Wissenschaftliche Hausarbeit The Marginal God. Potentiale und
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Wissenschaftliche Hausarbeit The Marginal God. Potentiale und
Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Dezernat 2 Personal Referat Personalförderung und Hochschulwesen z. Hd. OKR Jens Böhm Wissenschaftliche Hausarbeit The Marginal God. Potentiale und Grenzen des postkolonialen Gottesbildes der Theologin Marcella Althaus-Reid Eingereicht von: Sabine Jarosch Gr. Mönchenstr. 5 18055 Rostock sabine-jarosch[at]gmx.de http://www.deutungsmacht.uni-rostock.de/index.php?id=jarosch Eingereicht bei: Prof. Dr. Heike Walz Missions-, Religionswissenschaft und Ökumenik Eingereicht am: 30. April 2013 Zuletzt bearbeitet am: 08. September 2014 do outro lado do outro lado da montanha um deus escondido menor do que eu do outro lado da montanha um deus agoniza mais fraco que eu do outro lado da montanha um deus ressuscita mulher como eu. Auf der anderen Seite auf der anderen Seite ein versteckter Gott kleiner als ich auf der anderen Seite ein sterbender Gott schwächer als ich auf der anderen Seite ein Gott der aufsteht als Frau wie ich Nancy Cardoso Pereira (Übersetzung: Bärbel Fünfsinn) 2|Seite Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................................................................................. 4 1. Leben und Werk Marcella Althaus-Reids ................................................................................. 6 2. The Marginal God. Erste Annäherung .................................................................................... 10 3. Was ist postkoloniale Theorie? ................................................................................................. 13 3.1. Geltung postkolonialer Theorien ..................................................................................... 14 3.2. Referenztheorien und Kritik postkolonialer Studien .................................................... 15 3.3. Themenfelder postkolonialer Theorien ........................................................................... 16 3.3.1. Repräsentation, Subjektposition und Othering ....................................................... 17 3.3.2. Möglichkeiten von Widerstand ................................................................................ 19 3.3.3. Die Kategorie Raum ................................................................................................... 22 3.3.4. Die Kategorie Geschlecht und Sexualität ................................................................ 23 3.3.5. Was fehlt: Die Kategorie Religion ............................................................................ 29 4. Umgekehrt: Zum Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft ........................... 32 5. Systematisierung und Analyse: Das postkoloniale Gottesbild Althaus-Reids .................. 34 6. 5.1. Die marginale Gott jenseits von Othering........................................................................ 34 5.2. Die promiske Gott .............................................................................................................. 37 5.3. Ein Wegwerf-Gott? ............................................................................................................. 40 5.4. Die widerständige, marginale Gott .................................................................................. 43 Potentiale und Grenzen des Marginal God ............................................................................ 44 6.1. Kritik..................................................................................................................................... 46 6.2. Althaus-Reids Art des Theologietreibens ....................................................................... 47 7. Ertrag ............................................................................................................................................ 49 8. Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 51 8.1. Primärquellen...................................................................................................................... 51 8.2. Sekundärquellen ................................................................................................................. 52 3|Seite Einleitung Marcella María Althaus-Reid (1952–2009) war eine streitbare, herausfordernde und oft missverstandene Theologin aus Leidenschaft.1 Ich bin mit ihrer Theologie während eines Studienaufenthaltes in Buenos Aires in Berührung gekommen – an der gleichen Fakultät, an der auch sie studiert hat, dem Instituto Universitario ISEDET. Ich las einige Aufsätze von ihr und fühlte mich verstört, herausgefordert, berührt und fasziniert zugleich. Die Aufsätze „Der göttliche Exodus Gottes“ und „Gnade und Anderssein“, haben mein Interesse für das Verhältnis von postkolonialer Theorie und Theologie geweckt. Meine Auseinandersetzung mit Althaus-Reids Theologie ist davon geleitet, sie einem deutschsprachigen Publikum übersetzen zu wollen. Ich möchte sie verständlich machen, um ihre mitunter radikalen Positionen und Thesen zunächst selber besser verstehen zu können und sie auch anderen zugänglich zu machen. Damit hat meine Arbeit gewissermaßen einen apologetischen Zug. Durch die Infragestellung des Neutralitäts- und Objektivitätsanspruchs der Wissenschaft sehe ich mich allerdings darin bestärkt, mein Anliegen auf diese Weise zu verfolgen (siehe 3.3.5).2 Ich lege das Augenmerk auf postkoloniale Methoden und Inhalte Marcella Althaus-Reids. Es gibt weitere zentrale Aspekte ihrer Theologie, die sich aus der feministischen Befreiungstheologie Lateinamerikas sowie der queeren Theologie und Theorie speisen. Ich habe mich auf die postkolonialen Aspekte konzentriert und möchte anhand von Althaus-Reids Gottesbild zeigen, wie sie postkoloniale Themen und Konzepte in die Theologie auf anregende und zuweilen verstörende, an Grundfesten rüttelnde Weise einbringt. Ich halte das postkoloniale Gottesbild Althaus-Reids für bereichernd – das ist meine These –, da es erstens Grenzen von Inklusion bzw. Repräsentation aufzeigt und eine Alternative dazu präsentiert (5.1.), zweitens weil es zu widerständigem Handeln anregt (5.4.), drittens weil es sowohl die Kategorie Raum und Körper (5.3.) und viertens als auch die Kategorie Geschlecht und Sexualität konstitutiv einbezieht (5.2.). Zu dieser These gelangte ich in einem zirkulären Arbeitsprozess, in dem ich nach 1 Vgl. ISHERWOOD, Lieben, 630. Andreas Feldtkeller hält es für notwendig, die eigene Positionalität in jeder wissenschaftlichen Arbeit zu reflektieren: „Erst wenn die Wissenschaft und die an ihr beteiligten Personen sich selbst mit in den Gegenstand ihrer Untersuchung einbeziehen und sich über ihre eigene Position innerhalb des Versuchsaufbaus Rechenschaft geben, wenn sie also bewusst mit Selbstreferenz rechnen, können sie die dadurch entstehenden Wahrnehmungsverzerrungen so gut wie möglich korrigieren.“ FELDTKELLER, Theologie und Religion, 95. 2 4|Seite den postkolonialen Aspekten in Althaus-Reids Theologie und insbesondere in ihrem Gottesbild fragte und die vorläufigen Ergebnisse in den postkolonialen Theorien wiederzufinden meinte. Die These zu verifizieren, machte deshalb eine systematische Analyse zentraler Themenkomplexe postkolonialer Studien erforderlich (3.). Gleichzeitig erhoffe ich durch die ausführliche Erarbeitung von Themen postkolonialer Studien das Ausmaß und die Radikalität der postkolonialen Anfragen an die Theologie verdeutlichen zu können. Diese Arbeit folgt damit einem deduktiven Vorgehen, auch wenn der Arbeitsprozess eher spiralförmig verlief. Ich analysiere also in dieser Arbeit das postkoloniale Gottesbild Althaus-Reids mit den Konzepten, die die postkolonialen Theorien selbst zur Verfügung stellen. Die postkolonialen Studien als analytischer Referenzrahmen finden ihre Grenze allerdings darin, dass sie die Analyse religiöser Phänomene bisher fast vollständig ausgespart haben (3.3.5.). An dieser Stelle, so behaupte ich, bietet AlthausReids Vorgehen eine entscheidende Weiterentwicklung der postkolonialen Studien, indem sie die Grenze zwischen Theologie und Religionswissenschaft aufhebt (6.). Zugleich ist Althaus-Reids dekonstruktivistischreligionsphänomenologisches Vorgehen zumindest in der hiesigen Theologie ungewöhnlich, weshalb einige Erklärungen zum Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft notwendig sind (4.). Am Anfang dieser Arbeit soll jedoch zunächst in Leben und Werk Althaus-Reids eingeführt (1.) und erste Überlegungen zu ihrem Gottesbild angestellt werden (2.), die von dem Aufsatz „Der göttliche Exodus Gottes“ geleitet sind, von dem auch der Titel dieser Arbeit rührt. Zuletzt sei noch angemerkt, dass ich, um die Rahmenvorgaben dieser Arbeit einzuhalten, am Ende kürzen musste. Die Darstellung postkolonialer Theologien habe ich komplett gestrichen, da sie für den argumentativen Fortschritt der Arbeit entbehrlich schien. Es gibt weitere postkolonialtheologische Entwürfe von Gottesbildern, die mit Althaus-Reids Ansatz zu vergleichen sich lohnen würde.3 Dies übersteigt jedoch die Vorgaben dieser Arbeit. 3 Für besonders vielversprechend halte ich einen Vergleich mit RIVERA, Touch of Transcendence und BEDFORD, Migration bzw. DIES., Gärten. Vgl. zu Bedford WALZ, Interkulturelle Theologie und Geschlecht, 121–123. 5|Seite 1. Leben und Werk Marcella Althaus-Reids Marcella María Althaus-Reid wurde 1952 in Rosario/Argentinien, der Geburtsstadt Ernesto „Che“ Guevaras, geboren.4 Ihre Familie erlebte Phasen des Wohlstands, aber auch große Not, schreibt ihre Freundin, die Theologin Lisa Isherwood.5 Einzelne autobiographische Angaben gibt AlthausReid in ihren Schriften verstreut preis.6 In From Feminist Theology to Indecent Theology erzählt sie aus ihrer Jugend, dass sie und ihre Mutter aus ihrer Unterkunft zwangsgeräumt wurden.7 Mary Hunt betont, dass Menschen, die solche Situationen erleben, in Argentinien selten ein Universitätsstudium beginnen, und noch seltener eine Promotion in Europa absolvieren.8 Althaus-Reid studierte am befreiungstheologisch geprägten Instituto Universitario ISEDET, einer protestantisch-ökumenischen Universität in Buenos Aires, und wollte Pastorin der methodistischen Kirche werden.9 Am ISEDET zählte der bekannte methodistische Befreiungstheologe, Ökumeniker und Menschenrechtler José Míguez Bonino zu ihren Lehrern. Auch war sie Schülerin des katholischen Alttestamentlers und Religionsphänomenologen J. Severino Croatto. Sowohl er als auch die Feministin (und zu jener Zeit einzige Professorin am ISEDET) Beatriz Melano Couch waren stark von Paul Ricœur beeinflusst.10 Dies mag Althaus-Reid bewogen haben, über Ricœur zu promovieren.11 Als Jugendliche und während ihres Studiums war sie nach eigener Auskunft sehr arm trotz der verschiedenen Jobs, die sie gleichzeitig hatte.12 Nach dem Studium arbeitete sie in Schottland in bewusstseinsbildenden Programmen in armen Vierteln auf Grundlage der Befreiungspädagogik Paulo Freires.13 Nachdem sie viele Jahre praktische und systematische Theologie sowie Ethik lehrte, wurde sie 2006 zur ersten Professorin an der University of Edinburgh ernannt, und zwar für Kontextuelle Theologie an der School of Divinity. Isherwood kritisiert scharf, dass sie trotz ihrer 4 Vgl. zu den folgenden biographischen Daten die Nachrufe von ISHERWOOD, Lieben und WALZ, Armut und Sexualität. 5 Vgl. ISHERWOOD, Lieben, 629f. 6 Es wäre im Blick auf Auswirkungen für Althaus-Reids Theologie sicher gewinnbringend, wenn sich jemand die Mühe machte, alle autobiographischen Daten zu sammeln. 7 Vgl. ALTHAUS-REID, From Feminist to Indecent, 74. Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 25. 8 HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 25. 9 Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 18. 10 Couch promovierte bei Ricoeur. Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 19. 11 Der Titel der Arbeit von 1993 lautet: Paul Ricoeur and the Methodology of Liberation. The Hermeneutics of J. Severino Croatto, Juan Luis Segundo and Clodovis Boff. 12 Vgl. ALTHAUS-REID, Indecent Theology, 66.6.26.134.153. 13 Vgl. ALTHAUS-REID, Gnade, 427. 6|Seite bahnbrechenden Theologie die meiste Zeit mit befristeten Lehraufträgen abgespeist wurde. Althaus-Reid weist einen ökumenischen Horizont auf: Sie beschäftigt sich wertschätzend mit katholischer Volksreligiosität und Phänomenen des Synkretismus – einem typischen Thema der argentinischen Befreiungsphilosophie und Religionssoziologie.14 In Schottland lebte sie ihre eigene Spiritualität in der Gemeinschaft der Quäker_innen und in der Metropolitan Community Church.15 Isherwood bezeichnet sie als „Frau des Gebets“.16 Sie war 25 Jahre lang mit Gordon Reid verheiratet, bis sie 2009 im Alter von 56 Jahren starb. Althaus-Reid hinterließ eine beachtenswerte Anzahl an Monographien, Herausgeberinnenschaften und v.a. Aufsätzen. Zu den Monographien zählen Indecent Theology. Theological Perversions in Sex, Gender and Politcs (2000), The Queer God (2003) und From Feminst Theology to Indecent Theology (2004). Das Buch Controversies in Feminist Theology schrieb sie zusammen mit Isherwood. Außerdem war sie Mitglied in der Europäischen Gesellschaft für die theologische Forschung von Frauen (ESWTR) und im feministischen Beratungskreis der Zeitschrift 17 Concilium. Althaus-Reids Theologie ist mit Alltagserfahrungen gespickt und mitunter sehr voraussetzungsreich, was nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich ist. Nicht immer kennzeichnet sie die Quellen, die sie gebraucht. Ich vermute, dass dieses Vorgehen mit ihrer Abneigung gegen traditionelle wissenschaftliche Verfahren der (Befreiungs-)Theologie zusammenhängt, denen sie oft einen kolonialen Hintergrund nachweist.18 Verschiedentlich wurde bemerkt, dass ihre Texte voller Thesen sind, die argumentativ nicht unterfüttert werden.19 Meine Vermutung ist, dass sie es oft nicht für notwendig hielt, sich mit Argumenten aufzuhalten. Vielleicht dachte sie, diese könnten andere liefern. Vielleicht dachte sie auch, dass ihre Thesen einleuchten müssten, sobald mit „theologischer Ernsthaftigkeit“ oder „theologischer Ehrlichkeit“ – wie sie des Öfteren sagt – auch die eigenen Grund14 Vgl. die Werke von Enrique Dussel und dem Religionssoziologen Juan Carlos Scannone, exemplarisch: SCANNONE, Axial Shift, 90 und DERS., Glaubenskommunikation, passim. Vgl. auch MÍGUEZ BONINO, Theologie, 63-66. 15 Vgl. ALTHAUS-REID, Gnade, 427 und HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 24f. 16 ISHERWOOD, Lieben, 631. 17 Vgl. ALTHAUS-REID, Gnade, 427. 18 Vgl. exemplarisch ALTHAUS-REID, From Feminist to Indecent, 75. 19 Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 21. 7|Seite lagen und Überzeugungen einer Hermeneutik des Verdachts unterzogen werden.20 Zugleich gilt, dass dieser Eindruck nicht pauschal auf das gesamte Werk übertragen werden sollte. Zuweilen argumentiert Althaus-Reid sehr wohl.21 Jedenfalls bin ich überzeugt, dass es eigene Verstehensgrundlagen für Althaus-Reids Werk braucht.22 Im Folgenden nenne ich einige ihrer Referenzen, um dann zu erklären, welchen dieser Aspekte ich näher beleuchten will. Um Althaus-Reids Theologietreiben besser nachzuvollziehen, ist es von großem Vorteil, sich mit der Ideologiekritik Louis Althussers zu beschäftigen,23 sowie mit der Ideologiekritik und dem Fetischbegriff von Karl Marx.24 Auch Antonio Gramscis Hegemoniekritik nimmt sie auf.25 Gleichzeitig gebraucht sie häufig poststrukturalistische Konzepte, die von Michel Foucault,26 Jacques Derrida,27 Gilles Deleuze und Félix Guattari inspiriert sind.28 Maßgeblich ist für ihren poststrukturalistischen Zug aber v.a. der dekonstruktivistische, queer-feministische Ansatz Judith Butlers, der den gesellschaftlich konstruierten Charakter auch des biologischen Geschlechts aufgedeckt hat.29 In dem Aufsatz „Gnade und Anderssein“ beschäftigt sie sich mit einem der Vorläufer der postkolonialen Theorien Frantz Fanon.30 An anderem Ort vollzieht sie Überlegungen Gayatri Chakravorty Spivaks nach.31 Auch mit der Befreiungsphilosophie Enrique Dussels ist AlthausReid vertraut.32 Durch Dussel fließen wiederum Einflüsse von Emmanuel Levinas und dessen Konzept des Anderen ein. Dieser Auseinandersetzung mit dem Anderen liegt eine andere Genealogie zugrunde als die postkoloniale. Jedoch gibt es durchaus eine Levinas-Rezeption in postkolonialen Entwürfen, gerade in den lateinamerikanischen.33 Dazu kommen feministische, queere und befreiungstheologische Ansätze, die ihre Theologie entscheidend prägen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem hermeneuti20 Vgl. exemplarisch ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22 und DIES., “Let them talk …!”, 7; DIES., Leine, 217. 21 Vgl. exemplarisch ihren Artikel ALTHAUS-REID, “Let them talk …!”, passim. 22 Solche Verstehensgrundlagen umfassen m.E. auch aktivistisches Wissen, Körper- und Erfahrungswissen, also Wissensformen, die über rein akademisches Wissen hinausreichen (s. 3.3.5.). 23 Vgl. ALTHUSSER, Ideologie und ALTHAUS-REID, Centre, 366.380; DIES., Colonial Decency, 31. 24 Vgl. ALTHAUS-REID, Centre, 368-378 und DIES., Indecent Theology 150f. 25 Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 26 und DIES., Befreiungstheologie, 172. 26 Vgl. ALTHAUS-REID, Centre, 371. 27 Vgl. ALTHAUS-REID, Centre, 379f. 28 Vgl. ALTHAUS-REID, Leine, 215. 