CIRS – wichtiger Teil des Risiko
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CIRS – wichtiger Teil des Risiko
rettungsdienst patientensicherheit CIRS – wichtiger Teil des Risikomanagements im Rettungsdienst Autor: Dr. med. Christian Hohenstein Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin, Klinikum Kempten Oberallgäu, Robert-Weixler Str. 50, 87435 Kempten, info@ dr-hohenstein.de Co-Autor: cand. med. Tobias Schellenberger Nordstraße 20, 97299 Zell t.schellenberger@ t-online.de Patientensicherheit ist ein zentrales Anliegen des Gesundheitswesens. In dem grundsätzlich unsicheren und unvorhersagbaren System der Notfallmedizin ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, die ein höchstmögliches Maß an Sicherheit gewährleisten. Das in vielen anderen Bereichen der Industrie und Medizin angewendete „Critical Incident Reporting System“ zur Erfassung von Risikosituationen kann auch in der präklinischen Notfallmedizin einen wertvollen Beitrag leisten. Erste Ergebnisse zeigen, dass auch in diesem Bereich der Faktor Mensch eine entscheidende Rolle spielt. Die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse aus diesem Meldesystem ist hilfreich im Rahmen der Qualitätsoptimierung und Risikoreduktion in der Notfallmedizin. Medizinische Zwischenfälle vermeiden Die Patientensicherheit ist in den letzten Jahren zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Entsprechenden Aufruhr machte der Bericht des Institute of Medicine im Jahre 1999 (veröffentlicht als Buch „To err is human“), der über 50.000 bis 100.000 fehlerbedingte Todesfälle in der Medizin in den USA berichtet und zu dem Schluss kommt, dass Fehler zu den häufigsten 10 Todesursachen in der Medizin gehören (1). Etwas äl- ter, aber auch häufig zitiert sind ähnliche Aussagen von Brennan und Leape aus dem Jahre 1991, die behaupten, dass 4% der stationären Patienten vermeidbare Schäden erfahren (2, 3). Neuere Untersuchungen auch aus Europa berichten sogar von etwa 10% Schäden der stationären Patienten, die zu 25-50% vermeidbar gewesen wären (4, 5). Es ist unmöglich und wäre hochspekulativ, diese Zahlen auf die präklinische Notfallmedizin zu übertragen. Wir können allerdings davon ausgehen, dass auch in diesem Bereich eine beachtenswerte Anzahl von vermeidbaren Patientenschädigungen vorliegt, möglicherweise liegt die Zahl der Zwischenfälle in der Notfallmedizin sogar noch höher. Hübler und Mitarbeiter berichten in einem CIRSSystem über eine höhere Meldequote von Zwischenfällen bei Notfalloperationen als bei geplanten Eingriffen (6). Ursächlich sind wahrscheinlich die besonderen Arbeitsbedingungen unter Notfallbedingungen, die auch den Rettungsdienst zu einem Hochrisikoarbeitsplatz machen. Trotz der teilweise widrigen Einsatzbedingungen und der akut erkrankten Patienten ist es der Anspruch der Patienten, sie vor Ort mittels richtiger Diagnostik einer optimalen Therapie zuzuführen. Durch die zunehmende Technisierung in Abb. 1: Trotz oft widriger Einsatzbedingungen besteht der Anspruch der Patienten darin, sie mittels richtiger Diagnostik vor Ort einer optimalen Therapie zuzuführen (Foto: R. Schnelle) I 22 I 6 · 2007 I 30. Jahrgang I Rettungsdienst I 590 1/1 Massimo I 23 I rettungsdienst patientensicherheit Abb. 2: Modifizierte Pyramide nach DuPont: Die Anzahl von Todesfällen hängt signifikant mit der Zahl der Patientenschädigungen und der Zahl der leicht fehlerhaften Handlungsabläufe zusammen