Don Juan die Liebe zur Geometrie

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Don Juan die Liebe zur Geometrie
Don Juan
oder
die Liebe zur Geometrie
von Max Frisch
Ausgearbeitet von Johannes Nemetz
Der Inhalt
Max Frisch’s Komödie Don Juan oder die Liebe zur Geometrie wurde am 5. Mai 1953 im Zürcher
Schauspielhaus und gleichzeitig am Schiller-Theater in Berlin uraufgeführt. Sie ist 1952 entstanden und wurde
1953 zum erstenmal veröffentlicht. 1961 arbeitete Frisch sein Stück geringfügig um. Es ist in fünf Akte
gegliedert, wobei die Handlung nicht so linear und episodenhaft wie bei den meisten anderen Don-Juan-Dramen
ist. Hier liegt sogar ein Zeitraum von 12 Jahren zwischen dem dritten und vierten Akt. Die Handlung der ersten
drei Akt ist in sich abgeschlossen, Akt vier und fünf ebenfalls, jedoch mit wesentlich weniger Umfang. Frisch’s
Szenenanweisungen sind sehr spärlich.
Der Ort des Geschehens ist Sevilla. Als Zeit gibt er “eine Zeit guter Kostüme” an, da er in diesem Werk mehrere
weit auseinanderliegende historische Ereignisse zusammenfaßt.
Die Zwischenspiele, die eine Tradition des spanischen Theaters sind, stehen mit der Haupthandlung meist in
keinem Zusammenhang.
Folgende Personen nehmen an diesem Spiel teil: Don Juan; Tenorio, sein Vater; Miranda; Don Gonzalo, Komtur
von Sevilla; Donna Elvira, dessen Gattin; Donna Anna, ihr Kind; Pater Diego; Don Roderigo, Freund der Don
Juan; Donna Inez; Celestina, die Kupplerin; Don Balthazar Lopez, ein Ehemann; Leporello; Witwen von Sevilla;
Drei fechtende Vettern.
1. Akt
Es ist Nacht und man kann die Musik aus der Ferne hören. Ein junger Mann schleicht eine Treppe hinauf, die zu
einem Schloß führt. Als sich zwei Frauen nähern, versteckt er sich hinter einer Säule. Es sind Donna Elvira und
Donna Inez auf der Suche nach Don Juan. Sie gehen weiter. Zwei andere Personen, ein alter Mann und Pater
Diego erscheinen. Der alte Mann ist Don Juans Vater Tenorio und er wartet ebenfalls auf seinen Sohn, der von
Tenorio in seinen wesentlichsten Eigenschaften vorgestellt wird: “Er hat kein Herz, ich sag’s, genau wie seine
Mutter. Kalt wie ein Stein. Mit zwanzig Jahren: Ich mache mir nichts aus Frauen! Und was das schlimmste ist,
Pater Diego: er lügt nicht. Er sagt, was er denkt. Seine Geliebte, sagt er mir ins Gesicht, sei die Geometrie. Was
hat mir dieser Junge schon Sorge gemacht! Sie sagen es ja selbst, sein Name kommt in keiner Beichte vor. Und
so etwas ist mein Sohn, mein einziger, mein Stammhalter! - mit zwanzig Jahren noch nie bei einem Weib
gewesen, Pater Diego, können sie sich das vorstellen? Selbst alle Kunst der großen Kupplerin Celestina ist bei
Don Juan vergebens. Wenn er einmal ins Bordell geht, nur um dort Schach zu spielen.”
Don Gonzalo, der Komtur von Sevilla kommt hinzu. Alle warten nur mehr auf Don Juan. Man erkennt, daß die
Hochzeit Don Juans mit Donna Anna unmittelbar bevorsteht.
Der Komtur erzählt von den großen Taten, die Don Juan im Krieg gegen die Heiden vollbracht hat, denn er hat
die Länge der feindlichen Festung in Cordoba exakt vermessen.