29 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 32; DIES., Befreiungstheologie, 170–172 und DIES., Tunten, 88. 30 Vgl. ALTHAUS-REID, Gnade, 427. 31 Vgl. ALTHAUS-REID, Centre, 366–374. 32 Vgl. ALTHAUS-REID, “Let them talk …!”, 10–14. 33 Vgl. RIVERA, Touch of Transcendence, 55–97 und MALDONADO-TORRES, God, passim. 8|Seite schen Zirkel des Verdachts bei Juan Severino Croatto, Juan Luis Segundo und Clodovis Boff, mit denen sie sich eingehend in ihrer Dissertation beschäftigt hat, ist in diesem Zusammenhang von einiger Bedeutung.34 Auch auf die Befreiungspädagogik Freires und die Notwendigkeit, früher oder später von der Rolle der_s Lehrer_in Abschied zu nehmen, rekurriert sie vermehrt.35 Es wäre ungerecht, die Einflüsse feministischer Befreiungstheologinnen nicht zu nennen, obgleich sie diese sehr viel seltener zitiert. Eine wichtige compañera ist Nancy Cardoso Pereira (s. 4.).36 Darüber hinaus macht Althaus-Reid immer wieder Zeugnisse indigener Menschen und kolonisierter Frauen ausfindig.37 Sie durch ihre Texte sprechen zu lassen, scheint mir ein politischer Anspruch von Althaus-Reids akademischem Schaffen zu sein.38 Genauso weist sie immer wieder auf die Situation von Travestis und Transgender hin,39 deren Lebensumstände in Buenos Aires zu den gravierendsten gehören.40 Hunt bemerkt in Althaus-Reids letzten Veröffentlichungen eine zunehmende Auseinandersetzung mit disabilityTheolog_innen, weshalb sie eine Verschiebung von der Beschäftigung mit Sexualität hin zum Körper vermutet.41 Den Ausgangspunkt ihrer Theologie bilden konsequent die Erfahrungen und Widerstandspraxen von Ausgeschlossenen.42 Mir ist in dieser Arbeit besonders wichtig, auf Althaus-Reids (religions)phänomenologische Prägung durch Croatto und Ricœur aufmerksam zu machen. In seiner Definition von Religionsphänomenologie weist Croatto darauf hin, dass religiöse Phänomene stets in ihrem historischen und kulturellen Kontext analysiert werden müssen.43 Althaus-Reid nimmt diesen Ansatz auf und radikalisiert ihn. Hier liegt – so meine These – der Schlüssel dafür, dass Althaus-Reid Religion auf deessentialisierte Weise analysieren kann und dadurch die Trennung von Theologie und Religionswissen- 34 Vgl. SEGUNDO, Liberación de la teología, 14–18 und ALTHAUS-REID, Transgression, 267; DIES., Colonial Decency, 28. Vgl. Anmerkung 11. 35 Vgl. ALTHAUS-REID, Anstößigkeit, 99; DIES., Transgression, 270; DIES., Centre, 378.380; DIES., From Liberation to Indecent, 24. 36 Vgl. ALTHAUS-REID, Introduction, 3 und DIES., “Let them talk …!”, 5. 37 Vgl. ALTHAUS-REID, Anstößigkeit, 96 und ALTHAUS-REID, Centre, 370–372; DIES., “Let them talk …!”, 9f. 38 Vgl. ALTHAUS-REID, Centre, 370. 39 Travestis sind Angehörige des „anderen“ Geschlechts; nicht alle sind transsexuell. Vgl. ALTHAUSREID, Tunten, 91. Vgl. zum Thema Transgender DIES., “Let them talk …!”, 5f. und DIES., QueerTheorie, 83–85; DIES., Tunten, passim. 40 Vgl. ALTHAUS-REID, Tunten, 85. 41 Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 28. 42 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 251–254.271. 43 Vgl. CROATTO, Experiencia, 26. 9|Seite schaft überwindet (s. 3.3.5., 4. und 6.).44 2. The Marginal God. Erste Annäherung Es sei an dieser Stelle eine erste Annäherung an das Gottesbild AlthausReids unternommen.45 Ihre kraftvolle Sprache soll hier durch eine Reihe von Zitaten zum Ausdruck kommen. Mein Ausgangspunkt ist der kurze Aufsatz „Der göttliche Exodus Gottes“ von 2001, der den Titel dieser Arbeit inspirierte.46 Althaus-Reid verknüpft in diesem Aufsatz Überlegungen zum Gottesbild mit postkolonialer Theologie am stärksten. In „Der göttliche Exodus Gottes“ unterscheidet Althaus-Reid drei Gottesbilder: Von den Kolonisator_innen wurde 1.) Gott zur Rechtfertigung von Ungerechtigkeiten missbraucht. Die lateinamerikanische Befreiungstheologie kritisierte dies und brachte 2.) Gott an die Ränder der Gesellschaft; hin zu den Armen und Unterdrückten und weg von dem kolonialen Gott der Machthabenden. Dabei blieb die Befreiungstheologie aber weiterhin dem Diskurs des kolonialen Zentrums verhaftet, wie Althaus-Reid konstatiert. Sie behauptet daher, dass 3.) ein radikal marginale Gott,47 den Weg zu einer Transformation kolonialer Theologie eröffnet. Zu diesem dritten Gottesverständnis zu gelangen, sei die Aufgabe der postkolonialen Theologie. Dies sei im Folgenden näher erläutert. Althaus-Reid geht in dem Aufsatz von der Theodizeefrage aus. Dem „Hunger der Leute“ sei mit „Theologien der Resignation“ begegnet worden.48 Sie brachten eine theologische Epistemologie zu Tage, die die Menschen zwang und weiterhin zwinge, zwischen der Loyalität zu Gott und den tatsächlichen Unrechtsverhältnissen einen Trennstrich zu ziehen, so als hätte beides nichts miteinander zu tun. Dies hinterfragt Althaus-Reid ideologiekritisch: Wem habe die theologische Legitimation der Unterdrückungssysteme genützt? Eindrücklich beschreibt sie das Gottesbild der ersten Phase als das eines behäbigen Gottes, der ab und an seinen Sitz im Zentrum verlassen habe, 44 Das bedeutet nicht, dass Althaus-Reid durchgängig phänomenologisch arbeitet. Im Zusammenhang mit gendertheoretischen Fragen z.B. lehnt sie eine phänomenologische Herangehensweise zugunsten einer poststrukturalistischen ab. Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 32. 45 Mit dieser Einführung sollen die Weichen gestellt werden; eine kritische Analyse des hier Beschriebenen folgt unter 5. 46 Vgl. Althaus-Reid, Exodus Gottes, 23. 47 Um die Implikationen von Althaus-Reids Gottesbild deutlich werden zu lassen, ist es notwendig, eine Sprache zu finden, die ihrer Theologie entspricht. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, maskuline und feminine Adjektive – grammatikalisch bewusst falsch – zusammen zu verwenden. Von „Göttin“ zu reden, weckte Assoziationen zu matriarchatsfeministischen Positionen, die Althaus-Reid nicht gerecht würden. 48 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 19. 10 | S e i t e um den Marginalisierten zu erklären, warum ihre Marginalisierung notwendig sei.49 Erstaunt stellt Althaus-Reid fest, dass bei den Leuten trotzdem „eine Art gläubiger Widerstand und christlicher Dickköpfigkeit“ entstanden sei, die sie trotz aller Widrigkeiten am Christentum festhalten ließ.50 Dieses Phänomen bezeichnet sie als Theologie des Volkes (teología popular),51 die eine Überlebenstheologie sei: Die Theologie des Volkes stammt von Menschen, die ihre emotionale Kraft nicht nur brauchen, um der Gegenwart Gottes mitten in einer Welt der Unterdrückung einen Sinn zu geben, sondern um die anderen 24 Stunden ihrer Lebenszeit am Tag zu bewältigen, ein Tag, der mit wenig Hoffnung beginnt, Nahrung, Obdach und Zuflucht vor Gewalt zu finden. Einen Grund zu finden, um im wörtlichen Sinne jeden Morgen aufzuwachen und wieder einen Tag lang zu leben, ist schwer, wenn man von jeder erdenklichen Form von Armut und gesellschaftlichem Ausschluss umgeben ist, der auf eine in bestimmter Weise rassistisch, wirtschaftlich, kulturell und sexuell konstruierte Wirklichkeit zurückgeht.52 Trotz der gesellschaftlichen und theologischen Marginalisierung hätten arme Christ_innen „einen Ort für die Subversivität Gottes an den Rändern“ gefunden, indem sie sich z.B. Gott als Verbündeten vorstellten, der mit ihnen leidet, und dem Glauben die Kraft zur Transformation beimaßen.53 Die Befreiungstheologie stellte das System der Sinngebung von Unrechtsverhältnissen radikal in Frage. Sie entwarf einen Gott der Marginalisierten und platzierte Gott an den Rändern, fern vom Zentrum.54 Das Problem am zweiten Modell sei, dass es trotz der radikalen Kritik dem Zentrum verhaftet blieb.55 Die Befreiungstheologie war bemüht, dem Zentrum ihre Orthodoxie zu beweisen. So verortete die Befreiungstheologie Gott bewusst an den Rändern, was Althaus-Reid einen Exodus Gottes nennt,56 statt – wie sie es im Sinn hat – Gott dort wiederzuentdecken.57 Die maßgebliche Autorität blieb die Theologie des Zentrums und nicht z.B. die Bibellektüre des Volkes. Bildlich gesprochen, mit Althaus-Reids Worten: Gott eignete sich die Ränder an und beanspruchte einen neuen Ort.58 Darin bleibe er ein mächtiger „Gott der Armen“, der stellvertretend für sie spricht und sie in ihrem Leid begleitet.59 Althaus-Reid kritisiert: Der springende Punkt ist: Es ist der Gott eines Volkes, das Durst leidet, aber kein 49 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 20. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 20. 51 Die Sensibilität für die teología popular dürfte Althaus-Reid von der argentinischen religionssoziologischen Schule beziehen. Vgl. Anmerkung 14. 52 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 20. 53 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 20. 54 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 21. 55 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 21. 56 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22. 57 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 21. 58 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22. 59 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22.25. 50 11 | S e i t e selber durstiger Gott; der Gott, der sich der Straßenkinder erbarmt, aber nicht selbst der Gott auf der Straße; ein Gott an den Rändern, aber kein marginaler Gott. 60 In dieser befreiungstheologischen Variante nehme Gott keinen wirklichen Standortwechsel vor.61 Auch wenn er „der Gott der Müllhalden Südamerikas“ geworden ist:62 Seine Erkenntnistheorie sei die gleiche wie die des Zentrums, denn – das ist entscheidend – er beanspruche immer noch „sakrale Autorität“.63 Er dezentriert Macht, stellt sie jedoch nicht radikal in Frage[.] 64 Seine Macht basiere auf der Notwendigkeit, von ihm abhängig zu sein.65 So bleibt eine koloniale „Abhängigkeitstheologie“ zurück.66 Abhängigkeit, die Einzigkeit Gottes und die Einheit und Klarheit der Wahrheit sind die heilige Dreifaltigkeit der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes als eines Schöpfers des Guten angesichts der Geschichte der Unterdrückung der Menschen.67 Althaus-Reid erkennt in diesem weiterhin hierarchisch konstruierten Gottesbild die Ursache dafür, dass „radikale Theorien an den Rändern politisch aufgeklärt und dennoch gleichzeitig sexistisch und rassistisch sein können.“68 So kritisiert sie auch Entwicklungstheorien, die für sie Versuche sind, das Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Rhetorik christlicher Fürsorge aufrechtzuerhalten.69 Sie beschreibt den monarchischen Gott als den einer großen Erzählung.70 Die Diskurse des Zentrums definiert sie als Texte, die von den Reichen und Mächtigen herausgegeben werden, deren kulturelle Vorherrschaft die Lebensweise der Menschen prägt und ein Heil verspricht, das beispielsweise wirtschaftliches Heil ausschließt.71 Was setzt Althaus-Reid diesen Gottesverständnissen des Zentrums entgegen? Die Kriterien, die sie nennt, lauten „auf Gegenseitigkeit beruhende nachhaltige Gemeinschaften, Interdependenz und Besinnung auf die eigenen Ressourcen“ sowie Solidarität, gemeinsame Widerstandspraxis, Dialogbereitschaft und Pluralität.72 Auf diesen Kriterien beruht das Gottesbild des marginaler Gottes. Gott müsse abhängig werden, wie Menschen von ihm abhängig seien; sie könne aus dem Dialog nicht ausgeschlossen wer60 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22f. Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22. 62 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22. 63 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 64 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 65 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 66 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 67 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 68 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 69 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23. 70 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. Der Begriff der großen Erzählung wurde von JeanFrançois Lyotard geprägt und zugleich dekonstruiert. Vgl. Vgl. BAUM, Art. Große Erzählung, 87; DERS./HÖLTGEN, Art. Postmoderne, 149 und MOEBIUS/RECKWITZ, Einleitung, 13. 71 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. Ich würde präzisieren, dass das wirtschaftliche Heil einiger weniger durchaus realisiert wird. 72 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23f. 61 12 | S e i t e den.73 Althaus-Reid schlägt vor, nach nicht anerkannten Orten des Göttlichen am Rande von Kirche und Theologie zu suchen.74 Diesen Orten spricht sie subversives Potential zu und fordert zugleich dazu auf, von diesen Orten ausgehend Theologie zu treiben: Die Theologie sollte aus den Kämpfen der Gemeinden an den Rändern hervorgehen: der armen Gemeinden, deren kulturelles und wirtschaftliches Leben zerstört oder stark eingeschränkt wurde; Gemeinschaften, die aus Gründen der Sexualität oder des Geschlechts marginalisiert werden, und aller, die unter den vielfältigen Marginalisierungen leiden, die die Eliten über andere verhängen.75 Die Ausformulierung eines solchen Gottesbildes hält Althaus-Reid für ein Desiderat, dem sich eine postkoloniale Theologie zuwenden solle, sofern sie gewillt ist, nicht länger in Kategorien des linearen Fortschritts zu denken.76 Hier setzt meine Analyse ein: Welche Kriterien muss ein solches postkoloniales Gottesbild erfüllen? Welche Konzepte verinnerlichen? Wo sind Fallen, denen es zu begegnen und vorzubeugen gilt? Diesen Fragen möchte ich mich durch die systematische Analyse postkolonialer Konzepte und Themenfelder nähern (3.). Dafür sind einige einführende Erläuterungen in die postkolonialen Studien unvermeidlich (3.1. und 3.2.). Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der detaillierten Analyse postkolonialer Themenkomplexe (3.3.), die ich anschließend (5.) ins Verhältnis zu Althaus-Reids Gottesbild setze. 3. Was ist postkoloniale Theorie? Die postkoloniale Theorie etablierte sich seit dem Erscheinen von Edward Saids bahnbrechendem Werk Orientalismus im Jahr 1978 zunächst in der Anglistik und weiteren Literaturwissenschaften, bevor sie sich (vorwiegend in der anglophonen Wissenschaftslandschaft) auf weitere Disziplinen ausdehnte.77 Mit beachtlicher Verspätung wirkt sich seit den 2000er Jahren die postkoloniale Theorieproduktion auch im deutschsprachigen Kontext aus.78 Seit Ende des vergangenen bzw. Anfang dieses Jahrzehnts macht sie 73 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 23f. 75 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. 76 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 22. 77 Vgl. Castro Varela/Dhawan, Postkoloniale Theorie, 23 und Kerner, Postkoloniale Theorien, 13. Eine genaue Datierung des Beginns postkolonialer Studien ist umstritten. Während lateinamerikanische Forscher_innen bereits auf José Carlos Mariátegui (1894-1930) u.a. hinweisen (vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, a.a.O., 26), führen Castro Varela und Dhawan erst die Commonwealth Literary Studies als Vorläuferin der postkolonialen Studien an (vgl. a.a.O., 22). Kerner wiederum zählt eine Reihe antikolonialer Kämpfe auf, beginnend mit der haitianischen Revolution 1791, und betont die „rege Wissens- und Theorieproduktion“ schon dieser Kämpfe, die großen Einfluss auf die zeitgenössischen postkolonialen Theorien ausübten (KERNER, a.a.O., 32). Im 20. Jahrhundert legt sie einen Schwerpunkt auf die Reflexionen Frantz Fanons (1925-1961), vgl. a.a.O., 43-53. 78 Vgl. NAUSNER, Hybridity, 2f. Es sei auf die Tatsache verwiesen, dass die zwei deutschen Einführungen erst 2005 und 2012 erschienen sind. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie 74 13 | S e i t e sich auch in der Theologie in Deutschland verstärkt bemerkbar.79 Die Bezeichnung Postkolonialismus führte immer wieder zu Kritik und Selbstabgrenzung. Es wurde mehrfach bemängelt, der Begriff sei aufgrund des temporären Präfixes irreführend, da (neo-)koloniale Strukturen (weiter)bestehen.80 Trotzdem scheint in den meisten Ansätzen keine deskriptivchronologische Epochenbeschreibung impliziert zu sein, sondern vielmehr ein normatives Desiderat, das den kolonialen Strukturen der Vergangenheit und ihren Kontinuitäten und Transformationen in die Gegenwart hinein kritisch gegenübersteht.81 Der Aspekt des Kolonialen im Begriff wiederum wurde z.B. von Ania Loomba problematisiert: Von -kolonialismus zu sprechen, suggeriere, dass es keine Geschichte vor dem Kolonialismus gegeben habe und schreibe dadurch das Ideologem, auf unbewohntem Gebiet gelandet zu sein, fort.82 Schließlich gibt es Vorbehalte, mit dem Postkolonialismus einen neuen -ismus geschaffen zu haben, der die vielfältigen Konzepte homogenisiere.83 3.1. Geltung postkolonialer Theorien In ihrer Einführung in postkoloniale Theorien beschreibt die Sozialwissenschaftlerin Ina Kerner das akademische Feld der postkolonialen Studien als äußerst dynamisch, vielfältig, kontinuierlich wachsend und dadurch Schwerpunkte stets erweiternd bzw. verändernd.84 Sie bezeichnet epistemisch-kulturelle, politische und sozio-ökonomische Fragestellungen als Teil postkolonialer Studien.85 Zugleich lassen sich die einzelnen Themen und KERNER, Postkoloniale Theorien. Eske Wollrad hielt 2005 die Black Studies und Postcolonial Studies für alles andere als etabliert an deutschen Universitäten. Vgl. WOLLRAD, Weißsein, 49. 