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Geschäfte mit dem wiederkehrenden Herrn
Das »Jesus redivivus«-Motiv als literarischer Bestseller
Von: Elisabeth Hurth, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 11 / 2010
Bereits in der frühen Christenheit waren Phantasien der Wiederkunft Jesu Indikatoren einer politisch und religiös aufgeladenen
Katastrophenstimmung. Heute ist das nicht anders, wenngleich die Figur des wiederkehrenden Christus zugleich als
medienträchtiges Spektakel vermarktet wird und die Kassen der Verlage trivialer Literatur klingeln lässt.
Als um 150 n.Chr. die urchristliche Naherwartung verstärkt aufflammt, schlägt die Stunde der Endzeitprediger. So behauptet
ein Bischof in der Landschaft Pontus, dass ihm die Zukunft offenbart worden sei und sich die Gemeinde auf das nahe
Weltgericht einzustellen habe, das noch "binnen Jahresfrist" kommen werde.(1) Die Weissagung des Bischofs, vor allem die
Vorhersage des Zeitpunkts des Weltgerichts, hat für die Gemeinde weit reichende Folgen, die auch aus zahlreichen
Beispielen der Neuzeit bekannt sind. Die Gemeindemitglieder trennen sich - kopflos und in Panik - von ihren Besitztümern,
bestellen ihre Äcker nicht mehr und erwarten voller Angst, gleichsam erstarrt den jüngsten Tag.
Einer Gemeinde in Syrien ergeht es nicht besser. Auch hier trennen sich die Gemeindemitglieder von Hab und Gut, nachdem
ihnen von ihrem Bischof der unmittelbar bevorstehende "Tag des Herrn" geweissagt worden ist (vgl. 1. Thess. 5,2). Der
Bischof sagt nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch den Ort der Wiederkunft Christi voraus und zieht mit der Gemeinde in die
Wüste, dem wiederkehrenden Christus entgegen. Doch der genaue Ort der Wiederkunft ist nicht auffindbar, die Gemeinde
und mit ihr der Bischof verirren sich hoffnungslos und entkommen nur durch einen glücklichen Zufall dem Hungertod.(2)
Die Zukunft des Gekommenen
In diesen Wiederkunftserwartungen zeigen sich Zerrformen und Verfälschungen der biblischen Parusieaussagen, die nicht
weit von dem entfernt sind, was viele heute vom "Ende" erwarten und befürchten. So wird bei manchen modernen
Jugendsekten die Rettung aus einer vergehenden Welt zum eigentlichen Anlass für den "Zusammenschluss mit den zukünftig
Geretteten".(3) Frömmigkeit und Religionsausübung richten sich dabei letztlich nach dem egoistischen Interesse, vom
Untergang und Weltgericht "verschont" zu bleiben. Aus der biblischen Hoffnungsbotschaft wird eine Drohbotschaft, die eine
Religiosität befördert, deren Antrieb die Angst ist.
Auf den ersten Blick spielen die ntl. Parusieaussagen einer solchen Deutung in die Hände. Nach biblischem Zeugnis gehen
der Parusie dramatische Entwicklungen und Ereignisse voraus, die eine düstere, angstbesetzte Prognose für die
geschichtliche Zukunft nahe zu legen scheinen: Kriege, Hungersnöte und Erdbeben werden die Welt heimsuchen (Mk.
13,7-8). Mehr noch: Das Kommen des Menschensohns ist von einem völligen Zusammenbruch des Weltbestands und der
kosmischen Ordnung begleitet: "Die Sonne wird sich verfinstern, der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom
Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden" (Mt. 24,29). Diese "Erschütterungen" gehen weit über
eine globale Katastrophe hinaus: Der Himmel wird im Feuer vergehen, die Elemente werden vor Hitze zerschmelzen (2. Petr.
3,12).
