Aktuelle Filme zum Thema Tod und Sterben

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Aktuelle Filme zum Thema Tod und Sterben
Medienzentrale des Erzbistums Köln www.medienzentrale-koeln.de
»Zwischen Leben und Tod«
Sterben und Tod in aktuellen Spielfilmen – Einleitung
Million Dollar Baby (USA 2004), Das Meer in mir (E/F/I 2004), Mein Leben ohne mich (CDN/E 2003),
Fragile (D 2003), Sprich mit ihr (E 2002)
Auf diesen Webseiten finden Sie Informationen und Internet-Links zu fünf Spielfilmen der
letzten Jahre, die den Themenbereich Sterben und Tod aus sehr unterschiedlichen
Perspektiven behandeln.
Das Sterben ist aus unserem Alltag weitgehend verbannt, es gehört aber dennoch zum
Leben, und die Beschäftigung mit ihm ist unumgänglich und durchaus gewinnbringend.
Andererseits entfachte die filmische Auseinandersetzung mit einem ethisch so brisanten
Thema wie Sterbehilfe zum Teil sehr heftige öffentliche Debatten. Daher sind die Filme
"Million Dollar Baby" und "Das Meer in mir" umstritten.
Aber auch Pedro Almodóvars "Sprich mit ihr" sorgte für Diskussionen: in Bezug auf die
Darstellung der Komapatientinnen, des sexuellen Missbrauchs, des (ironisiert) dominanten
männlichen Blicks auf die zur Passivität verdammten Frauen und auch auf den Umgang
mit Tieren in den Stierkampf-Szenen (bei deren Dreharbeiten Stiere getötet wurden).
Die meisten Kritikerinnen und Kritiker bescheinigten den drei Filmen eine außergewöhnlich
hohe filmische Qualität; der jeweils eine bzw. die vier "Oscars" (Million Dollar Baby)
werden ihnen in formaler Hinsicht also gegönnt. Umstritten ist die Umsetzung bestimmter
an sich schon brisanter Themen.
Besonders in die Kritik gerieten "Million Dollar Baby" und "Das Meer in mir". Ihnen wird
vorgeworfen, aktive Sterbehilfe einseitig, zu positiv, darzustellen, damit den unverfügbaren
Wert des einzelnen Lebens zu missachten und die Hemmschwelle zur Tötung
herabzusetzen. Gegen "Million Dollar Baby" brachten KritikerInnen vor, der Film stelle das
Leben mit einer Behinderung als unzumutbar dar, etwa indem er Maggies Leid noch durch
eine miserable Pflege (Druckgeschwüre und Beinamputation sind durchaus vermeidbar)
steigere und die hoffnungslose Perspektive überbetone. Demgegenüber lässt "Das Meer
in mir" hinsichtlich der Pflege und der menschlichen Betreuung des Protagonisten kaum
Wünsche offen. Ramón scheint für Außenstehende durchaus ein erfülltes und an
menschlichen Kontakten verschiedener Art reiches Leben zu führen. Die Kritik fokussiert
hier Ramóns über den gesamten Film ungebrochenen aber nicht hinreichend begründeten
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Todeswunsch. Das Kämpfen für einen selbstbestimmten Tod scheint seinem Leben den
nötigen Sinn zu geben. Dieses Paradox erklärt wohl auch, warum der Film oft als
lebensbejahend, aufmunternd empfunden wurde. Dennoch bleibt die Frage offen, ob und
warum Ramón keine andere, positivere Lebensaufgabe finden konnte, die Handlung bietet
ja mehrere Möglichkeiten an, z.B. seine erfolgreiche schriftstellerische Tätigkeit.
Aber: die Thematisierung solcher Alternativen zeigt, dass Regisseur Alejandro Amenábar
durchaus bemüht war, unterschiedliche Perspektiven auf Ramóns Pflegebedürftigkeit und
sein Sterbenwollen anzubieten. Das wird auch (u.a.) an der Rechtsanwältin Julia deutlich,
die sich im Gegensatz zu Ramón dazu entschließt, ihre eigene unheilbare Krankheit
anzunehmen und ihr Leben nicht selbst zu beenden. Analog dazu enthält "Million Dollar
Baby" Ansätze, die Distanz schaffen zu Maggies Todeswunsch und zu Frankies schwerer
Entscheidung, diesem zu entsprechen: Frankies ernsthafte Bemühung, Maggie neue
Lebensinhalte anzubieten, und andererseits das seelsorgerliche und menschliche
Versagen des Priesters, der Frankies Dilemma lediglich mit der Androhung schlimmster
Höllenstrafen beantwortet und ihn ansonsten allein lässt. Vielleicht wäre mit besserer
Begleitung (auch durch Maggies Familie) doch eine Entwicklung zu neuem Lebenswillen
möglich gewesen. Die VerteidigerInnen begrüßen an beiden Filmen gerade die Offenheit
der von ihnen aufgeworfenen Fragen: ein Film über Sterbehilfe habe nicht die Aufgabe, in
verengtem Sinne moralische Lehrsätze abzubilden, sondern ein individuelles Schicksal,
ein moralisches Dilemma glaubwürdig darzustellen. Der moralisch positive Effekt davon
ist, dass eine öffentliche Diskussion zum Thema in Gang kommt, die es ermöglicht, einen
eigenen Standpunkt in der schwer zu klärenden Frage zu finden.
