ZVertriebsR

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ZVertriebsR
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Zeitschrift für Vertriebsrecht
Handelsvertreterrecht – Vertragshändlerrecht – Vertriebskartellrecht –Franchiserecht
ZVertriebsR · 4/2012 · 1. Jahrgang · Seite 205–272
Herausgegeben von:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Eckhard Flohr, PF & P Rechtsanwälte, Düsseldorf/Kitzbühel;
Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes;
Rechtsanwalt Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin;
Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz-Jörg Semler, CMS Hasche Sigle, Stuttgart;
Rechtsanwalt Dr. Ulf Wauschkuhn, Baker & McKenzie, München
Schriftleitung:
Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes;
Wiss. Ass. Max Rösch, LL.M., Universität des Saarlandes
Herausgeberbeirat:
RA Dr. Wolfgang Bosch, Gleiss Lutz/Frankfurt/Main; Prof. Dr. Annie Bottiau, Universität Lille;
RAin Pamela Church, Baker & McKenzie/New York; RA Prof. Dr. Christian Genzow, Graf von Westphalen/Köln;
Prof. Dr. Wolfgang Hau, Universität Passau; Prof. Dr. Peter Kindler, Universität München; RA Christoph Kocks,
Anwaltssozietät Kocks & Partners/ Brüssel; RA Prof. Dr. Michael Kull (Nigon Kull Burkart Partner/Basel;
RAin Dr. Fabienne Kutscher-Puis Lang & Rahmann/Düsseldorf; RA DDr. Alexander Petsche, Baker & McKenzie –
Diwok Hermann Petsche/Wien; RA Prof. Dr. Hanns-Christian Salger, Salger – Rechtsanwälte/Frankfurt;
RA Dr. Benedikt Spiegelfeld, Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten/Wien;
RA Dr. Christoph Wildhaber, Streichenberg – Rechtsanwälte/ Zürich
Editorial
Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert*
Die ZVertriebsR auf dem Weg zu einer „Epoche machenden Institution“?!
Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert
Die neue Zeitschrift für
Vertriebsrecht etabliert sich
in einer Epoche, in der sie
die Chance hat, selbst zu
einer „Epoche machenden
Einrichtung“ zu werden.
Wie könnte dies geschehen,
und warum ist das Einführungsjahr 2012 dafür besonders günstig?
Die letzte Frage zuerst: Die
Zeit ist reif, so schreibt Michael Martinek in der ersten
Ausgabe der ZVertriebsR,
für ein neues Forum der Information und Diskussion
über „dieses noch junge, aber schon fest etablierte und
immens bedeutend gewordene Rechtsgebiet". Es drängt
sich auf zu ergänzen: …reif nicht nur für die systematische Bestandsaufnahme und Betrachtung des geltenden
Vertriebsrechts (de lege lata), sondern unbedingt auch für
eine grundlegende Diskussion des Änderungsbedarfs de
lege ferenda!
Dafür ein Beispiel: Akuter Überprüfungsbedarf zeigt sich
gegenwärtig im Bereich des Vertriebskartellrechts. Eigentlich müsste es die Intention des nationalen und europäischen Rechts der vertriebsbezogenen Wettbewerbsbeschränkungen sein, Funktionsstörungen des Wettbewerbs
zu beseitigen oder diesen vorzubeugen, nicht aber sie zu
verursachen. Die jüngsten Verordnungen und Leitlinien
der Europäischen Kommission sowie die Interventionen
der deutschen und europäischen Wettbewerbsbehörden, so
auch die spektakuläre Durchsuchungsaktionen des Bundeskartellamtes im Januar 2010 in der Lebensmittelbranche, weisen offensichtlich in die letztgenannte Richtung.
Sie offenbaren eine zunehmend rigide kartellrechtliche
Limitierung der Gestaltungsfreiheiten in Konsumgütervertrieb und vertikalem Marketing. Und dies, obwohl in den
________________________
*
Der Autor ist emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre am
Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und
Direktor des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing.
Zusammen mit seinen Schülern, den Professoren Kenning, Olbrich und
Schröder, hat er 2011 ein „ökonomisches Manifest zur Deregulierung
der Konsumgüterdistribution“ im Verlag C.H. Beck publiziert und gibt
das Forum für Vertriebs- und Handelsmanagement im Verlag SpringerGabler heraus. Hier lautet der aktuelle Titel 2012: „Vertikale Preis- und
Markenpflege im Kreuzfeuer des Kartellrechts".
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Editorial
einschlägigen Fachkreisen schon längst immer häufiger
angezweifelt wird, ob solche Rechtsrestriktionen – zum
Beispiel das Preisbindungsverbot – überhaupt dazu geeignet sind, die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbsprozesse
und damit auch die Verbraucherwohlfahrt nachhaltig zu
verbessern. In einer Aufklärungsschrift, der so genannten
Handreichung 2010, sowie in zahlreichen Informationsveranstaltungen und Presseveröffentlichungen hat das
Bundeskartellamt dargelegt, dass nicht nur die klassische
Preisbindung, sondern alle erdenklichen Formen der vertikalen Preis- und Markenpflege in der Wertschöpfungskette kartellrechtlich höchst riskant sind, soweit sie auch
nur im Entferntesten mit einer vertikal koordinierten
Preisgestaltung einhergehen. Markenwissenschaftlich betrachtet, drohen diese Interventionen zur Strangulierung
von Innovation und Vielfalt im Wettbewerb beizutragen.
Grundsätzlich gehören alle restriktiven Normen, insbesondere auch die des Vertriebsrechts, in regelmäßigen
Zeitabständen auf den Prüfstand der Deregulierung. Wo
findet man diesen „Prüfstand“? Nie war die Zeit so reif
wie heute, mit einem innovativen Forum eine Plattform
für eben diese fundamentale Deregulierungsdiskussion zu
bieten.
Und nun zur ersten Frage: Was müsste geschehen, damit
die ZVertriebsR zu einer „Epoche machenden Institution“
werden kann? Kann es ihr gelingen, dafür zu sorgen, dass
im Rahmen eines von Zeit zu Zeit fälligen „Rechts-Audit“
alle Regelungen des Vertriebsrechts, welche die wirtschaftliche Freiheit (Handlungs- und Vertragsfreiheit) der
Marktteilnehmer beschneiden, auf ihre aktuelle Legitimation und Verhältnismäßigkeit überprüft werden, und kann
sie sich für diesen Überrpüfungsprozess als eine anerkannte Plattform etablieren?
Michael Martinek nennt als besondere Kennzeichen der
ZVertriebsR Praxisnähe und Internationalität, Aktualität
und Interaktivität. Um jedoch als ein innovatives Forum
für die kritische Analyse des geltenden Vertiebsrechts sowie für die Rechtsfortbildung zu gelten, bedarf es eines
weiteren Kennzeichens, nämlich der Interdisziplinarität:
„Will man z.B. wissen, wie eine bestimmte MarketingPraxis im Lichte des geltenden Rechts (de lege lata) zu
beurteilen ist, so müssen die Strategien, die von den Betriebswirten entwickelt worden sind, von Juristen am geltenden Recht und von Volkswirten am Allgemeinwohl
gemessen werden. Dabei muss berücksichtigt werden,
dass die Imitation einer zunächst neuen Strategie durch
mehr und mehr Unternehmen zu sozialen Missständen
führen kann, die anfänglich (noch) nicht sichtbar waren.
Oder denken wir an die Aufgaben und Fragen, die sich
stellen, wenn Recht oder Gesetz fortgebildet werden sollen: Wandelt sich die Rechtsprechung oder zielt man darauf ab, einen solchen Wandel herbei zu führen, sollen bestehende Rechtsnormen novelliert werden oder sind neue
Gesetze dort zu schaffen, wo bisher noch keine Regelung
bestand, argumentiert man also de lege ferenda, so benötigt der Jurist wirtschaftswissenschaftliche Empfehlungen,
die zwischen den beiden Teildisziplinen der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre einerseits
sowie zwischen Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspraxis
ausdiskutiert
sein
sollten“
(Ahlert/Grossekettler/Sandrock 1988).
Mit Blick auf den dringenden Novellierungsbedarf im Bereich des Vertriebsrechts erscheint vor allem die disziplinübergreifende Zusammenarbeit der Juristen mit den Wirtschaftswissenschaftlern unverzichtbar. Dies jedoch nicht
Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert
nur mit Wettbewerbstheoretikern, wie es schon bislang
hinlänglich praktiziert wird. Von entscheidender Bedeutung ist die vermehrte Einbringung von Erkenntnisfortschritten aus den Marketingwissenschaften, in deren „Zuständigkeitsbereich“ der Vertrieb nun einmal gehört, und
vor allem auch aus der Unternehmenspraxis. Dass es daran mangelt, musste der Autor dieses Editorials immer
wieder erneut feststellen, seit er im Jahre 1965 seine Diplomarbeit über „Vertikale Vertriebsbindungssysteme in der
Unterhaltungselektronikbranche“ (bei Erich Gutenberg)
geschrieben hat.
Um ein anschauliches Beispiel dafür zu finden, mit welchen Herausforderungen die disziplinübergreifende Diskussion im Bereich des Vertriebsrechts konfrontiert ist,
braucht man nicht lange zu suchen: Die Reglementierungen der vertikalen Preiskoordination in den Wertschöpfungssystemen der Konsumgüterwirtschaft durch die restriktiven Normen des nationalen und europäischen
Wettbewerbsrechts drängen sich insoweit geradezu auf.
Dass hier erheblicher Überprüfungsbedarf besteht, kann
an dieser Stelle nur andeutungsweise dargelegt werden:
Vertikalen Preisbindungen wird auf der Basis modelltheoretischer Erwägungen einiger Wettbewerbsökonomen unterstellt, dass sie horizontalen Preiskartellen Vorschub
leisten können, und dass daher jede Form der vertikalen
Preiskoordination per se zu verbieten sei. Dabei wird die
Tatsache ausgeblendet, dass solche antikompetitiven Wirkungen der Preisbindung nur in sehr selten anzutreffenden, extremen Szenarien denkbar sind: Bei einem schon
vorliegenden
Marktversagen
aufgrund
enger
Oligopolstrukturen mit nahezu unüberwindlichen
Marktzutrittbarrieren oder auch bei lebensnotwendigen
Gütern des dringlichen Bedarfs, und dies auch nur dann,
wenn für die überwiegende Mehrzahl der konkurrienden
Produkte starre Festpreisbindungssysteme vereinbart sind.
In der Wirtschaftspraxis herrschen dagegen Marktkonstellationen vor, in denen gerade die Zulässigkeit (und nicht
das Verbot) einer vertikalen Preis- und Markenpflege prokompetitive und wohlfahrtsfördernde Effekte entfalten
würde. Aus marketingwissenschaftlicher und unternehmenspraktischer Perspektive wird dem kategorischen
Verbot der vertikalen Preiskoordination zwischen Handels- und Industrieunternehmen ein großes Gefährdungspotenzial zugeschrieben: Angebotsvielfalt, Markenstärke
und Innovativität würden durch diese Restriktionen zunehmend stranguliert, die Wertschöpfungseffizienz beeinträchtigt, kooperativ organisierte Vetriebssysteme gegenüber hierarchisch gesteuerten Vertikalisten systematisch
benachteiligt und damit die Funktionsfähigkeit des InterBrand-Wettbewerbs fundamental gestört.
Den Kern dieser Kontroverse bildet mithin die Frage, ob
die vertikale Preiskoordination innerhalb der Absatzkanäle
schwerwiegende, wettbewerbs- und wohlfahrtsökonomisch negative Effekte verursacht, und zwar grundsätzlich und regelmäßig. Falls ja, erscheint – wie bei horizontalen Preiskartellen – ein striktes Verbot mit Androhung
hoher Bußgelder unabdingbar. Ist dies jedoch nicht per se,
sondern allenfalls ausnahmsweise (in bestimmten Bedingungskonstellationen) der Fall, ist das gegenwärtig geltende Kartellrecht unbedingt korrekturbedürftig. Für diese
Fallklassen sollte die Abschaffung des Preisbindungsverbots dringend erwogen werden, um die Funktionseffizienz
und Innovativität der Konsumgütermärkte nicht weiter zu
gefährden.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
207
Aufsätze
Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert*
‘The Liberation of the Value Chain from Cartel-Law Restraints’
The Risks and Opportunities of Deregulation
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Content:
I.
II.
III.
IV.
V.
The controversy surrounding the limitation of freedom of action in vertical marketing
The liberation of interdisciplinary dialogue from prejudices
and economic misunderstandings
1. The distributor control of final consumer prices: a law of
nature?
2. Intensive internal competition within value systems: a
right of consumers or distributors?
3. Large quantities of goods at low prices: a reflection of
consumer welfare and principle of competition policy?
Opportunities for cartel-law deregulation of consumer-goods
distribution
1. The liberation of system competition from structural distortions
2 Raising efficiency by means of free communication, cooperation and a division of labour within the value chain
3 Innovative services and strong brands as a consequence of
liberating value processes
4 Promoting supply diversity by means of competing priceformation methods
Risks of free price-formation processes within the value chain
1. Risks of vertical price coordination for the effectiveness
of horizontal inter-brand competition
2 Risks to consumer welfare of allowing vertical price coordination
Principles of partial deregulation on a case-by-case approach
I. The controversy surrounding the limitation of
1
freedom of action in vertical marketing
The task of competition policy is to eliminate or to prevent restraints of competition and not to cause them. For
this reason, all legal restrictions of entrepreneurial freedom of action in competition must be examined regularly
on the “test bench” of deregulation.2 The most recent cartel-law intervention in the vertical coordination of the
value chains3 and the resulting rigid limitation of freedom
________________________
*
1
2
3
Der Autor ist emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre am
Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und
Direktor des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing.
Zusammen mit seinen Schülern, den Professoren Kenning, Olbrich und
Schröder, hat er 2011 ein „ökonomisches Manifest zur Deregulierung
der Konsumgüterdistribution“ im Verlag C.H. Beck publiziert und gibt
das Forum für Vertriebs- und Handelsmanagement im Verlag SpringerGabler heraus. Hier lautet der aktuelle Titel 2012: „Vertikale Preis- und
Markenpflege im Kreuzfeuer des Kartellrechts".
Cf. for more details of the interdisciplinary controversy Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011 and 2012.
Cf. on the mode of operation of such a test bench in the field of conflict
between regulation and deregulation Ahlert/Grossekettler/Sandrock
1988, Ahlert/Wellmann 1988 a and b, Müller 2003, Schmidtchen 2005,
von Weizsäcker 2005.
In January 2010, one of the largest investigations in the history of the
German Cartel Office caused considerable uproar, not only in the food
sector, but also generally in the German consumer-goods sector, especially when similar searches were recently undertaken at mattress companies. Manufacturers and distributors are suspected of having colluded
on the structure of ultimate consumer prices. In an explanatory document intended as a recommendation “Handreichung” of 13 April 2010
with the title ‘Vorläufige Bewertung von Verhaltensweisen in Verhandlungen zwischen Herstellern von Markenartikeln, Großhändlern und
Einzelhandelsunternehmen zum Zwecke der Konkretisierung der
Kooperationspflichten’ (translated as Provisional evaluation of practices in negotiations between manufacturers of branded articles, wholesalers and retail enterprises for the purpose of defining the duties of
cooperation’) (cf. Federal Cartel Office 2010), and at numerous information events and in press publications, the Federal Cartel Office made
of action in consumer-goods distribution, are currently the
subject of controversy and viewed increasingly critically
in all related disciplines.
Largely undisputed among economists is that exposing
and preventing horizontal ´hardcore´ price cartels are
among the most important tasks of the competition authorities. This is because horizontal price agreements between suppliers (or between demanders) at one and same
economic level of a sector, whether they are between
manufacturers or between distributors, can considerably
impair the effectiveness of inter-brand competition between competing brands. However, there are extreme differences of opinion on vertical price coordination in the
so-called intra-brand sector of a value chain, i.e. between
manufacturing and retail companies or between wholesale
and retail companies, in each case by reference to one and
the same brand. These relate to cases involving not only
extensive, inflexible resale price-maintenance systems,
but also to less incisive forms of multi-level harmonisation of price and brand management within the value
chain. These include frank discussions about useful brandpolicy price architectures in sales channels, but also pricemaintenance measures which are not the subject of multilateral, but of bilateral or individual agreements. These
also include agreements of limited duration on price
ranges and special-offer prices.4
Some competition-law economists and cartel-law jurists
are generally in favour of strict regulation, even in intrabrand competition, because they assume that concerted
vertical price structuring is able to encourage horizontal
cartel formation and, therefore, considerably impair the
efficiency of inter-brand competition.
Other researchers and, in particular, experts from marketing practice, draw attention to the much greater risk potential inherent in the categorical prohibition of vertical
price coordination between retail and manufacturing enterprises. Specifically, supply diversity, brand strength and
innovativeness would increasingly be stifled by these restrictions, value-adding efficiency impaired, marketing
systems organised in cooperative form would systematically be at a disadvantage compared to hierarchically controlled systems, thereby fundamentally distorting the effectiveness of inter-brand competition. The overregulation
of vertical marketing is urgently in need of review.
An increasing number of supporters have more recently
been calling for differentiating the cartel-law evaluation
and treatment of modes of conduct within value chains on
a case-by-case approach.
The core of this controversy is the question of whether
vertical price coordination within the sales channels exerts
________________________
4
it clear that not merely classical price maintenance, but all conceivable
forms of vertical price maintenance and brand maintenance may be
suspicious for cartel-law purposes, even if only remotely concerned
with concerted price structuring.
In the English literature, the varying forms of vertical price coordination are generally referred to as ‘resale price maintenance’ (cf. e.g.
Blechman 2012). On the other hand, see the differentiating analysis of
vertical price and brand maintenance Ahlert/Schefer 2012, p. 55 ff.
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serious negative effects on competition and welfare and if
it does so, whether this is fundamental and the normal
case. If this is the case, strict prohibition, combined with
the threat of high fines, appears inevitable – similar to the
case of horizontal price cartels. However, if this is not the
case per se, but at most exceptionally (under certain conditions in certain situations), then the cartel law that currently applies is urgently in need of amendment.5 Rigid
acts of intervention into freedom of action could then be
limited to these exceptional cases. The argument in favour
of a radical deregulation of the value-adding processes,
i.e. that the former regulations be retained only in specific
individual cases, appears particularly convincing from an
economic perspective, if it is possible to demonstrate that
allowing vertical price coordination in the normal case not
only not inhibits the effectiveness of horizontal competitive processes (i.e. inter-brand competition), it even helps
to eliminate distortions of competition (market failure).
Demonstrating the plausibility of the case-by-case approach is the subject matter of the present article.
II. The liberation of interdisciplinary dialogue from
prejudices and economic misunderstandings
According to the underlying competition policy model
(‘Leitbild der Wettbewerbspolitik’, Section 2.3), the review of deregulation can be reduced to the simple issue of
whether vertical price coordination seriously impairs the
effectiveness of inter-brand competition processes – because that is the only thing which matters6. If this is only
true in exceptional cases, any prohibition of coordination
must be limited to just these exceptional cases. The current discussion is frequently overshadowed by handeddown prejudices, professed normative postulates and axioms, and economic misunderstandings that obstruct consensus-building. Before we consider the major problem
underlying the current controversy, we shall endeavour
below to ‘liberate’ the discussion from prejudices and
misunderstandings of this nature.
1. The distributor control of final consumer prices:
a law of nature?
There is a widely wide-spread axiom in cartel-law practice, which forms the basis of argumentation of the Federal Cartel Office:
Price competition in the trade with consumer goods is
characterised by the fact that wholesale and retail
companies set their own prices themselves on the basis
of the negotiated manufacturer ex works prices and
________________________
5
6
The need for amendment extended not only to the restrictive legal provisions themselves (by making new statutes) but also to the practical intervention of the cartel authorities and to case law (de lege lata) in
Germany and in the EU. The 7th amendment of the German Act against
Restraints of Competition (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(hereinafter ‘GWB’)) of 1 July 2005 radically changed German cartel
law and adapted it to the European one. This led to the abolition of the
express prohibition of vertical price restraints (as per sec. 14 GWB
former version). Pertinent legal provisions entrenching the prohibition
of price maintenance are secs. 1 and 2 GWB, Art. 101 TFEU and, additionally, the new Vertical Block Exemption Regulation of the European
Commission which came into force on 1 June 2010 and the Guidelines
for Vertical Restraints published on this subject of 10 May 2010 (cf.
European Commission 2010). Moreover, secs. 19-21 GWB would have
to be reviewed in the event that the vertical relationship between industry and commerce were ‘liberated’ from cartel-law restraints.
It can be taken for granted that inter-brand competition is the (true) object of the protection by GWB and, consequently, the protection of intra-brand competition does not play any dominating competition-policy
role (at most secondary). Cf. Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011 for
detailed grounds, p. 40 ff.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
their own price policies and themselves bear the economic risk of their price policies.’7
This sounds as if the price autonomy of a distributor were
a law of nature. Every measure or agreement within the
value chain, which could limit the sovereignty of the distributor to set retail prices, is classified as an inadmissible
´vertical restraint´, even if the distributor himself has an
interest in, or even himself initiates, a limitation of his
price autonomy by means of cooperative agreements –
e.g. for reasons of efficiency.8 The belief that price sovereignty lies with the distributor ‘by nature' is not economically logical. One could talk of a ´thought-terminating cliché´ that has caused the subject of price maintenance to
remain a taboo subject for decades.
It is high time for this axiom to be rejected for the following reasons: the present-day reality of distribution is such
that hierarchical, cooperating and free value systems with
differing combinations of risk spreading and decisionmaking compete for the favour of consumers. Vertically
integrated systems (like IKEA or ZARA) compete with
distributional restraint systems, contractual dealers and
franchise systems like cooperative retailing groups and
free (vertical, non-organised) distribution systems. Hybrid
systems covering several types of organisation (e.g.
REWE, EDEKA) are also very common. Manufacturers’
brands, trademarks, distributors’ brands or even network
brands can have a decisive effect on supply concepts. This
‘competition between systems’ has given rise to different
system heads as dominant controlling authorities within
value systems. Where it is not distributors, but manufacturers or network centres (e.g. franchisors) who act as system heads, it appears naive and absurd for the State to
wish to deprive the latter of their freedom to set prices,
one of the most important marketing tools. Prescribing
solely distributor-controlled price-forming processes for
multi-level distribution constitutes interference with effective competition as a process of discovery and thus does
not conform to the principle (see Section 3.3 for more details).
2. Intensive internal competition within value
systems: a right of consumers or distributors?
Markets can be regarded as effective if there is intensive
competition on price and performance between the competing brands of a sector. This ideal situation is characterised by a diversity of supply concepts, low barriers to
market entry for innovative price-performance combinations and a wide range of alternatives for consumers. The
crucial point of the current controversy is, therefore, the
following question: Should the postulate of a generous
range of selection opportunities for consumers also extend
to competition between one and the same brand?
One may tend to affirm this in extreme cases like that of
monopolistic supply structures for urgently needed essen________________________
7
8
Federal Cartel Office (Bundeskartellamt) 2010, p. 3.
The term 'vertical restraint” used in the new Vertical Block Exemption
Regulation of the European Commission and in the Guidelines is at
least misleading. Thus also Möschel 2010, p. 1229: ‘Restraints of competition can only exist within competitive relations. They do not exist in
vertical co-operations, in agreements within supplier-buyer chains. It
would be more precise to talk of vertical ties rather than vertical restraints on competition. In many legal systems, the terminology is confused. However, this is not due to a competition theory view, but to the
randomness of history. ‘Purely vertical restraints’ cannot restrict competition. At best, they promote the same with regard to competing products (inter-brand competition)’.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
tial goods (e.g. staple foods, medicines, oil products). The
monopolisation of supply in this case indicates serious
distortions of inter-brand competition, so that competition-policy intervention to counter the causes of market
failure (e.g. insurmountable barriers to market entry, horizontal cartels) appears to be called for. As a last resort, it
would also be possible to consider regulation within the
value chain (however, care must be taken to ensure that it
does not turn into a battle purely against the symptoms).
Apart from this exceptional case, the opinion that a general obligation of competition policy is to bring about intra-brand competition by force, is based on an understanding of politics for which there is no economic
explanation. To make this clear, we take the example of a
relatively highly-price branded article with higher than
average brand strength, an energy drink like Red Bull or
confectionery like the Lindt Gold Bunny, or Loewe or
Bang & Olufsen consumer electronics or designer fashion
by Bogner or Boss. The following conclusions can be
deemed capable of consensus among economic theorists:
(1) With a branded article of this kind, consumers have no
right based on welfare (or moral grounds) to switch from
one manufacturer of such a branded article to other suppliers of the same article. They also have no right to acquire a desirable article of this kind elsewhere at aggressive promotional prices or at permanently low prices.
What then creates a right to intra-brand competition
within the market economy?
In the case of chocolate Easter bunnies, it must be noted
that these are on sale at both high and low prices, under
famous brand names and as private labels (trademarks) in
the most varied range of sizes and flavours, in all food
shops and even at petrol stations. Why should the consumer then have a right to switch to alternatives within the
‘gold bunny’ brand? Even if there were only one single
manufacturer that mastered the technique of making hollow chocolate components, it would be absurd to want to
regulate this market. The consumer could switch e.g. to a
bar of chocolate or box of chocolates instead. Even for desirable cult products with particularly high market shares
like Red Bull, which are hardly essential for life, a right to
low prices or even to intra-brand price wars cannot be inferred. In the event of rising prices, the consumer could
also simply choose not to consume and thereby ‘disempower’ the supplier.
(2) The effectiveness of competition as a process of discovery means that suppliers must be fundamentally free to
choose an appropriate brand strategy. If, for example, the
strategic concern of a specific branded-article manufacturer is to protect the target price level for its products
against fluctuation and erosion in the distribution channel,
in order not to endanger the brand essence, and if it should
actually succeed in doing so like Loewe or Bang & Olufsen, by means of sales organisation strategies and vertical
price and brand maintenance, then, endangering this strategic position that customers reward by selection, by cartel-law intervention, must be seen as a breach of the guiding principle. This may be desirable from the perspective
of competing manufacturers, but do they have a legitimate
right to deprive competitors of their basis for success
through cartel-law regulation?
(3) Finally, distributors also have no legitimate right
through competition policy to interfere with the marketing
of products by a branded-article manufacturer contrary to
the latter’s sales-channel policy intentions or to be able to
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use the same channels as they wish for their own lossleaders or tie-in offers. If we take high-quality fashion labels like Boss or Bogner as an example, even if fashion
outlets stocking these labels focus their sales policy on the
quality of their services and not on the prices, they nevertheless rely on the fact that consumers believe that the
prices are fair. Consumers take great care to avoid being
exploited in terms of price. Low-priced offers of distributors with aggressive pricing policies for clothing labels
just purchased by the consumer in his own fashion outlet
for the normal price cause an almost irremediable feeling
of having been ‘ripped off’. Even if the specialist trade
were able to match the special price of an aggressive price
competitor without delay or immediately remove the
product from the list, the ‘preconceived notion of an extortionate price’ deeply rooted in consumer minds has
long since been revived.9
Conclusion: It is not generally the aim of competition policy to promote intensive intra-brand competition through
legal intervention. Intra-brand price competition as seen,
for example, in contractual-dealer systems in the automotive sector, may be highly desirable for manufacturing and
retailing enterprises. This is because the notion that ‘competition is good for business’ can also apply within value
systems. However, neither consumers nor competing
manufacturers and distributors have any ‘God-given’ right
to limit of freedom of action in consumer-goods distribution.
3. Large quantities of goods at low prices: a
reflection of consumer welfare and principle of
competition policy?
A misunderstanding with probably the most serious consequences in the current controversy is evident in two
widely propagated and intermeshed assumptions. The
negative perception of vertical price coordination encountered in cartel-law, that is evidently extremely difficult to
change, is presumably due to these two (questionable)
models:
(1) Reduced prices and increasing quantities within a
specific market are a valid indicator of an increase in
consumer welfare and, at the same time, of the improved efficiency of competition.
(2) Allowing vertical resale price maintenance would
normally result in price increases for popular
branded goods.
Re 1: From an economic and consumer-policy perspective, market results in the form of price-quantity ratios for
individual products are an obviously flawed indicator of
consumer welfare. Consumer welfare does not depend on
reduced prices and increased quantities for individual
products, especially as these are possibly only temporary.
If quantitative market results are to be of any significance,
it is necessary to focus on the long-term development of
the price level of all products in a relevant market10. The
more heterogeneous the quality of various products over
________________________
The ban on selling goods below cost does not help the specialist distributor, because even prices just slightly above cost price can have serious effects. Only the admissibility of effective price and brand maintenance by participants in a value-added system themselves can remedy
the situation. On the defective nature of bans on selling below cost, see
Ahlert as early as 1983, op cit. 1986, Köhler 2006.