Doch die biblische Botschaft von den Endzeitereignissen, die mit dem "Tag des Herrn" verbunden sind, bleibt nicht bei der
Vorhersage eines kosmischen "Infernos" stehen. Die Endkatastrophe wird nicht um ihrer selbst willen erzählt, wie dies heute
so mancher Untergangsfilm im Stil von Roland Emmerichs "2012" versucht. Diese Welt "vergeht" vielmehr, damit eine "neue",
erlöste Welt werde (Offb. 21,1.5). Das "Ende" bedeutet somit nicht einfach Zerstörung und Untergang. Alles, was auf den
Menschen zukommt, alles, was ihm widerfährt, ist bezogen auf das anbrechende Heil in Christus. So heißt es bei Lk.: "Wenn
all das beginnt" - "das Toben und Donnern des Meeres", die "Erschütterung" der "Kräfte des Himmels" - , "dann richtet euch
auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe" (Lk. 21,25-28).
Die biblischen Aussagen über das Weltende haben kein selbständiges Interesse am Ende "an sich"; sie sind nicht in einer
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pessimistischen Weltuntergangsstimmung begründet. Das Leben auf den "Tag des Herrn" auszurichten, heißt im Geist des
Vertrauens und der Hoffnung auf die nahe "Erlösung", die "Verwandlung" hin zu leben - und nicht in ängstlicher Erwartung
des Endes zu erstarren (Lk. 25,28; 1. Kor. 15,52). Die Zukunft, das, was auf den Menschen zukommt, ist nicht das, was die
Gegenwart "abbricht" oder beendet. Die Gegenwart ist jetzt schon geprägt von der Zukunft Gottes und seines Heils (2. Kor.
6,2). In eschatologischer Perspektive geht es also nicht primär darum, diese Welt umzugestalten, weiterzuentwickeln oder gar
zu perfektionieren, um ihr so eine Zukunft zu geben, entscheidend ist vielmehr die "Zukunft des Gekommenen". Von hier aus
gilt: Nicht in der Zukunft der Welt "kommt" es zur Wiederkunft Jesu Christi, sondern weil Jesus Christus kommt, "bekommt" die
Welt Zukunft.(4)
Der Tag des Herrn
Der "Tag des Herrn" soll uns offen und bereit dafür machen, uns von dem kommenden Herrn ergreifen zu lassen und auf ihn
zu vertrauen, ohne ihn dabei begreifen und "besitzen" zu wollen. Der Bischof, der seine Gemeinde in die Wüste führt - dem
wiederkommenden Herrn entgegen und weg vom Alltag, in dem die Gegenwart Christi aufscheint - , führt seine Schützlinge
im wahrsten Sinne des Wortes in die Irre. Gerade weil er das das zweite Kommen des Herrn an einem bestimmten Ort
"lokalisiert", verfehlt er ihn. Gerade weil er ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt erwartet, "erscheint" er nicht. Die Wiederkunft
Christi lässt sich nicht auf einen bestimmten "Termin" und "Ort" hin fixieren: "Wenn man zu euch sagt: Dort ist er! Hier ist er!,
so geht nicht hin, und lauft nicht hinterher!" (Lk. 17,23). Über die "Ankunft des Herrn" kann der Mensch nicht verfügen (Jak.
5,8).
Die Wirkungs- und Auslegungsgeschichte der biblischen Parusieaussagen offenbart jedoch, dass man sich dieser "Ankunft",
dieses Kommens des Herrn gleichsam "bemächtigen" will. Das, was nach biblischem Zeugnis unverfügbar ist, wird eine
"Sache" des Menschen. Man versucht, den "Tag des Herrn" zu berechnen und damit in letzter Konsequenz "planbar" zu
machen. Dem entspricht ein veräußerlichtes Verständnis der Wiederkunft, das diese in irdische Verhältnisse projiziert und
primär auf sichtbare Ereignisse und "Zeichen" der Wiederkehr Christi - Katastrophen, Tragödien, Untergangsszenarien fokussiert ist.
