Carlo Domeniconi — Verselbständigte Energiefelder Farbintensive

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Carlo Domeniconi — Verselbständigte Energiefelder Farbintensive
Carlo Domeniconi — Verselbständigte Energiefelder
Farbintensive Gemälde von Streifen und Gitterstrukturen charakterisieren seit
anfangs 2006 die neue Werkphase des Schaffhauser Künstlers Carlo Domeniconi (geboren
1951). Die Strukturen setzen sich aus horizontalen und vertikalen Streifen oder Stäben von
unterschiedlicher Breite zusammen und scheinen weit über das Bildgeviert hinauszureichen.
Die Linien der meist dicht angelegten Gitterstrukturen sind präzise konturiert und
bilden gerüstähnliche Konfigurationen. Wenn die Gitter hintereinander geschichtet sind,
werden räumliche Durchblicke freigegeben. Solche Konstellationen können leicht als
Architekturstrukturen gedeutet werden, die dekonstruiert und als disparate Elemente
wieder zusammengefügt sind. Bald sind die Linien zu einem Netz gefügt, dann scheint die
Bildoberfläche im gedrängten Widerspiel der Horizontalen und Vertikalen zu einem
vibrierenden, mal rot, mal blau, mal grün schimmerndem Gewebe verdichtet, bald bedecken
breite, unscharf begrenzte Streifen in den überwiegenden Farbtönen blau, orange-rot und
grün den Vordergrund und verschliessen sich wie ein Vorhang dem Blick des Neugierigen.
Ein anderes Mal geben Streifen von unterschiedlicher Breite den Blick in einen Hintergrund
aus feinen Netzen frei. Zuweilen können die Streifen geschwungen sein und sich zu sich
ineinander verschlingenden Schleifen formieren.
Im Gewirr von Gehirnströmen
Die streifenartigen Konfigurationen von Carlo Domeniconi können als folgerichtige
Entwicklung der figurativen Arbeiten angesehen werden, in denen er sich insbesondere mit
der menschlichen Figur, mit Frauenakten, Köpfen und Pflanzen auseinandergesetzt hat.
Angelegt waren die Streifenbilder eigentlich schon in Werken wie in dem Triptychon „Die
Elemente“, 1988, in „Tanz und Kampf“, 1987, „Der Reigen“, 1987, „Mäander“, 1980, „Im
Park“, 1993 oder in der Serie der „Seelenfelder“ von 1998. Ein unmittelbarer
Zusammenhang ist zum Beispiel in der Kohlzeichnung „Ceci n’est pas une pipe“, 1995, eine
erotisch aufgeladene Zeichnung, auszumachen. Sie zeigt einen Mann und eine Frau, die durch
ein dichtes Geflecht aus einer schwarzen verschlungenen Linie oder einem Seil miteinander
verbandelt sind. Eine endlos lange Linie scheint aus dem Mund der Frau heraus zu wachsen
und in den Penis des Mannes zu münden. Fraglos eine symbiotische Bindung, die Domeniconi
hier zwischen Mann und Frau visualisiert. Von hier über die beiden gleichnamigen
Kohlezeichnungen „Encephalo“ von 1995 und von 1997 oder der Werkgruppe der „Liegenden
Gedanken“, 2000, die gewissermassen Gehirnströme aufzeichnen, bis zu den aktuellen
Streifenbildern hat Domeniconi einen konsequenten Weg der sukzessiven Abstraktion
verfolgt.
Endloser Bildprozess
Mit den Streifen- und Gitterstrukturen greift Carlo Domeniconi ein relativ begrenztes
Repertoire visueller Zeichen aus der Konkreten Kunst und der Neueren monochromen
Malerei, dem so genannten Radical Painting, auf. Dabei interessiert er sich besonders für die
„Glaze Paintings“ von Marcia Hafif (geboren 1929 in Pomona, Kalifornien) und bewundert
aber auch das Oeuvre von Jean Pfaff (geboren 1945 in Basel). In formaler Hinsicht sind etwa
Verwandtschaften mit den Arbeiten von Eberhard Ross (geboren 1959 in Krefeld)
auszumachen. Auch die Liniengeflechte und Gitterstrukturen seiner Arbeiten überziehen das
Bildgeviert und breiten sich ohne konkretes Konstruktionsmuster, ohne ersichtlichen Anfang
und Ende auf der Bildoberfläche aus. Die Strukturen in Eberhard Ross' Arbeiten wirken wie
gewachsen und aus dem Prozess des Schaffens selbst entwickelt. Dabei tendieren sie, sich
über die Begrenzung des Malgrundes hinaus ins Unendliche auszudehnen. Diesen Eindruck
vermitteln oft auch die sich überschneidenden Linien in Albrecht Schniders (geboren 1958,
Luzern) Zeichnungen und Acryllackbildern. Ausgehend vom Gegenstand enden sie zuweilen in
Bilder, in denen sich präzise definierte, rohrähnliche Geraden erstrecken oder sich
überkreuzende Linien zu einem untrennbaren Geflecht verdichten. Domeniconis
gewebeartige Bilder weisen zudem Ähnlichkeiten mit Beat Zoderers (geboren 1955 in
Zürich) leuchtend farbigen Gitterrasterbildern und seriellen Schichtungen auf, insofern auch
als beide Künstler nicht an der strengen, reinen Lehre autonomer Kunstentwürfe
interessiert sind.
An den abstrakten Gemälden liebt Carlo Domeniconi das Nonfinite des Prozesses,
wobei er sich auf die Grundfarben Rot, Gelb und Blau, sowie auf Weiss und Schwarz
beschränkt. Indem er Dutzende von verschiedenfarbigen Horizontalen und Vertikalen
übereinander aufträgt, sich in diesem Prozess immer mehr der Wirkung der Farben
überlässt, resultieren daraus spannungsvolle Kompositionen. Domeniconis Streifenbilder und
Gitterstrukturen reflektieren so vollkommen verselbständigte Energiefelder, welche durch
Gedanken, Gefühle und Projektionen erzeugt worden sind und fassen das Unbeschreibbare,
Unfassbare der menschlichen Existenz in vielfältig deutbaren Metaphern.
Biographie
Der 1951 in Schaffhausen geborene Carlo Domeniconi hat 1988 den Manor-Kunstpreis und
1997 den Georg-Fischer-Kunstpreis erhalten. In zahlreichen Ausstellungen in der Schweiz,
Deutschland, Österreich, Spanien, Frankreich, Italien und den USA wurden seine Arbeiten
gezeigt. Sein umfangreiches Werk umfasst Malerei, Grafik, Zeichnungen, Plastik und Objekte.
Dr. Dominique von Burg
10.10.2007

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