Hans-Joachim Watzke

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Hans-Joachim Watzke
Das große €uro-Interview [Meinungen & Macher]
Ausgabe 10| 13
„Wer von Fußball keine Ahnung
hat, soll sich zurückhalten“
Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, über sein Erfolgsrezept,
die Rolle von Finanzinvestoren im Fußball und über BVB-Stürmerstar Robert Lewandowski
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fotos: Axel griesch für €uro (2)
Hans-Joachim
Watzke (54): „Die
Gehaltsspirale im
Spitzenfußball wird
sich weiter nach
oben drehen“
€uro: Herr Watzke, lassen Sie uns direkt mit dem
Ball ins Tor fallen: Sollten Anleger Borussia-Dortmund-Aktien kaufen?
Hans-Joachim Watzke: Hätten sie das nicht schon
vor längerer Zeit tun müssen? Wer rechtzeitig ein Gespür dafür hatte, was bei uns passiert, hat ordentlich
profitiert. Schließlich gab es die Aktien im Jahr 2009
für weniger als einen Euro das Stück.
Heute kostet die Aktie um die 3,50 Euro. Ist das noch
ein Kaufkurs?
Das weiß man immer nur im Rückblick. Ich bin mir
aber sicher, dass unsere Erfolgsgeschichte weitergeht.
Im Ende Juni abgelaufenen Geschäftsjahr 2012/13
hat Borussia Dortmund 305 Millionen Euro Umsatz
erzielt und den Gewinn um 49 Prozent auf 52 Millionen gesteigert. Beides Rekorde. Wie geht’s weiter?
Können wir nicht erstmal diese Zahlen besprechen?
Na dann …
Wir sind stolz , als zweiter deutscher Fußballklub
nach dem FC Bayern München die Umsatzmarke
von 300 Millionen Euro geknackt zu haben. Doch
machen wir uns nichts vor: Insbesondere den Gewinn werden wir nicht so schnell wiederholen.
Eben sollte die Erfolgsstory noch weitergehen.
Definieren Sie Erfolg nur über Umsatz- und Gewinnwachstum?
Sie sprechen mit einem Wirtschaftsmagazin mit Börsenfokus.
Gute Bilanzkennzahlen kann ein Fußballunternehmen aber nur erreichen, wenn
es sportlich erfolgreich ist. Das predige
ich, seit ich 2005 als Geschäftsführer
beim BVB angetreten bin.
Ihre Vorgänger haben anlässlich
des Börsengangs im Oktober
2000 erzählt, der BVB würde durch den
Aufbau fußballverwandter Geschäftsfelder
unabhängiger vom sportlichen Erfolg.
Das war Unfug, wie man spätestens 2005 gesehen hat. Da waren wir ruiniert. Wenn du
als Fußballklub ein schwaches Kernprodukt
hast, kannst du alles andere auch vergessen.
Wann betrachten Sie Ihr Kerngeschäft als
stark?
Wenn wir dauerhaft in der Champions
League spielen und dort viele Spiele gewinnen. Nur dann können wir den BVB international noch besser vermarkten. Allerdings ist
das extrem schwierig, weil es in Europa keine Wettbewerbsgleichheit gibt.
Sie meinen, weil immer mehr Fußballklubs
ans große Geld kommen, indem sie sich an
Hedgefonds, Ölprinzen oder Oligarchen
verschleudern?
So kann man das sagen.
In England gehören inzwischen sämtliche
Erstligaklubs ganz oder teilweise Finanz­
investoren. Holen Sie auch einen zum BVB –
dann haben Sie Wettbewerbsgleichheit.
Wir wollen keine Finanzinvestoren, sondern
genau die Struktur, die wir jetzt haben. Mit
solchen Leuten sind schon einige Klubs in
die Insolvenz geschlittert — zum Beispiel der
FC Portsmouth im Jahr 2010. Dort haben erst
Araber und dann Chinesen wilder Mann gespielt. Oder 2012 der Schweizer Traditionsverein Xamax Neuchâtel, der von einem
tschetschenischen Mehrheitseigner abgewirtschaftet wurde. Man stelle sich vor, solche Leute kämen an Kulturgüter wie Borussia
„Ich glaube, mithilfe von
Hedgefonds kann kein
Fußballklub reüssieren.“
Hans-Joachim Watzke im
Gespräch mit €uro-Autor
Mario Müller-Dofel auf den
Rängen des BVB-Stadions
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Das große €uro-Interview [Meinungen & Macher]
Hans-Joachim Watzke,
geboren am 21. Juni 1959
in Marsberg/Sauerland,
studierte Betriebswirtschaft und gründete die
Watex Schutz-Bekleidungs-GmbH, die Arbeitsschutz- und Feuerwehrkleidung herstellt. Er führte seine Firma bis 2005,
als ihn die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA
als Geschäftsführer berief.