Besonders deutlich wird dies bereits in einer prophetischen Bewegung des 2. Jh. n.Chr. Im Jahr 172 tritt der Phrygier
Montanus mit dem Anspruch auf, Sprachrohr und Träger jenes "Geistes der Wahrheit" zu sein, der nach dem Zeugnis des
Johannesevangeliums die künftigen Dinge enthüllen wird (Joh. 15,26; 16,13).(5) Montanus sieht sich als Deuter des Geistes,
aber auch als einen von der Gottheit selbst ergriffenen Propheten - ein "exklusiver" Status, der ihm eine bedingungslos
ergebene Anhängerschaft sichert. Innerhalb kurzer Zeit findet Montanus ekstatische Nachfolger, namentlich die beiden
Prophetinnen Prisc(ill)a und Maximilia, die ebenfalls vorgeben, in letzter Autorität zu handeln und ein "Drittes Evangelium"
verkünden. Dieses Evangelium fällt in eine Zeit, in der eine "Weltuntergangsstimmung" um sich greift und der "Tag des Herrn"
aufgrund sichtbarer "Vorboten" als unmittelbar bevorstehend erwartet wird.(6) Die "Neue Prophetie" des Montanus bedient
diese Wiederkunftserwartungen millenaristisch. Die physisch-irdische Ankunft Christi, so verkündet Montanus, sei nahe: "Ein
neues Jerusalem sei im Begriff, vom Himmel auf die phrygische Erde herniederzufahren und dort die Wohnstatt der Heiligen
zu werden."(7) Als Ort des "neuen Jerusalems" wird das phrygische Pepuza genannt. Hier werde nach dem Abschluss des
Weltlaufs ein irdisches Reich göttlicher Herrschaft anbrechen. Entsprechend sind alle Christen aufgerufen, sich in Pepuza zu
versammeln und dort auf die Wiederkunft Christi zu warten.
Die Antworten des Montanismus auf eine Situation gespannter Naherwartung und grundlegender eschatologischer
Beunruhigung werden für die Folgezeit wegweisend. Der Montanismus ist geradezu ein "kirchengeschichtliches
Musterbeispiel" für Wiederkunftserwartungen, in denen die biblischen Parusieaussagen einseitig in irdische Verhältnisse
"verlegt" werden.(8) Damit einher geht der Versuch einer Endzeitchronologie, der um die Wende vom 2. zum 3. Jh. auch
außerhalb der montanistischen Bewegung verstärkt unternommen wird - zumeist in einer wortwörtlichen Ausdeutung des
Danielbuches. Dem buchstäblichen und zugleich veräußerlichten Verständnis der biblischen Parusieaussagen entspricht im
Montanismus bezeichnenderweise das auch in unserer Zeit auffällige Phänomen, dass der phrygische Prophet sich selbst als
Inkarnation des "Geistes der Wahrheit" sieht. Solche selbsternannten Heilsbringer und Propheten haben besonders dann
Konjunktur, wenn Endzeitstimmungen, Krisenerfahrungen und Untergangsängste sich verstärken. In apokalyptisch geprägten
Zeiten lebt die montanistische Botschaft von dem unmittelbar bevorstehenden äußeren Erscheinen Christi unter anderen
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Formen und Namen weiter - bis in die Gegenwart. So können heute vor allem die prämillenaristischen "Endzeitfahrpläne"
evangelikaler Bestseller-Autoren wie Hal Lindsey als eine moderne Ausprägung des Montanismus der frühen christlichen
Jahrhunderte beschrieben werden.(9)
"Jesus redivivus"
Montanus’ Anspruch, im Besitz der Offenbarungen des "Geistes der Wahrheit" zu sein, ist noch in einer anderen
Hinsicht wegweisend für das Verständnis der Parusie. Montanus verabsolutiert das ekstatische Prophetentum gegen die
kirchliche Hierarchie. Die "Neue Prophetie" ist von hier aus nicht automatisch als eine Protestbewegung gegen das sich
entfaltende kirchliche Amt zu bestimmen, wohl aber als Versuch, die kirchliche Lebensordnung zu erneuern.(10) Für die
weitere Geschichte der Wiederkunftserwartungen ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass im Montanismus dabei
implizit ein Unterschied zwischen der "ursprünglichen" Eschatologie und der kirchlichen Lehre angenommen wird.