Weitere Informationen: www.cirs-notfallmedizin.de der Notfallmedizin ergeben sich für den Notarzt immer bessere Möglichkeiten der Therapie, gleichzeitig steigen damit aber auch immer weiter die fachlichen Anforderungen an das gesamte Einsatzteam. Diese zunehmende Komplexität des Einsatzablaufes erhöht aber auch im Gegenzug die Möglichkeit für Fehlentscheidungen und -handlungen. Gerade bei schwersterkrankten Patienten können bereits kleinste Zwischenfälle fatale Folgen für das Patientenoutcome haben. CIRS – eine Erfolgsgeschichte Abb. 3: Mit Hilfe eines CIRS kann erkannt werden, dass die Einführung einer Kapnometrie auf dem RTW notwendig ist und eine Risikoreduktion darstellt (Foto: R. Schnelle) Seit mehreren Jahren befassen sich vor allem die Anästhesisten mit der Erfassung und Analyse von Zwischenfällen (critical incidents). In vielen Systemen haben anonyme Meldungen schon zu etlichen Veränderungen geführt. Beispielhaft sei das CIRS am Kantonsspital St. Gallen genannt, das allein im Jahre 2005 zu 149 umgesetzten Verbesserungsmaßnahmen im Klinikum führte (7). Einer der ersten, der mit CIRS arbeitete, war Cooper. Er veröffentlichte 1978 eine retrospektive Studie, in der er menschliches Fehlverhalten und Gerätefehler in der Medizin analysierte (8). Übernommen hatte er die „critical incident technique“ von Flanagan. Dieser beschreibt 1954 in seiner Arbeit etliche Studien der US Army, die sich auf Erkenntnisse der Luftwaffe im 2. Weltkrieg stützen (9). Erst durch anonyme Fehlermeldungen, die sonst wahrscheinlich niemals gemacht worden wären, konnten höchst interessante Daten und Erkenntnisse gewonnen werden. Diese Daten nutzte erst das Militär, später auch die zivile Luftfahrt und dann auch die NASA und baute ihre Critical Incident Reporting Systeme weiter aus bzw. auf. Durch die anonymen Meldungen konnten viele Schwachstellen im System Luft- und Raumfahrt erkannt, verändert und dann überwacht werden. Grundlegend für das Verständnis von Risikomanagement und die Funktionsweise eines CIRS ist auch die erstellte Unfallpyramide der amerikanischen Chemiefirma DuPont. Sie postuliert, dass statistisch gesehen etwa 30.000 Zwischenfälle (teilweise kritisch, teilweise völlig unerheblich) in einem Betrieb einem schweren Unfall vorausgehen. Dieser Unfall ereignet sich dann, wenn sich grundsätzlich unerhebliche Zwischenfälle unglücklich verketten. Indem die Firma dann die Anzahl dieser Zwischenfälle senkte, I 24 I 6 · 2007 I 30. Jahrgang I Rettungsdienst I 592 patientensicherheit wurde auch die Anzahl der großen Unfälle auf unter 1% des Branchendurchschnitts gesenkt (10). Heute ist das CIRS nicht nur in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Industrie und in Kernkraftwerken ein weit verbreitetes Mittel, um Sicherheitslücken aufzudecken, sondern immer mehr Bereiche der Medizin entdecken CIRS für sich. Seit Herbst 2005 steht unter www.cirs-notfallmedizin.de für alle Rettungsdienstmitarbeiter ein bundesweites, anonymes Meldesystem für Zwischenfälle aus der Notfallmedizin zur Verfügung. Dort besteht die Möglichkeit, ohne die Gefahr von rechtlichen Konsequenzen, Blamagen oder sonstigen zwischenmenschlichen Spannungen, absolut anonym über Zwischenfälle zu berichten und mitzuteilen, wie versucht wurde, diesen Fall zu beherrschen. Auf dieser Seite werden regelmäßig Fälle und Ergebnisse präsentiert, so dass die Möglichkeit eröffnet wird, sich über mögliche Fallstricke, aber auch über Risikostrategien zu informieren. CIRS – Rolle im Risikomanagement rettungsdienst plötzlich wegen schwacher Batterien erlischt, gebannt ist. Ein Beispiel zur Änderung im organisatorischen Bereich einer Führungsposition wäre die Einführung eines alternativen Atemwegsmanagements oder der Kapnometrie auf jedem Rettungswagen. 