10 This statement depends particularly on the definition of the "relevant
market" in accordance with the guiding principle. For a detailed discussion of the delimitation method preferred here, see Ahlert 1987; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, p. 192 f.
9
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Aufsätze
time, the more difficult it is to draw conclusions from individual prices about welfare developments.
The qualitative characteristics of a market are more important to the consumer than quantitative market results
(price-quantity ratios). Consumers derive the greatest possible welfare when the effectiveness of competition between alternative price-performance combinations is assured and, for this reason, there is a diverse range of
supply concepts over time. There should be not only different levels of quality, brands and forms of distribution,
but also different price-formation methods that compete
with each other for the favour of consumers.
Changes in market results are unsuitable as indicators of
welfare because, in order to determine welfare gains or
losses, the optimum market results would have to be
known. However, one cannot know the optimum market
results, i.e. which qualities, prices and quantities yield optimal welfare. Such a claim would thus constitute a ‘pretence of knowledge’.11 Market results occur as a result of
competition as a process of discovery. If competitive
processes operate perfectly, the resulting price-quantity ratios are, by definition, optimum in terms of competition
and welfare, regardless of the manner in which they develop. If, for example, the prices of certain branded articles appear to be rising, this may not give the state a reason to undertake massive intervention in value-adding
processes, depriving parties to a transaction of their rights
and limiting diversity. The maxim: ‘Unless all consumers
can afford to buy cult lemonade or chocolate bunnies, then
nobody should be allowed to have them’ is highly questionable from both an economic and (particularly) from a
business perspective.
Re 2: The myth of the price-driving effects of vertical
price maintenance is remarkably enduring. Here too, the
focus should not only be on the price level of pricemaintained products, but on the ongoing development of
the price level of all products in a relevant market. As
shown below, allowing price maintenance – in the event
of (sufficiently) effective inter-brand competition – does
not, under any circumstances, lead to a flood of price restraints and, in the normal case, there is no danger of price
increases that will reduce welfare.
See also the chairman of the monopoly commission,
Justus Haucap: ‘To be considered is the fact that vertical
price maintenance, in contrast to horizontal agreements,
does not automatically reduce competition or raise prices.
In fact, the opposite may even be the case. For this reason,
it is necessary to show who actually suffers under a vertical agreement. When evaluating vertical restraints, it is
necessary to consider the consequences in different ways.
There is a need to show where harm may occur and, explicitly, who exactly is harmed.’ 12
Before identifying the possible instances of ‘harm’ caused
by vertical agreements (Chapter 4), the advantages for the
effectiveness of competition and consumer welfare will
first be outlined briefly (Chapter 3). In doing so, we shall
limit ourselves, for example, to the admissibility of vertical price agreements. The other forms of ties (e.g. protection of territory, distribution restraints) are not considered
for reasons of space. The question at issue is hypothetical:
What could or would happen if all forms of vertical price
coordination in the intra-brand area between manufactur________________________
11 V. Hayek 1973; this was the subject of his speech on being awarded the
Nobel Prize in 1974.
12 Haucap/Klein 2012, p. 180.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
ing and retailing enterprises, and in the extreme, also the
inflexible fixed-price maintenance system, were completely unregulated?
III. Opportunities for cartel-law deregulation of
consumer-goods distribution
Nevertheless, the new Vertical Block Exemption Regulation of the European Commission and the Guidelines on
Vertical Restraints (paragraph 225) 13 do accept some (but
few) efficiency advantages of price restraints that could
justify individual exemption from the price-maintenance
prohibition. Alongside short-term special-offer campaigns
in cooperative distribution systems in which the maximum
possible advertising impact is achieved by means of uniformly favourable prices, and combating the free-rider
problem for products requiring in-depth advice, particular
attention is drawn to the case of the market launch of a
new product. In this context the manufacturer can, by
means of the price tie, acquire distributors for market entry and, therefore, for investment in sales-promotional
measures.14 It is worth noting that, consequently, even the
European Commission generally assumes that inter-brand
competition is more important than intra-brand competition.
However, the question arises as to why the multitude of
much more significant efficiency advantages repeatedly
cited by management theorists and business agents, that
could be brought about by the consistent deregulation of
vertical marketing, are tenaciously ignored in cartel-law
practice.15 The issues to be considered include:
-
distribution optimisation through a free division of
labour, specialisation and risk spreading within the
value chain,
the development and protection of strong brands at
all levels,
the fulfilment of specific consumer preferences (e.g.
for constant prices) and the avoidance of ´consumer
confusion´,
increasing supply diversity through free priceforming methods that compete with each other for
consumers,
the creation of incentives to innovate, thereby overcoming barriers to market entry by means of new
supply concepts,
the reduction of cost risks through reducing legal uncertainty.
1. The liberation of system competition from
structural distortions
The main pro-competition effect of the deregulation of
vertical marketing is the elimination of arguably one of
the greatest risks to ‘competition as a process of discovery’. This risk arises because distribution systems are
forced by the State into forms of organisation that are
economically suboptimal. The systematic structural distortion resulting from the unequal legal treatment of the differing business models or forms of distribution is, in itself
reason enough to initiate deregulation without delay. What
is meant is that many cartel-law restrictions affect free and
________________________
13 Cf. European Commission 2010.
14 For more details, see Haucap/Klein 2012, Schwalbe 2012 and Wey
2012.
15 Cf. Ahlert 1981 as well as, for example, Ahlert/Köster/Vering 2006, Ahlert 2004, Ahlert/Schefer 2012, Greipl 2012, Kenning/Wobker 2012,
Lademann 2012, Mocken 2012.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
211
cooperative forms of distribution and obstruct their free
development, but not hierarchically controlled value systems. Vertically integrated groups of companies, multilevel chain-store systems and commission-agent and
commercial-agent systems (e.g. in the mineral-oil sector)
are permitted to do many things that cooperating and free
distribution systems are currently strictly prohibited from
doing. These include multi-level price management; there
are no price restraints in hierarchical structures.
fice18 in which many modes of conduct usual in retailing
practice are classified as suspicious for cartel-law purposes, also refers to these supplementary restrictions on
commercial freedom of action in the area of vertical marketing. This tight network of rules appears overly bureaucratic and largely superfluous from a business perspective,
because they cause more harm in public-policy terms than
they create benefits, and the legal uncertainty associated
with them is unacceptable to companies.19
The chairman of the monopoly commission in Germany
also draws attention to this defect: ‘The problem is that a
per-se prohibition of vertical price restraints creates a
whole series of problems and inconsistencies in the treatment of different business models (vertical integration,
commission transactions, short contractual terms) that initially appear difficult to justify objectively. For this reason, it would make sense to have ‘safe-harbour’ solutions
as described in the Guidelines for Vertical Restraints of
the European Commission of 10 May 2010 (SEK (2010)
411 final) generally for the types of vertical restraints defined in the group exemption regulation 330/2010 of 20
April 2010 as an alternative to the general prohibition of
vertical price restraints. Nevertheless, these exemptions
do not extend to resale price maintenance. From an economic point of view, the complete exclusion of price restraints seems extreme. Furthermore, instead of being
(almost completely, if not completely) prohibited as core
restraint per se in sec. 1 GWB or Article 101 (1) TFEU,
vertical price restraints could be subsumed in the category
of abuse control. For vertical price restraints, there should
then be a presumption of abuse that is capable of being
disproved where manufacturer and distributor exceed
(also cumulatively) certain market-share thresholds.’16
For example, we refer to the tendency in cartel-law practice to impose a de facto extensive prohibition of communication and cooperation on freely and cooperatively organised value systems.20 Since 2010, numerous
companies have abandoned their practice-proven interlevel cooperation projects such as vertical category management, because of (real or possibly only inferred)
threats posed by cartel law. This is highly regrettable from
the points of view of competition and welfare, because
such combined concepts of industry and commerce encourage innovation and are widely accepted by consumers.21 Moreover, necessary brand strategy coordination in
the value chain is increasingly being abandoned, e.g. with
respect to the desired target positioning for the branded article and the shops stocking them, because this could trigger suspicions of concerted price structuring and lead to
an investigation.22 Owing to the considerable personal
risks involved, managers in particular are no longer prepared to venture into such experiments in the sector of
vertical marketing. ‘Liberating’ business practice from
this hopelessly dense network of regulations on pricemaintenance prohibition can be described as another great
opportunity for deregulation, not only for participants in
free and cooperative value systems, but also for consumers in particular.
The distortion of system competition caused by the prohibition of price maintenance leads to a preferential treatment of vertically integrated systems.17 There will be increased verticalisation, combined with uncertain welfare
effects, to the degree that contractual freedom is reduced
in free and cooperative value systems. From a consumer
perspective, there is no objection in principle to multilevel verticalisation. Attractive value systems like IKEA,
ZARA, H&M were created in this way and have made a
considerable contribution to supply quality and diversity.
However, if this development is accompanied by a systematic cartel-law impairment of free and cooperative
value systems, there is always the danger that legally
privileged supply concepts prevail over supply concepts
that are more attractive to consumers.
2. Raising efficiency by means of free
communication, cooperation and a division of
labour within the value chain
Most of the efficiency gains are not directly (and therefore
causally) attributable to the abolition of price-maintenance
prohibition, but merely indirectly, and are no less economically relevant. This is because the abolition of this
prohibition would render obsolete an entire canon of supplementary regulations generated over the last few years
by the European Commission, the competition authorities
and the courts for the purpose of interpreting vague legal
concepts that supplement the actual price maintenance
prohibition. The ‘Handreichung’ of the Federal Cartel Of________________________
16 Haucap/Klein 2012, p. 181 f.
17 Cf. Olbrich/Grewe 2012.
3. Innovative services and strong brands as a
consequence of liberating value processes
It cannot be stated often enough that consumers benefit
from the greatest conceivable degree of welfare when the
________________________
18 Cf. Bundeskartellamt (Federal Cartel Office) 2010.
19 For example, the opinion that a commercial enterprise, after concluding
negotiations with a branded-article manufacturer on the basis of the negotiated purchase price, would have to bear the entire economic risk for
these branded goods (cf. also the statement thereon by German Retail
Federation (HDE) of 17 August 2010 in response to the Federal Cartel
Office Recommendation (Handreichung) and Sanktjohanser 2012) can
be regarded as misguided in economic terms. Instead, value-added
processes could be structured efficiently in such a way that each participant performs the duties that they were relatively able to perform
most cost-effectively. However, this would require an in-depth discussion on costs and prices, a course of action that is currently highly suspect from a cartel-office point of view.
20 As demonstrated by Glowik 2012, by means of impressive examples
from everyday business transactions between Unilever sellers and foodretail buyers, the requirements stipulated by cartel-law practice of
communications within the value chain, as outlined in the recommendation (Handreichung), are largely unrealistic. Even if they wanted to,
participants within companies are unable to put them into practice. This
paralyses everyday operations and causes high transaction costs.
21 See Ahlert/Borchert 2000, Schröder 2012, for further details.
22 Cf. the definition of coordination in Section II of the ‘Handreichung’
recommendation (Federal Cartel Office 2010): ‘Concerted practices as
distinguished from a contractual agreement can be found in every form
of communication that does not lead to the conclusion of a contract in
the true sense, but which deliberately allows practical cooperation to
take the place of competition with its associated risks. The competitive
conditions created by this practical cooperation do not reflect normal
market conditions.’ From an economic perspective, it cannot be stated
what constitutes normal market conditions. Practical cooperation in
value chains has tended to be the rule rather than the exception until
now; prohibiting the same cannot necessarily be regarded as intervention in conformity with the principle.
212
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
effectiveness of competition between competing supply
concepts is assured over the long run. This presupposes
supply diversity. Well-proven and innovative priceperformance combinations compete with each other for
consumer acceptance. Value systems in the consumergoods sector are normally multi-level and the most attractive supply concepts often feature a harmonious ‘composition’ of excellent goods and services by manufacturers and
distributors. Inconsistencies within such multi-level supply concepts, whether in brand communications or even
strategic price positioning, may confuse consumers and
reduce their faith in the quality.23 Deregulation would enable manufacturing and retailing enterprises to take the
initiative themselves and, with appropriate price and
brand maintenance, not only avoid upsetting consumers,
but also trigger considerable positive competition and
welfare effects. These can be categorised into three
closely-related sets of combined effects.
In the case of Red Bull, the biased observer would perhaps say: ‘Just as well that we have got rid of this useless
beverage. Young people should go back to drinking mineral water, milk or beer. The brand has been destroyed, the
market cleared and space created for the development and
marketing of new products.’ However, in doing so, he
would overlook a vital aspect, namely that strong brands
play an important role in determining the success of an
economy, not only in the domestic market but also that of
exports. Furthermore, without any prospects for creating
and maintaining strong brands, there are no incentives to
invest in new products.
(2) Investment incentives to create and launch
innovative supply concepts
Businesspeople invest in innovation only if they anticipate
that:
-
(1) Development and stabilisation of strong brands
Brands are created inside human minds, they cannot be
‘manufactured’ or ‘branded’ onto peoples’ minds cowboystyle. Strong brands are (almost always) based on
myths.24. This applies to both product brands and store
brands (e.g. IKEA) and to those of corporate networks
(e.g. McDonalds). Red Bull is a particularly graphic example of a successful branded article and one of the very
few products that developed into a strong brand within an
extremely short period of time. A brand is created in peoples’ minds through their own experiences and beliefs,
and is also influenced by ‘storytelling’.25 Storytelling
takes place in the media and – frequently even more effectively – in sales pitches at distributors, events, etc. But
what would happen in the minds of consumers if the price
of Red Bull, in contrast to the stories communicated by
the manufacturer, suddenly experienced a massive drop at
retail outlets or catering enterprises? A ‘magic potion’ at a
discount? ‘Supernatural powers’ for the same price as
mineral water? Ultimately, people would no longer enjoy
Red Bull the same way and it would no longer have the
effects on well-being that consumers generally attribute to
it. This is demonstrated by neuroscientific research using
MRT and blind tests with consumers. 26
For a strong brand to develop, a harmonious coordination
of branding communication and price management in the
sales channels is required, and not only for ‘cult products’.
Modern marketing research shows that uncoordinated
price-policy operations can harm, or even destroy the majority of strong brands, especially for goods and services
of high-quality, which have a sensitive image or which require detailed advice. The legal system offers no effective
protection against such dangers. If the owner of the brand
is then also prohibited from taking action in the form of
price maintenance, to protect his brand against erosion, he
forfeits consumer demand. The brand pales into insignificance and diversity is sacrificed if consumers are forced
unnecessarily to forego a desired consumption option.
Without strong brands, consumer welfare is diminished.
________________________
23
24
25
26
Cf. Kenning/Wobker 2012 for more details.
Cf. Zernisch 2004, pp. 98 and 210 ff.
Cf. Gutjahr 2011, p. 151.
For
more
information,
see Ahlert/Kenning
2006, Ahlert/Kenning/Plassmann
2006,
Kenning/Plassmann
2008,
Plassmann/O'Doherty/Shiv/Rangel 2008, Ahlert/Hubert 2010 a and b.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
-
-
the supply concepts created can reach the consumer
in unadulterated form, i.e. are not immediately
caught up in price wars or become loss-leaders in retailing,
the value partners can be motivated and urged to invest in supportive sales policy measures (e.g. storytelling), because they are guaranteed sustainable
margins,
the opportunity to develop a strong brand does actually exist, i.e. there is no danger that the competition
authorities will massively intervene against every
form of vertical price and brand maintenance that is
indispensable for branding to occur.
The argument repeatedly raised, that price maintenance
leads to sluggish competition and reduces in a sector, is
untenable in its claim of general validity. It can claim validity only in the extreme scenario of insurmountable barriers to market entry (i.e. high protective fences for obsolete products). In the normal case, the willingness to
innovate and the dynamics of innovation are driven by,
and not inhibited by vertical price management. The explanation requires a brief excursion into the mode of operation of progressive processes for products and processes, which can be regarded as the most important
subprocesses of effective competition, but which are also
particularly sensitive to interference.27 The starting point
for the theory of competition as a process of discovery is
the fact that, in a given market, all market participants, including the potential suppliers of new products or processes, have only vague notion of what consumers accept
and reward through making a decision to purchase. Consumers do not generally know exactly what their preferences will be before new goods emerge. Needs for ‘unborn’ goods exist only latently. In this situation, it is
important for consumers to be offered the widest possible
range of alternative products and solutions in the course of
a market experiment. Through their purchasing decisions,
consumers determine the chances of survival of the individual supply concepts and, therefore, the potential returns
to the supplier companies. This is how consumer sovereignty finds expression.
The evolutionary process of innovation and dissemination
is divided into four subprocesses of mutation, selection,
self-imitation and third-party imitation. In the consumergoods sector innovative supply concepts arise not infre________________________
27 Cf. Grossekettler 1981, 1991 and 2009.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
quently through a division of labour between manufacturers and distributors (mutation). Value systems, whose
price-performance combinations prove to have greater
than average success, owing to a high degree of consumer
acceptance (selection) expand by increasing their capacities and consolidating their position using proven means
(self-imitation). We can also refer to intra-brand multiplication in this case. Success motivates competing value
systems to disseminate ‘me-too products’ or even wholly
innovative variations of the successful offer concept under
alternative labels (manufacturer brands or trademarks).
The process of third-party imitation may, therefore, be
called inter-brand multiplication.
The ´liberation of value processes from cartel-law restraints’ eliminates potential disturbances that can be
found in all four subprocesses of the product and procedural progress and which are closely related to each other.
For example, foreseeable difficulties in the future with respect to the dissemination of an innovative product, possibly based on a lack of cooperation on the part of the target
distribution group, may have a very negative effect on industry willingness to mutate. A distributor’s lack of willingness to cooperate may, in turn, be traced back to his
bad experiences with the conduct of fellow distributors
within the same value system. Loss-leader offers, confusing signals from sales personnel, inadequate goods presentation etc. can cause consumers to doubt the quality,
with the result of sensitively disrupting the selection process. Consequently, the possibility of any strong brand
formation in the minds of customers (both consumers and
distributors) is excluded from the outset. Finally, the possible chain reaction of mutually propagating effects already foreseeable ex ante, discourages manufacturers and
distributors from making any investment whatsoever in
complex processes of innovation.28
The task of competition policy is to create parameters that
enable innovators to take action themselves to ensure that
the supply concepts that they consider likely to reach consumers unadulterated. Coordination processes within
value systems, also explicitly measures of vertical brand
protection and multi-level price maintenance, should be
admissible in principle, to the extent to which they promote the efficient operation of innovation processes. If, on
the contrary, an efficient influence by innovators on intrabrand multiplication is legally inadmissible, there is a risk
that no change processes occur, because entrepreneurs
place more value on the risk of losing the necessary ‘return on investment’ than on the opportunities associated
with innovation. This creates a serious defect in interbrand competition, a deficit which would normally have
to be eliminated by competition-policy intervention, but
which is in fact caused by the cartel-law regulation of vertical marketing.
________________________
28 This is made clear again, using the selection process as an example.
For the consumer to have any opportunity whatsoever of ‘sovereign selection’, the supplier (e.g. a branded-article manufacturer) must succeed
in presenting his supply concept to all levels in an unadulterated manner as far as possible. If the producer's intended brand positioning
within the value system were systematically thwarted, this would be
evaluated as a market distortion. This would deny the innovative good
the opportunity to gain the favour of consumers in the course of the
‘market experiment’. Reference is made once again in this context to
the potential risks to luxury goods, prestige goods or cult goods, but
also to high-quality gift articles where, for example, an aggressive lowprice policy or loss-leader policy by the distributor or disharmonious
brand communication would run counter to the manufacturer’s intended
brand launch concept. Cf. also Olbrich/Grewe 2009.
ZVertriebsR 4/2012
213
(3) Preservation and extension of established
supply concepts
Not only the ongoing development and dissemination of
new products, but – provided consumers display their
preferences through their selection behaviour – an extension of the established range of products (and, therefore,
also the stabilisation of strong brands) could likewise be
the result of competition as a process of discovery. There
are close interdependencies between these two processes;
the undistorted marketing of proven supply concepts and
the introduction of new products. This is because businesspeople would then be faced with a high risk of brand
erosion – inevitable because their hands are tied by cartel
law – right from the outset, this could stifle willingness to
invest and therefore, efforts at innovation. Moreover, the
impairment of ongoing business success owing to a lack
of ‘sustainable’ margins – at both manufacturing and retail
levels – can in turn prevent the release of investment
funds urgently needed for innovation. Destroying incentives for innovation in this way is surely one of the most
dangerous market distortions.
4. Promoting supply diversity by means of
competing price-formation methods
The demand for a diversity of supply concepts that are unrestricted as far as possible, also expressly applies to freedom of choice in vertical price-structuring processes. If
the consumer were allowed to choose, for example, between products with autonomously structured prices or
recommended prices, with concerted prices or tied prices,
this could provide greater ‘welfare’ than if he was denied
this opportunity to choose. The requirement for this welfare gain, however, is effective competition between the
alternative price-formation variations. If pricemaintenance prohibition were to be abolished, this could
give rise to a price-policy heterogeneity that is highly attractive to the consumer. Here are just a few examples:
Some of the competing supply concepts find favour with
consumers because their prices change constantly. This
may suit those consumers set on seeking variety or finding
bargains. Ongoing price variations can be controlled centrally, in which case the branded article manufacturer or
headquarters of a branched distribution system can assume the control function, as in the case of trademarks.
Price formation can also be left to the free play of market
forces within the value system.
Many consumers place a high value on price consistency,
either for example to ensure that the value of a gift does
not decline, because of conspicuous consumption or the
snob effect, or quite simply because they do not wish to be
upset at having earlier paid too high a price. The extensive
literature on price management has enumerated many
other reasons why consumers would prefer pricemaintained goods if they were allowed.29
Numerous value systems are characterised by the fact that
distributors at no time want to be deprived of sovereignty
over price structuring, even if price restraints were allowed. In this context, price-formation processes therefore
focus on distributors. Other business models are successful, particularly because it is not the local retailer but the
wholesaler of a cooperative retail group, the franchisor or
even the manufacturer who undertakes professional price
________________________
29 Cf. for an overview Ahlert 2004 and Ahlert/Köster/Vering 2006.
214
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
management centrally, thereby relieving those at the front
line of the difficult business of calculating prices.30
However, it may make economic sense for the fundamental price positioning of a branded article to be the subject
of a strategic agreement between industry and commerce,
while the operative fine-tuning is decentralised. Many distributors place great value on guidance from recommended prices, while others need or desire no such assistance. Recommended prices can also be a valuable aid for
consumers.
These examples clearly show the diversity of ‘customeroriented solutions’ that could emerge from competition as
a process of discovery, if it were not restricted by cartel
law. The prohibition of price maintenance considerably
limits this range of alternatives, reducing the consumption
options preferred by consumers (e.g. prices for ‘his’
brands that are uniform and/or stable over time).
IV. Risks of free price-formation processes within
the value chain
The abovementioned positive effects of the deregulation
of vertical marketing have long been familiar in business
economics, and in marketing especially. It is remarkable
that, except for the efficiency potential mentioned in the
Vertical Block Exemption Regulations and in the Guidelines on Vertical Restraints, these advantages have been
stubbornly ignored in the cartel-law debate. By contrast,
advocates of strict price-maintenance prohibition refer to
serious anti-competitive effects of vertical price coordination and do so on the basis of theoretical assumptions. The
need to use models is explained by the fact that there is
almost no experience with operation of price restraints, as
they have been prohibited in most countries (with some
exceptions) for so long. Therefore, it is possible only to
speculate or theorise.
There are essentially two categories of assumed effects
which, depending on the circumstances, could provide legitimate arguments against the deregulation of pricemaintenance prohibition:31
(1) The risk that vertical price agreements could encourage the formation and entrenchment of horizontal
price cartels.
(2) The risk that consumer welfare could be impaired by
excessive and inflexible prices as a consequence of
legally permissible price-maintenance systems.
1. Risks of vertical price coordination for the
effectiveness of horizontal inter-brand competition
The first question that arises is whether vertical price coordination could facilitate collusion at the manufacturer
level. A functioning price cartel between manufacturers 32
________________________
30 In a qualitative survey by the Muenster Institute for Distribution and
Retailing in 2011, many distributors stated that it would be wholly uneconomic for them to calculate every price for the approx. 50,000 articles that they have on offer. They would have to employ five business
managers or else immediately petition for insolvency. Moreover, they
were completely reliant on central price labelling by manufacturers on
cost grounds. Central price control in hierarchical systems is permitted;
for free and cooperative value systems, it is strictly prohibited. This
means that these systems have no alternative but to transform themselves into vertical chain-store systems and, therefore, choose a form of
organisation that is economically worse for them.
31 We have considered these and other hypotheses on the anti-competitive
effects
of
price
maintenance
in
detail
elsewhere:
Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011, p. 76 ff. and Ahlert/Schefer
2012, p. 31 ff.
32 Cf. for its identification, in particular Lorenz 2006 and the literature
quoted therein.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
presupposes agreement on cartel parameters (normally
prices and quantities) and the monitoring process. For this
reason, subject to the monitoring measures (cartel control)
are, in particular, the ex-works prices of the individual
oligopolists and, if appropriate, naturally the tied retail
prices. If ultimate-consumer prices are the main subject of
the conspirative agreement, they are more easily monitored because of the market transparency resulting from
price maintenance and, as a result, breaches of cartel
agreements can more easily be discovered.33
Angland (2008), Jullien and Rey (2007), Matthewson and
Winter (1998) and Tesler (1960), offer a theoretical explanation for the emergence and stability of manufacturers’
cartels, by reference to ex-works prices based on resale
price maintenance.34 In a world where price maintenance
is prohibited, adherence to agreed ex-works prices cannot
be observed, because of the bilateral, non-public contractual relationships between manufacturing and retailing.
Retail prices are unsuitable as a tool for monitoring the effectiveness of concerted practices. They depend not (only)
on the agreed ex-works prices of the manufacturers, but
are also determined by the differing, constantly changing
cost structures of distributors and numerous uncontrollable environmental influences. As a result, the individual
cartel members could increase their sales by offering individual price discounts, without being threatened by sanctions for breaching the cartel agreements. By applying a
tied selling price, on the other hand, there would no longer
be any incentive for the producing companies to generate
market shares by means of price discounts in negotiation
with distributors. They operated solely in terms of the distributor margin, which would increase the stability of the
manufacturer cartel.
In the run-up to the price-maintenance prohibition in
Germany in 1973, the Federal Government argued slightly
differently, but with the same result. Because pricemaintenance systems prevented distributors from adapting
prices in accordance with changed market conditions, the
only way of safeguarding their own business operations
would be to obtain more favourable terms and conditions
or higher discounts from manufacturers. Industry could in
turn respond to such pressure at the retail level in the form
of a horizontal agreement on terms and conditions and
discounts.35 McLaughlin confirmed the hypothesis that
price maintenance encourages collusive behaviour, at least
for a specific manufacturer cartel: ‘Bakers of Washington
Association’. According to his analysis, this association of
manufacturers of bakery products used vertical price
maintenance to enforce concerted prices on the market.36
Nevertheless, the arguments above clearly show that only
inflexible fixed-price maintenance systems, binding on all
buyers, can facilitate monitoring. Moreover, the effects
are only relevant in tightly controlled oligopolies with
high market-entry barriers or even bilateral monopolies,
i.e. only in distorted markets.
The second fundamental question is whether collusive behaviour can also be achieved at the retail level using
price-maintenance mechanisms.37 In this case, a manufacturer who supplies all distributors involved in the conspiracy (‘a common agent’) acts as an aid to enforce the cartel
________________________
33 Cf. European Commission 2010, parapraph 224.
34 Cf. Angland 2008; Jullien/Rey 2007; Matthewson/Winter 1998 and Telser 1960, cf. also European Commission 2010, paragraph 224, Schaffer
1991.
35 Cf. German Bundestag 1962, p. 25.
36 Cf. McLaughlin 1979.
37 See Bennett et al. 2010, p. 21 and Matthewson/Winter 1998, p. 65ff.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
agreements. He sets a selling price above that of the free
market, monitors any deviations from the agreed equilibrium and, if necessary, sanctions any saboteurs.38 This allows the set-up and monitoring of cartel structures generally regarded as the main problem areas of cartel
formation39, to take place centrally. In this connection,
there is frequent mention of ‘star-shaped’, ‘hub-andspoke’ or ‘A to B to C’ coordination. Such a situation is
conceivable in the case of well-organised distributors with
market power especially. After all, the common agent
(manufacturer) would have to be ‘persuaded’ during the
run-up period to undertake such a course of action. It is
assumed in the Guidelines on Vertical Restraints of the
European Commission, because of the concentration of
the horizontal interests of participants already strong in
the market, that the restrictions (restraints) create problems particularly for the consumer.40
This clearly shows again that only inflexible fixed-price
maintenance systems that are binding on all buyers, can
have this monitoring effect. Moreover, these complex
mechanisms are viable only in markets with extremely
tight oligopolistic structures, i.e. only in cases where inter-brand competition does not function.
