Das Panzermuseum und World of Tanks
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Das Panzermuseum und World of Tanks
Jahresbericht 2012 Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung 1 Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung An Pfingsten wird die Panzergeschichte im Museum alternativ erlebt: Es wird gejohlt, gegackert und gegröhlt werden, hunderte Panzer werden vernichtet werden und das wird für große Heiterkeit und allgemeine Zufriedenheit sorgen. Am Pfingstwochenende wird die Firma Wargaming bei uns im Hause eine Promotion-Station aufbauen. An dieser Station werden sie ihr Spiel (und Zugpferd der ganzen Firma) „World of Tanks“ bewerben, indem es an ca. einem Dutzend Rechnern gespielt werden kann. Es wird Wettbwerbe, Preise, Selbstdarstellung, Spielergejohle und alles andere geben, was dazugehört. Was „World of Tanks“ (im folgenden WoT) ist, kann unter diesem Link eingesehen werden: http://www.youtube.com/watch?v=2vgZa-l9w5Q Im Prinzip vermittelt WoT nur Inhalte, die den Aussagen des Panzermuseums direkt zuwiderlaufen: 1. Das klinische Schlachtfeld: Es sind keine Menschen zu sehen, weder Soldaten noch Zivilisten. Leid und Schmerz, Tod und Verstümmelung – alles kein Thema. Krieg ist ein reines „Tick, du bist!“ und wenn der eigene Panzer vernichtet ist, kommt ein markiger Spruch im Sinne von „This machines has had it, let’s get out.“ Lediglich gelegentliche Meldungen wie „They killed our driver“ zeigen an, dass da doch irgendwie Krieg passiert. 2. Panzer ohne andere Waffensysteme: Der Panzer ist historisch untrennbar mit allen möglichen anderen Waffen und Kämpfern verbunden: Infanterie, Flieger, Logistik und so weiter. Findet alles nicht statt. Es rollen ausschließlich Panzer und Jagdpanzer über das Menschenleere Schlachtfeld. Einzig die Artillerie spielt eine Rolle, aber letztlich auch nur als indirekt feuernde Panzer, die ein paar Meter weiter hinten stehen. Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung 3. Der einzelne Panzer entscheidet: Historisch gesehen sind Panzer eigentlich nur im Plural relevant. Es waren Panzereinheiten und verbände, die operativ entscheidend gewirkt haben. Bestes Beispiel dafür ist immer noch der krasse Leistungsunterschied zwischen den alliierten Panzern und den Panzerdivisionen in Frankreich 1940. Auch wenn Züge und Kompanien (die Multiplayergruppen-Bezeichnungen in WoT) in der Tat bessere Chancen haben, ein Gefecht zu gewinnen, so ist der überragende Teil der täglichen millionenfachen Partien doch geprägt durch lauter Einzelspieler – und deren Fähigkeiten entscheiden dann die Schlacht. 4. Scheinbare Berechenbarkeit: WoT basiert auf einem Rechenmodell. Einem großen, komplexen Rechenmodell, das zwei Dinge leisten muss: Ein Gschmäckle von Authentizität erzeugen einerseits und ein ausbalanciertes, faires Spiel andererseits. Allerdings nehmen viele Spieler nur den ersten Teil wahr. Sie glauben tatsächlich, dass die von Wargaming willkürlich festgesetzten Werte „die Realität“ spiegeln könnten – was im Prinzip schon völliger Unsinn ist, aber im Zuge des Balancing-Problems völlig hanebüchen wird. Im letzten Patch werden französische Artilleriegeschütze plötzlich um ein Vielfaches präziser – wie ist das möglich, wenn die Werte doch „historisch“ sind? Egal, den Fans macht das nichts: Die Denkstruktur, dass man einen historischen Panzer durch reine Daten erfassen könnte, wird dadurch wieder einmal verstärkt. 5. Schwerer & größer = besser: Das war lange die Formel, nach der der Levelanstieg bei WoT funktionierte. Das Spiel suggerierte, dass große und schwere Panzer das logische „Ende“ einer „Evolution“ seien; kleine, leichte Panzer hingegen nur der Startpunkt für diese Evolution. Diese Denkweise ist natürlich nur durchzuhalten durch Punkt 3 dieser Aufzählung. Im historischen Gesamtkontext von Produktion, Logistik, Wartung, Doktrinen und so fort würde niemand, Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung der zu differenziertem Denken in der Lage ist, ernsthaft behaupten, der Königstiger sei der bessere Panzer im Vergleich zu bspw. dem T-34. Zu so einem Schluss kann man nur kommen, wenn man panzerquartettartig denkt und Duellsituationen im klinischen Raum herbeifabuliert – was WoT ja genau tut. Diese Denkweise wurde durch die Einbindung mittlerer Nachkriegspanzer als High Tiers etwas aufgeweicht, gilt aber dennoch immer noch weitreichend. 6. Technofetischismus ohne reale Bezüge: WoT suggeriert durch seine Techtrees, dass alles Mögliche in alles Mögliche verbaut werden konnte. Gewisse Begrenzungen gibt es, aber die Einbindung noch der albernsten Prototypen von Kanonen und Türmen, von nur auf dem Papier existenten Panzern und nie gebauten Fahrwerken direkt neben Massenprodukten wie den realen T-34 und Panzer IV macht Glauben, dass damals einfach nur falsch kombiniert wurde. Krieg wird hier zum McMenü, wer falsch bestückt, ist selber schuld. 