Keine Integration ohne Sprachkenntnisse?
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Keine Integration ohne Sprachkenntnisse?
DISCUSSION PAPER SERIES IZA DP No. 555 Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland Don J. DeVoretz Holger Hinte Christiane Werner August 2002 Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit Institute for the Study of Labor Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland Don J. DeVoretz Simon Fraser University, RIIM and IZA Bonn Holger Hinte IZA Bonn Christiane Werner Simon Fraser University, RIIM (bis 2001) Associated Economic Consultants, Vancouver (seit 2001) Discussion Paper No. 555 August 2002 IZA P.O. Box 7240 D-53072 Bonn Germany Tel.: +49-228-3894-0 Fax: +49-228-3894-210 Email: [email protected] This Discussion Paper is issued within the framework of IZA’s research area Mobility and Flexibility of Labor. Any opinions expressed here are those of the author(s) and not those of the institute. Research disseminated by IZA may include views on policy, but the institute itself takes no institutional policy positions. The Institute for the Study of Labor (IZA) in Bonn is a local and virtual international research center and a place of communication between science, politics and business. IZA is an independent, nonprofit limited liability company (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) supported by the Deutsche Post AG. The center is associated with the University of Bonn and offers a stimulating research environment through its research networks, research support, and visitors and doctoral programs. IZA engages in (i) original and internationally competitive research in all fields of labor economics, (ii) development of policy concepts, and (iii) dissemination of research results and concepts to the interested public. The current research program deals with (1) mobility and flexibility of labor, (2) internationalization of labor markets, (3) welfare state and labor market, (4) labor markets in transition countries, (5) the future of labor, (6) evaluation of labor market policies and projects and (7) general labor economics. IZA Discussion Papers often represent preliminary work and are circulated to encourage discussion. Citation of such a paper should account for its provisional character. A revised version may be available on the IZA website (www.iza.org) or directly from the author. IZA Discussion Paper No. 555 August 2002 Die englische Version dieser Studie ist unter ftp://ftp.iza.org/dps/dp555.pdf abrufbar. Eine kostenlose Druckversion kann bei [email protected] angefordert werden. ABSTRACT Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland Deutschland und Kanada befinden sich an entgegengesetzten Enden der Diskussion um sprachliche Integration und Einbürgerung von Zuwanderern. Seit Januar 2000 findet das Sprachkriterium explizit Erwähnung im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht. Das voraussichtlich zum 1. Januar 2003 in Kraft tretende erste deutsche Zuwanderungsgesetz zielt neben den Kriterien der Begrenzung und Steuerung auch in Richtung eines Sprachkriteriums für die Zulassung zur Immigration. In Kanada hingegen ist keine der beiden Amtssprachen zwingende Voraussetzung für Zuwanderung oder Einbürgerung. Über die Bewertung von Sprachkenntnissen im Rahmen eines Punktesystems für die Auswahl von Zuwanderern hinaus geschieht das Erlernen der Landessprache(n) in Kanada weitgehend auf freiwilliger Basis und hängt meist von entsprechenden Arbeitsmarktanreizen ab. Welche gesetzliche Regelung bildet den besseren Rahmen für den Spracherwerb der Zuwanderer – das bislang (und in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch) staatlich geregelte deutsche System oder das Laissez-Faire-Modell Kanadas? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, werden in dieser Studie die gesetzlichen Grundlagen und Sprachförderungsprogramme beider Länder vergleichend bewertet. JEL Classification: Keywords: F22, I29, J60, J61 Immigration, Integration, Spracherwerb, Zuwanderungspolitik, Punktesystem Don J. DeVoretz RIIM Simon Fraser University Burnaby, BC, V5A 1S6 Canada Tel.: +1 (604)-291-4575 Fax: +1 (604)-291-5336 Email: [email protected] IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 III EXECUTIVE SUMMARY Aufgrund des starken Zustroms von Ausländern und Aussiedlern insbesondere im vergangenen Jahrzehnt, ist Deutschland de facto zu einem Einwanderungsland geworden. Was Deutschland dabei von “klassischen” Einwanderungsländern wie Kanada unterscheidet, ist die Tatsache, daß es auf diese Entwicklung erst jüngst mit Initiativen zu einer umfassenden Immigrationsgesetzgebung reagiert hat. Das Einwanderungsgesetz, das vom Deutschen Bundestag und Bundesrat (von diesem allerdings in einer verfassungsrechtlich umstrittenen Form) im März 2002 verabschiedet wurde und am 1. Januar 2003 in Kraft treten soll, könnte einen Wendepunkt in der deutschen Migrationsgeschichte bedeuten – selbst dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht in Abrede gestellt oder eine veränderte politische Mehrheit inhaltliche Korrekturen am Gesetz bewirken sollte. I. Im Fehlen einer systematischen Einwanderungsgesetzgebung ist ein wichtiger Grund für den bislang stark eher fragmentarischen Charakter der staatlichen Integrationsprogramme in Deutschland zu sehen. Eine in sich geschlossene, anreizwirksame Strategie zur Sprachförderung gilt es noch zu entwickeln. Dabei sind Vorstufen einer umfassenden Sprachförderung durchaus bereits existent. So müssen Aussiedler vor ihrer Einreise nach Deutschland einen Sprachtest bestehen. Dieser Test gilt allerdings nur für die Einreisewilligen selbst und nicht für ihre Familienmitglieder. Für die weit größere Gruppe der nichtdeutschen Immigranten existiert bislang weder ein obligatorischer Sprachtest vor der Einreise noch ein mit gezielten Lernanreizen versehenes Sprachförderprogramm im Inland. Dieser Umstand trägt wesentlich zu der vielfach beobachtbaren Sprachbarriere zwischen Immigranten und Deutschen bei. Von ihr wiederum geht ein negativer Einfluß auf die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt aus. Eine fundamentale Veränderung dieser Konstellation ist jedoch mittelfristig zu erwarten. Seit dem Jahr 2000 muß vor der Einlösung eines erworbenen Rechtsanspruches auf Einbürgerung der Nachweis „ausreichender“ Sprachkenntnisse erbracht werden. Dies ist ein erstes Anzeichen dafür, daß dem Spracherwerb eine zusehends größere Bedeutung als zentraler Integrationsaspekt zuerkannt wird. Darüber hinaus wird die deutsche Sprachförderpolitik mit der Einführung eines neuen „Gesamtsprachkonzepts“ einer Reform unterzogen werden, die die verschiedenen Integrationsanstrengungen für Ausländer und Aussiedler, von denen in der vorliegenden Untersuchung die Rede ist, in einem Programm bündelt. Das Zuwanderungsgesetz enthält bereits erste entsprechende Bestimmungen. Noch wichtiger erscheint freilich die Tatsache, daß Kenntnisse der deutschen Sprache als Auswahlkriterium und Integrationsaspekt im neuen Zuwanderungsgesetz berücksichtigt wurden und insofern in bezug auf neu einreisende Immigranten von einem zukünftig größeren Anteil bereits hinreichend des Deutschen mächtigen Zuwanderern ausgegangen werden kann. Das neue Zuwanderungsgesetz sieht überdies vor, daß zukünftig auch Familienangehörige von Spätaussiedlern den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse führen müssen, um eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Diese Studie vergleicht die gegenwärtig vorhandenen Sprachprogramme in Kanada und Deutschland vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland. Im IV DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Gegensatz zu Deutschland verfügt Kanada über eine umfassende Immigrationspolitik und eine Strategie zum Spracherwerb von Zuwanderern, die auf die kanadischen Interessen zugeschnitten sind. Es gibt guten Grund zu der Annahme, daß das kanadische Punktesystem, das zuletzt Modell stand für die entsprechenden Regelungen im deutschen Zuwanderungsgesetz, den Weg zu einem erfolgreichen deutschen Sprachförderungsmodell ebnen könnte. II. Kanada wirbt bereits seit über 100 Jahren aktiv um Zuwanderer. Seit 1911 bestehen dafür ausdrückliche gesetzliche Regelungen. Gemäß der aktuellen kanadischen Einwanderungspolitik, die auf ein Gesetz aus dem Jahr 1967 zurückgeht und auf einem Auswahl-Punktesystem basiert, erfolgt die Auswahl von Immigranten insofern unabhängig von ihren Sprachkenntnissen, als die Zuwanderung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Vielmehr kann dieses Defizit an anderer Stelle des Auswahl-Punktesystems „wettgemacht“ werden. Zum Erwerb der kanadischen Staatsangehörigkeit sind nur geringfügige Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen erforderlich. Kann Deutschland aus Kanadas Laissez-Faire-Politik Lehren für die eigene Politik in bezug auf den Spracherwerb von Immigranten ziehen? Dieser Frage wird in der vorliegenden Studie nachgegangen. Dazu werden Einwanderungsgeschichte und Sprachpolitik beider Länder verglichen und die unterschiedlichen Konzepte des Spracherwerbs auf ihre Wirksamkeit untersucht. Aus diesem Vergleich können positive und negative Lehren für die deutsche Politik gezogen werden. Kanadas Einwanderungspolitik hat sich in den vergangenen dreißig Jahren dramatisch gewandelt. Am Anfang stand ein Punktesystem, das Wirtschaftsimmigranten den Vorrang gab (1967-73), gefolgt von einem hauptsächlich auf Familienzusammenführung ausgerichteten System (achtziger Jahre), bis hin zur heutigen Einwanderungspolitik, die beide Systeme in einem ausgewogenen Verhältnis kombiniert. Da sich im Falle Kanadas sowohl die Immigrantengruppen als auch die Herkunftsländer verändert haben, hat die Sprachkomponente im Auswahlverfahren an Bedeutung gewonnen. Die kanadische Politik hat mittlerweile erkannt, daß Immigranten, die mindestens eine der Amtssprachen fließend sprechen, leichter in die Gesellschaft zu integrieren und wirtschaftlich erfolgreicher sind. Derzeit verfügen rund 95 Prozent der erfolgreichen Bewerber in der Gruppe der qualifizierten Arbeitskräfte über Kenntnisse zumindest einer der Amtssprachen. Bewerber für die kanadische Staatsangehörigkeit müssen ein Minimum an Englisch- oder Französischkenntnissen besitzen. Allerdings sind die Sprachanforderungen gering, und Bewerbern ist es sogar erlaubt, die Hilfe eines Übersetzers in Anspruch zu nehmen, um den Einbürgerungstest zu bestehen. Über die Honorierung von Sprachkenntnissen im Rahmen des Punktesystems hinaus finden während des Aufenthalts jedoch diverse – zumeist berufsbezogene – Überprüfungen der Sprachkenntnisse statt. Letztendlich basiert der Erfolg jedes Einwanderers im kanadischen Arbeitsmarkt auf seinen Kenntnissen der Landessprache. III. Im Gegensatz zu Kanada hat sich Deutschland bisher offiziell nicht als Einwanderungsland bezeichnet und sich dieser Selbsterkenntnis auch in der aktuellen Debatte, die zum ersten Zuwanderungsgesetz in der deutschen Geschichte geführt hat, nur zögerlich angenähert. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften in den 1950 Jahren wurden ausländische Arbeitnehmer als Gastarbei- IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 V ter angeworben. Als Folge lebt die Hälfte aller Ausländer seit über einem Jahrzehnt in Deutschland, 30 Prozent sogar seit über 20 Jahren. Mittlerweile existieren längst Gastarbeiterfamilien der zweiten oder gar schon der dritten Generation. Die ehemaligen Gastarbeiter bilden inzwischen nicht mehr die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik. Ihre Kinder und die neuen Zuwanderer, besonders aus Osteuropa, gewinnen heute zunehmend an Bedeutung. Die Frage der Ausländerintegration stellt sich heute anders und aktueller denn je. Die Situation der Ausländer in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt läßt sich größtenteils mit der Situation der Aussiedler vergleichen. Auch die meisten Spätaussiedler aus Osteuropa sowie potentiell anzuerkennende Aussiedler, die noch in diesen Staaten leben, gehören mindestens der zweiten Generation an. Da sie nie in Deutschland gelebt haben, finden sie ähnliche „Startbedingungen“ in der neuen Heimat vor wie Ausländer. Der starke Zuzug von Einwanderern im letzten Jahrzehnt führte zu beträchtlichen Integrationsproblemen in Deutschland. Die entstandenen Schwierigkeiten im sozialen Umfeld lassen sich zumindest teilweise auf die existierenden Sprachbarrieren zurückführen und sind eine Ursache verstärkter Fremdenfeindlichkeit. Im Hinblick auf die starke Zunahme der Antragstellung und Einreise von Aussiedlern wurden in den 1990er Jahren Sprachtests eingeführt, um die Plausibilität der Anträge besser beurteilen zu können. Die Einführung dieser Tests hat deutlich gemacht, daß eine große Zahl der Aussiedler keine ausreichenden Deutschkenntnisse besitzt. IV. In Kanada verfügt ebenfalls ein großer Anteil der Immigranten über unzureichende Sprachkenntnisse. Darauf reagierte der Privatsektor mit der Gründung von Fortbildungseinrichtungen, an denen English (French) as a Second Language (ESL/FSL) unterrichtet wird. Die Kurse basieren auf dem Canadian Language Benchmarks Assessment (CLBA), das die Regierung speziell zur Standardisierung von Sprachkursen entwickeln ließ. Die Kurse Language Instruction for Newcomers to Canada (LINC) werden von der Regierung gefördert und stehen allen neuen Zuwanderern offen. Der zeitliche Rahmen der Sprachausbildung ist auf maximal drei Jahre beschränkt. Nach dieser Zeit sollen die Absolventen in der Lage sein, ihren alltäglichen Verpflichtungen, die ausreichende Kenntnisse der Amtssprache erfordern, nachzukommen. Im Gegensatz zum kanadischen Ausbildungssystem wird die Sprachförderung in Deutschland fast ausschließlich durch den Staat geregelt. Die deutsche Regierung finanziert Sprachkurse sowohl für Aussiedler als auch für Ausländer. Diese Kurse sollen dazu beitragen, die Immigranten wirtschaftlich und auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, soziale Kontakte zu fördern sowie die politische und kulturelle Partizipation der Zuwanderer zu verbessern. Die Mittel für die jeweiligen Immigrantengruppen werden von verschiedenen Behörden bereitgestellt. Studien zum Erfolg dieser Programme kommen zu dem Ergebnis, daß ihre Effektivität sehr hoch eingeschätzt wird. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß diese Umfrageergebnisse aufgrund von Selbstauskünften der Anbieter von Sprachkursen und Kursteilnehmern zustande gekommen sind und empirisch nicht überprüft wurden. Die bis heute getrennt angebotenen Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Ausländer sollen mittelfristig in einem „Gesamtsprachkonzept“ für alle Immigranten aufgehen. Die im Zuwanderungsgesetz getroffenen Regelungen machen deutlich, daß dabei die unterschiedli- VI DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? che Behandlung von Aussiedlern (Sprachtest vor der Einreise plus Sprachkursangebot nach der Einreise) und Ausländern (Sprachkursangebot nach der Einreise) nicht grundsätzlich aufgegeben werden wird, wohl aber indirekt ein Anreiz zum Spracherwerb auch von Ausländern bereits vor Antragstellung bzw. Einreise geschaffen werden soll, indem eine Bewertung von Sprachkenntnissen im Rahmen des Punktesystems erfolgt, der Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach Besuch eines Integrationskurses ein Jahr früher eingeräumt wird und der ansonsten freiwillige Besuch von Sprach- und Integrationskursen für Neuzuwanderer dann obligatorisch wird, wenn keine Verständigung „auf einfache Art“ in deutscher Sprache möglich ist. V. Im Ganzen gesehen existieren in den beiden betrachteten Ländern zwei sehr unterschiedliche Spracherwerbsmodelle, die sich jedoch – berücksichtigt man die jüngsten gesetzgeberischen Aktivitäten in Deutschland und Kanada – auf dem Wege einer gewissen Angleichung befinden. Von der Einreise bis zur Einbürgerung verlangt Kanada von Zuwanderern grundsätzlich keine bzw. indirekt nur recht geringe Kenntnisse der Amtssprachen, sieht man vor der inzwischen strengeren Bewertung des Sprachniveaus im Punkteverfahren ab. In Kanada ist es vor allem dem Markt überlassen, den Spracherwerb von Immigranten optimal zu regeln. Deutschland hingegen verwendet Sprachkenntnisse seit 1996 explizit als Anerkennungs- und Einbürgerungskriterium für Spätaussiedler sowie seit 2000 als Einbürgerungsvoraussetzung für Ausländer. Das neue Einwanderungsgesetz schafft zudem innerhalb eines Punktesystems die rechtliche Grundlage zur Bewertung von Sprachkenntnissen vor der Einreise und sieht den verpflichtenden Sprachkursbesuch in bestimmten Fällen vor. Darüber hinaus bieten zahlreiche Regierungsbehörden im Rahmen verschiedenster Programme subventionierte Sprachkurse an, um die Integration der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Die vorliegende Studie stellt einen theoretischen Rahmen vor, der es erlaubt, den optimalen Spracherwerb in unterschiedlichen Handlungsumfeldern (wirtschaftlich, sozial, politisch) zu messen. Die Quintessenz daraus: Kein Maß an Spracherwerb von Immigranten ist in jedem Umfeld optimal. Jeder Mensch wird – unabhängig von staatlichen Auflagen oder Subventionen – je nach seinen persönlichen Eigenschaften eine individuelle Mischung von Sprachkenntnissen erwerben. In einem freiwilligen Spracherwerbssystem ohne Subvention werden die Sprachkenntnisse in den ökonomischen, politischen und sozialen Sphären zunächst nur aus minimalen mündlichen Kenntnissen bestehen. Insbesondere ältere Immigranten der ersten Generation werden womöglich niemals funktionierende Kenntnisse der Landessprache entwickeln. Dieses große Manko könnte allerdings durch ein Kreditprogramm für den Spracherwerb ausgeglichen werden. Dazu würden beruflich qualifizierte Immigranten einen Kredit erhalten, den sie dazu nutzen könnten, ihre Sprachkenntnisse soweit zu verbessern, wie sie es unter sozialen, politischen und Arbeitsmarktaspekten für sinnvoll halten. Gerade auf dem Arbeitsmarkt müßte ein solches Kreditmodell allerdings großzügig genug sein, um Immigranten die Gelegenheit zu geben, die nötigen Sprachkenntnisse für die berufsbezogenen Zulassungsprüfungen zu erwerben. VI. Der Hauptvorteil des kanadischen Freiwilligkeitssystems besteht darin, daß junge und finanzstarke Immigranten einen optimalen Grad an Sprachbeherrschung erreichen, da sie den Spra- IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 VII cherwerb als lohnenswerte Investition in ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Sie werden ihre Sprachkenntnisse kontinuierlich weiterentwickeln, bis der Grenzertrag dieser Investition zu gering wird. Falls der Immigrant aufgrund von Diskriminierung oder ungünstigen makroökonomischen Arbeitsmarktbedingungen (Arbeitslosigkeit) die erwartete Rendite nicht erreichen kann, würde ein erfolgsabhängiges Rückzahlungsmodell jegliches Risiko ausschließen. Sprachzeugnisse, berufsbezogene Sprachausbildung und Anerkennung der Zertifikate seitens des Arbeitgebers sind notwendige Bestandteile des auf Freiwilligkeit basierenden Programms. Fehlt einer dieser Teile, werden einzelne Immigranten nicht optimal in den Spracherwerb investieren, da die erwarteten Erträge nicht erreicht werden können. In Deutschland wäre das bislang praktizierte staatlich dominierte Modell des Spracherwerbs insbesondere dann plausibel, wenn die Politik allein darauf abzielte, alle Zuwanderer – ob Aussiedler oder Ausländer – einzubürgern. Da das Ziel der deutschen Politik jedoch darüber hinaus (vernünftigerweise)darin bestehen muß, die wirtschaftliche und soziale Integration sowohl von Aussiedlern als auch von Ausländern so frühzeitig wie möglich zu fördern und bereits ihre Einreise anhand von Auswahlkriterien zu steuern, wäre eine modifizierte deutsche Version des kanadischen Modells zu favorisieren. Für Deutschland erscheint es in diesem Zusammenhang allerdings sinnvoll, nicht allein auf Freiwilligkeit zu vertrauen, sondern auf den Erwerb eines Mindestmaßes an Deutschkenntnissen zu einem frühen Zeitpunkt des Aufenthalts in der Bundesrepublik gezielt hinzuwirken. Während Kanada seine Laissez-faire-Politik auf den Umstand gründen kann, daß eine der beiden Amtssprachen zugleich Weltsprache ist und insoweit Immigranten mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest ein Minimum an Sprachkenntnissen mitbringen, verfügen die nach Deutschland einreisenden Immigranten mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit über keine Grundkenntnisse der Sprache ihres Ziellandes. Auch gibt es, wie die historische Erfahrung zeigt, nur geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache für den – im Zeitalter der Globalisierung zusehends wahrscheinlicher werdenden – Fall, daß Deutschland mitunter lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in eines der klassischen Einwanderungsländer gewählt wird. Nicht zuletzt läßt es aber auch der im Vergleich zu Kanada stärkere Zuzug von Immigranten erforderlich erscheinen, den Integrationserfolg durch Sprachkompetenz so frühzeitig wie möglich anzustreben. Dies kann nicht ausschließlich durch freiwillige Sprachkurse in Deutschland gewährleistet werden, sondern bedarf offenkundig eines geeigneten „Flankenschutzes“. Vor diesem Hintergrund scheint die Bewertung von Sprachkenntnissen innerhalb des Punktesystems im neuen Zuwanderungsgesetz eine sinnvolle Lösung zu sein. Gleichzeitig ist bei einem solchen System jedoch zu beachten, daß die Bedeutung der Sprachkenntnisse nicht zu stark betont wird. Geschieht dies doch, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die „besten Köpfe“ ein anderes Einwanderungsland wählen.. Nach der Ankunft in Deutschland können sowohl die individuellen Bedürfnisse der Zuwanderer als auch das allgemeine Interesse an ihrer sozialen Integration am ehesten durch ein freiwilliges Spracherwerbsmodell nach kanadischem Vorbild erfüllt werden. Ergänzt werden sollte dieses Modell jedoch durch wirksame positive Anreize zum Spracherwerb, die sich einem gelegentlich diskutierten Sanktionsmodell gegenüber als überlegen erweisen werden. Ein effek- VIII DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? tiver Anreizmechanismus könnte beispielsweise in einem Kautionsprinzip bestehen, wie es in Australien praktiziert wird. Diesem Prinzip zufolge wäre nach einem nicht bestandenen Eingangssprachtest eine Kaution zu zahlen, die nur dann zurückerstattet wird, wenn innerhalb einer bestimmten Zeit ein zweiter Test bzw. ein Sprachkurs erfolgreich bestanden wird. Um den Erfolg des Sprachprogramms weiterhin sicherzustellen, könnten die Kursteilnehmer anteilig an den Kurskosten beteiligt werden. Werden die positiven Lernanreize eindeutig genug gesetzt, wird dies vertretbar sein. Ein Kautionssystem stellt in dieser Hinsicht lediglich einen Mindestschritt dar. Naheliegend mag es zunächst erscheinen, das Prinzip der obligatorischen Sprachtests für Aussiedler vor der Einreise in die Bundesrepublik auch auf ausländische Zuwanderer auszudehnen. Von dem erheblichen organisatorischen Aufwand abgesehen, müßte dazu freilich ein schlüssiges Konzept entwickelt werden, das durch entsprechende Anreizmechanismen Deutschlands Attraktivität als wettbewerbsfähiges Zuwanderungsland nicht mindert, wohl aber die potentiellen Zuwanderer dazu ermutigt, bereits vor der Einreise ein gewisses Maß an deutschen Sprachkenntnissen zu erwerben, ohne sich der Zuwanderungsgenehmigung bereits sicher sein zu können. Es erscheint zweifelhaft, ob dieses Kalkül aufgehen könnte. Die Plausibilität des im neuen Zuwanderungsgesetz vorgesehenen obligatorischen Besuchs von Sprach- und Integrationskursen im Falle nicht vorhandener minimaler mündlicher Sprachkenntnisse erscheint insoweit fraglich. Sinnvoller dürfte es sein, für alle Zuwanderergruppen den Kursbesuch mit entsprechenden positiven Anreizen zu verbinden, wobei die Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit bis zum Erwerb eines Rechtsanspruchs auf Einbürgerung um ein Jahr nicht ausreichend sein wird. Eine reformierte deutsche Sprachförderung könnte das kanadische und das deutsche Modell zu einem Gesamtkonzept verknüpfen, das das Prinzip der Freiwilligkeit und die notwendigen Gestaltungsspielräume der Zuwanderer beläßt, zugleich aber durch eindeutige Anreizmechanismen dafür Sorge trägt, daß der Spracherwerb – zum Nutzen von Gesellschaft und Arbeitsmarkt – schneller und zuverlässiger als bislang erfolgt. Die gemeinsame Sprache ist der Schlüssel zum sozialen Zusammenhalt einer offenen Gesellschaft, die – im Falle Deutschlands – gerade erst behutsam damit begonnen hat, ihr Land als Einwanderungsland wahrzunehmen. Ausreichende Sprachkenntnisse sollten in einer Kombination aus verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen innerhalb eines attraktiven Integrationskonzepts erworben werden. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 IX Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 A. Die kanadische Einwanderungspolitik nach 1945 5 B. Kanadas Staatsangehörigkeitsgesetz und seine Sprachanforderungen 12 C. Die geschichtliche Entwicklung der deutschen Zuwanderungspolitik 16 D. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit 24 E. Sprachtests für Aussiedler 28 F. Marktorientierte Sprachtests und Sprachförderung in Kanada 33 G. Kanadas Sprach-Benchmarks 38 H. Sprachförderung in Deutschland 43 I. Bewertung des Spracherwerbs in Kanada und Deutschland 59 Resümee 66 Literaturverzeichnis 73 Anhang A Auszug aus dem Deutschen Grundgesetz 77 Anhang B Auszug aus den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht – StAR-VwV (Stand: 1. Januar 2000), Kabinettsbeschluß vom 18. Oktober 2000 78 Anhang C Auszug aus dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 20. Juni 2002 79 Anhang D Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Ausländer in Deutschland, Stand 2000 83 Anhang E Auszug aus Gesetzesvorlage C-11 (Kanadas Immigration and Refugee Protection Act) 84 X DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Tabellen und Schaubilder Tabelle 1: Zuwanderer in Kanada nach Region des letzten Wohnsitzes, 1967-2000 7 Tabelle 2: Sprachkompetenz-Beurteilungshandbuch 9 Tabelle 3: Zu- und Abwanderung von Ausländern in Deutschland, 1991-1999 21 Tabelle 4: Ergebnisse der Sprachtests für Spätaussiedler 30 Tabelle 5: Sprachanforderungen in verschiedenen Phasen des Aufenthalts in Kanada 33 Tabelle 6: Allgemeiner Inhalt der Canadian Language Benchmarks 39 Tabelle 7: Anmeldungen von Spätaussiedlern für Deutschkurse, 1991-1997 46 Tabelle 8: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen Sprachkurs des BMA 49 Tabelle 9: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen GF-SB-Sprachkurs 51 Tabelle 10: Hauptgründe für die Teilnahme am Deutschkurs für Ausländer 56 Tabelle 11: Renditen der Sprachbeherrschung in Kanada 60 Schaubild 1: Netto-Migration, Zuwanderung, Abwanderung in Deutschland, 1955-2000 16 Schaubild 2: Zuzug von (Spät)Aussiedlern nach Deutschland, 1950-2000 18 Schaubild 3: Gesamtzahl der Aussiedler und Ausländer in Deutschland, 1951-1998 22 IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 1 Einleitung Mit einem Bevölkerungsanteil von gegenwärtig 7,3 Millionen Menschen stellen Ausländer in Deutschland etwa 9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Darüber hinaus findet seit vielen Jahren eine erhebliche Zuwanderung deutschstämmiger Spätaussiedler aus Osteuropa1 statt. Es erscheint somit nicht vermessen, Deutschland den Status eines de facto-Zuwanderungslandes zuzuschreiben. Zwar werden ausländische Zuwanderer ohne und Spätaussiedler mit deutscher Staatsangehörigkeit vom Gesetzgeber unterschiedlich behandelt, doch ihre Integrationsprobleme sind durchaus vergleichbar. Dazu zählt insbesondere die oftmals deutliche Sprachbarriere zwischen einheimischer Bevölkerung und Immigranten. Diese Sprachprobleme tragen potentiell zur Entstehung von sozialen und wirtschaftlichen Spannungen zwischen Deutschen und Zuwanderern bei. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, vor allem jedoch um den Zustrom von Aussiedlern einzudämmen, wurde 1996 ein Sprachtest für Bewerber um den Spätaussiedlerstatus eingeführt. Die Antragsteller – nicht jedoch bislang ihre Familienangehörigen – müssen seither diesen Sprachtest bestehen, um den Status eines Spätaussiedlers und die Einreisegenehmigung zu erhalten. Damit wurde erstmals ein Sprachkriterium als Auswahlmechanismus für eine große – deutschstämmige – Zuwanderergruppe rechtlich verankert. Eine Grundsatzdebatte über die generelle Überprüfung der Sprachkenntnisse auch von Ausländern blieb jedoch zunächst aus – der Zusammenhang mit dem in Deutschland (zu) lange fehlenden umfassenden Zuwanderungsgesetz ist offensichtlich. Im Rahmen der Diskussion um eine grundlegende Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts wurde der Spracherwerb schließlich allerdings verstärkt auch als Integrationsaspekt thematisiert. Diese politische Debatte resultierte im reformierten Staatsangehörigkeitsrecht des Jahres 2000; darin findet sich erstmals ein Sprachkriterium als Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung. Nach 1998 ist Bewegung in die grundsätzlichen Erwägungen zur Sprachförderung bei Migranten in Deutschland gekommen. Diese Überlegungen zielten auf eine Verschärfung der 1 Der rechtliche Terminus „Aussiedler“ wurde 1992 in „Spätaussiedler“ umgewandelt. Diese Studie verwendet beide Bezeichnungen synonym. 2 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Sprachtests für Spätaussiedler (und ihre Familienangehörigen), aber auch auf die Vereinheitlichung der Sprachkurse für alle Immigranten in Deutschland. Zwar weist die deutsche Sprachförderungspolitik zur Zeit noch einen eher fragmentarischen Charakter auf, doch zunehmend wird erkannt, daß Sprache entscheidend zur sozialen und Arbeitsmarktintegration von Aussiedlern und Ausländern in der Bundesrepublik beitragen kann. Der von der Bundesregierung im November 2001 vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)“ wurde im Frühjahr 2002 nach heftigem politischen Streit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Das voraussichtlich zum 1. Januar 2003 in Kraft tretende Gesetz2 (die für diese Studie wichtigsten Bestimmungen sind in Anhang C wiedergegeben) beabsichtigt nicht nur, die Einreise von Zuwanderern auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen und erstmals ein systematisches Verfahren zur Immigration von qualifizierten Arbeitskräften zu etablieren; es sieht auch vor, Sprachkenntnisse von Einwanderungsbewerbern im Rahmen eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild zu bewerten und zum Zulassungskriterium für die Einreise zu erheben. Darüber hinaus verpflichtet das Zuwanderungsgesetz neu einreisende Zuwanderer, die sich nicht „auf einfache Art“ in deutscher Sprache verständigen können, zum Besuch eines „Integrationskurses“. Gleichzeitig modifiziert das Zuwanderungsgesetz die staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften dahingehend, daß die erfolgreiche Teilnahme an einem solchen staatlichen Kurs einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung schon nach sieben, statt im Regelfall erst nach acht Jahren einräumt. Im übrigen sieht das Zuwanderungsgesetz nunmehr auch für Familienangehörige von Bewerbern um den Spätaussiedlerstatus den Nachweis genügender Sprachkenntnisse vor Erteilung einer Einreiseerlaubnis sowie einen Anspruch auf kostenfreie Teilnahme an einem Integrationskurs in Deutschland vor. Die Debatte um den Spracherwerb von Zu- 2 Vgl. Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr. 38, 25. Juni 2002, S. 1946-2000. Das Zuwanderungsgesetz wurde am 1. März 2002 vom Deutschen Bundestag und in einem verfassungsrechtlich bislang umstrittenen Abstimmungsverfahren am 22. März 2002 auch vom Deutschen Bundesrat verabschiedet. Unbeschadet der Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten am 20. Juni 2002 könnte in letzter Instanz eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Gesetzes herbeigeführt werden. Auch ein Regierungswechsel im Herbst 2002 könnte das Zuwanderungsgesetz noch vor seinem Inkrafttreten zum 1. Januar 2003 erneut zur Disposition stellen. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 3 wanderern dürfte mit dem voraussichtlichen Inkrafttreten dieser Bestimmungen zum 1. Januar 2003 freilich nicht beendet sein. Aus der bisherigen Praxis der Sprachförderung für Spätaussiedler und Ausländer ergeben sich folgende Fragen: Sollte es einen einheitlichen Maßstab für Sprachkompetenz geben, der für Aussiedler und Ausländer gleichermaßen Gültigkeit besitzt? Sollten die Sprachkenntnisse unmittelbar bei der Einreise überprüft werden, später im Rahmen der sozialen Integration oder erst unmittelbar vor der Einbürgerung? Wie umfangreich müssen die Sprachkenntnisse überhaupt sein? Sollte eine einheitliche Norm gelten, oder muß auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden? Wie können Arbeitsmarktaspekte berücksichtigt werden? Sollte sich die Sprachnorm am jeweiligen Einstiegspunkt in den Arbeitsmarkt orientieren? Politik und Gesellschaft in Deutschland beginnen gerade erst, sich diese entscheidenden Fragen zu stellen. Eine umfassende Handlungsstrategie existiert demzufolge noch nicht. Für die nähere Zukunft ist jedoch ein neues „Gesamtsprachkonzept“ geplant (das neue Zuwanderungsgesetz weist bereits in diese Richtung), das alle Bereiche der Sprachförderung umfassen und auf diese Weise ein transparenteres und einheitlicheres Sprachkursprogramm ermöglichen soll. Der Spracherwerb von Ausländern und Aussiedlern soll gleichermaßen von diesem Konzept erfaßt werden. Im Gegensatz zu Deutschland wirbt Kanada bereits seit über 100 Jahren aktiv um Zuwanderung. Seit 1911 bestehen dafür ausdrückliche gesetzliche Regelungen. Gemäß der aktuellen kanadischen Einwanderungspolitik, die auf ein Gesetz aus dem Jahre 1967 zurückgeht, erfolgt die Auswahl von Immigranten insofern unabhängig von ihren Sprachkenntnissen, als die Zuwanderung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Vielmehr kann dieses Defizit an anderer Stelle des Auswahl-Punktesystems „wettgemacht“ werden.3 Auch zum Erwerb der kanadischen Staatsangehörigkeit sind nur geringfügige Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen erforderlich. Kann Deutschland aus Kanadas Laissez-FairePolitik Lehren für die eigene Politik in bezug auf den Spracherwerb von Immigranten ziehen? Dieser Frage soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden. Dazu werden Einwande- 3 CIC (1998), 56-59. 4 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? rungsgeschichte und Sprachpolitik beider Länder verglichen und die unterschiedlichen Konzepte des Spracherwerbs auf ihre Wirksamkeit untersucht. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 5 A. Die kanadische Einwanderungspolitik nach 19454 Kanada hat sich Immigration seit jeher als Wachstumslokomotive für Wirtschaft und Bevölkerung zu Nutze gemacht. Zur Besiedelung des kanadischen Westens wurden Farmer und landwirtschaftliche Arbeitskräfte zwischen 1890 und 1930 von der Regierung aktiv angeworben. Um eine möglichst homogene Kultur zu bewahren, konzentrierte sich das Einzugsgebiet auf Großbritannien und die USA, später auch auf Nordwesteuropa. Eine Sprachausbildung war daher meist nicht erforderlich. Diese recht exklusive – und diskriminierende Einwanderungspolitik blieb unverändert, bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeitskräfte knapper wurden und die Nachfrage nach ausländischen Arbeitern anstieg. Als die Zuwanderung aus Großbritannien und den USA abnahm, warb Kanada verstärkt um Immigranten aus Süd- und Osteuropa. Trotz dieser Neuorientierung wurde eine strikte Beschränkung der Zuwanderung aus dem asiatischen Raum aufrechterhalten.5 Zu einem entscheidenden Richtungswechsel kam es erst 1951, als die kanadische Regierung „kleine, aber symbolisch wichtige“ Zuwanderungsquoten für farbige Asiaten aus den Commonwealth-Staaten Indien, Pakistan und Ceylon einführte. Das Einwanderungsgesetz von 1911 wurde 1952 offiziell überarbeitet. Damit verbunden war unter anderem eine Erleichterung der Familienzusammenführung.6 Die neue Politik führte zu einem deutlich erhöhten Angebot an Arbeitskräften mit hoher oder mittlerer Qualifikation, die insbesondere im Rohstoffsektor, in der Bauindustrie und im Verarbeitenden Gewerbe zum Einsatz kamen.7 4 Dieser Abschnitt beinhaltet lediglich einen kurzen Abriß der kanadischen Zuwanderungspolitik. Ein detaillierter Überblick findet sich bei Green/Green (1996) oder Chiswick (1992). 5 Vgl. dazu eine Äußerung des kanadischen Premierministers Mackenzie King vor dem House of Commons im Jahr 1947: “…There will, I am sure, be general agreement with the view that the people of Canada do not wish, as a result of mass immigration, to make a fundamental alteration in the character of our population. Large-scale immigration from the Orient would change the fundamental composition of the Canadian population…” [... Es herrscht, da bin ich mir sicher, allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die Bürger Kanadas nicht wünschen, daß sich unsere Bevölkerungscharakteristik in Folge von Massenimmigration grundlegend wandelt. Ein hohes Maß an Zuwanderung aus dem Orient würde die elementare Zusammensetzung der kanadischen Bevölkerung verändern ... “]. (Green/Green 1996, 13). 6 Allerdings blieben gewisse Einschränkungen für asiatische Immigranten selbst in der Kategorie Familienzusammenführung bestehen. Wie alle übrigen de facto rassistischen Bestandteile des Einwanderungsgesetzes von 1952 wurden auch diese Einschränkungen erst 1967 aufgehoben. 7 Green/Green (1996), 16. 6 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Aufgrund dieses starken Zustroms kam es im Zusammenhang mit einer Konjunkturabschwächung in den sechziger Jahren zu einer entscheidenden Wende in der Einwanderungspolitik. Ab 1962 wurden alle unabhängigen Bewerber „nach ihren individuellen Fertigkeiten, oder genauer gesagt, nach den Anforderungen des kanadischen Marktes“ bewertet.8 Sprachkenntnisse spielten wiederum keine Rolle. Ebensowenig wurden die Anforderungen an die Immigranten präzisiert, so daß diese vage Richtlinie die Entscheidung fast völlig ins Ermessen der Einwanderungsbeamten stellte. Um diesem Mißstand Abhilfe zu schaffen, wurde 1967 ein „Punktesystem“ eingeführt, durch das alle Bewerber nach objektiven Kriterien wie Alter, Bildung, Arbeitserfahrung und Sprache bewertet wurden. Erstmals wurden Sprachkenntnisse nun explizit als Auswahlkriterium benannt. Jeder Bewerber mußte eine Gesamtzahl von 50 Punkten erreichen, wobei bis zu 10 Punkte durch Kenntnisse einer oder beider Amtssprachen erzielt werden konnten. Durch diesen Schwerpunkt auf Humankapitalaspekten wurden hochqualifizierte Immigranten bei der Auswahl deutlich bevorzugt, während sämtliche Präferenzen für spezielle Nationalitäten praktisch wegfielen. In der Folge kam es zu einer „neuen Zuwanderungswelle“9 und somit nach 1968 zu einer drastischen Veränderung in der Nationalitätenzusammensetzung der Immigranten (siehe Tabelle 1). Vor 1968 stammten fast zwei Drittel aller Immigranten in Kanada aus Europa und den USA. In den folgenden zwei Jahrzehnten sank der Anteil der Europäer und US-Amerikaner bis auf weniger als ein Viertel (1991-96). Gleichzeitig stieg der Zuzug aus Asien, Afrika und Lateinamerika drastisch an. Die Zuwanderung aus Asien erhöhte sich von 13 Prozent (1968) auf 57 Prozent (1996). Der Anteil der Immigranten aus der Karibik wuchs zwischen 1968 und 1986 von 5,5 auf 13 Prozent, ging jedoch in den neunziger Jahren wieder auf das ursprüngliche Niveau zurück. Während Zuwanderer aus Lateinamerika 1968 noch weniger als 1 Prozent der Gesamtimmigration ausmachten, stellten sie 1986 bereits annähernd 9 Prozent. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich der Anteil der Zuwanderer aus Afrika annähernd von 4 Prozent auf 7,3 Prozent. 8 Chiswick (1992), 33. 9 Simmons (1990), 141. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 7 Tabelle 1: Zuwanderer in Kanada nach Region des letzten Wohnsitzes, 1967-2000 JAHR Europa Afrika Asien Australien USA 1967 159.979 4.608 20.740 1968 120.702 5.204 21.610 1969 88.383 3.297 23.319 1970 75.609 2.863 21.170 1971 52.031 2.841 22.171 1972 51.293 8.308 23.325 1973 71.883 8.307 43.193 1974 88.694 10.450 50.566 1975 72.898 9.867 47.382 1976 49.908 7.752 44.328 1977 40.748 6.372 31.368 1978 30.075 4.261 24.007 1979 32.858 3.958 50.540 1980 41.168 4.330 71.602 1981 46.295 4.887 48.830 1982 46.150 4.510 41.617 1983 24.312 3.659 36.906 1984 20.901 3.552 41.896 1985 18.859 3.545 38.597 1986 22.709 4.770 41.600 1987 37.563 8.501 67.337 1988 40.689 9.380 81.136 1989 52.105 12.198 93.213 1990 51.945 13.440 111.739 1991 48.055 16.087 119.995 1992 44.871 19.633 139.216 1993 46.602 16.918 147.323 1994 36.641 13.706 141.587 1995 41.266 14.631 129.106 1996 39.970 14.859 144.210 67-85 b 1.132.746 102.571 703.167 86-96 b 462.416 144.123 1.216.462 67-96 b 1.595.162 246.694 1.919.629 6.168 4.815 4.411 4.385 2.902 2.143 2.671 2.594 2.174 1.886 1.545 1.233 1.395 1.555 1.317 938 478 535 506 503 753 745 894 988 952 1.191 1.319 1.108 1.049 1.228 43.651 10.730 54.381 19.038 20.422 22.785 24.424 24.366 22.618 25.242 26.541 20.155 17.315 12.888 9.945 9.617 9.926 10.559 9.360 7.381 6.992 6.669 7.275 7.967 6.537 6.931 6.084 6.597 7.537 8.014 6.234 5.185 5.837 306.243 74.198 380.441 übriges Nord-/ Mittelamerika 422 374 593 711 636 865 1.141 1.391 1.510 1.356 1.330 950 732 800 1.110 1.651 3.654 4.078 5.016 6.078 6.873 5.671 5.870 7.781 13.404 12.526 7.737 3.503 2.842 3.409 28.320 75.694 104.014 Karibik Südamerika 8.582 3.090 7.755 2.693 13.315 4.767 12.660 4.385 11.017 2.902 8.353 2.143 19.563 11.057 23.885 12.528 17.973 13.270 14.842 10.628 11.911 7.840 8.328 6.782 6.366 5.898 7.361 5.433 8.633 6.136 8.674 6.870 7.216 4.816 5.630 4.084 6.132 4.456 8.874 6.686 11.227 10.801 9.439 7.225 10.909 8.685 11.689 8.989 12.922 10.582 14.952 10.389 16.563 9.580 9.980 7.919 10.056 7.538 9.322 6.104 208.196 119.778 125.933 94.498 334.129 214.276 Ozea- k.A.a nien, übriger Pazifik 49 323 681 948 878 792 1.143 1.816 2.652 1.414 912 719 13 726 6 942 934 17 1.181 196 735 616 25 622 724 1.074 2 1.077 1.147 49 1.659 7 2.183 44 2.468 59 1.763 1.197 831 834 14.412 4.128 14.957 161 29.369 4.289 Europa/Groß- Afrika & Na- Asien & PaziSüd-/MittelJahr britannien her Osten fik amerika USA k.A.a 1997 38.670 37.792 117.064 17.422 5.028 38 1998 38.516 32.567 84.125 14.031 4.768 152 1999 38.912 33.441 96.370 15.188 5.514 391 2000 42,875 40,779 120,491 16,939 5,809 316 97-00 b 158,973 144,579 418,050 63,580 21,119 897 67-00 b N/A N/A N/A 401,560 5,186 1,754,135 Quellen: Citizenship and Immigration Canada: Calendar Years 1967-1996; Citizenship and Immigration Canada: Facts and Figures 2000: Immigration Overview a keine Angaben b kumulierte Zahlen der jeweiligen Jahre GESAMT SUMME 222.876 183.974 161.531 147.713 121.900 122.006 184.200 218.465 187.881 149.429 114.914 86.313 112.096 143.117 128.618 121.147 89.157 88.239 84.302 99.219 152.098 161.929 192.001 214.230 230.781 252.842 255.819 223.875 212.504 225.773 2.667.878 2.221.071 4.888.949 GESAMT SUMME 216.014 174.159 189.816 227,209 807,198 5,696,048 8 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Das Einwanderungsgesetz von 1978 legte erstmals eine jährliche Zuwanderungsquote fest und definierte bestimmte Ziele, die durch Zuwanderung erreicht werden sollten. Dazu zählte das Schließen wirtschaftlicher und demographischer Lücken ebenso wie Familienzusammenführung und Kanadas Verpflichtung zur Aufnahme humanitärer Flüchtlinge. Durch das Einwanderungsgesetz von 1978 kam es erneut zu einer deutlichen Veränderung in der Zusammensetzung der Immigrantengruppen. Zwischen 1968 und 1976 (unter dem Einwanderungsgesetz von 1953) belief sich der Anteil der Wirtschaftsimmigranten und „Independents“ noch auf rund 70 Prozent. Unter dem Einwanderungsgesetz von 1978 sank dieser Anteil zunächst auf weniger als 30 Prozent (1975-82) und Mitte der achtziger Jahre auf rund 14 Prozent.10 Der rapide Rückgang der Wirtschaftsimmigration ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die jährliche Zuwanderungsquote ein Gesamtkontingent darstellte, das nicht zwischen den verschiedenen Immigrantengruppen (Familienmitglieder, Flüchtlinge und Wirtschaftsimmigranten) differenzierte. Standen nicht genügend Wirtschaftsimmigranten zur Verfügung, weitete die kanadische Regierung schlicht die Zahl der Einwanderungsvisa für Familienangehörige entsprechend aus. In den neunziger Jahren wurde dieses System erneut überarbeitet, um die Zahl und die Qualifikation der Wirtschaftsimmigranten zu erhöhen. Seit Januar 2000 muß ein Wirtschaftsimmigrant etwa 70 von 107 möglichen Punkten erreichen. Die Punkte werden dabei wie folgt vergeben: Die Höchstpunktzahl für Sprachkenntnisse beträgt 15 – davon maximal 9 Punkte für Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen und weitere 6 Punkte für die zweite Amtssprache. Das Gewicht der Kenntnisse einer Sprache liegt innerhalb des Punktesystems also bei unter 10 Prozent der maximal möglichen Gesamtpunktzahl. Jeder Bewerber bewertet seine Sprachkenntnisse selbst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß in der Sprachkategorie nicht notwendigerweise Punkte erzielt werden müssen, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung (landed immigrant status) zu erlangen, sondern daß die hier gesammelten Punkte lediglich zum Erreichen der geforderten Gesamtpunktzahl beitragen. Die von den Bewerbern gemachten Angaben zur Sprachkompetenz werden in Einzelgesprächen stichprobenartig auf Richtigkeit überprüft. Die Behörden vor Ort beschäftigen dazu Prüfer, die diese Interviews in englischer oder französischer Sprache durchführen.11 Darüber hinaus spielen die Sprachkenntnisse eine indirekte Rolle, 10 DeVoretz/Laryea (1997), 8. 11 Persönliches Gespräch von Don DeVoretz mit Lynda Joyce, Citizenship and Immigration Canada, 24. Mai 1999. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 9 wenn sie als zweitrangiges Kriterium wiederum zur Beurteilung der Integrationsfähigkeit der Bewerber herangezogen werden. Damit bei der Beurteilung der Sprachkompetenz vergleichbare Ergebnisse erzielt werden können, steht den Prüfern eine Art Beurteilungshandbuch zur Verfügung, dessen wichtigsten Merkmale in Tabelle 2 dargestellt sind. Tabelle 2: Sprachkompetenz-Beurteilungshandreichung Niveau Sprechen Lesen Schreiben Fließend Der Bewerber spricht und versteht verbale Kommunikation annähernd so mühelos wie ein Muttersprachler. Gut Der Bewerber ist in der Lage, Gesprächen zu allgemeinen Themen zu folgen und sich effektiv daran zu beteiligen. Der Bewerber liest und versteht Texte allgemeinen oder berufsspezifischen Inhalts, z. B. technische Anweisungen. Der Bewerber versteht fast alle Dokumente allgemeiner bzw. nicht abstrakter Natur. Mäßig Der Bewerber kann nur äußerst eingeschränkt kommunizieren. Keine Sprachkenntnissevorhanden Der Bewerber kann das gesprochene Wort weder verstehen noch selbst verwenden. Der Bewerber ist in der Lage, zu den verschiedensten Themenbereichen korrekte Texte zu verfassen. Der Bewerber kann einfache Zusammenfassungen zu Themen schreiben, die mit seiner Bildung, Arbeit oder sozialen Lage zu tun haben. Der Bewerber kann nur wenige erlernte Wörter oder Sätze des täglichen Gebrauchs schreiben. Der Bewerber ist nicht in der Lage, eine Aussage schriftlich niederzulegen. Der Bewerber kann nur kurze, bekannte oder auswendig gelernte Texte lesen und verstehen. Der Bewerber kann die Schriftsprache nicht lesen bzw. verstehen. Quelle: CIC Overseas Processing Manual, Citizenship and Immigration Canada (internes Dokument). Canada’s Overseas Processing Manual, eine Publikation der zuständigen kanadischen Behörde Citizenship and Immigration Canada (im folgenden CIC), weist ferner darauf hin, daß „die Sprachkenntnisse zwar in der Regel durch Interviews geprüft werden, daß aber auch andere Faktoren berücksichtigt werden können. Dazu zählen Studien- oder Arbeitsaufenthalte in eng- 10 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? lisch- oder französischsprachigen Ländern, Arbeitserfahrung bei einer englischen oder französischen Organisation sowie der Nachweis von Sprachkursen. Die potentielle Eignung für die angestrebte Tätigkeit sollte ebenfalls in die Beurteilung einfließen.” Derzeit verfügen rund 95 Prozent der erfolgreichen Bewerber in der Gruppe der qualifizierten Arbeitskräfte über Kenntnisse zumindest einer der Amtssprachen. Unzufriedenheit mit der oben beschriebenen Methode zur Beurteilung von Sprachkenntnissen führte zu einem Alternativvorschlag. Dieser sieht vor, daß Bewerber nicht mehr auf einen Interviewtermin warten müßten, sondern bereits in ihrem Heimatland einen offiziell anerkannten Sprachtest, z.B. den Test of English as a Foreign Language (TOEFL), absolvieren und die Ergebnisse zusammen mit der Bewerbung einschicken könnten. Bei einem zufriedenstellenden Testergebnis würde dann auf das Interview verzichtet. Der Bewerber müßte für die Kosten des TOEFL selbst aufkommen. Diese variieren von Land zu Land, liegen jedoch in der Regel bei umgerechnet etwa 100 US-Dollar.12 In Deutschland gibt es derzeit neben vier permanenten TOEFL-Testzentren (Berlin, Frankfurt, Hamburg und München) zwei weitere in Düsseldorf und Freiburg, die nur vorübergehend geöffnet sind. Insgesamt hat sich Kanadas Einwanderungspolitik in den vergangenen dreißig Jahren dramatisch gewandelt. Am Anfang stand ein Punktesystem, das Wirtschaftsimmigranten den Vorrang gab (1967-73), gefolgt von einem hauptsächlich auf Familienzusammenführung ausgerichteten System (achtziger Jahre), bis hin zur heutigen Einwanderungspolitik, die beide Systeme in einem ausgewogenen Verhältnis kombiniert. Da sich im Falle Kanadas sowohl die Immigrantengruppen als auch die Herkunftsländer verändert haben, hat die Sprachkomponente im Auswahlverfahren an Bedeutung gewonnen. Die kanadische Politik hat mittlerweile erkannt, daß Immigranten, die mindestens eine der Amtssprachen fließend sprechen, leichter in die Gesellschaft zu integrieren und wirtschaftlich erfolgreicher sind. Die neuesten Regelungen für die Einreise nach Kanada unter dem System des „unabhängigen Zugangs“ (independent gateway system) wurden im November 2001 verabschiedet (siehe Anhang E). Darin findet sich auch eine recht subtile, aber doch strategische Anpassung der Punktezahl, die für Sprachkenntnisse von Immigranten vergeben werden kann. Indem die 12 Detaillierte Informationen zum TOEFL sind in den jeweiligen Testzentren und auf der Homepage http://www.toefl.org erhältlich. Die in dieser Studie angegebenen TOEFL-Werte beziehen sich auf die Druckversion des Tests, der mit anderen Punktezahlen jedoch auch als computerbasierte Version angeboten wird. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 11 Höchstpunktzahl von bislang 15 auf 20 Punkte heraufgesetzt wurde, kommt den Sprachkenntnissen – bei unveränderter Gesamtpunktzahl – nunmehr höhere Gewicht zu. Der Ausgleich fehlender Punkte im Bereich Sprachkenntnisse durch Fähigkeiten und Kenntnisse in anderen Bereichen wird erschwert. Darüber hinaus wurden die Sprachanforderungen nach Qualität der Kenntnisse umstrukturiert, so daß die Höchstpunktzahl nur noch durch sehr gute praktische Kenntnisse in einer der beiden Amtssprachen Kanadas erreicht werden kann. Das bedeutet, daß geringe sprachliche Grundkenntnisse nicht mehr mit Punkten belohnt werden. Mit dieser neuen Gesetzgebung hat Kanada seine Überzeugung akzentuiert, daß Sprachkenntnisse für den Erfolg von unabhängigen Einwanderern von zentraler Bedeutung sind. Formal ist der Mangel an Sprachkenntnissen noch kein Hinderungsgrund für die Einreise, doch faktisch ist dies annähernd der Fall. 12 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? B. Kanadas Staatsangehörigkeitsgesetz und seine Sprachanforderungen Zwar ist die Zuwanderung nach Kanada kein neues Phänomen, wohl aber der Erwerb der kanadischen Staatsangehörigkeit. Auch nach der Gründung Kanadas im Jahre 1867 galt die Bevölkerung noch bis 1947 als britisch. Vor 1914 mußten laut Einbürgerungsgesetz (Naturalization Act, auch bekannt unter dem Begriff Local Act) alle männlichen Ausländer „beim jeweiligen Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich sie sich niederließen, vorstellig werden und das Gericht davon überzeugen, daß sie alle notwendigen Qualifikationen für den Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit besaßen.“13 Dieser sogenannte „British subject status“ galt jedoch nur für den Aufenthalt in Kanada und erlosch bei der Ausreise. Bis 1932 nahm jede Frau ungeachtet ihrer ursprünglichen Nationalität automatisch die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes an, so daß also selbst eine Britin zur Ausländerin wurde, sobald sie einen Ausländer heiratete. Die geographische Beschränkung wurde 1915 aufgehoben; fortan konnte der „British subject status“ auch nach der Ausreise aus Kanada beibehalten werden. Am 1. Januar 1947 trat das erste kanadische Staatsangehörigkeitsgesetz (Canadian Citizenship Act) in Kraft. Darin wurde erstmals die Bezeichnung „kanadischer Staatsbürger” für im Land ansässige Briten verwendet. Die kanadische Staatsangehörigkeit galt unter diesem Gesetz als „Privileg nach amtlichem Ermessen.“14 Erst nach dem zweiten Staatsangehörigkeitsgesetz, das am 15. Februar 1977 in Kraft trat, wurde die Staatsangehörigkeit für jeden zugänglich, der die gesetzlichen Anforderungen erfüllte. Sämtliche diskriminierenden Untertöne bezüglich ethnischer Herkunft, Geschlecht, Familienstand oder Nationalität wurden gestrichen. Das Gesetz von 1977 ist nach wie vor gültig, allerdings mit einigen bedeutenden Änderungen aus dem Jahre 1999. Um heute kanadischer Staatsbürger werden zu können, muß man volljährig sein (mindestens 18 Jahre alt) und während der letzten sechs Jahre mindestens drei Jahre lang „physisch“ im Lande gewesen sein.15 Das neue Ortsansässigkeitskriterium hat potentiell eine indirekte Auswir- 13 CIC (1999b). 14 CIC (1999b). 15 Vor dem 25. November 1999 reichte der Besitz von Wohn- oder Geschäftseigentum als Nachweis der Ortsansässigkeit aus. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 13 kung auf die Verbesserung der Sprachkenntnisse von Immigranten, bevor diese die Staatsangehörigkeit erlangen. Zusätzlich zu den Anforderungen an Alter und Ortsansässigkeit müssen die Staatsangehörigkeitsanwärter ein Mindestmaß an mündlichen Sprachkenntnissen (englisch oder französisch) vorweisen können und sowohl mit dem Land Kanada als auch mit den Rechten und Pflichten, die sich aus der Staatsangehörigkeit ergeben, hinlänglich vertraut sein.16 Letzteres wird durch einen schriftlichen Multiple-Choice-Test (in einer der Amtssprachen) überprüft. Erwähnenswert ist hier, daß diese Staatsangehörigkeitsprüfungen vom Zentrum für angewandte Sprachwissenschaften der Carleton University entwickelt wurden und auf einem Studienhandbuch mit dem Titel A Look at Canada basieren. Eine Kopie dieses Handbuchs wird zusammen mit der Antragsbestätigung an alle Bewerber versandt. Sämtliche Fragen und Antworten des Tests beruhen auf A Look at Canada, wobei die Fragen in leicht verständlichem Englisch (oder Französisch) gestellt werden und Vokabeln aus diesem Buch verwenden. Hintergrund dieses Tests ist, daß Immigranten ein Mindestmaß an Kenntnissen der kanadischen Sprache und Kultur entwickeln sollten, um die Integration und Identifikation mit denkanadischen Werten zu erleichtern. Um die Sprachanforderungen zu erfüllen, müssen die Kandidaten beweisen, daß sie einfache gesprochene Äußerungen/Fragen in einer der Amtssprachen verstehen und mündlich oder schriftlich darauf antworten können. Als Nachweis der landeskundlichen Kenntnisse müssen die Bewerber ein Grundverständnis der aus der Staatsangehörigkeit resultierenden Rechte und Pflichten sowie der kanadischen Geschichte, Geographie, Kultur und Regierungsstruktur demonstrieren. Ältere Bewerber (über 60 Jahre) müssen diese Anforderung nicht erfüllen. Nach dem derzeitigen System wertet ein „Staatsbürgerschaftsrichter“ (citizenship judge) die Testergebnisse aus und bestimmt, ob der Bewerber die notwendigen sprachlichen und kulturellen Kenntnisse besitzt. Bewerber, die den schriftlichen Test in einer der Kategorien nicht bestehen, werden in der Regel zu einem mündlichen Prüfungsgespräch beim Staatbürgerschaftsrichter geladen. Diese Möglichkeit wird gewährt, weil die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, keine offizielle Voraussetzung für die Staatsangehörigkeit ist und somit Bewerber nicht von 16 CIC (1999a), 4. 14 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? vornherein wegen Lese- oder Schreibschwächen von der Einbürgerung ausgeschlossen werden können. Sobald das Ortsansässigkeitskriterium von drei Jahren erfüllt ist, kann die Staatsangehörigkeit beantragt werden. Die Bearbeitungszeit vom Datum der Antragstellung bis zur Gewährung oder Ablehnung beträgt 10-12 Monate. Der Staatsangehörigkeitstest erfolgt etwa 8-9 Monate nach Eingang des Antrags, wobei das Prüfungsdatum dem Bewerber mindestens zwei Wochen im voraus bekanntgegeben wird. Unmittelbar vor dem Test überprüfen Mitarbeiter des CIC die persönlichen Angaben auf den Anträgen, indem sie den Bewerbern Fragen stellen wie z.B. Wo wohnen Sie? Wie lange sind Sie schon in Kanada? Können Sie mir Ihren Führerschein zeigen? Durch dieses erste Interview sollen sowohl die Identität der Bewerber bestätigt als auch deren aktive und passive Sprachkenntnisse einer ersten Prüfung unterzogen werden.17 Falls sich im Laufe dieses Interviews herausstellen sollte, daß der Bewerber selbst einfachste Fragen nicht versteht und/oder den schriftlichen Staatsangehörigkeitstest im Anschluß an das Interview nicht besteht, wird der Staatsbürgerschaftsrichter informiert, der den Bewerber daraufhin zu einer formellen Anhörung vorlädt. Dabei werden erneut die Landes- und Sprachkenntnisse des Bewerbers geprüft, wobei die politischen und kulturellen Fragen wiederum auf dem Buch A Look on Canada basieren und die Sprachfragen sich an Bereichen des täglichen Lebens orientieren, z.B. Welche Art von Arbeit verrichten Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?18 Laut CIC19 erfüllen etwa 95 Prozent der Bewerber die Sprach- und Wissensanforderungen. 90 Prozent bestehen den schriftlichen Test (ohne die Hilfe eines Dolmetschers) und weitere 5 Prozent bestehen das Prüfungsgespräch durch den Staatsbürgerschaftsrichter mit Hilfe eines Dolmetschers.20 Ist der Bewerber erfolgreich, wird seinem Antrag stattgegeben, und er wird schriftlich über das Datum der Einbürgerungszeremonie informiert, die meist zwei bis vier Wo- 17 Die Bewerber haben 30 Minuten Zeit für den Test, benötigen jedoch in der Regel nur einen kürzeren Zeitraum. 18 Die Bewerber müssen nicht grammatikalisch korrekt sprechen, sondern durch ihre Antworten lediglich zeigen können, daß sie die Fragen verstehen. 19 20 Persönliche Kommunikation zwischen Don DeVoretz und Susan Nicholson, CIC, Ottawa. 22. September 1999. Der Dolmetscher darf jedoch ausschließlich für die Wissensprüfung, nicht für den Sprachtest verwendet werden. Dolmetscher werden zugelassen, da einige Bewerber keine ausreichenden Sprachkenntnisse besitzen, um die komplizierteren Wissensfragen adäquat beantworten zu können. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 15 chen später stattfindet. Anträge von Bewerbern, die beim Prüfungsgespräch durchfielen, werden hingegen grundsätzlich abgelehnt. Der Antragsteller hat jedoch die Möglichkeit, gegen das Urteil des Richters Berufung einzulegen. Angesichts der langen Bearbeitungszeit für Einbürgerungsanträge und der Kosten, die durch die hohen Zuwanderungszahlen der neunziger Jahre entstanden sind, untersucht das CIC derzeit „einige Langzeitinitiativen mit dem Ziel, das eigenen Beurteilungsverfahren für die Sprachkompetenz der Bewerber zu verbessern. Neben einem separaten Sprachtest erwägt die Behörde auch die Einführung von ‘Kernkompetenz-Zertifikaten’ als Nachweis für Sprach- und Landeskenntnisse ohne gesonderte Prüfung. Das würde im Grunde bedeuten, daß Bewerber zusätzlich zu ihrem Antrag auf Staatsangehörigkeit ein Dokument einreichen könnten, aus dem ihre Eignung auf sprachlichem und/oder landeskundlichem Gebiet hervorgeht.“21 21 Persönliche Kommunikation zwischen Don DeVoretz und Susan Nicholson, CIC, Ottawa. 22. September 1999. 16 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? C. Die geschichtliche Entwicklung der deutschen Zuwanderungspolitik Im Gegensatz zu Kanada bezeichnet Deutschland sich bislang nicht offiziell als Zuwanderungsland. Auch in der aktuellen Debatte um das Zuwanderungsgesetz wird dieser Begriff eher zögerlich verwendet. Doch aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke, seines ausgeprägten Sozialsystems und seiner zentralen Lage in Europa erlebt Deutschland de facto einen erheblichen Zuzug von Immigranten und Asylbewerbern. Das Ausmaß des Zuzugs überstieg in den ersten Jahren des vergangenen Jahrzehnts die Summe aller Einreisen in die USA, Kanada und Australien zusammengenommen. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts kamen jährlich bis zu 1,5 Millionen Zuwanderer nach Deutschland, dies entsprach einer Netto-Zuwanderung von bis zu 800.000 Menschen jährlich (siehe Schaubild 1). Schaubild 1: Netto-Migration, Zuwanderung und Abwanderung in Deutschland, 1955-2000 1600000 1400000 1200000 1000000 800000 600000 400000 200000 0 -200000 -400000 1955 1960 1965 1970 Zuwanderung Quelle: Statistisches Bundesamt 1975 1980 Abwanderung 1985 1990 Netto-Migration 1995 2000 IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 17 Die größte Gruppe der Immigranten machen Ausländer aus, die in Ermangelung eines Zuwanderungsgesetzes auf Grundlage diverser rechtlicher Regelungen (Familiennachzug, Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung, Asyl, Bürgerkriegs- und Kontingentflüchtlinge etc.) nach Deutschland eingereist sind. Die zweitgrößte Gruppe stellen anerkannte deutschstämmige Spätaussiedler und ihre Familien. Die Geschichte der Aussiedler begann im 18. Jahrhundert, als Deutsche in großem Umfang nach Osteuropa auswanderten.22 Diese Deutschstämmigen in den Ostgebieten des Deutschen Reiches erhielten im Zuge der unter Reichskanzler Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts begonnenen „Germanisierung“ die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach den territorialen Verlusten Deutschlands infolge des verlorenen Ersten Weltkriegs wurden viele dieser Deutschen zu Ausländern. Schließlich siedelte Deutschland im Dritten Reich zahlreiche Deutsche in die eroberten Ostgebiete um. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden aus rund 15 Millionen Deutschen Flüchtlinge oder Vertriebene. Die erste westdeutsche Volkszählung nach dem Krieg belegte, daß 1950 fast 10 Millionen Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten in Deutschland lebten und somit nahezu 20 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten. Seit den fünfziger Jahren handelte Deutschland mit einer Reihe der betreffenden Länder Abkommen aus, nach denen ein Teil der dort verbliebenen Deutschstämmigen nach Deutschland übersiedeln durfte. Dennoch leben weiterhin Hunderttausende gebürtige Deutsche und insbesondere deren Nachkommen außerhalb des vereinigten Deutschland. Ihre genaue Zahl läßt sich nur schätzen und hängt von den jeweiligen Anerkennungskriterien ab. Artikel 116 des Grundgesetzes garantiert Aussiedlern nach wie vor das Recht auf Wiedereinbürgerung (siehe Anhang A). Das Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) beschreibt die entsprechenden Anerkennungskriterien im Detail. So muß der Bewerber ein gewisses „Bekenntnis zum Deutschtum“ nachweisen können, das sich in Abstammung, Sprache und Kultur widerspiegelt. Dasselbe Gesetz regelt Regierungsmaßnahmen zur Förderung der Integration von Aussiedlern, wie etwa niedrig verzinste Kredite oder Sprachkurse.23 22 23 Der folgende Abschnitt basiert auf Zimmermann (1999), 2-8. Die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Aussiedlern basiert hauptsächlich auf dem Lastenausgleichsgesetz (LAG, 1952), dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG, 1953) und dem Garantiefonds (1954). 18 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Anfang der neunziger Jahre wurde eine wachsende Ghettoisierung von Aussiedlern in Deutschland festgestellt. Neuankömmlinge zogen bei früheren Aussiedlern ein, unter denen sich häufig Freunde und Familienangehörige fanden. Zwar bot diese Netzwerkbildung den Aussiedlern kurzfristige wirtschaftliche Vorteile, doch das davon ausgehende negative Integrationssignal und die entstehenden Spannungen zwischen Aussiedlern und der übrigen deutschen Bevölkerung stellten sich als weitaus gravierender heraus. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Entwicklung mit dem Wohnortzuweisungsgesetz. Dieses seit 1996 gültige und 2000 novellierte Gesetz gewährt Spätaussiedlern nur dann Sozialleistungen, wenn sie für bestimmte Zeit an einem zugewiesenen Wohnort gemeldet bleiben. Die Folge war eine Dezentralisierung der Aussiedler auf Kosten ihrer Mobilität. Schaubild 2: Zuzug von (Spät)Aussiedlern nach Deutschland, 1950-2000 450000 400000 350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000 2000 1998 1996 1994 1992 1990 1988 1986 1984 1982 1980 1978 1976 1974 1972 1970 1968 1966 1964 1962 1960 1958 1956 1954 1952 1950 0 Quelle: Bundesministerium des Innern Während der vergangenen zwanzig Jahre war der Zuzug von Aussiedlern starken Schwankungen unterworfen (siehe Schaubild 2). Vor 1989 reisten durchschnittlich nicht mehr als 50.000 Aussiedler pro Jahr in die Bundesrepublik ein. Doch nach der Aufhebung von Freizü- IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 19 gigkeitsbeschränkungen und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Osteuropas stieg dieser Durchschnitt in den Jahren 1989 und 1990 auf fast 400.000 Personen an. Bis Mitte der neunziger Jahre pendelten sich die Zahlen bei rund 200.000 Spätaussiedlern pro Jahr ein. Seither ist der Zustrom stark gesunken und umfaßte zwischen 1998 und 2000 nur noch rund 100.000 Personen jährlich. Für diesen Rückgang gibt es drei Hauptgründe. Erstens ist das Anerkennungsverfahren strenger geworden. Zweitens wurde Ende 1992 der jährliche Zustrom auf 200.000 Aussiedler (+/-10%) kontingentiert. Angesichts der sinkenden Zahl von Aussiedlungsanträgen wurde diese Quote 1999 nochmals auf 100.000 gesenkt. Diese Regelung kann in Verbindung mit den sonstigen Regelungen für Spätaussiedler durchaus als de facto-Einwanderungsgesetz für eine spezielle Personengruppe betrachtet werden. Drittens wurde 1996 ein Sprachtest eingeführt, den die Bewerber bereits in ihrem „Heimatland“ vor der Einreise in die Bundesrepublik absolvieren müssen. Diese Hürde hat den Rückgang der Aussiedler-Immigration maßgeblich mitbewirkt. Die Zu- und Abwanderung von Ausländern war in den letzten Jahrzehnten gleichfalls deutlichen Schwankungen ausgesetzt. Im Zeitraum zwischen 1955 und 1973 warb Deutschland Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Jugoslawien, Marokko und der Türkei an, um so den enormen Arbeitskräftemangel in Industrie und Handwerk auszugleichen. Zwar ging die ursprüngliche Konzeption entsprechend dem „Gast“-Arbeiter-Gedanken von einem nur befristeten Aufenthalt aus, doch viele Gastarbeiter ließen sich in Deutschland dauerhaft nieder. Ein wesentlicher Grund für ihren Verbleib in Deutschland war die deutsche Einwanderungspolitik. Nachdem die Anwerbung von Gastarbeitern 1973 offiziell für beendet erklärt wurde, hätten diese nach dem Verlassen Deutschlands keine Einreisegenehmigung mehr erhalten. So entschieden sich viele dafür, „für immer“ in Deutschland zu bleiben und ihre Familien nachziehen zu lassen. Die Folge war eine weitere Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich die Situation grundlegend, und der Zuzug von Ausländern erhöhte sich deutlich. In den Jahren 1991-92 kamen netto über eine Million Zuwanderer nach Deutschland, die meisten von ihnen aus Jugoslawien, Polen und Rumänien. Zwischen 1993 und 1996 kamen weitere 800.000 Ausländer hinzu. Ihre Zahl ging erst 199798 zurück, als sogar mehr Ausländer das Land wieder verließen als neu einreisten. Doch 1999 stieg die Netto-Zuwanderung von Ausländern wiederum auf über 100.000 an. Diese Entwicklung ist auf verschiedene kurzfristige Gründe zurückzuführen. So wurde das Ausländergesetz, in dem die eingeschränkten Rechte von Ausländern in Deutschland geregelt sind, verschärft. Zudem 20 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? wurde durch die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz die Einreise von Ausländern erschwert.24 Darüber hinaus begannen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien in ihre Heimatländer zurückzukehren.25 Schließlich verringerte sich die Zahl der potentiellen Immigranten durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa. 24 In der Asylpolitik kam es 1993 zu einer Kehrtwende. Fortan durften Asylsuchende in Deutschland kein Asyl mehr beantragen, wenn sie dies auch in einem Nachbarland hätten tun können. Gleichzeitig wurden die Sozialleistungen für Asylbewerber reduziert. 25 Von insgesamt 345.000 Bürgerkriegsflüchtlingen sind mittlerweile über 300.000 in ihr Heimatland zurückgekehrt. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 21 Tabelle 3: Zu- und Abwanderung von Ausländern in Deutschland, 1991-1999 Herkunftsland Griechenland Italien Jugoslawien 1) BosnienHerzegowina Polen Rumänien ehemalige Sowjetunion Türkei übrige Länder Gesamtsumme 1991 Zuwanderung 28.305 35.441 221.034 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 23.631 18.267 18.902 20.263 30.055 31.658 38.678 47.998 382.763 278.650 153.888 130.712 18.829 45.821 71.303 16.439 38.996 31.227 15.957 35.074 59.853 17.469 34.540 87.770 - 75.403 107.040 68.335 55.173 11.127 6.901 8.397 10.333 128.387 61.413 131.726 75.117 109.816 81.606 78.646 31.380 87.238 24.814 77.405 17.069 71.214 14.247 66.106 17.032 72.210 18.803 62.372 98.521 100.949 97.928 91.236 78.023 70.443 81.107 38.973 81.901 80.568 67.778 63.946 73.592 73.224 55.981 47.958 47.097 325.037 311.268 228.235 219.205 254.983 301.940 302.270 284.680 304.544 920.491 1.207.602 986.872 773.929 792.701 707.954 615.298 605.500 673.873 Abwanderung 15.443 Griechenland 36.371 Italien 52.957 Jugoslawien 1) BosnienHerzegowina 115.325 Polen 30.208 Rumänien ehemalige So12.095 wjetunion 36.134 Türkei 198.943 übrige Länder Gesamtsumme 497.476 Herkunftsland 1992 16.234 17.519 19.155 32.727 30.945 32.172 129.494 112.285 115.105 19.343 33.969 86.154 20.060 36.841 85.041 21.758 37.937 44.479 19.854 36.837 45.057 19.284 35.496 48.250 4.202 10.343 16.525 15.726 27.237 83.943 97.466 33.346 109.542 101.755 51.864 101.863 65.758 43.996 70.694 25.159 71.661 16.620 70.171 13.558 60.673 13.571 58.572 14.618 13.252 22.946 34.410 39.349 35.092 32.285 30.794 29.247 40.316 46.286 46.363 43.221 43.534 45.978 45.142 40.944 217.116 266.298 247.933 233.826 222.978 286.957 289.561 275.881 614.747 710.240 621.417 567.441 559.064 637.066 638.955 555.638 1991 1992 1993 1994 1995 1996 NettoMigration 12.862 7.397 748 -253 920 -1.231 Griechenland -930 -2.672 713 6.506 14.029 8.980 Italien Jugoslawien 1) 168.077 253.269 166.365 38.783 44.558 -13.738 Bosnien- 71.201 96.697 51.810 39.447 -16.110 Herzegowina 13.062 22.184 -26.638 12.888 16.544 5.744 Polen 31.205 57.952 -20.257 -12.616 -345 449 Rumänien ehemalige So26.878 49.120 75.575 66.539 58.579 56.144 wjetunion 45.767 40.252 21.492 17.583 30.371 29.690 Türkei übrige Länder 126.094 94.152 -38.063 -28.728 21.157 78.962 Gesamtsumme 423.015 592.855 276.632 152.512 225.260 148.890 1997 1998 1999 -5.319 1.059 -13.252 -3.897 -1.763 14.796 -1.815 -956 39.520 -77.042 -89.069 -23.013 1.043 689 5.433 3.461 13.638 4.185 45.738 39.649 51.860 10.003 15.313 -21.768 2.816 6.153 -4.881 28.663 -33.455 118.235 1) 1991 Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien (SBRJ), seit 1992 SBRJ ohne Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien, seit 1993 Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) Quelle: Statistisches Bundesamt 22 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Schaubild 3 veranschaulicht die langfristige Entwicklung der Zuwanderung von Aussiedlern und Ausländern zwischen 1951 und 1998. Schaubild 3: Gesamtzahl der Aussiedler und Ausländer in Deutschland, 1951-1998 8000000 7000000 6000000 Gesamtzahl 5000000 4000000 3000000 A u s lä n d e r 2000000 A u s s ie d le r 1000000 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 1969 1967 1965 1963 1961 1959 1957 1955 1953 1951 0 Jahr Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesanstalt für Arbeit Fast die Hälfte aller Ausländer lebt seit über einem Jahrzehnt in Deutschland, 30 Prozent sogar seit über 20 Jahren. Mittlerweile existieren längst Gastarbeiterfamilien der zweiten oder gar schon der dritten Generation. Die ehemaligen Gastarbeiter bilden inzwischen nicht mehr die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik. Ihre Kinder und die neuen Zuwanderer, besonders aus Osteuropa, gewinnen heute zunehmend an Bedeutung. Die Frage der Ausländerintegration stellt sich heute anders und aktueller denn je. Die Situation der Ausländer in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt läßt sich größtenteils mit der Situation der Aussiedler vergleichen. Auch die meisten Spätaussiedler aus Osteuropa sowie potentiell anzuerkennende Aussiedler, die noch in diesen Staaten leben, gehören mindestens der zweiten Generation an. Da sie nie in Deutschland gelebt haben, finden sie ähnliche „Startbedingungen“ in der neuen Heimat vor wie Ausländer. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 23 Der starke Zuzug von Einwanderern im letzten Jahrzehnt führte zu beträchtlichen Integrationsproblemen in Deutschland. Die entstandenen Schwierigkeiten im sozialen Umfeld lassen sich zumindest teilweise auf die existierenden Sprachbarrieren zurückführen und sind eine mögliche Ursache verstärkter Fremdenfeindlichkeit. 24 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? D. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Einbürgerung von Ausländern Während es in Deutschland voraussichtlich erst im Jahr 2003 eine Zuwanderungsgesetzgebung geben wird, kann das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken. Zunächst war die deutsche Staatsangehörigkeit durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) geregelt. Nach seiner Einführung im Jahre 1914 wurde das Gesetz mehrfach novelliert, bevor 2000 einige bedeutende Elemente hinzukamen. Bis 1999 konnte die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben werden (sofern ein Elternteil Deutsche/r ist), durch Legitimierung (bei unehelichen Kindern) oder durch Heirat mit einem/einer Deutschen. Das Ausländergesetz (§ 86) sah eine Anspruchseinbürgerung nach 15 Jahren Aufenthalt in Deutschland vor; Anträge konnten nicht abgelehnt werden, sofern der Bewerber bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllte. Jeder erwachsene Antragsteller mußte vorstrafenfrei und unbeschränkt geschäftsfähig sein, eine gesicherte Unterkunft nachweisen sowie den Lebensunterhalt für sich und seine Familie selbst bestreiten können. Ausländische Jugendliche hatten einen Anspruch auf Einbürgerung, wenn sie mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt hatten, wobei sie sechs Jahre lang eine deutsche Schule besucht haben mußten (§ 85 Ausländergesetz). Bis Januar 2000 waren deutsche Sprachkenntnisse keine Voraussetzung für die Anspruchseinbürgerung. Wer hingegen vor 2000 eine Ermessenseinbürgerung beantragte, was in der Regel nach zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland möglich war, mußte deutsche Sprachkenntnisse nachweisen können. Diese waren allerdings äußerst vage definiert. Die Einbürgerungsrichtlinien forderten eine „freiwillige und dauerhafte Hinwendung zu Deutschland” und legten ferner fest, daß der Bewerber „die deutsche Sprache in Wort und Schrift in dem Maße beherrschen soll, wie dies von Personen seines Lebenskreises erwartet wird. Bei älteren Einbürgerungsbewerbern können Bildungsstand und gewisse Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen, berücksichtigt werden; das gilt vor allem, wenn die übrigen Familienangehörigen die deutsche Sprache hinreichend beherrschen und die Einbürgerung der gesamten Familie wünschenswert erscheint.”26 26 Einbürgerungsrichtlinien (3.1.1.). IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 25 Laut dieser Richtlinie mußte der Einwanderungsbeamte durch ein Prüfungsgespräch klären, ob ausreichende Sprachkenntnisse vorlagen. Die öffentliche Debatte und der politische Druck infolge der Einwanderungswelle nach 1991 führte zu einer bedeutenden Erweiterung des Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrechts. Das am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) setzte die Mindestaufenthaltsdauer von 15 auf 8 Jahre herab. Wichtiger noch: Zusätzlich zum Abstammungsprinzip (ius sanguinis) wurde das Geburtsortsprinzip (ius soli) eingeführt. Dadurch qualifizieren sich Kinder ausländischer Eltern nun automatisch für die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern ein Elternteil in Deutschland geboren wurde oder seit wenigstens acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Staatsangehörigkeit der Eltern darf zunächst beibehalten werden, doch müssen sich die auf diesem Wege Eingebürgerten vor ihrem 23. Geburtstag für eine der beiden Nationalitäten entscheiden, so daß eine permanente doppelte Staatsangehörigkeit ausgeschlossen ist. Die Anspruchseinbürgerungen können nach der Neufassung des Ausländergesetzes (§ 85-86) seit Januar 2000 bereits nach acht Jahren erfolgen. Zugleich wurde allerdings neben dem Kriterium der „Verfassungstreue“ als neue Voraussetzung der Nachweis „ausreichender“ Kenntnisse der deutschen Sprache geschaffen. Das neue Gesetz erwähnt unzureichende Sprachkenntnisse explizit als Ausschlußgrund für Einbürgerungsanträge. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV, siehe Anhang B) fordert, daß sich „der Einbürgerungsbewerber im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurecht zu finden vermag. [...] Die Fähigkeit, sich auf einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht nicht aus.“ Diese Verwaltungsvorschrift nennt darüber hinaus Sprachzertifikate, entsprechende Schulbildung, Studienabschluß oder eine abgeschlossene Berufsausbildung als Nachweise für ausreichende Sprachkenntnisse, aufgrund derer eine gesonderte Prüfung durch die Einbürgerungsbehörde in der Regel entfallen kann. Im Zweifelsfall liegt es jedoch im Ermessen der Behörden, einen zusätzlichen Sprachtest anzuordnen. Bewerber können das in der Vorschrift erwähnte Zertifikat Deutsch in Volkshochschulen und anderen Einrichtungen auf eigene Kosten erwerben. Für die individuelle Überprüfung der Sprachkenntnisse bei den Einbürgerungsbewerbern, die zum persönlichen Erscheinen aufgefordert werden, wurde bislang noch kein einheitlicher 26 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Beurteilungsmaßstab entwickelt. Die Durchführung dieser Sprachtests variiert gegenwärtig je nach Bundesland. Einige Länder delegieren die Prüfung an die Volkshochschulen vor Ort. Diese Tests dauern 45 Minuten, sind relativ preiswert und können bei Bedarf wiederholt werden. Andere Länder schreiben ein persönliches Gespräch mit einem Einbürgerungsbeamten vor. Während manche Bundesländer den Schwerpunkt bei den mündlichen Sprachkenntnissen setzen, wird anderswo besonderer Wert auf schriftliche Fähigkeiten gelegt – abgesehen von Analphabeten und schulpflichtigen Kindern. In der Praxis zeigt sich jedoch, daß die große Mehrzahl der Bewerber, die ihre Einbürgerung nach dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz beantragen, die geforderten Dokumente vorlegen können. Bislang gibt es allerdings noch keine verläßlichen Informationen über die Effektivität der Sprachprüfungen.27 Anerkennung und Einbürgerung von Aussiedlern Während des Zweiten Weltkriegs erhielten im Rahmen von sogenannten Sammeleinbürgerungen alle Deutschstämmigen in den besetzten Gebieten die deutsche Staatsangehörigkeit. Viele dieser Deutschstämmigen hatten nach dem Krieg unter Diskriminierung, Abschiebung, Unterdrückung und Verfolgung zu leiden. Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihnen entzogen, und sie mußten die Staatsangehörigkeit des Landes annehmen, in dem sie sich aufhielten. Diesem Umstand wurde im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) Rechnung getragen. Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 116, Abs. 1 (siehe Anhang A) gilt die deutschstämmigen Personen in diesen Staaten als „Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit“. Aufgrund dieses Sonderstatus erhalten Deutschstämmige dieselben Rechte wie alle übrigen deutschen Staatsangehörigen, sobald sie sich entschließen (bzw. es ihnen erlaubt wird), nach Deutschland einzuwandern. Um als Aussiedler anerkannt zu werden, müssen die Bewerber neben ihrer deutschen Abstammung auch nachweisen, daß sie sich durch die Pflege der deutschen Sprache und Traditionen noch immer mit der deutschen Kultur identifizieren. 1996 wurde zu diesem Zweck ein Sprachtest eingeführt. Wird dem Anerkennungsantrag zugestimmt, so kann der Bewerber unmittelbar die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen und muß im Gegensatz zu Ausländern nicht 27 Informationen des Freistaats Bayern, der mündliche und schriftliche Prüfungen vorschreibt, deuten auf eine relativ geringe Durchfallquote von 20 Prozent hin. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 27 die übliche langjährige Wartezeit einhalten. Dieser Verzicht auf eine Mindestaufenthaltszeit liegt in dem besonderen Status begründet, den Spätaussiedler nach geltendem deutschen Recht genießen. Anträge müssen entweder persönlich vom Aufenthaltsland aus oder durch die dortige deutsche Botschaft bzw. das zuständige Konsulat an das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln gerichtet werden. Eine dritte Option besteht darin, einen Vertreter in Deutschland (meist einen Verwandten) mit der Antragstellung zu beauftragen. Zwischen dem Datum der Antragstellung und der Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung kann eine Bearbeitungszeit von bis zu vier Jahren liegen. 28 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? E. Sprachtests für Aussiedler Angesichts der hohen Bewerberzahl und der damit verbunden öffentlichen Diskussion führte Deutschland, wie oben bereits erwähnt, 1996 einen Sprachtest ein, um die Deutschkenntnisse der Aussiedler genauer überprüfen zu können. Der Begriff Test ist in diesem Zusammenhang allerdings etwas irreführend, da es sich nicht um eine Prüfung im eigentlichen Sinne handelt, sondern vielmehr um eine Art Anhörung, die zur Einstufung des Bewerbers dient. Die Prüfung darf nicht wiederholt werden, denn sie soll zeigen, ob der Bewerber die deutsche Sprache bereits während der Kindheit vermittelt bekam (eine Voraussetzung für die Anerkennung als Spätaussiedler) und nicht, ob er Deutschkurse belegt hat. Für die Durchführung des Sprachtests vor Ort sind entweder Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes (in Rußland und Kasachstan) oder Botschafts- bzw. Konsulatsangehörige zuständig.28 Nach der Einführung des Sprachtests hat das BVA die Öffentlichkeit eingehend über die wichtigsten Merkmale informiert. So wurde vor allem darauf hingewiesen, daß ein Bestehen der Prüfung für die erfolgreiche Antragstellung von entscheidender Bedeutung ist und daß der Test für jeden Hauptantragsteller verpflichtend ist. Nach Antragseingang verschickt das BVA eine Einladung zum Sprachtest an den Antragsteller bzw. seinen Vertreter in Deutschland. Bis der Brief den Empfänger erreicht hat, wird eine Frist von einem Monat eingeräumt. Der Bewerber hat dann einen weiteren Monat Zeit, sich bei der deutschen Botschaft anzumelden. Dieses Bewerbungsverfahren mag zwar auf den ersten Blick recht starr erscheinen, doch eine gewisse Flexibilität zeigt sich in der Gestaltung der Tests. Zwei Alternativen stehen zur Verfügung: ein einfacher Test und ein qualifizierter Test. Während der einfache Test bislang nur für den Hauptantragsteller gedacht ist, können die übrigen Familienangehörigen auf Wunsch den sogenannten qualifizierten Test ablegen. Mit diesem gesonderten Text wurde erstmals ein gewisser Anreizmechanismus in die deutsche Sprachförderung integriert. Spricht die gesamte Familie gut deutsch (besser als für den einfachen Test erforderlich), dann wird das Aufnahmeverfahren 28 In Rumänien und Polen wurden die Sprachtests an den Botschaften durchgeführt. Aufgrund des großen Ansturms konnten jedoch die Botschaften in Rußland und Kasachstan die vielen Bewerbungen nicht mehr alleine bearbeiten. Daher wurden Mitarbeiter des BVA entsandt, um die Tests vor Ort durchzuführen. Die Testergebnisse wurden bis 1996 nicht offiziell erfaßt. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 29 beschleunigt. Bei einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von vier Jahren besteht also ein deutlicher Anreiz, den qualifizierten Test erfolgreich zu absolvieren. Aus Tabelle 4 geht allerdings hervor, daß der Anteil der Familien, die den qualifizierten Test bestehen, nicht besonders hoch ist. Das läßt sich darauf zurückführen, daß unter den potentiellen Spätaussiedlern immer weniger Bewerber zu finden sind, die noch die deutsche Sprache und Kultur pflegen. Während die Zahl der Deutschstämmigen abnimmt, wächst der Anteil der dazugehörigen Familienmitgliedern stetig. Die meisten von ihnen besitzen keinerlei deutsche Sprachkenntnisse. Die Politik hat auf diese Entwicklung erst im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes reagiert. Es sieht vor, daß künftig auch sämtliche Familienmitglieder von potentiellen Aussiedlern bereits in ihrem Heimatland den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse erbringen müssen, um die Einreisegenehmigung zu erhalten (siehe Zuwanderungsgesetz, Artikel 6, Nummer 5, dokumentiert in Anhang C).29 Der bislang praktizierte Test selbst ist recht unkompliziert und wird mündlich durchgeführt. Vor allem werden dabei Fragen zu Themen des alltäglichen Lebens – wie Haushalt, Arbeit, Freizeit etc. – gestellt. Da die Antragsteller häufig einen altdeutschen Dialekt sprechen, können sie das Prüfungsgespräch auf Wunsch in diesem Dialekt absolvieren. Zu diesem Zweck wurden die Prüfer speziell in alten Dialekten ausgebildet. Im Rahmen des Tests soll herausgefunden werden, ob eine einfache Kommunikation zwischen dem Prüfer und dem Bewerber möglich ist. Dazu werden die Fragen und Antworten auf Standardformularen notiert. Ist eine Unterhaltung problemlos möglich, so wird der Test verkürzt und für bestanden erklärt. Treten hingegen Kommunikationsprobleme auf, so wird das Gespräch im Wortlaut protokolliert. Hier gliedert sich der Test in zwei Teile. Der erste Teil besteht aus dem Gesprächsprotokoll und wird von Prüfer und Bewerber unterschrieben. Im zweiten Teil kommentiert der Prüfer das Gespräch und bewertet die Sprachkenntnisse des Bewerbers. Dieser Teil wird nur vom Prüfer und, sofern erforderlich, vom Dolmetscher abgezeichnet. Wenn trotz fehlerhafter Grammatik und Syntax oder mangelndem Sprachfluß eine Unterhaltung möglich war, gilt der Test als bestanden. Wenn hingegen kein Gespräch zustande kam und der Bewerber die Fragen kaum zu verstehen schien, gilt die Prüfung als nicht bestanden. 30 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Tabelle 4: Ergebnisse der Sprachtests für Spätaussiedler Einfacher Test bestanden, qual. Test nicht bestanden Einfacher Test Qualifizierter Test 5.629 2.567 3.901 69,3 1.386 54,0 + 688 5.975 72,9 1.728 30,7 1.181 46,0 - 688 2.221 27,1 46.727 10.583 29.610 62,9 4.176 39,5 + 2.772 36.558 63,9 17.043 36,5 6.407 60,5 - 2.772 21.678 36,1 Gesamtzahl Tests Bestanden Anzahl in % Nicht bestanden Anzahl in % 1999 (bis 31.07.) 51.607 7.322 30.064 58,3 1.888 25,8 + 2.088 34.040 57,8 21.543 41,7 5.434 74,2 - 2.088 24.889 42,2 Gesamtzahl Tests Bestanden Anzahl in % Nicht bestanden Anzahl in % 12.918 2.017 7.141 55.3 431 21.4 + 613 8.185 54.8 5.777 44.7 1.586 78.6 - 613 6.750 45.2 Summe 1996 Gesamtzahl Tests Bestanden Anzahl in % Nicht bestanden Anzahl in % 1997 Gesamtzahl Tests Bestanden Anzahl in % Nicht bestanden Anzahl in % 1998 8.196 57.236 58.929 14.935 Quelle: Statistik des Bundesverwaltungsamts Köln vom 31.07.1999 29 Vgl. Zuwanderungsgesetz, Artikel 6, Nummer 5b (Bundesgesetzblatt, 1990); Anhang C dieser Studie dokumentiert den Wortlaut der Bestimmungen. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 31 Im Zweifelsfall – wenn der Prüfling keine zusammenhängenden Sätze formulieren konnte, jedoch die Fragen zu verstehen schien – stellt der Prüfer Fragen zu deutschen Bräuchen, die im Hause des Bewerbers gepflegt werden. Diese Fragen werden in einer dem Bewerber verständlichen Sprache gestellt. Gelangt der Prüfer daraufhin zu der Ansicht, daß deutsche Bräuche und Traditionen im Hause des Antragstellers ausreichend gepflegt werden, um die Bedingungen des §6 (2) BVFG zu erfüllen, kann er den Test für bestanden erklären.30 Wie aus Tabelle 4 hervorgeht, hat der Anteil der bestandenen Tests seit 1996 kontinuierlich abgenommen. Diese Entwicklung ist zum einen auf das oben angeführte „Problem der zweiten Generation“ zurückzuführen. Zum anderen entstand durch das beschleunigte Aufnahmeverfahren für Bewerber mit fließenden Deutschkenntnissen aber auch eine Art „Abschöpfungseffekt“. Selektion erfolgreicher Kandidaten Abhängig vom Ergebnis des Sprachtests und der Gültigkeit der Dokumente kann das BVA den Antrag genehmigen, ablehnen oder eine weitere Untersuchung anordnen. Entscheidet das BVA positiv, so fehlt noch die Zustimmung eines der Bundesländer (gemäß § 28 (2) BVFG), bevor der endgültige Aufnahmebescheid verschickt werden kann. Um diese notwendige Zustimmung einzuholen, leitet das BVA den Antrag je nach familiärer Bindung und Verteilungsschlüssel (gemäß § 8 (3) BVFG) an das zuständige Bundesland weiter. Das Land stellt daraufhin seine eigene Untersuchung an und gelangt unabhängig vom BVA zu einer Entscheidung. Sind sich beide Behörden einig, erhält der Bewerber den endgültigen Aufnahmebescheid. Kommt das Bundesland zu einem negativen Ergebnis, so wird der Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung kann der Antragsteller Berufung einlegen. Nach Vorlage des Aufnahmebescheids erhält der Bewerber in der zuständigen Botschaft ein Visum, das ihn zur Einreise nach Deutschland berechtigt. Dort werden seine Dokumente durch die Erstaufnahmestelle erneut geprüft. Erfüllt der Bewerber sämtliche Voraussetzungen, so 30 Da Deutschstämmige in den Ländern, in denen sie lebten, häufig stark benachteiligt waren oder sogar verfolgt wurden, standen sie stets unter dem Druck, sich bis zu einem gewissen Grad zu assimilieren. Da sich ihre Herkunft am ehesten an der Sprache erkennen ließ, sorgten viele Eltern dafür, daß ihre Kinder die Landessprache sprachen. In Polen war die Verwendung der deutschen Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg sogar einige Jahrzehnte lang verboten. Passive Sprachkenntnisse blieben jedoch oft erhalten. 32 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? wird er (gegebenenfalls zusammen mit seiner Familie) registriert und darf auf Wunsch seinen Namen eindeutschen. Anschließend muß er sich bei der Landesaufnahmestelle des ihm zugewiesenen Bundeslandes melden. Werden seine Dokumente für ungültig befunden, so wird der Bewerber abgeschoben. Bei seiner Ankunft am Bestimmungsort werden die Dokumente einer weiteren Prüfung unterzogen. Erst dann erhält der Bewerber seine Spätaussiedlerbescheinigung. Selbst während dieses letzten Schritts kann der Antrag noch abgelehnt und die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung abgelehnt werden. Dagegen kann der Antragsteller Berufung einlegen, muß jedoch mit einer Abschiebung rechnen, falls ihm das Visum entzogen wird. Angesichts der Komplexität dieses Verfahrens ist es nicht verwunderlich, daß nur eine begrenzte Zahl von Anträgen pro Jahr bearbeitet werden kann. Doch aufgrund des Antragsrückgangs, der nicht zuletzt auf die Einführung von Sprachtests zurückzuführen ist, wird sich das Verfahren in Zukunft voraussichtlich beschleunigen lassen. Wenn es um die Beurteilung der Sprachkenntnisse von Aussiedlern geht, stehen die beiden Ziele der Selektion und Integration häufig in Konflikt miteinander. Der derzeit praktizierte Sprachtest für Aussiedler reicht in der Regel nicht aus, um ein brauchbares Vokabular zu gewährleisten, da auch veraltetes Deutsch, wie es von vielen Aussiedlern gesprochen wird, zugelassen ist. So ergeben sich für Aussiedler ähnliche Kommunikationsprobleme wie für Ausländer, obwohl für beide Gruppen nach deutschem Recht völlig unterschiedliche Aufnahmeverfahren gelten. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 33 F. Marktorientierte Sprachtests und Sprachförderung in Kanada Zwar spielt die Sprachkompetenz der Einwanderer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einreise nur eine geringe Rolle, doch steht sie während des Aufenthalts in Kanada kontinuierlich auf dem Prüfstand. Bei dieser informellen Bewertung nimmt der kanadische Arbeitsmarkt eine aktive Rolle ein. So hängt der Arbeitsmarkterfolg des einzelnen letztlich davon ab, in welchem Umfang er sich die Sprache des Landes angeeignet hat. Tabelle 5 veranschaulicht, inwieweit die Sprachkenntnisse des Immigranten von der Einreise bis zur Einbürgerung von Bedeutung sind. Dadurch soll vor allem die wichtige Rolle des Privatsektors in der Sprachförderung unterstrichen werden. In der Matrix wird die Sprachkompetenz in unterschiedliche sprachwissenschaftliche Aspekte aufgegliedert (Hörverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben) und mit der jeweiligen Integrationsphase in Verbindung gebracht. Um als Immigrant anerkannt zu werden (landed immigrant status), muß der Bewerber bei der Einreise de facto keine formellen Sprachanforderungen erfüllen. Doch durch den Nachweis von Sprachkenntnissen erhöhen sich seine Anerkennungschancen wesentlich. Tabelle 5: Sprachanforderungen in verschiedenen Phasen des Aufenthalts in Kanada Hörverstehen/Sprechen Leseverstehen Schreiben * anerkannter Immigrant* Nein Nein Nein Beschäftigung (verschiedene) Ja Ja Ja Staatsangehörigkeit Nein Ja Nein Die Angaben zur Sprachkenntnis erfolgen durch Selbsteinschätzung. In den meisten Fällen wird der Bewerber zu einem Prüfungsgespräch geladen, in dem seine Angaben mündlich überprüft werden. Diesen Test kann der Antragsteller jedoch durch Vorlage des TOEFL-Testergebnisses umgehen. Daß sich der Erwerb der Landessprache(n) in Kanada unter Arbeitsmarktaspekten weitgehend selbst regelt, wird am Beispiel der hochqualifizierten Berufsgruppen besonders deutlich. In einigen Berufen müssen Immigranten zunächst einen formellen Sprachtest bestehen, bevor sie zur Prüfung der beruflichen Qualifikationen überhaupt zugelassen werden. So verlangt etwa das College of Physicians and Surgeons (Ärzte und Chirurgen) der Provinz British Columbia, daß ausländische Ärzte mündliche und schriftliche Englischkenntnisse „zur Zufriedenheit der Zulas- 34 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? sungsstelle“31 vorweisen können, bevor eine Zertifizierung in Kanada überhaupt erst erwogen wird. Eine Teilvoraussetzung für die Approbation ist ferner, daß die Bewerber eine zweijährige Postgraduiertenausbildung an einer akkreditierten und anerkannten Institution erfolgreich abgeschlossen haben müssen, wobei ausländische Bewerber mindestens eines dieser beiden Jahre in Kanada absolviert haben müssen.32 Zwar verlangt das Royal College of Physicians and Surgeons of Canada keinen formellen Sprachtest, doch für die Teilnahme am Postgraduiertenprogramm sind ausreichende Englischkenntnisse erforderlich, zum Teil sogar eine Mindestpunktzahl von 60033 beim TOEFL-Test.34 Ausländische Mediziner müssen für ihren Abschluß (L.M.C.C.) außerdem die Prüfung durch das Medical Council of Canada ablegen.35 Da diese Prüfungen nur in englischer und französischer Sprache durchgeführt werden, sind ausreichende Sprachkenntnisse eine Grundvoraussetzung für das Bestehen. Ein weiteres Beispiel für diesen selbstregelnden Spracherwerbsprozeß auf dem kanadischen Arbeitsmarkt ist der Sprachtest für ausländische Krankenschwestern. Zusätzlich zu den notwendigen beruflichen Qualifikationen verlangt die Registered Nurses Association of British Columbia, daß alle Krankenschwestern, deren Muttersprache nicht Englisch ist, entsprechende Kenntnisse durch mindestens 550 Punkte im TOEFL-Test und mindestens 50 Punkte im Test of Spoken English (TSE) nachweisen können. In den übrigen Provinzen Kanadas finden sich ähnliche Regelungen. Um in Ontario Pharmazie praktizieren zu dürfen, muß jeder Anwärter eine entsprechende Lizenz vom Ontario College of Pharmacists erwerben. Dieses College schreibt wiederum vor, daß ausländische Pharmazeuten die englische oder französische Sprache in Wort und Schrift beherrschen müssen. Dazu muß der Bewerber den TSE (mind. 50 Punkte), TOEFL (mind. 580 Punkte) und den Test of Written English (TWE, mind. 5 Punkte) oder einen anderen anerkannten 31 College of Physicians and Surgeons of British Columbia (1997), Section 73 (c), 1. 32 Ibid. 33 Die hier angegebenen Zahlen beziehen sich auf den paper-based TOEFL. Eine Tabelle zum Vergleich mit den entsprechenden Ergebnissen beim computer-based TOEFL liegt in der TOEFL-CBT-Informationsbroschüre vor (erhältlich unter www.toefl.org). 34 Dr. D. H. Blackman, Deputy Registrar, College of Physicians and Surgeons of British Columbia, persönlicher Schriftverkehr mit Don DeVoretz, 22. Juli 1999. 