Zu den Hochzeitsfeierlichkeiten gehört ein Maskenfest. Da das Pferd von Don Juan schon gesichtet wurde,
vermutet man, daß er selbst auch nicht weit ist.
Im Gespräch von Donna Elvira mit Pater Diego sagt sie, daß sie sich bräutlicher fühlt als ihre Tochter. Ihnen
gegenüber stehen zwei Personen. Es handelt sich um Miranda, die glaubt Don Juan vor sich zu haben, aber es ist
dessen Freund, Don Roderigo. Miranda verschwindet wieder. Don Roderigo ist allein, doch plötzlich kommt Don
Juan hinter der Säule hervor. Er fleht Roderigo an, ihm zur Flucht vor seiner Hochzeit zu helfen. Dieser jedoch
will Juan von seinem Glück überzeugen. Don Juan verschwindet im finsteren Schloßpark. Auch Don Roderigo
zieht sich zurück.
Donna Anna und Pater Diego treten auf. Er macht Anna Mut zur Ehe und schildert ihr den Bräutigam, den sie
kaum kennt. Plötzlich hören sie aus dem Schloß Lärm. Pater Diego geht nachsehen. Anna bleibt alleine zurück.
Ein weiteres Mal hört man dieses Geräusch. Erschrocken läuft Donna Anna in den Schloßpark, in dem auch Don
Juan verschwunden war.
Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt wird ein Intermezzo (Zwischenspiel) eingeschoben. Miranda und
Celestina treten auf. Ort des Geschehens ist das Freudenhaus von Celestina. Sie macht Miranda, eine ihrer
Angestellten schwerste Vorwürfe, weil sich diese in einen Mann verliebt habe. Miranda ist jetzt für dieses
Geschäft verloren und wird vor die Tür gesetzt.
2. Akt
Donna Anna wird in einem Saal des Schlosses von Donna Inez als Braut geschmückt. Annas Haar ist feucht und
schmutzig. Als Donna Inez nach dem Grund für das Aussehen ihrer Haare fragt, berichtet die Braut über ihr
Erlebnis der vergangenen Nacht im Schloßpark. Sie hat jemanden kennengelernt und nur diesen Mann will
Donna Anna als Bräutigam.
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Don Gonzalo und Pater Diego kommen. Don Gonzalo erzählt von der Eroberung der Burg von Cordoba und ihm
wäre der gesamte Harem zur freien Verfügung gestanden, jedoch hat er keine der Mädchen angerührt, aber eine
Sünde im Geist begangen.
Die Hochzeitsgesellschaft findet sich ein, nur Don Juan fehlt noch. Nachdem auch er erschienen ist beginnt die
Zeremonie. Auf die Frage, ob Juan Anna heiraten will antwortet er mit einem klaren “Nein”, das aber erst nach
dreimaligem Wiederholen auf Reaktion stößt.
Sofort nennt er auch den Grund dafür:
“Wir trafen einander gestern im Park. Zufällig. Gestern in der
Finsternis. Und auf einmal war alles so natürlich. Wir sind
geflohen. Beide. Aber im Finstern, da wir nicht wußten, wer wir
sind, war es ganz einfach. Und schön. Und da wir uns liebten,
haben wir auch einen Plan gemacht - jetzt kann ich es ja verraten:
Heute nacht, beim Teich, wollten wir uns wiedersehen. Das war
unser Schwur. Und ich wollte das Mädchen entführen.”
Juan wollte die Hochzeit nur zum Schein mitmachen. Als jetzt klar wird, daß seine Geliebte seine Braut werden
soll, sagt er sich von ihr los. Donna Anna bleibt in der ganzen Szene stumm. Don Gonzalo zieht den Degen, als
Don Juan gehen will. Er will die verlorene Ehre seiner Tochter rächen. Juan will sich jedoch nicht auf einen
Kampf einlassen. Auch auf die Aufforderung der Vettern geht er nicht ein.