79 In der Theologie widmete sich Wollrad bereits 1999 im Rahmen ihrer Dissertation postkolonialen Theorien. Vgl. WOLLRAD, ESKE, Wildniserfahrung. Womanistische Herausforderung und eine Antwort aus Weißer feministischer Perspektive, Gütersloh 1999. Es fallen folgende weitere Veröffentlichungen auf: WALZ, „Reading Women into History“, 2002; WALZ, „Die Dritte-Welt-Frau“, 2003; WOLLRAD, Weißsein im Widerspruch, 2005; MOSER, Opfer, 2007, 365-391; RIEGER, Christus und das Imperium, 2009; KÜSTER, Kontextualisierung, 2009; WALZ, Interkulturelle Theologie und Geschlecht, 2010; NEHRING, „Ende der Missionsgeschichte“, 2010; NEHRING, Postkoloniale Religionswissenschaft, 2012; WROGEMANN, Missio Dei bis Postcolonial Turn, 2012. Die Zeitschrift Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft hat im ersten Halbjahr 2012 der postkolonialen Theologie eine Doppelausgabe gewidmet. Ein Sammelband Postkoloniale Theologien. Bibelhermeneutische und kulturwissenschaftliche Beiträge von Andreas Nehring und Simon Tielesch ist im März 2013 erschienen. 80 Außerdem erreiche er gerade so – durch die im Vergleich zu einer Bezeichnung z.B. als „Studien zum Neokolonialismus“ (Anne McClintock) oder „Antikolonialismus“ (Laura Chrisman) wenig provokative Begrifflichkeit – Popularität und wirke deshalb entpolitisierend. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 112–114. 81 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 24 und HALL, Postkolonialismus, 237f.241. 82 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 23. 83 Vgl. HA, Postkoloniale Kritik, 263. Hier liegt der Grund, weshalb ich zumeist im Plural von postkolonialen Studien oder Theorien spreche. Die Varianz der verschiedenen Konzepte wird in dieser Arbeit betont. 84 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 159.164. 85 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 165. 14 | S e i t e meist gar nicht anders als interdisziplinär bzw. transdisziplinär verhandeln.86 Diese Weite und Dynamik rechnet Kerner den postkolonialen Studien als Stärke an und geht so weit, ihnen das Potential einer „globalen kritischen Theorie“ zuzuschreiben:87 Postkoloniale Theorien arbeiteten konstitutiv transnational, da die Effekte des Kolonialismus im nationalen Rahmen nicht wissenschaftlich handhabbar zu machen sind. Sie seien besonders beeinflusst „durch Erfahrungen der Peripherie“ und insofern geschult, „Effekte transnationaler Machtwirkungen“ zu analysieren und zu kritisieren.88 Neben der Inter-/Transdisziplinarität zielten sie auch auf transnationale Interaktionen, worin ihr normatives, politisch engagiertes Wissenschaftsverständnis aufscheint. Diese Ausrichtung bildet eine Brücke zu politischer Praxis auch außerhalb des akademischen Raums.89 3.2. Referenztheorien und Kritik postkolonialer Studien Kerner bezeichnet poststrukturalistische, psychoanalytische und marxistische Ansätze als hauptsächliche Referenztheorien der postkolonialen Studien, wenngleich die Bezugnahme bei den jeweiligen Ansätzen sehr unterschiedlich ausfällt.90 Von Anfang an wurde aus marxistischer Perspektive Kritik an einer zu stark kulturwissenschaftlichen bzw. „kulturalistischen“, insbesondere literaturwissenschaftlichen Ausrichtung der postkolonialen Studien geübt: Im Mittelpunkt stehe die Diskursanalyse von Kunst- und Kulturerzeugnissen.91 Gleichwohl ist die Berechtigung dieser Kritik umstritten: Eine nennenswerte Anzahl postkolonialer Theoretiker_innen – auch schon der ersten sich im Wissenschaftsbetrieb etablierenden Generation – sucht gerade eine Verbindung von Dekonstruktion und Materialismus.92 In jedem Fall 86 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 165. KERNER, Postkoloniale Theorien, 164. 88 KERNER, Postkoloniale Theorien, 165. 89 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 165. 90 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 34–40 und CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 118f.121. 91 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 37f. Zuweilen wird dem Postkolonialismus in Anlehnung an Fredric Jamesons These, der Postmodernismus sei die andere Seite der Medaille des Kapitalismus, vorgeworfen, auf analoge Weise vom Kapitalismus kooptiert worden zu sein. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 112.120f. 92 Kerner zählt Stuart Hall, Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak, Chandra Talpade Mohanty und Fernando Coronil zu den marxistisch und kulturalistisch engagierten Wissenschaftler_innen, die eine Synthese von beidem anstrebten. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 38 und ihre Anmerkung 8, a.a.O., 168f. So schon CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 57. Said als Literaturwissenschaftler weist einerseits auf die politischen Implikationen literaturwissenschaftlicher Arbeiten hin. Vgl. SAID, Orientalismus, 17–21. Andererseits appelliert er an die weiteren Disziplinen, sich des Themas aus ihrer jeweiligen Perspektive anzunehmen, um das Bild umfassender zu machen, zu dem Said selbst nur ein Teilstück beizutragen wusste. Vgl. a.a.O., 24.33f. 87 15 | S e i t e hat die Kritik zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit politökonomischen Fragestellungen geführt, so dass zuweilen von einem „materialist turn“ der postkolonialen Studien die Rede ist.93 Zugleich ist eine Ausweitung der postkolonialen Ansätze auf weitere Disziplinen wie z.B. die Soziologie, die Geographie oder auf Regionalwissenschaften zu verzeichnen.94 Insbesondere die aus Lateinamerika stammende sogenannte de(s)koloniale Perspektive legt – geprägt durch Dependenz- und Weltsystemtheorie – großen Wert auf die Analyse der ökonomisch-materiellen Dimension des Kolonialismus.95 Es scheint allerdings bislang nicht ausgemacht, ob die dekoloniale Theorie als neuer Teilbereich Einzug in die postkolonialen Studien hält, oder ob sie sich als eigenständiger Forschungszweig etabliert.96 Vertreter_innen der Dekolonialität scheinen momentan Wert auf die Abgrenzung zu legen, was vermutlich damit zusammenhängt, dass die lateinamerikanischen Debatten um (neo-)koloniale Strukturen bisher kaum rezipiert werden, obwohl eine beträchtliche Anzahl an Monographien und Aufsätzen im Original auf Englisch veröffentlicht werden und sich die deutschsprachigen Übersetzungen mehren.97 3.3. Themenfelder postkolonialer Theorien Ich systematisiere aus einer Vielzahl von Themen vier Komplexe, die einerseits für postkoloniale Theorien zentral scheinen, andererseits die Analyse der postkolonialen Dimension von Althaus-Reids Gottesbild antizipieren. Diese vier nenne ich Repräsentation, Subjektposition und Othering (3.3.1.), Möglichkeiten von Widerstand (3.3.2.), die Kategorie Raum (3.3.3.) und die Bedeutung der Kategorie Geschlecht und Sexualität (3.3.4.) für postkoloniale Analysen.98 Es sei vorab betont, dass alle diese 93 KERNER, Postkoloniale Theorien, 38. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 14f. 95 Vgl. GARBE/QUINTERO, Projekt Modernität/Kolonialität, 12. 96 Während Kerner die dekoloniale Perspektive in ihre Einführung in postkoloniale Theorien miteinbezieht, betonen Garbe/Quintero die Unterschiede. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 16f.59.90–96.154–156 und GARBE/QUINTERO, Das Projekt Modernität/Kolonialität, passim. 97 Vgl. die Literaturliste bei GARBE, Einleitung, 47–52. Eine Ausnahme scheint mir Kerners Einführung zu sein (vgl. Anmerkung 96). Kritisch sehe ich eine mögliche Tendenz im Dekolonialismus, die zu gegenseitigen Übertrumpfungsversuchen führen könnte, wenn Garbe z.B. gegen die Kanonisierung von Edward Said, Homi Bhabha und Gayatri Chakravorty Spivak als „heilige Dreifaltigkeit“ der postkolonialen Studien (vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 25) eine andere „deskoloniale Dreifaltigkeit“ bestimmt, nämlich Enrique Dussel, Aníbal Quijano und Walter Mignolo. Vgl. GARBE, a.a.O., 26. Verständlich wird dieses Vorgehen, bedenkt man die defensive Position am Rand der postkolonialen Theorien (es sei jedoch angemerkt, dass die Auswahl sich auf männlich positionierte Personen beschränkt). Fruchtbarer wirkt Kerners Ansatz, auf eine personalistische Engführung zu verzichten und themenorientiert zu arbeiten. Außerdem entscheidet sie sich gegen eine Darstellung, die nach Regionen aufgeteilt ist. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 18. 98 In der deutschsprachigen religionswissenschaftlichen Rezeption werden die postkolonialen Studien zuweilen unter den zwei Aspekten „Repräsentation“ und „Möglichkeiten von Handlungsmacht“ 94 16 | S e i t e Themen in enger Wechselwirkung zueinander stehen und nur in diesem Miteinander adäquat verstanden werden können. 3.3.1. Repräsentation, Subjektposition und Othering Eins der zentralen Merkmale postkolonialer Studien, wenn nicht das Merkmal schlechthin, ist die Beschäftigung mit der Repräsentation von Subjekten.99 Das Vorgehen postkolonialer Studien besteht dabei in der Analyse der Konstruktion kolonisierter und kolonialisierender Subjekte bzw. der damit verbundenen Machtkonstellationen. Edward Said hat in Orientalismus herausgearbeitet, dass das „orientalische Subjekt“, wie es im 19. Jahrhundert geschaffen wurde, eine wirkmächtige Fiktion des Westens ist.100 Die Funktion dieser Konstruktion des/der Anderen liegt für den Westen darin, sich selbst im kolonialen Gefüge dieser Welt eine Subjektposition zu verleihen. Diese Subjektposition ist allerdings keine wertneutrale Beschreibung der eigenen Identität neben vielen anderen, sondern dient dazu, die hegemoniale Position des Westens zu sichern bzw. – Said geht so weit – sie überhaupt erst zu schaffen.101 Die Diffamierung der Kolonisierten ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, die kolonial-imperiale Praxis zu legitimieren. Dies geschieht durch dualistische Zuschreibungen wie z.B. zivilisiert – wild bzw. primitiv, gebildet – ungebildet, rational – irrational bzw. emotional, überlegen – unterlegen, modern – traditionell, etc.102 Diese hierarchisierende Festschreibung des/der Anderen zum Zweck der Konstruktion und Legitimation der eigenen Überlegenheit wird Othering genannt.103 Aus der Erkenntnis, dass Othering permanent – auch heute – geschieht, ergibt sich die Frage, ob es möglich ist, eine „wirkliche“ Identität des/der Anderen zu erfassen. Homi Bhabha z.B. lehnt jede Vorstellung von „reinen“, voneinander völlig separierten Menschengruppen ab, führt alternativ jedoch selbst ein Konzept mit biologistischer, rassifizierender Geschichte (agency) zusammengefasst. Vgl. NEHRING, Postkoloniale Religionswissenschaft, 327 und DERS., Ende der Missionsgeschichte, 184. Vgl. auch WROGEMANN, Missio Dei bis Postcolonial Turn, 218– 220, der die gleichen zwei Themenkomplexe mit den Namen Said und Bhabha verbindet. Diese thematische Engführung scheint mir die konstitutive Bedeutung der Kategorien Raum und Geschlecht zu übersehen. 99 Damit meine ich deskriptiv, dass dieser erste Themenkomplex m.E. in postkolonialen Ansätzen am umfassendsten bearbeitet wird. 100 Vgl. SAID, Orientalismus, 15.21. 101 Vgl. SAID, Orientalismus, 10.13.30. 102 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 4. 103 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 49f.87 und CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 60. 17 | S e i t e an:104 Die Hybridität aller Kulturen. Für heftige Kontroversen sorgt die Debatte Autochthonie vs. Hybridität im politisch-strategischen Kontext. Darüber hinaus geht es auch immer wieder um die epistemologische Dimension: Sollte postkoloniale Theorie nicht für die Sichtbarmachung und Wiederaneignung von alternativen Wissenssystemen der Entmachteten, Nicht-Gehörten und Entrechteten kämpfen? Eine Frage, die für Marcella Althaus-Reid von Bedeutung ist. Eine weitere kontroverse Debatte richtet sich darauf, wer eigentlich zu den „Anderen“ zu zählen ist und wer nicht. Diese Frage hängt eng mit dem zweiten meiner Punkte (dem Widerstand) zusammen, da darüber gestritten wird, wo postkoloniale/antikoloniale Kämpfe geopolitisch ansetzen bzw. Prioritäten setzen sollten. Während sich in verschiedenen neueren Bewegungen und Forschungszweigen der letzten Jahrzehnte der Fokus auf Exklusion innerhalb der hegemonialen Länder des Westens richtet,105 kritisiert Gayatri Chakravorty Spivak dies scharf. Sie wirft einer solchen Fokusverschiebung vor, die tatsächlichen Subalternen doppelt auszulöschen.106 Relativismus im Sinne eines „Sind wir nicht alle ein bisschen exkludiert?“ verdrehe Machtverhältnisse und trage so zur Auslöschung der Exkludierten bei.107 Wenn eine arme, politisch nicht organisierte Frau auf einem Dorf in Indien keine Möglichkeit zu (sozialer) Mobilität hat – so Spivaks Definition von Subalternität –,108 ist das nicht das gleiche, wie wenn sich Wissenschaftler_innen mit Migrationserfahrung in den Metropolen vom Universitätsbetrieb exkludiert und nicht ernst genommen fühlen (z.B. weil sie postkoloniale Studien betreiben).109 In ähnlicher Weise wird auch bei Althaus-Reid deutlich, dass sie darauf pocht, Theologie von den wirklich Ausgeschlossenen aus zu treiben. Schließlich wurde eine Debatte um die Grenzen von Repräsentationskritik geführt. Spivak hat in ihrem prominenten Essay Can the Subaltern Speak? von 1988 die Position Mi104 Vgl. WOLLRAD, Weißsein, 141–146. Zu nennen wären die Critical Whiteness Studies; die Okzidentalismuskritik, wie sie von Gabriele Dietze konzipiert wurde; migrantische Diaspora-Organisationen; die Analyse von Alltagsrassismus, wie sie von der Initiative Schwarze Deutsche e.V. oder vom Braunen Mob e.V. durchgeführt wird; der Chicana-Feminismus u.v.w. 106 Vgl. RIVERA RIVERA, Ränder, 98. Mit doppelter Auslöschung meine ich, dass die Subalternen ohnehin schon nicht gehört werden. Mit einer Anwendung des Begriffs auf westliche Subjekte wird die mangelnde Bereitschaft, den nichtmobilen Subalternen zuzuhören, sogar theoretisch legitimiert. 107 Vgl. RIVERA RIVERA, Ränder, 98f. 108 Den Begriff der Subalternen bezieht Spivak von Antonio Gramsci, der damit die ländliche süditalienische Bevölkerung der 1930er Jahre bezeichnete, „die keiner hegemonialen Klasse angehör[t], die politisch unorganisiert [ist] und über kein allgemeines Klassenbewusstsein verfüg[t].“ CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 69. Übertragen könnte auch von den Entmächtigten gesprochen werden. Vgl. a.a.O., 73. 109 Vgl. Vgl. KERNER, Schwesternschaft, 258. 105 18 | S e i t e chel Foucaults und Gilles Deleuze’ attackiert, denen zufolge es paternalistisch sei, für andere zu sprechen, so dass westliche Wissenschaftler_innen überhaupt nicht mehr in der Verantwortung für die Äußerungen der Subalternen stehen sollten, weil diese schließlich selbst sprechen könnten.110 Spivak verneinte diese optimistische „postrepräsentationale“ Position und behauptete das Gegenteil: Subalterne können nicht sprechen. Auf die Kritik hin, widerständige Sprechversuche der Subalternen dadurch zu nivellieren, veränderte sie selbstkritisch ihre Aussage: Die Subalternen würden sprechen, aber die Menschen des Westens hörten ihnen nicht zu oder verstünden nicht, was sie sagten, denn auch das Hören folge einer hegemonialen, (neo-)kolonialen Struktur, so Castro Varela und Dhawan.111 Gleichzeitig sei davor gewarnt, Subalterne als das traditionelle, vormoderne Gegenstück zum (post-)modernen metropolitanen Subjekt zu konstruieren: Spivak geht nicht davon aus, subalterne Subjekte seien im Gegensatz zu (post)modernen Subjekten unberührt von all jenen Machtwirkungen, die prinzipielle Zweifel an Authentizität, Kohärenz und Selbstidentität begründen[.]112 Subalterne sollten nicht unterschätzt werden. Auch hierauf wird in Bezug auf Althaus-Reids Theologie zurückzukommen sein. Rivera Rivera führt die Kritik an der poststrukturalistischen Haltung, Repräsentation prinzipiell zu kritisieren, zu der Frage, ob überhaupt an die anderen gedacht werden kann, wenn es keinen Raum für ihre Repräsentation gibt.113 Hier verknüpft sich das Thema Repräsentation mit der Frage, welche Art von Widerstand aus postkolonialer Perspektive zu befürworten ist, und der Kategorie Raum. Außerdem wird die Frage aufgeworfen, ob Repräsentation in bestimmten Fällen doch wünschenswert sein kann, was zum nächsten Abschnitt überleitet. 3.3.2. Möglichkeiten von Widerstand Spivak appelliert an westliche, weiße Wissenschaftler_innen (aber auch an sich selbst), sich mit aller Macht darum zu bemühen, privilegiertes Wissen, das zugleich (neo-)koloniales Wissen ist, zu verlernen.114 Sie argumentiert, dass Privilegien, die auf der angeblichen Überlegenheit des weißen Subjekts beruhen, trügerisch sind und es letztlich selbst deformieren: Ein Privi- 110 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 72f. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 72.76. 112 Vgl. KERNER, Schwesternschaft, 258. 113 Vgl. RIVERA RIVERA, Ränder, 98. 114 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 60. 