4. Risikoüberwachung: Um zu wissen, ob die eingeleiteten Änderungen auch einen Effekt bringen, braucht man die Kenntnis, ob gewisse Zwischenfälle weiterhin auftreten oder nicht. Auch hier kommt wieder ein CIRS zum Tragen. Sollte es trotz Änderungen im System weiterhin zu ähnlichen Meldungen kommen, so muss man die Situation neu überdenken. Um beim Beispiel der Kapnometrie zu bleiben: Eine Führungsposition erkennt mit Hilfe eines CIRS, dass die Einführung einer Kapnometrie auf dem Rettungswagen notwendig ist und eine Risikoreduktion darstellt. Kommen nun weiterhin Meldungen über Zwischenfälle bei der Intubation, die trotz eingeführter Kapnometrie eigentlich nicht kommen dürften, muss sich die Führungsposition überlegen, woran das liegen könnte. Einfache (und reale) Erklärung: Die Mitarbeiter setzen die Kapnometrie wegen mangelnder Fachkenntnis nicht ein. Notwendige Konsequenz: Einleitung eines Fortbildungsprogramms für Mitarbeiter. Für ein effektives Risikomanagement sind vier Schritte unerlässlich: Definitionen 1. Risikoidentifizierung: Ohne zu wissen, wo die Risiken im System liegen, kann man es nicht managen. Hier spielt CIRS die erste Rolle. Risiken, an die bisher niemand gedacht hat oder die auch verdrängt wurden, können schriftlich fixiert werden. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass Fehler nicht zufällig vorkommen oder personenbezogen sind. Hat man einen Zwischenfall in einem System einmal identifiziert, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, dass dies irgendwann in einem anderen Kontext noch einmal passiert. Hier wird auch klar, dass personenbezogene Schuldzuweisungen („wie kann man nur so dumm sein?“, „das wird Konsequenzen für Dich haben“ etc.) vom Systemansatz betrachtet her völlig überflüssig sind. 2. Risikobewertung: Risiken können von gering bis hoch eingestuft werden. Die Bewertung eines Risikofaktors ist nicht unbedingt einfach und bedarf einer professionellen Analyse. Teilweise sind Kleinigkeiten, die auf den ersten Blick völlig unerheblich erscheinen, die eigentlichen Auslöser von Katastrophen. In einem Risikomanagement bedarf es eines Expertengremiums, das die Risiken analysiert und bewertet. 3. Risikobewältigung: Nach Identifizierung und Einschätzung des Risikopotenzials kann eine Strategie zur Vermeidung des Risikos Anwendung finden. Jeder einzelne Mitarbeiter kann an persönlichen Denk- und Arbeitsabläufen etwas ändern, Personen in Leitungsfunktionen können versuchen, systemische/organisatorische Schwachstellen zu ändern. Ein Beispiel zur Änderung im persönlichen Arbeitsablauf wäre die Erkenntnis, dass Laryngoskope offenbar das Risiko von schwachen Batterien beinhalten. Das Prüfen der Funktion des Laryngoskops sollte mindestens 10 Sekunden dauern, da somit die Gefahr, dass bei der Intubation die Lampe 6 · 2007 I 30. Jahrgang I Rettungsdienst I 593 Die Literatur ist gefüllt mit unzähligen Begriffen, die teilweise noch nicht einmal deckungsgleich sind. Es sollen hier deshalb nur die wichtigsten erläutert werden: Zwischenfall: Ein Ereignis, das im Rahmen der Behandlung eines Patienten