Don Juan glaubt, daß durch seine Hochzeit die Schönheit der Erinnerung an das nächtliche Erlebnis im Park
ausgelöscht würde, und er weigert sich stur, Anna zu heiraten.
Während Don Gonzalo einen weiteren Versuch startet mit Juan zu kämpfen, verabschiedet sich dieser von Anna
und verschwindet. Don Juan stürzt wieder herein, und Donna Elvira, die Mutter von Anna, die zurückgeblieben
ist, bietet ihm ihre Kammer als Versteck an. Tenorio sieht zufällig, wie Don Juan und Elvira sich umarmen und
fällt beinahe in Ohnmacht.
Auch zwischen dem zweiten und dem dritten Akt wird ein Intermezzo eingeschoben. Die darstellenden Personen
lauten abermals Miranda und Celestina, die ein Brautkleid für Miranda näht. Miranda, die in Don Juan verliebt
ist will in der Nacht in den Schloßpark gehen und dort auf ihn warten. Sie hofft, daß er sie mit Donna Anna
verwechselt und sie heiratet. Eine Heirat ist auf Grund ihres Berufes nur durch diesen Betrug möglich.
3. Akt
Don Juan sitzt vor dem Schloß und ißt ein Rebhuhn. Don Roderigo kommt. Im Gespräch mit ihm zeigt sich Juan
wenig beeindruckt von den Erlebnissen der vergangenen Nacht. Nebenbei erwähnt er auch, daß er auf der Flucht
auch bei Don Roderigos Braut Donna Inez im Schlafzimmer war. Roderigo glaubt ihm allerdings nicht. Auch das
Donna Anna die ganze Nacht im Park gewartet und nach ihm gerufen hat, interessiert Juan kaum. Don Juan
erzählt, wie schön das erste Zusammentreffen zwischen ihm und Anna gewesen ist, jedoch nach diesen
Erlebnissen der vergangenen Nacht fühlt er nichts mehr für die Nacht mit Anna.
Während sich Don Juan von Don Roderigo verabschiedet, kommt eine Gestalt die Schloßtreppe herab, gekleidet
wie eine Braut. Donna Anna, wie beide meinen. Roderigo stürzt davon. Don Juan verhöhnt Anna und seine
ehemalige Liebe, indem er die Szene der ersten Begegnung genau nachspielt. Aber dann erliegt er doch dem
Zauber der vermeintlichen Donna Anna und umarmt sie. In diesem Augenblick kommt Don Gonzalo und fordert
Juan zum Kampf. Er erwähnt außerdem, daß sich Don Roderigo umgebracht hat, da er diese Schande nicht mehr
ausgehalten hat.
Don Juan tötet den Komtur, weil er gezwungen ist, sich gegen dessen Angriffe zu erwehren. Pater Diego kommt
mit der ertrunkenen Donna Anna auf den Armen; die als Braut verkleidete Gestalt will fliehen, wird aber
eingeholt: Es ist die Hure Miranda. Aber auch jetzt ist Don Juan nur einen Augenblick betroffen: “Begrabt
das arme Kind, aber wartet nicht darauf, daß ich mich bekreuzige, und hofft nicht, daß ich weine. Und tretet mir
nicht in den Weg. Jetzt fürchte ich nichts mehr. Wir wollen sehen, wer von uns beiden, der Himmel oder ich, den
andern zum Gespött macht!”
4. Akt
Don Juan ist inzwischen dreiunddreißig Jahre alt. Der Ort des Geschehens ist ein Saal in dem sich eine festliche
Tafel befindet. Juans Diener Leporello stellt Karaffen auf den Tisch. Drei Musiker warten auf Anweisung. Als
die Musiker nach ihrem Honorar fragen, weicht Don Juan ihnen geschickt aus, indem er sagt, daß er für solche
Sachen keine Zeit hat, da er dreizehn Damen erwartet, die behaupten, daß er sie verführt habe, und der Bischof
von Cordoba und außerdem ein Denkmal, ein Gast aus Stein kommt.