111 19 | S e i t e leg bringe nicht nur Gewinn, sondern immer auch Verlust.115 Hinter dieser Formulierung [d.i. „unlearning one’s privilege as one’s loss“, SJ] verbirgt sich die Idee, dass das Innehaben einer privilegierten Position leicht dazu verführt, um ein dialogisches Verhältnis mit weniger Privilegierten erst gar nicht zu ringen, sich nicht die Mühe zu machen, deren Sprechakte zu verstehen. Das Wissen, das sich in diesen Sprechakten offenbart, geht der Inhaberin einer privilegierten Position dadurch verloren.116 Allein die Erkenntnis des Verlusts ändert aber noch nichts am Status quo der vorhandenen Hierarchien. Spivak lässt keinen Raum für eine elitäre Flucht in Aporien. Sie fordert weiße Subjekte wie auch postkoloniale Akademiker_innen aus dem Süden dazu auf, dialogische, auf Vertrauen fußende Beziehungen mit entrechteten und unterdrückten Frauen aus dem Süden anzustreben und von ihnen zu lernen.117 Deren situiertes Wissen gelte es ernst zu nehmen, jedoch ohne zu exotisieren, zu romantisieren, zu viktimisieren, sein zu wollen wie sie oder ihnen paternalistisch zu begegnen.118 Andererseits hält Spivak nichts davon, Theorien und Konzepte der Machtzentren wie z.B. die Menschenrechte per se abzulehnen und sich ausschließlich auf vermeintlich andere Wissenssysteme aus der Peripherie zu beziehen.119 Hier wird eine Konfliktlinie deutlich, die zwischen antikolonialen Befreiungskämpfen, die nationalistisch oder nativistisch orientiert sein mögen, aber auch der dekolonialen Perspektive (s.u.) einerseits und dekonstruktivistischen Ansätzen andererseits verläuft. Obwohl Spivak ersteren umgekehrten Ethnozentrismus vorwirft,120 ist sie doch stärker an Handlungsspielräumen interessiert, als ein rein dekonstruktivistisches Vorgehen dies vermutlich zulassen würde, so dass sie ihren eigenen theoretischen Anspruch subalternen Befreiungskämpfen unterordnet: Spivak hält einen strategischen Essentialismus für politisch notwendig:121 Ein subalternes Bewusstsein sei demnach eine „theoretische Fiktion“ mit hohem strategischem Wert, insofern es ermöglicht, die dominante koloniale und nationalbürgerliche Geschichtsschreibung einer fundamentalen Kritik zu unterwerfen. 122 Ina Kerner schließt sich dieser von ihr moderat genannten Variante von Identitätspolitik an, indem sie auf die Problematik hinweist, dass die Rehabilitierung bzw. Aufwertung des Außereuropäischen nicht anders zu haben 115 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 61. Vgl. KERNER, Schwesternschaft, 260. Kerner demonstriert die Anwendungsmöglichkeiten und Herausforderungen der von Walz eingeforderten analytischen Werkzeuge der postkolonialen Feministinnen, vgl. a.a.O., passim, insbes. 264–267. Vgl. WALZ, „Die Dritte-Welt-Frau“, 51. 117 Vgl. ebd. Vgl. KERNER, Schwesternschaft, 260. 118 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 60f. 119 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 119. 120 Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 119. 121 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 147. 122 CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 71f. 116 20 | S e i t e sei denn als Konstruktion des Außereuropäischen.123 Dennoch grenzt sich Spivak von Identitätspolitik ab und führt gegen sie dekonstruktivistische Methoden an.124 Auch wenn Essentialismen unvermeidlich seien, müssten deren Gefahren permanent benannt und die Auswirkungen kritisiert werden.125 Spivaks Überlegungen wohnt also eine Spannung zwischen der Inkaufnahme essentialisierender Praxen und ihrer Kritik inne, die nicht einfach in eine Richtung aufgelöst werden kann. Die dekoloniale Option, wie sie von dem lateinamerikanischen Forscher_innenkollektiv Modernidad/Colonialidad (M/C) betrieben wird, hält eine Neuschreibung der Historiographie für einen widerständigen Akt. Der Ausdruck „dekolonial“ zielt darauf ab, auf die kolonialen (z.B. eurozentrischen) Leerstellen auch der postkolonialen Theorien selbst hinzuweisen, die es gleichfalls zu dekolonisieren gelte.126 Ziel der Gruppe M/C ist eine neue Form der Gesellschaftskritik, die die Kolonialität als konstitutiven Bestandteil der Moderne bestimmt (s. 3.3.3.).127 Das Konzept geht auf den peruanischen Soziologen Aníbal Quijano zurück.128 Der Kolonialität, die als bis in die Gegenwart andauernde, umfassende Struktur kolonialer Herrschaft definiert wird, müsse mit Dekolonialität begegnet werden.129 Es gehe darum, die tiefgehende „koloniale Wunde“ wahrzunehmen und moderne eurozentrische Perspektiven anzugreifen, da sie Ursache für die vielfältigen Zerstörungseffekte des Kolonialismus seien.130 Ein prominenter Vertreter dieses Forschungskollektivs, Walter Mignolo, von dem die Metapher der „kolonialen Wunde“ stammt, sieht befreiendes Potential in der Imagination einer vielfältigen Welt, die durch alternatives Wissens von Theoretiker_innen und sozialen Bewegungen entsteht, „denen in der Logik der Kolonialität der Status des vollständigen Menschseins verwehrt bleibt.“131 Diese seien zu Grenzdenken (Border Thinking) fähig – ein Konzept, das er von der Chicana-Feministin Gloria Anzaldúa übernimmt. Kerner betont, dass es Mignolo mit dem Begriff des Grenzdenkens einerseits um die Wiederaneignung und Umdeutung von Begriffen, andererseits um epistemische 123 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 155. Nehring dagegen lehnt den Ansatz ab. Vgl. NEHRING, Ende der Missionsgeschichte, 190f. 124 Vgl. SPIVAK, Sister, 78. 125 Vgl. KERNER, Schwesternschaft, 261. 126 Vgl. GARBE/QUINTERO, Projekt Modernität/Kolonialität, 12. 127 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 91.96. 128 Vgl. QUINTERO/GARBE, Kolonialität der Macht, 7. 129 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 91.94. 130 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 94. 131 KERNER, Postkoloniale Theorien, 94. 21 | S e i t e Pluralität (in Differenz) gehe.132 So verortet er ein epistemologisches Privileg in den kolonisierten Wissenssystemen und verdächtigt Theorien, die ihren Referenzrahmen ausschließlich aus Quellen der europäischen Moderne beziehen.133 Gleichfalls weigert er sich, Kritik an diesen alternativen Wissenszugängen, die z.B. nach Geschlechtergerechtigkeit fragen, zuzulassen, da er das Anlegen von universalistischen Maßstäben selbst für ein koloniales Unterfangen hält.134 Darin unterscheidet er sich deutlich von Spivak.135 3.3.3. Die Kategorie Raum Walter Mignolo unterstreicht die grundlegende Relevanz des Ortes für das Denken: „Man ist und fühlt, von wo aus man denkt.“136 Damit kritisiert er „egologisches Denken“, das seit Descartes die Kolonialität bestimme: Ich denke, also bin ich.137 Der Ort des Denkens scheint für solches egologisches Denken irrelevant zu sein. Mit diesen Überlegungen zum Ort leite ich über zur Kategorie Raum in den postkolonialen Studien: Für indigene Bevölkerungen wirkte sich die koloniale Imagination des „leeren“, unbewohnten Raums, der samt seinen Rohstoffen den Kolonisatoren zu Füßen liege, verheerend aus.138 Das Othering betrifft nicht allein Individuen, sondern mitunter große geographische Räume. Stuart Hall brachte dies auf den Punkt, indem er seinen Essay „The West and the Rest“ überschrieb.139 Der Westen wie der Rest der Welt stünden als homogene Entitäten und in absoluter Differenz zueinander da.140 Um das Selbstbild des Westens als Eroberer zu konstituieren, brauchte es das „Andere“ des Westens, das es herabzuwürdigen galt bis hin zur völligen Negation von Menschlichkeit. Die räumliche Einteilung der Welt gab und gibt es in zwei Varianten. Einmal wurde der Orient zum Anderen des Okzidents, zum anderen ist es der globale Süden, der dem Norden untergeordnet wird. 132 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 95. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 95-97. 134 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 95. 135 Interessanterweise klingt Spivak jedoch ganz ähnlich wie Mignolo, indem sie selbstkritisch anmerkt, erst viel später situiertes Wissen in den Äußerungen zweier Wäscherinnen auf dem Land in Indien entdeckt zu haben, die geäußert hatten, dass das Land weiterhin der East India Company gehöre. Als Kind hatte sie das Wissen der Frauen für falsch gehalten und sie über den Status der unabhängigen Republik aufklären wollen. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 60. 136 MIGNOLO, Epistemischer Ungehorsam, 99. Hvhb. WM. 137 Vgl. MIGNOLO, Epistemischer Ungehorsam, 122f. 138 Vgl. DÍAZ, Biopolitik, 150. 139 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 64. 140 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 64f. 133 22 | S e i t e Es ist lateinamerikanischen Perspektiven zu verdanken, dass sie auf die „Erfindung Amerikas“ im Anschluss an die Ankunft Cristóbal Colóns 1492 in der Karibik als erste Phase der Kolonialität hinweisen.141 Das Projekt M/C macht auf die Relevanz der Kolonisierung Lateinamerikas durch die spanische und portugiesische Krone für die Entwicklung der Moderne aufmerksam. Die Moderne sei nicht ohne ihre „dunkle“, koloniale Unterseite zu denken.142 Zugleich wird die koloniale Moderne für die Möglichkeitsbedingung der Entstehung des Kapitalismus gehalten.143 So bestimmt Quijano die „Kolonialität der Macht“ bzw. „Herrschaftskolonialität“ (Coloniality of Power, so Quijanos Begriffsbildung) entlang von zwei Achsen: dem Konzept „Rasse“ und der kapitalistischen Ausbeutung.144 Die europäische Aufklärung und die industrielle Revolution werden im dekolonialen Denken anders als in vielen postkolonialen Ansätzen bereits zur zweiten Phase der Kolonialität gerechnet.145 Die dritte Phase wird auf die Durchsetzung der imperialen Rolle der USA nach dem Zweiten Weltkrieg datiert, als Lateinamerika zum „Hinterhof“ der USA wurde und diese zahlreiche Militärdiktaturen unterstützte, die in ihren Ländern die oligarchische Herrschaft sicherten.146 3.3.4. Die Kategorie Geschlecht und Sexualität Ich komme zum vierten Themenkomplex und knüpfe noch einmal beim dekolonialen Denker Mignolo an. Mignolo (wie auch Quijano) zufolge umfasst die „Kolonialität der Macht“ vier Bereiche: die Sphären der Ökonomie, der Politik, des Sozialen (hier gleichbedeutend mit der Kontrolle von Geschlecht und Sexualität) und die Sphäre des Persönlichen, in der durch epistemische Herrschaft die „Kontrolle von Wissen und Subjektivitäten“ geschehe.147 Allerdings scheint es, so mein bisheriger Eindruck, dass Mignolo die verschiedenen Bereiche nicht als gleichwertig bestimmt, auch wenn er das Gegenteil behauptet.148 Er konstatiert: 141 Eske Wollrad weist allerdings darauf hin, dass León Poliakov den Prozess der Rassifizierung, die ich als Unterform des Othering betrachte, bereits für 1449 nachgewiesen hat, als in Spanien das Gesetz der „limpieza de sangre“ (Blutreinheit) beschlossen wurde, durch das jüdische Menschen aufgrund ihrer biologischen Herkunft (also nicht aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit) verfolgt wurden. Vgl. WOLLRAD, Weißsein, 55f. 142 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 91. 143 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 142f. Die dezidiert antikapitalistische Perspektive unterscheidet das Projekt von manchen anderen postkolonialen Theorien, wie z.B. Homi Bhabhas. Vgl. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 124.138. 144 Vgl. QUIJANO, Paradoxien, 32. 145 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 91. 146 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 135f. 147 KERNER, Postkoloniale Theorien, 91. 148 „Die [vier] Ebenen der kolonialen Matrix der Macht sind also miteinander verflochten und keine 23 | S e i t e Geschlecht ist dagegen insofern von „Rasse“ überdeterminiert, als innerhalb der kolonialen Matrix der Macht eine weiße Frau stets einen hierarchisch höheren Platz einnimmt als eine farbige Frau.149 Verschiedene postkoloniale Theoretikerinnen übten scharfe Kritik an den Auslassungen, Nachordnungen oder Subsumierungen der Kategorie Geschlecht.150 Kerner filtert anhand von Frantz Fanons, Uma Narayans und Chandra Mohantys Studien drei Varianten heraus, wie Geschlecht in den postkolonialen Studien thematisiert wird.151 Erstens wird erörtert, wie „im Zuge des Kolonialismus Geschlecht zum Spielball kolonialer und antikolonialer Politik wurde“.152 Während die Kolonisatoren gewissermaßen einen „strategischen Feminismus“ kreierten, der die koloniale Praxis mit der Befreiung der „Frau“ zu legitimieren trachtete, erwarteten antikoloniale Gruppen, dass sich Frauen neu etablierte „Traditionen“ der Kolonisierten aneigneten.153 Geschlecht wird zum umkämpften Symbol der Differenz zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen dem Westen und dem Rest der Welt. 154 Darin manifestiere sich „eine Strategie des Othering von Sexismus“.155 Eine zweite Thematisierung findet im Rahmen von antiimperialistischen Rhetoriken in ehemals kolonisierten Ländern statt, die Feminismus als lässt sich isoliert von den anderen begreifen. […] Die koloniale Matrix erhält, transformiert und verknüpft sich in letzter Instanz durch die Aussage und die Kontrolle der Erkenntnis, d.h. durch die Sphäre der Subjektivität“. MIGNOLO, Epistemischer Ungehorsam, 144f. Hvhb. SJ. Die Geschlechterebene erwähnt Mignolo nur an sehr wenigen Stellen und vertieft sie nicht sonderlich. Vgl. a.a.O., 49f.142.145f.175.181. Geschlecht scheint also der Kolonialität des Wissens (d.h. der Ebene des Persönlichen/der Subjektivität) untergeordnet. Interessant ist, dass Kerner und Quintero/Garbe die dezidiert ökonomiekritische, mitunter antikapitalistische Ausrichtung unterstreichen, diese Bewertung jedoch für Mignolos Epistemischen Ungehorsam schwer fällt. Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 16f. und QUINTERO/GARBE, Kolonialität der Macht, 7.9f. 149 MIGNOLO, Epistemischer Ungehorsam, 175. 150 Ich spreche von „Kategorie“ in Anlehnung an gesellschaftstheoretische Ansätze der Intersektionalitätsforschung, wie sie z.B. Gudrun-Axeli Knapp und Cornelia Klinger formuliert haben. Vgl. KLINGER/KNAPP, Achsen der Ungleichheit, 20f. und KERNER, Intersektionalitätsforschung, 242.253. Castro Varela und Dhawan sprechen ohne expliziten Bezug auf die Intersektionalitätsforschung von der „Kategorie Geschlecht“. CASTRO VARELA/DHAWAN, Postkoloniale Theorie, 114. Während in der feministischen Theologie in Deutschland ein intersektionaler Forschungsrahmen selbstverständlich scheint, gibt es in der Sozialwissenschaft durchaus kritische Stimmen zur Intersektionalität. Vgl. für die Darstellung verschiedener Ansätze KERNER, Intersektionalitätsforschung, 241–244 und kritisch VILLA, Verkörpern ist immer mehr, 202f.210. Da Villa die Gefahr sieht, dass die ordnende Kategoriensuche so sehr überhand nimmt, dass sie an der konkreten Praxis vorbeigeht, fragt sie: „Wäre es nicht sinnvoller, den intersektionellen Ansatz mehr in einem prozessualen und damit stärker politischen Sinn zu verwenden, indem wir betrachten, wie unendlich komplexe Interaktionen vergeschlechtlicht, rassifiziert, (hetero-)sexualisiert, klassifiziert werden?“ A.a.O., 210f. Meine Vermutung ist, dass genau dies Althaus-Reids Methodik ausmacht (6.). Deshalb werden Villas Überlegungen im Laufe der Arbeit noch einmal wichtig. Allerdings bin ich skeptisch gegenüber ihrer Einschätzung, gesellschaftstheoretische Ansätze, die Teile der Intersektionalitätsforschung bestimmen, unterlägen einem Hype. Vgl. a.a.O., 216. 151 Vgl. KERNER, Intersektionalitätsforschung, 250f. 152 KERNER, Intersektionalitätsforschung, 250f. 153 Von neuen Traditionen spreche ich, da manche angeblichen Traditionen der Kolonisierten erst durch die Kolonisation geschaffen wurden oder an Bedeutung gewannen. Vgl. MOSER, Opfer, 384. 154 KERNER, Intersektionalitätsforschung, 251. 155 KERNER, Intersektionalitätsforschung, 249. 24 | S e i t e westliches Importprodukt ablehnen und damit ihren Antifeminismus zu kaschieren suchen. Kerner betont in diesem Zusammenhang die Risiken eines strategischen Einsatzes von Essentialismen, wie er durch die kolonialen Kräfte betrieben wurde. Insofern könne dieser antiimperiale Antifeminismus, der die diskursiven Spielräume für Feministinnen im globalen Süden massiv einengt, als Spätfolge des Kolonialismus gesehen werden.156 Eine dritte, wichtige Form der Thematisierung von Geschlecht ist die Kritik von postkolonialen Feministinnen aus dem Süden gegenüber einem weißen, hegemonialen Feminismus, der beanspruche, für alle Frauen zu sprechen, in Wirklichkeit aber selbstreferentiell die Situation von weißen Frauen der europäisch-nordamerikanischen Mittelschicht in den Mittelpunkt der Kämpfe um Emanzipation rücke. Das Resultat sei eine auf Viktimisierung und Othering beruhende Vorstellung der „Dritten-WeltFrau“, die zusätzlich zu den in 3.3.1. erwähnten Zuschreibungen von Primitivität bei den peripheren „Anderen“ speziell Frauen als sexuell unterdrückt und familienorientiert imaginiert.157 M.E. gibt es eine vierte Form der Thematisierung von Geschlecht, die in María Lugones’ Kritik an Quijanos Modell der Kolonialität der Macht sichtbar wird. Ich möchte anhand von Lugones’ Überlegungen beispielhaft aufzeigen, wie die postkoloniale Reflexion durch die Einbeziehung der Kategorie Geschlecht vertieft wird. Dies ist für die weitere Untersuchung von Althaus-Reids Ansatz essentiell. Damit komme ich zurück auf die Bemerkungen über Mignolos mangelhafte Analyse der Kategorie Geschlecht. Lugones konstatiert bei Quijano einen ähnlichen Mangel.158 Dass Lugones’ Variante eine spezifisch postkoloniale Thematisierung von Geschlecht ist und sich von Ansätzen unterscheidet, die ausschließlich Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts analysieren, zeigt ihr intersektionaler Forschungsrahmen.159 Ihr Ziel ist es aufzudecken, inwiefern die koloniale Moderne konstitutiv vergeschlechtlicht ist, so dass diese Kategorie in postkoloniale Analysen einbezogen werden muss. In diesem Rahmen ist es nicht möglich, alle Überlegungen Lugones’ 156 Vgl. KERNER, Intersektionalitätsforschung, 251. Darauf hat Chandra Mohanty in ihrem prominenten Aufsatz „Under Western Eyes“ bereits 1984 hingewiesen. Vergleiche die informativen Ausführungen bei KERNER, Postkoloniale Theorien, 97– 102. 158 Mignolos vier Ebenen der Kolonialität der Macht finden sich auch bei Quijano. Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 2. 159 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 1. Ihre Kritik am westlichen Feminismus ist der von Mohanty sehr ähnlich. Vgl. a.a.O., 13. 157 25 | S e i t e angemessen zu würdigen. Ihre zentrale These ist, dass das moderne/koloniale Geschlechtersystem eine „helle“ und eine „dunkle“ Seite aufweist.160 Das Problem sei, dass meist – und zwar sowohl von indifferenten postkolonialen Akademikern wie auch von weißen Feministinnen im Westen – die dunkle Seite nicht erkannt wird.161 Die Art und Weise, wie die Bedeutung von Geschlecht für die Strukturierung von Gesellschaft analysiert wurde und wird, bezieht sich einzig auf die „helle“ Seite, die selbst auch schon gewaltvolle Züge aufweist, wie die weißen Frauenbewegungen des 20. Jahrhunderts aufgezeigt haben.162 Gemeint ist mit der hellen Seite des kolonialen/modernen Geschlechtersystems die Organisation der Gesellschaft nach Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität.163 Dies mag eine treffende Analyse der Situation weißer Frauen aus der bürgerlichen Klasse sein. Historisch falsch wird die Analyse, sobald sie generalisiert auf die Situation aller Frauen weltweit, also auch die der kolonisierten, angewandt wird – an dieser Stelle werde ein Mangel an intersektionaler Methodik deutlich.164 Denn – so Lugones’ entscheidende Argumentation – schwarze Frauen wurden oft völlig anders als ihre weißen Pendants imaginiert und entsprechend behandelt: Während weiße bürgerliche Frauen als (in körperlicher wie in geistiger Hinsicht) schwach, passiv und sexuell enthaltsam galten, projizierte man in schwarze Frauen unendliche Leibeskraft, sexuell aggressives Verhalten und Perversität.165 Die durchaus widersprüchlichen Konstruktionen konnten so weit gehen, schwarzen Frauen Weiblichkeit ganz abzusprechen; sie erhielten dann den Status von Tieren in dem spezifischen Sinn, dass sie als ungeschlechtlich vorgestellt wurden.166 Psychoanalytisch lässt sich dieses Phänomen mit Wunschvorstellungen der männlichen Kolonisator_innen erklären, die die Eroberung des Landes erotisch aufluden und mit der sexuellen Eroberung und Beherrschung von Frauen gleichsetzten; darauf hat eindrücklich Anne McClintock in ihrer umfassenden Studie Imperial Leather hingewiesen.167 Zugleich waren diese Wünsche mit Ängsten verbunden, das Land nicht „zähmen“ zu kön160 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 7.12.15f. Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 5f.13. 162 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 15. 163 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 2. 164 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 13. 165 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 13. 166 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 13. 167 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 14. 161 26 | S e i t e nen.168 Prägnant schreibt McClintock: Travelers’ tales abounded with visions of the monstrous sexuality of far-off lands, where, as legend had it, men sported gigantic penises and women consorted with apes, feminized men's breasts flowed with milk and militarized women lopped theirs off. […] Africa and the Americas had become what can be called a porno-tropics for the European imagination – a fantastic magic lantern of the mind onto which Europe projected its forbidden sexual desires and fears.169 Da die territoriale Dimension so unmittelbar mit der geschlechtlichen verquickt wurde, bezogen sich die allerersten Anstrengungen der Kolonisatoren darauf, die schwarze Frau zu beherrschen:170 Columbus’ image feminizes the earth as a cosmic breast, in relation to which the epic male hero is a tiny, lost infant, yearning for the Edenic nipple. […] Columbus’ breast fantasy […] draws on a long tradition of male travel as an erotics of ravishment. 171 Im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr wurden den Frauen „unmenschliche“ Kräfte zugesprochen, die unbedingt gebändigt werden mussten. Bewährte Mittel dafür waren sexuelle Gewalt durch Vergewaltigungen, Versklavung und körperliche Ausbeutung der Arbeitskraft bis ins Unermessliche. Wieder Lugones: I think it is important to see, as we understand the depth and force of violence in the production of both the “light” and “dark” sides of the colonial/modern gender system, that this heterosexuality has been consistently perverse, violent, demeaning, a turning of people into animals, and the turning of white women into reproducers of “the race” and “the class.”172 Ein krasses Beispiel für sexualisierte, koloniale Körperpolitik, das Lugones mit Referenz auf Patricia Hill Collins anführt, ist die körperliche und emotionale Ausbeutung der stillenden schwarzen Mütter, die gezwungen wurden, den weißen Kindern ihrer Sklavenbesitzer die Brust zu geben statt ihren eigenen.173 In diesem Beispiel sind die Körper von schwarzen Frauen, sowie Fruchtbarkeitsprojektionen aufgrund von angeblich unendlicher sexueller Lust und die kolonisatorische Misogynie gegen schwarze Frauen auf krasse, äußerst gewaltvolle Weise miteinander verbunden. Dies ist laut Lugones nicht ein zufälliges Detail der Kolonialität der Macht, wie sie von Quijano konzipiert wurde. Die Imagination kolonialisierter Frauen ist systemischer Bestandteil der Kolonialität, die nicht ohne die männlichen Eroberungsphantasien funktioniert: And thus in understanding the extent to which the imposition of this gender system was as constitutive of the coloniality of power as the coloniality of power was consti- 168 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 7. MCCLINTOCK, Imperial Leather, 22. 170 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 14. 171 MCCLINTOCK, Imperial Leather, 22. 172 LUGONES, Coloniality of Gender, 12. 173 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 14. 169 27 | S e i t e tutive of it. The logic of the relation between them is of mutual constitution. […] Race is no more mythical and fictional than gender, both powerful fictions. 174 Das kolonial/moderne Geschlechtersystem und die Kolonialität der Macht müssen als gleichursprünglich betrachtet werden, um deren Ausmaß adäquat erfassen zu können. Mit Bezug auf die eingangs genannten vier Varianten der Thematisierung von Geschlecht lässt sich folgern, dass Lugones neben der ersten Variante (Verquickung von Eroberung von Frauen und Territorium) und der dritten Variante (Kritik an westlichen weißen Feminismen) eine vierte Variante erschließt, die sich auf postkoloniale Entwürfe selbst bezieht: Quijano sei nicht kritisch genug gegenüber der Ideologie des globalen eurozentrischen Kapitalismus hinsichtlich der Organisierung von Geschlecht bzw. profitiere selbst davon. Quijanos Konzept folge dem kolonialen Verständnis, nur die helle Seite des modernen kolonialen Geschlechtersystems zu betrachten und instituiere dadurch selbst Geschlechterherrschaft.175 Lugones weist anhand von Einzelstudien nach,176 inwiefern sich dieses System nicht nur auf einen Bereich (den des Sozialen) eingrenzen lässt, wie es Quijano und Mignolo tun. Hinsichtlich der Sphäre des Sozialen zeigt sie den Eingriff in Familienstrukturen und die Verfügung über die Körper von schwarzen Frauen („wet nurse“), die bis zur Vergewaltigung geht. In der ökonomischen Sphäre wurden schwarze Frauen durch Arbeit schwerstausgebeutet, da sie als (zu) stark vorgestellt wurden, außerdem wurden ihnen ökonomische Güter entzogen.177 In der politischen Sphäre brachte das koloniale System den Ausschluss aus entscheidungstreffenden Versammlungen und den Entzug von Führungsrollen.178 Auf der Ebene des Subjektiven wurden Frauen in das Private, Familiäre verdrängt.179 Über alle diese vier Bereiche wurde Geschlechterkontrolle und -gewalt ausgeübt. Was bei Lugones an dieser Stelle zu kurz zu kommen scheint, ist die Dimension des Widerstands. Schwarze Frauen wirken wie eine homogene Gruppe von Viktimisierten. Inwiefern sie sich kolonialen Imaginationen 174 LUGONES, Coloniality of Gender, 12. Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 12. 176 Die Bedeutung von Einzelstudien sei hier deshalb so betont, da gerade die Methode der Dekonstruktion angeblich natürlicher Gegebenheiten dazu verführen kann, alte koloniale Muster in der ethnologischen Betrachtung der „Anderen“ zu reproduzieren, jedoch mit umgekehrtem Vorzeichen. Je größer das Objekt der Analyse ist, desto größer scheint die Gefahr eines solchen Philo-Othering, wie ich es nennen würde. Vgl. WALZ, „Die Dritte-Welt-Frau“, 104. 177 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 11. 178 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 11. 179 Vgl. LUGONES, Coloniality of Gender, 12. 175 28 | S e i t e und kolonialer Gewalt widersetzt haben, würde das Bild vervollständigen und sie nicht allein als Opfer erscheinen lassen. 3.3.5. Was fehlt: Die Kategorie Religion Aus religionswissenschaftlicher Perspektive fällt ins Auge, dass die Kategorie Religion in den postkolonialen Studien wenig analysiert wird.180 Kerner z.B. weist mit Jürgen Osterhammel zwar auf die zentrale Bedeutung der christlichen Mission hin,181 subsummiert die Religion aber dem Feld der Kultur, ohne dies weiter zu reflektieren.182 Immerhin führt sie einzelne Theoretiker_innen an, die die Verwicklungen christlicher Mission in den Kolonialismus analysieren.183 Von Bedeutung scheinen mir v.a. ihre kurzen Ausführungen zum Werk des indischen Historikers Dipesh Chakrabarty,184 der sich in seinem Werk Europa als Provinz intensiv mit dem Verhältnis von europäischer Aufklärung und religiösen Praxen der Subalternen in indischen Debatten zwischen marxistischen und postkolonialen Akademiker_innen auseinandersetzt.185 Er erörtert die Kritik marxistisch orientierter Forscher_innen, die ihm und anderen vorwerfen, mit allzu vehementer Kritik an der europäischen Moderne dem Hindunationalismus in die Hände zu spielen, der (darin postkolonialen Ansätzen vergleichbar) den Eigenwert der religiösen Traditionen Indiens affirmiere.186 Chakrabarty verortet sich jenseits von identitären Affirmationen. Seine Herangehensweise an Religion ist dekonstruktivistisch.187 Er deckt einen Mangel an analytischen Kategorien auf, „die den realen, alltäglichen und vielgestaltigen Verbindungen gerecht werden könnten, die wir, indem wir modern wurden, als nichtrational begreifen lernten.“188 Die Ursache dafür erkennt Chakrabarty in der strikten Trennung zwischen Glaube und Gefühl auf der einen Seite und Vernunft auf der anderen Seite, eine Trennung, die in der Tat durch die europäische koloniale Moderne eingeführt wurde.189 180 Andreas Nehring betont, dass die Wahrnehmung von Religion bei „den Anderen“ immer von zentraler Bedeutung für die koloniale Imagination und Herrschaftspraxis war. Zugleich wurde Religion oft zu einem bedeutungsaufgeladenen Zeichen im antikolonialen Widerstand. Vgl. NEHRING, Postkoloniale Religionswissenschaft, 327. Darum wirkt die Auslassung der Kategorie Religion umso erstaunlicher. 181 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 26. 182 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 23. 183 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 48.78.89f.92. 184 Vgl. KERNER, Postkoloniale Theorien, 78. 185 Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 89–100. 186 Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 90. 187 Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 96. 188 Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 96. 189 Z.B. zeigt er, dass die christliche Mission aus Schottland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Indien eine stärker säkular ausgerichtete Bildung einführte, als sie in Großbritannien selbst zu der Zeit üblich war. Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 94. 29 | S e i t e Hinduistische Glaubensformen wurden seit dem 19. Jahrhundert als „Irrtümer“, „Aberglauben“, „Pantheismus“ und „Götzendienerei“ gebrandmarkt.190 Diese fundamentale Ablehnung von Religion – Chakrabarty spricht von einem „kolonialen Hyperrationalismus“191 – schreibe sich noch heute in das „Selbstbild moderner, säkularer indischer Gelehrter, insbesondere im Bereich der marxistischen Sozialgeschichtsschreibung“ ein. 192 In der Folge ist es für marxistisch geschulte Akademiker_innen unmöglich, befreiendes Potential in religiösen Bezugnahmen zu erblicken. Worauf es Chakrabarty ankommt, ist hingegen „die Möglichkeit, dass auch religiöse Überzeugungen eine politische Struktur oder ein politisches Vokabular benutzen können, um bestimmte Zwecke oder eine vorgestellte Lebensweise zu erreichen, in der sich das Politische gar nicht mehr vom Religiösen unterscheiden ließe“.193 Fern davon hier lediglich auf ein Problem des akademischen Kontextes Indiens aufmerksam machen zu wollen, bin ich überzeugt, dass dieser Konflikt der Gegenüberstellung von Glaube und Vernunft auch in Deutschland akut ist, wenn auch vielleicht nicht in dieser offen ausgetragenen Weise.194 Ulrike Auga weist hinsichtlich der Geschlechterstudien darauf hin, dass der Kategorie Religion gegenüber Unbehagen herrsche, weshalb sie am liebsten ganz ausgespart werde.195 Auch sie sieht die Wurzeln dieses Problems in einem säkularistischen Wissenschaftsverständnis, das seit der Aufklärung zu einer universalen Norm für den Wissenschaftsbetrieb geworden sei.196 Die Trennung von Vernunft und Glaube gehe damit einher, Religion als monolithischen Block wahrzunehmen und einen essentialistischen Religionsbegriff vorauszusetzen.197 So wird der eigene Säkularismus nicht wahrgenommen, der Religion als das ganz „Andere“ konstruiert und ausschließt.198 Der springende Punkt liegt an dieser Stelle also darin, dass laut Auga erst 190 Vgl. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 94. CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 97. 192 CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 95. 193 CHAKRABARTY, Europa als Provinz, 93. 194 Die Art und Weise, wie säkularistische Positionen in der Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 artikuliert wurden, halte ich für einen Beleg dieser These. Vgl. ÇETIN, ZÜLFUKAR U.A., Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“, Münster 2012. 195 Vgl. AUGA, Geschlecht und Religion, 23. Ich danke Fr. Auga herzlich für die Bereitstellung ihres noch unveröffentlichten Manuskripts. 196 Vgl. AUGA, Geschlecht und Religion, 4f. 197 Vgl. AUGA, Geschlecht und Religion, 23. 198 AUGA, Geschlecht und Religion, 5. 191 30 | S e i t e ein neues Verständnis von Religion sowohl in Theologie und Religionswissenschaften als auch in den postkolonialen Studien die Bedingung der Möglichkeit schafft, den Mangel an Analysewerkzeugen hinsichtlich der Kategorie Religion und deren gewaltförmige Wirkungen beheben zu können. Über Chakrabartys Kritik und Zeitdiagnose hinausgehend schlägt sie ein Modell vor, das sie in Althaus-Reids Art des Theologietreibens verwirklicht sieht.199 Deshalb bietet Augas theoretischer Rahmen eine unverzichtbare hermeneutische Brille, um die Theologie Althaus-Reids besser verstehen zu können. Augas Definition von Religion ist die folgende: Religion als Kategorie des Wissens zu betrachten, besagt, den Diskurscharakter von religiösem Wissen zu unterstreichen und das Verhältnis von dominanten versus widerständischen Diskursen aufzuzeigen.200 Es lohnt sich den Performanzcharakter von Religion statt kollektiver Identität zu betonen. Es bedeutet ausdrücklich nicht, Glaubensinhalte wegzuwerfen, sondern vielmehr, sie von ihrer ideologischen Verzerrung und ihrem universalistischen Anspruch auf Vorrangigkeit zu befreien.201 Wie Chakrabarty verfolgt Auga eine dekonstruktivistische Perspektive und analysiert – ähnlich wie Lugones, aber begrenzt auf die epistemische Dimension – die Gewaltförmigkeit von Essentialisierungen der Kategorie Geschlecht und der Kategorie Religion. Ihr Ziel ist, die essentialistische Trennung von Glaube und Vernunft zu überwinden, indem „[r]eligiöses Wissen und deren Praktiken und Bewegungen“, wie auch „Erfahrungswissen“, „aktivistisches Wissen“ oder „Körperwissen“ in ihrem Potential, neues Wissen zu schaffen und – das ist entscheidend – Gesellschaft zu verändern, ernst genommen werden.202 Sie schlägt vor, das Ziel der Befreiung mit der Metapher des „Human Flourishing“ neu zu visualisieren:203 Mit diesem performativen guten Leben als „menschlichem Blühen“ soll ausgesagt werden, dass die Widerstände und Visionen vielfältiger sind und individueller in Bezug auf Subjektformation und das Entstehen von Handlungsfähigkeit betrachtet werden sollten.204 Augas Vision scheint mir gleichsam ein Desiderat für die postkolonialen Studien zu sein. 199 Vgl. AUGA, Geschlecht und Religion, 25. Dies postuliert Auga jedoch nur. Mir geht es in diesem Beitrag darum, die Gültigkeit der These Augas an Althaus-Reids Gottesbild nachzuweisen. 200 AUGA, Geschlecht und Religion, 23. 201 AUGA, Geschlecht und Religion, 24. 202 AUGA, Geschlecht und Religion, 25. Vgl. a.a.O., 27. 203 Vgl. AUGA, Geschlecht und Religion, 24. 204 AUGA, Geschlecht und Religion, 24. 