Schon Jesus selbst, so berichtet der Evangelist Lukas, scheint von einem frühen Glaubensabfall der Christen auszugehen:
"Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?" (Lk. 18,8). Diese "Differenz" zwischen der
Verkündigung Jesu und der der Urgemeinde wird in der Folgezeit immer häufiger zum ursächlichen "Grund" und Anlass für die
erwartete Wiederkehr Christi. Besonders anschaulich tritt dieses kirchenkritische Motiv in den um 180 n.Chr. verfassten
apokryphen Petrusakten hervor. Im "Martyrium des Petrus" wird beschrieben, wie Petrus auf Drängen der Gemeinde aus Rom
flieht, um die drohende Verfolgung durch den römischen Präfekten Agrippa abzuwenden. Auf der Flucht begegnet Petrus dem
nach Rom gehenden Christus. Dieser sagt zu ihm: "Ich gehe nach Rom hinein, um gekreuzigt zu werden."(11) Der
wiederkehrende Christus wird hier in eine Zeit gestellt, in der er erneut Ablehnung und Verleugnung ausgesetzt ist und so ein
zweites Mal die Kreuzigung auf sich nehmen muss.
Damit sind bereits vor Ende des 2. Jh. zwei Traditionslinien des sog. "Jesus redivivus"-Motivs erkennbar: zum einen die
veräußerlicht vorgestellte Wiederkehr Christi, die mit dem Hereinbrechen des Weltendes (und oft zugleich auch mit der
erhofften Umkehrung aller irdischen Verhältnisse) verbunden wird; zum anderen eine zumeist mit kirchenkritischer Spitze
präsentierte Wiederkunft, in der der wiederkehrende Christus erneut von der Welt verkannt, zurückgewiesen und getötet wird
und ihr so gleichsam einen Spiegel vorhält.
Beiden Traditionslinien liegt ein besonderes Zeitverständnis zugrunde. Man erwartet die Wiederkehr Christi zumeist ganz
"materiell" in der irdischen Welt, in der die Wiederkunft selbst eine Art geschichtliches "Drama" in der linear fortschreitenden
Zeit in Gang setzt. Nach biblischem Zeugnis jedoch kann der "Tag des Herrn", an dem sich das Reich Gottes vollendet, nicht
als letztes Ereignis am Ende der linearen Zeit "vergegenständlicht" werden. Der Anfang, der Tag, an dem Gott Himmel und
Erde schuf, entspricht seinem Kommen am Ende. So wie der Anfang unserer Welt(zeit) nicht mit ihrem Ursprung im ewigen
schöpferischen Handeln Gottes gleichgesetzt werden kann (da Gott die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit geschaffen
hat), so ist auch das Ende der linearen Zeit nicht in eins zu setzen mit dem "Tag des Herrn".(12) Wir können ihn nicht
raumzeitlich sinnlich wahrnehmen oder ihn gar als "Termin" ansetzen. Alles, was wir mit dem "Tag des Herrn" verbinden und
von ihm erwarten, lässt sich nicht auf innerweltliche Kategorien "festnageln", denn an diesem Tag vergeht die Welt mitsamt
der Zeit (Offb. 10,6).
Von hier aus erschließt sich die eigentliche Bedeutung der Parusie: Sie beinhaltet gerade nicht, dass Jesus ein zweites Mal in
unserer irdischen Raum-Zeitlichkeit erscheint. Es geht bei der Parusie vielmehr um die Aufnahme, das Aufgehen aller Zeit in
der Ewigkeit Gottes - ein "Geschehen", das sich verborgen bereits in der Auferstehung Jesu Christi "erfüllt" hat und am "Tag
des Herrn" in vollendeter Herrlichkeit offenbar wird (Gal. 4,4). Das vollendete Kommen Jesu Christi am "Ende der Zeiten" kann
also nicht nach den Maßstäben unserer irdischen Zeit bestimmt werden (1. Kor. 10,11). "Nur im Durchgang", so Medard Kehl,
"durch die radikale Verwandlung alles Irdischen in unserem Tod und in unserem Aufgenommenwerden bei Christus wird uns
die Erkenntnisfähigkeit für die unverborgene Herrlichkeit Gottes im wiederkommenden Jesus Christus zuteil, vorher nicht" (vgl.