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Leporello meldet, daß der Bischof angekommen ist. Juan bittet ihn den Bischof noch etwas warten zu lassen. Der
steinerne Gast, niemand geringer als die verkleidete Celestina, tritt hinter dem Vorhang hervor, um mit Juan um
ihr Geld zu handeln. Sie verschwindet jedoch wieder hinter der Gardine. Plötzlich erschrickt Juan, da eine
verschleierte Dame den Raum betreten hat. Die Dame, eine Witwe, ist die Herzogin von Ronda. Sie macht Juan
ein Angebot: Er heiratet sie. Er darf seiner Geometrie natürlich treu bleiben. Und außerdem besitzt sie ein Schloß
mit vierundvierzig Zimmern.
Als der Bischof den Saal betritt, entfernt sich die Herzogin.
Don Juan schlägt dem Bischof einen Handel vor: Er möchte von der Kirche für tot erklärt werden und in einem
abgelegenen Männerkloster eine Einzelzelle, um sich in Abgeschiedenheit nur noch der Geometrie zu widmen.
Und die Kirche bekommt: die Legende von der Höllenfahrt des Frevlers.
Er versucht, den Bischof mit allen Mitteln von den Vorteilen für beide Seiten zu überzeugen, denn er ist es leid,
für den großen Frauenverführer gehalten zu werden. Er glaubt sich vielmehr von den Frauen verfolgt.
Danach erläutert er dem Bischof seinen Abgang:
“Ich habe eine Person gemietet, die uns den toten
Komtur spielen soll, und die Damen werden schon
kreischen, wenn sie seine Grabesstimme hören.
Machen sie sich keine Sorge! Dazu ein schnödes
Gelächter meinerseits, so daß es ihnen kalt über den
Rücken rieselt, ein Knall im rechten Augenblick, so
daß sie Damen ihre Gesichter verbergen - Eminenz
sehen sie die sinnreiche Maschine unter dem Tisch! und schon stinkt es nach Schwefel und Rauch.”
Mit einem Schrei will Juan danach durch eine Luke in den Keller entwischen. Der Handel kommt jedoch nicht
zustande, da kurz bevor die Damen eintreffen sich der Bischof als Don Balthazar Lopez, einer der von Don Juan
betrogenen Ehemänner, zu erkennen gibt. Er will nun Juans falsches Spiel aufdecken.
Nachdem Lopez sich seiner Verkleidung wieder angenommen hat, treten die dreizehn Damen, die behaupten, daß
Juan sie verführt habe, ein. Die Türen werden von Leporello geschlossen. Don Juan teilt den Damen mit, daß er
auch das Denkmal des Komturs eingeladen hat. Man hört ein dumpfes Poltern. Don Lopez versucht vergebens
die Damen darauf aufmerksam zu machen, daß dies alles nur gespielt und nicht echt ist. Als Don Juan den
Vorhang erhebt wird das Denkmal des Komturs (die verkleidete Celestina) sichtbar. Das Denkmal ruft mit
fürchterlicher Stimme den Namen von Don Juan. Die Damen kreischen. Don Juan greift nach der Hand des
Denkmals. Man hört einen Knall. Im Rauch verschwinden das Denkmal und Juan in der Versenkung. Die
Musiker spielen das bestellte Halleluja.
Ein weiters Zwischenspiel folgt. Donna Elvira ist ins Kloster gegangen. Celestina will bei ihr beichten, daß sie
den Komtur gespielt und damit soviel Unheil angerichtet habe. Sie berichtet, daß Don Lopez des Landes
verwiesen wurde und sich in Marokko erhängt habe, nur weil er behauptete, ein Schwindler habe den Geist des
Komturs gespielt. Sie teilt ihr außerdem mit, daß Don Juan lebt und nicht tot ist. Schwester Elvira antwortet
nichts und entfernt sich.
Leporello kommt hinzu. Er beschwert sich, daß Don Juan ihm vor seiner Höllenfahrt keinen Lohn gegeben habe.