35 Das L.M.C.C. (Licentiate of the Medical Council of Canada) ist Voraussetzung für die Zulassung zum Postgraduiertenprogramm. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 35 Test wie z. B. den CanTEST (je mind. 5 Punkte im Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben und Sprechen) absolviert haben. Für die französische Sprache gelten der CanTEST (gleiche Mindestpunktzahl wie im englischen Test) oder der Test of Business French (mündlich: 7; schriftlich: 2). Bewerber müssen darüber hinaus 48 Wochen praktische Ausbildung nachweisen und die Qualifikationsprüfung des Pharmacy Examination Board of Canada (PEBC) sowie die JurisprudenzPrüfung des Ontario College of Pharmacists bestehen.36 Beide Prüfungen werden ausschließlich in englischer oder französischer Sprache abgehalten. Für Berufe außerhalb des Gesundheitswesens existieren ähnliche Sprachanforderungen. So untersucht beispielsweise das National Committee on Accreditation die Berechtigungsnachweise von ausländischen Juristen und verlangt gegebenenfalls entsprechende Zusatzkurse, bevor sie das Certificate of Qualification erteilt, ohne das eine Zulassung als Rechtsanwalt in Kanada nicht erfolgen kann. Das Zertifikat bescheinigt dem Bewerber/der Bewerberin eine Qualifikation, die dem abgeschlossenen Jurastudium an einer anerkannten kanadischen Universität entspricht.37 Je nach Unterrichtssprache an der Heimatinstitution des Bewerbers/der Bewerberin kann das Komitee einen entsprechenden Nachweis über die Beherrschung der englischen Sprache verlangen. Darüber hinaus werden die notwendigen Zusatzkurse nur an Universitäten angeboten, die den TOEFL-Test als Eingangsvoraussetzung verlangen. Weitere Beispiele für derartige Sprachanforderungen finden sich in Kanada zuhauf. Der Verband der Ingenieure und Geowissenschaftler von British Columbia etwa schreibt für alle angehenden Ingenieure eine „Professional Practice Examination“ vor, die nur in englischer Sprache angeboten wird. Auch hier müssen im Ausland ausgebildete Ingenieure entsprechende Sprachkenntnisse besitzen, um den Test bestehen zu können. In den übrigen Provinzen Kanadas gelten ähnliche Bestimmungen. Als Physiotherapeut muß man in Ontario neben den fachlichen Voraussetzungen entweder Englisch oder Französisch fließend beherrschen. Die Mindestvoraussetzungen sind hier ein TOEFL-Resultat von 585 und zusätzlich ein TSE-Ergebnis von 45 oder eine Mindestpunktzahl 36 Diese Informationen stammen vom 1997 Occupational Fact Sheet for Foreign Trained Pharmacists, http://www.ocpharma.com/Registration/putprov.asp 37 National Committee on Accreditation, Evaluation of Legal Credentials of Accreditation, http://www.flsc.ca/english/cm-nca.htm 36 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? von 85 bei der Michigan English Language Assessment Battery (MELAB). Alternativ genügt ein Mindestdurchschnitt von 3 beim CanTEST (Englisch oder Französisch) bzw. 7 im International Language Testing System (IELTS) als Nachweis angemessener Sprachkenntnisse. Auch für im Ausland ausgebildete Ernährungswissenschaftler schreibt das College of Dietitians in Ontario die fließende Beherrschung einer der Amtssprachen vor. Als Nachweis werden hier TOEFL-Test (mind. 550 Punkte) und der TSE (mind. 5) anerkannt. Selbst in Berufen ohne formale Ausbildung wird die Sprachbeherrschung häufig überprüft. So muß man beispielsweise als Taxifahrer in British Columbia nicht nur verschiedene TaxiHost-Kurse wie den TaxiHost Basic Geography Test belegen und ein einwandfreies Führungszeugnis besitzen, sondern darüber hinaus nachweisen, daß man „gedruckte Angaben in englischer Sprache in ein Formular übertragen kann, einen Englischkurs mindestens der Stufe 8 an einer beliebigen Sprachschule absolviert hat, oder den TaxiHost English Proficiency Test besteht“38, wobei 78 Prozent bei der mündlichen Kommunikation, 71 Prozent bei der Aussprache und 67 Prozent beim Lesen erreicht werden müssen. Der TaxiHost English Proficiency Test wurde konzipiert, um unabhängig vom Herkunftsland der Bewerber möglichst faire und objektive Aussagen über deren Englischkenntnisse zu treffen. Der Test wurde am Vancouver Community College im Auftrag von TaxiHost entwickelt und soll sicherstellen, daß alle Taxifahrer die nötigen aktiven und passiven Sprachkenntnisse besitzen, um in ihrem Gewerbe professionell arbeiten zu können. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die kanadische Regierung zwar von Immigranten letztlich keinerlei Sprachkenntnisse zwingend als Vorausbedingung für Einreise, Aufenthalt oder Einbürgerung verlangt, daß jedoch viele Immigranten auf dem Arbeitsmarkt äußerste strenge Sprachmaßstäbe vorfinden. Daraus ergibt sich ein Paradox: Ein Immigrant darf zwar aufgrund entsprechender fachlicher Qualifikationen ohne Sprachkenntnisse ins Land einreisen, doch um dort seinen Beruf ausüben zu können, ist häufig die fließende Beherrschung einer der Amtssprachen notwendig. Die unübersichtliche Bandbreite der verschiedensten Sprachanforderungen und Tests in den einzelnen Berufen führte zu einer öffentlichen Diskussion über Sprachstandards. Infolgedes- 38 TaxiHost Centre, New Driver Application Procedures, Justice Institute of B.C., (Stand: 4. Januar 1999), 1. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 37 sen begann man in Kanada mit der Entwicklung eines Benchmark-Standards für Sprachkompetenz. Dieses einheitliche Bewertungssystem soll helfen, Immigranten besser über die für ihren Beruf notwendigen Sprachkenntnisse zu informieren. 38 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? G. Kanadas Sprach-Benchmarks In Kanada verfügt ein großer Anteil der Immigranten über unzureichende Sprachkenntnisse. Darauf reagierte der Privatsektor mit der Gründung von Fortbildungseinrichtungen, an denen English (French) as a Second Language (ESL/FSL) unterrichtet wird. Für diese privaten Institutionen gilt jedoch meist kein nationaler Standard.39 Somit gestaltet es sich gerade für potentielle Arbeitgeber schwierig, die Absolventen der verschiedenen Sprachkurse zu vergleichen und ihren tatsächlichen Kenntnisstand realistisch einzuschätzen.40 Darüber hinaus ist der Umfang der Sprachförderung in den meisten ESL-Kursen zu begrenzt, um „die Bandbreite und die Qualität des Sprachgebrauchs, der für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Kanada grundlegend ist, widerzuspiegeln.“41 Zwar weist das Bildungssystem eine allgemeine Tendenz zu besserer Überprüfbarkeit und ergebnisorientierteren Lehrplänen auf, doch mangelt es den ESLProgrammen an Informationen und empirischen Nachweisen über das tatsächliche Sprachniveau der Absolventen.42 Vor diesem Hintergrund war die Entwicklung des CLBA (Canadian Language Benchmarks Assessment) eine Reaktion auf die begrenzten Ausbildungs- und Bewertungsmöglichkeiten der Sprachförderung im Rahmen von ESL-Kursen für Erwachsene.43 Im folgenden wird die Entwicklung der Canadian Language Benchmarks dargestellt. Die staatliche Behörde, die dem CIC vorausging, nannte 1991 in ihrem jährlichen Bericht an das Parlament die Sprachförderung für erwachsene Zuwanderer, einschließlich einer Verbesserung der Bewertungsmethoden, als Hauptziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 1993 eine nationale Arbeitsgruppe (National Working Group on Language Benchmarks) eingerichtet, die die Gestaltung, praktische Erprobung und Überarbeitung von Sprach-Benchmarks überwachen sollte. Durch diese Benchmarks sollte die „Fähigkeit des einzelnen, die englische Sprache zur 39 Kurse finden beispielsweise in Schulen, Colleges, Gemeindezentren, Universitäten, Fabriken, Büros, Hotels, Kellerräumen von Kirchen, Bibliotheken etc. statt. Sie werden als Voll- oder Teilzeitkurse angeboten und setzen sich aus Teilnehmern mit den unterschiedlichsten kulturellen und beruflichen Hintergründen zusammen. 40 CIC (1996a), 1. 41 Cumming, zitiert in Norton/Stewart (o.J.), 3. 42 Ebd. 43 Ebd. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 39 Bewältigung verschiedener Aufgaben anzuwenden“ 44, eingeordnet werden können. Zu den Mitgliedern der Arbeitsgruppe zählten rund 20 Sprachlehrer, Administratoren und Teilnehmer von Sprachkursen aus ganz Kanada. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 1995 eine Publikation mit dem Titel Canadian Language Benchmarks: English as a Second Language for Adults. Die kanadischen Sprach-Benchmarks bestehen aus zwölf Vergleichsmaßstäben (in den drei Bereichen Sprechen/Hörverstehen, Lesen und Schreiben), anhand derer die Sprachkenntnisse von ESL-Kursteilnehmern eingestuft werden können.45 Jeder Benchmark beschreibt das Niveau der Sprachbeherrschung, das die Kursteilnehmer in der jeweiligen Phase erreicht haben sollten. Die Benchmarks für die einzelnen Teilbereiche untergliedern sich dabei in vier Stufen der Sprachkompetenz (siehe Tabelle 6). Tabelle 6: Allgemeiner Inhalt der Canadian Language Benchmarks Hörverstehen/Sprechen Lesen Schreiben A. B. C. D. A. B. C. D. A. B. C. D. Anweisungen geben und befolgen Soziale Interaktion Informationsaustausch Überzeugungskraft Anweisungen lesen Formatierte Texte lesen Unformatierte Texte lesen Informative Texte lesen: Analyse und Information Informationen abschreiben, reproduzieren Formatierte Texte: Ausfüllen, Erstellen Unformatierte Texte: Beschreibungen, Informationsweitergabe Ideen ausdrücken: Analyse, Bewertung, Überzeugung Quelle: Canadian Language Benchmarks, Einleitung/S. 2. http://language.ca/clb/intro.html Nach Fertigstellung dieses Dokuments beauftragte das CIC einen Bildungsausschuß in Ontario mit der Entwicklung von Bewertungsinstrumenten für die einzelnen Benchmarks. Folgendes sollte im Rahmen dieses Projekts entwickelt werden: 44 CIC (1996a), 1. 45 CIC (1996b). 40 § § § § § § § § DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Aufgaben, die auf die Benchmarks abgestimmt sind; Aufgaben, durch die Sprachschüler/innen in ein Kontinuum eingeordnet werden können; Aufgaben ohne Benachteiligung einzelner Rassen oder Kulturen; Aufgaben, die realistisch und fair sind; getrennte Instrumente für Hörverstehen/Sprechen, Lesen und Schreiben; Instrumente für die Einstufung zu Kursbeginn und die Beurteilung nach Kursende; Bewertungsinstrumente, die wirksam, verläßlich und kosteneffizient angewendet und ausgewertet werden können; Bewertungsinstrumente, die für den Bereich Erwachsenenbildung transparent sein müssen.46 Das daraus entstandene Canadian Language Benchmarks Assessment (CLBA) ist eine handlungsorientierte Prüfung, durch die „erwachsene Sprachschüler landesweit den für ihre Vorkenntnisse angemessenen Sprachförderungsprogrammen zugeordnet und ihre Fortschritte im Rahmen dieser Programme gemessen werden können.”47 Testinstrumente wurden entwickelt, die die Benchmarks 1 bis 8 abdecken.48 (Eine detaillierte Beschreibung der Canadian Language Benchmarks ist im Internet unter http://www.language.ca abrufbar.) Für Kinder und Jugendliche sind die ESL-Kurse innerhalb des kanadischen Schulsystems einheitlich. Darüber hinaus erlernen Zuwandererkinder durch die Interaktion mit anderen Kindern die in ihrer Region vorherrschende Sprache (Englisch oder Französisch) recht schnell. Dies gilt nicht notwendigerweise auch für Erwachsene. Um die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Integration von erwachsenen Immigranten zu erleichtern, richtete das CIC ein Programm mit dem Titel Language Instruction for Newcomers to Canada (LINC) ein.49 Das LINC-Programm wird landesweit von beauftragten Institutionen durchgeführt. Dazu zählen Unternehmen, gemeinnützige Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gemeindegruppen, Bildungsinstitute, Einzelpersonen sowie die Verwaltungen der jeweiligen Provinzen, Territorien und Kommunen. Um sich für LINC-Kurse zu qualifizieren, muß der Anwärter älter als 19 Jahre und im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung sein bzw. diese erfolgreich beantragt haben. Der Unterschied zwischen LINC und früheren Sprachförderungsprogrammen der Regierung liegt 46 Norton/Stewart (o.J.), 4. 47 Ebd., 2. 48 Tests für die Benchmarks 9 bis 12 sind geplant. 49 LINC entspricht ELSA (English Language Services for Adults) in der Provinz British Columbia. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 41 darin, daß der potentielle Teilnehmer nicht auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein muß, um zum Sprachkurs zugelassen zu werden. Zuvor gab es drei größere Programme, die von der kanadischen Regierung finanziert wurden: das Language Training Program der Canada Employment and Immigration Commission (CEIC), Sprachförderungsprogramme des Außenministeriums (die Finanzierung dieser Programme wurde mit dem Haushalt 1989 eingestellt) und das vom CEIC finanzierte Settlement Language Training Program (SLTP) für Immigranten, die nicht aktiv am Arbeitsmarkt teilnehmen. Das Language Training Program richtete sich ausschließlich an Erwerbstätige. Potentielle Teilnehmer mußten den Nachweis erbringen, daß englische bzw. französische Sprachkenntnisse für ihre Beschäftigung zwingend erforderlich waren. Das Programm des Außenministeriums richtete sich speziell an einbürgerungswillige Immigranten und wurde nach dem „Total Immersion“-Prinzip (vollständiges „Eintauchen“ in die Sprache) einsprachig durchgeführt. Dieses Unterrichtsmodell wirkte jedoch auf viele Teilnehmer – insbesondere jene mit unzureichender Leseund Schreibfähigkeit – eher abschreckend und behinderte den Lernprozeß. Ferner wurde oft kritisiert, das Programm sei wenig „kulturell einfühlsam“ und gehe nicht ausreichend auf Alltagssituationen ein. Das aktuelle LINC-Programm soll erwachsenen Immigranten in erster Linie Basiskenntnisse der englischen bzw. französischen Sprache vermitteln. Dies soll möglichst früh geschehen, um die gesellschaftliche Integration zu erleichtern. Der zeitliche Rahmen der Sprachausbildung ist auf maximal drei Jahre beschränkt. Nach dieser Zeit sollen die Absolventen in der Lage sein, ihren alltäglichen Verpflichtungen, die ausreichende Kenntnisse der Amtssprache erfordern, nachzukommen. Um den ungehinderten Zugang zu den LINC-Programmen zu gewährleisten, haben die Teilnehmer weiterhin Anspruch auf staatliche Unterstützung, Kinderbetreuung und Fahrtkostenzuschüsse, so daß jeder Sprachschüler regelmäßig an den Kursen teilnehmen kann. Die LINC-Kurse basieren auf einem landesweit einheitlichen Lehrplan und setzen sich aus drei Komponenten zusammen. Zunächst werden die Vorkenntnisse des Sprachschülers anhand der oben angeführten Benchmarks (CLBA) eingestuft. Der Prüfer empfiehlt daraufhin eine Sprachförderungseinrichtung, die am besten auf die Bedürfnisse des Anwärters zugeschnitten ist. Diese Empfehlung ist jedoch nicht bindend. Bei der Anforderung von Mitteln des CIC muß jeder 42 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Sprachkursträger angeben, welche zusätzlichen Leistungen den Kursteilnehmern zur Verfügung stehen, z. B. Kinderbetreuung oder behindertengerechte Räumlichkeiten. Die zweite Komponente besteht aus dem Sprachkurs selbst. Um eine vergleichbare Qualität der verschiedenen Kurse zu gewährleisten, sollen die Fortschritte der Teilnehmer ebenfalls anhand der CLBA-Benchmarks verfolgt werden. Alle Träger des LINC-Programms müssen in der Lage sein, auch Sprachschüler der Stufe 1 (gemäß CLB) auszubilden. Der dritte Teil beinhaltet die Verbesserung und Verbreitung von Sprachkursen und Sprachprüfungen im Rahmen des LINC-Programms.50 Dazu sollen der Sprachförderungsbedarf der Immigrantengruppen vor Ort untersucht und die Effektivität des LINC-Programms beurteilt werden. Aufgrund der Ergebnisse sollen entsprechende Verbesserungsvorschläge entwickelt werden. 50 CIC (1997), 5. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 43 H. Sprachförderung in Deutschland Im Gegensatz zum kanadischen Ausbildungssystem wird die Sprachförderung in Deutschland zur Zeit fast ausschließlich durch den Staat geregelt. Die deutsche Regierung finanziert Sprachkurse sowohl für Aussiedler als auch für Ausländer (siehe Überblick in Anhang D). Diese Kurse sollen dazu beitragen, die Immigranten wirtschaftlich und auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, soziale Kontakte zu fördern sowie die politische und kulturelle Partizipation der Zuwanderer zu verbessern. Die Mittel für die jeweiligen Immigrantengruppen werden von verschiedenen Behörden bereitgestellt. Sprachförderung für Spätaussiedler wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Darüber hinaus bieten das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium des Innern (BMI) in der Russischen Föderation und Kasachstan Sprachkurse an, durch die potentielle Aussiedler noch im Herkunftsland ihre deutschen Sprachkenntnisse auffrischen bzw. verbessern können. Staatlich finanzierte Sprachkurse für Ausländer finden hingegen nur in Deutschland selbst statt. Sie fallen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA). Die Mittel für die Sprachausbildung beider Immigrantengruppen beliefen sich zuletzt auf 340-350 Mio. DM51 jährlich. Davon entfielen über 90 Prozent auf Sprachkurse in Deutschland, der Rest auf Sprachkurse für Aussiedler in deren Herkunftsländern. Für die Jahre 2001 und 2002 sind im Bundeshaushalt Mittel in Höhe von rund 320 Mio. DM (ca. 165 Mio. Euro) vorgesehen. Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die angebotenen Leistungen und die in der Praxis beobachtete Wirksamkeit dieser Programme. Sprachförderung für Aussiedler Im Jahr 2000 wurde die Sprachförderung für Aussiedler von der Bundesregierung mit insgesamt rund 310 Mio. DM unterstützt. Die verschiedenen geförderten Programme werden im folgenden näher erläutert. 51 Da in dieser Studie auch Werte aus der zurückliegenden Jahren vergleichend herangezogen werden, sind die Angaben durchweg in DM statt in der seit Jahresbeginn 2002 gültigen neuen Euro-Währung angeführt. Ein Euro entspricht 1,95583 DM. 44 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? a) Sprachförderung in den Herkunftsländern Die Sprachkurse, die von der deutschen Regierung in der Russischen Föderation und in Kasachstan angeboten werden, richten sich in erster Linie an Bleibewillige. Indem interessierten Bürgern dieser Staaten die Teilnahme an Deutschkursen angeboten wird, soll der Gebrauch der deutschen Sprache in der Region gefördert werden. Dadurch will man den interkulturellen Austausch fördern und die Akzeptanz der verbliebenen Deutschstämmigen in der Russischen Föderation und Kasachstan erhöhen. Diejenigen von ihnen, die sich doch zur Übersiedlung nach Deutschland entscheiden, können die Sprachkurse zur Auffrischung bzw. Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse nutzen und so ihre Integration in Deutschland erleichtern. Schätzungen zufolge leben derzeit rund eine Million Deutschstämmige und deren Verwandte in der Russischen Föderation sowie weitere 300.000 in Kasachstan.52 Das Auswärtige Amt (AA) fördert verschiedene Deutschkurse für Aussiedler. Dazu zählen insbesondere die Kurse der deutschen Botschaft in Kasachstan, Kurse und Arbeitsgruppen des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) sowie eine Reihe indirekter Maßnahmen. Der Rat der Deutschen in Kasachstan sieht das Ziel dieser Kurse darin, den Ausreisewilligen eine sprachliche Grundlage mitzugeben und den Unentschlossenen eine Entscheidungshilfe anzubieten. Die Sprachschüler können kostenlos an bis zu drei Kursen von je 160 Stunden teilnehmen und müssen am Ende jedes Kurses schriftliche und mündliche Prüfungen ablegen. Mit rund 2,1 Mio. DM förderten das AA und das Bundesministerium des Innern (BMI) 1998 insgesamt 750 dieser Kurse, in denen etwa 15.000 Teilnehmer ausgebildet werden konnten. Der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) bietet seit 1993 in Kasachstan und der Russischen Föderation sogenannte „integrierte Sprachkurse“ an. In diesen Kursen lernen die Teilnehmer die deutsche Sprache nicht nur im Rahmen von strukturierten Unterrichtseinheiten, sondern auch durch gemeinschaftliche Aktivitäten wie Kochen, Tanzen und Chorproben. Das Hauptziel dieser Aktivitäten besteht darin, die deutsche Sprache und Kultur in der Region aufrechtzuerhalten. Neben den Deutschstämmigen können auch die Landsleute des jeweiligen Staates teilnehmen. Von diesem Angebot wird reger Gebrauch gemacht: Nicht-Deutschstämmige 52 Dormann et al. (1998), 26. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 45 stellen immerhin rund die Hälfte der Teilnehmer. Bis zu vier aufeinanderfolgende, dreimonatige Kurse à 40 Stunden können besucht werden. Die „Arbeitsgruppen“ verteilen sich in der Regel auf 32 Stunden pro Monat und schließen ebenfalls mit einem Sprachtest ab. Häufig fehlt es bei den Sprachkursen in dieser Region an Unterrichtsmaterialien, geeigneten Räumlichkeiten oder qualifizierten Lehrkräften. Um diese Lücken zu füllen, stellt das AA Mittel und Ausbildungsmöglichkeiten für Sprachlehrer bereit. Das Bundesministerium des Innern (BMI) betreibt eine umfangreiche Sprachförderung für Familienangehörige der deutschstämmigen Minderheiten in der ehemaligen Sowjetunion. Indem auf diese Weise die deutsche Identität und das Gemeinschaftsgefühl der Deutschstämmigen gefördert werden, sollen potentielle Aussiedler einen Anreiz zum Bleiben erhalten. Sprachkurse sind ein wichtiger Teil der angebotenen Programme. Darüber hinaus richtet das BMI Begegnungsstätten ein, in denen Deutschstämmige und interessierte Mitbürger zusammenkommen und zum deutsch-russischen Kultur- und Sprachaustausch beitragen können. Seit diese sogenannte Breitenarbeit 1996 begonnen wurde, konnten bereits über 200.000 Interessenten gewonnen werden. Die Sprachkurse sind kostenlos und in der Regel offen für jedermann, sofern ein gewisser Anteil an deutschstämmigen Teilnehmern gewährleistet ist. Bis 1999 umfaßten die Kurse 80 Unterrichtsstunden (über drei Monate), eine Aufstockung auf 160 Stunden ist geplant. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Kursen sind bei den Sprachkursen im Rahmen der Breitenarbeit keine Abschlußprüfungen vorgeschrieben. Statt dessen erhalten die Absolventen eine Teilnahmebestätigung. Dieser Bereich wurde 1999 mit rund 16 Mio. DM gefördert. Insgesamt existiert somit zwar eine Fülle von Sprachförderprogrammen, es fehlt allerdings jede Information über ihre Effektivität . Dies liegt zum Teil daran, daß die Sprachförderung in den Herkunftsregionen darauf abzielt, die Deutschstämmigen vom Umsiedeln abzuhalten. Allerdings sind ebensowenig Informationen darüber verfügbar, ob diese Art der Sprachförderung für diejenigen Deutschstämmigen von Nutzen ist, die dennoch den Spätaussiedlerstatus beantragen. b) Sprachförderung in Deutschland Wie bereits erwähnt, wird die Sprachförderung für Aussiedler in Deutschland von verschiedenen Behörden finanziert: dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), 46 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Diese Kurse sind wesentlich strukturierter, und die Anforderungen sind strenger als bei den Sprachkursen in den Herkunftsländern. Für ältere Aussiedler bietet das BMA über die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in den regionalen Arbeitsämtern Sprachkurse an. Diese Kurse richten sich nach dem Bedarf der lokalen Arbeitsmärkte. Für die ersten sechs Monate werden die Kursgebühren vollständig übernommen, wobei auch die Kosten für notwendige Fahrten und Kinderbetreuung bis maximal 120 DM monatlich erstattet werden. Tabelle 7 zeigt, wie viele der neu eingereisten Spätaussiedler zwischen 1991 und 1997 an einem Sprachkurs teilnahmen. Dieser Prozentsatz blieb während des gesamten Zeitraums relativ stabil (um die 50%), was darauf schließen läßt, daß die Regierung ihr Engagement für dieses Programm kontinuierlich fortgeführt hat. Tabelle 7: Anmeldungen von Spätaussiedlern für Deutschkurse, 1991-1997 Jahr 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1991-1997 Neu eingereiste Spätaussiedler 221.995 230.565 218.888 222.591 217.898 177.751 134.419 1.424.107 Anmeldungen 118.733 109.359 121.900 120.139 107.478 89.774 77.515 744.898 Anteil in Prozent 53,5 % 47,4 % 55,7 % 54,0 % 49,3 % 50,5 % 57,7 % 52,3 % Quelle: Social Consult, 1998 Die Kurse des BMA erfordern eine regelmäßige Teilnahme an 35 Wochenstunden, verteilt auf fünf Tage. Das Niveau dieser Kurse wird nicht nur durch die Beschäftigung qualifizierter Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrer gewährleistet, sondern durch die Überprüfung der Vorkenntnisse und die Kontrolle des Lernerfolgs anhand von regelmäßigen Zwischentests und Abschlußprüfungen. Die Teilnehmer können den Kurs frühzeitig verlassen, insbesondere um ein Stellenangebot anzunehmen, sofern sie ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen konnten. Um einen qualitativen Mindeststandard garantieren zu können, arbeiten die Sprachkursträger bei der Aus- IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 47 wahl des Lehrplans und der Unterrichtsmittel eng mit den Kultusministerien der Bundesländer zusammen. Die staatlichen Mittel für die BMA-Kurse pendelten sich in den letzten Jahren bei etwa 240-250 Mio. DM ein; aufgrund der abnehmenden Aussiedlerzahlen bedeutet dies einen leichten Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bietet Sprachkurse an, um vor allem die jüngeren Spätaussiedler in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Die Mittel dafür werden vom sogenannten „Garantiefonds“ bereitgestellt, der aus zwei Komponenten besteht: dem Schul- und Berufsbildungsbereich (SB) sowie dem Hochschulbereich (H). Die Sprachkurse über den Garantiefonds Schul- und Berufsbildungsbereich (GF-SB) richten sich speziell an junge Spätaussiedler wie auch an ausländische Jugendliche (bis 27 Jahre) mit oder ohne Schulabschluß, deren Sprachkenntnisse als unzureichend für eine Weiterbildung eingestuft werden. In den Kursen sollen den Jugendlichen ausreichende Sprachkenntnisse für eine weiterführende schulische oder berufliche Ausbildung bzw. für das Erreichen eines deutschen Schulabschlusses vermittelt werden. Es werden verschiedene, teils berufsorientierte Sprachkurse in Kombination mit Schulunterricht oder einer Internatsunterbringung angeboten. Abhängig von den Berufswünschen der einzelnen Teilnehmer variiert die Kurslänge zwischen 10 und 12 Monaten (40 Wochenstunden). Der Fortschritt der Schüler wird durch Zwischen- und Abschlußprüfungen kontrolliert. Die Zuschüsse für die Kursgebühr liegen in der Regel bei 630 bis 820 DM monatlich. In Härtefällen kann darüber hinaus Nachhilfe oder Internatsunterbringung finanziell gefördert werden, sofern dies für die soziale Integration des Jugendlichen als notwendig erachtet wird. Die Höchstförderdauer beträgt für jeden Teilnehmer 30 Monate, wobei nach 60 Monaten Aufenthalt in Deutschland der Förderungsanspruch erlischt. Durch den GF-SB wurden 1997 insgesamt 71.886 Jugendliche gefördert, davon waren 96 Prozent Aussiedler. In diesem Bereich der Sprachförderung beliefen sich die Staatsausgaben im Jahr 2000 auf etwa 45 Mio. DM. Die Sprachkurse, die durch den Garantiefonds Hochschulbereich (GF-H) finanziert werden, sollen jungen Spätaussiedlern (bis 30 Jahre) die notwendigen Qualifikationen für ein Hochschulstudium vermitteln. Die Kursdauer beträgt in der Regel sechs Monate (32 Wochenstunden). Vor Kursantritt werden die Deutsch-Vorkenntnisse der Teilnehmer überprüft. Der Lernerfolg 48 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? wird regelmäßig durch Zwischentests, Studienarbeiten und eine Abschlußprüfung kontrolliert, wobei letztere nur einmal wiederholt werden darf. Um aktive Sprachbeherrschung zu vermitteln, orientieren sich die Kursinhalte am soziokulturellen Umfeld der Teilnehmer. Aufgrund des „Integrationscharakters“ dieses Programms erlischt der Förderungsanspruch nach 60 Monaten Aufenthalt in Deutschland bzw. 30 Monate nach Kursantritt. Zusätzlich zu den Kursgebühren und Arbeitsmaterialien kommt der GF-H für die notwendigen Fahrtkosten auf. Falls der Teilnehmer für die Dauer des Programms nicht bei seinen Eltern wohnen kann, werden unter Umständen auch die Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten übernommen. Im Jahr 2000 konnten mit 23 Mio. DM aus dem GF-H Sprachkurse für etwa 4.000 Teilnehmer finanziert werden, davon waren 90 Prozent Aussiedler. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt die Mittel für das sogenannte „Akademikerprogramm“ (AKP) bereit. Dieses Programm wurde 1985 eingerichtet, um Akademikern unter den Spätaussiedlern die Wiederaufnahme ihres Berufs zu ermöglichen. Durch das Programm sollen Wissenslücken der Teilnehmer aufgrund von systemspezifischen Bildungs- und Qualifikationsunterschieden geschlossen werden. Für das AKP werden Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge im Alter zwischen 30 und 50 Jahren zugelassen, deren im Herkunftsland erworbene Qualifikationen (Hochschulabschluß oder vergleichbare Ausbildung) in Deutschland nicht ohne weiteres anerkannt werden. Die AKP-Teilnehmer können Deutsch, Fachdeutsch oder Englisch lernen, an einer deutschen Universität studieren und an beruflichen Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen. Die Kurse erstrecken sich über drei Monate (35 Wochenstunden). Finanzielle Unterstützung für dieses Programm steht nicht automatisch zur Verfügung, sondern muß vom Aussiedler innerhalb eines Jahres nach Ankunft in Deutschland beantragt werden. Der Staat trägt die Kosten für die sprachliche (und berufsorientierte) Ausbildung, die Lebenshaltungskosten und gegebenenfalls auch die Heilfürsorge für die Dauer des Programms. In den letzten Jahren betrugen die Staatsausgaben für das AKP durchschnittlich etwa 10 Mio. DM, von denen allerdings weniger als 10 Prozent auf die Sprachkurse selbst entfielen. Effektivität der Sprachförderung für Aussiedler Im Auftrag des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) hat die Social Consult GmbH 1998 eine umfangreichen Studie zur Effektivität der Sprachkurse für Spätaussiedler erstellt. Darin untersuchte das Bonner Beratungsunternehmen, wie die unter- IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 49 schiedlichen Programme von der Theorie in die Praxis umgesetzt werden, wie sie ineinandergreifen und welche Aspekte des Programms sich verbessern ließen. Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt dargestellt. Die Befragung erfaßte 378 Träger von Sprachprogrammen mit einer Gesamtteilnehmerzahl von 14.032 Personen, davon 82,3% Aussiedler (einschließlich Familienangehörige), 13,4% Kontingentflüchtlinge und 3,9% asylberechtigte Personen. Fast ein Viertel der Teilnehmer (23,4%) war höchstens 28 Jahre alt. Wie aus Tabelle 8 hervorgeht, begann die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer die Sprachausbildung innerhalb des ersten Jahres nach der Einreise, 83,7% sogar innerhalb der ersten sechs Monate. Dieser durchweg frühe Zeitpunkt des Kursantritts trägt zur Integration bei und belegt die starke Motivation der Teilnehmer, möglichst schnell die deutsche Sprache zu erlernen. Tabelle 8: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen Sprachkurs des BMA Teilnehmer Absolut in % bis 1 Monat 2 927 20,9 1 - 6 Monate 8 819 62,8 6 - 12 Monate 1 397 10,0 1 - 2 Jahre 229 1,6 mehr als 2 Jahre 130 0,9 keine Angabe 530 3,8 Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998 Etwa 85 Prozent der Sprachkursträger stufen die Vorkenntnisse der Teilnehmer vor Kursbeginn ein. Von diesen Trägern verfügen rund 80 Prozent über spezielle Testinstrumente. Diese Vielzahl verschiedener Einstufungstests schließt einen einheitlichen Bewertungsmaßstab aus und macht somit Vergleiche zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Kurse unmöglich. Die Träger benötigen also standardisierte Tests, um die Kursergebnisse auswerten zu können. Der Studie zufolge priorisierten die Kursträger die Ziele der BMA-Sprachkurse wie folgt: 50 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 1. Vermittlung von Sprechfertigkeit 2. Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse in Wort und Schrift 3. Trainieren von Selbstlernfähigkeiten 4. Vermittlung von Wissen über das Schul- und Berufssystem in Deutschland 5. Vermittlung berufsbezogener sprachlicher Fertigkeiten 35,9% 31,3% 12,2% 11,1% 9,5% Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998 Fast 93 Prozent der Kursträger stellen den Lernerfolg anhand einer Abschlußprüfung fest. Die Durchfallquote fällt dabei mit rund 15 Prozent relativ gering aus. Es existieren jedoch keine einheitlichen Abschlußprüfungen, so daß direkte Vergleiche ausgeschlossen sind. Darüber hinaus liegen keine Informationen über den Schwierigkeitsgrad dieser Prüfungen vor. Etwa 5,5 Prozent der Teilnehmer (767 Personen) hatten bereits in ihrem Herkunftsland einen Deutschkurs belegt. 57 Prozent von ihnen schnitten in den Sprachkursen des BMA besser ab als die übrigen Teilnehmer. Das deutet zwar darauf hin, daß sich der Besuch eines Sprachkurses vor der Einreise nach Deutschland lohnt, doch der geringe Umfang der Stichprobe läßt keine endgültige Schlußfolgerung zu. Nach Ansicht der befragten Kursträger beginnen die meisten Teilnehmer den Sprachkurs mit einem hohen Maß an Motivation. Daher überrascht es nicht, daß die Mehrheit der Träger (65,8%) der Meinung ist, die Sprachkurse leisteten einen (sehr) hohen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Integration der Spätaussiedler. Bei den Verbesserungsvorschlägen wird häufig die Kursdauer genannt: Die meisten Kursträger (77,3%) waren der Meinung, daß eine Ausdehnung der Kurse über die üblichen sechs Monate hinaus zur Qualitätssteigerung beitragen würde.53 Tabelle 9 zeigt Ergebnisse einer Studie zur Sprachförderung für Aussiedler, die von Social Consult für das BMFSFJ erstellt wurde. Die Befragung erfaßte 114 Sprachkursträger mit insgesamt 5.166 Teilnehmern, darunter 89,3 Prozent Spätaussiedler (einschließlich Familienangehörige), 5,3 Prozent Kontingentflüchtlinge und 1.7 Prozent asylberechtigte Personen. Der Anteil der Teilnehmer, die nach weniger als sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland einen 53 Es gilt jedoch zu bedenken, daß die Träger schon aus eigenen wirtschaftlichen Erwägungen an einer Verlängerung der Kursdauer interessiert sind, da in dem Falle auch die Mittel aufgestockt werden müßten. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 51 Sprachkurs aufnahmen, lag bei lediglich 44,2 Prozent, während immerhin rund 75 Prozent innerhalb eines Jahres in einen Kurs eintraten. Als problematisch sind die restlichen fast 25 Prozent zu werten, die erst nach einem Jahr oder später einen Kurs besuchten, wodurch sich der Integrationsprozeß gerade der jungen Spätaussiedler verzögert. Tabelle 9: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen GF-SB-Sprachkurs Teilnehmer Absolut in % 282 5,5 1 - 6 Monate 1 998 38,7 6 - 12 Monate 1 629 31,5 1 - 2 Jahre 1 034 20,0 156 3,0 67 1,3 bis 1 Monat mehr als 2 Jahre keine Angabe Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998 Laut dieser Befragung sehen die meisten Sprachkursträger das Hauptziel der GF-SBSprachkurse in der Vermittlung von Grundkenntnissen in Sprache und Schrift, gefolgt von der Sprechfertigkeit und den Selbstlernfähigkeiten. Die Ergebnisse der Abschlußprüfungen belegen geringe Durchfallquoten von rund 18 Prozent in den Intensivsprachkursen bzw. 12 Prozent in den berufsorientierten Sprachkursen. Die Kursträger gaben ferner an, daß rund 40 Prozent der Teilnehmer mit einem hohen Maß an Motivation beginnen, da sie äußerst bestrebt sind, ihre Arbeitsmarktchancen zu erhöhen. Allerdings hat das Niveau der von den Spätaussiedlern mitgebrachten Deutschkenntnisse, wie bereits erwähnt, in den letzten Jahren insgesamt abgenommen. Nicht zuletzt deshalb wird der Beitrag der Sprachkurse zur beruflichen und sozialen Integration der Aussiedler von den meisten Trägern (rund 70%) als sehr hoch oder hoch eingeschätzt. Zu den genannten Verbesserungsvorschlägen zählten die Intensivierung und Individualisierung der Sprachbeschulung und eine Verringerung der Mindestteilnehmerzahl. Des weiteren 52 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? forderten einige Träger eine verstärkte regionale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen im Bereich der Aussiedlerintegration tätigen Institutionen, um die einzelnen Aktivitäten besser aufeinander abstimmen zu können. Die dritte Befragung richtete sich an alle zwölf Träger von GF-H-Sprachkursen (Garantiefonds Hochschulbereich). Sie erfaßte Kurse mit insgesamt 1.547 Teilnehmern, davon 80,9 Prozent Spätaussiedler, 15,8 Prozent Kontingentflüchtlinge und 3,3 Prozent asylberechtigte Personen. Etwa 72 Prozent der Teilnehmer traten innerhalb eines Jahres nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Kurs an. Auf der Grundlage eines schriftlichen Einstufungstests werden die Teilnehmer je nach Vorkenntnissen auf drei verschiedene Kursstufen verteilt. Fast 30 Prozent der Teilnehmer konnte in Stufe 2 oder höher eingestuft werden, was auf ein allgemein recht hohes Niveau der Vorkenntnisse schließen läßt. Bei der Priorisierung der Lernziele vergaben die Träger die höchste Punktzahl (50%) an die Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse in Wort und Schrift – gefolgt von Wissen über deutsche Kultur, Wirtschaft und Politik sowie Vermittlung von Selbstlernfähigkeiten (jeweils 18%). Kenntnisse über das deutsche Hochschul- und Berufssystem rangierten auf Platz vier. Zur Lernerfolgskontrolle geben sämtliche Träger Hausaufgaben auf und führen Zwischen- und Abschlußprüfungen durch. Die meisten Teilnehmer (77 Prozent) bestehen die Abschlußprüfung beim ersten Versuch, während 15 Prozent mindestens eine Prüfung wiederholen müssen und fast 29 Prozent nach einer nicht bestandenen Prüfung den Kurs abbrechen. Mit steigendem Schwierigkeitsgrad nimmt auch die Zahl der „Abbrecher“ kontinuierlich zu. Die meisten Träger (73%) schätzen die Motivation der Spätaussiedler hoch ein. Ebenso beurteilen die meisten Träger (mehr als 80%) den Beitrag der Sprachkurse zur beruflichen und sozialen Integration der Aussiedler als (sehr) hoch. Zu den häufig genannten Verbesserungsvorschlägen zählen längere Sprachkurse und geringere Mindestklassenstärken. Die Politik verfolgt inzwischen mit Nachdruck das Ziel, Aussiedlern bereits vor ihrer Einreise nach Deutschland bessere Deutschkenntnisse zu vermitteln. Wie bereits erwähnt, ist unter anderem beabsichtigt, in Zukunft – im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes – auch von Familienangehörigen den Nachweis von Deutschkenntnissen zu verlangen. Darüber hinaus soll allen IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 53 Aussiedlern nach Einreise ins Bundesgebiet ein Anspruch auf kostenfreie Teilnahme an den für alle Immigranten vorgesehenen „Integrationskursen“ gewährt und damit die bisherige Sprachförderung für Aussiedler im Inland abgelöst werden. Ungeachtet der bezweifelbaren Praktikabilität einer solchen Zusammenfassung von Sprachkursen für eine sehr heterogen zusammengesetzte Gruppe von Immigranten, dokumentiert sich in diesen Bemühungen ein wachsendes Bewußtsein über den integrationspolitischen Stellenwert ausreichender Sprachkenntnisse. Sprachförderung für Ausländer Sprachkurse für in Deutschland lebende ausländische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige werden in Deutschland vom Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V. geregelt. Dieser Verband wurde 1974 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) gegründet und wird von diesem vollständig finanziert. Die Sprachförderung für Ausländer schlug 1997 mit 24,95 Mio. DM zu Buche. Seither sind die zur Verfügung gestellten Mittel auf 32 Mio. DM (1999) bzw. 34 Mio. DM (2000) aufgestockt worden. Während der vergangenen Jahre nahmen durchschnittlich 68.000 Personen pro Jahr, davon zwei Drittel Frauen, an Sprachkursen teil. Die Kurse sollen zur sozialen und beruflichen Integration der Ausländer beitragen, indem durch handlungsorientiertes Sprachtraining Alltagssituationen simuliert werden. Der Sprachverband entwickelt inhaltliche und qualitative Richtlinien, die für die Sprachkursträger verpflichtend sind. Im Gegensatz zu den Sprachkursen für Aussiedler, die in der Regel komplett finanziert werden, können die Träger von Ausländer-Sprachkursen von den Teilnehmern Beiträge in Höhe von bis zu 2 DM pro Unterrichtsstunde erheben. Förderungsfähig im Rahmen der Sprachverbandskurse sind nur ausländische Arbeitnehmer (und deren Familien) aus der Europäischen Union (EU) und aus den ehemaligen Anwerbestaaten.54 Spätaussiedler, Flüchtlinge und asylberechtigte Personen dürfen ebensowenig wie ausländische Jugendliche unter 15 Jahren an diesen Kursen teilnehmen. Es werden vier Kurstypen angeboten, die sich im wesentlichen in der Zahl der Unterrichtsstunden unterscheiden: 54 Türkei, Jugoslawien, Marokko, Tunesien, Südkorea, Philippinen und die Anwerbeländer der ehemaligen DDR: Angola, Mozambique und Vietnam. 54 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? a. Allgemeine Sprachkurse richten sich an Teilnehmer, die höchstens an drei Tagen (bzw. 9 Stunden) pro Woche zum Unterricht erscheinen können. Die Kurse bestehen aus vier aufeinander aufbauenden Einheiten (à 60-80 Stunden), so daß sich ein Gesamtumfang von bis zu 320 Unterrichtsstunden ergibt. b. Alphabetisierungskurse richten sich an Teilnehmer, deren Lese- und/oder Schreibfertigkeiten nicht für einen normalen Deutschkurs ausreichen. In diesen Kursen sollen die Teilnehmer zunächst Lesen und Schreiben lernen (gegebenenfalls auch in der Muttersprache), bevor ihnen grundlegende deutsche Sprachkenntnisse vermittelt werden. Die Höchstförderdauer beträgt 240 Unterrichtsstunden, die in drei Blöcke von je 60-80 Stunden gegliedert sind. Die Wochenstundenzahl darf dabei 20 nicht überschreiten. c. Intensivsprachkurse umfassen 10-20 Stunden pro Woche und verfolgen definierte Ziele, wie etwa einen Zertifikatsabschluß, die Vorbereitung für eine Berufsausbildung, eine Beschäftigung oder eine berufliche Bildungsmaßnahme. Die Kurse bestehen aus drei Blöcken von je 60-240 Stunden, so daß sich ein maximaler Gesamtumfang von 640 Stunden ergibt. Alle Kurstypen können auch als reine Frauenkurse mit stärker handlungsorientiertem Unterricht und frauenspezifischen Themen durchgeführt werden. Kinderbetreuung wird finanziell gefördert, sofern im Haushalt der teilnehmenden Person mindestens fünf Kinder vorhanden sind. Die Teilnehmer können nicht zwei Kurse gleichzeitig belegen und dürfen einen nicht bestandenen Kurs nur einmal wiederholen. Im Anschluß an einen Allgemein- oder Intensivsprachkurs können die Teilnehmer einen sogenannten Grundbaustein-Kurs belegen, der zur gezielten Vorbereitung auf die international anerkannte Grundbaustein-Prüfung dient. Die Kursdauer beträgt 60 Stunden (maximal 20 Wochenstunden). Angeboten werden diese Kurse insbesondere von Volkshochschulen, die mehr als ein Drittel aller Sprachkurse stellen und derzeit bundesweit rund 2.400 Lehrkräfte beschäftigen. Die Social Consult GmbH, die Infratest Burke Sozialforschung GmbH und der Fachbereich Deutsch als Fremdsprache der Universität Essen haben 1999 im Auftrag des BMA eine umfangreiche Studie zum Thema Sprachförderung für Ausländer erstellt, in deren Rahmen unter IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 55 anderem eine Befragung ehemaliger und derzeitiger Teilnehmer der verschiedenen Programme durchgeführt wurde. Im folgenden werden die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt.55 Die Befragung erfaßte 344 Sprachkursträger. Die meisten von ihnen bieten zusätzlich Kurse an, die nicht vom Sprachverband gefördert werden. Insgesamt ist daher ihre finanzielle Abhängigkeit vom Sprachverband relativ gering. Die meisten Träger finanzieren sich durch Eigenmittel, Kursgebühren oder andere Subventionen. Ein Großteil der Kurse (etwa 40%) beginnt auf sehr niedrigem Niveau, was darauf schließen läßt, daß die von den meisten Teilnehmern mitgebrachten Deutschkenntnisse gering sind. Fast alle Träger (96,4%) stellen am Ende der Kurse Teilnahmebescheinigungen aus, doch nur 6,8% vergeben einfache Zeugnisse. Darüber hinaus verwenden nur 21 Prozent der Träger standardisierte Tests zur Lernerfolgskontrolle, während die meisten sich auf eine informellere Bewertung beschränken, wie z. B. die Einschätzung des Kursleiters oder schlicht die erfolgreiche Bearbeitung eines bestimmten Kapitels im Lehrbuch. Nach Einschätzung der meisten Träger leisten ihre Kurse einen wichtigen Beitrag zur sozialen (72,7%) und beruflichen (57,4%) Integration der Ausländer. Zu den genannten Verbesserungsvorschlägen zählt vor allem die Erweiterung der Zielgruppe, da viele potentielle Sprachschüler nicht vom Sprachverband gefördert werden. So hat die Zahl der förderungsfähigen Teilnehmer abgenommen, obwohl die Gesamtnachfrage gestiegen ist. Neben einer Zielgruppenerweiterung fordern die meisten Träger daher mehr Unabhängigkeit bei der Verwendung der Mittel, um das Kursangebot breiter fächern und flexibler gestalten zu können. Eine Teilnehmerbefragung zeigte, daß ihre Hauptmotivation für die Teilnahme am Deutschkurs darin bestand, besser im Alltag zurechtzukommen. Das zweithäufigste Motiv war die Erhöhung der Arbeitsmarktchancen, gefolgt vom Wunsch nach besseren Kontakten zu Deutschen. Tabelle 10 enthält eine Auflistung der von den Teilnehmern genannten Gründe für den Besuch eines Sprachkurses. 55 Für eine detaillierte Analyse vgl. Dorfmann et al. (1999). 56 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Tabelle 10: Hauptgründe für die Teilnahme am Deutschkurs für Ausländer Teilnehmer (Befragungszeitpunkt) Ehemalige Teilnehmer Um im Alltag besser zurechtzukommen 45 % 51 % Um einen Arbeitsplatz zu finden 22 % 11 % Um die Kontakte mit Deutschen zu verbessern 18 % 12 % Um am Arbeitsplatz besser zurechtzukommen 11 % 5% Um meinen Arbeitsplatz zu behalten 1% 0% Sonstiges 4% 21 % Wichtigster Grund Quelle: Infratest Burke Sozialforschung (in: Social Consult, 1998) Darüber hinaus wurden die ehemaligen Kursteilnehmer befragt, ob die Deutschkurse zur Zielerreichung beigetragen hätten. Etwa 90 Prozent sagten aus, der Kurs habe entweder viel oder zumindest etwas geholfen. Von den Teilnehmern zum Befragungszeitpunkt glauben 47%, daß sich ihre Deutschkenntnisse während des Kurses sehr verbessert haben und 49%, daß sie etwas besser geworden sind. Ähnliches gilt für die ehemaligen Teilnehmer (43%: sehr verbessert, 48%: etwas verbessert). Nur 20 Prozent der Teilnehmer gaben an, eine Einstufungsprüfung absolviert zu haben. Die meisten waren jedoch der Meinung, daß der Kursträger durch solche Tests eine bessere Einteilung der Teilnehmer in Kurse mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vornehmen könne. Ferner wurden höchst selten Abschlußprüfungen durchgeführt, obwohl die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer (etwa 75%) glaubte, eine Abschlußprüfung solle vorgenommen werden, zumindest auf freiwilliger Basis. Ähnlich wie in Kanada ist auch in Deutschland für einige Berufe eine gewisse Sprachkompetenz zur Zulassung von ausländischen Bewerbern erforderlich. So müssen etwa Ärzte, um in Deutschland ihre Approbation zu erhalten, unter anderem „ausreichende” Deutschkenntnisse IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 57 nachweisen können, sofern sie nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat stammen.56 Um das geforderte Sprachzertifikat zu erhalten, müssen sie die Mittelstufenprüfung bestehen. Zur Prüfungsvorbereitung müssen in der Regel die begleitenden Sprachkurse, die vom Goethe-Institut und an Volkshochschulen angeboten werden, für eine Dauer von sechs Monaten belegt werden. Die anfallenden Gebühren müssen vom Bewerber selbst entrichtet werden. Da hingegen EU-Bürger ohne jegliche Deutschkenntnisse zugelassen werden, ist es beispielsweise möglich, daß ein hochqualifizierter iranischer Arzt nicht unmittelbar in Deutschland praktizieren darf, während ein nachweislich geringer qualifizierter Arzt aus Italien sofort zugelassen wird. Deutsch ist an allen deutschen Universitäten und Fachhochschulen die gängige Unterrichtssprache. Daher müssen ausländische Studierende nicht nur die sogenannte Feststellungsprüfung ablegen, um die formalen Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen, sondern auch die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber (DSH) bestehen.57 Wer bereits zu einer anderen anerkannten Hochschule mit Deutsch als Unterrichtssprache zugelassen ist oder ein entsprechendes Sprachdiplom58 (meist vom Goethe-Institut ausgestellt) besitzt, ist von der DSH befreit. Da die DSH Bestandteil der Feststellungsprüfung ist, werden im Rahmen von Studienkollegs zur Prüfungsvorbereitung auch Sprachkurse angeboten. Um zum Studienkolleg zugelassen zu werden, muß der Bewerber ausreichende Deutschkenntnisse (Mittelstufe II) nachweisen.59 Die Studienkollegs dauern in der Regel zwei Semester (ein Jahr) und enden mit der Feststellungsprüfung. Die Kurswochen beinhalten 10-12 Stunden Sprachunterricht und etwa 20 Stunden fachbezogenen Unterricht. Die DSH kann jederzeit abgelegt werden und besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Bewerber, die den Prüfungsteil Deutsch nicht bestanden haben, werden automatisch abgelehnt – eine Wiederbewerbung ist nur einmal möglich. 