2. Risks to consumer welfare of allowing vertical
price coordination
In order to demonstrate that an excessive price level can
be achieved by ultimate-consumer prices, Dobson and
Waterson model a bilateral duopoly at the retailing and
manufacturing levels. This is also referred to in the literature as ‘double common agency’ (cf. above hub-and-spoke
cartels) or ‘interlocking relationships’.41 In the model, two
manufacturers from two different value chains each deliver to two distributors each. The distributors in turn order their goods from the two manufacturers. Owing to the
predefined retail prices, improved purchasing terms and
conditions cannot be passed on to consumers. For this reason, a distributor cannot strengthen his own competitive
position through price-setting measures, so that there is
less incentive for distributors to enter into negotiations
with manufacturers on their ex-works prices. This reduces
competitive intensity at the manufacturer level and, therefore leads to higher retail prices. When setting prices for
retailers, if the industry additionally uses fixed components (e.g. franchise fees), then, according to Rey and
Vergé, industry-wide monopoly prices may even result.42
Biscourp et al. base this theory on their empirical results
after the introduction of the Loi Galland in France in
1996, a statute which effectively legitimised industrywide minimum-price maintenance.43 Prices increased par________________________
38 It is also possible vice-versa for a retailer to act as ‘common agent’ and
enforce a manufacturer cartel. See also Bernheim/Whinston, 1985.
39 Cf. Lambert 2009, p. 1944.
40 Cf. European Commission 2010, parapraph 224.
41 Cf. Dobson/Waterson 2007 and Rey/Vergé 2008.
42 Cf. Rey/Vergé 2008.
43 Cf. Biscourp et al. 2008, additionally a report by a committee of experts
led by Guy Carnivet ‘Restaurer la concurrence par les prix – Les
produits de grande consommation et les relations entre industrie et
commerce’, 2004, p. 60. http://www.ladocumentationfrancaise.fr/ra
pports-publics/044000494/index.shtml and http://www.finances.gouv.
fr/directions_services/cedef/synthese/loi_galland/synthese.htm. Simon
recently warned urgently against the admissibility of price restraints by
reference to the ‘Loi Galland’ passed in France. This is a statute from
1996 whose real purpose was to prohibit major supermarket chains
from selling below cost. Instead, the statute operated like price maintenance in the form of minimum prices, where suppliers set high selling
prices and granted year-end discounts that were not allowed to affect
the retail price. The result of this was a decline in both inter-brand and
ZVertriebsR 4/2012
215
ticularly in those areas where they had previously been
relatively low; the correlation between the intensity of local competition and the locally observed selling prices declined. In contrast, after price maintenance for books was
abolished in the United Kingdom, it was found that book
prices fell and the choice of books even increased.44
On closer examination, the arguments against vertical
price coordination in both cases (Loi Galland in France,
book-price maintenance in the UK) prove to be flawed.
By reference to the Loi Galland, there is no plausible explanation for the chain of events ‘admissible price restraints >> higher prices >> diminution of consumer welfare’, because the statute had a serious structural defect. It
intervened in value chains with a further restraint (prohibition of prices below cost prices imposed on all participants, in addition to the pre-existing prohibition of price
maintenance). As a result, this stifled effective competition instead of restoring individual freedom of action. If
the statute had instead allowed different forms of vertical
price coordination, then, with sufficient effective competition, this would have yielded long-term market results that
were optimal for consumer welfare. If prices were then to
rise (as a result of effective competition between alternative price-formation methods), there could be no doubt as
to their economic justification from a welfare perspective.
Likewise, there is no plausible explanation for the chain
of events ‘prohibition of price restraints >> lower prices
>> improvement in consumer welfare’, by reference to the
case of book-price maintenance in the UK. This is because
the price maintenance (of books) was not one priceformation method among many others, but was the only
admissible method. Given the lack of competition between alternative price-formation methods, it comes as no
surprise that the arguably negative effects arose.
Moreover, some researchers assume that resale price
maintenance could help to safeguard the monopoly profits
of just a few manufacturers operating as de facto monopolists in a market. First of all, this could be achieved by
easier price discrimination in favour of different buyer
groups, because, with the aid of a high, maintained resale
price, it would be possible to influence the sale of goods
acquired at relatively favourable prices to customer
groups willing to pay a higher price.45 Moreover, resale
price maintenance could act as self-binding instrument, by
means of which the manufacturer could bind himself to
the price that maximises profits. This would enable him to
credibly persuade the purchasing distributor that he would
not conclude other contracts at more favourable terms
with other distributors. The effect would be that any
higher purchase quantity could be sold in entirety to consumers only at a lower price.46
The Federal Government provided further indications of
excessive pricing through vertical price maintenance in
the run-up to the prohibition of price maintenance in
1973. After eliminating (price) competition between distributors for final consumers, manufacturers would fre________________________
intra-brand competition. The prices that customers had to pay after the
Loi Galland were almost 10% higher in 2002 (1 January 1997 = 100)
than in Germany and at least 3% higher than the average in the other
Eurozone countries. After it became evident that this statute had negative effects on consumer welfare, it was amended in 2005. Prices fell by
four per cent within 14 months.” (Simon 2012, p. 251).
44 Cf. Office of Fair Trading 2008.
45 Cf. Bowman 1955, p. 839f. and Overstreet 1983, p. 33ff.
46 Cf. O’Brien/Shaffer 1992; Rey/Vergé 2004a; Hart/Tirole 1990 and Vertical GL, paragraph 224.
216
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
quently compete for distributors by means of discounts.
This competition would either drive trade margins even
higher or inhibit intended margin reductions, by cementing the ultimate consumer price that actually should have
been adjusted.47 According to the statements by the Federal Government, fixed prices of manufacturers would
have to be calculated in such a way that fluctuations in
sales markets and in the cost structure, could be compensated for even by the weakest distribution enterprises,
which the manufacturer still considers necessary to retain
a sufficiently high sales volume. Prices would normally be
calculated in such a way that cost increases in particular
could be compensated for over a longer period of time.
For the reasons given above, maintained prices in many
cases remained unchanged at too high a level for many
years.
With regard to the abovementioned assumed effects of excessive and inflexible prices through price maintenance, it
can also be stated that these are conceivable only in extreme situations involving inflexible fixed-price maintenance systems, a very high market share for pricemaintained articles and monopolistic supply structures. If,
on the other hand, inter-brand competition is sufficiently
effective, i.e. there are no insurmountable barriers to market entry or monopolising effects, all of these lines of argument disappear.
V. Principles of partial deregulation on a case-bycase approach
The common factor of the hypotheses outlined above is
that anti-competitive or welfare-reducing effects are attributed largely to the inflexible systems of a fixed-price
restraint which is identical for all buyers in tight oligopolies. For this reason, issuing risk warnings is largely a
waste of time because, according to our most recent empirical research, the overwhelming majority of brandedarticle manufacturers do not regard inflexible fixed-price
maintenance systems as a desirable price strategy and the
majority of retail enterprises categorically reject them.48
In manufacturing and retailing practice, it is almost never
a question of re-introducing resale price maintenance but,
at most, of taking precautions within the value systems to
make it possible to prevent, or at least mitigate, the crudest forms of conduct of some participants. Marketing experts are of the opinion that vertical price and brand care
and efficiency-oriented vertical cooperation should be
possible without immediately being forced into the tight
corset of a wholly inflexible fixation of uniform point
prices.
Given the largely pro-competitive effects of vertical price
coordination in the normal case, there appears to be an urgent need at the present time to abolish the per-se prohibition of price restraints. Schwalbe also says: ‘With regard
to the effects of price maintenance within a value chain,
there are a series of arguments that indicate that price restraints tend to effect greater efficiency. For this reason, a
per-se prohibition of price maintenance does not appear
________________________
47 Cf. German Bundestag 1962, p. 26.
48 There are plenty of reasons why manufacturers and distributors have no
interest in vertical price maintenance on a contractual basis, even if it is
legally admissible (cf. also Horst 1992, p. 121 ff.): Of particular importance are the high costs of the introduction and ongoing price-guarantee
system of vertical price maintenance, the lack of flexibility of price
management, the risk of high market-share losses in functioning markets, i.e. with adequate and reasonable alternatives for consumers, damage to image if fair price conduct is called into question and, not least,
the lack of enforceability among retail enterprises.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
appropriate. Nevertheless, a rule-of-reason approach
would also not be a suitable solution, because it would be
necessary to check in each individual case whether or not
a price restraint did give rise to competition-law reservations. For this reason, such an approach would cause considerable legal uncertainty and, moreover, would incur
transaction costs to a significant extent. … One way of estimating the effects of price restraints consists of classifying cases that can be used to distinguish unproblematic
price restraints from those that are capable constraining
competition.’49
A differentiating rule which limits a prohibition statute to
certain critical situations is referred to as a case-by-case
approach.50 It may also be considered a deregulation compromise. What ‘critical situations’ could be meant in this
case? The decisive factor is the existence of a substantial
risk to the effectiveness of inter-brand competition. To
make this clear, we consider a (fictitious) extreme scenario:
Imagine a market where urgently needed essential goods
are traded, i.e. staple foods, medicines, drugs and fuels.
For this reason, consumers cannot avoid this market by
abstention. The market is dominated by a tight oligopoly
of suppliers with complete market power, is completely inflexible, barely innovative and there are insurmountable
barriers to market entry. And one now also imagines that
almost all manufacturers in this product category have introduced an inflexible fixed-price maintenance system, so
that uniform prices for each branded product are charged
in all shops of the trade.
Under the principle of effective market processes, such
circumstances could justifiably be referred to as a ‘nightmare scenario of complete market failure’. This represents
the first case where the need to retain the prohibition of
price maintenance appears clear and compelling.51 When
defining the case, however, consideration must be given
not only to a situation of complete market failure. Additionally, a prohibition, or at least a special examination for
the purpose of abuse control (rule-of-reason approach),
could also be considered, if individual risk factors existed
(in the sense of assumptions capable of being disproved),
for example, in the case of:
market-dominating companies as initiators of inflexible fixed resale price maintenance systems
(these companies were prohibited from introducing a
price-maintenance system even before 1973),
- markets with a very high market share of price-tied
products, e.g. more than 50%,52
- a market structure with a high probability of collusive behaviour ‘which is characterised by comparably few companies, between which there is a certain
degree of symmetry, above all with regard to market
________________________
-
49 Schwalbe 2012, p. 165. Similarly, Haucap/Klein 2012 (p. 180): ‘As has
become clear, vertical price restraints have advantages and disadvantages from the perspective of efficiency. How strongly the advantages
and disadvantages are to be weighted, depends to a great extent on the
specific circumstances. A per-se prohibition in such a situation is certainly inefficient and that is so even taking account of the other protective aims of the GWB such as freedom of competition, equality of distribution and protection of the SME sector.’
50 The approach of a partial legitimation of vertical price maintenance was
proposed by the Muenster Institute for Distribution and Retailing as
early as 1992 (cf. Horst 1992, p. 252 ff.).
51 However, even in such an extreme situation, it is questionable whether
the price restraint can be revealed to be the cause of market failure or
whether the imposition of price-maintenance prohibition can be regarded as merely treating the symptoms.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
-
Aufsätze
shares, the market is transparent and a credible sanction mechanism is available’53,
Situations in which the desire for price maintenance
emanates from distributors,54
Essential goods that are urgently needed and which
consumers cannot avoid purchasing.
It is obvious that these cases require more in-depth economic discussion. In general, the following conclusions
appear at least worthy of discussion:
If the competition processes of a particular market are
proven effective, there is absolutely no justification for
cartel-law intervention in the value processes. In this case,
the prohibition of vertical price maintenance is fundamentally misguided.
If, instead, market effectiveness is distorted, the causes of
market failure must be analysed and remedied using competition policy. As a rule excessively high barriers to market entry ultimately cause market failure. Vertical coordination in the form of price and brand maintenance will not
normally create insurmountable barriers to market entry.
Rather, the admissibility of vertical price coordination can
help to break down market entry barriers by means of innovative supply concepts.
It may become dangerous for the effectiveness of competition in tight oligopoly markets if inflexible fixed-price
maintenance systems gain a very large market share. Only
then can removing the price-maintenance prohibition have
negative effects on horizontal inter-brand competition under certain circumstances – in particular by promoting
price cartels. Although, in the event of increasing market
coverage with price-maintained goods, consumers would
increasingly wish to switch to non-price-maintained products, they could not do so if there were almost insurmountable barriers to market entry. If consumers were
also unable to abstain from buying (e.g. essential goods),
then, and only then, should the strict regulation of vertical
price coordination in the value chain be considered as a
last competition-policy resort.
A minimum requirement for the deregulation of consumergoods distribution is that the special status of vertical
ZVertriebsR 4/2012
217
price maintenance as a ‘hardcore restriction’ (in accordance with Article 4 of the Vertical Block Exemption
Regulation) should be abolished.
The fundamental exemptions in accordance with Art. 101
(3) TFEU should also apply to vertical price maintenance,
because the commonly assumed risks of negative effects
on inter-brand competition (e.g. the support of price cartels) do not normally exist. Only in cases of inflexible
fixed-price restraints are harmful effects on the effectiveness of competitive processes even conceivable and, here
too, only if companies that dominate the market are involved and if market coverage substantially exceeds 50%.
Provision for the non-application of group exemption for
coverage of at least 50% and for the involvement of market-dominating companies is already the case in the Regulation (paragraphs 8, 9 and 16) and in the European
Guidelines on Vertical Restraints55.
________________________
52 An equivalent is found in Art. 6 of Vertical Block Exemption Regulation. According thereto: ‘the Commission may by regulation declare
that, where parallel networks of similar vertical restraints cover more
than 50 % of a relevant market, this Regulation shall not apply [...]’,
(cf. also paragraph 79 of the European Guidelines on Vertical Restraints
2010).
53 Schwalbe 2012, p. 166.
54 According to Schwalbe 2012 (p. 166 f.) ‘the party that wishes the price
restraint could be of importance for the assessment of the effects of a
price restraint...If, for example, a manufacturer of a product competing
with many other manufacturers of close substitutes, wishes to prescribe
the retail price by price maintenance, then it is to be expected that the
price restraint will tend to raise efficiency. Moreover, if the relevant
product is also not a ‘strong’ brand and consumers are generally prepared to acquire comparable products from other manufacturers, then it
can be assumed that price maintenance can be regarded as more positive for competition. Under German competition law and its adaption to
European competition law, price restraints could be exempted in such
cases. However, if there are only a few distributors who stock a certain
product and if they ask the manufacturers to set the ultimate-consumer
price, and if the product is a strong brand, i.e. intra-brand competition is
crucial, then a price restraint would be expected to have the effect of
limiting competition between the distributors. The result of this is that a
small quantity is offered at high prices and, consequently, the position
of consumers is worsened. In such a case, a price restraint should be
prohibited as harmful to competition.’
55 Cf. European Commission 2010, paragraph 79.
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Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
219
Philipp Reusch*
Produktsicherheitsrecht und UWG
I. Einleitung
1
2011 sind lediglich sechs Entscheidungen bekannt, die
sich mit dem Zusammenhang von Produktsicherheits- und
Wettbewerbsrecht beschäftigen – 2012 bis dato keine.
Lohnt sich daher tatsächlich ein Blick in dieses Rechtsgebiet, für das sich scheinbar nicht einmal die Gerichte ausreichend interessieren? Die folgenden Ausführungen
möchten hierzu Argumente liefern.
Die Bedeutung des Produktsicherheitsrechts im Rahmen
des § 4 Nr. 11 UWG kann nur dann zu Tage treten, wenn
vorab die Systematik des stark europarechtlich geprägten
Produktsicherheitsrechts nachvollzogen werden kann (II.).
Hiernach wird in einem weiteren Schritt die Funktionsweise des Rechtsbruchtatbestandes des § 4 Nr. 11 UWG2
dargestellt, der erst seit der Reform in der derzeitigen Fassung besteht (III.). Überlegungen zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot von unlauterem Wettbewerb in der Ausgestaltung des § 4 Nr. 11 UWG bilden den
Abschluss der Ausführungen (IV.), die deutlich machen
werden, welche gestalterische Wirkung Unternehmen und
ihre Berater mit den Instrumenten des UWG im Markt erzeugen respektive welchen sie ausgesetzt sein können3.
Entwicklungen in der Europäischen Union sind unter dem
Begriff des New Legislative Framework bekannt geworden. Beide Vorgehensweisen dienen und dienten dazu, die
Produktsicherheit in der Europäischen Union zu harmonisieren und den freien Warenverkehr im Binnenmarkt zu
vereinfachen. Grundlage für dieses Vorgehen ist Artikel
95 des EG-Vertrages (EGV), der für alle Mitgliedstaaten
Maßnahmen regelt, die sich auf die Errichtung und das
Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere in den
Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und
Verbraucherschutz beziehen. Artikel 95 EGV ist damit die
Rechtsgrundlage für die europäische Gesetzgebung zur
Regulierung des Binnenmarktes. Auf dieser Grundlage
wurden die Binnenmarktrichtlinien zur Regelung des
Inverkehrbringens und der Inbetriebnahme von Produkten
erlassen.4
Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
2. ProdSG
Das ProdSG dient nunmehr seit dem 1.12.2011 der Umsetzung der geschilderten europäischen Konzepte in
Deutschland. Die hier relevante Funktionsweise, die sich
nur in Ansätzen von denen des alten GPSG unterscheidet5,
beruht auf den Regelungen der §§ 3 I und 4 I, II ProdSG:
§ 3 Allgemeine Anforderungen an die Bereitstellung
von Produkten auf dem Markt
(1) Soweit ein Produkt einer oder mehreren Rechtsverordnungen nach § 8 Absatz 1 unterliegt, darf es
nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es
1. die darin vorgesehenen Anforderungen erfüllt und
2. die Sicherheit und Gesundheit von Personen oder
sonstige in den Rechtsverordnungen nach § 8 Absatz
1 aufgeführte Rechtsgüter bei bestimmungsgemäßer
oder vorhersehbarer Verwendung nicht gefährdet.
II. Grundsätzlicher Ansatz des
Produktsicherheitsrechts
1. New Legislative Framework
Am 1. Januar 2010 ist die Verordnung (EG) Nr. 765/2008
zur Akkreditierung und Marktüberwachung in Kraft getreten. Sie gilt in der gesamten Europäischen Union (EU)
unmittelbar und war gegenüber dem damals geltenden Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) vorrangig.
Daneben hat der europäische Gesetzgeber durch den Beschluss 768/2008 weitere Rahmenbedingungen für die
Vermarktung von Produkten in der EU erlassen, die zwar
nicht unmittelbar gelten, die jeweilige Rechtslage in den
einzelnen Mitgliedsstaaten aber natürlich beeinflussen.
Unter dem Eindruck dieser teilweise erheblichen Änderungen war der deutsche Gesetzgeber gezwungen, das bestehende Produktsicherheitsrecht zu reformieren. Da das
GPSG mit seiner Verweisungstechnik auf Verordnungen
wie etwa der Maschinenverordnung (9. Verordnung zum
GPSG – 9. GPSGV) in nahezu allen Bereichen geändert
hätte werden müssen und zudem insgesamt elf europäische Produktrichtlinien tangiert waren, entschied sich der
Gesetzgeber zu einem Ablösungsgesetz.
Das GPSG wurde daher vom Produktsicherheitsgesetz
(ProdSG) komplett abgelöst. Die hier zugrunde liegenden
________________________
*
1
2
3
Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner bei Reusch Rechtsanwälte GbR
in Saarbrücken. Der Autor dankt Herrn Rechtsreferendar Stefan
Buscholl für die wertvolle Mitarbeit.
Drainagematten, OLG Frankfurt, 20.01.2011, 6 U 203/09; Organisches
Selen, OLG Nürnberg, 23.05.2011, 3 U 650/11; DelanPflanzenschutzmittel, BGH, 6.10.2011, I ZR 117/10; Simmondsia Samenpulver, KG Berlin, 10.06.2011, 5 U 34/09; Therapeutisches Gas,
Hanseatisches Oberlandesgericht, 25.05.2011, 3 U 165/10; Abfüllen
von Fertigspritzen, Hanseatisches Oberlandesgericht, 24.02.2011, 3 U
12/09
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, im Folgenden mit UWG gekennzeichnet.
Bereits Klindt, Geräte- und Produktsicherheitsgesetz, Auflage 2007,
Vorw. prophezeite eine verstärkte Relevanz des Wettbewerbsrechts für
das Produktsicherheitsrecht.
§ 4 Harmonisierte Normen
(1) Bei der Beurteilung, ob ein Produkt den Anforderungen nach § 3 Absatz 1 oder Absatz 2 entspricht,
können harmonisierte Normen zugrunde gelegt werden.
(2) Bei einem Produkt, das harmonisierten Normen
oder Teilen dieser Normen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, wird vermutet, dass es den Anforderungen nach § 3 Absatz 1 oder Absatz 2 genügt,
soweit diese von den betreffenden Normen oder von
Teilen dieser Normen abgedeckt sind.
3. Harmonisierte Normen
§ 4 ProdSG regelt den europäisch harmonisierten Produktbereich des ProdSG. Wie bereits in § 4 Abs. 1 Nr. 1
GPSG wird vermutet, dass ein Produkt den Anforderungen des § 3 ProdSG genügt, soweit es den Vorgaben einer
harmonisierten Norm entspricht.
Die EU-Richtlinien definieren nur grundlegend die zu erreichenden Ergebnisse und die abzuwendenden Gefahren.
________________________
4
5
Die gesamte Darstellung ist Heuer / Reusch, Das neue Produktsicherheitsgesetz, 2011 entnommen.
Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731f hält
hierzu instruktive Ausführungen bereit.
220
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
Die technische Umsetzung dieser Vorgaben findet sich in
den harmonisierten Normen.
Von § 4 ProdSG erfasst werden Normen, die die allgemeine Sicherheitsforderung der Produktsicherheitsrichtlinie
2001/95/EG konkretisieren und andererseits Normen, die
die Anforderungen aus den Rechtsverordnungen zum
ProdSG konkretisieren. Eine Liste dieser – häufig aktualisierten – Normen kann auf der Website der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eingesehen werden,
soweit es den Bereich des ProdSG betrifft; Regelungen
zum Medizinproduktegesetz (MPG) etwa finden sich auf
der Website des BfArM.
Die Normen geben lediglich ein Mindestmaß zum Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung wieder und konkretisieren
damit die Sicherheitsziele der Richtlinien. Erfüllt ein Hersteller die Vorgaben einer harmonisierten Norm, wird
vermutet, dass das Produkt den Richtlinien entspricht.
Die Einhaltung der Normen ist indes nicht zwingend6. Es
steht den Herstellern frei, auch auf anderem Wege für sichere Produkte Sorge zu tragen, etwa und insbesondere
durch technischen Fortschritt gegenüber den Normen.
III. Ansatz des § 4 Nr. 11 UWG
Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt derjenige unlauter im Sinne
von § 3 UWG, der „einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der
Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“7.
An die Stelle der bis zur Reform des UWG herrschenden
Unterscheidung zwischen wertneutralen und wertbezogenen Normen hat damit eine dem Gedanken des § 823 II
BGB ähnliche Betrachtungsweise mit Blick auf den
Schutzzweck einer Norm Einzug gehalten. Durch diese
Umschreibung wird der früheren Kritik, wonach sich der
Rechtsbruchtatbestand zu einer umfassenden Sanktionsnorm für außerwettbewerbsrechtliche Vorschriften entwickelt hat, Rechnung getragen8. Der Rechtsbruchtatbestand
muss auch vor dem Hintergrund der Schutzzweckbestimmungen in § 1 UWG zu sehen sein9.
Tatbestandlich wird demnach in § 4 Nr. 11 UWG vorausgesetzt:
-
Geschäftliche Handlung10
-
Zuwiderhandlung gegen eine gesetzlichen Vorschrift
-
Marktrelevanz
Im Folgenden werden die Regelungen des ProdSG unter
die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 11 UWG subsumiert und
1. Geschäftliche Handlung
11
Die geschäftliche Handlung wird auch im Rahmen des § 4
Nr. 11 UWG durch die Definition in § 2 I Nr. 1 UWG bestimmt. Danach bedeutet
________________________
Wilrich, Thomas; Kommentar zum ProdSG, S. 9., Rn. 25
Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Rechtsbruchtatbestandes findet sich bei Horst-Peter Götting, Der Rechtsbruchtatbestand,
in FS für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, S. 689
(700)
8 Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731 (735)
9 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4, 0.5
10 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4, 11.23
11 Erst die aufgrund der UGP Richtlinie- notwendig gewordene weitere
UWG-Novelle Richtlinie im Jahre 2008 ersetzte das bis dahin gültige
Tatbestandsmerkmal der „Wettbewerbshandlung“ durch die „geschäftliche Handlung“.
6
7
Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
„geschäftliche Handlung“ jedes Verhalten einer Person
zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens
vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der
Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder
Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen
objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen.
Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist sehr weit zu
verstehen, er erfasst alle Formen des kommerziellen Verhaltens12, die in mittelbarer oder auch unmittelbarer Form
den Absatz eines Unternehmens objektiv fördern kann13.
a) Konformitätserklärung
Viele produktsicherheitsrechtliche Vorschriften verpflichten den Hersteller zur Abgabe einer Konformitätserklärung14, die teilweise dem Produkt beigefügt werden muss.
Die bisherigen Entscheidungen im Produktsicherheitsrecht haben sich nicht mit der Konformitätserklärung beschäftigt, sondern lediglich auf das noch nachfolgend zu
betrachtende CE-Kennzeichen abgestellt.
Die Konformitätserklärung ist Voraussetzung für die
Inverkehrgabe eines Produktes unter Geltung des europäischen Produktsicherheitsrechts – ob sie es gleichermaßen
für den Vertrieb des Produktes im B2B oder gar im B2CBereich ist, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend
bewerten. Ein Zweifel an der objektiven Eignung einer
Konformitätserklärung zur Förderung des Vertriebs15 darf
angebracht sein.
Dennoch ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung
die Verwendung eines fehlerhaften oder falschen
Konformitätsnachweises als geschäftliche Handlung einordnen wird, die unter § 2 I Nr. 1 UWG zu subsumieren
sein wird.
b) CE-Kennzeichnung
Wesentlich deutlicher stellt sich die Situation für die CEKennzeichnung dar, die regelmäßig das äußerliche Zeichen der Konformität des Produktes mit den regulatorischen Anforderungen des europäischen Produktsicherheitsrechts ist. Produkte, für die das Zeichen gesetzlich
vorgesehen sind, dürfen nicht ohne ein solches in Verkehr
gebracht werden16; für Produkte, bei denen es ausdrücklich nicht vorgesehen ist, darf es nicht angebracht werden17. Die CE – Kennzeichnung wird regelmäßig durch
den Hersteller selbst angebracht, in manchen Bereichen –
etwa der Medizinprodukteindustrie – aber auch durch eine
externe Stelle vergeben.
Die Rechtsprechung hat schon vor Geltung des
Rechtsbruchstatbestandes Stellung zur Irreführung mittels
________________________
12 Begr RegE UWG 2008 zu § 2, BT-Drucks 16/10145, S. 39
13 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 2, 37; Anzumerken
ist in diesem Zusammenhang, dass in keinem der vom Autor ausgewerteten Urteile seit Geltung des UWG 2008 die Frage der geschäftlichen
Handlung auch nur tangiert wurde, soweit es Fälle des Produktsicherheitsrechts betraf.
14 Etwa die Maschinenrichtlinie, Druckgeräterichtlinie, ATEXProduktrichtlinie, Medizinprodukterichtlnie
15 Denn nur dann kann sie Auswirkungen auf die Mitbewerber oder die
geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer
haben,
siehe
hierzu
wiederum
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht § 2, 37
16 Etwa Niederspannungsrichtlinie, in Deutschland in der 1. Verordnung
zum ProdSG umgesetzt, oder auch Medizinproduktegesetz
17 § 39 i.V.m. § 7 ProdSG
Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
221
CE-Kennzeichnung genommen18, wie sie heute in § 5 I S.
1 UWG geregelt ist. Demnach ist konsequenterweise zu
folgern, dass ein CE-Kennzeichen grundsätzlich geeignet
ist, mittel- oder unmittelbar den Absatz einer Ware zu fördern, also auch die unberechtigte Verwendung das Tatbestandsmerkmal des § 4 Nr. 11 UWG der geschäftlichen
Handlung erfüllt.
Die Verwendung materiell und / oder formell rechtswidriger CE-Kennzeichen ist demnach generell geeignet, eine
geschäftliche Handlung nach § 4 Nr. 11 UWG darzustellen.