5. Akt
Der fünft Akt spielt in einer Loggia. Don Juan wartet an einem für zwei Personen gedeckten Tisch. Nach einiger
Zeit ruft er seinen Diener und beschimpft ihn, da man ihn zu früh zum Essen gerufen hat. Als sich der Diener
entfernt, tritt der Bischof von Cordoba, vormals Pater Diego, ein. Er bewundert den prachtvollen, herbstlichen
Schloßpark. Auch bei dem Bischof beschwert sich Don Juan, daß man ihn nicht pünktlich zum Essen ruft. Er
kommt sich wie ein Gefangener vor, aber er will auch unter keinen Umständen sein früheres Leben wieder
aufnehmen. So lebt er seit einigen Jahren auf dem Schloß, und er hat sich in die Herzogin von Ronda, niemand
anders als ehemalige Prostituierte Miranda, die früher in Celestinas Bordell gearbeitet hat, verliebt.
Als die Herzogin eintritt, erzählt der Bischof gerade davon, daß jetzt die spektakuläre Höllenfahrt des Don Juan
in Sevilla als Theaterstück aufgeführt werde.
Nachdem der Bischof gegangen ist, setzt man sich zu Tisch. Ganz nebenbei erwähnt Mirinda, die Herzogin, daß
sie ein Kind bekommt.
Die Charakteristik
1. Don Juan
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Zu Beginn des Stückes wird er von seinem Vater und Don Gonzalo in drei wesentlichen Punkten vorgestellt: Er
hatte bisher noch nie etwas mit Frauen, spielt selbst im Bordell nur Schach; er liebt die abstrakte Wissenschaft
der Geometrie über alles und gilt als Held von Cordoba, weil er die feindliche Festung exakt vermessen hat.
Als er sich hinter der Säule versteckt, ist er sich über seine eigenen Gefühle unklar und erkennt, daß er nicht aus
Liebe heiraten wird, sondern weil die Konvention es so verlangt.
Don Juan versucht bis auf die Szene wo er die als Anna verkleidete Miranda umarmt und seinen Gefühlen freien
Lauf die Rationalität über das Gefühl zu stellen.
Er weißt durchaus narzißtische Züge auf, die jedoch erst nach der Nacht im Schloßpark mit Anna zum Vorschein
kommen. Was er im Park in aller Natürlichkeit erlebt hat, wird für ihn durch die kirchliche und gesellschaftliche
Sanktionierung unmöglich. Nachdem er ein klares Nein bei der Hochzeit verkündet, zeigt er seine zynische Seite.
Don Juan stellt die Liebe als etwas Negatives hin, wie einen Rausch, der den Geist verwirrt.
Er möchte nach diesen Erlebnissen die Liebe vergessen und sich nur mehr der Geometrie widmen. In einem
Dialog mit Don Roderigo sagt er selbst: “Ich habe ausgeliebt.” Jedoch nach dieser Szene muß er sich noch
einmal der verkleideten Miranda hingeben. In dieser Situation wird er zur tragischen Figur. Annas Tod ist wohl
der tragischste Moment in dem Leben von Don Juan. Er reagiert darauf sehr verschieden: Zuerst entsetzt beim
Anblick der Leiche derer, die er lebend vor sich zu sehen glaubte, danach sogar bis zur Verzweiflung auf Grund
der zerstörten Hoffnung. Jedoch nach Annas Tod fürchtet er nichts und niemanden.
Im vierten Akt entpuppt sich Don Juan als derjenige, für den man ihn gemeinhin hält: der große Verführer der
Frauen - wobei weitgehend unklar bleibt, ob er die Frauen oder sie ihn verführt haben. Überdies bleiben auch
keine Zweifel darüber - da alle Frauen, die im vierten Akt zu ihm kommen, gestandene Ehefrauen sind -, ob nicht
Don Juan für sie ein Objekt verspäteter Lust darstellte, das sie nur im Nachhinein beschuldigen, weil er nicht treu
geblieben ist. Mit seinem Verschwinden will er nun alle zufriedenstellen, die Frauen, die Kirche, die Konvention
(Regeln des sozialen Verhaltens, die für die Gesellschaft als Verhaltensnorm gelten) und auch sich selbst.