Danach verantwortete er
die Rettung des von der
­alten Führung ruinierten,
überschuldeten Fußballklubs. Der finanziellen Stabilität folgte bald wieder
der sportliche Erfolg: So
wurde der BVB 2011 und
2012 Deutscher Fußballmeister. Der 54-jährige
Familienvater wohnt nach
wie vor mit seiner Ehefrau
in Marsberg-Erlinghausen.
Er ist auch Chef seines
Heimatvereins Rot-Weiß
Erlinghausen und kickt
dort bei den Alten Herren.
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Dortmund, Schalke 04 oder den Hamburger
SV! Zum Glück schützt uns die 50+1-Regel der
Deutschen Fußball Liga davor.
Diese Regel verbietet es Investoren, die
Stimmenmehrheit an Kapitalgesellschaften
zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre
Profimannschaften ausgliedern. Trotzdem
können Milliardäre ihr Geld einsetzen, um
Vereine zu puschen — wie SAP-Mitgründer
Dietmar Hopp die TSG Hoffenheim.
Zu solchen Klubs habe ich schon viel gesagt
und will die Diskussion nicht neu entfachen.
Aber denen, die die 50+1-Regel immer wieder
infrage stellen, rufe ich zu: Alles, was in den
vergangenen acht Jahren bei Borussia Dortmund entstanden ist, ist ohne das Geld reicher Privatleute entstanden.
Fußball zieht inzwischen auch Hedgefonds
an. Beispielsweise geben sie Klubs Kredite
und erhalten dafür Transferrechte. Das
Kalkül: an den rasant steigenden Ablösesummen von Topstars mitverdienen. Was
halten Sie davon?
Auch das sehe ich kritisch, weil ich glaube,
dass kein Klub mithilfe von Hedgefonds
­re­üssieren kann. Je mehr Leute bei einem
Transfer mitbestimmen, desto unwahrscheinlicher wird der Erfolg.
Zunächst kann sich ein Fußballverein aber
mithilfe eines Hedgefonds Superstars leisten, die er alleine nicht finanzieren könnte.
Jeder Fonds, der dir finanzielle „Hilfe“ anbietet, will nur Geld verdienen. Das verdiene ich
aber lieber ausschließlich für Borussia Dortmund! Wir haben nachgewiesen, dass wir
Spielerpotenziale früher erkennen als andere Vereine, Ausnahmetalenten mehr als Geld
zu bieten haben, sie zu Stars machen und bei
einem Verkauf das Vielfache unseres Einsatzes für sie erlösen können. Die Transfers von
Mario Götze zum FC Bayern in diesem Sommer und von Shinji Kagawa zu Manchester
United im vorigen Jahr sind herausragende
Belege dafür.
Mario Götze soll in München mit zwölf Millionen Euro Jahresgehalt zum höchst­
fotos: Axel griesch für €uro (3)
Wenn du als Fußballklub ein schwaches
Kernprodukt hast, kannst du alles andere
auch vergessen.“
bezahlten Fußballer Deutschlands aufgestiegen sein. Wird sich die Gehaltsspirale
noch weiter nach oben drehen?
Davon gehe ich aus, solange die Branche weiter boomt. Und das finde ich übrigens auch
okay, wenn die Vereine für Spielergehälter
nur das Geld ausgeben, das sie vorher im
operativen Geschäft eingenommen haben.
Genau das versuchen die Funktionäre des
europäischen Fußballverbands UEFA
durchzusetzen, indem sie ab 2017 das sogenannte „Financial Fair Play“ einführen.
Verfechter der freien Marktwirtschaft finden diese Regulierung unangemessen.
Eine Regulierung ist doch schon die Tatsache, dass du nur elf Spieler aufs Feld lassen
darfst. Aber im Ernst: Financial Fair Play ist
der richtige Weg, damit Fußball in erster
Linie ein sportlicher Wettbewerb bleibt, die
Verschuldung der Klubs eingedämmt wird —
und damit auch ihre Abhängigkeit von Finanzinvestoren.