Rechtsfolgen für den sich wettbewerbswidrig verhaltenden Marktteilenehmer können erheblich sein.
2. Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift
Instruktives mag hier die „One Touch Ultra“Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2011 liefern26:
Die in der medizinrechtlichen Literatur sehr beachtete
Entscheidung enthielt neben einigen Kernaussagen zum
MPG insbesondere die Feststellung, nach der die
Inverkehrgabe eines Medizinproduktes ohne vollständiges
Konformitätsbewertungsverfahren27 wettbewerbswidrig
nach § 4 Nr. 11 UWG sei. Der Leitsatz hierzu lautet:
Gesetzliche Vorschrift im Sinne des Rechtsbruchtatbestandes ist jede Rechtsnorm, die in Deutschland Geltung
besitzt19. Unzweifelhaft fallen die Vorschriften des Produktsicherheitsrechts, also etwa des Medizinproduktegesetzes20, des Produktsicherheitsgesetzes21, des Arzneimittelgesetzes22, des Chemikaliengesetzes23 und weiterer
Vorschriften24 als in Deutschland gültige Rechtsnormen
unter diesen Begriff.
Die oben bereits beschriebenen Normen – unabhängig von
ihrer rechtlichen Qualität als harmonisierte Normen – sind
dagegen keine gesetzliche Vorschriften im Sinne des § 4
Nr. 11 UWG.
3. Regelung des Marktverhaltens (auch) im
Interesse der Marktteilnehmer
Die verletzte Vorschrift muss zumindest auch dem Interesse der Marktteilnehmer an einer freien wettbewerblichen
Entfaltung dienen.
Die genannten Regelungen dienen – trotz der besonderen
Hervorhebung des Verbraucherschutzes – auch der Schaffung gemeinschaftsweit geltender einheitlicher Bestimmungen an die Produktanforderungen und damit neben
dem Abbau bestimmter Handelshemmnisse auch dem Ziel
der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes. So
war in einer der Vorgängerregelungen zum alten GPSG,
dem damaligen Produktsicherheitsgesetz, explizit von der
Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen die Rede25
Diesem Interesse dienen offenkundig auch das aktuelle
Produktsicherheitsgesetz sowie die genannten weiteren
produktsicherheitsrechtlichen Vorschriften wie das MPG,
das AMG und weitere Regelungen.
4. Zwischenergebnis
Die Verletzung einer Inverkehrgabevorschrift des Produktsicherheitsrechts erfüllt regelmäßig zugleich den Tatbestand eines lauterkeitsrechtlich unzulässigen Rechtsbruchs nach § 4 Nr. 11 UWG. Die sich hieraus ergebenden
________________________
18 BGH, 14.04.1994, I ZR 123/92, WRP 1994, 524 – 526, LG Darmstadt,
Urteil vom 19.02.2010, 15 O 327/09, beck-online; LG Münster, Urteil
vom 2.9.2010, 25 O 85/10; VG Ansbach, MPR 2009, S. 23; Niebling,
WIB 1995, S. 202ff
19 BGH GRUR 2005, 960, 961
20 BGH, Urteil vom 10.12.2009, I ZR 189/07, WRP 2010, 869 – 872;
BGH (Golly Telly), Urteil vom 12.05.2010, I ZR 185/07, MedR 2011,
98 – 101 (One Touch Ultra)
21 Zum alten GPSG etwa BGH, Urteil vom 09.09.2010, I ZR 26/08, WRP
2010, 1491–1495
22 BGH, Urteil vom 24.11.2010, I ZR 204/09, PharmR 2011, 299 – 301
(Macrogol)
23 OLG Hamburg, GRUR 2008, 94, 95
24 etwa
die
KosmetikVO,
FertigpackungsVO,
LebensmittelKennzeichnungsVO, Nährwert-KnenzeichnungsVO, PflanzenschutzG,
ElektroG
25 Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731 (734)
IV. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 4 Nr. 11
UWG
Die Rechtsfolgen des § 4 Nr. 11 UWG bestehen in erster
Linie aus den Beseitigung- und Unterlassungsansprüchen
der wettbewerblich verletzten Marktteilnehmer oder der
sonstigen Anspruchsinhaber nach § 8 III Nr. 2–4 UWG.
1. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche
In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung dürfen im Inland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine Gebrauchsanweisung und eine Etikettierung in deutscher
Sprache enthalten, die vorab in einem (erneuten oder ergänzenden) Konformitätsbewertungsverfahren überprüft
worden sind28.
Das beklagte Unternehmen, eine Vertriebsgesellschaft des
US-amerikanischen Herstellers, wurde durch das Urteil
verurteilt, es zu unterlassen, das (lediglich umgepackte)
Medizinprodukt One Touch Ultra ohne erneute Konformitätsbewertung nach § 6 II MPG in Deutschland in Verkehr
zu bringen. Diese Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die
§ 1–7 UWG wird – regelmäßig nach einer Abmahnung –
durch Wettbewerber oder aber die in § 8 II Nr. 2–4 UWG
genannten Gruppen geltend gemacht und ist verschuldensunabhängig29; ebenso werden Beseitigungs- und
eventuelle Widerrufsansprüche denkbar sein. Insoweit
sind Wettbewerber in der Lage, die eigentlich dem Produktsicherheitsrecht vorbehaltenen Rechtsfolgen zivilrechtlich auszulösen. So ist es zwar grundsätzlich Aufgabe
der jeweils zuständigen Behörden, Vertriebs- oder Produktionsverbote auszusprechen bis hin zu Rückrufanordnungen30, wenn der Verdacht einer fehlenden Produktkonformität besteht. Den hiermit beschäftigten Personenkreisen
wird allerdings nicht entgangen sein, dass die behördlichen Aktivitäten in bestimmten Branchen nur bedingt mit
dem notwendigen Aktivitätsniveau übereinstimmen.
Für die insoweit im Wettbewerb stehenden Unternehmen
und ihre Berater stellt sich damit die Frage, inwieweit ein
selbständiges, insoweit zivilrechtliches Vorgehen möglich
und sinnvoll ist. Nach den obigen Ausführung ist zumindest ein Unterlassungsanspruch im Sinne des § 8 I UWG
zur Abwehr künftiger Beeinträchtigungen des Wettbewerbs ein gangbarer Weg, um dem wettbewerbswidrigen
Verhalten eines anderen Unternehmen Einhalt zu gebieten; die faktischen Folgen eines solchen, erfolgreichen
________________________
26 BGH, 12052010, I ZR 185/07, MedR 2011, 98 – 101
27 Im Gegensatz zu der oben unter C. II geführten Diskussion ist die
Konformitätserklärung im Medizinproduktebereich und der hier entschiedenen Konstellation Voraussetzung für die Zertifizierung durch einen externen Dritten und erhält somit eine andere Relevanz als bei reiner Selbstzertifizierung durch den Hersteller.
28 juris.bundesgerichtshof.de
29 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8, 1.2;
30 Beispiele hierzu finden sich regelmäßig in dem aktuellen Rechtsprechungsüberblick der Kollegen Molitoris/Klindt, etwa in NJW 2010,
1569 (1572) oder auch NJW 2012, 1489 (1493)
222
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
Vorgehens kommen der Untersagungsverfügung einer Behörde in ihrer Wirkung gleich.
2. Schadenersatzanspruch nach § 9 UWG
Daneben – und bislang in der Rechtsprechung nicht wahrnehmbar zur Geltung gekommen – besteht naturgemäß die
Frage nach der Geltendmachung von Schadenersatz. Bei
einem ersten Blick in die relevanten Regelung des § 9
Satz 1 UWG fällt die Verschuldensregelung auf.
Schuldner des Schadenersatzanspruchs ist, wer vorsätzlich
oder fahrlässig eine der nach § 3 oder § 7 UWG unzulässigen geschäftlichen Handlungen begeht. Die Unzulässigkeit des Rechtsbruchtatbestandes wird durch den Beispieltatbestand des § 4 Nr. 11 UWG konkretisiert, in der
Konsequenz ist eine Verletzung des § 4 Nr. 11 UWG generell auch einem Schadenersatzanspruch zugänglich.
Dieser Schadenersatzanspruch ist nach der Reform des
UWG lediglich den Mitbewerbern vorbehalten, gibt also
einen Individualschutz nur im Horizontalverhältnis31. Entscheidend sind in der Geltendmachung damit zwei Fragen:
Zum einen ist das Verschulden im Rechtsbruchtatbestand
dahingehend zu verstehen, dass das wettbewerbswidrig
handelnde Unternehmen weiß oder hätte wissen können,
dass es gegen das Gesetz verstößt oder darüber fahrlässig
in Unkenntnis ist, weil es unterlassen hat, sich insoweit
selbst oder mittels Dritter zu unterrichten32. Im Bereich
des Produktsicherheitsrechts relevant wird diese Frage bei
der Beteiligung externer Dritter, die bei der Bewertung der
Konformität eines Produktes oder auch bei der Erteilung
eines CE-Kennzeichens tätig geworden sind. Soweit ersichtlich ist bislang noch keine Rechtsprechung ergangen,
die die Tätigkeit dieser so genannten benannten Stellen
oder auch reinen Dienstleistern als Verrichtungsgehilfen
eingestuft hätten. Insoweit wäre dann die Frage nach der –
an die Regelungen des Deliktsrechts angelehnten – Exkulpierung nach § 831 I BGB zu stellen; inwiefern ein
Gericht hier eine Entlastung ermöglichen wird kann derzeit nur schwerlich prognostiziert werden.
Neben der Frage des Verschuldens ist naturgemäß die
Konkretisierung des Schadens selbst eine wesentliche
Hürde bei der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 9
Satz 1 UWG33. Bei der Verletzung einer Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG ist ein Schadenersatz dagegen nicht deswegen ausgeschlossen, weil die
verletzte Norm ausschließlich dem Schutz der Verbraucher dient34.
Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
tums betrifft, durch das Gesetz zur Verbesserung der
Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom
7.7.2008 in Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie
2004/48/EG einheitlich geregelt worden35. Die Richtlinie
lässt explizit eine Erweiterung des Anwendungsbereiches
auf Handlung zu, „die den unlauteren Wettbewerb einschließlich der Produktpiraterie oder vergleichbare Tätigkeiten betreffen36.
Die Verwendung formell oder materiell rechtswidriger
Warenverkehrszeichen oder die Nichteinhaltung der Mindestvorschriften kommt in seiner Wirkung der Produktpiraterie gleich. Gleichartige Produkte mit unterschiedlichen
Kosten- und auch Risikostrukturen stehen damit in einem
Wettbewerb, der von einer Wettbewerber mit unlauteren
Mitteln geführt wird. Die Konsequenzen sind für die benachteiligte Seite identisch mit denen der Produktpiraterie.
Eine Abschöpfung des Verletzergewinns über die Methode
der dreifachen Schadensberechnung sollte auch rechtsökonomisch eine sinnvolle Funktion darstellen.
V. Fazit
Unternehmen können gegen Wettbewerber, deren Produkte gegen produktsicherheitsrechtliche Regelungen verstoßen, mit den Möglichkeiten des Rechtsbruchtatbestandes
nach § 4 Nr. 11 UWG vorgehen; neben der verschuldensunabhängig geltend zu machenden Unterlassung besteht
die Möglichkeit, entstandene Schäden geltend zu machen.
Der verschuldensabhängige Schadenersatzanspruch des
§ 9 UWG ist naturgemäß erheblich höheren Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast ausgesetzt.
Nichtsdestotrotz bietet dieses Vorgehen eine probate Alternative zur Marktaufsicht der jeweils zuständigen Behörden.
Gleichwohl sind noch weitere Fragen offen, deren zeitnahe Klärung nicht zu erwarten ist. Hierzu gehören sicherlich Konstellationen im Spannungsfeld zwischen öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Beurteilung von
Produktsicherheit, also Fragen der Normauslegungskompetenz der verschiedenen Gerichtzweige37.
Ebenso wenig erschlossen ist das Gebiet der Qualitätszeichen38, hier insbesondere die Frage, wie die Tätigkeit der
relevanten Prüfstellen, so genannter akkreditierter Stellen,
im Falle einer unrichtigen Angabe dem wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen zugerechnet werden kann.
-
Konkreter Schaden einschließlich des entgangen
Gewinns
Letztlich steht naturgemäß in Zeiten internationalen Wettbewerbs auch die Geltendmachung unlauterer geschäftlicher Handlungen im Ausland im Raum. Eine umfassende
internationale Regelung des unlauteren Wettbewerbs steht
bis dahin noch aus39, die ab dem 11.1.2009 geltende
ROM-II-VO hält hierzu lediglich eine einheitliche Verweisung in das Lauterkeitsrecht des jeweiligen Landes bereit.
-
Lizenzanalogie,
________________________
-
Herausgabe des Verletzergewinns
32 BGH GRUR 1988, 669, 700
33 So auch Köhler/Bornkamm, § 9, 1.23
34 BGH, Urteil vom 10.12.2009, I ZR 189/07, WRP 2010, 869 – 872;
BGH (Golly Telly),
35 Köhler/Bornkamm, § 9, 1.36
36 Erwägungsgrund 13 S 2 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG.
37 Köhler/Bornkamm, § 4, 11.18
38 Abgesehen von solchen Entscheidungen, in denen die Qualitätszeichen
wie etwa GS in einer irreführenden Art und Weise benutzt wurden
39 Es existieren Vorschläge hierzu, etwa der World Intellectual Property
Organization
Die Gesetzgebung und Rechtsprechung haben sich bis dato noch nicht dazu durchgerungen, die so genannte dreifache Schadensberechnung, bestehend aus den verschiedenen Bemessungsarten
für Rechtsbruchtatbestände im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG
anzuwenden.
Diese von der Rechtsprechung entwickelte Schadensberechnung ist, soweit es die Rechte des geistigen Eigen________________________
31 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8, 1.2;
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
223
Prof. Dr. Axel Jäger*
Das Gesetz über Vermögensanlagen und seine Folgen für den
Finanzvertrieb
Jäger: Das neue VermAnlG
Mit Wirkung zum 01.06.20121 wurde das Verkaufsprospektgesetz aufgehoben und durch das Gesetz über Vermögensanlagen (VermAnlG) ersetzt.2 Daneben wurden die
dadurch notwendig gewordenen Anpassungen der Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung vorgenommen
und die börsengesetzliche Prospekthaftung aus dem Börsengesetz in das Wertpapierprospektgesetz verlagert und
teilweise verschärft.3 Mit diesen zentralen Maßnahmen
wollte der Gesetzgeber nicht nur den Anlegerschutz als
solchen verbessern, sondern auch das im Zuge der Finanzkrise verlorengegangene Vertrauen der Anleger in die
Finanzmärkte zurückgewinnen und damit nicht zuletzt den
Finanzplatz Deutschland stärken.4
-
Nr.2: Emissionen von Versicherungsunternehmen
und Pensionsfonds i.S.v. §§ 1, 112 VAG;
-
Nr.3: Angebote, bei denen von derselben Vermögensanlage nicht mehr als 20 Anteile angeboten werden (a), der Verkaufspreis der im Zeitraum von zwölf
Monaten angebotenen Anteile insgesamt 100.000 €
nicht übersteigt (b) oder der Preis jedes angebotenen
Anteils mindestens 200.000 € je Anleger beträgt (c);
-
Nr.4: Angebote, die sich nur an Personen richten, die
beruflich oder gewerblich für eigene oder fremde
Rechnung Wertpapiere oder Vermögensanlagen erwerben oder veräußern;
-
Nr.5: Vermögensanlagen, die Teil eines Angebots
sind, für das bereits im Inland ein Verkaufsprospekt
veröffentlicht worden ist;
-
Nr.6: Vermögensanlagen, die einem begrenzten Personenkreis oder nur den Arbeitnehmern von ihrem
Arbeitgeber oder von einem mit dessen Unternehmen
verbundenen Unternehmen angeboten werden;
-
Nr.7: Emissionen von Mitgliedstaaten der EU, Vertragsstaaten des EWR, bestimmten Gebietskörperschaften und internationalen Organisationen des öffentlichen
Rechts,
Kreditund
Finanzdienstleistungsinstituten sowie Monopolgesellschaften;
-
Nr.8: Vermögensanlagen, die bei einer Umwandlung
von Unternehmen nach den Vorschriften des UmwG
oder die als Gegenleistung im Rahmen eines Angebots nach dem WpÜG angeboten werden;
-
Nr.9: Vermögensanlagen, die vor dem 01.07.2005
erstmals veräußert worden sind und nach dem
01.07.2005 öffentlich auf einem Markt angeboten
werden, der regelmäßig stattfindet, geregelte Funktions- und Zugangsbedingungen hat, für das Publikum
unmittelbar oder mittelbar zugänglich ist und unter
der Verantwortung seines Betreibers steht.
I. Vermögensanlagen
Bei der Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und
Vermögensanlagenrechts setzte der Gesetzgeber bewusst
auf der Produktseite an, um den im regulierten Bereich
bereits geltenden Pflichtenstandard weitgehend auf den
sog. Grauen Kapitalmarkt und die dort angebotenen Vermögensanlagen zu übertragen.5 Als Vermögensanlagen
gelten nach § 1 Abs.2 VermAnlG nicht in Wertpapieren
i.S. des WpPG verbriefte
-
Nr.1: Anteile, die eine Beteiligung am Ergebnis eines
Unternehmens gewähren;
-
Nr.2: Anteile an einem Vermögen, das der Emittent6
oder ein Dritter im eigenen Namen für fremde Rechnung hält oder verwaltet (Treuhandvermögen);
-
Nr.3: Anteile an sonstigen geschlossenen Fonds;
-
Nr.4: Genussrechte;
-
Nr.5: Namensschuldverschreibungen.
Das Vermögensanlagengesetz gilt für alle Vermögensanlagen in diesem Sinne, die im Inland öffentlich angeboten
werden (§ 1 Abs.1 VermAnlG). Allerdings nimmt § 2
VermAnlG eine ganze Reihe von Vermögensanlagen vom
Anwendungsbereich der §§ 6-26 VermAnlG aus:
-
Nr.1: Anteile an einer Genossenschaft i.S.v. § 1
GenG;
________________________
*
1
2
3
4
5
6
Prof. Dr. Axel Jäger ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Frankfurt am
Main und Lehrbeauftragter für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an
der Universität Saarbrücken.
Auf vor dem 01.06.2012 bei der Bundesanstalt zur Gestattung ihrer
Veröffentlichung nach § 8i Abs.2 Satz 1 VerkProspG eingereichte Verkaufsprospekte ist das Verkaufsprospektgesetz in seiner bis zum
31.05.2012 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 32 Abs.1
VermAnlG). Auf vor dem 01.07.2005 im Inland veröffentlichte Verkaufsprospekte für Wertpapiere, die von Kreditinstituten ausgegeben
und vor dem 30.06.3012 erstmals angeboten wurden, ist das Verkaufsprospektgesetz in der vor dem 01.07.2005 geltenden Fassung anzuwenden, während § 3 Abs.1 WpPG insoweit nicht gilt (§ 37 Abs.1 WpPG).
Hanten/Reinholz, ZBB 2012, 36 ff.; Hartrott/Voigt, RdF 2012, 87, 88
ff.; zum Gesetzentwurf bereits Mattil, DB 2011, 2533, 2534 ff.
Siehe dazu die Übergangsregelungen in § 32 Abs.2 VermAnlG und § 37
Abs.2 WpPG.
BT-Drucks. 17/6051, S. 30.
BT-Drucks. 17/6051, S. 1 und 31.
Als Emittent gilt nach § 1 Abs.3 VermAnlG die Person oder die Gesellschaft, deren Vermögensanlage im Inland öffentlich angeboten wird.
Diese Ausnahmen waren weitgehend bereits in § 8f Abs.2
VerkProspG enthalten und sollen gewährleisten, dass der
üblicherweise als Grauer Kapitalmarkt bezeichnete Bereich nicht überreguliert wird.7 Durch die Aufnahme in
den Katalog des § 2 Abs.2b WpHG werden Vermögensanlagen seit dem 01.06.2012 als Finanzinstrumente qualifiziert.8 Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass
Wertpapierdienstleistungsunternehmen künftig auch bei
________________________
7
8
BT-Drucks. 17/6051, S. 32.
Ausgenommen wurden neben Genossenschaftsanteilen auf ein – vor allem mit Blick auf Sparbriefe erfolgtes – Petitum der Sparkassen und
Volksbanken auch einfache Namensschuldverschreibungen, die mit einer vereinbarten festen Laufzeit, einem unveränderlich vereinbarten
festen positiven Zinssatz ausgestattet sind, bei denen das investierte
Kapital ohne Anrechnung von Zinsen ungemindert zum Zeitpunkt der
Fälligkeit zum vollen Nennwert zurückgezahlt wird, und die von einem
Einlagenkreditinstitut i.S.v. § 1 Abs.3d Satz 1 KWG, dem eine Erlaubnis nach § 32 Abs.1 KWG erteilt worden ist, ausgegeben werden, wenn
das darauf eingezahlte Kapital im Fall des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Instituts oder der Liquidation des Instituts nicht erst nach
Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger zurückgezahlt wird;
siehe dazu insbesondere BT-Drucks. 17/7453, S. 70 und 72 f.
224
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
Anlageberatung und Anlagevermittlung mit Blick auf
Vermögensanlagen die speziellen Verhaltens- und Organisationspflichten beachten müssen, die in den §§ 31 ff.
WpHG normiert sind. Besonders hervor hob er in diesem
Zusammenhang das Gebot der anlegergerechten Beratung,
die Offenlegung von Provisionen und das Führen eines
Beratungsprotokolls.9 Während vergleichsweise risikoarme Produkte wie Bundesanleihen und Aktien von soliden
Großunternehmen bereits jetzt von den anlegerschützenden Vorschriften des WpHG erfasst würden, sei dies bei
Anteilen an geschlossenen Fonds nicht der Fall, bei denen
jedoch das Risiko für den Anleger im Vergleich als sehr
hoch anzusehen sei. Geschlossene Fonds hätten in der Regel eine hohe Mindestanlagesumme und eine lange Laufzeit, während der es – im Gegensatz zu Anleihen und Aktien – kaum möglich sei, die Anteile zu veräußern. Im
ungünstigsten Fall drohten Anlegern sogar Nachschusspflichten.10
Allerdings werden die sog. freien Vermittler von Vermögensanlagen von der Qualifikation als Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S. des WpHG ausgenommen und
damit im Ergebnis der Aufsicht durch die Bundesanstalt
entzogen, sofern sie die in § 2a Abs.1 Nr.7 WpHG genannten Voraussetzungen erfüllen.11 Durch die entsprechende Änderung von § 2a Abs.1 Nr.7 WpHG haben freie
Vermittler von Vermögensanlagen einen vergleichbaren
Status wie etwa freie Vermittler von offenen Fonds erhalten.12 Eine Schutzlücke entsteht dadurch nicht, da sie nach
der parallel vorgenommenen Anpassung der Gewerbeordnung Finanzanlagenvermittler sind, die den gesetzlichen
Anforderungen unterliegen, die § 34f GewO an die Erteilung der notwendigen Gewerbeerlaubnis stellt. Zudem
verlangt § 34g Abs.1 Satz 3 GewO mit Blick auf die dazugehörige Rechtsverordnung, dass hinsichtlich der Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten ein
mit den §§ 31 ff. WpHG vergleichbares Anlegerschutzniveau hergestellt wird.13 Diese Forderung wurde inzwischen durch die Finanzanlagenvermittlungsverordnung
(FinVermV)14 erfüllt, die am 01.01.2013 in Kraft treten
und zu gegebener Zeit in einem gesonderten Beitrag vorgestellt werden wird.
Durch die Aufnahme in den Katalog des § 1 Abs.11 Satz 1
KWG gelten Vermögensanlagen15 seit dem 01.06.2012
zudem auch als Finanzinstrumente i.S. des KWG.16 Die
inhaltliche Erweiterung der erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen auf Produkte des bisherigen Grauen Kapitalmarkts hat auch die Zuständigkeit der Bundesanstalt
entsprechend ausgebaut. Die Herstellung eines einheitlichen Regulierungsniveaus unter Ausdehnung des Begriffs
der Finanzinstrumente und Einbeziehung der Vermögens________________________
9 BT-Drucks. 17/6051, S. 30 und 41.
10 BT-Drucks. 17/6051, S. 41.
11 Entsprechendes gilt für die freien Vermittler nach § 2 Abs.6 Nr.8e
KWG.
12 Zur Einbeziehung von Privatplatzierungen in die gewerberechtliche Erlaubnispflicht im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens siehe BT-Drucks.
17/7453, S. 70, 73 und 74.
13 BT-Drucks. 17/6051, S. 41 f.; für freie Vermittler nach § 2 Abs.6 Nr.8e
KWG entsprechend BT-Drucks. 17/6051, S. 42.
14 Verkündet als Art. 1 der Verordnung zur Einführung einer Finanzanlagenvermittlungsverordnung vom 02.05.2012, BGBl. I, 1006.
15 Genossenschaftsanteile bleiben auch insoweit ausgenommen.
16 Für ein Unternehmen, das aufgrund der Erweiterung der Definition der
Finanzinstrumente in § 1 Abs.11 Satz 1 KWG am 01.06.2012 zum Finanzdienstleistungsinstitut wird, gilt die Erlaubnis ab diesem Zeitpunkt
bis zur Entscheidung der Bundesanstalt als vorläufig erteilt, wenn es bis
zum 31.12.2012 einen vollständigen Erlaubnisantrag nach § 32 Abs.1
Satz 1 und 2 KWG, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung
nach § 24 Abs.4 KWG, stellt (§ 64n KWG).
Jäger: Das neue VermAnlG
anlagen in die Solvenz- und Marktaufsicht durch die Bundesanstalt erschien dem Gesetzgeber „angesichts dessen,
dass Vermögensanlagen für viele Anleger trotz ihrer oftmals langen Laufzeit bei fehlender vorzeitiger Verkaufsmöglichkeit und der hieraus resultierenden hohen Risiken
eine Alternative zu Anlageformen wie Aktien und Zertifikaten darstellen“, sachgerecht und stärke den Anlegerschutz in diesem Marktsegment.17 Das Finanzkommissionsgeschäft ausschließlich als Dienstleistung für Anbieter
oder Emittenten von Vermögensanlagen betreibende Unternehmen gelten ebenso wenig als Kreditinstitut wie solche, die das Emissionsgeschäft ausschließlich als Übernahme gleichwertiger Garantien i.S.v. § 1 Abs.1 Satz 2
Nr.10 KWG für Anbieter oder Emittenten von Vermögensanlagen betreiben (§ 2 Abs.1 Nr.10 und 11 KWG).
Nicht als Finanzdienstleistungsinstitut gelten Unternehmen, die das Platzierungsgeschäft oder als Finanzdienstleistung ausschließlich die Finanzportfolio-Verwaltung
und die Anlageverwaltung für Anbieter oder Emittenten
von Vermögensanlagen erbringen (§ 2 Abs.6 Nr.19 und 20
KWG). Der Gesetzgeber sah insoweit eine Institutsaufsicht durch den Anlegerschutz nicht gefordert und wollte
deshalb eine unverhältnismäßige Belastung der Fondsanbieter verhindern. Sowohl die Einschaltung einer Treuhandgesellschaft bei Unternehmensbeteiligungen als auch
die vom Anbieter häufig angebotenen Platzierungsgarantien dienten einer sinnvollen Vereinfachung des Verfahrens und seien zudem auf Vermögensanlagen i.S.v. § 1
Abs.2 VermAnlG beschränkt, um keine Umgehungsmöglichkeiten mit Blick auf andere Finanzinstrumente zu erfassen.18
II. Verkaufsprospekt
Ein Anbieter, der im Inland Vermögensanlagen öffentlich
anbietet, muss einen Verkaufsprospekt nach dem Vermögensanlagengesetz veröffentlichen, sofern nicht bereits
nach anderen Vorschriften eine Prospektpflicht besteht19
oder ein Verkaufsprospekt nach dem Vermögensanlagengesetz bereits veröffentlicht worden ist (§ 6 VermAnlG).20
Er ist ferner verpflichtet, in Veröffentlichungen, in denen
das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen angekündigt und auf die wesentlichen Merkmale der Vermögensanlagen hingewiesen wird, einen Hinweis auf den Verkaufsprospekt und dessen Veröffentlichung aufzunehmen
(§ 12 VermAnlG). Der Verkaufsprospekt muss alle tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthalten, die notwendig sind, um dem Publikum eine zutreffende Beurteilung des Emittenten der Vermögensanlagen und der
Vermögensanlagen selbst zu ermöglichen (§ 7 Abs.1 Satz
1 VermAnlG). Bestehen die Vermögensanlagen aus Anteilen an einem Treuhandvermögen und besteht dieses wiederum ganz oder teilweise aus einem Anteil an einer Gesellschaft, muss der Verkaufsprospekt auch die
entsprechenden Angaben zu dieser Gesellschaft enthalten
(§ 7 Abs.1 Satz 2 VermAnlG).21 Der Verkaufsprospekt hat
mit einem Deckblatt zu beginnen, das einen deutlichen
________________________
17 BT-Drucks. 17/6051, S. 42.
18 BT-Drucks. 17/6051, S. 42 und BT-Drucks. 17/7453, S. 73 und 74 f.;
demgegenüber monierte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in
BT-Drucks. 17/7453, S. 70 insoweit „eine gefährliche Lücke, da auf
diese Weise teilweise Vermittlungen mit Volumina von mehreren 100
Mio. Euro abgewickelt würden“.