Außerdem ist er bankrott. Seine inszenierte Höllenfahrt gelingt.
Im letzten Akt hat Juan es endlich erreicht. Er hat seine Geometrie. Juan ist ein alter Mann geworden, der nörgelt,
wenn man ihn nicht pünktlich zum Essen ruft.
2. Donna Anna
Donna Anna ist von außerordentlicher Schönheit, die jedoch nur kaum an Persönlichkeit besitzt. Sie spricht
selten mehr als einen Satz und ist überhaupt ein sehr verträumtes Mädchen.
Grundsätzlich will sie ihrem Vater alles recht machen, jedoch sogar bei den Hochzeitsvorbereitungen spricht sie
nur von der Nacht im Park, wo sie Don Juan kennengelernt hat. Als Don Juan sie nicht heiraten will, kann sie die
Argumentation von Don Juan nicht verstehen, da sie zu naiv ist.
Donna Anna wählt als Ausweg den Tod, indem sie sich im Teich ertränkt.
3. Tenorio
Tenorio ist als er erfährt, daß sein Sohn der Held von Cordoba ist erstmals stolz auf Don Juan. Jedesmal wenn er
über etwas erstaunt ist äußert er sich mit einem “Junge, Junge”. Max Frisch macht sich in seiner Komödie lustig
über die vorbestimmte Haltung des Vaters.
4. Don Gonzalo
Als Vater der Braut spielt er eine wesentliche Rolle in Frisch’s Komödie. Er steht mit ganzen
Herzen hinter seiner Tochter. Er ist ein guter Christ, der sogar vor der Hochzeit noch beichtet.
Als Don Juan die Ehre seiner Tochter verletzt, will sich Don Gonzalo sofort für sie rächen, jedoch geht Don Juan
vorerst nicht auf einen Kampf ein. In der Nacht der Hochzeit ist er der Gegner von Don Juan. Er hat sich als
einziges Ziel gesetzt, seine Tochter zu rächen. Er wird jedoch dabei zur komischen Figur. Als er Don Juan
endlich dazu bringt mit ihm zu kämpfen, wird er erstochen. Er mußte dies allerdings riskieren, da er sonst ein
schlechtes Bild als Vater vor dem Volk abgibt.
5. Donna Elvira
Sie ist von Don Juan hingerissen und wünscht sich, daß sie nicht die Brautmutter sondern die Braut ist. In ihren
Dialogen erkennt man, daß sie eine lebenslustige und lebenskundige Frau ist. Die Ehe zwischen ihr und Don
Gonzalo ist schon länger nicht mehr intakt und sie hat ein Verhältnis mit Pater Diego. Eigentlich verspürt sie
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keine Trauer, als Don Juan die Verbindung mit Donna Anna ablehnt. Auch beim Kampf zwischen Don Gonzalo
und Don Juan wirft sie sich einmal dazwischen, jedoch nur um Don Juan zu schützen.
Im letzten Intermezzo tritt sie nochmals in einem Kloster auf. Sie ist dort hingegangen, da sie enttäuscht ist, daß
sie Don Juan nicht bekommen hat.
6. Pater Diego
Er
7. Don Roderigo
Don Roderigo ist ein Jugendfreund Don Juans, den einzigen Freund, den er hat und den er dann im Verlauf des
Dramas bewußt herausfordert.
8. Donna Inez
Sie ist die Braut von Don Roderigo und die wichtigste Ansprechpartnerin von Donna Anna.
Der Stoff
Der Don-Juan-Stoff stammt aus Spanien.
Um 1624 fand in Madrid die erste Aufführung des Dramas El Burlador de Sevilla y convidado de piedra von
Tirso de Molina (1517 - 1648) statt. Das Drama wurde 1630 zum erstenmal gedruckt und danach sehr oft ins
Deutsche übersetzt.
