Wolfgang Amadeus Mozart Requiem d

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Wolfgang Amadeus Mozart Requiem d
Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem d-Moll KV 626
Fassung von Robert D. Levin
Einführung
Wir kennen Mozarts Requiem in der Ergänzung seines Schülers Franz Xaver Süßmayr.
Er hat in vielen Sätzen Mozarts eigenhändige Niederschrift ergänzt. Er mußte aber auch – und viele
Menschen, denen das Requiem persönlich wichtig
ist, scheinen dies gar nicht zu wissen – einige Sätze
ganz neu komponieren. Zu den Texten des Sanctus,
Benedictus und Agnus Dei hat Mozart selbst nichts
niedergeschrieben. Ob Süßmayr dabei auf Mozarts
Anweisungen oder Skizzen zurückgreifen konnte,
läßt sich nicht mehr feststellen. Süßmayrs Ergänzung
ist vom 19. Jahrhundert bis heute vielfach kritisiert
worden. Dennoch bleibt ihr das unbestreitbare Verdienst, Mozarts letztes Werk der Nachwelt erhalten zu
haben.
1987 veranstaltete die Internationale Bachakademie ein Symposium zu dem Problem der Ergänzung
des Requiems. Zur Sprache kam dabei auch ein Skizzenblatt Mozarts, das 1962 entdeckt worden war. Neben einer Skizze zur Ouvertüre der „Zauberflöte“ und
zum Rex tremendae enthält es 16 Partiturtakte einer
Amen-Fuge, die Mozart offensichtlich für das Ende
des Dies irae-Abschnitts vorgesehen hatte – von Süßmayr aber nicht ausgeführt. Unter den Teilnehmern
des Symposiums war auch der amerikanische Pianist
und Mozart-Kenner Robert Levin. Er hatte diese Fuge ausgearbeitet und stellte sie auf dem Klavier vor.
Wir waren hiervon und von seiner überaus detaillierten Vertrautheit mit Mozarts Gesamtwerk so beeindruckt, daß wir ihn beauftragten, eine neue Ergänzung des Requiems für das Mozart-Jahr 1991 auszuarbeiten.
Levins Version des Requiems tastet die Werkgestalt, so wie sie uns vertraut ist, nicht an. Er übernimmt also auch die Grundstrukturen der Sätze, die
wir nur in Süßmayrs Niederschrift kennen, die aber
gleichwohl Mozartsche Gedanken enthalten mögen.
Levins Veränderungen beziehen sich zunächst auf
die Fugen des Werks. Neben der neuen Amen-Fuge
konzipiert er auch die Osanna-Fuge neu. Im Sanctus
beläßt er den Vokalsatz in seiner akkordischen Grundstruktur, schreibt dazu aber einen neuen obligaten Instrumentalsatz, der sich bewußt an das Modell des
Sanctus in Mozarts c-Moll-Messe KV 427 anlehnt.
Für das ganze Werke verändert er Süßmayrs ‚dicke’
Instrumentation, macht sie vor allem in den solistischen Sätzen schlanker und transparenter. Schließlich
greift er in Süßmayrs harmonische Satzverbindungen
ein, dies besonders auffällig in der Überleitung vom
Benedictus zur zweiten Osanna-Fuge.
Ich habe Robert Levins Bearbeitung des Requiems
inzwischen oft musiziert – mit unseren eigenen Ensembles, aber auch als Gast anderer Orchester und
Chöre. Ich habe sie lieb gewonnen; sie scheint mir in
der Nachzeichnung der Werkstruktur deutlicher und
in ihrem Geist ‚mozartischer’.
Helmuth Rilling
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Einführung
n letzter Zeit haben sich mehrere Musiker
bemüht, die Unzulänglichkeiten Süßmayrs
aus dem Requiem zu bereinigen. Diese Neufassungen
sind mittlerweile in Konzerten aufgeführt, auf Schallplatten eingespielt und veröffentlicht worden. Dadurch kann ein unmittelbarer Einblick in die Problematik gewonnen werden.