19 Der Gesetzgeber hat in BT-Drucks. 17/6051, S. 32 darauf hingewiesen,
dass es sich bei den „anderen Vorschriften“ sowohl um nationale als
auch um ausländische Vorschriften handeln kann.
20 Die Prospektpflicht war bislang in § 8f Abs.1 VerkProspG verortet.
21 § 7 Abs.1 Satz 1 und 2 VermAnlG ersetzte § 8g Abs.1 Satz 1 und 2
VerkProspG.
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
Hinweis darauf enthalten muss, dass die inhaltliche Richtigkeit der Angaben im Verkaufsprospekt nicht Gegenstand der Prospektprüfung durch die Bundesanstalt ist (§ 7
Abs.2 Satz 1 VermAnlG).22 Der Bundesrat hatte diese
unmittelbar sichtbare Warnung unter Hinweis darauf gefordert, die Anleger würden die ihnen ausgehändigten
Prospekte in der Regel nicht vollständig lesen.23 Ferner
verlangt § 7 Abs.2 Satz 2 VermAnlG an einer hervorgehobenen Stelle im Verkaufsprospekt einen ausdrücklichen
Hinweis darauf, dass bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt
Haftungsansprüche nur dann bestehen können, wenn die
Vermögensanlage während der Dauer des öffentlichen
Angebots, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren
nach ihrem ersten öffentlichen Angebot im Inland, erworben wird.24
Zum 01.06.2012 wurde auch die VermögensanlagenVerkaufsprospektverordnung angepasst, die nunmehr verlangt, dass der Verkaufsprospekt ein Inhaltsverzeichnis hat
(§ 2 Abs.2 Satz 2 VermVerkProspV). Ferner sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit der Vermögensanlage in einem gesonderten Abschnitt darzustellen, der ausschließlich diese
Angaben enthält (§ 2 Abs.2 Satz 4 VermVerkProspV).25
Schließlich wurden die in den §§ 3 ff. VermVerkProspV
vorgeschriebenen Mindestangaben ausgeweitet. So sind
bei Beteiligungen am Ergebnis eines Unternehmens i.S.v.
§ 1 Abs.2 Nr.1 VermAnlG unbeschadet der Angaben zu
den rechtlichen Verhältnissen nicht nur der Gesellschaftsvertrag, die Satzung, der Beteiligungsvertrag oder der
sonstige für das Anlageverhältnis maßgebliche Vertrag
und bei Treuhandvermögen i.S.v. § 1 Abs.2 Nr.2
VermAnlG der Treuhandvertrag beizufügen (§ 4 Satz 2
VermVerkProspV), sondern auch der Vertrag über die Mittelverwendungskontrolle (§ 4 Satz 3 VermVerkProspV).
Der Gesetzgeber erachtete diese Neuerung als notwendig,
weil die vertragliche Verpflichtung in Form des Mittelverwendungskontrollvertrags Grundlage für einen möglichen Haftungsanspruch der Anleger gegen einen Mittelverwendungskontrolleur ist.26 Um die Transparenz für den
Anleger zu erhöhen, sind in § 7 VermVerkProspV neben
den Gründungsgesellschaftern nunmehr auch die Gesellschafter des Emittenten zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung einbezogen. Der Katalog der Pflichtangaben in
§ 7 Abs.1 VermVerkProspV wurde erweitert durch:
-
Nr.4: Eintragungen, die in Bezug auf Verurteilungen
wegen einer Straftat nach §§ 263 bis 283d StGB (a),
§ 54 KWG (b), § 38 WpHG (c) oder § 369 AO (d) in
einem Führungszeugnis enthalten sind, das zum
Zeitpunkt der Prospektaufstellung nicht älter als
sechs Monate sein darf;
-
Nr.5: jede ausländische Verurteilung wegen einer
Straftat, die mit den in Nr.4 genannten Straftaten vergleichbar ist, unter Angabe der Art und Höhe der
Strafe, wenn zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung
________________________
22 Neben diesem deutlichen Hinweis darf das Deckblatt keine weiteren Informationen enthalten, die den Hinweis abschwächen (§ 2 Abs.2 Satz 1
VermVerkProspV).
23 BT-Drucks. 17/6051, S. 56 und BT-Drucks. 17/7453, S. 69.
24 So auch § 2 Abs.2 Satz 3 VermVerkProspV.
25 Dabei ist insbesondere auf Liquiditätsrisiken, mit einem Einsatz von
Fremdkapital einhergehende Risiken sowie Risiken einer möglichen
Fremdfinanzierung des Anteils durch den Anleger einzugehen (§ 2
Abs.2 Satz 5 VermVerkProspV). Zudem muss das den Anleger treffende
maximale Risiko an hervorgehobener Stelle im Verkaufsprospekt in
seiner Größenordnung beschrieben werden (§ 2 Abs.2 Satz 6
VermVerkProspV).
26 BT-Drucks. 17/6051, S. 49.
ZVertriebsR 4/2012
225
der Gründungsgesellschafter oder der aktuelle Gesellschafter nicht Deutscher war, sofern der Zeitraum
zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung und der Prospektaufstellung weniger als fünf
Jahre beträgt;
-
Nr.6: Angaben darüber, ob über das Vermögen eines
Gründungsgesellschafters oder eines Gesellschafters
zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung innerhalb der
letzten fünf Jahre ein Insolvenzverfahren eröffnet
oder mangels Masse abgewiesen wurde (a) sowie ob
ein Gründungsgesellschafter oder ein Gesellschafter
zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung innerhalb der
letzten fünf Jahre in der Geschäftsführung einer Gesellschaft tätig war, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde (b);
-
Nr.7: Angaben über frühere Aufhebungen einer Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften oder zur
Erbringung von Finanzdienstleistungen durch die
Bundesanstalt.
Durch diese eng an der Verordnung (EG) Nr. 809/2004
orientierten Angaben sollen sich die Anleger ein besseres
Bild über die Zuverlässigkeit der bei dem Emittenten handelnden Personen machen können.27 Der damit verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei geeignet, erforderlich sowie angemessen
und insbesondere durch das erhöhte Informationsbedürfnis der potentiellen Anleger gerechtfertigt, die meist nicht
unerhebliche Teile ihrer Ersparnisse in Produkte des
Grauen Kapitalmarkts anlegten, um hierdurch ihre Altersvorsorge zu betreiben und ihre spätere Existenz abzusichern. Die Gewährleistung einer sicheren Altersvorsorge
entspreche in Anbetracht der demographischen Entwicklung dem Allgemeininteresse.28 Neu ist auch § 7 Abs.3
VermVerkProspV, der die zusätzliche Angabe verlangt, in
welcher Art und Weise die Gründungsgesellschafter und
die Gesellschafter zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung
für die in § 7 Abs.2 Nr.1-3 VermVerkProspV genannten
Unternehmen tätig sind. Ebenfalls neu sind die §§ 7
Abs.4, 12 Abs.4 VermVerkProspV, wonach der Verkaufsprospekt auch Angaben darüber enthalten muss, in welcher Art und Weise die Gründungsgesellschafter und die
Gesellschafter zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung
bzw. die Mitglieder der Geschäftsführung oder des Vorstands, der Aufsichtsgremien und Beiräte des Emittenten
zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung mit dem Vertrieb
der emittierten Vermögensanlagen beauftragt sind (Nr.1),
dem Emittenten Fremdkapital zur Verfügung stellen oder
vermitteln (Nr.2), sowie Lieferungen oder Leistungen im
Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung des
Anlageobjekts erbringen (Nr.3).
Mit Blick auf die Mitglieder der Geschäftsführung oder
des Vorstands, der Aufsichtsgremien und der Beiräte des
Emittenten ist ferner anzugeben, inwieweit sie auch an
den in § 12 Abs.2 Nr.1-3 VermVerkProspV genannten Unternehmen in wesentlichem Umfang unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind (§ 12 Abs.3 VermVerkProspV). Die in
§ 12 Abs.1-4 VermVerkProspV vorgeschriebenen Angaben muss der Verkaufsprospekt auch für die Anbieter, die
Prospektverantwortlichen, die Treuhänder und solche Per________________________
27 BT-Drucks. 17/6051, S. 50 verwies daneben auf die von der Deutschen
Börse im Juli 2002 erlassenen Going Public-Grundsätze. Entsprechende
Erwägungen gelten nach BT-Drucks. 17/6051, S. 51 für die nunmehr in
§ 12 Abs.1 Nr.3-6 VermVerkProspV verlangten Angaben.
28 BT-Drucks. 17/6051, S. 50.
226
ZVertriebsR 4/2012
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
sonen enthalten, die nicht in den Kreis der nach der
VermVerkProspV Angabe-pflichtigen Personen fallen, die
jedoch die Herausgabe oder den Inhalt des Verkaufsprospekts oder die Abgabe oder den Inhalt des Angebots der
Vermögensanlage wesentlich beeinflusst haben (§ 12
Abs.6 VermVerkProspV). Hervorzuheben bleibt schließlich die Änderung in § 9 Abs.2 Nr.1 VermVerkProspV,
nach der für den Fall, dass das Anlageobjekt ganz oder
teilweise aus einem Anteil an einer Gesellschaft besteht,
auch diejenigen Gegenstände als Anlageobjekt gelten, die
diese Gesellschaft erwirbt. Damit wollte der Gesetzgeber
sicherstellen, dass bei einem mehrstufigen Erwerbsprozess wie z.B. über eine Objektgesellschaft auch das Investitionsobjekt selbst und damit die für den Anleger interessante Beteiligungsstufe erfasst wird.29
Ein Verkaufsprospekt darf nicht vor seiner Billigung
durch die Bundesanstalt veröffentlicht werden, die hierüber nach Abschluss einer Vollständigkeitsprüfung einschließlich einer Prüfung der Kohärenz und Verständlichkeit seines Inhalts entscheidet (§ 8 Abs.1 VermAnlG). Der
Gesetzgeber wollte damit die bislang auf Vollständigkeit
beschränkte Prüfung der Bundesanstalt auf das bei § 13
WpPG bestehende Niveau anheben. Durch die Erstreckung der Prüfung auf die innere Widerspruchsfreiheit der
zwingenden Prospektangaben werde der Anleger besser
vor unseriösen Angeboten von Vermögensanlagen geschützt.30 Der Bundesanstalt stehen für die Prüfung und
Entscheidungsfindung grundsätzlich maximal 20 Werktage zur Verfügung (§ 8 Abs.2 VermAnlG). Hat sie jedoch
Anhaltspunkte dafür, dass der Verkaufsprospekt unvollständig ist oder ergänzender Informationen bedarf, läuft
die Frist erst ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Informationen eingehen (§ 8 Abs.3 Satz 1 VermAnlG). Um Verzögerungen zu Lasten des Anbieters zu vermeiden, soll ihm die
Bundesanstalt über die nach ihrer Auffassung vorliegende
Unvollständigkeit des Verkaufsprospekts bzw. über die
Notwendigkeit ergänzender Informationen innerhalb von
zehn Werktagen ab Eingang des Verkaufsprospekts informieren (§ 8 Abs.3 Satz 2 VermAnlG).
Der Verkaufsprospekt muss mindestens einen Werktag vor
dem öffentlichen Angebot nach Maßgabe von § 9 Abs.2
Satz 1 und 2 VermAnlG veröffentlicht werden (§ 9 Abs.1
VermAnlG).31 Die Veröffentlichung kann danach entweder im Bundesanzeiger erfolgen oder der Verkaufsprospekt wird bei den in ihm benannten Zahlstellen zur kostenlosen Ausgabe bereitgehalten, was dann wiederum im
Bundesanzeiger bekannt zu machen ist. Werden Vermögensanlagen über ein elektronisches Informationsverbreitungssystem angeboten, muss der Verkaufsprospekt auch
in diesem veröffentlicht werden und das Angebot muss einen Hinweis auf die entsprechende Fundstelle enthalten.
Der Anbieter hat der Bundesanstalt Datum und Ort der
Veröffentlichung unverzüglich schriftlich mitzuteilen (§ 9
Abs.2 Satz 3 VermAnlG). Die Veröffentlichung eines unvollständigen Verkaufsprospekts erlaubt § 10 Satz 1
VermAnlG nur, wenn einzelne Angebotsbedingungen erst
kurz vor dem öffentlichen Angebot festgesetzt werden und
der Verkaufsprospekt Auskunft darüber gibt, wie die fehlenden Angaben nachgetragen werden. Die nachzutragenden Angaben sind spätestens am Tag des öffentlichen An________________________
29 BT-Drucks. 17/6051, S. 51.
30 BT-Drucks. 17/6051, S. 33.
31 Veröffentlichungen und Bekanntmachungen nach § 9 Abs.2 Satz 1 Nr.1
und 2 VermAnlG sind bis zum 31.12.2014 zusätzlich zu der Veröffentlichung oder Bekanntmachung im Bundesanzeiger auch in einem überregionalen Börsenpflichtblatt vorzunehmen (§ 32 Abs.4 VermAnlG).
gebots entsprechend § 9 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG zu
veröffentlichen (§ 10 Satz 2 VermAnlG) und der Bundesanstalt spätestens am Tag ihrer Veröffentlichung zu übermitteln (§ 10 Satz 3 VermAnlG).32
Jeder wichtige neue Umstand und jede wesentliche Unrichtigkeit in Bezug auf die im Verkaufsprospekt enthaltenen Angaben, welche die Beurteilung der Vermögensanlagen oder des Emittenten beeinflussen könnten und die
nach der Billigung des Prospekts und während der Dauer
des öffentlichen Angebots auftreten oder festgestellt werden, sind in einem Nachtrag zum Verkaufsprospekt zu
veröffentlichen (§ 11 Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Der Anbieter hat den Nachtrag vor seiner Veröffentlichung bei
der Bundesanstalt zur Billigung einzureichen (§ 11 Abs.1
Satz 2 VermAnlG), die hierüber binnen einer Frist von
zehn Werktagen entsprechend § 8 Abs.1 Satz 2 und Abs.3
VermAnlG entscheidet (§ 11 Abs.1 Satz 3 VermAnlG).
Nach der Billigung muss die Veröffentlichung unverzüglich entsprechend § 9 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG vorgenommen werden (§ 11 Abs.1 Satz 4 VermAnlG). Anleger, die vor der Veröffentlichung des Nachtrags eine auf
den Erwerb oder die Zeichnung der Vermögensanlagen
gerichtete Willenserklärung abgegeben haben, können
diese innerhalb einer Frist von zwei Werktagen nach Veröffentlichung des Nachtrags widerrufen, sofern noch keine Erfüllung eingetreten ist (§ 11 Abs.2 Satz 1
VermAnlG). Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform gegenüber der im Nachtrag als
Empfänger bezeichneten Person zu erklären, wobei zur
Fristwahrung die rechtzeitige Absendung genügt (§ 11
Abs.2 Satz 2 VermAnlG). Auf die Rechtsfolgen des Widerrufs ist § 357 BGB entsprechend anzuwenden (§ 11
Abs.2 Satz 3 VermAnlG). Schließlich muss der Nachtrag
an einer hervorgehobenen Stelle eine Belehrung über das
Recht zum Widerruf enthalten (§ 11 Abs.2 Satz 4
VermAnlG).
III. Informationsblatt
Ein Anbieter, der im Inland Vermögensanlagen öffentlich
anbietet, muss vor dem Beginn des öffentlichen Angebots
neben dem Verkaufsprospekt auch ein VermögensanlagenInformationsblatt erstellen (§ 13 Abs.1 VermAnlG), das
keiner Prüfung durch die Bundesanstalt und auch keinem
Billigungsverfahren unterliegt. Es ersetzt im Anwendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes das in § 31
Abs.3a Satz 1 WpHG geforderte Informationsblatt (§ 31
Abs.3a Satz 3 WpHG)33 und darf nicht mehr als drei DINA4-Seiten umfassen (§ 13 Abs.2 Satz 1 VermAnlG). Nach
dem an § 5a WpDVerOV orientierten § 13 Abs.2 Satz 2
VermAnlG muss es die wesentlichen Informationen über
die Vermögensanlagen in übersichtlicher und leicht verständlicher Weise so enthalten, dass das Publikum insbesondere
-
Nr.1: die Art der Vermögensanlage,
-
Nr.2: Anlagestrategie, Anlagepolitik und Anlageobjekte,
-
Nr.3: die mit der Vermögensanlage verbundenen Risiken,
-
Nr.4: die Aussichten für die Kapitalrückzahlung und
Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen und
________________________
32 Die §§ 9-12 VermAnlG ersetzten im Wesentlichen die §§ 9-12
VerkProspG.
33 Dieses bleibt insbesondere erforderlich, wenn das Angebot oder die
Vermögensanlage unter eine Ausnahme nach § 2 VermAnlG fallen.
Jäger: Das neue VermAnlG
-
Aufsätze
Nr.5: die mit der Vermögensanlage verbundenen
Kosten und Provisionen
einschätzen und mit den Merkmalen anderer Finanzinstrumente bestmöglich vergleichen kann. Nach der Gesetzesbegründung wird „das Publikum“ durch „den durchschnittlichen Anleger“ verkörpert,34 dessen Erkenntnishorizont somit den Maßstab für die Beurteilung der Verständlichkeit einer Information etc. bildet. § 13 Abs.3
VermAnlG schreibt darüber hinaus folgende Pflichtangaben vor:
-
Nr.1: Angaben über die Identität des Anbieters;
-
Nr.2: einen Hinweis darauf, dass das Vermögensanlagen-Informationsblatt nicht der Prüfung durch die
Bundesanstalt unterliegt;
-
Nr.3: einen Hinweis auf den Verkaufsprospekt und
darauf, wo und wie dieser erhältlich ist und dass er
kostenlos angefordert werden kann;35
-
Nr.4: einen Hinweis darauf, dass der Anleger eine
etwaige Anlageentscheidung bezüglich der betroffenen Vermögensanlagen auf die Prüfung des gesamten
Verkaufsprospekts stützen sollte;36
-
Nr.5: einen Hinweis darauf, dass Ansprüche auf der
Grundlage einer im Informationsblatt enthaltenen
Angabe nur dann bestehen können, wenn die Angabe
irreführend, unrichtig oder nicht mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts vereinbar ist und
wenn die Vermögensanlage während der Dauer des
öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb
von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland, erworben
wird.37
Der letzte Hinweis war dem Gesetzgeber besonders wichtig, da die darin beschriebenen Einschränkungen für alle
zivilrechtlichen Ansprüche auf der Grundlage der im
Vermögensanlagen-Informationsblatt enthaltenen Angaben gelten.38 Der Anleger muss die in § 13 Abs.2
VermAnlG bezeichneten Informationen verstehen können,
ohne hierfür zusätzliche Dokumente heranziehen zu müssen (§ 13 Abs.4 Satz 1 VermAnlG). Die Angaben im Informationsblatt sind kurz zu halten und in allgemein verständlicher Sprache abzufassen (§ 13 Abs.4 Satz 2
VermAnlG). Sie dürfen nicht irreführend, sondern müssen
redlich und eindeutig sein und mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts übereinstimmen (§ 13 Abs.4
Satz 3 VermAnlG). Zudem darf sich das Informationsblatt
jeweils nur auf eine bestimmte Vermögensanlage beziehen
und keine werbenden oder sonstigen Informationen enthalten, die nicht dem genannten Zweck dienen (§ 13
Abs.4 Satz 4 VermAnlG). § 13 Abs.5 Satz 1 VermAnlG
normiert eine Aktualisierungspflicht für die Dauer des öffentlichen Angebots, sofern die im Informationsblatt enthaltenen Angaben unrichtig oder unvereinbar mit den Angaben im Verkaufsprospekt sind oder wenn ergänzende
Angaben in einem Nachtrag zum Verkaufsprospekt nach
§ 11 VermAnlG veröffentlicht werden. In diesem Zeit________________________
34 BT-Drucks. 17/6051, S. 34.
35 Die Hinweispflicht wurde an Art. 20 Abs.1 lit.b der Verordnung (EU)
Nr. 583/2010 angelehnt.
36 Die Hinweispflicht folgte den Vorgaben in Art. 5 Abs.2 lit.b der Richtlinie 2003/71/EG.
37 Die Hinweispflicht wurde sowohl an Art. 20 Abs.1 lit.e der Verordnung
(EU) Nr. 583/2010 als auch an Art. 5 Abs.2 lit.d der Richtlinie
2003/71/EG angelehnt.
38 BT-Drucks. 17/6051, S. 34.
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227
raum muss stets eine aktualisierte Fassung des Informationsblatts auf der Internetseite des Anbieters zugänglich
sein und bei den im Verkaufsprospekt angegebenen Stellen bereitgehalten werden (§ 13 Abs.5 Satz 2 VermAnlG).
Die aufsichtsrechtliche Überwachung der Erstellung der
beiden zentralen Informationsmedien Verkaufsprospekt
und Vermögensanlagen-Informationsblatt wird durch Informationsansprüche der am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten ergänzt. § 15 VermAnlG unterscheidet
hierzu folgende Konstellationen:
-
der Anbieter hat einem Anleger oder einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten auf dessen Verlangen während der Dauer des öffentlichen
Angebots jederzeit den Verkaufsprospekt und eine
aktuelle Fassung des Informationsblatts in Textform
– und auf Verlangen auch in Papierform – zu übermitteln (§ 15 Abs.1 Satz 1 VermAnlG);
-
Personen, die in Bezug auf Vermögensanlagen Anlageberatung, Anlage- oder Abschlussvermittlung erbringen oder Vermögensanlagen verkaufen, muss er
auf deren Antrag lediglich das Informationsblatt in
Textform übermitteln (§ 15 Abs.1 Satz 3 VermAnlG);
-
im Fall des Eigenvertriebs hat der Anbieter rechtzeitig vor Vertragsschluss das Informationsblatt und auf
Verlangen auch den Verkaufsprospekt einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten zur Verfügung zu stellen, der zudem darauf hinzuweisen ist,
wo im Geltungsbereich des Vermögensanlagengesetzes und auf welche Weise er diese Unterlagen erhalten kann (§ 15 Abs.2 VermAnlG);
-
die Informationspflicht des Emittenten bezieht sich
dagegen auf den letzten veröffentlichten Jahresabschluss und Lagebericht, die er einem Anleger oder
einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten auf dessen Verlangen jederzeit in Textform – und
auf Verlangen auch in Papierform – übermitteln muss
(§ 15 Abs.1 Satz 2 VermAnlG).
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Übermittlung
bzw. Zurverfügungstellung der gewünschten Dokumente
nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht
werden.39
IV. Rechnungslegung
Ein Emittent von Vermögensanlagen, der nicht nach den
Vorschriften des HGB zur Offenlegung eines Jahresabschlusses verpflichtet ist, hat für den Schluss eines jeden
Geschäftsjahrs einen Jahresbericht zu erstellen und spätestens sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim
Betreiber des Bundesanzeigers elektronisch einzureichen
sowie den Anlegern auf Anforderung zur Verfügung zu
stellen (§ 23 Abs.1 Satz 1 VermAnlG).40 Für den Gesetzgeber stellen Jahresabschluss und Lagebericht wichtige
Informationsquellen dar, um sich über die Entwicklung
der Investition zu informieren, da sie einen Einblick in die
Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Vermögensanlage gewähren.41 Ist die Feststellung oder Prüfung des Jahresabschlusses oder die Prüfung des Lageberichts nicht
fristgemäß möglich, ist § 328 Abs.1 Nr.1 Satz 2 und Nr.2
HGB entsprechend anzuwenden und die fehlenden Angaben zur Feststellung oder der Bestätigungsvermerk oder
________________________
39 BT-Drucks. 17/6051, S. 35.
40 Die Vorgaben sind mit § 37v WpHG vergleichbar.
41 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
228
ZVertriebsR 4/2012
der Vermerk über dessen Versagung sind spätestens neun
Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs nachzureichen
und nach § 23 Abs.3 VermAnlG42 bekannt machen zu lassen (§ 23 Abs.1 Satz 2 VermAnlG). Die Bekanntmachung
ist über die Internetseite des Unternehmensregisters zugänglich zu machen und die Unterlagen sind in entsprechender Anwendung von § 8b Abs.3 Satz 1 Nr.1 HGB
vom Betreiber des Bundesanzeigers zu übermitteln (§ 23
Abs.4 VermAnlG). Als Mindestangaben des Jahresberichts schreibt § 23 Abs.2 VermAnlG vor:
-
Nr.1: den nach Maßgabe von § 24 VermAnlG aufgestellten und von einem Abschlussprüfer geprüften
Jahresabschluss;
-
Nr.2: den nach Maßgabe von § 24 VermAnlG aufgestellten und von einem Abschlussprüfer geprüften
Lagebericht;
-
Nr.3: eine den Vorgaben des § 264 Abs.2 Satz 3 HGB
bzw. § 289 Abs.1 Satz 5 HGB entsprechende Erklärung der gesetzlichen Vertreter des Emittenten der
Vermögensanlagen;43
-
Nr.4: die Bestätigungen des Abschlussprüfers nach
§ 25 VermAnlG.
Alle Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz im Inland
haben für den Jahresabschluss die Bestimmungen des Ersten Unterabschnitts des Zweiten Abschnitts des Dritten
Buchs des HGB und für den Lagebericht die Vorgaben
von § 289 HGB einzuhalten (§ 24 Abs.1 Satz 1
VermAnlG). Dadurch wird sichergestellt, dass auch ein
nach § 267 Abs.1 HGB als kleine Kapitalgesellschaft einzuordnender Emittent einen Lagebericht erstellen und
auch seine Gewinn- und Verlustrechnung offenlegen
muss.44 Wer entgegen § 24 Abs.1 Satz 1 VermAnlG i.V.m.
§ 264 Abs.2 Satz 3 HGB oder i.V.m. § 289 Abs.1 Satz 5
HGB eine Versicherung nicht richtig abgibt, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 28 VermAnlG). § 24 Abs.1 Satz 2 VermAnlG erklärt § 264 Abs.1 Satz 4 Halbsatz 1, Absatz 3 und 4 HGB
sowie § 264b HGB für nicht anwendbar. Damit gelten
auch die Erleichterungen für Kapitalgesellschaften nicht,
die Tochterunternehmen eines nach § 290 HGB oder nach
§ 11 PublG zur Aufstellung eines Konzernabschlusses
verpflichteten Mutterunternehmens sind. Die Nichtanwendbarkeit von § 264b HGB schließt die Inanspruchnahme entsprechender Erleichterungen durch Personengesellschaften i.S.v. § 264a Abs.1 HGB aus.
§ 24 Abs.1 Satz 3 VermAnlG verlangt für den Lagebericht
folgende Zusatzangaben:
-
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
Nr.1: die Gesamtsumme der im abgelaufenen Geschäftsjahr gezahlten Vergütungen, aufgeteilt in feste
und variable vom Emittenten von Vermögensanlagen
gezahlte Vergütungen, die Zahl der Begünstigten und
gegebenenfalls die vom Emittenten der Vermögensanlagen gezahlten besonderen Gewinnbeteiligungen;
-
Nr.2: die Gesamtsumme der im abgelaufenen Geschäftsjahr gezahlten Vergütungen, aufgeteilt nach
________________________
42 Laut BT-Drucks. 17/6051, S. 38 wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung an das aus seiner Sicht bewährte Verfahren nach § 325 Abs.1
HGB anknüpfen und sicherstellen, dass eine Prüfungsinstanz auf der
Grundlage von § 329 HGB die fristgerechte Übermittlung und Vollzähligkeit der Unterlagen überprüft, um bei Verstößen ein Bußgeldverfahren nach § 31 VermAnlG einleiten zu können.
43 Bei Nichtbeachtung droht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe (§ 28 VermAnlG).
44 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
Führungskräften und Mitarbeitern, deren berufliche
Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil des
Emittenten auswirkt.