31 | S e i t e 4. Umgekehrt: Zum Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft Ein Dialog zwischen postkolonialen Theorien, (Systematischer) Theologie und Religions- und Missionswissenschaft scheint vor dem geäußerten Hintergrund dringend geboten. Doch ist klar, dass ein solcher Dialog, sollte er (um mit Althaus-Reid zu sprechen) mit „theologischer Ernsthaftigkeit“ geführt werden, alle Seiten verändern würde. Wie Theologie und Religionswissenschaften zueinander stehen, wird aktuell breit diskutiert.205 Auga rügt die traditionelle Religionswissenschaft, sofern sie sich als „rein historisch-empirische Wissenschaft ohne rückbezügliche Struktur“ geriert.206 Sie hält fest: Ein solcher Anspruch ist wissenschaftstheoretisch nicht haltbar. Religion ist immer aus einer bestimmten Perspektive beschrieben und kritisiert. 207 Indessen richtet sie Kritik auch an die Theologie: Sie müsse der Religionswissenschaft angesichts der Herausforderungen durch die Globalisierung größere Geltung zugestehen.208 So fordert sie eine umfassende Neuorientierung von Religionswissenschaft und Theologie: Das Resultat wäre idealerweise eine am neuesten Stand der Theoriedebatte informierte komparative Religionswissenschaft und eine christliche Theologie als Religionswissenschaft des Christentums. Für beide wünsche ich mir einen überarbeiteten Religionsbegriff der den konstruktiven Charakter, sowohl von Religion als auch von Geschlecht unterstreicht.209 Zu untersuchen wäre, inwiefern die argentinische Religionsphilosophie und -soziologie nicht bereits Werkzeuge für ein Theologieverständnis bereitgestellt hat, das die „eigene[n] Religion als Religion unter Religionen“ betrachtet.210 Die brasilianische Theologin und Ökumenikerin Nancy Cardoso Pereira bietet weiterführende Gedanken zur Neuorientierung von Theologie und Religionswissenschaft jenseits von Absolutheitsanspruch und Objektivitätsglaube, die zum Verständnis von Althaus-Reids Prämissen und Methodik hilfreich sind. In dem Aufsatz „Verflucht, geil und ergeben. Frauen in der christlichen Religion“ von 1999 geht sie über den blinden Fleck der postkolonialen Studien hinaus, Religiosität entweder auf Entfremdung oder 205 Vgl. WALZ, Gegen den Strom, 204 und WROGEMANN, Missio Dei bis Postcolonial Turn, 222– 225; SCHMITZ, Verhältnisbestimmung, passim; FELDTKELLER, Theologie und Religion, passim, bes. 93–110. 206 AUGA, Aus- oder Anschlüsse, 234. 207 AUGA, Aus- oder Anschlüsse, 234. Hvhb. UA. 208 Vgl. AUGA, Aus- oder Anschlüsse, 230. 209 AUGA, Aus- oder Anschlüsse, 230f. 210 AUGA, Aus- oder Anschlüsse, 234. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere J. Severino Croatto, Enrique Dussel und Juan Carlos Scannone, exemplarisch: vgl. Anmerkung 14. 32 | S e i t e Primitivität zu reduzieren, und untersucht Phänomene wie Volksreligiosität und indigene Spiritualität von Frauen in wertschätzender Weise. Weil in aller Welt religiöse Befreiungsbewegungen entstanden sind und weil wir die Lebensäußerungen der unteren Bevölkerungsschichten ernstnehmen müssen, verdienen auch die religiösen Phänomene größere Aufmerksamkeit, ja sogar einen gewissen Vorrang in der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung.211 Cardoso hält es für möglich, in der ausgesprochen heterogenen Volksfrömmigkeit „Kerne einer hochgradigen Religiosität, die ganz stark mit dem täglichen Kampf ums Überleben verknüpft ist“ zu finden.212 Es liegt ihr fern, diese zu idealisieren – sie weiß um die patriarchale Struktur auch der „präkolonialen“ Gesellschaften – und betont, dass gerade die Zonen der Zweideutigkeit und der Ambivalenz das Potential für Widerstand und eine subversive Spiritualität bergen.213 Ihr Blick auf Spiritualität ist geprägt von einem dekonstruierten, widerständigen Verständnis des Christentums. Provokativ schreibt sie: Lateinamerika war nie, ist nicht und wird nicht sein … ein christlicher Kontinent.214 Das Christentum muß den Gedanken aufgeben, entscheidend wichtig zu sein … Es darf nicht mehr so ernst genommen werden, damit sich eine echte Begegnung von Kulturen und Religionen, die das Leben auf dem Kontinent miteinander teilen, einstellen kann.215 Cardoso lehnt Glaubensäußerungen nicht per se ab. Sie stellt aber kritische Anfragen an die christliche Doktrin des Monotheismus, die aus einem Überlegenheitsgefühl heraus andere Religiositäten beurteilt.216 Das bedeutet nicht aufzuhören, die eigene Tradition zu lieben, noch weniger, Bekenntnisse und Wahrheiten fahrenzulassen. Es geht schlicht darum zu lernen, Verben und Gottheiten im femininen und maskulinen Geschlecht Plural zu konjugieren. An dem Tag, an dem Lateinamerika erkennt, daß es nicht christlich ist, kann die Ökumene ernsthaft beginnen. Gott ist bei uns.217 Bemerkenswerterweise stellt Cardoso in ihrem Text immer wieder Bezüge zu Gott her.218 Sie stellt ihr Gottesbild einem Christentum gegenüber, das maximal in einer Geste der Großherzigkeit Volksreligiosität zu inkulturieren bereit sei.219 Mein Eindruck ist, dass der Rekurs auf das Gottesbild (und nicht z.B. auf die Christologie oder Ekklesiologie) damit zusammen hängt, dass sich darin jeweils am prägnantesten die vorherrschen- 211 CARDOSO, Verflucht, 206. CARDOSO, Verflucht, 210. Ihr Wunsch ist, dass diese Formen von Spiritualität genauer untersucht werden. Es gebe noch zu wenig Forschung dazu. Vgl. a.a.O., 211. 213 Vgl. CARDOSO, Verflucht, 210f. 214 CARDOSO, Verflucht, 212. 215 CARDOSO, Verflucht, 213. 216 Vgl. CARDOSO, Verflucht, 213. Vgl. auch KWOK, Body and Pleasure, 37. 217 CARDOSO, Verflucht, 213f. Hvhb. NC. 218 Vgl. CARDOSO, Verflucht, 211.213f. 219 Vgl. CARDOSO, Verflucht, 212f. 212 33 | S e i t e de Epistemologie der Zeit ablesen lässt. Z.B. in folgendem Satz: Der nur einen Gott verehrende Monotheismus ist eine Notwendigkeit, nämlich eine Forderung der bürokratisch-theologischen Systeme der Herren Besitzer des Christentums. Um Religion als Wissenskategorie zu untersuchen, scheint eine Analyse der Gottesbilder eines jeweiligen Kontextes besonders geeignet, so meine These. Diese Überlegungen rechtfertigen auch die Analyse von AlthausReids Gottesbild in Augas Sinn. 5. Systematisierung und Analyse: Das postkoloniale Gottesbild Althaus-Reids Zu meiner Textauswahl: Ich beschränke mich in der Analyse des Gottesbildes Althaus-Reids v.a. auf die Passagen, die postkoloniale Fragestellungen explizit aufwerfen. Es sei noch einmal betont, dass im Rahmen dieser Arbeit nur eine Perspektive von Althaus-Reids Gottesbild im Mittelpunkt stehen kann und somit gezwungenermaßen eine Auswahl getroffen werden muss.220 Die Analyse der Konzepte bzw. Kategorien postkolonialer Theorien soll hier auf das Gottesbild angewandt werden. Die Frage lautet: Inwiefern finden sich die untersuchten vier Themenkomplexe in Althaus-Reids Gottesbild wieder? Und wie geht sie mit ihnen um? Gibt es Erweiterungen postkolonialer Ansätze? Gibt es Spannungen oder gar Aspekte, die im Widerspruch zu postkolonialen Grundsätzen stehen? 5.1. Die marginale Gott jenseits von Othering Althaus-Reid nimmt eine umfassende Kritik der klassischen lateinamerikanischen Befreiungstheologie vor, wie ansatzweise bereits unter 2. angeklungen ist.221 Ihre Kritik richtet sich darauf, dass die Befreiungstheologie ihren Anspruch, radikal mit dem Status quo zu brechen und eine umfassend inklusive Kirche zu werden, nicht erfüllt, sondern strukturelle Ähnlichkeiten mit den kolonialen Kirchen bewahrt hat.222 Richtungweisendes Ziel der Befreiungstheologie ist die Inklusion aller und 220 Vor allem liegt der Schwerpunkt nicht auf der queeren Dimension von Althaus-Reids Theologie. Dies zu untersuchen, bedürfte einer eigenen Arbeit. 221 Das sollte nicht missverstanden werden, wie Kwok Pui-Lan es tut, indem sie Althaus-Reid als Überwinderin des Befreiungsparadigmas bezeichnet. Vgl. KWOK, Liberation Theology, 75. Obgleich Althaus-Reid selbst zuweilen diesem Eindruck Vorschub leistet (vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 271), denke ich, dass dies ihrer provokativen Art geschuldet ist und von einem Standpunkt herausfordernder doch zugleich solidarischer Kritik an der Befreiungstheologie geschieht. Vgl. ALTHAUS-REID, Indecent Theology, 5; DIES.,From Liberation to Indecent, 36 und ISHERWOOD, Lieben, 629. 222 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 25–28. Zugleich räumt sie ein, dass es von Anfang an auch andere Stimmen gegeben habe, die aber nicht gehört wurden. Vgl. a.a.O., 24. 34 | S e i t e das Ende der Herrschaft der politischen und ökonomischen Eliten Lateinamerikas. Dies wird oft mit dem Bild des großen eucharistischen Tischs ausgedrückt, das politische Brisanz besitzt: Es erhebt die Forderung nach ökonomischer Inklusion und der Überwindung der ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse.223 Doch, so verurteilt Althaus-Reid, diese Metapher war von Anfang an nicht auf alle gemünzt: Nur „some of the nobodies of Church and theology“ sollten inkludiert werden: die Armen.224 Deren Identität wurde festgeschrieben: Der Arme war männlich, ein Bauer mit vage indigenen Wurzeln, Christ und heterosexuell.225 Hier folgte die Befreiungstheologie hinsichtlich von Geschlecht, sexueller Oreintierung und „Rasse“ den kolonialen Epistemologien.226 Dazu konnte es kommen, meint Althaus-Reid, weil keine Theologie den epistemischen Charakteristika ihrer Zeit ganz entfliehen könne, auch wenn sie sich noch so sehr im Widerspruch zu ihnen verstehe.227 Ihre Kritik zielt maßgeblich auf die Praxis der militanten Kirchen während der Militärdiktaturen. Der Widerstand sei auf autoritäre Weise und nach einer rigiden hierarchischen Ordnung organisiert worden.228 Debatten wurden geführt, welche Ziele Priorität hätten. Die epistemischen Charakteristika der Zeit fußten auf einem heteropatriarchalen Christentum.229 So geschah es, dass Frauen exkludiert und ihre Anliegen als zweitrangig abgetan wurden. I have been myself involved in many discussions in the past concerning the prioritization of the struggle in Latin America. Those who considered that the suffering arising from gender or sexual discrimination was of a second order, failed to recognize that they shared the same logic that creates poverty in the first instance.230 Die Ausführung des Arguments bleibt an dieser Stelle aus. Im Kontext geht es darum, dass Gnade in einem militärischen System nach einer Logik des Profits verteilt wird.231 Das hieße, Althaus-Reid prangert an, dass sich Menschen, die unter Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität leiden, erst verdienen müssen, dass man sich ihrer Sache annimmt, so wie in der Militärdiktatur die Gunst des Staates verdient werden musste. Entgegen ihrem Anspruch sei die Befreiungstheologie mit der Zeit zum Dogma geworden, sie habe einen mystifizierten „canon of normativity“ 223 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 25. ALTHAUS-REID, Class, 26. 225 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 27. 226 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 26. 227 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 27. 228 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 28. 229 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 24. 230 ALTHAUS-REID, Class, 28. 231 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 28. 224 35 | S e i t e herausgebildet.232 Aus dem Scheitern ihrer Befreiungspraxis folgert Althaus-Reid, dass es nicht reiche, bei der Forderung nach Gleichheit oder Inklusion zu verharren. Es sei notwendig, die (internen) Machtkämpfe zu analysieren, um die Episteme der jeweiligen Zeit entlarven und überwinden zu können.233 Althaus-Reid kritisiert also, dass die weiterhin von heteropatriarchalen Strukturen geprägte Befreiungstheologie koloniale Repräsentation ausübe, die die Exkludierten trotz ihres ohnehin marginalen Status erneut zur Peripherie erkläre, weil sie sich der Autorität des Zentrums verpflichtet fühle. Doch was hat ihre Kritik mit dem Gottesbild zu tun? Althaus-Reid macht der Befreiungstheologie den Vorwurf, die Armen theo-logisch instrumentalisiert zu haben: Far from inclusiveness, this was a discourse of privilege, reflecting the precedence of the marginalized and poor in God’s plans for the kingdom.234 Gott behält in diesem Konzept kolonialer Theologie sakrale Autorität und wendet sich auf paternalistische Weise den Armen zu. Den Marginalisierten wird ihre Rolle lediglich zugebilligt. Althaus-Reids radikale Alternative zu dem immer noch heteropatriarchalkolonialen Gott, der z.B. Kämpfe von Frauen als nebensächlich abtut,235 ist eine marginaler Gott, die aufgrund der eigenen Herkunft an den Rändern nicht das Privileg hat, Repräsentation und Othering betreiben zu können. Wenn Gott selbst marginal ist, dann muss die Befreiungstheologie, will sie ihre selbstgesteckten Ziele weiterhin ernsthaft verfolgen, situiertes Wissen ernst nehmen. Wie Spivak will Althaus-Reid ihre Leser_innen dazu antreiben, von den marginalisiertesten der Marginalisierten aus Theologie zu treiben. Gott müsse am Rand wiederentdeckt werden, sie sei auf der Straße. Althaus-Reid weist in die gleiche Richtung wie Spivak, die mahnt, die Subalternen nicht zu unterschätzen (s. 3.3.1.): Sie geht von einem Verständnis der Exkludierten als postmodernen Subjekten aus, die viel vom Ende der großen Erzählungen, z.B. der Erzählung von Heil im Jenseits, wissen. So ist die marginaler Gott selbst eine jenseits der großen Erzählung 232 ALTHAUS-REID, Class, 25. Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 26f. In der Frage, ob Gerechtigkeitsansätze oder Normierungskritik zu favorisieren seien, ist Althaus-Reid an dieser Stelle klar der letzteren Seite zuzuschlagen. Damit gehört sie zu den dekonstruktivistisch-postkolonialen Ansätzen, die Machtkonstellationen und deren materialisierte Wirkmächtigkeit kritisch analysieren. Vgl. WALZ, Gegen den Strom, 206. 234 ALTHAUS-REID, Class, 26. 235 So sprachen viele Befreiungstheologen der ersten Generation nur politökonomischer Unterdrückung Priorität zu, z.T. bis heute (vgl. auch 3.3.5.). 233 36 | S e i t e und die Exkludierten Expert_innen für dieses Wissen.236 Es kann mit dieser Gott weder Paternalismus, noch Exotisierung oder Viktimisierung geben. Denn dieser Gott ist selbst Opfer (von ökonomischen, politischen, heteronormativen, ethnischen, sexuellen gewaltvollen Ausschlüssen) und trotzdem ist sie ein Handlungsfähiger und effektiv Handelnde.237 Dass Althaus-Reid konsequent die Perspektive der Subalternen einnimmt und diese bis in das Gottesbild hinein einträgt, führt jedoch zu der Frage, ob sie ihrerseits als Akademikerin Repräsentation betreibt – also sich an die Stelle der Exkludierten setzt. Unterscheidet sie ihre Subjektposition genügend von der der Subalternen oder unterliegt sie der Gefahr, den Unterschied zu nivellieren, wovor Rivera Rivera warnt (3.3.1.). Wie unter 2. dargestellt, behauptet Althaus-Reid, dass „die“ Exkludierten Theologie bräuchten, um zu überleben. Diese Aussage klingt allzustark theologisch motiviert. Ist deshalb anzunehmen, dass Repräsentation konstitutiv zu ihrer Art des Theologietreibens dazugehört, oder besteht lediglich die Gefahr, dass sie punktuell über das Ziel hinausschießt? Hier soll diese Frage noch offen bleiben (s. 6.). 5.2. Die promiske Gott If the theologian puts her hands under the skirts of God, she is establishing a different pattern of dialogue with the sacred and with herself and her community of resistance.238 Althaus-Reid beschreibt Theologie als die Kunst, Gott unter ihrem Rock zu berühren.239 Wie kommt sie zu solch einer Metapher? Mein Eindruck ist, dass Althaus-Reids Kritik an der Befreiungstheologie analog zu Lugones’ Kritik an Quijano verläuft (s. 3.3.4). Beide werfen ihren Gegner_innen nicht Antifeminismus vor, sondern, dass sie die eigenen Grundsätze nicht ausreichend ernst nehmen. Und beide kommen zu dem Ergebnis, dass Geschlecht und Sexualität unermesslich wichtige Faktoren in der Organisation einer kolonialen Gesellschaft sind. Althaus-Reid kritisiert die christliche Mission, dass sie in Wahrheit über Sex gepredigt habe und nicht über Gott, obwohl sie letzteres vorgab.240 So kommt Althaus- 236 Gott jenseits der großen Erzählungen zu verorten, ist eine Aussage mit weitreichenden Konsequenzen, die ein auf Allmacht beruhendes Gottesbild fundamental dekonstruiert. 237 Vgl. MOSER, Opfer, 482-488. 238 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 27. 239 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 23. 240 Darin ähnelt ihre Kritik sehr der von Cardoso. Vgl. CARDOSO, Verflucht, 208f. Cardoso hebt die Geschichte der Gewalt gegen Frauen in Lateinamerika hervor, deren Körper „beschuldigt und gejagt, abgerichtet zu Dienst und Gehorsam, der männlichen Lust und der Gier vieler Kinder ausgeliefert“ und somit enteignet wurden. A.a.O., 208. Über Lugones hinausgehend zeigt Cardoso, wie sich 37 | S e i t e Reid zu dem Schluss: „[T]heology has been and will remain a sexual praxis.