1. Kor. 15,26.35-50).(13) Der "Tag des Herrn" verweist den Menschen somit an eine Grenze, die man in Zeiten, in denen der
heilsgeschichtliche Ansatz des Christentums fragwürdig geworden ist, nur allzu gern aufsprengen möchte.
Sehr deutlich wird dies in der literarischen "Jesus redivivus"-Tradition, die "seismographisch" die unterschiedlichen
Annäherungen und Erwartungen an die Wiederkehr Christi spiegelt. Dabei zeigt sich eine zunehmende Enteschatologisierung
und Entsoteriologisierung, die auch in Dostojewskijs literaturgeschichtlich bedeutsamer Großinquisitor-Legende (1880), in der
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bezeichnenderweise die Frage nach der Gültigkeit der Lehre des wiederkehrenden Christus offen bleibt, eindeutig zu
erkennen ist. Diese Entwicklung gipfelt schließlich in jener modernen literarischen Ausgestaltung des "Jesus redivivus"-Motivs,
bei der - s. etwa John F. Cases Thriller Das erste der sieben Siegel (Bergisch Gladbach 2001) - die biblische Heilszusage
eines endzeitlich sich vollendenden Gottesreiches nicht mehr in den Blick kommt.
Die unterschiedlichen literarischen Ausgestaltungen des "Jesus redivivus"-Motivs eint ein Leitthema. Mit den literarischen
Annäherungen an die Wiederkehr Christi wird vor allem versucht, die gegenwärtige Welt und ihre Verhältnisse kritisch in den
Blick zu nehmen und zu verhaltenskorrigierenden Konsequenzen aufzurufen. So ist die Überzeugung der ersten Christen,
dass angesichts des nahenden "Tag des Herrn" jetzt das zu tun ist, "worauf es ankommt", auch in unserer Zeit anzutreffen aber unter anderen Vorzeichen (Phil. 1,10). Ein Blick auf die aktuellen Bestsellerlisten zeigt, dass heute vor allem
Romanautoren erfolgreich sind, die Krisensituationen und apokalyptische Szenarien aufgreifen, diese als untrügliche
"Vorboten" der nahen Wiederkunft Christi deuten und von hier aus Handlungsanweisungen geben. So ist es in den USA den
Erfolgsautoren Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins gelungen, mit ihrer Finale-Romanreihe (die in Talkshows, (TV)-Predigten und
Sachbüchern massenmedial popularisiert wird) tatsächlich alltagsprägende und ver­haltens­ändernde "Effekte" zu
erzielen. Gerade in der literarischen Populärkultur taucht so die normative und zugleich pragmatische Ausrichtung des "Jesus
redivivus"-Motivs der frühchristlichen Jahrhunderte wieder auf. Wenn, wie Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins verkünden, die
Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht und damit das "Finale" der Welt eingeleitet ist, gilt es, entsprechend und
angemessen zu handeln.(14)
Die Wiederkunft als "Event"
Dass das "Jesus redivivus"-Motiv heute ein Modethema der literarischen Populärkultur ist, weist aber noch auf eine ganz
andere Entwicklung hin: In dem Maße, in dem das Triviale zunehmend zu vielfältigen Erfahrungsräumen des Religiösen
avanciert ist, wird auch die Wiederkehr Christi zu einem unterhaltsamen "Event", bei dem die Eschatologie von
apokalyptischen Endzeitszenarien überlagert wird. Konkret heißt das: In Thrillern wie Martinez Hewletts Das Blut Gottes
(München 2002) geht es weniger um die Wiederkehr Christi an sich, als vielmehr darum, den Leser mit dem drohenden
"Ende", dem Finale der Welt zu unterhalten und ihm dabei zugleich die Gewissheit zu vermitteln, dass es zu einem solchen
Ende eben nicht kommen wird, wenn wir jetzt selbst eingreifen. Damit spiegelt die literarische "Jesus redivivus"-Tradition
letztlich auch grundlegende gesellschaftliche und religiöse Veränderungsprozesse: Die der menschlichen Verfügung
entzogene Wiederkehr Christi, sein vollendetes Kommen, wird zu einer innerweltlichen "Angelegenheit", bei der die
"Vollendung" nunmehr in der Verfügungsgewalt des Menschen liegt.