zu einer Schädigung hätte führen können (dann ist der Zwischenfall kritisch) oder definitiv zu einer Schädigung geführt hat (dann kann man diesen Zwischenfall auch Schadensfall nennen). Abb. 4: Die vier Schritte im Risikomanagement Latente Risiken: Latente Risiken bleiben oft lange Zeit unerkannt und sind daher sehr schwer zu identifizieren. Die Identifikation wird dann einfach, wenn sie in Kombination mit anderen Störfaktoren aufgefallen sind. Ein Beispiel wäre der Einsatz von Notärzten, die noch nie eine Thoraxdrainage gelegt haben. Dies fällt über eine lange Zeit nicht auf (weil in dem gängigen Kollektiv selten Thoraxdrainagen gelegt werden müssen). Irgendwann allerdings kann dieses latente Risiko zu einer echten Gefahr für einen Patienten werden. I 25 I rettungsdienst Abb. 5: Latentes Risiko aufgrund seltener Durchführung: Thoraxdrainage patientensicherheit Passive Fehler: Sie treten auf, wenn eine erforderliche Maßnahme nicht getroffen wird. Ein typisches Beispiel ist der Patient mit Thoraxschmerz, der kein 12-Kanal-EKG erhält. (Foto: R. Schnelle) Aktive Fehler: Sie treten unmittelbar vor einem kritischen Ereignis auf, sind durch aktive Maßnahmen erzeugt und können verschiedene Ursachen haben. Ausrutscher/Aussetzer (slips/lapses): Im Rahmen einer Routinetätigkeit kommt es wegen einer kleinsten Abweichung im Routineablauf zu einer Fehlhandlung. Beispiel: Ein Mitarbeiter arbeitet langjährig im Rettungsdienstbereich A und wird nun aushilfsweise im Rettungsdienstbereich B eingesetzt. Dort gibt es bei einem Medikament eine andere Dosierungsgröße. In Gedanken zieht der Mitarbeiter dann die falsche Dosierung auf, weil er es schon immer so gewohnt war. Regelbasierter Zwischenfall: Eine Regel, die grundsätzlich völlig korrekt ist, wird angewandt. Allerdings passt sie nicht zur Situation, weil die Situation falsch eingeschätzt wird. Ein Beispiel ist die leitliniengerechte Gabe von Aspisol bei Migräne. Hat der Patient allerdings nicht Migräne, sondern eine untypische Subarachnoidalblutung, so produziert die Gabe von Aspisol einen Zwischenfall. Wissensbasierter Zwischenfall: Der Ausführende einer Maßnahme ist mit einer unbekannten Situation konfrontiert und muss eine über seinen Erfahrungsschatz hinausgehende Regel anwenden. Ein Beispiel wäre die notwendige Behandlung einer Herzrhythmusstörung, die man noch nie vorher gesehen hat. Abb. 6: Routinefehler: Andere Dosierungsgrößen in fremden Rettungsdienstbereichen können dazu führen (Foto: R. Schnelle) Anhand dieser Beispiele kann man schon kleine Risikoprofile erstellen: Der langjährige, routinierte Mitarbeiter, der schon (fast) alles gesehen hat, wird wenig wissensbasierte Zwischenfälle produzieren. Selbst in neuen Situationen hat er ein so großes Repertoire an Erfahrung und Wissen, dass er kaum mehr in Schwierigkeiten gebracht werden kann und auch Patienten nicht unnötig in Gefahr bringt. Bei ihm liegt das Risiko ganz woanders. Gerade wegen der großen Routine neigt er zu Routinefehlern, wenn Abläufe – aus welchem Grund auch immer – einmal leicht anders ablaufen müssen als sonst. Vor allem neigt er möglicherweise zu den regelbasierten Fehlern. Die typische Situation hat er schon hundert Mal gesehen und beherrscht, ein bestimmtes Einsatzbild quittiert er mit einem gut bewährten Aktionsablauf. Plötzlich ist jedoch alles anders (ohne es zu ahnen) und ein Zwischenfall ereignet sich. Typisches Beispiel ist der Hubschraubernotarzt