“241 Als Beleg führt sie eine Studie von Merry E. Wiesner-Hanks an:242 In Revolten der Guaraní gegen die Jesuitenreduktionen sei für Bigamie und Konkubinat gekämpft worden. Konfliktherd seien also nicht theologische Streitigkeiten z.B. über die Trinitätslehre gewesen. Damit bekräftigt Althaus-Reid ihre These, dass es der Mission um die Implementierung einer bestimmten Geschlechter- und Sexualitätsordnung ging. In vielen Ländern hätten die Jesuiten eigene Gerichte und Gefängnisse führen dürfen. Ein Grund für Verurteilung konnte sein, die Cousine ersten Grades zu heiraten.243 As a document from a group of elders at the time says, the Christians came to destroy the indigenous nations by destroying their happiness in love.244 Auch an anderer Stelle bezieht sie sich auf die Verknüpfung von „Rasse“, Geschlecht/Sexualität und christlicher Religion, und verweist auf die Studien Graciela Chamorros,245 die zeigen, wie jesuitische Wörterbücher zur Zeit der Reduktionen dazu dienten, die Sprache der Guaraní hinsichtlich der Geschlechterbilder umzustrukturieren. Dabei wurde viel Aufwand betrieben, das weibliche Geschlecht mit Sünde zu belegen.246 Althaus-Reid schlägt demgegenüber eine queere Theologie vor, die das für das heteropatriarchale System „Heilige“ hinterfragt und die Ordnung der Anständigkeit destabilisiert.247 D.h. Althaus-Reid strebt an, dass etwas anderes als die koloniale Anständigkeitsordnung als heilig betrachtet wird. Deshalb könne sich eine unanständige Theologie nicht damit begnügen, Akzeptanz oder Toleranz für die geschlechtlich oder sexuell Devianten zu fordern. Dies würde weiterhin einer sexuellen Epistemologie des Zentrums folgen.248 So reicht es ihr nicht, auf die Exklusion von z.B. Frauen hinzuweisen, wie es feministische Konzepte vor Butler oft taten. Sie hat eine besondere Option für queere Menschen und geht dadurch über Lugones und Cardoso hinaus. diese Gewaltgeschichte mit einem kolonialen Christentum vereinte: Die sexuelle Lust von Frauen wurde mit Prostitution gleichgesetzt und als Sünde definiert, für die Vergebung zu erlangen nötig sei. „Die Evangelisation des Kontinents entleerte also die Frau und ihren Körper aller Sakralität und begründete eine Doppelmoral, welche die weibliche Würde bei den unterworfenen Völkern tief verletzte.“ Ebd. 241 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 25. 242 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 26. 243 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 26. 244 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 27. 245 Vgl. Althaus-Reid, Let them talk, 9f. und Chamorro, Geschlecht, passim. 246 Vgl. Chamorro, Geschlecht, 191-193. 247 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 25.27. 248 Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 28. 38 | S e i t e Es wird deutlich, dass Althaus-Reid mit intersektionalen bzw. interdependenten Kategorien der Unterdrückung arbeitet, auch wenn sie sich nicht explizit auf die Theorie selbst bezieht.249 Sie verbindet dabei mindestens die Kategorien von Klasse, „Rasse“, Religion, Körper, Gender und Sexualität.250 Durch die intersektionale Einbeziehung aller dieser Kategorien schiebt sie einen Riegel vor die Priorisierung nur einer Kategorie und ist so davor gefeit, aus postkolonialer Perspektive die Kategorie „Rasse“ als gegenüber der Kategorie Geschlecht dominante zu postulieren, wie es Mignolo tut (s. 3.3.4.).251 Besonders an ihrem Vorgehen ist v.a., dass sie auch die Kategorie Religion konstitutiv in ihre Analysen einbezieht. Althaus-Reids Anliegen geht über das Aufdecken von Mittäterschaft der Theologie und Kirche hinaus: Sie sagt, dass sexuelle Ideologien konstitutiv für theologische Praxis sind. Diese heterosexuellen Ideologien sind aber immer mit ökonomischen, politischen, rassistischen und kulturellen Dimensionen verwoben.252 Im Widerstand gegen die vorherrschenden sexuellen Ideologien entwickelt sie die Metapher vom Berühren Gottes unter ihrem Rocksaum. Dies könne aber erst probiert werden „after having lifted our own.“253 Diesem Projekt gibt Althaus-Reid den Namen einer „Perv’s Theological Ethics“, und sie plädiert dafür, erst nach einem Bruch mit der heterosexuellen Epistemologie theologisch über Gnade und Erlösung nachzudenken.254 Auf inspirierende Weise reflektiert Althaus-Reid auf Grundlage dieser Ethik z.B. über das Verhältnis von Gnade und Promiskuität und erkennt in einer als promisk bezeichneten Lebensweise eine Form zu lieben, die nicht auf Leistung beruhe.255 Zeigte Lugones am Beispiel der Konstruktion von Perversität koloniale Machtstrukturen auf, so leistet Althaus-Reid ähnliches und dekonstruiert es zugleich kreativ. Hierin weist sie eine Nähe zur dekolonialen Praxis der Wiederaneignung und Umdeutung von Begriffen auf (s. 3.3.2.). Kriterien für ein postkolonial-queeres Gottesbild sind für sie eine von Ge249 Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 27.29. Die Annahme, dass es nicht ausreicht, allein von Geschlecht – im Englischen gender – zu reden, beruht auf den Theorien Butlers: Nur das soziale Geschlecht als gesellschaftlich konstruiert zu betrachten, reifiziere letztlich den Dualismus der Zweigeschlechtlichkeit. Auch das biologische Geschlecht unterliege wirkmächtigen und z.T. gewaltvollen Konstruktionen, wie heute immer noch am klarsten am Umgang mit Intersex-Menschen zu erkennen ist. Vgl. ALTHAUS-REID, Befreiungstheologie, 170f und DIES., Colonial Decency, 30. 251 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 34. 252 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 32. 253 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 33. 254 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 33. Hvhb. MAR. 255 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 29. 250 39 | S e i t e genseitigkeit geprägte Beziehung zwischen Gott und Menschen und die Ermöglichung von lustvollen Begegnungen, Freiheit und Selbstliebe. Aus einer solchen Beziehung würden alle Seiten verändert hervorgehen: „God is going to be enriched in the process.“256 Da keine Kategorie Priorität vor einer anderen erhalten darf, gründet das Gottesbild Althaus-Reids auf einer radikalen Pluralität. 5.3. Ein Wegwerf-Gott?257 Die marginaler Gott (s. 2.) basiert zuallererst auf einer räumlichen Metapher: Gott ist marginal, also am Rand liegend oder auf der Grenze. Althaus-Reid entdeckt Gott selbst am Rand, wo sie schon immer war, aber nicht statisch: Gott bewegt sich widerständig auf der Grenze, weil sie sich zusammen mit anderen organisiert. Was tut Gott dort? In „The Hermeneutics of Transgression“ von 1998 – vielleicht AlthausReids schockierendster Aufsatz – erzählt sie von dem Straßenkind Carlos, mit dem sie einen Monat lang gemeinsam Mate trank.258 Dieser Junge lebte einer Sozialarbeiterin259 zufolge schon mehrere Jahre in Buenos Aires, sprach selbst aber nur von wenigen Monaten. Sein Alter konnte er nicht benennen, gerufen wurde er mit dem Namen eines berühmten Boxers.260 Althaus-Reid erklärt, die Armen (1.) hätten noch einen Raum für sich, wenn auch einen der Ausbeutung. Die Marginalisierten (2.) erlebten ebenfalls Armut und Gewalt, aber zusätzlich würden sie noch für verrückt gehalten. Die Exkludierten (3.) jedoch erfahren nicht einmal das: The excluded are those who are outside, such as Carlos, for whom to be exploited would be a dubious but real privilege.261 256 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 25. Ich vermute, dass die Schlüsse besonders dieser Kategorie mit den postkolonial-theologischen Reflexionen Nancy Bedfords vertieft und präzisiert werden könnten. Vgl. BEDFORD, Migration, passim. Ich sehe hier Möglichkeiten zur Weiterentwicklung eines postkolonialen Gottesbildes. Vgl. Anmerkung 3. Vgl. außerdem zum Thema der „kolonialen Wunde“ mit Bezug auf Anzaldúa und Cherríe Moraga RIVERA, Touch of Transcendence, 94–97. Auch die Luce Irigaray aufnehmenden Überlegungen Riveras, dass Frauen einen eigenen Raum bräuchten, statt als bloße Hülle für sich in der Öffentlichkeit Raum nehmende Männer zu fungieren, wären unbedingt einzubeziehen. Zusätzlich bräuchte es die Schaffung eines irreduziblen und zugleich dynamisch veränderlichen Raums im Zwischen, einen zwischenmenschlichen, intrakosmischen Raum (das so genannte „Dritte“). Vgl. a.a.O., 92–94. Dieses Konzept wendet Rivera zusätzlich postkolonial: Auch der (metaphorisch personifizierte) Süden bräuchte einen eigenen Raum, um nicht bloße Hülle zur Bereitstellung von Ressourcen und der Subjektposition des „fortschrittlichen“, Westens/Nordens zu sein, Rivera geht so weit zu sagen, dass der Süden quasi als Fußschemel des Nordens dient, um letzterem einen Bezug zur Transzendenz zu ermöglichen. Vgl. a.a.O., 93. „It seems crucial, indeed urgent, to find a model of encountering these Others of the Third World – sexually different, but not only – where each is invited to enter a place and have a place, a cosmic dwelling.” A.a.O., 94. „In this theology of transcendence, the intimate and yet insurmountable space between our differences would be divine.” A.a.O., 137. 258 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 251. 259 Vielleicht war es auch ein Sozialarbeiter. 260 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 251.253. 261 ALTHAUS-REID, Transgression, 252. 257 40 | S e i t e Das Hauptcharakteristikum der exkludierten Massen sei kapitalistisch gesprochen ihre Unproduktivität. Drastisch nennt Althaus-Reid sie „disposable people“.262 Die Exkludierten nähmen keinen Raum ein, seien unsichtbar, weil sie vom legalen System nicht erfasst sind. Es werde verkannt, dass sich gerade in diesen Menschen das Ende der großen Erzählungen manifestiere. Althaus-Reid spricht vom Exzess des Exzesses, vom “excess of degradation to which human lives can be subjected; the excess of anonymity and invisibility”:263 As it is well known, in the Savage Capitalism we are living in, not only the identity of the excluded is erased but even the borders between life and death are blurred. Children can be executed in the streets of Latin America without leaving a trace/memory of their presence just some hours later.264 In der Tat berichtet Althaus-Reid von einem Entführungsfall, der sich 1995 zugetragen hat: Zwei Schwestern unter 12 Jahren wurden auf offener Straße in die Zwangsprostitution verschleppt. Obwohl sie schrien und ihr älterer Bruder ihnen zu helfen versuchte, griffen die Passant_innen an der belebten Kreuzung nicht ein. Diese Kinder, sagt Althaus-Reid, würden nicht zu den Menschen gezählt.265 Sie fragt: Which gods ally with the excluded? Which God is the God of the excluded? A disposable God? Is the crucified/tortured God also a God forced into prostitution at lunch time amongst an indifferent crowd?266 Die Fragen beantwortet sie damit, dass die Exkludierten den Exzess des Exzesses von Elend und menschlicher Erniedrigung verkörperten und zugleich den Locus des Exzesses Gottes.267 Gott selbst begeht einen Exzess. Sie entäußert sich. Am Ende des Aufsatzes beschreibt Althaus-Reid die Notwendigkeit, dass sich die Theologie entäußern, also einen Akt der Kenosis begehen muss.268 Sie wendet den Gedanken der Kenosis oder des Exzesses Gottes auf Jesus am Kreuz an. Leider vertieft sie ihn nicht weiter. Auch gibt sie keine Erklärung dafür, warum sie drei Jahre später in „Der göttliche Exodus Gottes“ wieder „nur“ vom marginalen und nicht vom exkludierten Gott spricht. Da aber klar ist, dass sie ihre Theologie und die darin enthaltenen Metaphern durch die Erfahrungen mit marginalisierten und exkludierten Menschen entwickelt, ist anzunehmen, dass die Rede vom Exzess Gottes die Realität von Carlos oder den drei Geschwistern 262 ALTHAUS-REID, Transgression, 253. ALTHAUS-REID, Transgression, 253. 264 ALTHAUS-REID, Transgression, 253. 265 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 254. 266 ALTHAUS-REID, Transgression, 254. 267 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 254. 268 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 270f. 263 41 | S e i t e besser fassen kann als das Bild der marginaler Gott. Eine ähnliche Metapher gebraucht Althaus-Reid 2005, wenn sie über die Situation der unberührbaren, Müll berührenden Kartonsammler_innen (cartoner@s) in Argentinien schreibt.269 In dem Aufsatz „El Tocado“ entäußert sich Gott so weitgehend, dass er_sie Selbstmord begeht.270 Durch die enge Verbindung einer gravierenden, von Entwürdigung geprägten Situation und den Gottesbildern, die Althaus-Reid dafür erfindet, wird deutlich, dass es der jeweilige Raum ist, der spezifische Kontext, der das Gottesbild AlthausReids determiniert und nicht umgekehrt. Mit Mignolo gesprochen: Es liegt Althaus-Reid fern, egologisches Denken zur Grundlage ihrer Theologie zu machen (s. 3.3.3.). Das Gottesbild ist von der Kategorie Raum nicht zu trennen und entwickelt sich von einem spezifischen Raum aus. Dabei ist bemerkenswert, dass Althaus-Reid die koloniale Sicht auf das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz umkehrt. Dies sei mit einem Zitat des dekolonialen Philosophen und Historikers Martin E. Díaz verdeutlicht, der über den 1879 an den Ureinwohner_innen Patagoniens begangenen Genozid schreibt:271 Die Vorstellung dieser Wüste sollte so als ein leerer Raum konstruiert werden, der durch den argentinischen Staat gefüllt werden konnte. Daher ermöglichte die Herstellung dieser Vorstellung einen „zu belebenden Raum“, die in der erobernden Ausbreitung einer zivilisatorischen Maschinerie enthalten ist und über einen leeren Raum die transzendente Einheit des Staates begründet – im Gegensatz zur Immanenz, verkörpert durch ein entvölkertes Land und den wilden Körper des indio.272 Die Erfindung des argentinischen Nationalstaats musste transzendent überhöht werden, um die Ausrottung indigener Menschen zu legitimieren, die lediglich der Sphäre der Immanenz zugerechnet wurden. Althaus-Reid kehrt dieses Verhältnis von Transzendenz und Immanenz in ihrem Gottesbild des marginale Gottes um: Das Heilige oder Göttliche erkennt sie in der Dreieinigkeit der drei Geschwister an einer Kreuzung in Buenos Aires zur Mittagszeit.273 Während der Gott des argentinischen Kriegsministers und späteren Präsidenten Julio Argentino Roca ein Kolonisator-Gott war, wird Althaus-Reids Gott 1998 und 2005 völlig entmachtet. Althaus-Reid entzieht den Zonen der Macht die Transzendenz und verortet sie in den Ex- 269 Deren Auftreten hängt ursächlich mit dem argentinischen Wirtschaftscrash 2001 zusammen. Vgl. ALTHAUS-REID, El Tocado, 399. 271 Dieser Genozid hat als „Eroberung der Wüste“ (sic!) Eingang in die Historiographie gefunden und wird noch heute durch seine Abbildung auf den argentinischen 100-Peso-Scheinen glorifiziert. 272 DÍAZ, Biopolitik, 150. Hvhb. SJ. 273 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 256. 270 42 | S e i t e kludierten, die den Exzess der Nichtexistenz verkörpern.274 1998 bringt Althaus-Reid eindringlich den Skandal der Indifferenz der Gesellschaft und der Theologie zu Papier. In „Der göttliche Exodus Gottes“ hat sie einen anderen Fokus: Es geht ihr um die Möglichkeit von Widerstand gegen koloniale Theologien. Dafür erscheint ein Gottesbild, dessen Emphase auf Passivität bis hin zur völligen Auslöschung liegt, weniger geeignet. So versieht sie Gott mit Attributen der Gegenseitigkeit und Subversivität, was zum nächsten Abschnitt überleitet. 5.4. Die widerständige, marginale Gott275 Mitten in den Globalisierungsprozessen wird es eines marginalen Gottes bedürfen, um uns zu zeigen, dass das Beste unserer Geschichte von Solidarität und strategischer Organisation zur Veränderung nicht von Gottes Leidenschaft für die Leute am Rande kommt, als ob es Gottes Berufung wäre, die Grenzen aufzusuchen, sondern von einer tatsächlichen Verortung außerhalb der Konstrukte des Zentrums. 276 Althaus-Reids theologische Emphase liegt auf pluralen sozialen Kämpfen.277 Diesen spricht sie das epistemologische Privileg zu und entgeht dadurch dem Streit, ob alternative Wissenssysteme zu favorisieren seien oder doch auch Theorien des Westens rezipiert werden können, ohne einer postkolonialen Perspektive entgegenzustehen. Die Arbeit mit der Hermeneutik des Verdachts gebietet ihr, immer bei den Praxiserfahrungen zu beginnen und Theologie erst im zweiten Schritt zu tun. So steht ihr Gottesbild einem Wohltätigkeitsgott denkbar fern.278 Ich würde Althaus-Reids Gottesbild folgendermaßen beschreiben: Gott organisiert sich mit anderen auf der Straße und hofft, dass sie bei der nächsten Blockade weniger Prügel abbekommt. Sie weiß, dass Solidarität wichtig ist, manchmal sogar überlebenswichtig, wenn die eigene Hütte im subtropischen Regenguss mal wieder geflutet wurde und alles mühsam Aufgebaute kaputt ist. Wenn sie sich mit den anderen trifft, wird gestritten, auch Machtkämpfe gehören dazu. Aber es wird darum gerungen, einen gemeinsamen Raum zum Schutz vor der sie umgebenden heteropatriarchalen Normativität herzustellen, wo Tränen geteilt werden und über die eigene Verrücktheit gelacht wird. Althaus-Reids Verständnis von Widerstand fängt damit an, Geschichten 274 Vgl. ALTHAUS-REID, Transgression, 254. Eine Kritik am Kapitalismus in Verknüpfung mit der Kategorie Sexualität und Geschlecht leistet außerdem Nancy Cardoso Pereira, deren Überlegungen zur Fortführung der Entwicklung eines postkolonialen Gottesbildes vielversprechend sind. Vgl. CARDOSO/CARVALHAES, God’s Petticoat, passim. 276 ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. 277 Vgl. ALTHAUS-REID, Exodus Gottes, 24. 278 Vgl. ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 31. 275 43 | S e i t e des Schmerzes und des Leidens (aber nicht nur solche) zu teilen. Queerender Widerstand von Theolog_innen muss dabei auch das eigene „Ich“ einbeziehen: It is a theology which does not essentialise. In that sense, it is the perfect example of a theology done from someone’s story, and the reflection where a theologian stands up in community, in solidarity and in uniqueness. Queer we may stand, with a sense of pride and resistance which comes from the sharing of our own stories and own sufferings, and the silence of a theology which has assumed too many things about sexuality and God.279 In der Gemeinschaft erhält dieser Akt des Erzählens erlösende Qualität, sagt Althaus-Reid.280 Das Leiden wird zu gemeinsamem Leiden. Das stelle Vertrauen her; Solidarität könne wachsen.281 Ihr Konzept des Widerstandes grenzt sich ab von einem, dass das revolutionäre Subjekt finden will, es in Wahrheit aber nur repräsentiert und für etwas kämpft, das nur den eigenen Vorstellungen entspricht und andere Kämpfe um Gerechtigkeit unbeachtet lässt. Althaus-Reid fordert die Befreiungstheologie dazu auf, wieder für das Recht auf Anormalität zu kämpfen, wenn Hunger und Gewalt das Normale auf der Welt sind.282 In the end, this liberation of God and God’s people has been the core of liberation theologies.283 Widerstand erwächst im Gottesbild Althaus-Reids, zusammenfassend gesagt, nicht aus einem vorbildhaften Gott, sondern aus einer, die sich in Befreiungsprozesse einbringt und dabei als eine unter vielen anderen kompromisslos das gute Leben im Hier und Jetzt fordert. Ob dafür ein strategischer Essentialismus in Frage kommt oder nicht – auf diese Frage bietet sie keine Antwort. 