In Tirsos Drama ist Don Juan ein junger Mann von adeliger Herkunft, der nichts anderes im Kopf hat, als
dumme, oft auch blutige Streiche zu machen und den Frauen nachzustellen. Am Beispiel von vier Frauen wird
Don Juans Charakter und Leben vorgeführt. An Donna Isabella, der er im Dunkel der Nacht als ihr Liebhaber
Octavio erscheint, an Donna Anna, der er gleichfalls im Mantel des Liebhabers naht und deren zu Hilfe eilender
Vater Don Gonzalo de Ulloa er im Zweikampf ersticht, und an zwei Mädchen aus dem Volke, die er mit
Heiratsversprechen gefügig macht. Auf der Flucht vor dem letzten Abenteuer gerät er an das Grab Don Gonzalos,
dessen drohende Grabschrift ihn reizt, das Standbild des Verstorbenen zu sich einzuladen. Der steinerne Gast
kommt wirklich und lädt ihn seinerseits auf den Kirchhof ein; als Don Juan bei dieser Wiedereinladung nicht
zögert, dem Standbild die Hand zu reichen, verbrennt ihn höllisches Feuer. Auch sein Motto gibt er in diesem
Stück an: “Besser schmeckt mir kein Vergnügen, als ein junges Weib betrügen.”
Der Titel El burlador de Sevilla heißt übersetzt soviel wie der Betrüger von Sevilla. “burlar” bedeutet
“jemanden hereinlegen” und genau auf das kommt es Don Juan an. In erster Linie gehen Juans Untaten gegen das
gesamte öffentliche Leben, die Gesellschaft, und erst danach zu Lasten der Frauen. Don Juan bezeichnet sich
stets als Kavalier, der sich den Grundsätzen der Ehre unterworfen weiß.
Don Juan oder der steinerne Gast von Molière (1622 - 1673) wurde am 15. Februar 1665 im Pariser Théâtre
du Palais-Royal uraufgeführt. Bei Molière ist Don Juan zum Freigeist und Atheisten - ganz im Stil des
“preziösen” Edelmannes seiner Zeit. Er entwickelt eine Philosophie des Lasters, hat aber in Donna Elvira eine
Gegenspielerin, eine ebenbürtige Gegnerin, eine Frau von Geist und Verstand. Aus dem “Burlador” wird ein
“Moqueur” mit deutlich rationalem, intellektualisiertem Bewußtsein. Darüber hinaus ist der Don Juan jetzt mehr
arrogant und erweckt im Zuschauer das Gefühl moralischer Verachtung. Er wird zum schlechten Menschen.
Der Don-Juan-Stoff breitet sich dann von Frankreich über ganz Europa aus - zunächst immer als Bühnenwerk.
Die erste deutsche Version, sie erscheint 1690, ist Don Juan oder Don Pedros Totengastmahl von Magister
Velten.
Bis heute wurden über 500 Versionen von Don Juan geschrieben, die meisten entstanden in Frankreich.
Ein weiteres Werk in der Geschichte des Don-Juan-Stoffes ist Don Juan und Faust von Christian Dietrich
Grabbe (1801 - 1836). Don Juan ist der feurige, sinnliche temperamentvolle Südländer, extrovertiert, flatterhaft,
den Äußerlichkeiten zugewandt, der Frauenverführer - während Faust der selbstquälerische, eigenbrötlerische,
introvertierte Nordländer ist, der Denker, der Philosoph, der alles wissen und rational erfassen will. In diesem
Drama geht es mehr um die Auseinandersetzung zwischen Don Juan und Faust, als um den Kampf um Donna
Anna.