Diese Entwicklung ist vor allen an zwei Formen des "Jesus redivivus"-Romans ablesbar. Auf dem amerikanischen Buchmarkt
boomen seit Jahren Thriller, die im Stil von James BeauSeigneurs Das Jesus-Gen (Asslar 2003) detailliert beschreiben, wie
der wiederkehrende Christus geklont wird - ein Ereignis, das Autoren wie Lynn Sholes und Joe Moore bezeichnenderweise
(und zugleich leserlockend) als "Blasphemie" brandmarken. Der besagte Blasphemie-Roman (Berlin 2006) entlarvt denn auch
die Allmachtsphantasien von Wissenschaftlern, die mit Hilfe eines Jesus-Klons lediglich selbstsüchtige Ziele verfolgen. So
zählt sich im Roman der "falsche Prophet" Charles Sinclair zu den Auserwählten, zu den "Reinsten", die "die wichtigste Reise
in der Geschichte antreten - die Reise, die ... zur Wiederkunft Jesu Christi, des Lamm Gottes, führt" (341, 377). Dieser
"falsche Prophet" erweist sich - in der von Sholes und Moore vorgenommenen wortwörtlichen Ausdeutung der
Johannesoffenbarung - als Wegbereiter des Antichristen, der sich die Rolle des wiederkehrenden Christus selbst anmaßt
und die "Wiederkehr" rein gentechnisch herbeiführen will. Der menschliche Versuch der "Machbarkeit", der Herrschaft über
das Unverfügbare wird so auf die Spitze getrieben.
In die Kategorie solcher Deutungen der Wiederkehr Christi gehört auch Glenn Meades Thriller Der zweite Messias (Köln
2010), in dem der zum Papst gewählte Kardinal John Becket "zum Armageddon antreten" muss, "dem finalen Kampf zwischen
Gut und Böse" (21). Der von vielen Menschen als "zweiter Messias" verehrte Becket will die verweltlichte, korrupte Kirche zu
ihrem eigentlichen Auftrag zurückführen und tritt dabei selbst als Erlösergestalt mit heilsgeschichtlicher Bedeutung auf.
Becket, so suggeriert Meades Thriller, leitet eine neue Heilszeit ein, in der jeder, der an der irdischen Verwirklichung des
Gottesreiches mitarbeitet, selbst der "zurückgekehrte Jesus" ist (534). Das Reich Gottes, das Gott am "Ende der Zeit"
vollendet, wird nunmehr - vollkommen ent­escha­to­lo­gisiert - allein vom Menschen geschaffen (1. Petr.
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Dazu fügt sich eine weitere Spielart des "Jesus redivivus"-Romans, in dem Weltuntergangsszenarien heraufbeschworen
werden, die von religiös aufgeladenen Rettergestalten (noch einmal) abgewendet werden können. Hierher gehören auch die
überaus erfolgreichen Romane zu Filmen wie "Armageddon", in dem ein messianischer Superheld die Welt vor dem
drohenden, alles vernichtenden Einschlag eines Asteroiden bewahrt. Der nicht zuletzt auch massenmedial vorangetriebene
Hype um solche Superhelden macht noch einmal deutlich, wie sehr das, was man einst von einem endzeitlich vorgestellten
Weltenrichter und Erlöser erwartete und erhoffte, zu einer rein innerweltlichen Kategorie geworden ist.