Der Gesetzgeber wollte damit eine bessere Offenlegung
der Chancen- und Risikoverteilung gegenüber dem Anleger erreichen. Dieser solle insbesondere über außerordentliche Gewinnbeteiligungen von Geschäftsführern, Gesellschaftern, Anbietern und Treuhändern informiert
werden.45 Um auszuschließen, dass Emittenten erst ab
dem Zeitpunkt des öffentlichen Angebots ihrer Vermögensanlagen den speziellen Rechnungslegungsnormen unterliegen, erklärt § 24 Abs.1 Satz 4 VermAnlG die §§ 23
und 24 Abs.1 Satz 1-3 VermAnlG auf den letzten Jahresabschluss und Lagebericht des Emittenten vor dem öffentlichen Angebot für entsprechend anwendbar. Eine Privilegierung besteht für junge Emittenten, die vor weniger als
18 Monaten vor der Einreichung des Verkaufsprospekts
zur Billigung bei der Bundesanstalt nach § 8 VermAnlG
gegründet wurden. Haben diese noch keinen Jahresabschluss und keinen Lagebericht erstellt, sind in den Verkaufsprospekt aktuelle und zukünftige Finanzinformationen nach Maßgabe von § 15 Abs.1 VermVerkProspV
aufzunehmen (§ 24 Abs.1 Satz 5 VermAnlG). Handelt es
sich bei dem Emittenten der Vermögensanlagen um eine
Personenhandelsgesellschaft oder das Unternehmen eines
Einzelkaufmanns, dürfen das sonstige Vermögen der Gesellschafter oder des Einzelkaufmanns (Privatvermögen)
nicht in die Bilanz und die auf das Privatvermögen entfallenden Aufwendungen und Erträge nicht in die Gewinnund Verlustrechnung aufgenommen werden (§ 24 Abs.2
VermAnlG).46
Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder EWR-Vertragsstaat haben für
den Jahresabschluss und den Lagebericht die gleichwertigen dort jeweils für Kapitalgesellschaften geltenden
Rechnungslegungsvorschriften anzuwenden (§ 24 Abs.3
Satz 1 und 2 VermAnlG). Der Lagebericht muss zusätzlich die in § 24 Abs.1 Satz 3 VermAnlG genannten Angaben enthalten (§ 24 Abs.3 Satz 3 VermAnlG). Sieht das
ausländische Recht keinen Lagebericht vor, können diese
Zusatzangaben auch in den Jahresabschluss aufgenommen
oder in einer gesonderten Erklärung beigefügt werden
(§ 24 Abs.3 Satz 4 VermAnlG).47 Ist der Jahresabschluss
oder der Lagebericht, den ein Emittent gemäß den nach
§ 24 Abs.3 Satz 1-4 VermAnlG anwendbaren Vorschriften
zu erstellen hat, nicht in deutscher Sprache verfasst, ist eine Übersetzung in die deutsche Sprache beizufügen (§ 24
Abs.3 Satz 6 VermAnlG). Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz außerhalb der EU-Mitgliedstaaten und der
anderen EWR-Vertragsstaaten haben einen Jahresabschluss und einen Lagebericht nach den in Deutschland
für Kapitalgesellschaften geltenden Rechnungslegungsvorschriften in deutscher Sprache zu erstellen (§ 24 Abs.4
Satz 1 VermAnlG).48
Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts
von inländischen Emittenten sowie von Emittenten i.S.v.
§ 24 Abs.4 VermAnlG sind nach Maßgabe der Bestimmungen des Dritten Unterabschnitts des Zweiten Abschnitts des Dritten Buchs des HGB zu prüfen (§ 25 Abs.1
________________________
45 BT-Drucks. 17/6051, S. 39.
46 Die Vorschrift entspricht § 5 Abs.4 PublG.
47 § 24 Abs.1 Satz 4 und 5 VermAnlG ist entsprechend anzuwenden (§ 24
Abs.3 Satz 5 VermAnlG).
48 § 24 Abs.1 und 2 VermAnlG ist entsprechend anzuwenden (§ 24 Abs.4
Satz 2 VermAnlG).
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
Satz 1 VermAnlG). Jahresabschluss und Lagebericht müssen mit dem Bestätigungsvermerk oder einem Vermerk
über die Versagung der Bestätigung versehen sein (§ 25
Abs.1 Satz 2 VermAnlG). Bei Emittenten i.S.v. § 24 Abs.3
VermAnlG sind der Jahresabschluss und der Lagebericht
durch einen Abschlussprüfer nach den gleichwertigen dort
jeweils für Kapitalgesellschaften geltenden Prüfungsvorschriften zu prüfen (§ 25 Abs.1 Satz 3 VermAnlG). § 25
Abs.4 VermAnlG schreibt für sie eine zusätzliche Bestätigung vor. Der Abschlussprüfer hat bei seiner Prüfung auch
festzustellen, ob der Emittent die Bestimmungen eines
den Vermögensanlagen zugrundeliegenden Gesellschaftsvertrags oder eines Treuhandverhältnisses beachtet hat
(§ 25 Abs.2 VermAnlG). Bei Vermögensanlagen i.S.v. § 1
Abs.2 Nr.1–3 VermAnlG ist die Zuweisung von Gewinnen, Verlusten, Einnahmen und Entnahmen zu den einzelnen Kapitalkonten vom Abschlussprüfer zu prüfen sowie
deren Ordnungsmäßigkeit zu bestätigen (§ 25 Abs.3 Satz
1 VermAnlG). Dies gilt auch dann, wenn die Vermögensanlage für den Anleger durch einen Treuhänder gehalten
wird (§ 25 Abs.3 Satz 2 VermAnlG). Der Gesetzgeber erkannte insoweit eine „besondere Verantwortung“ des
Wirtschaftsprüfers, da die Anleger ein besonderes Interesse an einem ordnungsgemäßen Ausweis der Kapitalkonten
hätten.49 Ist der Emittent der Vermögensanlagen bereits
nach HGB zur Offenlegung des Jahresabschlusses verpflichtet, tritt an die Stelle des Ablaufs des zwölften Monats des dem Abschlussstichtag nachfolgenden Geschäftsjahrs i.S.v. § 325 Abs.1 Satz 2 HGB der Ablauf des
neunten Monats (§ 26 Abs.1 VermAnlG). § 326 HGB betreffend die größenabhängigen Erleichterungen für kleine
Kapitalgesellschaften ist nach § 26 Abs.2 VermAnlG ausdrücklich nicht anzuwenden. Im Übrigen sind die §§ 23–
26 VermAnlG, die für sämtliche Emittenten gelten, deren
Vermögensanlagen nach dem 01.06.2012 im Inland öffentlich angeboten werden, erstmals auf Jahresabschlüsse
und Lageberichte für das nach dem 31.12.2013 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden (§ 32 Abs.3 VermAnlG).
49 BT-Drucks. 17/6051, S. 39.
50 § 4 VermAnlG normiert in Anlehnung an § 8k VerkProspG die Verschwiegenheitspflicht von bei der Bundesanstalt Beschäftigten, nach
§ 4 Abs.3 FinDAG beauftragten Personen sowie anderen Personen, die
durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen erlangen.
51 Siehe dazu bereits § 16a VerkProspG.
229
eine solche Benennung unterblieben, erfolgen die Bekanntgabe bzw. die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 5 Abs.1 Satz 2 und
Abs.2 Satz 2 VermAnlG).
§ 14 Abs.1 VermAnlG weist der Bundesanstalt die Funktion der Hinterlegungsstelle für Verkaufsprospekte und
Vermögensanlagen-Informationsblätter zu.52 Sie bestätigt
den Anbietern den Tag des Eingangs und bewahrt beide
Dokumente zehn Jahre auf (§ 14 Abs.2 Satz 1 und 2
VermAnlG). Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem
Schluss des Kalenderjahrs, in dem das jeweilige Dokument hinterlegt worden ist (§ 14 Abs.2 Satz 3 VermAnlG).
Einer gesonderten Hinterlegung bedürfen nach § 14 Abs.3
VermAnlG jeder Nachtrag zum Verkaufsprospekt im Fall
einer Publikation ergänzender Angaben nach § 11
VermAnlG sowie jede aktualisierte Fassung des Vermögensanlagen-Informationsblatts im Fall einer Aktualisierung nach § 13 Abs.5 VermAnlG. Die Bundesanstalt kann
die Werbung mit Angaben untersagen, die geeignet sind,
über den Umfang der Prüfung nach § 8 Abs.1 VermAnlG
irrezuführen (§ 16 Abs.1 VermAnlG). Vor allgemeinen
Maßnahmen in diesem Sinne hat sie die Spitzenverbände
der betroffenen Wirtschaftskreise und des Verbraucherschutzes zu hören (§ 16 Abs.2 VermAnlG).53 Für die Praxis noch bedeutsamer sind die Voraussetzungen, unter denen das Gesetz die Untersagung der Veröffentlichung des
Verkaufsprospekts bzw. des öffentlichen Angebots vorsieht. Die Untersagungsgründe im ersten Fall sind:
-
der Verkaufsprospekt enthält nicht die Angaben, die
nach § 7 Abs.1 und 2 VermAnlG, auch i.V.m. der
nach § 7 Abs.3 VermAnlG zu erlassenden Rechtsverordnung, erforderlich sind (§ 17 Abs.1 Satz 1
VermAnlG);54
-
die Angaben sind nicht kohärent oder nicht verständlich (§ 17 Abs.1 Satz 1 VermAnlG);55
-
der Anbieter hat entgegen § 14 Abs.1 Satz 2
VermAnlG kein Informationsblatt bei der Bundesanstalt hinterlegt (§ 17 Abs.2 VermAnlG).
V. Kapitalmarktaufsicht
Die Bundesanstalt50 übt die Aufsicht über das Angebot
von Vermögensanlagen aus und ist befugt, in diesem
Rahmen alle Anordnungen zu treffen, die erforderlich und
geeignet sind, um das Angebot von Vermögensanlagen mit
dem Vermögensanlagengesetz und den auf seiner Grundlage erlassenen Bestimmungen in Einklang zu halten (§ 3
VermAnlG). Durch die Aufnahme der Vermögensanlagen
in die in den §§ 2 Abs.2b WpHG, 1 Abs.11 Satz 1 KWG
enthaltenen Kataloge der Finanzinstrumente wurde die
Aufsicht durch die Bundesanstalt vereinheitlicht und sichergestellt, dass die jeweiligen spezialgesetzlichen
Pflichten im Interesse des Anlegerschutzes auch mit Blick
auf Vermögensanlagen erfüllt werden müssen. Die Bekanntgabe und Zustellung von Verfügungen gegenüber einer Person mit Wohnsitz oder einem Unternehmen mit
Sitz im Ausland hat grundsätzlich an diejenige Person mit
Sitz im Inland zu erfolgen, die der Emittent von Vermögensanlagen mit Auslandssitz der Bundesanstalt aufgrund
seiner Verpflichtung nach § 5 Abs.3 VermAnlG benannt
hat (§ 5 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 Satz 1 VermAnlG).51 Ist
________________________
ZVertriebsR 4/2012
Die Untersagungsgründe für den zweiten Fall nennt § 18
Abs.1 VermAnlG, der voraussetzt, dass die Bundesanstalt
für eine der nachfolgenden Aussagen Anhaltspunkte hat:56
-
der Anbieter hat entgegen § 6 VermAnlG keinen Verkaufsprospekt veröffentlicht;
-
der Verkaufsprospekt enthält nicht die Angaben, die
nach § 7 Abs.1 und 2 VermAnlG, auch i.V.m. der
nach § 7 Abs.3 VermAnlG zu erlassenden Rechtsverordnung, erforderlich sind;
-
der Anbieter hat entgegen § 8 VermAnlG einen Verkaufsprospekt vor dessen Billigung veröffentlicht.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Untersagungsmaßnahmen haben jeweils keine aufschiebende
Wirkung (§§ 17 Abs.3, 18 Abs.2 VermAnlG). Dasselbe
gilt mit Blick auf solche Maßnahmen, mit denen die Bundesanstalt ihr in § 19 VermAnlG57 normiertes Auskunfts________________________
52 Die Vorschrift ersetzte § 8i VerkProspG und erstreckt die Hinterlegungspflicht auf die Vermögensanlagen-Informationsblätter.
53 § 16 VermAnlG trat an die Stelle von § 8j VerkProspG.
54 § 10 VermAnlG bleibt unberührt (§ 17 Abs.1 Satz 2 VermAnlG).
55 Insoweit geht § 17 Abs.1 VermAnlG über § 8i Abs.2 Satz 5 VerkProspG
hinaus.
56 Die Vorschrift ersetzte § 8i Abs.5 VerkProspG.
57 § 19 Abs.1-3 VermAnlG trat an die Stelle von § 8i Abs.4a-4c
VerkProspG.
230
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
recht gegenüber dem Anbieter bzw. solchen Personen geltend macht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie seien Anbieter i.S. des Vermögensanlagengesetzes
(§ 19 Abs.4 VermAnlG). § 27 Abs.1 VermAnlG berechtigt
die Bundesanstalt, für Amtshandlungen nach dem Vermögensanlagengesetz und auf seiner Grundlage erlassenen
Rechtsverordnungen Gebühren und Auslagen zu erheben.
Das BMF kann durch zustimmungsfreie Rechtsverordnung sowohl die gebührenpflichtigen Tatbestände als auch
die Gebührensätze näher bestimmen und dabei feste Sätze
und Rahmensätze vorsehen (§ 27 Abs.2 Satz 1
VermAnlG). Diese Ermächtigung kann das BMF durch
Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen (§ 27
Abs.2 Satz 2 VermAnlG), die schließlich sowohl für den
allgemeinen Bußgeldkatalog (§ 29 VermAnlG) als auch
für die speziellen Bußgeldandrohungen zur Rechnungslegung (§ 30 VermAnlG) Verwaltungsbehörde i.S.v. § 36
Abs.1 Nr.1 OWiG ist (§§ 29 Abs.4, 30 Abs.3 VermAnlG).
Sie kann die der Verhängung eines unanfechtbaren Ordnungsgelds gegen einen Emittenten von Vermögensanlagen zugrundeliegenden Tatsachen im Bundesanzeiger öffentlich bekannt machen, soweit dies zur Beseitigung oder
Verhinderung von Missständen geboten ist (§ 31 Abs.4
VermAnlG). Das Bundesamt für Justiz teilt der Bundesanstalt diejenigen Emittenten von Vermögensanlagen mit
Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Vermögensanlagengesetzes mit, die entgegen § 23 VermAnlG ihrer
Pflicht zur Einreichung eines Jahresberichts nicht nachgekommen sind und gegen die aus diesem Grund unanfechtbare Ordnungsgelder verhängt worden sind (§ 31 Abs.3
VermAnlG). Dagegen schreibt § 31 Abs.2 VermAnlG vor,
dass die Bundesanstalt dem Betreiber des Bundesanzeigers mindestens einmal jährlich Name und Anschrift der
ihr bekannt werdenden Emittenten von Vermögensanlagen
sowie den Bevollmächtigten i.S.v. § 5 Abs.3 VermAnlG
übermittelt. Schließlich werden die Ordnungsgeldvorschriften des § 335 HGB für entsprechend anwendbar erklärt (§ 31 Abs.1 VermAnlG), der somit Grundlage für ein
Vorgehen gegen die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs des Emittenten, aber auch für ein Vorgehen
gegen den Emittenten selbst werden kann.
VI. Prospekthaftung
Die Haftung bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt normiert
§ 20 VermAnlG. Sind für die Beurteilung der Vermögensanlagen wesentliche Angaben in einem Verkaufsprospekt
unrichtig oder unvollständig, kann der Erwerber der Vermögensanlagen deren Übernahme gegen Erstattung des
Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach
der Prospektveröffentlichung und während der Dauer des
öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb von
zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der
Vermögensanlagen im Inland, abgeschlossen wurde (§ 20
Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Der Gesetzgeber empfand die
bislang geltende Ausgestaltung der Haftung nach § 44
BörsG i.V.m. § 13 VerkProspG als für Vermögensanlagen
nicht sachgerecht, weil bei diesen dem Verkaufsprospekt
eine weitaus größere und auch zeitlich längere Bedeutung
für die Anlageentscheidung zukomme. Zum einen sei der
Verkaufsprospekt für die Anleger oftmals die zentrale und
einzige Informationsquelle, weil es im Bereich der Vermögensanlagen häufig keine weiteren Informationen oder
effiziente Preisbildungsmechanismen wie an den Wertpapiermärkten gebe. Daher könne bei Vermögensanlagen
auch nicht davon ausgegangen werden, der Verkaufspros-
Jäger: Das neue VermAnlG
pekt rufe nur vorübergehend und nur zu Beginn der Platzierungsphase eine aktuelle Anlagestimmung hervor. Zum
anderen könne die Platzierungsphase mehrere Jahre dauern, ohne dass die Initiatoren die Grundkonzeption der
Vermögensanlage änderten. Nach bisherigem Recht könne
es bei längeren Platzierungsphasen vorkommen, dass einem Anleger bereits im Erwerbszeitpunkt von vornherein
kein Prospekthaftungsanspruch auf der Grundlage fehlerhafter Prospektangaben (mehr) zustehe.58 Für Anleger, die
eine Vermögensanlage später als sechs Monate nach dem
ersten Angebot im Inland erwerben, verkörpere eine Ausschlussfrist von sechs Monaten eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung. Andererseits begrenze die
Dauer des öffentlichen Angebots den in Frage kommenden Haftungszeitraum nach oben, da der Anbieter nach
§ 11 VermAnlG nur während dieser Zeit die Pflicht habe,
den Verkaufsprospekt durch Nachträge auf aktuellem
Stand zu halten, der Verkaufsprospekt mithin danach von
Gesetzes wegen veraltet sein dürfe. Gründe der Rechtssicherheit veranlassten den Gesetzgeber dennoch, eine maximale Ausschlussfrist festzuschreiben. Wegen der teilweise langen Platzierungsdauern im Bereich der
Vermögensanlagen erschien ihm eine Verlängerung auf
zwei Jahre angemessen. Die Anleger würden durch den
nach § 7 Abs.2 Satz 2 VermAnlG verpflichtenden Hinweis
im Prospekt auf die beschränkte Dauer möglicher Prospekthaftungsansprüche aufmerksam gemacht.59
Als Anspruchsgegner haften diejenigen, die für den Verkaufsprospekt die Verantwortung übernommen haben, und
diejenigen, von denen der Erlass des Verkaufsprospekts
ausgeht, als Gesamtschuldner. Daneben ist zu beachten,
dass die Erstattung des Erwerbspreises nur verlangt werden kann, wenn dieser den ersten Erwerbspreis der Vermögensanlagen nicht überschreitet. Dies gilt entsprechend
für den Erwerb von Vermögensanlagen desselben Emittenten, die sich weder nach Ausstattungsmerkmalen noch
in sonstiger Weise unterscheiden (§ 20 Abs.1 Satz 2
VermAnlG). Ist der Erwerber nicht mehr Inhaber der
Vermögensanlagen, kann er die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Erwerbspreis – soweit dieser den ersten Erwerbspreis nicht überschreitet – und dem
Veräußerungspreis der Vermögensanlagen sowie der mit
dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen
Kosten verlangen (§ 20 Abs.2 Satz 1 VermAnlG).60 Das
Gesetz sieht allerdings auch einige Haftungsausschlüsse
vor. So kann nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG nicht
in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er
die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des
Verkaufsprospekts nicht gekannt hat und dass diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 20
Abs.3 VermAnlG). Nach § 20 Abs.4 VermAnlG besteht
der Anspruch nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG zudem nicht, sofern die Vermögensanlagen nicht aufgrund
des Verkaufsprospekts erworben wurden (Nr.1), der Sachverhalt, über den unrichtige oder unvollständige Angaben
im Verkaufsprospekt enthalten sind, nicht zu einer Minderung des Erwerbspreises der Vermögensanlagen beigetragen hat (Nr.2) oder der Erwerber die Unrichtigkeit oder
Unvollständigkeit der Angaben des Verkaufsprospekts
beim Erwerb kannte (Nr.3). Werden Vermögensanlagen
eines Emittenten mit Sitz im Ausland auch im Ausland öffentlich angeboten, besteht der Anspruch nach § 20 Abs.1
________________________
58 BT-Drucks. 17/6051, S. 36.
59 BT-Drucks. 17/6051, S. 36 f.
60 § 20 Abs.1 Satz 2 VermAnlG ist anzuwenden (§ 20 Abs.2 Satz 2
VermAnlG).
Jäger: Das neue VermAnlG
Aufsätze
oder Abs.2 VermAnlG nur, sofern die Vermögensanlagen
aufgrund eines im Inland abgeschlossenen Geschäfts oder
einer ganz oder teilweise im Inland erbrachten Wertpapierdienstleistung erworben wurden (§ 20 Abs.5
VermAnlG). Die spezialgesetzlichen Prospekthaftungsansprüche sind als zwingendes Recht ausgestaltet. Nach § 20
Abs.6 Satz 1 VermAnlG ist eine Vereinbarung, durch die
der Anspruch nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG im
Voraus ermäßigt oder erlassen wird, unwirksam. Dagegen
bleiben weitergehende Ansprüche, die nach allgemeinem
Vertrags- oder Deliktrecht erhoben werden können, nach
§ 20 Abs.6 Satz 2 VermAnlG unberührt.
Die Haftung bei fehlendem Verkaufsprospekt – und somit
bei einem Verstoß gegen § 6 VermAnlG – ist in § 21
VermAnlG weitgehend am Vorbild des § 20 VermAnlG
orientiert. So entspricht § 21 Abs.1 und 2 VermAnlG der
Regelung in § 20 Abs.1 und 2 VermAnlG, wobei die gesamtschuldnerische Haftung allerdings den Emittenten der
Vermögensanlagen und den Anbieter trifft. Als Anbieter
versteht der Gesetzgeber denjenigen, der für das öffentliche Angebot der Vermögensanlage verantwortlich ist und
den Anlegern gegenüber nach außen erkennbar als Anbieter auftritt, so dass er auch mit dem Emittenten identisch
sein kann.61 § 21 Abs.3 VermAnlG entspricht § 20 Abs.5
VermAnlG und § 21 Abs.5 VermAnlG entspricht § 20
Abs.6 VermAnlG, wobei die Ausgestaltung als zwingendes Recht hier auch die Ansprüche nach § 21 Abs.3
VermAnlG umfasst. Der augenscheinlichste Unterschied
besteht bei der Regelung zum Haftungsausschluss, der
nach § 21 Abs.4 VermAnlG nur eingreift, sofern der Erwerber die Pflicht, einen Verkaufsprospekt zu veröffentlichen, beim Erwerb kannte.
Schließlich ist auch die Haftung bei unrichtigem Vermögensanlagen-Informationsblatt in § 22 VermAnlG ganz
überwiegend an § 20 VermAnlG ausgerichtet.62 Die Absätze 2-6 in beiden Vorschriften sind nahezu identisch. Allerdings bleibt § 20 Abs.4 Nr.1 VermAnlG gänzlich ausgeklammert, da die Kausalität insoweit nicht vermutet
wird, sondern – wie in § 127 InvG – vom Anleger dargelegt und bewiesen werden muss. Ferner wird in § 22
Abs.3 und 4 VermAnlG – insoweit abweichend von § 20
Abs.3 und Abs.4 Nr.2 und 3 VermAnlG – die Unvollständigkeit der Angaben nicht erfasst. Der Gesetzgeber befürchtete andernfalls eine Überfrachtung der Informationsblätter, die dem Ziel von kurzen und verständlichen
Informationen gerade entgegenstehen würde.63 Ein Anspruch mit der Begründung, die Angaben im Vermögensanlagen-Informationsblatt seien unvollständig, scheidet
somit – ebenso wie zu § 127 InvG – von vornherein aus.64
Im Grundtatbestand macht § 22 Abs.1 VermAnlG die Haftung des Anbieters gegenüber einer Person, die Vermögensanlagen aufgrund von Angaben in einem Vermögensanlagen-Informationsblatt erworben hat, davon abhängig,
dass die im Informationsblatt enthaltenen Angaben irreführend, unrichtig oder nicht mit den einschlägigen Teilen
des Verkaufsprospekts vereinbar sind (Nr.1) und das Erwerbsgeschäft nach der Veröffentlichung des Verkaufsprospekts und während der Dauer des öffentlichen Angebots abgeschlossen wurde, spätestens jedoch innerhalb
von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der
________________________
61 BT-Drucks. 17/6051, S. 32 unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/3174.
62 Die Vorschrift setzte ebenso wie die §§ 21, 23 Abs.2 Nr.5 WpPG, 127
Abs.2 InvG die Vorgaben aus Art. 6 Abs.2 der Richtlinie 2003/71/EG
sowie aus Art. 79 Abs.2 der Richtlinie 2009/65/EG um.
63 BT-Drucks. 17/6051, S. 37 f.
64 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
ZVertriebsR 4/2012
231
Vermögensanlagen im Inland (Nr.2). Der Betroffene kann
auch hier lediglich die Übernahme der Vermögensanlagen
gegen Erstattung des Erwerbspreises – soweit dieser den
ersten Erwerbspreis der Vermögensanlagen nicht überschreitet – und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen
Kosten verlangen.
Durch Art. 6 Nr.4 des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts
wurde – ebenfalls mit Wirkung zum 01.06.2012 – ein
neuer Abschnitt 6 zur Prospekthaftung in das WpPG eingefügt, der die §§ 20 ff. VermAnlG zum Verkaufsprospekt
ergänzt und die §§ 44–47 BörsG ersetzt, die zum selben
Datum aufgehoben wurden.65 Die Haftung bei fehlerhaftem Börsenzulassungsprospekt normiert § 21 WpPG.66
Danach kann der Erwerber von Wertpapieren, die aufgrund eines Prospekts zum Börsenhandel zugelassen sind,
in dem für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche
Angaben unrichtig oder unvollständig sind, die Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises
und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten
verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten
nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere abgeschlossen wurde (§ 21 Abs.1 Satz 1 WpPG). Diejenigen, die für
den Prospekt die Verantwortung übernommen haben
(Nr.1), haften als Gesamtschuldner mit denjenigen, von
denen der Erlass des Prospekts ausgeht (Nr.2). Daneben
ist zu beachten, dass die Erstattung des Erwerbspreises
nur verlangt werden kann, soweit dieser den ersten Ausgabepreis der Wertpapiere nicht überschreitet. Ist kein
Ausgabepreis festgelegt, gilt als Ausgabepreis der erste
nach Einführung der Wertpapiere festgestellte oder gebildete Börsenpreis, im Fall gleichzeitiger Feststellung oder
Bildung an mehreren inländischen Börsen der höchste erste Börsenpreis (§ 21 Abs.1 Satz 2 WpPG).67 Ist der Erwerber nicht mehr Inhaber der Wertpapiere, kann er die
Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Erwerbspreis – soweit dieser den ersten Ausgabepreis nicht überschreitet – und dem Veräußerungspreis der Wertpapiere
sowie der mit dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen Kosten verlangen (§ 21 Abs.2 Satz 1
WpPG).68 Sind Wertpapiere eines Emittenten mit Sitz im
Ausland auch im Ausland zum Börsenhandel zugelassen,
besteht ein Anspruch nach § 21 Abs.1 oder 2 WpPG nur,
sofern die Wertpapiere aufgrund eines im Inland abgeschlossenen Geschäfts oder einer ganz oder teilweise im
Inland erbrachten Wertpapierdienstleistung erworben
wurden (§ 21 Abs.3 WpPG). Einem Prospekt steht jeweils
eine schriftliche Darstellung gleich, aufgrund deren Veröffentlichung der Emittent von der Veröffentlichung eines
Prospekts befreit wurde (§ 21 Abs.4 WpPG).
§ 22 WpPG normiert die Haftung bei sonstigem fehlerhaften Prospekt und meint damit den Fall, dass in einem nach
§ 3 Abs.1 Satz 1 WpPG veröffentlichten Prospekt, der
nicht Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum
________________________
65 Für Ansprüche wegen fehlerhafter Prospekte, die Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einer inländischen Börse sind
und die vor dem 01.06.2012 im Inland veröffentlicht worden sind, sind
die §§ 44-47 BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 52 Abs.8 BörsG).
66 Die Vorschrift ersetzte § 44 BörsG.
67 Auf den Erwerb von Wertpapieren desselben Emittenten, die von den in
§ 21 Abs.1 Satz 1 WpPG genannten Wertpapieren nicht nach Ausstattungsmerkmalen oder in sonstiger Weise unterschieden werden können,
ist § 21 Abs.1 Satz 1 und 2 WpPG entsprechend anzuwenden (§ 21
Abs.1 Satz 3 WpPG).
68 § 21 Abs.1 Satz 2 und 3 WpPG ist anzuwenden (§ 21 Abs.2 Satz 2
WpPG).