7. Historische Kontextlosigkeit: Das Fehlen jedweden historischen Kontextes vermittelt den falschen Eindruck, dass Kriegstechnik von ihrem historischen Verwendungszweck getrennt betrachtet werden könnte. (Andererseits gibt es bei WoT im Regelfall auch keine historischen, also national begründeten Teambildungen; alle Panzer in jedem Team ohne Rücksicht auf historische Herkunft wild gemischt.) Alles in allem: WoT bringt Millionen Menschen genau das Gegenteil von dem bei, was wir vermitteln wollen. Warum also holen wir nun ausgerechnet diesen virtuellen Feind in unser Haus? Gibt das Panzermuseum seinen Ansatz auf, Panzer, Krieg und Gewalt kritisch zu betrachten? Überhaupt nicht. Die Logik ist ganz einfach: Wir können es ohnehin nicht verhindern, dass WoT sein krudes Geschichtsbild verbreitet. Es passiert 24/7 global. Was Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung können wir also tun? Früher hätten Museen als Bildungstempel die Nase gerümpft und sich auf das „richtige“ Publikum konzentriert. Wir glauben jedoch, dass dieser Ansatz nicht weiterhilft. Wir verfolgen einen anderen Ansatz: Wir sprechen die Zielgruppe dieses Spiels gezielt an, indem wir sie mit Unterstützung von WoT in das Panzermuseum holen. Diese Spieler, die sich für Panzer interessieren, werden durch Wargaming in das Panzermuseum geholt. Hier treffen sie auf die historischen Originale und hier treffen sie auf (noch sehr wenig, aber viel bald mehr) Geschichtsvermittlung, die ihre Spielobjekte in interessante, aber eben auch kritische und irritierende Kontexte setzt. Die zum Nachdenken herausfordert. Die zum Hinterfragen der WoT-Konstruktionen einlädt und es vielleicht schafft, die Spieler mal ein Buch lesen zu lassen, das über Kalibergrößen und Turmdrehkranzdurchmesser hinausgeht, weil die Führung, der Audioguide oder ein Text dann doch mal nachdenklich gemacht haben. Die sie darüber nachdenken lässt, dass ihre e-Toys Objekte simulieren, die Leid, Tod und Vernichtung bedeutet haben. Wenn auch nur einer von hundert das tut, haben wir schon etwas geleistet. Wir betreiben hier Schadensbegrenzung am Geschichtsbild, so gut wir können, indem wir diese Zielgruppe aktiv und freundlich ansprechen, so zu Fans des Museums machen und dann mit der Geschichtsvermittlung beginnen. Dabei wird durch diesen Ansatz ein großes Reservoir an möglichen, zukünftigen Besuchern angesprochen. Die enorme Spielerzahl, die effiziente Promotion und die aktive Kommunikation der Fans untereinander sind ein Garant dafür, dass der Name des Panzermuseums weite Verbreitung findet, und zwar in einer spezifisch interessierten Zielgruppe, die wir über andere Werbekanäle nicht oder nur schwer erreichen würden. Das wiederum ist wichtig für die Zukunft und Existenzsicherung des DPM an sich. Was nutzt Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung ein kritisches, modernes Ausstellungskonzept, wenn uns die Besucher ausgehen, denen wir es zeigen können? Dieser Ansatz ist seit ca. einem Jahrzehnt übrigens Mainstream in vielen Museen: Events werden durchgeführt, um Besucherinnen und Besucher anzuziehen – der Inhalt der Ausstellung hingegen soll sie dann langfristig binden. Es gibt sogar einen museumswissenschaftlichen Sammelband, der so heißt: „Event zieht – Inhalt bindet“. Die Logik, ein Kriegsspiel zu akzeptieren, weil man von dort aus konstruktiv als Museum weiterarbeiten kann, funktioniert bei vielen Konkurrenzprodukten übrigens nicht. Das DPM würde sich nicht mit Spielen wie bspw. „Call of Duty“ einlassen, deren Faszination sich nicht zu einem geringen Teil aus der direkten Gewaltausübung am Menschen ableitet. Hier würden wir uns mit einem Werbeeffekt gemein machen, der unseren Ansätzen zu diametral entgegengesetzt ist. Hier ziehen wir eine Grenze- und ja, die ziehen wir willkürlich und im Einzelfall. Gewaltfaszination bedient WoT jedoch nicht. WoT macht sich ja im Gegenteil durch seine „Blutlosigkeit“ einer zu klinischen, zu sauberen Betrachtungsweise des Panzers schuldig – und diese klinisch-saubere Sichtweise auf Panzer haben viele Besucherinnen und Besucher des Museums ohnehin. Es ist also eine Denkfigur, an der wir uns ohnehin Tag für Tag abarbeiten und mit der wir umgehen können. Wenn wir mit WoT zusammenarbeiten, interessieren wir Leute für das Museum, die mit ähnlichen Vorstellungen in das Museum kommen wie der Großteil unserer Besucher – nur verstärkt und vertieft durch WoT. Hier müssen, können und werden wir dann als Geschichtsvermittler ansetzen. Letztlich holen wir uns durch die Kooperation mit WoT nur noch mehr von unserer ganz normalen Arbeit ins Haus, die wir ohnehin täglich machen. Wir treiben aber nicht die Besucherzahlen in die Höhe, indem wir plötzlich die Faszination für Gewalt, Das Panzermuseum und World of Tanks – eine komplizierte Beziehung Blut, Tod und Vernichung in unseren Hallen promoten oder promoten lassen. Insgesamt ist es eine Zusammenarbeit, bei der das DPM neue Besucherinnen und Besucher gewinnen kann, ohne seine Grundsätze aufzugeben. Deutsches Panzermuseum Munster Ralf Raths Wissenschaftlicher Leiter Hans-Krüger-Straße 33 29633 Munster Telefon: 05192 / 899 153 E-Mail: [email protected] Internet: www.deutsches-panzermuseum.de