Mehr noch: An Romanen wie Thomas F. Monteleones Das Blut des Lamms (Erftstadt 2005), der den "geklonten"
wiederkehrenden Christus vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Heilssehnsüchte "auftreten" lässt, zeigt sich auch die
veränderte Bedeutung von Religion in unserer Zeit. Das, was die heutige "Gottessehnsucht" (Paul M. Zulehner) auszeichnet,
gilt auch für die Wiederkunftserwartungen der Gegenwart: Man sucht letztlich nicht Gott selbst und schon gar nicht ein
personal verstandenes Gegenüber, sondern in erster Linie nur das, was Gott für einen tun kann. So wie man hier das
Religiöse funktional "abruft", wird auch das zweite Kommen Christi gleichsam zu einem "Index" menschlicher Wünsche und
Projektionen.
Diese projektive Deutung zeigt sich in der deutschen Romanliteratur vor allem in Ricarda Huchs Groteske Der wiederkehrende
Christus (Leipzig 1926). Huch thematisiert eine neue Möglichkeit des Scheiterns der Wiederkunft: Der wiederkehrende
Christus wird Opfer einer Erlösersucht, die Messiasgestalten für weltliche und kirchenpolitische Interessen vereinnahmt. Erwin
Wickerts historischer Roman Zappas oder die Wiederkehr des Herrn (Stuttgart 1995) zeigt ganz ähnlich, wie in einer von der
paulinischen Missionspredigt geprägten Zeit der wiederkehrende Christus verstoßen und schließlich gesteinigt wird, weil er
den Interessen der Repräsentanten kirchlicher Macht, die sich Jesus als eine "Kunstfigur" zurechtgelegt haben, nicht
entspricht (123).
Die "Geschäftemacherei" mit dem wiederkehrenden Christus ist in Huchs Groteske ein Erfolgsmodell für all jene, die mit der
eigentlichen Botschaft Christi nichts mehr anzufangen wissen. Wie vor diesem Hintergrund die Wiederkehr Christi in der
heutigen Mediengesellschaft "stattfindet", zeigen aktuelle Thriller wie Paul L. Maiers Die Wiederkunft (Witten 2009) und Ralf
Isaus Messias (München 2009). Solche Thriller führen anschaulich und nicht zuletzt auch unterhaltsam vor, wie erfolgreich
man die Wiederkehr Christi als profitträchtiges Medienspektakel vermarkten kann. "Die Verbindung von Geschäft und Glauben
ist so alt wie die Religion", so "verkündet" ein frömmelnder und sensationslüsterner TV-Magnat in Isaus Thriller (70). Kaum ist
Jesus vom Kreuz gestiegen, heften sich denn auch umgehend Fernsehteams an seine Fersen und schlachten das "Wunder"
der Wiederkehr Christi skrupellos aus. Was folgt, ist unter anderem ein rasanter Plot um eine von diesem "Wunder" initiierte
Frömmigkeitsindustrie, die von der massenmedial geprägten Allianz von Glaube und Kommerz befördert wird.
Wenn Jesus heute wiederkäme, so mutmaßt Arnold Stadler in seinem Roman Salvatore (Frankfurt/M. 2008), dann wäre sein
"Publikum" ein "Fernsehpublikum" und der "durchschnittliche Mensch, mit dem er es zu tun hätte, wäre ... der saturierte
Verbraucher" (153). Dieser Verbraucher aber, so Stadler, will nicht bekehrt oder gar belehrt werden, er sucht vielmehr
Unterhaltung und Spaß. Die Fernsehprediger, die in Maiers Thriller in allen TV-Kanälen und im Internet auftreten, eignen sich
den wiederkehrenden Christus nach diesen Verbraucher-Mediengesetzen an. In der schönen, neuen digitalen Bilderwelt muss
sich in Maiers Thriller aber auch der wiederkehrende Christus selbst medienöffentlich und vor allem mediengerecht verhalten.
Entsprechend kündet er seine Wiederkunft mittels einer weltweit ver­sen­deten Internetbotschaft an und vertraut für
seine "Wundertaten" auf ausgeklügelte computergestützte Verfahren.