6. Potentiale und Grenzen des Marginal God Ich habe diese Arbeit mit der Vermutung begonnen, eventuell Kritik an einer zu starken Marginalisierung „Gottes“ durch Althaus-Reid üben zu müssen. Ich meine eine Form von Marginalisierung, die Gott zum passiven Opfer erklärt hätte. Anders gefragt: Wie ist Befreiung noch möglich, wenn Gott sich vollständig selbst entäußert? Wie Hoffnung? Dabei dachte ich vage an afrikanische Kirchen und den Lobpreis eines empowernden Gottes durch schwarze Frauen. Hier bin ich selber einer Form des religiösen 279 ALTHAUS-REID, Colonial Decency, 29. Hvhb. SJ. Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 25. Hvhb. SJ. 281 Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 25. In diesen Überlegungen weist sie eine Nähe zu Spivak auf, wenn diese über das Verhältnis von Ethnologin und subalternen Frauen(gruppen) nachdenkt (3.3.2.). 282 Vgl. ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 33. 283 ALTHAUS-REID, From Liberation to Indecent, 36. 280 44 | S e i t e Othering aufgesessen, in der ich die imaginierten schwarzen Frauen fern von postkolonialen oder postmodernen Theoriediskursen verortet habe, ohne weitere Kenntnisse zu besitzen. Althaus-Reid mahnt, gerade subalterne Subjekte (natürlich sind nicht alle afrikanischen Frauen solche) als postmoderne wahrzunehmen. Im Laufe der Auseinandersetzung mit Althaus-Reids Gottesbild musste ich meine Vermutung revidieren. Es gibt bei ihr zwar den sich völlig entäußernden oder Selbstmord begehenden Gott, der nicht viel Raum für die Möglichkeit von Widerstand zu lassen scheint. Der Exzess des Nichtseins, die heilige Dreifaltigkeit von disposable people hinterlässt mich auch nach vielfachem Lesen schockiert und gelähmt. Und doch ist dies nur eine Beschreibung Gottes neben anderen bei Althaus-Reid. Ich musste feststellen, dass die Charakterisierung Gottes als dialogfähig und an wechselseitigen, solidarischen Beziehungen interessiert überwog. Ihr Gottesbild vereint Elemente von tatsächlichem Opfer-Sein mit denen des Aufstands dagegen. Allerdings – und darin hat Althaus-Reid meine Perspektive verändert – leistet sie tatsächlich keinem Gottesbild Vorschub, das Gott zu einem nachahmenswerten Vorbild stilisiert. Die Motivation für das Handeln soll aufgrund der Solidarität unter Menschen erwachsen und nicht aufgrund einer exzentrischen sakralen Autorität, die einer kolonialen Theologie verhaftet bliebe. So würde ich heute die Frage, wie Befreiung durch ein Gottesbild der völligen Kenosis möglich sei, so nicht mehr stellen. Sie birgt zu sehr die Gefahr, belehrend und paternalistisch über diejenigen, die es zu befreien gilt, zu denken oder nach einem Masterplan der Befreiung zu suchen. Die Möglichkeit des Scheiterns und des Leids wird von Althaus-Reid in das Gottesbild integriert. Sie stärkt in ihrer Orientierung an solidarischen Gemeinschaften die Perspektive der ersten Person Singular. Über das eigene Leid Zeugnis in der Gemeinschaft ablegen zu können, hält sie für essentiell: Sie geht so weit, dieser Form des Teilens von Erfahrungen erlösende Kraft zuzusprechen (s. 5.4.). Das Göttliche ereignet sich, wo Menschen einander lieben und stärken. Gott sitzt quasi als eine Person unter anderen im Kreis, hört zu, weint, lacht und empört sich mit. Es scheinen ekklesiologische Dimensionen auf. Althaus-Reids theologischer Ausgang von den Alltagserfahrungen der Menschen, die Ideologiekritik auch gegenüber sexuellen Epistemologien 45 | S e i t e und der intersektionale Horizont schützen sie davor, eine Form der Unterdrückung anderen vorzuordnen und dadurch verschiedene Kämpfe um Gerechtigkeit gegeneinander auszuspielen. Ihre intersektionale Perspektive baut jedoch keine starren Kategorien auf; durch die besondere Aufmerksamkeit für Körperlichkeit und Dynamik ist sie immer wieder fähig, neue Formen von gewaltsamen Ausschlüssen zu erkennen und politisch für Veränderung zu kämpfen. Darin entspricht ihr Vorgehen dem Desiderat Villas.284 Es ist ein Verdienst Althaus-Reids, jenseits von Toleranzdiskursen für die Rechte von LGBTQI-Menschen zu kämpfen. 6.1. Kritik Es gibt einen Aspekt ihrer Arbeitsweise, der aus postkolonialer Perspektive kritisch zu sehen ist: Sie unterliegt teilweise der Falle, Repräsentation unter umgekehrtem Vorzeichen zu begehen. Woher will sie wissen, warum die Marginalisierten beten (s. 2.)? Mit welcher Autorität sagt sie das? Es mag sein, dass sie die Menschen, von denen sie erzählt, wirklich kennengelernt hat und auch vertrauensvolle Beziehungen zu ihnen aufgebaut hat, so wie Mies und Spivak es fordern (s. 3.3.2.), ja Althaus-Reid selber einfordert. Mit Carlos scheint das der Fall gewesen zu sein (5.3.). Aber warum trifft sie solch verallgemeinernde Aussagen, indem sie z.B. allen Marginalisierten unterstellt, religiös zu sein und gar nicht anders zu können? Besteht hier nicht die Gefahr, dass sie auf religiöse Weise othert? Sicher möchte sie ihre Leser_innen aufrütteln, aber wenn sie doch selbst postkolonial geschult ist, sollte sie Skandalisierung von Unrecht nicht um den Preis von Homogenisierung und Viktimisierung betreiben. Anderenfalls gerät sie in die Nähe der Spendenplakate von (christlichen) Entwicklungshilfeorganisationen, die genau die Art von Othering betreiben, die es aus postkolonialer Sicht zu überwinden gilt.285 Gerade weil ihr selbst eine nicht viktimisierende Perspektive auf die Marginalisierten so wichtig ist und sie immer wieder die widerständigen Zeugnisse der Subalternen ausfindig macht und dadurch würdigt, schwächt es ihren Ansatz umso mehr, dass sie zuweilen solch stellvertretendes Sprechen betreibt. Emilie Townes kritisiert, dass sie keine Materialisierung der Personen von der Straße, von denen Althaus-Reid erzählt, erkennen könne; ihr zufolge 284 Vgl. Anmerkung 150. Vgl. den Film White Charity http://www.whitecharity.de/index.htm. 285 von Carolin Philipp und Timo Kiesel: 46 | S e i t e bleiben sie durchweg Objekte.286 Auch Kwok sieht die Gefahr, dass die Menschen, die Althaus-Reid beschreibt zum bloßen Klischee verkommen.287 Diese kritischen Anfragen will ich nicht auflösen, sondern die Spannung aufrechterhalten und auch mein zukünftiges Theologietreiben für koloniale Fallen sensibilisieren. Gleichwohl gehe ich nicht davon aus, dass Althaus-Reid ihre Zeugnisse über Subalterne nur aus Büchern bezieht. Sie ist selbst auf die Straße gegangen. Anyone who has sat in a militant church around a table together with the poorest of the poor of our brothers and sisters knows that the bad smell left in the room by those who never have a bath or access to toothpaste or clean clothes creates more opposition among the members of the parish than the idea of a politically involved theology.288 6.2. Althaus-Reids Art des Theologietreibens I dare say theologians never wrote before of God the way she [d.i. Althaus-Reid, SJ] did. Some would call her work blasphemy.289 Das Gottesverständnis einer Theologin lässt sich ohne ihre Art des Theologietreibens nicht verstehen. An Althaus-Reid wird dies besonders deutlich. Sie nähert sich theologischen Themen nicht, indem sie zuerst untersucht, was eine bestimmte Schule oder berühmte Theologen dazu gesagt haben.290 Stattdessen verbindet sie Erfahrungswissen (oft aus dem Alltag), Körperwissen, aktivistisches Wissen, spirituelles Wissen u.a. miteinander (s. 3.3.5.) und fordert auch genau dies von einer unanständigen Theologie ein. Sie treibt eine Theologie mit dem Primat auf den Erfahrungen, Bedürfnissen und Visionen der Marginalisierten.291 Exklusion wird damit zum theo-logischen – nicht ethischen (!) – Schlüsselthema. Ein kolonialer Hyperrationalismus liegt ihr fern. Die Hermeneutik des Verdachts lehrt sie, nicht in einem säkularistischen Wissenschaftsverständnis zu verharren und nach Widerständigem in den Volksreligiositäten zu suchen. All ihre Gottesbilder und -metaphern beruhen auf einem deessentialisierten Religionsbegriff, wie ihn Auga fordert. Althaus-Reid hegt einen hermeneutischen Verdacht gegenüber einem dogmatisch formulierten Bilderverbot, da allzu viele kolonial-heteropatriarchale Gottesbilder entwickelt wurden 286 Vgl. TOWNES, Response, 64. Vgl. KWOK, Body and Pleasure, 41. 288 ALTHAUS-REID, Class, 26. Vgl. HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 26: “So it is not surprising that […] Marcella’s God were found in the lives of real people who are poor, exploited and struggling all over the world.” 289 HUNT, Surreal Feminist Liberation Theology, 19. 290 Vgl. ALTHAUS-REID, Gnade, 428. 291 Darin sind sich Befreiungs- und postkoloniale Theologien einig (s. 3.1.). 287 47 | S e i t e und nach wie vor wirkmächtige Realitäten schaffen. So lässt Althaus-Reid jegliche Apologie für das Christentum hinter sich und untersucht alle „Götter“ ideologiekritisch. Sie bedient sich dabei des religionsphänomenologischen Ansatzes, um zu erforschen, was einer Gesellschaft oder einer Gemeinschaft von Menschen heilig ist, ohne diese Frage auf die Institution Kirche zu begrenzen.292 Gerade an den Metaphern für Gott erkennt sie die Tabus einer Gesellschaft (das, was nicht sein darf) und fragt nach deren Sinn für und Auswirkungen auf die Menschen. M.E. legt Althaus-Reid durch ihren Ansatz Analysewerkzeuge bereit, wie sie Chakrabarty wünscht (s. 3.3.5.). Ihre Provokationen erschöpfen sich nicht in einer Lust zur Spielerei: Was Althaus-Reid aufdeckt, ist die epistemologische, emotionale und körperliche Gewalt einer kolonialen christlichen Theologie, die darauf beruht, Menschen in die Peripherie zu drängen und sie mit epistemischer Gewalt dort festzuhalten.293 Es ist eine Theologie, die einen Gott braucht, der ihr die eigene Überlegenheit bestätigt. Eine Theologie, die unentwegt über Sexualität redet, dafür sogar auf die Straße geht 294 und doch nichts über das Lieben weiß. Marcella hat uns eine Vorstellung von Heiligkeit geschenkt, die sexuelle und koloniale Vorurteile überwindet, und sie hat uns gezeigt, dass die Queer-Theologie eine Suche nach Gottes Erlösung ist. Sie hat uns gezeigt, wie wir andere Wege gehen und nicht nur in unserem Reden, sondern auch in unserem Gehen inklusiv sein können. Ihre Theologie hat uns zu der Frage herausgefordert, wie weit Gottes Zelt sein kann und mit wem wir es zu teilen bereit sind.295 Ziel ihres Theologietreibens ist, dass Intimität und liebende Beziehungen ermöglicht werden296 – ein urchristliches Motiv, wie Isherwood feststellt: [S]ie [d.s. diejenigen, die Althaus-Reid missverstanden, SJ] erkannten nicht, dass ihre Motivation ganz einfach christlich war: zu lieben, und zwar richtig zu lieben, so zu lieben, wie wir selbst geliebt worden sind.297 Diese Liebe ist dadurch definiert, dass sie keine Exklusion akzeptiert. Die292 Dies schränkt die Reichweite ihrer Herangehensweise vermutlich trotzdem auf christliche Glaubenskontexte ein, was kein Manko sein muss, jedoch herauszustellen ist. Inwiefern ihr Ansatz hilfreich ist, auch Kontexte, in denen andere „Religionen“ die Mehrheit bilden, ideologiekritisch danach zu untersuchen, was ihr jeweils „Heiliges“ ist, müsste untersucht werden. Nach dem Heiligen einer Gesellschaft zu fragen ist schon eine christlich beeinflusste Fragestellung, auch wenn Althaus-Reid sich nicht apologetisch zum Christentum verhalten will. Deshalb ist im Blick auf andere religiöse Traditionen in jedem Fall Skepsis angebracht, wie die Kritik an der Religionsphänomenologie aufgezeigt hat. Vgl. HOCK, Religionswissenschaft, 14–18.67. Althaus-Reids von Croatto geprägte Religionsphänomenologie scheint mir jedoch ein interessanter Neuansatz, der der NeustilPhänomenologie Jacques Waardenburgs ähnelt. Vgl. a.a.O., 68–70. 293 Dadurch ist sie aber nicht davor gefeit, selbst gewaltvolle Bilder zu gebrauchen. Insbesondere die Metapher, Gott unter ihrem Rock zu berühren, kann Vergewaltigungsbilder wecken und alles andere als (emanzipatorisch-)befreiende Assoziationen hervorrufen. 294 Man denke an die starken Proteste gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe 2009/10 in Argentinien und 2012/13 in Frankreich. 295 ISHERWOOD, Lieben, 633. 296 Vgl. Althaus-Reid, Queer God, 157. 297 ISHERWOOD, Lieben, 630. 48 | S e i t e sem Anspruch muss ein postkolonial-befreiendes, unanständiges Gottesbild gerecht werden. Dafür kämpfte Althaus-Reid kompromisslos auf ihrer caminata.298 Ich halte Althaus-Reids postkoloniale Theologie, ihre kontextuelle und unanständige Herangehensweise, die Überwindung der Trennung von Religionswissenschaft und Theologie für ein großes Potential und zugleich eine der größten Herausforderungen der hiesigen christlichen Theologie. Um mit Heike Walz zu sprechen: Mein abschließendes Plädoyer lautet deshalb, euroamerikazentrierte Konzeptionen von Geschlecht in interkultureller Theologie und Gender Studies zu dekonstruieren. Die Dekonstruktion von Geschlecht wird so lange ein euroamerikanischer Horizont bleiben, solange sie nicht interkulturellen Erfahrungen leibhaftig ausgesetzt wird und den interkulturellen Dialog mit Theologinnen und Philosophinnen im außereuropäischen Umfeld sucht.299 7. Ertrag Mein Anliegen in dieser Arbeit war es, das Gottesbild Marcella AlthausReids aus einer postkolonialen Perspektive zu ergründen. Dafür hat es sich als notwendig herausgestellt, zentrale Konzepte der postkolonialen Theorien zu erarbeiten und Althaus-Reids postkoloniales Gottesbild auf diese Elemente postkolonialer Theoriebildung hin zu untersuchen. Meine These, dass Althaus-Reids Bild des marginaler Gottes mit den postkolonialen Konzepten von Repräsentation/Othering, Geschlecht, Raum und Widerstand zu beschreiben ist, hat sich dabei als weiterführend erwiesen. Diese vier Themenkomplexe integriert Althaus-Reid in ihre religionsphänomenologisch-ideologiekritisch-dekonstruktivistische Art des Theologietreibens, so dass sie der Theologie spannungsvoll-fruchtbare Möglichkeiten eröffnet bzw. sie nötigt, sich einer postkolonialen Kritik zu unterziehen. Wie würde sich die christliche Theologie verändern, wenn sie dem situierten Wissen der Subalternen das Primat zusprechen würde, ohne sie zu othern? Welche sexuellen Epistemologien würde sie aufgeben müssen, wenn sie die Kategorie Geschlecht und Sexualität als konstitutiven Teil jeder Theologie betrachtete, und welche neuen sexuellen Epistemologien würden (mit und neben Althaus-Reid) entstehen? Was geschähe, wenn die Theologie die Verknüpfung von Räumen der Macht und Transzendenzkonstruktionen kritisch analysierte und vor allem anderen Parteilichkeit mit den Enttranszendierten anstrebte? Wie könnten Theolog_innen bei sich selber anfangen, nach Möglichkeiten von Subversion zu suchen? Für diese groß- 298 299 Vgl. ALTHAUS-REID, Class, 27. WALZ, Interkulturelle Theologie und Geschlecht, 129. 49 | S e i t e artigen Impulse ist Althaus-Reid zu danken. Die Voraussetzung dafür, ihre Theologie fruchtbar machen zu können, ist allerdings eine Dekonstruktion des christlichen Religionsverständnisses. Diese zielt nicht darauf, Neutralität gegenüber der eigenen Religiosität zu entwickeln, sondern darauf, die apologetische Haltung gegenüber der eigenen Religion zu verschieben auf eine unanständige Apologie für Gerechtigkeit. Das ist weniger pathetisch gemeint, als es klingt. Die „Perv’s Theological Ethics“ würde es erforderlich machen, alle menschlichen Äußerungen – damit sind auch Handlungen eingeschlossen – auf ihren ideologischen Gehalt hin zu überprüfen und sich dafür einzusetzen, die kolonialen, heteropatriarchalen Formen epistemischer und körperlicher Gewalt zu unterminieren, ohne jedoch die eigene (auch gemeinschaftliche) Suche nach dem guten Leben einem höheren Ziel zu opfern. Über die Verunsicherung theologischer Konzepte hinaus konfrontiert Althaus-Reid auch postkoloniale Ansätze mit ihrer eigenen Kolonialität, die die Kategorie Religion othern und sich aus einem säkularistischen Wissenschaftsverständnis heraus erhaben oder indifferent geben gegenüber Phänomenen des Religiösen der Subalternen. Es ist an der Zeit, die apologetischen Formen der Theologie aus der kolonialen Vergangenheit hinter sich zu lassen und unsere Rebellion und die Rebellion unseres Volkes als die reale Basis für das christliche Denken zu entdecken.300 300 ALTHAUS-REID, Gnade, 433. 50 | S e i t e 8. Literaturverzeichnis Die Abkürzungen der Reihen- und Zeitschriftentitel folgen der 2. Auflage des von Siegfried M. Schwertner zusammengestellten Abkürzungsverzeichnisses (IATG²). Reihentitel, die im IATG² nicht angeführt sind, habe ich vollständig angegeben. Kurztitel sind unterstrichen. 8.1. Primärquellen ALTHAUS-REID, MARCELLA, Paul Ricœur and the Methodology of Liberation. 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