Erst in diesem Jahrhundert, genauer gesagt 1935, ist Don Juan kommt aus dem Krieg von Ödön von Horváth
(1901 - 1938) entstanden. Er versucht Don Juans Taten psychologisch zu erklären. Don Juan ist bei Horváth zum
Opfer der vielen einsamen Frauen geworden, von denen es, wie der Autor meint, nur wenige Grundtypen gibt:
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die Tragische, die Oberflächliche, die Tiefgründige, die Aufbegehrende, die Gutmütige, die Erwachende, die
Brennende und die Hassende. In seinem Vorwort bezeichnet Horváth Don Juan als den “großen Verführer, der
immer und immer von den Frauen verführt wird”.
In kurzen Szenen werden die vielen Frauen vorgestellt, die von Don Juans Weg kreuzen; er aber sucht seine
erste, seine Jugendliebe, die für ihn durch den Krieg zur Idealgestalt geworden ist.
Lord Byron (1788 - 1824) schrieb ein großes satirisches Epos in 17 Gesängen mit dem Titel Don Juan, das von
1817 bis 1824 entstanden ist. Es ,ist das größte Epos der englischen Romantik. Don Juan hat mit dem
ursprünglichen Helden nur noch Namen und einzelne Charaktereigenschaften gemeinsam. Er ist ein charmanter,
von Skrupel kaum geplagter Glücksritter, der von Byron mit distanzierter Ironie betrachtet wird.
Don Juan muß seine Heimatstadt wegen einer Liebesaffäre mit 16 Jahren verlassen. Er lernt das Leben in vielen
Ländern und Gesellschaftsschichten kennen und macht sich seine, meist satirischen, Gedanken darüber. Er ist
skeptisch, sarkastisch und leidenschaftlich. Byron konnte dieses Werk allerdings nicht mehr beenden.
Don José Zorilla y Moral (1817 - 1889) schrieb im Jahr 1844 eine Art Gegen-Don-Juan mit dem er in Spanien zu
größter Berühmtheit gelangte. Mit Don Juan wurde er sogar zum spanischem Nationaldichter ernannt. Zorillas
Don Juan steht ganz in der Tradition des spanischen Dramas vom Mittelalter und Calderón.
Das Stück beginnt mit einer Wette Don Juans, in sechs Tagen eine Nonne verführen zu können. Es gelingt ihm
zwar, sie aus dem Kloster zu entführen - aber Donna Inez ist charakterlich stärker als er und beeindruckt ihn mit
ihrer Standhaftigkeit. Er will sie heiraten, aber sein Vorleben wirft dunkle Schatten: Er tötet in Notwehr den
Vater von Inez und diese selbst. Der zweite Akt zeigt Don Juan fünf Jahre später auf dem Friedhof, wo er die
körperlich auftretenden Geister aller seiner Opfer verhöhnt. Die Mahnung zur Umkehr scheint vergeblich;
schließlich errettet ihn die Fürbitte von Inez. In Zorillas Drama wird Don Juan zum erstenmal als Verliebter
vorgestellt; er hat ein “Vorleben”; er ist wandlungsfähig und dadurch wird er im Ganzen gesehen menschlicher.
Die Don-Juan-Gestalt finden wir auch im Zwischenspiel Don Juan in der Hölle zu dem Drama Man and
Superman von George Bernhard Shaw (1856 - 1950), indem Don Juan in der Hölle über Leben, Liebe und Tod
diskutiert.
Eine letzte Ausformung des Don-Juan-Stoffes ist Ornifle ou le courant d’air (Der Herr Ornifle) von Jean
Anouilh (geb. 1910). Don Juan (Herr Ornifle) lebt zu unserer Zeit und ist im Showbusineß tätig, er schreibt
Schlagertexte, darüber hinaus alles, was ihm aufgetragen wird. Er ist ein oberflächlicher Hedonist1, der sich in
seinem Innerem nach Glück und Geborgenheit sehnt, die er zwar kennt, aber in seinem Leben nicht finden kann.
Er stirbt an einem Schlaganfall.
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Hedonismus ist eine in der Antike gegründete philosophische Lehre, nach welcher das höchst ethische Prinzip
das Streben nach Sinnenlust und Genuß ist.
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