So "entrückt" dieser wiederkehrende Christus im digitalen Gewand auch wirken mag, so konkret und "prompt" erfüllt er die
Heilssehnsüchte von Medien-Menschen, deren Leben von immer neuen Untergangsszenarien eben dieser Medien bestimmt
ist. Die Romanliteratur offenbart an dieser Stelle: In einer von diffusen Untergangsängsten geprägten Zeit sind Menschen für
wiederkehrende Christusgestalten empfänglich, die sich als Erlöser "zum Anfassen" präsentieren und doch zugleich durch ihre
(prompten) Wundertaten mit der Aura des Überirdischen "versehen" sind. So geht es in Maiers Thriller letztlich nicht darum,
dass man den wiederkehrenden Christus als endzeitlichen Richter und Erlöser erwartet, sondern vielmehr darum, dass man
unerfüllte religiöse Sehnsüchte und Träume in diese Gestalt hineinlegt. Dabei wird das, was nach biblischem Zeugnis
Verheißung "am Ende der Zeiten" ist, ganz "real" in der Zeit "umgesetzt", so dass sich jeder Einzelne "seinen" Jesus nach
eigenem Bild schaffen kann.
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Anmerkungen:
1 Hans Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche. Bd. 2. Berlin 19532, 198. Zum Folgenden vgl. ebd., 197-198.
2 Vgl. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, 198.
3 Hans-Werner Schroeder, Von der Wiederkunft Christi heute. Verheißung und Erfüllung. Stuttgart 1991, 21. Vgl. auch
Friederike Valentin, Das Ende ist nahe. Naherwartung und Parusieverzögerung bei Sekten und religiösen Sondergruppen. In:
Hans Gasper/Friederike Valentin (Hrsg.), Endzeitfieber. Apokalyptiker, Untergangspropheten, Endzeitsekten. Freiburg 1997,
47-50.
4 Vgl. Georg Plasger, Recht und Grenze apokalyptischer Rede. Eschatologie und Apokalyptik in systematisch-theologischer
Perspektive. In: Bernd U. Schipper/Georg Plasger (Hrsg.), Apokalyptik und kein Ende? Göttingen 2007, 158. Vgl. auch Walter
Kreck, Die Zukunft des Gekommenen. Grundprobleme der Eschatologie. München 1961, 87-88.
5 Vgl. Wilhelm Schepelern, Der Montanismus und die phrygischen Kulte. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung. Tübingen
1982, 11.
6 Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, 198. Vgl. auch Norman Cohn, Die Sehnsucht nach dem Millennium. Apokalyptiker,
Chiliasten und Propheten im Mittelalter. Freiburg 1998, 22-23.
7 Cohn, Die Sehnsucht nach dem Millennium, 22. Vgl. auch Schepelern, Der Montanismus, 10; 29.
8 Schroeder, Von der Wiederkunft Christi heute, 12.
9 Vgl. Emil Bock, Das Evangelium. Betrachtungen zum Neuen Testament. Stuttgart 1984, 351-352. Vgl. auch Lietzmann,
Geschichte der Alten Kirche, 205, und Hal Lindsey, Alter Planet Erde - wohin? Wetzlar 19725.
10 Vgl. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, 199-200.
11 Alfred Schindler (Hrsg.), Apokryphen zum Alten und Neuen Testament. Zürich 1993, 643.
12 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse. Frankfurt/M. 1987, 625-627. Vgl. auch Helmut Lamparter, Die Hoffnung der Christen. Das
Ende der Welt und die Wiederkunft Christi. Metzingen 1992, 53-54.
13 Medard Kehl, "Siehe, ich komme bald!" Zur christlichen Deutung der Apokalyptik. In: Gasper/Valentin (Hrsg.),
Endzeitfieber, 229.
14 Vgl. Tim LaHaye/Jerry B. Jenkins, Weil jeder Tag zählt. Andachten zur Wiederkunft Jesu. Asslar 2003.
Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V
Langgasse 54
67105 Schifferstadt
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