zum Tanz auffordern.
Doch darüber hinaus ist es still. Sehr still.
Die vier großen Pontonboote gehören dem Hotel. Außer ihnen liegen noch drei stattliche
Motorboote privater Eigner hier, die der Marina einen Hauch mondänen Glanzes verleihen.
Etwa zwanzig Segler strecken ihre abgetakelten Masten wie Finger in den Nachthimmel und
zeichnen eine universell typische Postkartenkulisse. Ein paar heruntergekommene kleine
Boote sind am hinteren Steg vertäut. Sie werden selten benutzt. Ganz am Ende desselben Stegs
liegt „mein“ Boot – nun ja, es ist genau genommen nicht „mein“ Boot, aber es ist mein
Liebling von allen.
Es ist ein alter Kahn, der nicht mehr viel hermacht. Aber seine abblätternde Farbe, die
Schrammen und Risse in seiner Haut, erzählen Geschichten. Es sind Geschichten von vielen
Jahren im Dienst, Jahren zwischen Salzwasser und Gischt, sturmgepeitschter See und fernen
Häfen. Es sind Geschichten voller Sehnsucht und Fernweh, voller Freiheit und Abenteuer, die
hier einen verwaschenen letzten Glanz erahnen lassen. Der Rost schreibt täglich neue Kapitel
dieser Lebensgeschichte hinzu, drückt dem Kahn seinen unverwechselbaren Stempel der
Vergänglichkeit auf und treibt neue tiefe Furchen in sein Gesicht.
An diesen Abenden scheint die übrige Welt nicht zu existieren – es gibt nur mich und das
Boot, das unter mir sanft auf den Wellen schaukelt und mir von seinen Reisen erzählt. Meine
Gedanken setzen ihre Segel und gehen mit ihm auf Fahrt, wenn ich mich bisweilen bei
Anbruch der Dunkelheit heimlich mit meinen Wolldecken unter dem Arm hierher stehle.
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Sturmvorgel (Leseprobe)
Liv war viel zu spät aus der Klinik fort gekommen. Sofort hatte der dichte Verkehr sie in seine
zähen Fänge genommen, und als sie schließlich die Stadtgrenze von Göteborg erreicht hatte,
war sie bereits über eine Stunde unterwegs. Nun brach allmählich die Dunkelheit herein, und
sie hatte noch schätzungsweise drei Stunden Fahrt vor sich.
(...)
Als sie die Ortseinfahrt erreichten, sah Liv bereits die Leuchtreklame eines kleinen Dorfgasthofs, der an der Hauptstraße lag, und steuerte schnurstracks den Parkplatz vor dem Haus
an.
„Siehst Du, das ging schnell“, sagte sie zuversichtlich zu dem Vogel, der noch immer
bewegungslos in ihrem Arm lag. Sie stieg aus, schloss den Wagen ab und betrat die Gaststube,
wobei der Wind beim Öffnen der Tür ein gewaltiges Heulen durch das ganze Haus hören ließ.
Am Tresen des schummrig beleuchteten Raumes saßen drei Männer, offenbar die täglichen
Stammgäste, und dahinter stand ein klobiger Wirt, der mit einem karierten Tuch ein Glas
abtrocknete. Alle sahen zu Liv herüber und betrachteten ihren gefiederten Begleiter mit
einigem Erstaunen.
„Guten Abend“, sagte Liv und ihre Stimme klang fremd und belegt. „Können Sie mir helfen?
Im Sturm ist mir der Vogel hier gegen die Windschutzscheibe geprallt. Er hat sich den Flügel
gebrochen. Gibt es hier einen Tierarzt?“
Wortlos blickten die Männer zu ihr herüber, und Liv fühlte sich einen Moment in ihre
Kindheit zurückversetzt, in der ihr Mitgefühl für Tiere auf dasselbe Unverständnis im Blick
ihres Vaters gestoßen war.
Ärger stieg in ihr hoch.
„Also?“ fragte sie, und ihr Tonfall war härter als sie es beabsichtigt hatte. „Gibt es einen
Tierarzt?“
„Nee“, sagte der Wirt mit lang gezogenem Tonfall, und die anderen drei schüttelten zur
Bestätigung gleichzeitig die Köpfe.
„Aber es muss doch jemanden geben, der mir – der dem Vogel helfen kann“, setzte Liv nach
und blickte die Männer ratlos an, die noch immer keine Anstalten machten, sich vom Fleck zu
rühren.
Schweigen.
„Einar“, sagte plötzlich einer der Männer, ein vierschrötiger Mann, der in einem viel zu
großen karierten Arbeitshemd steckte und seiner Aussprache nach nicht mehr alle seine
Zähne im Mund hatte. „Einar, der Sturmvogel“, fügte er bekräftigend hinzu, als seine
Kumpanen ihn fragend ansahen.
„Ja, stimmt, der Sturmvogel“, sagte der Wirt schließlich und nickte bekräftigend.
„Wer ist das“, fragte Liv, „und wo finde ich ihn?“
Der Wirt machte eine unbestimmte Handbewegung über seine Schulter hinweg zu dem
kleinen Fenster, das in die tiefschwarze Nacht hinauszeigte. „Er wohnt drüben, im alten
Leuchtturm.“
„Wie komme ich dahin?“ fragte Liv zunehmend genervt, weil er so fraglos ihre Ortskenntnis
voraussetzte.
Der Vogel auf ihrem Arm wurde allmählich schwer, doch gerührt hatte er sich bisher nicht.
Mit wachen Augen blickte er jetzt um sich und schien sich nach wie vor in Livs Obhut wohl
zu fühlen.
„Am besten gehen Sie am Strand lang“, sagte der Wirt, der schon wieder beim Gläserpolieren
war. Über die Straße dauert’s viel länger, und Sie wollen den Vogel ja wohl bald loswerden,
oder?“ Er grinste sie breit an, seine Gäste nickten amüsiert über diesen Witz, dessen Komik
Liv nicht recht verstand.
„Danke“, murmelte sie kurz und verließ mit schnellen Schritten das Lokal. Sie wandte sich
nach rechts und passierte eine lange Mauer, an deren Ende eine breite steinerne Treppe zum
Meer hinunterführte, das in der Dunkelheit bedrohlich rauschte.
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