In einem freien Markt würden insolvente
Vereine durch solidere ersetzt, und einzelne Pleiten sind für den Fußball kein Systemrisiko. Wozu also die Regulierung,
fragt etwa das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut in einer Studie.
Jetzt hören Sie auf! Es gibt viele Institute, die
den Menschen ihren theoretischen Senf verkaufen wollen. Das Gros der Wirtschaftsforscher hat auch jahrzehntelang gepredigt,
dass immer neue Schulden gut für die Wirtschaft seien. Aber zurück zum Fußball: Wer
keine Ahnung hat, soll sich zurückhalten.
Innerhalb vieler Mannschaften gibt es gewaltige Gehaltsunterschiede. Wie verhin-
dern Sie beim BVB, dass dadurch Missgunst und Streit aufkommen?
Indem wir eine gewisse Gehaltshygiene betreiben. Das heißt, die Jungs werden nach
transparenten Kriterien innerhalb einer bestimmten Bandbreite honoriert, die aber
nicht zu breit sein darf. Bei uns gibt es eben
keinen Spieler, der zwölf, zehn oder acht Millionen Euro verdient. Wir gehen davon aus,
dass sich diese selbst verordnete Gehalts­
hygiene positiv auf die Atmosphäre innerhalb der Mannschaft auswirkt.
Und wenn ein Spieler wie Ihr Stürmerstar
Robert Lewandowski zum FC Bayern wechseln will, wo er mehr als beim BVB verdienen könnte?
Dann müssen wir das akzeptieren.
Warum haben Sie den Wechsel dann vor ein
paar Wochen verhindert?
Wir reden hier über zwei unterschiedliche
Dinge: Robert hatte im Sommer Wechsel­
gedanken, das war legitim. Er hat aber auch
einen Vertrag bis 2014 beim BVB unterzeichnet, den wir erfüllt sehen möchten.
Lewandowski hat Sie dafür scharf angegriffen — und dann eine Gehaltserhöhung
kassiert. Was soll das für ein Signal sein?
Nachdem er zweitbester Torschütze der Bundesliga geworden war, in der Champions
League allein gegen Real Madrid vier Tore gemacht hat und bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres Vierter wurde, konnten wir
ihn nicht bezahlen wie 2010, als er für 4,5
Millionen Ablöse von Lech Posen kam. Also
mussten wir einen Kompromiss finden, sonst
hätte er sich schlecht behandelt gefühlt. Zu
Recht, er hat ja schon viel für uns geleistet.
Borussia Dortmund
Auch Borussia Dortmund hatte schon
einen Finanzinvestor an Bord: den umstrittenen und mittlerweile verhafteten
Hedgefondsmanager Florian Homm.
Seine Millionen retteten die Fußball-AG
2004 möglicherweise vor dem Lizenzentzug. Um den Preis, dass sich Homm
kräftig ins Tagesgeschäft einmischte.
Der Finanzjongleur verabschiedete sich
im Jahr 2007 wieder. Seitdem geht es
sportlich und finanziell bergauf. Der Rekordumsatz von 305 Millionen Euro, der
durch das Erreichen des ChampionsLeague-Finales zustande kam, dürfte in
der laufenden Saison allerdings schwer
zu wiederholen sein. Analysten gehen
von etwa 240 Millionen Euro aus.
ISIN
DE 000 549 309 2
Kurs
3,58 €
Kurs-Gewinn-Verhältnis
10,5
Kurs-Buch-Verhältnis1,5
Dividendenrendite
2,8 %
FAZIT: Chancenreicher Titel
für spekulative Anleger
3,80
3,60
3,40
3,20
3,00
2,80
2,60
2,40
1
€
O N D J
F M A M J
Stichtag: 10.9.2013; Quelle: Bloomberg
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J
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Mittlerweile hat sich Lewandowskis Marktwert verzehnfacht. Wa­
rum haben Sie ihn angesichts dieser
Rendite nicht einfach ziehen lassen?
Weil wir auch in dieser Saison die
bestmögliche Mannschaft aufs Feld
schicken wollen.
In der Saison 2008/2009, als die Erfolgsstory des BVB mit dem neu verpflichteten Trainer Jürgen Klopp losging, haben Sie Ihrem Spielerkader 36
Millionen Euro Gehalt bezahlt. Wie viel
wird es in dieser Saison?