232
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
Handel an einer inländischen Börse ist, für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder
unvollständig sind.69 § 21 WpPG ist dann entsprechend
anzuwenden mit der Maßgabe, dass bei der Anwendung
von § 21 Abs.1 Satz 1 WpPG für die Bemessung des Zeitraums von sechs Monaten anstelle der Einführung der
Wertpapiere der Zeitpunkt des ersten öffentlichen Angebots im Inland maßgeblich ist (Nr.1) und § 21 Abs.3
WpPG auf diejenigen Emittenten mit Sitz im Ausland anzuwenden ist, deren Wertpapiere auch im Ausland öffentlich angeboten werden (Nr.2). Nach den §§ 21 oder 22
WpPG kann nicht in Anspruch genommen werden, wer
nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben nicht gekannt hat und dass diese
Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 23
Abs.1 WpPG). Einen weiteren Haftungsausschluss sieht
§ 23 Abs.2 WpPG vor. Danach besteht ein Anspruch nach
den §§ 21 oder 22 WpPG nicht, sofern alternativ eine der
folgenden Voraussetzungen gegeben ist:
-
Nr.1: die Wertpapiere wurden nicht aufgrund des
Prospekts erworben;
-
Nr.2: der Sachverhalt, über den unrichtige oder unvollständige Angaben im Prospekt enthalten sind, hat
nicht zu einer Minderung des Börsenpreises der
Wertpapiere beigetragen;
-
Nr.3: der Erwerber kannte beim Erwerb die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben;
-
Nr.4: vor Abschluss des Erwerbsgeschäfts wurde im
Rahmen des Jahresabschlusses oder Zwischenberichts des Emittenten, einer Veröffentlichung nach
§ 15 WpHG oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Inland
veröffentlicht;
-
Nr.5: der Anspruch ergibt sich ausschließlich aufgrund von Angaben in der Zusammenfassung oder
einer Übersetzung, es sei denn, die Zusammenfassung ist irreführend, unrichtig oder widersprüchlich,
wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des
Prospekts gelesen wird.
Die Haftung bei fehlendem Prospekt in § 24 WpPG orientiert sich weitgehend an § 21 WpPG, wobei hier Emittent
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
und Anbieter gesamtschuldnerisch haften (§ 24 Abs.1 Satz
1 WpPG).71 § 24 Abs.1 Satz 2 WpPG entspricht § 21
Abs.1 Satz 3 WpPG, § 24 Abs.2 und 3 WpPG entspricht
§ 21 Abs.2 und 3 WpPG. Dagegen lässt § 24 Abs.4 WpPG
einen Haftungsausschluss nur zu, sofern der Erwerber die
Pflicht, einen Prospekt zu veröffentlichen, beim Erwerb
kannte. Da die Zulassung zum Handel an einer inländischen Börse einen Prospekt voraussetzt (§ 32 Abs.3 Nr.2
BörsG), beschränkt sich der Anwendungsbereich von § 24
WpPG von vornherein auf solche Prospekte, die nicht
Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einer inländischen Börse sind.72 Ebenso wie beim
Verkaufsprospekt ist die Prospekthaftung auch hier als
zwingendes Recht ausgestaltet. Eine Vereinbarung, durch
die Ansprüche nach den §§ 21, 22 oder 24 WpPG im Voraus ermäßigt oder erlassen werden, ist nach § 25 Abs.1
WpPG unwirksam.73 Dagegen bleiben weitergehende Ansprüche unberührt, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgrund von Verträgen oder unerlaubten
Handlungen erhoben werden können (§ 25 Abs.2 WpPG).
Da die bislang in § 46 BörsG verortete Sonderverjährungsvorschrift ersatzlos entfallen ist, gelten für Haftungsansprüche wegen fehlerhafter oder fehlender Prospekte in Zukunft die allgemeinen Verjährungsregeln des
BGB.74 Schließlich ist für sämtliche Prospekthaftungsansprüche nach den §§ 20, 21 und 22 VermAnlG, 21, 22 und
24 WpPG der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b
ZPO einschlägig. Wegen des eindeutigen Wortlauts der
Norm wurde auf eine ausdrückliche Anordnung ihrer Anwendbarkeit in den kapitalmarktrechtlichen Spezialgesetzen verzichtet.75
________________________
69 Nach BT-Drucks. 17/6051, S. 46 übernahm § 22 WpPG das Haftungsregime des § 13 VerkProspG und gilt für sämtliche Prospekte i.S. des
WpPG, „die keine Börsenzulassungsprospekte sind, unabhängig davon,
ob die Wertpapiere, auf die sich der Prospekt bezieht, zu einem früheren
Zeitpunkt (auf der Grundlage eines anderen Prospektes) zum Handel an
einer inländischen Börse zugelassen wurden“.
70 § 23 WpPG ersetzte § 45 BörsG.
71 § 24 WpPG übernahm mit Ausnahme der Sonderverjährung das Haftungsregime des § 13a VerkProspG, soweit dieser fehlende Prospekte
für Wertpapiere betroffen hatte.
72 Der Gesetzgeber erachtete in BT-Drucks. 17/6051, S. 47 eine entsprechende Klarstellung als entbehrlich.
73 § 25 WpPG trat an die Stelle von § 47 BörsG.
74 BT-Drucks. 17/6051, S. 46.
75 BT-Drucks. 17/7453, S. 72 und 76.
RA Christoph Kocks / RA David Diris
Neuausrichtung der Vertriebsstrategie als schwerwiegender
Kündigungsgrund eines Vertriebsvertrages in den Niederlanden und
Belgien
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
I. Urteil vom 29. Mai 2012, Gerichtshof Leeuwarden,
Niederlande
Am 29. Mai 2012 fällte der Gerichtshof Leeuwarden,
Niederlande, ein bemerkenswertes Urteil in dem Verfahren HET LANGEDIJKER BED und KUBIZ gegen
AUPING1.
________________________
1
http://zoeken.rechtspraak.nl, LJN: BW7193
Der Sachverhalt kann wie folgt kurz zusammengefasst
werden: AUPING ist ein niederländischer Betten- und
Matratzenhersteller mit einem weitläufigen Vertriebsnetzwerk und mit einem Anteil von ca. 20 % am niederländischen Markt. HET LANGEDIKKER BED (nachfolgend HLB) war schon seit 1996 Vertragshändler von
AUPING, KUBIZ hingegen ist seit ihrer Gründung im
Jahre 2009 Teil des Vertriebsnetzwerkes (eine in KUBIZ
eingebrachte Offene Handelsgesellschaft (OHG) war
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
Aufsätze
schon seit 1997 Vertragshändler). Sowohl HLB als auch
KUBIZ kauften jährlich AUPING-Produkte im Wert von
mehr als € 800.000,-. Dadurch betrug der AUPING-Anteil
55 % bzw. 39 % ihres Gesamtumsatzes. Ab 2010 veränderte sich AUPING’s Vertriebsstrategie grundlegend: Das
Vertriebsnetz wurde mit Blick auf eine qualitative Aufwertung der verbleibenden Vertragshändler stark verkleinert. Einer der Grundpfeiler der neuen Vertriebsstrategie
war die Gründung von AUPING PLAZA’S, d.h. Geschäfte die ausschließlich das komplette AUPING-Sortiment
verkaufen. Die Vertriebsverträge von HLB und KUBIZ
wurden im Zuge der Neugestaltung durch AUPING mit
Schreiben vom 21. Januar 2011 zum 31. Dezember 2011
beziehungsweise mit Schreiben vom 31. Dezember 2011
zum 31. Januar 2012 aufgekündigt.
In erster Instanz forderten HLB und KUBIZ im Eilverfahren die Rücknahme des Kündigungsschreibens und den
Abschluss eines neuen Vertriebsvertrages mit AUPING
gemäß der neuen Vertriebspolitik. AUPING hielt dem entgegen, dass ihr Marktanteil in dem von HLB und KUBIZ
bearbeiteten Gebiet zwar im Verhältnis doppelt so hoch
sei wie der Gesamtmarktanteil, dies allerdings vor allem
durch qualitativ minderwertige Geschäfte bewerkstelligt
werde und AUPING PLAZA’s kaum vorhanden seien.
AUPING befürchtete, dass solch ein gebrechlicher Verkaufsapparat ihr in Zukunft Schwierigkeiten bereiten und
dies zu Umsatzverlusten führen könnte.
Das erstinstanzliche Gericht wies HLB und KUBIZ’s Forderungen ab, da das Gericht einerseits die Auffassung vertrat, dass AUPING keine berechtigen Gründe angeben
muss, da HLB und KUBIZ noch ausreichend andere Bettenmarken verkaufen, und andererseits, weil das Einführen einer geänderten Vertriebsstrategie einen ausreichenden Grund für eine Kündigung darstellt. Die Frage, ob
eine veränderte Vertriebsstrategie aus strategischer Sicht
angebracht ist, wird hier nicht beurteilt, da dies Teil der
unternehmerischen Freiheit ist. Zum Schluss stellte das
Gericht fest, dass die zugesprochenen Kündigungsfristen
von angemessener Dauer waren.
Das Berufungsgericht wiederholt die Prinzipien bezüglich
der Kündigung von unbefristeten Verträgen im niederländischen Recht, die im bekannten Urteil LATOUR gegen
DE BRUIJN des Niederländischen Hohen Rates
(Nederlandse Hoge Raad)2 erläutert wurden. Darin beschloss der Hohe Rat, dass unbefristete Verträge, die keine
Kündigung vorsehen, im Prinzip kündbar sind. Die Forderung von Angemessenheit und Billigkeit in Verbindung
mit der Art und dem Inhalt des Vertrages sowie die Umstände der Kündigung können dazu führen, dass die Kündigung lediglich dann möglich ist, wenn ein schwerwiegender Grund vorliegt.
ZVertriebsR 4/2012
233
verlangen. Im Zusammenhang mit den Umständen verweist das Gericht auf :
-
hohe absolute Umsätze durch AUPING- Produkte für
HLB und KUBIZ;
Dauer der Zusammenarbeit;
hoher Anteil von AUPING- Produkten am Gesamtumsatz von HLB und KUBIZ;
prekäre finanzielle Situation von KUBIZ.
Hinsichtlich der Frage, ob eine veränderte Vertriebsstrategie einen schwerwiegenden Grund darstellt, nuanciert das
Gericht zuerst – wie auch das erstinstanzliche Gericht – ,
dass das Gericht nicht beurteilen kann, ob die neue Strategie an sich richtig oder zweckmäßig ist, da dies zur unternehmerischen Freiheit gehört. Das Gericht kann aber sehr
wohl überprüfen, ob die neue Strategie wirklich dazu
diente, die Kündigung von HLB und KUBIZ herbeizuführen.
In beiden Fällen schlussfolgert das Gericht, dass die Kündigung mit Blick auf die neue Vertriebsstrategie notwendig war. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass einerseits
die Kündigung nötig war, um in beiden Gebieten einen
PLAZA zu errichten beziehungsweise den bestehenden
PLAZA rentabel zu machen, und andererseits hätte nicht
in Betracht gezogen werden können, HLB und KUBIZ
selbst in ein PLAZA umzuwandeln, sofern beide auch andere Marken verkaufen. Das Gericht stellt schließlich fest,
dass die zugesprochenen Kündigungsfristen angemessen
waren und kein zusätzlicher Schadensersatz beantragt
wurde.
II. Urteil vom 23. Mai 2011, Berufungsgericht
Lüttich, Belgien
Als Referenzpunkt im belgischen Recht verweisen wir
kurz auf ein Urteil4 des Berufungsgerichts Lüttich vom
23. Mai 2011, das mit der belgischen Rechtsprechung5 bezüglich des Einflusses einer Neugestaltung des Verteilernetzwerkes auf die bestehenden Vertriebsverträge im Einklang steht (wobei vorliegend die Neugestaltung jeweils
darauf hinauslief, dass der Prinzipal die Exklusivität des
Vertragshändlers einschränkte).
In diesem Fall waren ein französischer Hersteller, ORAPI,
und sein belgischer Vertragshändler, ALITTEX, betroffen,
wobei ORAPI – genau wie AUPING – ab einem gewissen
Zeitpunkt seine Verkaufsstrategie verändern und den belgischen Markt selbst bearbeiten wollte. Die belgische
Kundschaft wurde zu diesem Zweck schriftlich gebeten,
ihre Bestellung direkt bei ORAPI aufzugeben. Gleichzeitig öffnete ORAPI sein eigenes Büro in dem Vertragsgebiet von ALITTEX.
In einem früheren Urteil desselben Gerichtshofs
Leeuwaarden in einer Angelegenheit gegen AUPING3 hatte das Gericht beschlossen, dass solche schwerwiegenden
Gründe angesichts der Umstände zwar erforderlich, jedoch nicht vorhanden waren. Auch in dieser Angelegenheit von HLB und KUBIZ ist das Berufungsgericht – im
Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht – der Ansicht,
dass die Umstände sowie die Art und der Inhalt des Vertrages einen schwerwiegenden Grund für die Kündigung
Das Berufungsgericht Lüttich urteilte, dass diese Neugestaltung als sogenannter „acte équipollent à rupture“ gelte
beziehungsweise als eine Handlung, die nicht anders gedeutet werden kann, als der implizite Wille, den Vertriebsvertrag zu beenden6. Demzufolge verurteilte das Berufungsgericht ORAPI zur Zahlung einer angemessenen
Kündigungsentschädigung und einer redlichen Zusatzentschädigung wegen der Beendigung des Vertriebsvertrages
ohne angemessene Kündigungsfrist und ohne wichtigen
________________________
________________________
4
5
2
3
Hoge Raad 3. Dezember 1999, http://zoeken.rechtspraak.nl, LJN :
AA3821
Berufungsgericht Leeuwaarden 17. Januar 2012, http://zoeken.rech
tspraak.nl, LJN : BV1085
6
Lüttich, 23. Mai 2011, DAOR 2011, 540.
Vgl. bspw. HG Kortrijk, 28. Juni 1988, zitiert in G. BOGAERT en P.
MAEYAERT (eds.), Distributierecht 1987-1992, Antwerpen, Kluwer,
1994, 24; Brüssel 23. September 1999, DAOR 2000, 55 und Brüssel
15.März 2006, JLMB 2007, 479.
Vgl. HG Lüttich, 16. April 2004, DAOR 2004, 29.
234
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
Grund, der solch eine kurzfristige Beendigung hätte rechtfertigen können.
III. Analyse der unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Gerichte in Belgien und in den Niederlanden
Die grundsätzlich verschiedenen Ergebnisse nach niederländischem und belgischem Recht hinsichtlich der quasi
identischen Sachlage (der Prinzipal beabsichtigt, sein Verkaufsnetzwerk umzugestalten) findet unserer Ansicht nach
seinen Ursprung in zwei wesentlichen Unterschieden zwischen dem niederländischen und dem belgischen Vertriebsrecht.
Beide Rechtssysteme gehen von denselben Prinzipien aus:
Verträge von unbefristeter Dauer sind im Prinzip kündbar,
jedoch kann eine Kündigungsfrist verlangt werden. In den
Niederlanden wird dies bezüglich der unbefristeten Vertriebsverträge aus der Rechtsprechung des Hohen Rates7
abgeleitet, in Belgien hingegen (für bestimmte Kategorien
von unbefristeten Vertriebsverträgen) ist dies im Gesetz
vom 27. Juli 19618 über die einseitige Kündigung von unbefristeten Alleinvertriebsverträgen festgelegt.
Ein erster großer Unterschied ist jedoch die Tatsache, dass
nach niederländischer Rechtsprechung verlangt werden
kann, dass ein schwerwiegender Grund vorhanden ist, bevor der unbefristete Vertriebsvertrag gekündigt werden
kann. In Belgien dagegen hat eine Kündigung immer
Auswirkungen, selbst dann, wenn diese rechtswidrig ist
(zum Beispiel Nichtbeachtung der Kündigungsfrist). Eine
Wiedergutmachung in natura wird einstimmig abgelehnt9.
Kommt es zu einer eindeutigen Willensäußerung einer der
Parteien hinsichtlich der Beendigung des Vertriebsvertrages, welche die andere zu Kenntnis nehmen kann, sei es
explizit (z.B. in Form ein Kündigungsschreiben) oder implizit (z.B. „acte équipollant à rupture“), ist dieser Vertrag
als beendet anzusehen10. Demnach ist in Belgien zur Kündigung eines unbefristeten Vertrages auch niemals ein
Beweggrund erforderlich. Die Frage bezüglich des Beweggrundes spielt erst bei der Beurteilung eine Rolle, ob
die Kündigung nun rechtswidrig war oder nicht ( s. nachstehend).
Beide Aspekte sind vor dem Hintergrund des grundlegenden Unterschieds zwischen belgischem und niederländischem Recht zu betrachten, wonach in den Niederlanden
die gekündigte Vertragspartei die Möglichkeit hat, die Wiederaufnahme ins Vertriebsnetzwerk zu fordern, während
dies im belgischen Recht (außer in Ausnahmefällen von
kurzer Dauer11) nicht möglich ist. Im belgischen Recht
kann lediglich Schadensersatz beansprucht werden12.
Der zweite große Unterschied zwischen der Anwendung
des belgischen und niederländischen Rechts ergibt sich
dann aus dem Vorstehenden. Im niederländischen Recht
liegt der Fokus der Diskussion bezüglich des Bestehens von
schwerwiegenden Gründen auf der Frage, OB der Vertriebsvertrag gekündigt werden kann, während im belgischen Recht der schwerwiegende Grund nur bei einer
Schadenersatzforderung wegen fehlerhafter Kündigung relevant ist.
________________________
7
8
9
Spezifisch für Vertriebsverträge: Hoge Raad van 3 december 1999, NJ
2000, 120 (Latour/De Bruijn).
Offizielle
deutsche
Übersetzung:
http://www.ejustice.just.fg
ov.be/mopdf/1999/12/09_1.pdf (p. 208).
Bspw. Kass. 21. Juni 1962, Pas. 1962, I, 1197; Kass 9. März 1973, Pas.
1973, I, 640 ; Kass. 6. November 1987, Urteile Kass. 1987-88, 310;
Kass. 24. April 1998, Arr.Cass. 1998, 466 und Gent 14. November
2005, TGR-TWVR 2007, 275.
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
Aus dem vorstehend erwähnten Urteil des Berufungsgerichts Leeuwarden lässt sich ableiten, dass unbefristete
Vertriebsverträge nach niederländischem Recht im Prinzip
kündbar sind, jedoch unter Zugrundelegung von Angemessenheit und Billigkeit infolge der Art und des Inhalts
des Vertriebsvertrag und der Umstände des Falles kann
darauf erkannt werden, dass ein ausreichend schwerwiegender Grund für die Kündigung notwendigerweise vorliegen muss. Unter welchen Umständen Angemessenheit
und Billigkeit solch einen schwerwiegenden Grund verlangen und welche Fakten als schwerwiegende Gründe
herangezogen werden können, ist rein kasuistisch.
In dem von uns zitierten Urteil des Berufungsgerichts
Leeuwarden beschloss das Berufungsgericht, dass infolge
des hohen Anteils des Vertriebsverhältnisses mit AUPING
am Gesamtumsatz von HLB und KUBIZ sowie unter Berücksichtigung der Dauer des Geschäftsverhältnisses, ein
schwerwiegender Grund notwendig war. Das Berufungsgericht akzeptiert von nun an, dass eine Neugestaltung des
Vertriebsnetzwerks einen solchen schwerwiegenden
Grund ausmachen kann, der eine Kündigung rechtfertigt.
Nach belgischem Recht ist ein unbefristeter Vertriebsvertrag jederzeit kündbar, wobei jedoch stets eine angemessene Kündigungsfrist gemäß Artikel 2 des Alleinvertriebsgesetzes beachtet werden muss. Derselbe Artikel 2
des Alleinvertriebsgesetzes besagt darüber hinaus, dass
die Pflicht zur Gewährung einer angemessenen Kündigungsfrist dann verfällt, wenn die Kündigung aus
schwerwiegendem Grund infolge derart gravierenden
Mängeln von Seiten des Vertragshändlers erfolgt, die jegliche weitere Zusammenarbeit unmöglich machen. Im
Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass sich daraus im
Falle eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Prinzipals („acte équipollante à rupture“) die Beendigung des
Vertriebsvertrages ohne Kündigungsfrist ableiten lässt,
und infolgedessen eine Kündigungsentschädigung fällig
wird.
Im zitierten Urteil des Lütticher Berufungsgerichts wendet
das Berufungsgericht die Theorie des sogenannten „acte
équipollent à rupture“ auf das Alleinvertriebsgesetz an.
Nach der ständigen belgischen Rechtsprechung13 ist die
Verletzung einer zuerkannten (oder faktisch erworbenen)
Exklusivität des Vertragshändlers durch den Prinzipal fast
immer als ein schwerer Verstoß zu betrachten, der nur als
Absicht des Prinzipals zur Beendigung des Vertriebsvertrages ausgelegt werden kann.
Hätte das Berufungsgericht Leeuwarden die Neugestaltung nicht als schwerwiegenden Kündigungsgrund anerkannt, dann wäre die beinahe paradoxe Situation entstanden, dass ein niederländischer Prinzipal wegen einer
Neugestaltung den Vertriebsvertrag mit seinem Vertragshändler beenden wollte, dies jedoch nicht hätte tun können, während der belgische Prinzipal hingegen eigentlich
nicht die Beendigung des Vertrages beabsichtigte, diesen
jedoch faktisch aufgelöst hat.
________________________
10 Vgl. Kass. 7. Juni 1993, Urteile Kass. 1993, 565; Kass. 12. September
1988, Urteile Kass. 1988-89, 47 und Gent 29. Juni 20077, T. Aann.
2007, 376.
11 Vgl. Kass. 12. Januar 2007, DAOR 2007, 455.
12 Vgl. P. NAEYAERT en E. TERRYN (eds.), Beëindiging van
overeenkomsten met handelstussenpersonen, Brügge, Die Keure, 2009,
p. 390.
13 Ausdrücklich anerkannt in Kass. 12. Juni 1986, Pas., I, 1254 und
Brüssel 8. Februar 2001, T.B.H. 2003, 500 Hier wird das Prinzip zwar
anerkannt, aber wegen der Fakten wird in casu anders geurteilt.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
235
Daniela Wagner / Radina Aleksandrova*
Der Selektivvertrieb in der Schuhbranche im Licht der neuen BGHRechtsprechung
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
I. Einleitung
Aufgrund der sich im Zeitalter des Internets ständig ändernden Ansprüche der Kunden müssen sich gerade Unternehmen der Schuhbranche neuen Herausforderungen
stellen und im Sinne der Kundenzufriedenheit neue Vertriebsstrategien entwickeln. Hierbei liegt die wesentliche
Aufgabe in der Auswahl geeigneter Vertriebswege. Es
müssen sowohl neue Vertriebswege erschlossen werden,
als auch die herkömmlichen Vertriebswege angesichts der
zunehmenden Gefährdung des Absatzes durch Parallelimporte und Einfuhr von Plagiaten weiterhin ausgebaut und
überwacht werden.
II. Arten von Vertriebssystemen in der
Schuhbranche
Während früher große Markenhersteller in der Schuhbranche vorwiegend die sog. Single-Channel-Distribution,
d. h. die Konzentration auf einen einzigen Absatzweg,
zumeist über Handelsvertreter, verfolgt haben, entwickeln
die Unternehmen heutzutage aufgrund neuer Absatzmöglichkeiten auch im Internet sog. Multi-Channel-Strategien,
d. h., dass mehrere Absatzwege gleichzeitig bedient werden. Üblich sind hierbei sowohl der Direktvertrieb, mithin
der eigene Vertrieb über Outlets, Flagship-Stores und eigene Webshops, als auch der indirekte Vertrieb über Absatzmittler wie Vertragshändler, autorisierte Fachhändler
und Franchisenehmer.
Im Zusammenhang mit den verschiedenen Vertriebsmöglichkeiten sind auch unterschiedliche rechtliche Risiken
zu beachten.
Online-Kunden in der Regel mehrere Schuhpaare bestellen, von denen letztlich aber meistens nur ein bis zwei
Paare behalten werden. Die mittlerweile zumeist kostenfrei angebotenen Retouren erzeugen hohe Kosten und einen erhöhten Bedarf an Lagermöglichkeiten.
2. Indirekter Vertrieb
Ein indirekter Vertrieb liegt vor, wenn bewusst unternehmensfremde, rechtlich und wirtschaftlich selbstständige
Absatzmittler wie Vertragshändler, autorisierte Fachhändler und Franchisenehmer über vertraglich geregelte Vertriebssysteme in den Vertrieb eingebunden werden2.
Der Vorteil liegt darin, dass der Hersteller den Vertrieb
breit streuen und international expandieren kann, ohne
viel Kapital aufwenden zu müssen. Der Nachteil liegt allerdings in der geringen Kontrolle und Einflussnahme auf
die Tätigkeiten des Händlers und die nachgelagerten Vertriebswege.
Im Rahmen des indirekten Vertriebs spielt daher insbesondere die Auswahl der Händler eine bedeutende Rolle.
Um die Exklusivität gerade von Markenschuhen zu schützen, bestimmen die Schuhhersteller selbst, welche Händler zum Vertrieb der Schuhe berechtigt sind und legen die
einzelnen Vertriebsstufen im Rahmen eines bestimmten
Vertriebssystems durch entsprechende vertragliche Verpflichtungen fest.
Unterschieden wird hier in der Regel in der Schuhbranche
zwischen exklusiven Vertriebssystemen und einfachen selektiven Vertriebssystemen.
1. Direkter Vertrieb
a) Einfaches selektives Vertriebssystem
Im Rahmen des unternehmenseigenen Direktvertriebs ergeben sich geringere rechtliche Risiken, da es weniger
Vertriebsstufen gibt. Hier vermarkten und verkaufen die
Schuhhersteller über eine eigene Vertriebsorganisation
entweder in eigenen Verkaufsstätten wie Factory Outlets,
Flagshipstores oder über E-Commerce in Form von eigenen Webshops durch eigene Mitarbeiter die Waren selbst
unmittelbar an die Endkunden1.
Selektive Vertriebssysteme werden auch in der Schuhbranche als Vertriebsstrategie gewählt, um die eigenen
Markenprodukte von denen der Konkurrenz abzusondern
und damit die eigenen Marken zu erhalten und zu pflegen.
Der Vorteil für die Hersteller besteht darin, dass sie selbst
auf die Beratungsqualität und die Steuerung der Vertriebsaktivitäten wie zum Beispiel auch des Marketings direkten
Einfluss nehmen können und auch die Handelsspanne
beim Hersteller verbleibt.
Der Nachteil besteht allerdings jedenfalls im Bereich der
Unterhaltung eigener physikalischer Verkaufsstätten wie
Outlets und Flagshipstores in dem hohen Kapitalerfordernis und der geringen geographischen Ausdehnung des Absatzmarktes.
Im Hinblick auf eigene Webshops sind diese Nachteile
zwar nicht existent. Dafür müssen die Schuhhersteller hier
mit einem erhöhten logistischen Aufwand kämpfen, da die
________________________
*
1
Daniela Wagner LL.M. ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz und Partnerin in der Kanzlei WAGNER Rechtsanwälte Webvocat Partnerschaft, Radina Aleksandrova ist Rechtsanwältin
in der Kanzlei WAGNER Rechtsanwälte Webvocat Partnerschaft.
Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3.
Auflage, § 2 Rn. 43.
Grundsätzlich werden in diesem Rahmen bestimmte
Händler ausgewählt und unter bestimmten Bezugs- und
Absatzbindungen vertraglich in die Vertriebsstruktur des
Unternehmens eingebunden. Das einfache selektive Vertriebssystem ist hierbei im Wesentlichen auf die qualitätsbezogene Auswahl bestimmter Händler ausgerichtet3. In
der Schuhbranche ist hierbei zu unterscheiden, ob es sich
um höherpreisige und bekanntere Markenschuhe handelt,
oder ob Schuhe im Niedrigpreisniveau von entsprechenden „Discount“-Schuhherstellern vertrieben werden. Je
höher die Preise und Bekanntheit der Marken, umso weniger Händler werden in den Vertrieb einbezogen, um den
Markenwert nicht durch zu großes Angebot zu dezimieren.
Ein auf rechtswirksamen Verträgen beruhendes selektives
Vertriebssystem darf auch durch ein Herstellungsnummernsystem geschützt werden, bei welchem die Hersteller
Kontrollnummern an ihren Waren anbringen, um deren
________________________
2
3
Michael Martinek, Vertriebsrecht als Rechtsgebiet und Aufgabe – Zur
Programmatik der neuen ZVertriebsR, ZVertriebsR 1/2012, S.3.
Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3.
Auflage, § 2 Rn. 105.
236
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
Vertriebsweg überprüfen zu können, auch wenn das Vertriebssystem nicht lückenlos ist4. Das Entfernen dieser
Kontrollnummern stellt einen Wettbewerbsverstoß dar und
löst Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus5.
