Die Dependenzgrammatik

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Die Dependenzgrammatik
11. Seminar:
Die Dependenzgrammatik
Die Dependenzgrammatik
Wörter kommen gewöhnlich mit anderen Wörtern gemeinsam vor. Dabei eröffnen
bestimmte Wörter Leerstellen, die von anderen Wörtern besetzt werden können
(Valenz).
Dependenzgrammatische Spuren finden sich in vielen DaF-Lehrmaterialien (z.B.
Themen, Stufen, Grammatik sehen).
Ein Grund dafür ist auch die gute Visualisierbarkeit der Abhängigkeitsbeziehungen.
Besonders einflussreich auf den DaF-Lehrwerksmarkt war die Konzeption von Ulrich
Engel (Rall/Engel/Rall (1985)).
In neueren Ansätzen spricht man statt von Valenz auch von Argumentstrukturen.
Ausgewählte Literatur zur Dependenzgrammatik
Adamzik, Kirsten (1992): Ergänzungen zu Ergänzungen und Angaben. In: Deutsche
Sprache 20.1992, 289-313
Ágel, Vilmos u.a. [Hrsg.] (2003): Dependenz und Valenz. Ein internationales
Handbuch der zeitgenässischen Forschung. Berlin / New York: Walter de Gruyter (=
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 25.1)
Dürscheid, Christa (1991): Modelle der Satzanalyse. Überblick und Vergleich. Köln:
Gabel
Dürscheid, Christa (2000): Syntax. Grundlagen und Theorien. Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag, Kapitel 7 Valenztheorie
Engel, Ulrich (1994)³: Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos
Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin / New York:
Walter de Gruyter
Rall, Marlene / Engel, Ulrich / Rall, Dietrich (1984): DVG für DaF: Dependenz-VerbGrammatik für Deutsch als Fremdsprache. Heidelberg: Groos
Tarvainen, Kalevi (1981): Einführung in die Dependenzgrammatik. Tübingen:
Niemeyer
Tarvainen, Kalevi (1983): Zur Eignung der Dependenzgrammatik für Deutsch als
Fremdsprache aus kontrastiver Sicht. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache Bd. 9
(1983)
Tesnière, Lucien (1980): Grundzüge der strukturalen Syntax. Hrsg. und übersetzt von
Ulrich Engel. Klett-Cotta Stuttgart
Weber, Heinz J. (1992): Dependenzgrammatik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr
Wegener, Heide (1994): Kasus und Valenz im natürlichen DaZ-Erwerb. In: Eichinger,
Ludwig M. / Eroms, Hans-Werner [Hrsg.] (1994): Dependenz und Valenz. Hamburg:
Buske
Welke, Klaus (1994): Valenz und Satzmodelle. In: Thielemann, Werner, Welke, Klaus
(Hrsg.), Valenztheorie - Werden und Wirkung, Nodus, Münster 1994, S. 227-244
Welke, Klaus M. (1988): Einführung in die Valenz- und Kasustheorie. Leipzig:
Bibliographisches Institut
Maik Walter: Linguistisches Hintergrundwissen für DaF (Grammatik) WS 04/05 PS FU Berlin
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Als Begründer gilt Lucien Tesnière (1893-1954).
Tesnière, Lucien (1980): Grundzüge der
strukturalen Syntax. Hrsg. und übersetzt von Ulrich
Engel. Klett-Cotta Stuttgart (Französische
Originalausgabe 1959)
Ausgangspunkt dieser Theorie ist die zentrale
Stellung des Verbs im Satz. Das Verb konstituiert
den Satz.
Wenn ein Verb die Szene betritt, benötigt es dazu
notwendigerweise die Aktanten (Ergänzungen) und
(nicht notwendigerweise) bestimmte Circumstanten
(Angaben).
Dieser Gedanke ist eines der zentralen Konzepte der Dependenzgrammatik: die
Valenz.
"…Denken Sie sich ein A, das mit einem B innig verbunden ist, durch viele Mittel und durch
manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich eben so zu einem D
verhält; bringen Sie nun die beiden Paare in Berührung: A wird sich zu D, C zu B werfen, ohne
dass man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem andern zuerst wieder verbunden habe…"
Johann W. Goethe: Die Wahlverwandtschaften, 1.Teil, 4.Kapitel 1809
Maik Walter: Linguistisches Hintergrundwissen für DaF (Grammatik) WS 04/05 PS FU Berlin
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Valenzstrukturen im Deutschen (nach Klaus Welke):
nullwertig
(es regnet)
einwertig
zweiwertig
dreiwertig
(der Senat schläft)
(die Politiker verlieren ihre Wähler)
(die Studierenden geben dem Senat eine letzte Frist)
vierwertig
fünfwertig
(Emil wirft Egon das Buch an den Kopf)
(er fährt die Pappe von Berlin über Parchim nach Rostock)
obligatorische Valenz
Er verzehrt ein Brötchen
(Test: *Er verzehrt.)
fakultative Valenz
Er isst ein Brötchen
(Test: Er isst.)
Valenzveränderung
Die Valenz kann reduziert oder aber erweitert werden, wie das folgende literarische
Beispiel zeigt:
„…In meinem Bett hab ich bestimmt schon mehr als 1058 Tonnen Weltall
hingeträumt, denn ich wohn schon lange hier. Wohnen ist eine sonderbare
Tätigkeit. Man wohnt und wohnt und merkt es nicht. Wohnen ist juristisch
das, was biologisch atmen ist, obgleich man seinen Atem doch manchmal
zur Kenntnis nimmt, wenn man sich verschluckt oder nach der Bahn rennt.
Wohnen müsste ein Geräusch machen, knacken oder leise singen, damit
es als Aktion bemerkbar würde. Man kann auch nicht ausschließlich
wohnen, man raucht, schläft oder steht dabei. Ich würde gern mal
versuchen, eine Minute lang nur zu wohnen, das wäre eine wunderbare
Meditation. Wohn, wohn, wohn. Man müsste intensiver wohnen. Schließlich
ist das ein Grundrecht, das der gütige Staat mir gewährt. Jrundrecht, ick
jenieße dir. Der Genuß von Grundrechten führt leider rasch zu
Ermüdungserscheinungen, eine Erkenntnis, die die Väter und Mütter der
Demokratie wohl gründlich verdrösse…"
Diese Valenzstrukturen bilden die Grundlage von Satzbauplänen ( Welke (1994)).
Die Aktanten werden in der Standardfassung gleich behandelt: Subjekte und Objekte
haben als Aktanten also den gleichen Status.
(Goldt, Max: Zehn hoch achtundfünfzig.
In: Goldt, M.: Die Radiotrinkerin. Zürich: Haffmans Verlag 1991, S.23)
Grundbegriffe: Stemma, Dependens, Regens, Nukleus
(1) Max Goldt wohnt in Berlin.
(2) "Ich wohn schon lange hier."
(3) *Max wohnt schon lang.
(4) Max wohnt hier.
(1)
(5) *Max wohnt.
(6) ??"Man wohnt und wohnt und merkt es nicht."
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Valenzreduktionen gehen einher mit Uminterpretationen
(wohnen: Zustand Handlung)
IKEA: Wohnst du noch, oder lebst du schon?
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