eines Traumazentrums. Polytraumatisierte Patienten empfindet I 26 I er möglicherweise schon fast als langweilig. Er wird zu einem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn gerufen, es herrschen Hektik und Chaos, der Patient ist noch im Fahrzeug eingeklemmt und liegt komatös auf der Fahrerseite. Der Patient wird aus dem Fahrzeug gerettet, weist eine Pupillendifferenz auf, der Notarzt intubiert unter dem Verdacht eines schweren SHT. In der Klinik bestätigt sich die Diagnose nicht. Denn der Fahrer war Diabetiker, hat wegen einer einfachen Hypoglykämie einen Verkehrsunfall ausgelöst, war aber fast unverletzt. Die neurologische Symptomatik war durch die Hypoglykämie bedingt. Die Gabe von Glukoselösung hätte die Intubation unnötig gemacht und die prolongierte Hypoglykämie vermieden. Allein das Bild „Autobahn – zerstörtes Auto – Chaos – bewusstloser Patient – Pupillendifferenz – eingeklemmt“ traf auf ein Engramm (Erinnerungsbild) im Gehirn, auf das sich geradezu eine routinierte Aktionssequenz aufdrängte. Erst wer die regelbasierte Fehlerquelle verstanden und realisiert hat, kann bei sich selber möglicherweise noch deutliche Qualitätssteigerungen erzielen. Immer dann, wenn man sich ganz besonders sicher ist, ist man möglicherweise ganz besonders verwundbar. Anfänger und mittelmäßig erfahrene Mitarbeiter neigen dagegen eher zu regelbasierten und wissensbasierten Fehlerquellen. Beispiele kennt sicher jeder zu Genüge. 18 Monate www.cirs-notfallmedizin.de – erste Erkenntnisse Das Critical Incident Reporting System erfreute sich recht schnell hoher Akzeptanz in den Fachkreisen. In den ersten 18 Monaten kam es zu über 200 Meldungen, die zu knapp der Hälfte von Rettungsassistenten und -sanitätern eingegeben wurden. Die Bedenken, keine Meldungen zu erhalten oder auf Desinteresse zu stoßen, erwiesen sich als 6 · 2007 I 30. Jahrgang I Rettungsdienst I 594 patientensicherheit rettungsdienst unbegründet. Die sofortige Annahme von Vorträgen, Postern oder Publikationen spricht für das mögliche politische Gewicht dieser Internetseite. Für die Autoren ist allerdings die Zahl und die Art der eigentlichen Schadensmeldungen überraschend. Üblicherweise soll ein Critical Incident Reporting System hauptsächlich Systemschwächen und einzelne Zwischenfälle erfassen, die zu keinem Schaden geführt haben oder nur in Kombination mit anderen Faktoren zu einem Schaden hätten führen können. Auf dieser Website allerdings waren sich 25% aller Reporter sicher, dass ein Patientenschaden durch einen oder mehrere Zwischenfälle verursacht wurde. Umgekehrt konnten nur 40% aller Reporter behaupten, dass der Zwischenfall keinen Einfluss auf das Outcome gehabt hatte. In vielen Fällen bleibt es unklar, ob der Patient ohne den Zwischenfall ein besseres Outcome gehabt hätte, da zwei Drittel aller Patienten einen NACA 5Score oder höher aufwiesen und ohnehin in Lebensgefahr schwebten. Das macht allerdings gleichzeitig deutlich, wie wichtig ein kleiner Zwischenfall möglicherweise in einer akut lebensbedrohlichen Situation sein kann und welche Rolle ein CIRS gerade in der Notfallmedizin spielt. Aufgrund der in dieser Form nicht erwarteten Schadensmeldungen reagierten die Autoren entsprechend und begannen damit, die eingegebenen Fälle auf der Website zu veröffentlichen. Um die Beispiele mit einem Lerneffekt für die Leser zu präsentieren, stellten sich fünf erfahrene Notfallmediziner