Der Film "Sprich mit ihr" handelt weniger zentral vom Tod. Dennoch spielt der Tod hier
eine wichtige Rolle: er ist mit den dargestellten Schicksalen verwoben, die Figuren, am
deutlichsten die beiden Koma-Patientinnen, stehen zwischen Leben und Tod. Die
Stierkämpferin Lydia hat einen ‚mörderischen’ Beruf: sie tötet Stiere und begibt sich selbst
bis hin zu ihrem Unfall immer wieder in Lebensgefahr. Benigno und Marco stehen mit dem
Tod zunächst in indirekter oder metaphorischer Verbindung: Benigno steht unter der
Herrschaft seiner Mutter, die er bis zu ihrem Tod pflegt. Er hat keinen eigenen
Lebensinhalt entwickelt und kann sich ein Leben ohne seine Mutter nicht vorstellen – bis
er Alicia trifft, der er sein weiteres Leben unterordnet, die er aber zugleich seinen
Vorstellungen unterordnet, da sie im Koma liegt und keine Entscheidung mitteilen,
geschweige denn sich wehren kann. Benigno ist sogar davon überzeugt, Alicia zu
heiraten, und eines Nachts schwängert er sie. Der sexuelle Missbrauch ist im Bild des
"schwindenden Liebhabers" nur angedeutet: dies kann zum einen als Verharmlosung
verstanden werden, es liefert aber andererseits eine Erklärung für Benignos Verhalten. Die
Geschichte vom geschrumpften Liebhaber, der in der Vagina seiner Geliebten
verschwindet, lässt, unter Rückgriff auf die Freudsche These, nach der sich das männliche
Unterbewusstsein in den Mutterleib zurückwünscht, auf Benignos Mutterfixierung
schließen. Und die führt außerdem zum Tod: wie der Liebhaber im Stummfilm nimmt sich
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Benigno schließlich das Leben. Paradoxerweise bewirkt er mit seinem Vergehen
(vermutlich) Alicias Erwachen und ermöglicht eine gemeinsame Zukunft für sie und Marco.
Die schweren Themen Wachkoma und sexueller Missbrauch behandelt „Sprich mit ihr“ auf
eine überraschend lockere (gleichwohl formal ausgereifte und vielschichtige) Weise, die
die moralische Einordnung verschwimmen lässt und die deshalb auch umstritten ist. Dem
Vorwurf, der Film 'reanimiere' eine überkommene Verteilung der Geschlechterrollen, die
die Frauen zu passiven Objekten eines männlich-dominanten Voyeurismus degradiert,
kann immerhin entgegengesetzt werden, dass Almodóvar (wie stärker in seinen früheren
Filmen) die 'klassische' Rollenverteilung gerade auch umkehrt: im Widerspruch zu den
Genrekonventionen des Melodrams zeigt er Männer in der Rolle des emotional Gerührten
und hingebungsvoll Pflegenden und Frauen in Männerdomänen: Lydia, die Stierkämpferin
und Amparo, die Naturwissenschaftlerin. Rollenklischees werden durch ihre Übertreibung
und ‚typische’ Männerfantasien durch die Überdeutlichkeit ihres Projektionscharakters
auch ad absurdum geführt.
In einem ausgesprochen positiven Licht thematisiert Isabel Coixets "Mein Leben ohne
mich" den paradoxen Zusammenhang von Leben und Tod. Hier steht der Aspekt des
intensivierten Lebens im Angesicht des nahen Todes vor der Darstellung des Sterbens
selbst. Die nur auf den ersten Blick leicht überschaubare und ohne aufwändige
Spezialeffekte inszenierte Filmstory bringt eine ganze Palette existenziell bedeutender
Fragen und religiöser wie kultureller Bezüge zur Sprache (und ins Bild).
Der Kurzfilm "Fragile" verfährt ähnlich. Er stellt die Situation einer Frau dar, die zwischen
Leben und Tod steht und aus dieser Perspektive einige letzte Blicke auf die Welt wirft, um
sich - in Begleitung eines Engels - von ihren Angehörigen zu verabschieden. Auch hier
sind Reflexionen auf den Sinn des Lebens, seine Unerklärbarkeit, die Mystik des
einzelnen Moments, das Verhältnis von Leben und Tod und das Jenseits in die Handlung
eingewoben, unter anderem in Form von Monologen aus dem Off. "Mein Leben ohne
mich" zeigt solche Reflexion vor allem in den lyrischen Gedanken-Monologen der
Hauptfigur Ann, in der bedeutungsvollen Filmmusik und in der symbolischen Figur des
Glasharfenspielers, der, auch als Engel interpretierbar, Ann auf ihrem Weg in den Tod mit
seiner Musik (und in erweitertem Verständnis mit der gesamten Filmmusik) begleitet.
Das Auftreten eines Engels als Begleiter wie auch die Off-Kommentare, die in lyrischerhabener Form das menschliche Leben und seine Widersprüche reflektieren, erinnern an
Filme wie "Der Himmel über Berlin" und "In weiter Ferne, so nah!" von Wim Wenders
sowie an Brad Silberlings Remake "Stadt der Engel".
Die Materialsammlung bietet Links zu Presseartikeln und Hintergrundinformationen zu den
fünf Filmen und zu den Themen Sterben, Trauer und Sterbehilfe.
Matthias Ganter
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