Wenn du zu Beginn der Saison schon
weißt, wie teuer die Mannschaft wird, obwohl du nicht weißt, wie sie spielt, ist das
ganz schlecht. Deshalb entlohnen wir variabel: Rund 60 Prozent eines Spielergehalts
sind fix, der Rest ist erfolgsabhängig. Wir
können also nur in Szenarien rechnen.
Rechnen Sie eines?
Angenommen, wir kämen in dieser Bundesliga-Saison auf 70 Punkte, würden im DFBPokal im Viertelfinale und in der Champions
League in der Gruppenphase rausfliegen,
dürfte die Mannschaft rund 65 Millionen
kosten. In der vergangenen Saison waren es
final 76 Millionen.
Es gibt Fußballfunktionäre in Deutschland, beispielsweise Eintracht Frankfurts Präsident Heribert Bruchhagen,
die für ihre Klubs gerne etwas von den
Millioneneinnahmen der deutschen
Champions-League-Teilnehmer abbekommen würden. Wie finden Sie das?
Ich kann einigermaßen nachvollziehen, dass eventuell Geld von der
Champions League in die Euro
League verlagert wird. Aber mehr
nicht. Die große Gefahr ist, dass wir
schlechte Leistungen alimentieren
und damit fördern.
Jetzt klingen Sie doch wie ein
richtiger Marktwirtschaftler.
Hat der BVB im Jahr 2005, als
dieser Verein seine schwärzesten Stunden erlebte,
nach den Millionen von
Bayern München geschrien? Nein! Wenn
ich die Stadt Frankfurt und das Land
Hessen sehe,
fällt mir kein Grund ein, warum die Eintracht weniger erfolgreich sein müsste als
der BVB. Aber nach Umverteilung zu schreien, ist natürlich leichter, als sie aus eigener
Kraft zu schaffen.
Warum akzeptieren Sie den solidarischen
Verteilmechanismus der TV-Gelder in der
Bundesliga trotzdem?
Weil ich davon überzeugt bin, dass sie nur
auf diese Art gut funktioniert. Vielleicht wäre die Bundesliga noch etwas interessanter,
würden die Topklubs auf ihre ChampionsLeague-Einnahmen verzichten. Aber dann
würden sie international auch wieder hinterherrennen. Und vergessen wir nicht: Der
wichtigste Punkt, warum die Borussia heute
wieder so gut dasteht, ist, dass wir nicht mit
Brachialgewalt schon früher in die Cham­
pions League wollten.
Was brachte das betriebswirtschaftlich?
Unser Weg in Europas Eliteliga hat keinen
Euro an Schulden gekostet! Und so wollen
wir es weiter halten. Mit dieser Strategie haben wir erreicht, dass die volle Summe, die
wir in den vergangenen zwei Jahren in der
Champions League eingenommen haben, allein auf unser Konto geflossen ist. Deshalb
konnten wir uns vor dieser Saison erstmals
seit Langem wieder teurere Transfers leisten.
Der BVB hatte im abgelaufenen Geschäftsjahr eine ausgeglichene Transferbilanz:
für 51,6 Millionen Euro Spieler verkauft
und für rund 50 Millionen Spieler gekauft.
Könnte das Transfergeschäft zu einer steten Gewinnquelle werden?
Nein, weil das oberste Ziel unserer Transferpolitik der sportliche Erfolg ist. Jahrelang
konnten wir uns keine großen Transfers
leisten, weshalb wir junge Spieler aufgebaut
haben. Mittlerweile haben wir ein Niveau
erreicht, auf dem das allein nicht mehr genügt. Deshalb haben wir jetzt ein Zwei-Säulen-Modell: Wir holen auch mal einen Henrikh Mkhitaryan für 25 Millionen Ablöse,
führen aber weiterhin Nachwuchstalente
wie Jonas Hofmann, Marvin Ducksch, Marian Sarr und Erik Durm nach oben.
Wie wird Ihre Transferbilanz am Ende dieses Geschäftsjahres aussehen?
Wahrscheinlich investieren wir diesmal
mehr, als wir aus Spielerverkäufen einnehmen. Doch keine Sorge: Sollte es so kommen,
haben wir das Geld vorher verdient.
foto: Mika/mvphoto
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