der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte (agbn) als Kommentatoren zur Verfügung, gleichzeitig prüfen sie die Eingaben auf Plausibilität. Da 60% aller Reporter in Zukunft anders handeln würden, kann man davon ausgehen, dass die Beispiele für den Leser einen Lerneffekt haben. CIRS – der Ausblick Die größte Herausforderung wird weiterhin sein, die Motivation unter den Notärzten und Rettungsassistenten aufrecht zu erhalten. Fachlich gute Kommentare von den Spezialisten zu den Fallbeispielen sollten hier einen Teil der Motivation erzeugen können. Auf längere Sicht wird es zu einer Auswertung der gesamten Zwischenfälle des Systems kommen. Empfehlungen sowohl für Individuen als auch für leitende Personen, die Risiken in Arbeitsabläufen beeinflussen können, werden auf der Website zu finden sein. Durch Präsentationen der aktuellen Meldungen auf Fachtagungen wird automatisch ein politischer Druck erzeugt werden, der zu einem Umdenken in Sachen „Risikomanagement“ führen wird. Dazu gehört zum Beispiel eine andere Qualifikationsanforderung an Notärzte und Rettungsassistenten, Organisationsstrukturen müssen sich teilweise kräftig ändern. Und ganz wichtig: Der Umgang mit Fehlern und das Verständnis hierüber muss sich ganz erheblich ändern. Wir müssen von der oberflächlichen Schuldzuweisung eines Einzelnen im Falle eines Zwischenfalles weg kommen und Fehler als Systemschwäche verstehen. Meist ist die Person, der ein Fehler unterläuft, nur zufällig am schlechten Ergebnis mit 6 · 2007 I 30. Jahrgang I Rettungsdienst I 595 beteiligt, aber sicher nicht die Ursache hierfür. Wenn dieses Verständnis bei der Mehrheit vorhanden wäre, dann ■ bräuchten wir kein CIRS mehr. � Literatur: 1. To err is human. Buildung a safer health system. National Academy Press, Washington DC, 1999 2. Brennan TA, Leape LL, Laird NM et al. (1991) Incidence of adverse events and negligence in hospitalized patients. Results of the Harvard Medical Practice Study I. N Engl J Med 324(6): 370-6 3. Leape LL, Brennan TA, Laird N et al. (1991) The nature of adverse events in hospitalized patients. Results of the Harvard Medical Practice Study II. N Engl J Med 324(6): 377-84 4. Forster AJ, Asmis TR, Clark HD et al. (2004) Ottawa Hospital Patient Safety Study: incidence and timing of adverse events in patients admitted to a Canadian teaching hospital. Cmaj 170(8): 1235-40 5. Vincent C, Neale G, Woloshynowych M (2001) Adverse events in British hospitals: preliminary retrospective record review. Bmj 322(7285): 517-9 6. Hübler M, Mollemann A, Eberlein-Gonska M, Regner M, Koch T (2006) Anonymes Meldesystem kritischer Ereignisse in der Anästhesie. Ergebnisse nach 18 Monaten. Anaesthesist 55(2): 133-41 7. Rose N (2006) Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen nach gemeldeten Zwischenfällen. St. Galler CIRS-Konzept. Seminar über Risikomanagement, Bad Bayersoien 8. Cooper JB, Newbower RS, Long CD, McPeek B (1978) Preventable anesthesia mishaps: a study of human factors. Anesthesiology 49(6): 399-406 9. Flanagan JC (1954) The critical incident technique. Psychol Bull 51(4): 327-58 10. Haller U, Welti S, Haenggi D, Fink D (2005) From the concept of guilt to the value-free notification of errors in medicine. Risks, errors and patient safety. Gynakol Geburtshilfliche Rundsch 45(3): 147-60 Abb. 7: Problemfall „Intubation“ … (Foto: R. Schnelle) Abb. 8: … möglicherweise (wie hier) in den Ösophagus (Foto: Ch. Hohenstein) I 27 I