Der Umfang dieser Bearbeitungen ist sehr verschieden. Bei Franz Beyer handelt es sich um eine
Uminstrumentierung: er retuschiert mit wenigen
Ausnahmen nur die Orchesterstimmen. Das Werk
klingt in seiner Fassung eindeutig durchsichtiger und
überzeugender als bei Süßmayr. Dabei verbleiben
allerdings die Fehler und Stilbrüche der Gesangsstimmen bzw. des Aufbaus unberührt, außerdem hat
er die Skizze zur Amen-Fuge in seiner Fassung nicht
berücksichtigt. Die Ausgabe von H. C. Robbins
Landon bildet eine Zusammenstellung aus Eybler
und Süßmayr, in der Süßmayrs Fassung nach Möglichkeit durch Eyblers ersetzt wird; neues Material ist
nur an den Nahtstellen zu finden. In Richard Maunders Edition begegnet man neuen Ergänzungen zum
Lacrimosa und zum AGNUS DEI sowie einer vervollständigten Amen-Fuge. Diese aber enthält Modulationen, wohingegen derartige Fugen aus dem
18. Jahrhundert in der Haupttonart bleiben, um dadurch nicht nur den Satz (Lacrimosa) sondern den
ganzen Teil (die SEQUENZ) stabil abzuschließen;
darüber hinaus fehlen die Sätze SANCTUS/Hosanna
und Benedictus, weil Maunder der festen Überzeugung ist, daß diese Sätze mit Mozart überhaupt nichts
zu tun hätten. Eine radikalere Umgestaltung versucht
Duncan Druce: außer einer ausführlichen Ergänzung
Silhouette, gestochen
von Hieronymus Löschenkohl,
1785
Todesanzeige in der Wiener Zeitung vom 7. Dezember 1791
der Amen-Fuge liegen Lacrimosa, SANCTUS/Hosanna, Benedictus, AGNUS DEI und sogar Lux
aeterna in wagemutigen Neufassungen vor.
Franz Graf Walsegg-Stuppach.
Silhouette von François
Gonord, 1786
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Dagegen versucht die heute erklingende Ergänzung, die 200jährige Tradition des Requiems zu respektieren. Es wird nicht möglichst viel, sondern möglichst wenig retuschiert, um den angepaßten mozartischen Charakter, Gefüge, Stimmführung, Verlauf und
Struktur nachzuahmen. Wo die überlieferte Fassung
Mozarts Verfahren entspricht, wird sie beibehalten.
Einführung
Auch die Neueinteilung des Werkes (nach einem
Vorschlag von Christoph Wolff) berücksichtigt Mozarts eigene Einteilung, wonach INTROITUS (Requiem) und Kyrie-Fuge als zusammengehörige Satzteile notiert sind, Domine Jesu und Hostias zusammengehören, SANCTUS und Benedictus eine Einheit
durch die Wiederholung der Hosanna-Fuge bilden
und AGNUS DEI samt COMMUNIO als fortlaufender Satz notiert sind.
Die vorliegende Fassung entstand im Auftrag der
Internationalen Bachakademie Stuttgart zum Europäischen Musikfest Stuttgart im Mozart-Jahr 1991
und wurde zu diesem Anlaß unter der Leitung von
Helmuth Rilling uraufgeführt und für die Schallplatte eingespielt (Hänssler-Classic); 1994 folgte die Edi-
Mozarts Sterbehaus in der Wiener Rauhensteingasse
Die etwas durchsichtigere Instrumentation ist
Mozarts sonstiger Kirchenmusik entnommen. Das
Lacrimosa wurde leicht retuschiert und mündet in eine nichtmodulierende Amen-Fuge ein. Die zweite
Hälfte des Sanctus löst die seltsamen tonalen Widersprüche, und die Hosanna-Fuge hat die Proportionen
einer mozartischen Kirchenfuge (Vorlage: Mozarts
große Messe c-Moll KV 427). Die zweite Hälfte des
Benedictus wurde leicht überarbeitet und durch einen
neuen Übergang an die gekürzte Wiederholung der
Hosanna-Fuge in der Originaltonart D-Dur (nicht,
wie bei Süßmayr, im Widerspruch zur zeitgenössischen Praxis, in B-Dur!) angeschlossen. Das Agnus
Dei bleibt strukturell unangetastet, der innere Gehalt
der 2. und 3. Abschnitte wird aber von Süßmayrs Ungeschicklichkeiten befreit. In der Cum sanctis tuisFuge, am Schluß, wird die Textierung geändert, um
den normalen Textgebrauch widerzuspiegeln.
Joseph Eybler
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Einführung
tion von Partitur, Klavierauszug und Aufführungsmaterial, ebenfalls im Hänssler-Verlag, Neuhausen. Eine zweite Einspielung (auf historischen Instrumenten) mit Boston Baroque unter der Leitung
von Martin Pearlman ist bei TELARC erschienen.
Mag diese Fassung, in aller Bescheidenheit, dem
Geist Mozarts dienen und dem Zuhörer erlauben, den
großartigen Torso im Rahmen seiner Tradition wahrzunehmen.
Abbé Maximilian Stadler. Stich von Johann Balthasar Pfister, 1818
Beginn der Amen-Fuge am
Ende der SEQUENZ (Lacrimosa)
im Manuskript
von Robert Levin
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