56 Vgl. auch Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1994), 782. 57 Vgl. Deutscher Akademischer Austauschdienst/Fachverband Deutsch als Fremdsprache (1998). 58 Deutsches Sprachdiplom, Stufe II der Kultusministerkonferenz, Kleines deutsches Sprachdiplom, Großes deutsches Sprachdiplom, Zentrale Oberstufenprüfung. 59 Ferner bieten die meisten Universitäten Sprachkurse zur Vorbereitung auf die Studienkollegs und die DSH an. Im Gegensatz zu den Kursen des Goethe-Instituts sind diese Angebote kostenlos. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, und die erforderlichen Vorkenntnisse variieren. Die Universitäten raten daher den Bewerbern dringend, sich bereits im Heimatland durch Kurse des Goethe-Instituts eine gewisse Sprachkompetenz anzueignen. 58 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Zwischenfazit Die bislang getrennt behandelten Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Ausländer sollen mittelfristig in dem bereits mehrfach erwähnten „Gesamtsprachkonzept“ aufgehen. Die im Zuwanderungsgesetz getroffenen Regelungen machen deutlich, daß dabei die unterschiedliche Behandlung von Aussiedlern (Sprachtest vor der Einreise plus Sprachkursangebot nach der Einreise) und Ausländern (Sprachkursangebot nach der Einreise) nicht grundsätzlich aufgegeben werden wird, wohl aber ein Anreiz zum Spracherwerb auch von Ausländern bereits vor Antragstellung bzw. Einreise geschaffen werden soll, indem eine Bewertung von Sprachkenntnissen im Rahmen des Punktesystems erfolgt, die erfolgreiche Teilnahme an Integrationskursen mit einer verkürzten Einbürgerungsfrist honoriert wird und der ansonsten freiwillige Besuch von Sprachund Integrationskursen für Neuzuwanderer obligatorisch wird, wenn keine Verständigung „auf einfache Art“ in deutscher Sprache möglich ist. Das Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang allerdings verstärkt auch den schon lange in Deutschland lebenden Ausländern gelten, deren Sprachkenntnisse nicht selten defizitär sind.60 60 Die mitunter völlig unzureichenden Sprachkenntnisse insbesondere von Angehörigen der ersten Zuwanderergeneration in Deutschland werden in der aktuellen Diskussion zumeist übersehen. Das Zuwanderungsgesetz enthält für diese Gruppe keine entsprechenden Angebote. Vgl. dazu Frick/Wagner (2001). IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 59 I. Bewertung des Spracherwerbs in Kanada und Deutschland Nach diesem Einblick in die kanadischen und deutschen Sprachprogramme für Zuwanderer stellt sich die Frage, welcher Ansatz der effektivere ist. In den beiden betrachteten Ländern existieren zwei sehr unterschiedliche Spracherwerbsmodelle, die sich jedoch – berücksichtigt man die jüngsten gesetzgeberischen Aktivitäten in Deutschland und Kanada – auf dem Wege einer gewissen Angleichung befinden. Von der Einreise bis zur Einbürgerung verlangt Kanada von Zuwanderern grundsätzlich keine bzw. indirekt nur recht geringe Kenntnisse der Amtssprachen, sieht man vor der inzwischen strengeren Bewertung des Sprachniveaus im Punkteverfahren ab. In Kanada ist es vor allem dem Markt überlassen, den Spracherwerb von Immigranten optimal zu regeln. Deutschland hingegen verwendet Sprachkenntnisse seit 1996 explizit als Anerkennungs- und Einbürgerungskriterium für Spätaussiedler sowie seit 2000 als Einbürgerungsvoraussetzung für Ausländer. Das neue Einwanderungsgesetz schafft zudem innerhalb eines Punktesystems die rechtliche Grundlage zur Bewertung von Sprachkenntnissen vor der Einreise und sieht den verpflichtenden Sprachkursbesuch nach der Einreise in bestimmten Fällen vor. Darüber hinaus bieten zahlreiche Regierungsbehörden im Rahmen verschiedenster Programme subventionierte Sprachkurse an, um die Integration der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Wie läßt sich die Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze messen? DeVoretz und Werner (1999) bieten einen theoretischen Rahmen an, der es erlaubt, den optimalen Spracherwerb in unterschiedlichen Handlungsumfeldern (wirtschaftlich, sozial, politisch) zu messen. Die Quintessenz daraus: Kein Maß an Spracherwerb von Immigranten ist in jedem Umfeld optimal. Jeder Mensch wird – unabhängig von staatlichen Auflagen oder Subventionen – je nach seinen persönlichen Eigenschaften eine individuelle Mischung von Sprachkenntnissen erwerben. Anhand der empirischen Daten aus Kanada und Deutschland lassen sich die relativen Erträge des Sprachzuerwerbs auf den jeweiligen Arbeitsmärkten messen. Tabelle 11 faßt die Ergebnisse ausgewählter Studien zusammen, die während der vergangenen beiden Jahrzehnte in Kanada durchgeführt wurden, um den Zusammenhang zwischen dem Sprachzuerwerb von Immigranten und ihrer Leistung auf dem Arbeitsmarkt zu untersuchen. Die Studien belegen einen durchweg positiven Effekt auf das Einkommen und die Beschäftigungschancen der Zuwanderer. Unabhängig von der erlernten Sprache (Französisch oder Englisch), 60 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? dem Geschlecht und der ethnischen Abstammung sind die Renditen des Spracherwerbs für alle Immigranten enorm hoch. So stiegen die Einkünfte für männliche und weibliche Immigranten um 12,2 bzw. 17,1 Prozent in jedem Jahr, nachdem der Immigrant die Landessprache erlernt hatte. Tabelle 11: Renditen der Sprachbeherrschung in Kanada Autoren Erhebungszeitraum Chiswick und Miller (1988) Einkommenseffekt (in %) zweispr. 1981 + 18 Chiswick und Miller (1992) Boyd (1990) DeSilva (1997) Pendakur und Pendakur (1997) nur englisch QUE ROC + + 7.8 12.1 1981 (nur Männer) 1986 (nur Frauen) 80er Jahre 1991 Zensus Montreal Toronto Vancouver Beschäftigungseffekt (in %) nur französisch QUE ROC + 4.5 nur Muttersprache N/A + 17.9 + 12.2 N/A + 17.1 + 4.6 + 25 + 26 -3 +4 +3 -1 N/A -1 +6 -2 - 17 - 16 -9 Diese Renditen sind Durchschnittswerte für sämtliche Qualifikationsstufen und fallen für hochqualifizierte Zuwanderer zweifellos noch höher aus.61 Pendakur und Pendakur (1997) stellen ferner fest, daß in Kanada „ausschließliche Kenntnisse der Muttersprache mit schlechteren Arbeitsmarktresultaten korrelieren”, da „die große Mehrheit der Menschen, die Nichtamtssprachen sprechen, der ethnischen Sprachgemeinschaft angehören.“ Dies wird durch die Beobachtung unterstützt, daß die ausschließliche Beherrschung einer Nichtamtssprache in Toronto und Montreal die Einkünfte der Immigranten um 16 bzw. 17 Prozent reduziert. Insgesamt läßt sich also feststellen, daß der kanadische Arbeitsmarkt das Erlernen der Landessprache belohnt und die Einsprachigkeit von Immigranten bestraft. 61 DeVoretz/Werner (1999), IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 61 Für Deutschland findet sich ein empirischer Nachweis des Zusammenhanges zwischen Deutschkenntnissen und der Einkommensleistung bei Dustmann (1997) und Schmidt (1997) dokumentiert. Schmidt zeigt, daß die Einkünfte von Aussiedlern mit denen von gebürtigen Westdeutschen auf einer Höhe liegen, da beide Gruppen über eine vergleichbare Ausstattung mit Humankapital verfügen. Da Ausländer jedoch im Durchschnitt eine geringere Bildung aufweisen, verdienen sie deutlich weniger als Aussiedler. Aus den Auswirkungen der unterschiedlichen Sprachkenntnisse auf die Einkommensdifferentiale zwischen gebürtigen Westdeutschen und Aussiedlern schließt Schmidt, daß „landesspezifisches Humankapital“ auf die Dauer keine Rendite abwirft. Mit anderen Worten: Durch die Vertiefung der deutschen Sprachkenntnisse nach der Einreise können Aussiedler ihre Einkünfte relativ zu denen der gebürtigen Westdeutschen nicht erhöhen. Noch interessanter ist jedoch Schmidts Beobachtung, daß die Einkommensdifferentiale zwischen Ausländern und Aussiedlern verschwinden, wenn für die Variable Bildung kontrolliert wird. Daraus folgt, daß das Erlernen der deutschen Sprache für Ausländer mit minimalen Erträgen verbunden ist. Allerdings verhalten sich Bildung und Fremdsprachenerwerb komplementär, und Schmidts Studie bestätigt indirekt, daß der gleichzeitige Erwerb von Bildung und Sprache des Einreiselandes potentiell hohe Renditen für Ausländer mit sich bringt. Dustmann (1997) bestätigt diesen Aspekt ebenfalls, indem er zeigt, daß die elterliche Erziehung sich bei Ausländern positiv auf das Erlernen der deutschen Sprache auswirkt. Insgesamt belegen beide Studien, daß Sprache und Bildung sich als Bestandteile des Humankapitals gegenseitig ergänzen und so die Löhne ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland steigen lassen. Soziale Sphäre Im Hinblick auf die soziale Umgebung stellen DeVoretz und Werner (1999) weiter fest, daß Kenntnisse der Landessprache deutliche Netzwerkeffekte herbeiführen und die Integration der Immigranten fördern. Dies gilt insbesondere für jugendliche Immigranten, die sich in einer wichtigen Phase der Sozialisierung und der Auswahl eines potentiellen Heiratspartners befinden. Das Erlernen der Sprache erhöht die Wahrscheinlichkeit der sozialen Integration durch Heirat und senkt die Wahrscheinlichkeit anhaltender „Kettenmigration“ zur Erleichterung der Heirat. Im kanadischen Zusammenhang wurde festgestellt, daß männliche Immigranten mit geringen 62 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Kenntnissen der Landessprache weit eher dazu neigen, eine Heiratspartnerin zu „importieren“ als in der kanadischen Gesellschaft zu suchen. Diese Konstellation stellt sich in Deutschland ganz ähnlich dar. Netzwerkeffekte und Sprachdefizite sorgen dafür, daß zu geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Aufbau sozialer Kontakte zum deutschen Umfeld bestehen. So ist es beispielsweise möglich, in den türkischen Vierteln der Großstädte ausschließlich in türkischer Sprache zu kommunizieren. Gleiches gilt mitunter für Zuwanderer anderer ethnischer Herkunft. Diese sprachliche Isolation kann zu einer „Ghettoisierung“ verschiedener Kulturen führen, in deren Verlaufdie ausländische Gemeinschaft weitgehendvon der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgekapselt wird. Soziale Integration ist dann nur schwer zu erreichen. Darüber hinaus besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Länge des Aufenthalts in Deutschland und dem Grad der Sprachbeherrschung. Je länger sich Immigranten in Deutschland aufhalten, ohne einen Sprachkurs zu belegen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, daß sie ihre deutschen Sprachkenntnisse weiterentwickeln werden. Ohne formale Ausbildung haben sie ihre geringen Deutschkenntnisse zumeist „auf der Straße“ gelernt. Diese Kenntnisse reichen häufig nicht aus, um sie in einem breiteren sozialen Kontext anwenden zu können. Die Kinder der Zuwanderer befinden sich in einer anderen Situation, da sie Deutsch in der Schule lernen und oft wichtige bilinguale und bikulturelle Kompetenzen besitzen. Dennoch haben auch einige junge Immigranten (besonders diejenigen, die als Kinder eingereist sind und nur kurze Zeit an deutschen Schulen verbracht haben) aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse mit Integrationsproblemen zu kämpfen. Häufig bleibt der Spracherwerb unvollständig, da in den Familien an dem vagen Ziel festgehalten wird, eines Tages ins Heimatland zurückzukehren. In anderen Fällen ist die sprachliche und soziale Ghettoisierung der ausländischstämmigen Jugend möglicherweise auch eine Folge der halbherzigen deutschen Integrationspolitik gegenüber diesen jungen Menschen, die „zwischen zwei Welten“ leben.62 62 Eine allgemeine Beschreibung der Situation von ausländischen Jugendlichen und Erwachsenen in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt findet sich im Bericht zur Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen (verfügbar unter www.bundesauslaenderbeauftragte.de/publikationen/index.stm). IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 63 Ökonomische Sphäre Wie bereits zuvor erwähnt, verlangen sowohl der kanadische als auch der deutsche Arbeitsmarkt ein gewisse Sprachkompetenz als Zulassungsvoraussetzung für bestimmte Berufsgruppen. In Deutschland sind umfangreiche Sprachkenntnisse jedoch nur in hochqualifizierten Berufen erforderlich. Für geringqualifizierte Tätigkeiten werden nur geringe Deutschkenntnisse vorausgesetzt. So reichen grundlegende Sprachkenntnisse in Deutschland für eine Stelle als Reinigungskraftvöllig aus, nicht aber für die soziale Integration. Da ausländische Ärzte hingegen umfangreiche Deutschkenntnisse in Wort und Schrift benötigen, stehen ihrer erfolgreichen Integration vergleichsweise geringe Schwierigkeiten entgegen. In diesem Zusammenhang stellen sich daher folgende Fragen: Sollten für beide Personengruppen dieselben Sprachstandards bei der Zulassung als Immigranten gelten? Sollte ein bestimmtes Maß an Sprachbeherrschung verpflichtend sein, um soziale Integration sicherzustellen? Oder sollte das jeweils notwendige Sprachniveau vom Markt bestimmt werden? Politische Sphäre In Kanada wie in Deutschland sind bestimmte Mindestkenntnisse der Landessprache Voraussetzung für die Einbürgerung und damit für den Erwerb der vollständigen staatsbürgerlichen Rechte. Einen Sonderfall stellen in Deutschland derzeit noch die Spätaussiedler dar, denen zwar im Vorfeld ihrer Anerkennung und Einreise ein Sprachtest abverlangt wird, die jedoch im Anschluß an ihre Einreise automatisch eingebürgert werden, obwohl bislang gerade die nicht vom Sprachtest betroffenen (jüngeren) Familienangehörigen kaum deutsche Sprachkenntnisse mitbringen. Insofern werden hier die staatsbürgerlichen Rechte, vor allem das aktive und passive Wahlrecht, nicht an die ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache geknüpft. Für Ausländer, die nicht die Einbürgerung anstreben, waren Deutschkenntnisse bislang nicht verpflichtend. Die voraussichtliche Realisierung des lange umstrittenen Zuwanderungsgesetzes wird diesbezüglich zumindest für Neuzuwanderer eine fundamentale Änderung eintreten lassen. Für den überwiegenden Teil der ausländischen Wohnbevölkerung wird sich jedoch nichts daran ändern, daß unabhängig vom Niveau ihrer Sprachkenntnisse eine politische Teilhabe jedenfalls dann nicht gegeben ist, wenn aus eigenem Entschluß auf die Einbürgerung verzichtet wird oder sie rechtlich noch nicht möglich ist. Mit Ausnahme des aktiven wie passiven kommu- 64 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? nalen Wahlrechts, das Bürger der Europäischen Union kraft Unionsbürgerschaft an ihrem Wohnort innerhalb der EU ausüben können, ist die Einbürgerung Grundvoraussetzung für das Wahlrecht und die Kandidatur für einen Parlamentssitz. Demgegenüber haben die verbreiteten Ausländerbeiräte bestenfalls geringe politische Anhörungs- und Mitwirkungsrechte. Langjährig in Deutschland lebende Nicht-EU-Bürger mit womöglich guten Sprachkenntnissen fühlten sich in der Vergangenheit deshalb oftmals vom politischen Prozeß ausgeschlossen, während andere ihre mangelnde Sprachkompetenz auch mit den fehlenden Partizipationsmöglichkeiten begründeten. Auch der bislang nicht offen artikulierte Status der Bundesrepublik als Einwanderungsland hat wesentlich dazu beigetragen, daß unter den Zuwanderern selbst das Bewußtsein über die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts in Deutschland noch nicht immer ausreichend entwickelt und die Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache keineswegs selbstverständlich ist. Die relative Zurückhaltung von Zuwanderern bei der Einlösung eines Einbürgerungsanspruchs (der nach deutschem Recht im Regelfall die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit erfordert) ist auch auf diesen Umstand zurückzuführen. Eine gewisse „politischen Apathie“ in Teilen der ausländischen Wohnbevölkerung Deutschlands hat ihre Ursache nicht zuletzt in der subjektiv empfundenen Inkonsequenz des gesellschaftlichen Integrationsangebots und fehlenden LobbyingStrukturen. Seit der Reduzierung der Mindestaufenthaltszeit für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von 15 auf 8 Jahre treten diese Klagen allerdings zusehends in den Hintergrund. Vielmehr sind seitdem nicht nur die Einbürgerungszahlen deutlich gestiegen, sondern auch die politischen Parteien bemühen sich verstärkt um die Klientel der eingebürgerten Zuwanderer. Auch in Kanada setzt die aktive Teilnahme an der Politik voraus, daß die kanadische Staatsangehörigkeit erworben wird, also zumindest minimale Sprachkenntnisse vorhanden sind. Die Kandidatur für einen Parlamentssitz erfordert darüber hinausgehende Kenntnisse der Amtssprache(n). Ethnisch homogene Wählerblöcke oder gar Parteien spielen in Kanada keine nennenswerte Rolle; aussichtsreiche Kandidaturen sind nur in den großen Mainstream-Parteien möglich. Diese wiederum haben im Wettbewerb um die entsprechenden Wählerklientel ein durchaus erhebliches Interesse an der Aufstellung eingebürgerter Kandidaten. Im Ergebnis sind Zuwanderer verschiedenster ethnischer Herkunft in den kanadischen Parteien vergleichsweise stark repräsentiert. So bestand etwa in der kanadischen Provinz British Columbia in den neunziger Jahren IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 65 die gesamte Parlamentsfraktion der Regierungspartei aus eingebürgerten Abgeordneten ursprünglich ausländischer Herkunft. Dieser selbstverständliche Umgang mit eingebürgerten politischen Kandidaten und Wählern fehlt Deutschland bislang. Das modifizierte Staatsangehörigkeitsrecht und die Perspektive, im Rahmen Zuwanderungsgesetzes konsequentere Integrationsanreizen zu setzen, könnte die deutsche freilich der kanadischen Situation schrittweise angleichen. Je nachdrücklicher der Spracherwerb durch solche Anreize gefördert wird, um so unbegründeter erscheint jedenfalls die Sorge, „übertriebene“ Sprachanforderungen könnten eine politische Ghettoisierung bewirken und das Ziel der Integration gefährden. 66 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Resümee Diese vergleichende Studie zum Thema Sprachförderung in Kanada und Deutschland stellt zwei mögliche Sprachförderungsmodelle für Zuwanderer vor. Das bislang staatlich dominierte deutsche Modell beinhaltet formale Sprachprüfungskriterien bei der Einreise von Spätaussiedlern und der Einbürgerung von Ausländern. Im Falle der tatsächlichen Realisierung des bereits verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2003 kommen eine Bewertung von Sprachkenntnissen ausländischer Zuwanderungsbewerber im Rahmen eines Punktesystems, zusätzliche Lernanreize durch (geringfügig) verkürzte Einbürgerungsfristen, eine Pflichtteilnahme an Sprach- und Integrationskursen für zuwandernde Ausländer ohne „einfache“ Sprachkenntnisse sowie der Einbezug der Familienangehörigen potentieller Spätaussiedler in die Sprachprüfung vor der Einreise hinzu. Sonstige Sprachanforderungen gelten für bestimmte Berufsgruppen oder individuell gewählte Bildungslaufbahnen. Im kanadischen Modell nimmt der Staat zwar einen über den Zeitverlauf in seiner Bedeutung gewachsenen, aber dennoch eher geringen Einfluß auf den Spracherwerb von Immigranten. Auch wer keine der beiden Amtssprachen in Wort und Schrift beherrscht, aber eine ausreichende Bewertung innerhalb des Punktesystems erreicht, darf einreisen und sogar die kanadische Staatsangehörigkeit annehmen. Die Zuwanderer erlernen die Landessprache in Kanada überwiegend – wenn sie sich durch den prophylaktischen Spracherwerb nicht Vorteile im Punktesystem erhoffen – auf freiwilliger Basis und in Abhängigkeit von sozialen, Bildungs- und Arbeitsmarktanreizen. Nur durch die Subventionierung der Sprachförderung und die partielle Vorgabe von Bewertungsmaßstäben greift der kanadische Staat indirekt lenkend ein. Der freiwillige und individuell motivierte Spracherwerb in Kanada weist zunächst einen Nachteil auf, der erstmals von DeVoretz und Werner (1999) theoretisiert wurde. In einem freiwilligen Spracherwerbssystem ohne Subventionierung werden die Sprachkenntnisse in den ökonomischen, politischen und sozialen Sphären zunächst nur aus minimalen mündlichen Kenntnissen bestehen. Insbesondere ältere Immigranten der ersten Generation werden womöglich niemals funktionierende Kenntnisse der Landessprache entwickeln. Dieses große Manko könnte allerdings durch ein Kreditprogramm für den Spracherwerb ausgeglichen werden. Dazu würden beruflich qualifizierte Immigranten einen Kredit erhalten, den sie dazu nutzen könnten, ihre IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 67 Sprachkenntnisse soweit zu verbessern, wie sie es unter sozialen, politischen und Arbeitsmarktaspekten für sinnvoll halten. Gerade auf dem Arbeitsmarkt müßte ein solches Kreditmodell allerdings großzügig genug sein, um Immigranten die Gelegenheit zu geben, die nötigen Sprachkenntnisse für die Zulassungsprüfungen zu erwerben. Der Hauptvorteil des kanadischen Freiwilligkeitssystems besteht darin, daß junge und finanzstarke Immigranten einen optimalen Grad an Sprachbeherrschung erreichen, da sie den Spracherwerb als lohnenswerte Investition in ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Sie werden ihre Sprachkenntnisse kontinuierlich weiterentwickeln, bis der Grenzertrag dieser Investition zu gering wird. Falls der Immigrant aufgrund von Diskriminierung oder ungünstigen makroökonomischen Arbeitsmarktbedingungen (Arbeitslosigkeit) die erwartete Rendite nicht erreichen kann, würde ein erfolgsabhängiges Rückzahlungsmodell jegliches Risiko ausschließen.63 Worin bestehen die Nachteile des Freiwilligkeitsprinzips? Sprach-Benchmarks müssen existieren und potentiellen Arbeitgebern oder anderen Interessenten bekannt sein, damit das Niveau der Sprachkenntnisse ohne große Schwierigkeiten überprüft werden kann. Sprachzeugnisse, berufsbezogene Sprachausbildung und Anerkennung der Zertifikate seitens des Arbeitgebers sind notwendige Bestandteile des auf Freiwilligkeit basierenden Programms. Fehlt einer dieser Teile, so werden einzelne Immigranten nicht optimal in den Spracherwerb investieren, da die erwarteten Erträge nicht erreicht werden können. Würde dieses Modell auch in Deutschland funktionieren, oder sollte die Bundesrepublik sich eher darauf konzentrieren, einheitliche Sprachförderprogramme für Aussiedler und Ausländer zu entwickeln und unmittelbar nach deren Ankunft in Deutschland durchzuführen? In Deutschland wäre das bislang praktizierte staatlich dominierte Modell des Spracherwerbs insbesondere dann plausibel, wenn die Politik allein darauf abzielte, alle Zuwanderer – ob Aussiedler oder Ausländer – einzubürgern. Da das Ziel der deutschen Politik jedoch darüber hinaus (vernünftigerweise)darin bestehen muß, die wirtschaftliche und soziale Integration sowohl von Aussiedlern als auch von Ausländern so frühzeitig wie möglich zu fördern und bereits ihre Einreise anhand von Auswahlkriterien zu steuern, wäre eine modifizierte deutsche Version des kanadischen Modells zu favorisieren. 68 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Für Deutschland erscheint es in diesem Zusammenhang allerdings unabdingbar, nicht allein auf Freiwilligkeit zu vertrauen, sondern auf den Erwerb eines Mindestmaßes an Deutschkenntnissen zu einem frühen Zeitpunkt des Aufenthalts in der Bundesrepublik gezielt hinzuwirken. Während Kanada seine Laissez-faire-Politik auf den Umstand gründen kann, daß eine der beiden Amtssprachen zugleich Weltsprache ist und insoweit Immigranten mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest ein Minimum an Sprachkenntnissen mitbringen, verfügen die nach Deutschland einreisenden Immigranten mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit über keine Grundkenntnisse der Sprache ihres Ziellandes. Auch gibt es, wie die historische Erfahrung zeigt, nur geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache für den – im Zeitalter der Globalisierung zusehends wahrscheinlicher werdenden – Fall, daß Deutschland mitunter lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in eines der klassischen Einwanderungsländer gewählt wird. Nicht zuletzt läßt es aber auch der im Vergleich zu Kanada stärkere Zuzug von Immigranten erforderlich erscheinen, den Integrationserfolg durch Sprachkompetenz so frühzeitig wie möglich anzustreben. Dies kann nicht ausschließlich durch freiwillige Sprachkurse in Deutschland gewährleistet werden, sondern bedarf offenkundig eines geeigneten „Flankenschutzes“. Je eher Zuwanderer grundlegende Sprachanforderungen erfüllen, desto schneller kann die soziale Integration erfolgen. Insofern drängt sich ein Sprachkriterium innerhalb eines Punktekatalogs zur Bewertung von Zuwanderungsanträgen förmlich auf. Bei der Gewichtung der Punkte wäre darauf zu achten, für das gewünschte Ziel einer beschleunigten Integration nicht einen zu hohen Preis zu zahlen und die „Besten“ abzuschrecken. Nach der Ankunft in Deutschland können sowohl die individuellen Bedürfnisse der Zuwanderer als auch das allgemeine Interesse an ihrer sozialen Integration am ehesten durch ein freiwilliges Spracherwerbsmodell nach kanadischem Vorbild erfüllt werden. Ergänzt werden sollte dieses Modell jedoch durch wirksame positive Anreize zum Spracherwerb, die sich einem gelegentlich diskutierten Sanktionsmodell gegenüber als überlegen erweisen werden. Ein effektiver Anreizmechanismus könnte beispielsweise in einem Kautionsprinzip bestehen, wie es in Australien praktiziert wird. Diesem Prinzip zufolge wäre nach einem nicht bestandenen Ein- 63 Bei den erfolgsabhängigen Krediten richtet sich die Rückzahlungsverpflichtung (null bis 100 Prozent des Kredits) nach der Einkommensentwicklung im Anschluß an den Spracherwerb. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 69 gangssprachtest eine Kaution zu zahlen, die nur dann zurückerstattet wird, wenn innerhalb einer bestimmten Zeit ein zweiter Test bzw. ein Sprachkurs erfolgreich bestanden wird. Der Bericht der „Unabhängigen Kommission Zuwanderung der Bundesregierung“ hat die hohe Bedeutung der Sprachkenntnisse von Ausländern nachdrücklich unterstrichen.64 Darüber hinaus wurden zuletzt mehrere Vorschläge veröffentlicht, die die Sprachdebatte vorangetrieben haben. So kritisiert der Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer, frühere Sprachförderungsprogramme der Regierung hätten nicht alle Immigranten einbezogen, sondern vielmehr eine Trennlinie zwischen Ausländern und Aussiedlern gezogen. Deshalb schlägt der Sprachverband vor, allen dauerhaften Zuwanderern – einschließlich derer, die bereits in Deutschland leben – ein Anrecht auf 600 Stunden Sprachausbildung zu geben.65 Ferner argumentiert der Verband, die Teilnehmer sollten sich an der Finanzierung der Sprachkurse beteiligen. Die Schwierigkeit wird jedoch darin liegen, Personen mit einem eindeutigen Mangel an Sprachkenntnissen zur Teilnahme zu bewegen. Positive Anreize im Rahmen des deutschen Arbeitserlaubnis- und Einbürgerungsrechts dürften notwendig sein, um die Effektivität eines solchen Programms zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen vorgeschlagen, „Integrationsverträge“ zwischen Zuwanderern und den deutschen Behörden zu schließen.66 Dieses Modell sieht unter anderem vor, Zuwanderern einen „Integrationsscheck“ auszustellen, den sie für Sprach- und Integrationskurse verwenden können. Durch ausreichende Flexibilität sollen dabei die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Wer diese Schecks innerhalb von drei Jahren einlöst, soll leichter in den Genuß von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen kommen bzw. schneller eingebürgert werden. Ein vergleichbares Konzept wurde bereits in den Niederlanden erfolgreich implementiert und sollte auch in der deutschen Diskussion stärkere Beachtung finden. Zwar liegen die geschätzten Kosten mit rund 315 Mio Euro pro Jahr fast doppelt so hoch wie die bisherigen Etatansätze, dennoch ist dem Konzept eine hohe Plausibilität zu eigen. Vor allem wäre damit ein transparenter, positiver Anreizmechanismus verbunden, an dem es der deutschen Sprachförderung bislang mangelt. 64 Vgl. Unabhängige Kommission Zuwanderung (2001). 65 Vgl. auch Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V. (1999). 70 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, daß der alleinige Erwerb von Sprachkenntnissen nicht ausreicht, um die Einkommenssituation ausländischer Beschäftigter auf dem deutschen Arbeitsmarkt relativ zu den Einkommen einheimischer Arbeitnehmer zu erhöhen. Die Verbesserung der Sprachkenntnisse muß vielmehr mit einer Verbesserung auch des (Aus)Bildungsniveaus einhergehen, um diesen Effekt zu erzielen. Spracherwerb und Bildung verhalten sich komplementär zueinander – eine Politik zur Sprachförderung sollte dies angemessen berücksichtigen. Ob das geplante, im neuen Zuwanderungsgesetz bereits antizipierte Gesamtsprachkonzept zur organisatorischen und inhaltlichen Vereinheitlichung der Sprachförderung für Ausländer und Spätaussiedler die Sprachkenntnisse der Immigranten tatsächlich nennenswert verbessern wird, kann noch nicht abgeschätzt werden. Einerseits wird die neue Struktur der Sprachförderung voraussichtlich dazu führen, daß mehr Zuwanderer in den Genuß von Sprachkursen kommen. Nach Schätzungen der Bundesregierung werden zu dem bisherigen Jahresdurchschnitt von 96.000 weitere 14.000 Teilnehmer hinzukommen. Andererseits sollen die Staatsausgaben auf dem bisherigen Niveau gehalten werden. Darüber hinaus wird eine äußerst heterogene Gruppe von Aussiedlern und Ausländern mit einem einheitlichen Sprachstandard konfrontiert sein, während das neue Gesamtsprachkonzept gleichzeitig darauf abzielt, homogenere Teilnehmergruppen je nach Vorkenntnissen, beruflichem Hintergrund und schulischer Bildung zusammenzusetzen. Mehrfachförderung nach dem bislang recht verwirrenden Ausbildungssystem soll vermieden werden. Eine organisatorische Reform soll außerdem Synergieeffekte mit sich bringen. Nach dem Gesamtsprachkonzept soll die Sprachförderung in Deutschland künftig in den gemeinsamen Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fallen. Während das BMA die Sprachförderung für alle Zuwanderer über 27 Jahren regeln wird, soll das BMFSFJ für die jüngeren Immigranten zuständig sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich noch nicht abschätzen, ob dieses neue Konzept die Sprachkenntnisse der Immigranten tatsächlich nennenswert verbessern wird. Immerhin ist eine intensive Qualitätsbewertung Bestandteil des Gesamtsprach- 66 Vgl. auch Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (2000c). IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 71 konzepts und könnte ihrerseits bereits zu einer insgesamt effektiveren Sprachförderung beitragen.67 Um den Erfolg des Sprachprogramms weiterhin sicherzustellen, könnten die Kursteilnehmer anteilig an den Kurskosten beteiligt werden. Werden die positiven Lernanreize eindeutig genug gesetzt, wird dies vertretbar sein. Das neue deutsche Zuwanderungsgesetz sieht diese Möglichkeit grundsätzlich vor; eine solche Kostenbeteiligung ließe sich mit einem Kautionsprinzip sinnvoll verknüpfen. Beides hätte einen unmittelbaren Erfolgsanreiz zur Folge, auf den nicht verzichtet werden sollte. Naheliegend mag es zunächst erscheinen, das Prinzip der obligatorischen Sprachtests für Aussiedler vor der Einreise in die Bundesrepublik auch auf ausländische Zuwanderer auszudehnen. Von dem erheblichen organisatorischen Aufwand abgesehen, müßte dazu freilich ein schlüssiges Konzept entwickelt werden, das durch entsprechende Anreizmechanismen Deutschlands Attraktivität als wettbewerbsfähiges Zuwanderungsland nicht mindert, wohl aber die potentiellen Zuwanderer dazu ermutigt, bereits vor der Einreise ein gewisses Maß an deutschen Sprachkenntnissen zu erwerben, ohne sich der Zuwanderungsgenehmigung bereits sicher sein zu können. Es erscheint zweifelhaft, ob dieses Kalkül aufgehen könnte. Die Plausibilität des im neuen Zuwanderungsgesetz vorgesehenen obligatorischen Besuchs von Sprach- und Integrationskursen im Falle nicht vorhandener minimaler mündlicher Sprachkenntnisse erscheint insoweit fraglich. Sinnvoller dürfte es sein, für alle Zuwanderergruppen den Besuch entsprechender Kurse bzw. die private Initiative mit entsprechenden positiven Anreizen zu verbinden. Ein solches Anreizsystem dürfte einer Sanktionsdrohung überlegen sein - die im Zuwanderungsgesetz geregelte Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit bis zum Erwerb eines Rechtsanspruchs auf Einbürgerung um ein Jahr im Falle der erfolgreichen Teilnahme an einem Integrationskurs erscheint dabei allerdings eher unzureichend. Erst aus einem konsequenten Anreizmechanismus wird im übrigen auch eine überzeugende Wirkung des von der Politik inzwischen nach kanadischem Vorbild gewählten Verfahrens resultieren können, die Auswahl von Immigranten im Rahmen eines umfassenden deutschen Zuwanderungsgesetzes anhand eines Punktesystems vorzunehmen, das neben der Arbeits- 67 Diese Informationen über das geplante „Gesamtsprachkonzept“ stützen sich auf die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Studien zur Sprachförderung, BMFSFJ/BMA, 12. Oktober 2000, die dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages vorgelegt wurde (bis dato nicht veröffentlicht). 72 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? markteignung auch die etwaigen Sprachkenntnisse der Bewerber honoriert (Vorlage von Bescheinigungen), ohne sie in Relation zu anderen Qualifikationsmerkmalen überzubewerten. Eine konsequente Anreizstrategie zur Beschleunigung und Verbesserung des Spracherwerbs im Inland ist dabei unerläßlich. Eine reformierte deutsche Sprachförderung könnte so gesehen das kanadische und das deutsche Modell zu einem Gesamtkonzept verknüpfen, das das Prinzip der Freiwilligkeit und die notwendigen Gestaltungsspielräume der Zuwanderer beläßt, zugleich aber durch eindeutige Anreizmechanismen dafür Sorge trägt, daß der Spracherwerb – zum Nutzen von Gesellschaft und Arbeitsmarkt – schneller und zuverlässiger als bislang erfolgt. Die gemeinsame Sprache ist der Schlüssel zum sozialen Zusammenhalt einer offenen Gesellschaft, die – im Falle Deutschlands – gerade erst behutsam damit begonnen hat, ihr Land als Einwanderungsland wahrzunehmen. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 73 Literaturverzeichnis Bauer, T. (2002). Migration, Sozialstaat und Zuwanderungspolitik, IZA Discussion Paper No. 505. Bonn: IZA. Boyd, M. (1990). Immigrant Women: Language, Socioeconomic Inequalities, and Policy Issues. In: Halli, S./F. Trovato/L. 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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 77 Anhang A Auszug aus dem Deutschen Grundgesetz (Stand: 3. November, 1995) Artikel 16 Staatsangehörigkeit, Verbot der Auslieferung (1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. (2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Artikel 116 Begriff „Deutscher“, Wiedereinbürgerung (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicherRegelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben. 78 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Anhang B Auszug aus den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV, Kabinettsbeschluß vom 18.10.2000) II. Ausländergesetz 86 Zu § 86 Ausschlussgründe 86.1 Zu Nummer 1 (keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache) 86.1.1 Begriffsbestimmung Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache liegen vor, wenn sich der Einbürgerungsbewerber im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurecht zu finden vermag und mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann. Dazu gehört auch, dass der Einbürgerungsbewerber einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben kann. Auf Behinderungen, die dem Einbürgerungsbewerber das Lesen oder Sprechen nachhaltig erschweren, ist Rücksicht zu nehmen. Die Fähigkeit, sich auf einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht nicht aus. 86.1.2 Nachweis der Sprachkenntnisse Der Ausschlussgrund nicht ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache ist von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen. Die erforderlichen Sprachkenntnisse sind in der Regel nachgewiesen, wenn der Einbürgerungsbewerber a) das Zertifikat Deutsch oder ein gleichwertiges Sprachdiplom erworben hat, b) vier Jahre eine deutschsprachige Schule mit Erfolg (Versetzung in die nächsthöhere Klasse) besucht hat, c) einen Hauptschulabschluss oder wenigstens gleichwertigen deutschen Schulabschluss erworben hat, d) in die zehnte Klasse einer weiterführenden deutschsprachigen Schule (Realschule, Gymnasium oder Gesamtschule) versetzt worden ist oder e) ein Studium an einer deutschsprachigen Hochschule oder Fachhochschule oder eine deutsche Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Sind die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend nachgewiesen, soll das persönliche Erscheinen des Einbürgerungsbewerbers zur Überprüfung der Sprachkenntnisse angeordnet werden, vergleiche Nummer 91.1. Die Anforderungen des Zertifikats Deutsch (ISBN 3-933908-17-5) sind dafür ein geeigneter Maßstab. [...] IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 79 Anhang C Auszug aus dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) – 20. Juni 2002 Artikel 1: Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) Kapitel 2: Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet Abschnitt 4: Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit § 20 Zuwanderung im Auswahlverfahren (1) Eine Niederlassungserlaubnis wird zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erteilt, wenn ein Ausländer erfolgreich am Auswahlverfahren teilgenommen hat. Dies gilt auch für Ausländer, die sich bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. (2) Das Auswahlverfahren erfolgt im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland und dient der Zuwanderung qualifizierter Erwerbspersonen, von denen ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten sind. Die Auswahl erfolgt durch ein Punktesystem unter besonderer Berücksichtigung von Staatsangehörigen der Länder, mit denen die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union eröffnet sind. (3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates die Bedingungen für die Teilnahme an dem Auswahlverfahren, die allgemeinen Kriterien für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber sowie die Bewertung durch ein Punktesystem und Einzelheiten des Verfahrens festzulegen. Als Mindestbedingungen für die Teilnahme sind die gesundheitliche Eignung, ein guter Leumund, die Sicherung des Lebensunterhalts und eine Berufsausbildung vorzusehen. Für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber ist zumindest die Bewertung der folgenden Kriterien vorzusehen: 1. Alter des Zuwanderungsbewerbers; 2. schulische und berufliche Qualifikation sowie die Berufserfahrung des Zuwanderungsbewerbers; [...] 3. Familienstand des Zuwanderungsbewerbers; 4. Sprachkenntnisse des Zuwanderungsbewerbers; 5. Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland; 6. Herkunftsland. Bei der Auswahl der Zuwanderungsbewerberinnen und Zuwanderungsbewerber ist ein den Bewerbungen entsprechender Anteil von Frauen und Männern auszuwählen. 80 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? (4) Das Auswahlverfahren wird nur durchgeführt, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundesanstalt für Arbeit nach Beteiligung des Zuwanderungsrates (§ 76) gemeinsam eine Höchstzahl für die Zuwanderung im Auswahlverfahren festgesetzt haben. [...] Kapitel 3: Förderung der Integration § 43 Integrationskurs und -programm (1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert. (2) Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Der Integrationskurs umfasst Angebote, die Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können. (3) Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Die erfolgreiche Teilnahme wird durch eine vom Sprachkursträger auszustellende Bescheinigung nachgewiesen. Die Teilnahme am Basissprachkurs ist in der Regel Voraussetzung für die Teilnahme am Aufbausprachkurs. [...] Für die Teilnahme am Integrationskurs kann unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit ein angemessener Kostenbeitrag erhoben werden. [...] § 44 Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs (1) Einen Anspruch auf die einmalige Teilnahme an einem Integrationskurs hat ein Ausländer, der erstmals eine Aufenthaltserlaubnis 1. zu Erwerbszwecken [...] 2. zum Zweck des Familiennachzugs [...], 3. aus humanitären Gründen [...] oder 4. ohne Bindung an einen Aufenthaltszweck [...] erhält, wenn er sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhält. [...] Einen Anspruch [...] hat auch, wer eine Niederlassungserlaubnis [...] erhält. Ausgenommen sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die eine schulische Ausbildung aufnehmen oder ihre bisherige Schullaufbahn in der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. [...] IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 81 § 45 Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs (1) Ein Ausländer, der nach § 44 einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs hat, ist zur Teilnahme verpflichtet, wenn er sich nicht auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. (2) Die Ausländerbehörde stellt bei der Ausstellung des den Teilnahmeanspruch begründenden Aufenthaltstitels fest, ob der Ausländer zur Teilnahme verpflichtet ist. (3) Ein Ausländer ist von der Teilnahmepflicht nach Absatz 1 ganz oder teilweise zu befreien, wenn 1. er sich im Bundesgebiet in einer beruflichen oder sonstigen Ausbildung befindet, 2. er die Teilnahme an vergleichbaren Bildungsangeboten im Bundesgebiet nachweist oder 3. seine Teilnahme auf Dauer unmöglich oder unzumutbar ist. [...] Artikel 5: Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Das Staatsangehörigkeitsgesetz [...] wird wie folgt geändert: [...] 7. Nach § 9 werden folgende §§ 10 bis 12b eingefügt: § 10 (1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er 1. sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keineBestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind [...]. 2. freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger oder gleichgestellter Staatsangehöriger eines EWRStaates ist [...]. 4. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert [...]. (3) Hat ein Ausländer erfolgreich an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes teilgenommen, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. § 11 Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 besteht nicht, wenn 1. der Ausländer nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, [...]. 82 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Artikel 6: Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Das Bundesvertriebenengesetz [...] wird wie folgt geändert: [...] 3. § 9 wird wie folgt geändert: a) Es wird folgender neuer Absatz 1 eingefügt: (1) Spätaussiedler [...] sowie deren Ehegatten oder Abkömmlinge, welche dieVoraussetzungen [...] erfüllen, haben, sofern sie der allgemeinen Schulpflicht nicht unterliegen, Anspruch auf kostenlose Teilnahme an einem Integrationskurs, der einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland umfasst. Der Sprachkurs dauert bei ganztägigem Unterricht (Regelfall) längstens sechs Monate. [...] 5. § 27 Abs. 1 wird wie folgt geändert: [...] b) Die Sätze 2 bis 4 werden wie folgt gefasst: Der im Aussiedlungsgebiet lebende nichtdeutsche Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, oder nichtdeutsche Abkömmling [...] werden [...] in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson nur dann einbezogen, wenn [...] sie ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache besitzen und in ihrer Person keine Ausschlussgründe [...] vorliegen; [...]. IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 83 Anhang D Sprachförderprogramm für Aussiedler und Ausländer in Deutschland, Stand 2000 Förderprogramm SGB III Garantiefonds- Sprachverband Schul- und Berufsbildungsbereich GarantiefondsHochschulbereich Akademikerprogramm Förderberechtigte Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge unter 27 Ausländische Arbeitnehmer aus EU u. ehem. Anwerbestaaten und ihre Familienangehörigen Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge unter 30 Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge Integrationsziel Gesellschaftlliche Integration (einschl. Arbeitsmarkt) Schulische/berufliche Ausbildung Allgemeine und berufliche Integration Integration in Richtung Hochschule fachberufliche Integration Stunden insgesamt 903 Zeitstunden bis zu 2000 Unterrichtsstunden bis zu 640 (durchschn.400) Unterrichtsstunden 800 Unterrichtsstunden bis zu 420 Unterrichtsstunden Fördermonate 6 bis zu 12 - 6 3 Stunden pro 35 bis zu 40 4 – 20 32 bis zu 36 Teilnehmer bis zu 25 15 – 20 8 – 20 20 20 Sozialpädagogische Betreuung 14 Stunden insgesamt bis zu 50 % bis zu 50 % (auch als Teamteaching) bis zu 15 % Nach Bedarf Testverfahren freiwillig freiwillig freiwillig ja ja Fahrtkosten ja ja nein ja ja Kinderbetreuung ja nein ja nein nein Einheitliche Lehrmaterialien nein nein nein nein nein Sprachkursträger 788 348 445 9 4 Mittelansatz 2000 240 Mio. DM 45 Mio. DM 34 Mio. DM 11 Mio. DM 0,65 Mio. DM Ressort BMA BMFSFJ BMA BMFSFJ BMBF Durchführung Bundesanstalt für Arbeit Länder Sprachverband Otto Benecke Stiftung Otto Benecke Stiftung Förderung Individualbeihilfe, Trägerabrechnung, Unterrichtsgelder Individualbeihilfe und Zuwendung an den Sprachkursträger Vertrag und Abrechnung mit dem Träger Individualbeihilfe und Zuwendung an den Träger Individualbeihilfe, Trägerabrechnung Kosten durchschnittlich 722,-DM pro Teilnehmer/Monat 630,-; 800,-; und 820,- DM pro Teilnehmer/Monat 35,- pro Kursstunde Durchschnittlich 900,-DM pro Teilnehmer/Monat durchschnittlich 750,-DM pro Teilnehmer/Monat Woche Quelle: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Studien zur Sprachförderung, BMFSFJ/BMA 12.Okt 2000. 84 DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? Anhang E Auszug aus Gesetzesvorlage C-11 (Kanadas Immigration and Refugee Protection Act) Vorgeschlagenes Punktesystem Alter max. 10 Punkte 21-44 10 Punkte zwei Punkte weniger für jedes Lebensjahr über 44 (Aus)Bildung max. 25 Punkte Promotion oder Magisterabschluß 25 Punkte Bachelor 20 Punkte High School Abschluß 5 Punkte Sprache max. 20 Punkte Sehr gute Kenntnisse in einer Amtssprache 16 Punkte Gute Kenntnisse in einer Amtssprache 8 Punkte Grundkenntnisse in einer Amtssprache 0 Punkte Sehr gute Kenntnisse in der zweiten Amtssprache 4 Punkte Quelle: Citizenship and Immigration Canada, Bill C-11 Immigration www.cic.gc.ca/english/about/policy/c-11-regs.html – Nov. 2001 and Protection Act. IZA Discussion Papers No. Author(s) Title Area 540 G. S. Epstein A. Kunze M. E. Ward High Skilled Migration and the Exertion of Effort by the Local Population 1 08/02 541 B. Cockx M. Dejemeppe Do the Higher Educated Unemployed Crowd Out the Lower Educated Ones in a Competition for Jobs 2 08/02 542 M. Frölich Programme Evaluation with Multiple Treatments 6 08/02 543 J. Darby R. A. Hart Wages, Productivity, and Work Intensity in the Great Depression 5 08/02 544 P. Portugal A. R. Cardoso Disentangling the Minimum Wage Puzzle: An Analysis of Worker Accessions and Separations 3 08/02 545 M. Fertig C. M. Schmidt The Role of Background Factors for Reading Literacy: Straight National Scores in the PISA 2000 Study 6 08/02 546 A. M. Stiglbauer F. Stahl R. Winter-Ebmer J. Zweimüller Job Creation and Job Destruction in a Regulated Labor Market: The Case of Austria 2 08/02 547 G. S. Epstein I. N. Gang Government and Cities: Contests and the Decentralization of Decision Making 3 08/02 548 M. Frölich What is the Value of Knowing the Propensity Score for Estimating Average Treatment Effects? 6 08/02 549 E. Wasmer Interpreting Europe and US Labor Markets Differences: The Specificity of Human Capital Investments 2 08/02 550 D. Clark The Impact of Local Labour Market Conditions on Participation in Further Education in England 5 08/02 551 T. Bauer G. Epstein I. N. Gang Herd Effects or Migration Networks? The Location Choice of Mexican Immigrants in the U.S. 1 08/02 552 R. Fahr U. Sunde Estimations of Occupational and Regional Matching Efficiencies Using Stochastic Production Frontier Models 6 08/02 553 S. Machin P. A. Puhani Subject of Degree and the Gender Wage Differential Evidence from the UK and Germany 2 08/02 554 W. Koeniger Employment Protection, Product Market Competition and Growth 3 08/02 555 D. J. DeVoretz H. Hinte C. Werner Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland 1 08/02 An updated list of IZA Discussion Papers is available on the center‘s homepage www.iza.org. Date