Die Anbringung von solchen Kontrollnummern findet
vorwiegend im Bereich der bekannten Schuhhersteller
statt.
b) Exklusives Vertriebssystem
Im Rahmen des exklusiven Vertriebssystems wählen die
Hersteller unter den Gesichtspunkten der qualitativen und
quantitativen Selektion exklusive Vertriebspartner aus, die
als einzige in bestimmten, ihnen zugewiesenen Vertriebsgebieten berechtigt sind, die Waren zu verkaufen6. Dies ist
besonders üblich bei Schuhherstellern im Bereich der
Premium- und Luxusmarken.
III. Markenrechtliche Probleme im selektiven
Vertriebssystem
Die Problematik in der Schuhbranche liegt darin, dass die
meisten Schuhhersteller bekannter Marken die Exklusivität und den Wert ihrer Marken davor schützen möchten,
dass der Stellenwert, den die Markenwaren aufgrund des
Einsatzes teurer Designer und einer kostenintensiven
Marketingstrategie bei einem bestimmten Kundenkreis,
der über ein größeres finanzielles Budget verfügt, erreicht
haben und der damit verbundene Umsatz sowie der
Marktanteil im Vergleich zur Konkurrenz durch einen Vertrieb der Markenprodukte in der breiten Masse der Konsumenten verloren geht.
Aufgrund der Beliebtheit von Markenschuhen möchte
aber auch die breite Masse der Kunden, insbesondere die
Kunden, die nur über eingeschränkte finanzielle Mittel
verfügen, Markenprodukte zu einem geringeren Preis erwerben. Aus diesem Grund und bedingt durch die stetige
Konkurrenz auf dem Schuhmarkt sind viele Schuheinzelhändler darauf angewiesen, auch Markenschuhe zu annehmbaren Preisen in ihrem Sortiment anbieten zu können. Daher sind sie daran interessiert, auch von den
Markenherstellern oder deren Vertriebspartnern beliefert
zu werden.
Da dieser Umstand von den meisten bekannten Schuhherstellern aber gerade nicht gewünscht ist, arbeiten diese
Schuhhersteller mit selektiven Vertriebssystemen. In vielen Fällen werden diese Vertriebssysteme von den Händlern der einzelnen Vertriebsstufen jedoch nicht eingehalten
und es werden Waren auch an außerhalb des Vertriebssystems stehende Einzelhändler, insbesondere für ausländische Märkte, verkauft. Diese Waren gelangen dann als Parallelimporte auf den Markt. Hierbei handelt es sich um
Waren, die mit Zustimmung des Markenherstellers hergestellt und gelabelt wurden und unter Verletzung von lizenzrechtlichen und vertriebsrechtlichen Regelungen in
die EU eingeführt werden7.
Daneben werden, um die große Nachfrage zu bedienen,
auch gefälschte Markenprodukte hergestellt und auf den
Markt gebracht. Gelangen Parallelimporte oder gefälschte
Waren auf den Markt, suchen die Schuhhersteller nach
________________________
4
5
6
7
BGH, Urteil vom 15.7.l999, I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109 ff.
BGH, Urteil vom 15.7.l999, I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109 ff.
Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3.
Auflage, § 2 Rn. 108.
Fezer, Markengesetz, 4. Auflage, § 146 Rn. 6.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
rechtlichen Möglichkeiten, diese nicht autorisierten Verkäufe zu unterbinden.
Hierzu stehen ihnen u. a. markenrechtliche Ansprüche gegen die vermeintlichen Verletzer zur Verfügung, die nachfolgend bezogen auf den deutschen beziehungsweise europäischen Markt unter Berücksichtigung der aktuellen
Rechtsprechung und der Besonderheiten des europäischen
Markenrechts dargestellt werden. Problematisch ist in diesen Verfahren nach wie vor die Frage, wer für welche Tatbestandsmerkmale beweispflichtig ist und wie weit die
Darlegungs- und Beweislast geht.
1. Markenrechtsverletzung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2,
8
5 Markengesetz , Art. 9 Abs. 1 Gemeinschafts9
markenverordnung
Sowohl im Fall der Einfuhr von Parallelimporten, als auch
im Falle der Einfuhr gefälschter Waren werden Markenrechtsverletzungen geltend gemacht.
In Deutschland ist Voraussetzung für das Vorliegen einer
Markenrechtsverletzung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, dass ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen benutzt, das
identisch oder ähnlich mit der Marke ist und für Waren
oder Dienstleistungen verwendet wird, die mit den von
der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen identisch oder ähnlich sind und hierdurch für das Publikum die
Gefahr von Verwechslungen hervorgerufen wird, einschließlich der Gefahr, dass das Zeichen mit der Marke
gedanklich in Verbindung gebracht wird. Ebenso verhält
es sich bezogen auf die Gemeinschaftsmarke gemäß Art. 9
Abs. 1 Satz 2 Buchst. b, Art. 102 Abs. 1, Art. 151 Abs. 2
GMV. Liegen diese Tatbestandsmerkmale vor, besteht sowohl nach nationalem Recht gemäß § 14 Abs. 5 MarkenG,
als auch auf EU-Ebene gemäß Art. 9 Abs. 1, Art. 14 Abs.
1 GMV i. V. m. § 14 Abs. 5 MarkenG ein Unterlassungsanspruch des Markeninhabers, sofern Wiederholungsgefahr gegeben ist10.
Streitpunkt in vielen Fällen ist die Voraussetzung der Zustimmung des Markeninhabers. Der Markeninhaber muss
im Prozess zunächst darlegen, dass seine Zustimmung zur
Benutzung des Zeichens nicht vorgelegen hat. Der als Verletzer in Anspruch genommene Händler muss daraufhin
darlegen und beweisen, dass die Zustimmung des Markeninhabers gemäß § 14 Abs. 2 MarkenG und Art. 9 Abs.
1 S. 2 GMV vorgelegen hat11. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner aktuellen Converse-I-Entscheidung12
wiederholt.
In einem Verletzungsprozess geht es meist nicht nur um
die Frage der Zustimmung zur Benutzung des Zeichens,
sondern insbesondere um die Zustimmung zum Verkauf
der vermeintlich nachgeahmten Waren. Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers umfasst nämlich nicht
nur das Recht zur Kennzeichnung der Waren mit der Marke, sondern beinhaltet gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG,
Art. 9 Abs. 2 Buchst. b GMV auch das Recht, die mit der
________________________
Im Folgenden: MarkenG.
Im Folgenden: GMV.
Hacker, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Auflage, § 14 Rn. 334.
Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage, § 14 Rn. 61 m. H. a. BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 880 – stüssy
I.
12 BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 20.
8
9
10
11
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
Aufsätze
Marke gekennzeichneten Waren anzubieten und in den
Verkehr zu bringen13.
Die Zustimmung des Markeninhabers kann sowohl bei
dem Vertrieb von gefälschten bzw. nachgeahmten Waren,
als auch bei dem Vertrieb von Originalmarkenwaren, den
Parallelimporten, vorliegen. Unter nachgeahmten Waren
versteht man gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der
Grenzbeschlagnahme-verordnung14 "Waren, auf denen
ohne Genehmigung Marken oder Zeichen angebracht
sind, die mit der Marke oder dem Zeichen des Markeninhabers identisch sind oder die in ihren wesentlichen
Merkmalen nicht von einer solchen Marke oder dem Zeichen zu unterscheiden sind“. Originalmarkenwaren sind
dagegen Waren, auf denen die Marken entweder vom
Markeninhaber selbst oder mit dessen Zustimmung angebracht sind15.
a) Nachgeahmte Markenwaren
Da die Zustimmung des Markeninhabers zum Vertrieb
nachgeahmter Waren in der Regel fehlt, muss der Beklagte die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe nachgeahmte Waren vertrieben, entkräften. Er ist daher grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass er
keine nachgeahmten Waren, sondern Originalmarkenwaren im geschäftlichen Verkehr angeboten hat16. Zusätzlich
muss er dann auch darlegen und beweisen, dass diese Originalmarkenwaren vom Markeninhaber selbst oder mit
dessen Zustimmung in den Europäischen Wirtschaftsraum
eingeführt worden sind17.
Eine Umkehr der Beweislast findet nur dann statt, wenn
die von dem Beklagten vorgelegten Beweise dazu führen,
dass der Kläger beziehungsweise Markeninhaber daraufhin Maßnahmen zur Marktabschottung treffen kann18.
Soweit der Kläger behauptet, dass es sich um Produktfälschungen handelt, trifft ihn jedoch eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass er darlegen muss, welche
Anhaltspunkte zu der Annahme führen, dass es sich um
nachgeahmte Waren handelt19. Hierbei kann zum Beispiel
angeführt werden, dass die nachgeahmten Waren im Vergleich zu den Originalwaren keine übereinstimmenden
Codes hinsichtlich der Produktions- und Fabriknummern
aufweisen, dass sie im Vergleich zu den Originalwaren
falsch markiert sind, falsche Größen, falsche Abstände,
minderwertige oder falsche Aufkleber aufweisen oder
auch bestimmte technische Elemente fehlen.
Die Darlegungslast des Markeninhabers geht allerdings
nicht so weit, dass Betriebsgeheimnisse, wie zum Beispiel
die firmeneigene Codierung der Schuhe, offenbart werden
müssen, sondern liegt nur im Rahmen des Zumutbaren20.
Soweit der Kläger daher seiner sekundären Darlegungslast
nachgekommen ist, muss der Beklagte entweder nachweisen, dass eine Zustimmung des Klägers zum Vertrieb dieser nachgeahmten Waren vorgelegen hat oder dass es sich
um Originalmarkenware gehandelt hat, die mit Zustimmung des Klägers in den Europäischen Wirtschaftsraum
eingeführt worden ist.
________________________
BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 22.
Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003.
BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 21.
BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
Fezer, Markenrecht, 4. Auflage, § 24 Rn. 121; BGH, Urteil vom
15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 27.
20 BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 28.
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237
b) Originalmarkenware
Gelingt dem Beklagten der Nachweis, dass es sich um
Originalmarkenware handelt, muss er als nächstes darlegen und nachweisen, dass die Markenrechte des Klägers
erschöpft sind.
2. Einwand der Erschöpfung gemäß § 24
Markengesetz
Im Europäischen Wirtschaftsraum herrscht gemäß Art. 34
(ex-Art. 28 EGV21) und Art. 36 (ex-Art. 30 EGV) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union22 der
Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit. Diese könnte durch
die Ausschließlichkeitsrechte, die den Markeninhabern
gemäß § 14 MarkenG und Art. 9 GMV zustehen, dadurch
eingeschränkt werden, dass die Markeninhaber jeden Vertrieb von gekennzeichneten Waren ohne deren Zustimmung verbieten könnten23.
Daher werden diese Ausschließlichkeitsrechte gemäß Art.
7 der europäischen Markenrechtsrichtlinie24 durch den Erschöpfungsgrundsatz, der im deutschen Markenrecht in
§ 24 MarkenG und im europäischen Markenrecht in Art.
13 GMV umgesetzt worden ist, dahingehend eingeschränkt, dass die Marke dem Inhaber nicht das Recht
gewährt, die Benutzung der Marke für Waren zu verbieten, die unter der Marke des Markeninhabers selbst oder
mit dessen Zustimmung in der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind25.
Allerdings kann der Markeninhaber gemäß Art. 7 Abs. 2
MRRL, § 24 Abs. 2 MarkenG und Art. 13 Abs. 2 GMV
von seinem Verbietungsrecht wieder Gebrauch machen,
wenn berechtigte Gründe dafür sprechen, den weiteren
Vertrieb der Waren zu verbieten, insbesondere wenn der
Zustand der Waren nach dem Inverkehrbringen verändert
oder verschlechtert wird26.
3. Darlegungs- und Beweislast für die
Voraussetzungen der Erschöpfung
Naturgemäß wird von den Parteien in markenrechtlichen
Angelegenheiten oft darüber gestritten, ob die mit der
Marke gekennzeichneten Waren auf Veranlassung des
Markeninhabers oder durch ihn selbst erstmals innerhalb
der Europäischen Union bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gelangt sind, sodass das Obsiegen oder Unterligen in einem Rechtsstreit entscheidend
von der Beweislastverteilung für die Voraussetzungen der
markenrechtlichen Erschöpfung abhängt.
Die Voraussetzungen der Erschöpfung sind grundsätzlich
von dem wegen einer Markenverletzung in Anspruch Genommenen darzulegen und zu beweisen27. So stellte der
________________________
21 Konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union
vom 24.12.2002, Nr. C 325/33 (im Folgenden: EGV).
22 Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom
30. März 2010, Nr. 2010/C 83/01, im Folgenden: AEUV.
23 Hildebrandt, Marken und andere Kennzeichen, 2. Auflage, § 16 Rn. 1.
24 Richtlinie Nr. 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 22. Oktober 2008, im Folgenden: MRRL.
25 Hildebrandt, a. a. O., Rn. 2; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage, § 24
Rn. 7.
26 Hildebrandt, a. a. O., Rn. 2.
27 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I; Urteil vom
23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II; Beschluss vom
11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879 – stüssy; EuGH, Urteil vom
8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH.
238
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
BGH bereits in seiner Entscheidung „stüssy“ vom
11.05.200028 fest, dass die Vorschrift des § 24 Abs. 1
MarkenG aufgrund ihrer Stellung im Gesetz im Abschnitt
über die Schranken des Markenschutzes als Ausnahmevorschrift zu verstehen sei, deren Voraussetzungen nach
den allgemeinen Regeln von dem angeblichen Verletzer
dargelegt und bewiesen werden sollen. Allerdings erkannte das Gericht die Gefahr, dass die uneingeschränkte Anwendung dieser Darlegungs- und Beweislastregel dazu
führen könnte, dass Händlern, welche mit dem Markeninhaber nicht verbunden sind, der Vertrieb von Markenwaren generell und damit auch in den Fällen untersagt werden könnte, in denen die Ware mit Zustimmung des
Markeninhabers oder von diesem selbst erstmalig in die
Europäische Union oder in den Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurde. Einem Händler sei
es nämlich oft nicht möglich, alle Glieder in der Lieferkette zu ermitteln, um den Nachweis der Erschöpfung zu
bringen. Aber selbst wenn ihm dies gelingen sollte, könne
ein Offenlegen der Lieferkette für den Händler unzumutbar sein, da der Markeninhaber so die Möglichkeit bekommen würde, die Lücken in seinem Vertriebssystem zu
schließen oder im Falle des Nichtbestehens eines Vertriebssystems die Absatzwege, auf denen die Markenware
den Händler erreichte, zu unterbinden29. In solchen Fällen
hielt der BGH eine Ausnahme von der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregel wegen der im europäischen
Recht geltenden Warenverkehrsfreiheit für geboten und
legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob
es nicht die Warenverkehrsfreiheit gebiete, eine Ausnahme
von der allgemeinen Regel zu machen, wonach den in Anspruch Genommenen uneingeschränkt die Darlegungsund Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der
Erschöpfung trifft30.
Der EuGH bejahte diese Frage31. Von der Rechtsprechung
des EuGH und des BGH ist es seitdem anerkannt, dass eine Ausnahme von der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastpflicht des angeblichen Verletzers für die Voraussetzungen der markenrechtlichen Erschöpfung besteht,
wenn diese allgemeine Beweisregel es dem Markeninhaber ermöglichen würde, die nationalen Märkte abzuschotten und damit die Beibehaltung von Preisunterschieden
zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen, da dies mit
den Grundsätzen des freien Warenverkehrs nach Art. 34
und 36 AEUV nicht vereinbar sei32. Bisher wurde von
dem BGH und dem EuGH eine solche Ausnahme von der
allgemeinen Beweislastregel angenommen, wenn der
Markeninhaber seine Waren in den Europäischen Wirtschaftsraum über ein ausschließliches Vertriebssystem in
den Verkehr bringt33. Nach Auffassung des BGH ist es in
solchen Fällen naheliegend, dass der Markeninhaber nach
Offenlegung der gesamten Lieferkette durch den in Anspruch Genommenen auf seinen Vertragshändler einwirken würde, um das Vertriebssystem aufrechtzuerhalten,
________________________
28 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 880
– stüssy.
29 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881
– stüssy.
30 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881
– stüssy.
31 EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren
+ Q. GmbH.
32 EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren
+ Q. GmbH; BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004,
156 – stüssy II.
33 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy
II; EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van
Doren + Q. GmbH.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
und so Lieferungen an nicht dem Vertriebssystem angehörige Zwischenhändler und mithin den grenzüberschreitenden Warenverkehr unterbinden werde, sodass auch eine
tatsächliche Gefahr der Marktabschottung bestehe34. Daher obliege in solchen Konstellationen ausnahmsweise
dem Markeninhaber der Nachweis, dass die Ware ursprünglich von ihm oder mit seiner Zustimmung außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in den Verkehr
gebracht wurde35. Noch nicht geklärt war hingegen die
Frage, ob eine solche Beweislastumkehr auch im Falle
von selektiven Vertriebssystemen gelten soll. Für eine
Beweislast des Markeninhabers für das Inverkehrbringen
gekennzeichneter Ware außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat sich der BGH etwa in einer Entscheidung aus dem Jahr 200636 ausgesprochen, obwohl der
Markeninhaber lediglich ein selektives und kein ausschließliches Vertriebssystem unterhielt. Andererseits ging
das Gericht wiederum in einer Entscheidung aus dem Jahr
200637 von der Anwendung der allgemeinen Beweislastregel für die Voraussetzungen der Erschöpfung aus, obwohl der Markeninhaber auch hier ein selektives Vertriebssystem betrieb.
Nunmehr hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung
im Rechtsstreit des US-amerikanischen Unternehmens
Converse Inc. gegen den Sportschuhhändler Mawa
Sportswear GmbH38 festgestellt, dass die Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte nicht nur im Falle des
Vertriebs von Markenwaren über ein ausschließliches Vertriebssystem, sondern bei allen Vertriebssystemen gelte,
die dem Markeninhaber die Möglichkeit eröffnen, den
grenzüberschreitenden Verkehr von Markenwaren im
Binnenmarkt zu verhindern. Im Falle eines selektiven Vertriebssystems sei dies etwa der Fall, wenn es den ausgewählten Vertriebspartnern verboten sei, die Ware an nicht
dem Vertriebssystem angehörende Zwischenhändler zu
verkaufen. Sei es den Vertriebspartnern hingegen gestattet,
an außerhalb des Vertriebssystems stehende Händler zu
liefern, genüge allein das Bestehen eines Vertriebssystems
nicht zur Annahme einer tatsächlichen Gefahr der Marktabschottung39. In dem aktuell vom BGH entschiedenen
Fall stand es fest, dass Converse Inc. im Europäischen
Wirtschaftsraum auf Importeurebene ihre Schuhe über ein
ausschließliches Vertriebssystem vertreibt, da es in jedem
Land jeweils nur einen Generalimporteur gibt. Da jedoch
das erstinstanzliche Gericht festgestellt hatte, dass die Generalimporteure in Deutschland, Österreich, den Beneluxstaaten und der Schweiz vertraglich nicht gehindert waren, Waren an Zwischenhändler zum Weitervertrieb
außerhalb ihres jeweiligen Vertragsgebiets zu liefern, bestand nach Auffassung des BGH keine Gefahr der Marktabschottung durch die Converse Inc. aufgrund vertraglicher Absprachen. Des Weiteren hat der BGH die Ansicht
des Berufungsgerichts40 bestätigt, dass die Gefahr einer
Marktabschottung nicht allein durch vertragliche Absprachen im Rahmen des Vertriebssystems, sondern auch
________________________
34 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy
II.
35 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy
II; EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van
Doren + Q. GmbH.
36 BGH, Urteil vom 19. 1. 2006, I ZR 217/03, GRUR 2006, 433, 435 –
Unbegründete Abnehmerverwarnung.
37 BGH, Urteil vom 23. 2. 2006, I ZR 272/02, GRUR 2006, 421, 423 –
Makrenparfümverkäufe.
38 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I.
39 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 –Converse I, Rn. 31.
40 OLG Stuttgart, Urteil vom 4. 3. 2010, 2 U 86/09, GRUR-RR 2010, 198
– Converse.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
Aufsätze
durch ein tatsächliches Verhalten des Markeninhabers begründet werden kann, etwa durch das In-Aussicht-Stellen,
nach Ablauf der Vertragszeit den Vertrag des Vertriebspartners nicht zu verlängern, durch Erschweren des Warenbezugs oder anderweitige Druckausübung anlässlich
vorgenommener Lieferungen eines Vertriebspartners an
Händler außerhalb des Vertriebssystems. Allein die Aussage eines Generalimporteurs der Converse Inc. in einer
Veröffentlichung, es werde gegen „Preisverhau“ im Vertriebssystem vorgegangen, reichte dem BGH jedoch nicht
aus, um eine Marktabschottungsgefahr aufgrund eines tatsächlichen Verhaltens der Markeninhaberin Converse Inc.
zu bejahen. Diese Veröffentlichung des Generalimporteurs
rechtfertige nach Auffassung des BGH nicht die Annahme, dass die Markeninhaberin selbst Maßnahmen gegen
die Angleichung der bestehenden Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ergreife41.
Eine tatsächliche Gefahr der Marktabschottung soll trotz
Bestehens eines zur Marktabschottung geeigneten Vertriebssystems des Markeninhabers ferner dann ausscheiden, wenn die Lieferanten des angeblichen Verletzers
nicht mehr dem Vertriebssystem des Markeninhabers angehören42. In solchen Fällen bestehe weder ein Anlass
noch die Möglichkeit für den Markeninhaber, auf ein
künftiges Lieferverhalten des Händlers einzuwirken und
so die nationalen Märkte zur Beibehaltung von Preisunterschieden gegeneinander abzuschotten43. So lag der Fall in
dem Rechtsstreit der All Star D.A.CH., der ausschließlichen Vertriebsgesellschaft für Schuhe der Converse Inc. in
Deutschland, Österreich und der Schweiz, gegen die Metro Cash & Carry Deutschland GmbH. Letztere behauptete,
einen Teil der streitgegenständlichen Schuhe von einer in
Deutschland ansässigen Gesellschaft bekommen zu haben, die wiederum die Schuhe von einer slowenischen Lizenznehmerin der Markeninhaberin Converse Inc. erworben habe. Da jedoch der Lizenzvertrag der slowenischen
Lieferantin nach den gerichtlichen Feststellungen bereits
vor der Lieferung der streitgegenständlichen Schuhe an
die Metro Cash & Carry Deutschland GmbH beendet war,
verneinte der BGH das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr der Marktabschottung durch die Markeninhaberin.
Nach den Ausführungen des Gerichts ist es nicht erforderlich, die allgemeine und auf den Wertungen des allgemeinen Deliktsrechts beruhende Beweislastregel im Rahmen
der markenrechtlichen Erschöpfung zu modifizieren,
wenn das Offenlegen der Lieferkette nicht zur Begründung einer Marktabschottungsgefahr beitragen kann, etwa
weil der Vertriebspartner bereits unabhängig von der konkreten Lieferung an den angeblichen Verletzer aus dem
Vertriebssystem des Markeninhabers ausgeschieden ist44.
Die Frage, ob die Gefahr der Marktabschottung bereits
dann zu verneinen ist, wenn der in Anspruch Genommene
seine Lieferkette selbst offenbart hat, hat der BGH hingegen explizit offen gelassen. Allerdings äußerte das Gericht
Bedenken gegen eine solche Annahme, da der Markeninhaber Maßnahmen zur Abschottung der nationalen Märkte
eher ergreifen werde, wenn nicht nur eine Darstellung des
angeblichen Verletzers zu der Lieferkette gegeben sei,
sondern der gerichtliche Nachweis der Lieferkette geführt
werde45. Auf diese Frage kam es schließlich nicht an, da
die Vorlieferanten der Metro Cash & Carry Deutschland
________________________
41
42
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44
45
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 38.
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II.
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34.
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34.
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34.
ZVertriebsR 4/2012
239
GmbH aus dem Vertriebssystem der Markeninhaberin
Converse Inc. bereits ausgeschieden waren, sodass Letztere keine Möglichkeiten der Einflussnahme ihnen gegenüber mehr hatte.
Aufgrund der Offenlegung der Lieferkette durch die Beklagte im Rechtsstreit Converse II lehnte es der BGH auch
ab, eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen von
Treu und Glauben anzunehmen, da der Metro Cash &
Carry Deutschland GmbH die Herkunft der streitgegenständlichen Schuhe sehr wohl bekannt sei und sie hierzu
auch detailliert vorgetragen habe, sodass ihr nicht, wie für
eine Beweislastumkehr nach Treu und Glauben erforderlich, die für einen substantiierten Vortrag notwendigen
Kenntnisse fehlten46. Die Beklagte hatte für ihre Behauptung, dass die streitgegenständlichen Schuhe von der
Converse Inc. an deren ehemalige slowenische Lizenznehmerin geliefert worden seien, die Vernehmung eines
noch zu benennenden Zeugen angeboten, den sie jedoch
in allen Instanzen nicht namentlich nannte, sodass sie
hierfür letztlich beweisfällig blieb. Daher ging der BGH
davon aus, dass der Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erschöpfung von der hierfür nach den
allgemeinen Regeln beweisbelasteten Metro Cash &
Carry Deutschland GmbH nicht erbracht wurde. Damit
unterlag Letztere in dem Rechtsstreit Converse II.
IV. Fazit
Die aktuellen Entscheidungen Converse I und II des BGH
bestätigen die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei der markenrechtlichen Erschöpfung und führen sie fort. So setzt sich das
Gericht in den Converse I und II-Entscheidungen detailliert mit der Frage auseinander, wann eine tatsächliche
Gefahr der Marktabschottung bei den verschiedenen Arten
von Vertriebssystemen besteht. Zu begrüßen ist, dass das
Gericht eine schematische Lösung der Beweislastproblematik ablehnt und immer auf die Umstände des Einzelfalls abstellt. So soll allein das Bestehen eines Vertriebssystems des Markeninhabers nicht schon die Annahme
einer Gefahr der Marktabschottung durch diesen rechtfertigen. Es ist weiter erforderlich, dass auch die tatsächliche
Gefahr der Marktabschottung besteht, wenn der in Anspruch Genommene den Nachweis führen muss, dass die
Voraussetzungen der Erschöpfung vorliegen.47 Dies ist nur
konsequent, wenn man den Sinn und Zweck der von der
Rechtsprechung anerkannten Beweislastumkehr bei der
markenrechtlichen Erschöpfung beachtet, nämlich die Belange des Ausschließlichkeitsrechts an der Marke einerseits und der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 und 36
AEUV andererseits in Einklang zu bringen. Denn das Bestehen eines Vertriebssystems des Markeninhabers führt
nicht zwingend zu einer tatsächlichen Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte durch den Markeninhaber in
dem jeweiligen Fall.
Auf der anderen Seite dürften die vom BGH aufgestellten
Regeln für die Annahme einer Beweislastumkehr für die
Voraussetzungen der Erschöpfung zulasten des Markeninhabers in der Praxis den in Anspruch Genommenen kaum
weiterhelfen. Für die angeblichen Verletzer stellt sich unter
Zugrundelegung
der
aktuellen
ConverseRechtsprechung die Frage, wie sie entsprechend der nunmehr höchstrichterlich festgelegten Beweislastverteilung
substantiiert darlegen und nachweisen sollen, dass es sich
________________________
46 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 38.
240
ZVertriebsR 4/2012
Aufsätze
bei den von ihnen vertriebenen Waren um Originalmarkenwaren und nicht um Produktfälschungen handelt, ohne
gleichzeitig ihre Lieferkette offenzulegen und so dem
Markeninhaber die Möglichkeit zu eröffnen, auf die jeweiligen Lieferanten einzuwirken und ihnen die Lieferungen an dem Vertriebssystem nicht angehörende Zwischenhändler zu untersagen. Nach Auffassung des BGH ist
nämlich die Erschöpfung nur von Originalmarkenware
möglich, bei Produktfälschungen scheidet sie hingegen
aus48. Diese Feststellung des Gerichts überrascht und erscheint zudem nicht stimmig, zumal es in der gleichen
Entscheidung einige Absätze später unter Verweis auf den
Aufsatz von Bölling49 selbst einräumt, dass in Ausnahmefällen der Markeninhaber auch dem Vertrieb nachgeahmter Ware zugestimmt haben könnte. Dies ändere aber
nichts an der Beweislast des in Anspruch Genommenen
für das Vorliegen der Zustimmung des Markeninhabers,
welche bei Produktfälschungen jedoch regelmäßig fehlen
würde50. Offenbar hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung Converse I eine saubere Trennung zwischen der
Zustimmung des Markeninhabers zur Benutzung der
Marke i. S. v. § 14 Abs. 2 MarkenG beziehungsweise Art.
9 Abs. 1 S. 2 GMV und dem Inverkehrbringen mit der
Marke gekennzeichneter Ware ohne die Zustimmung dazu
gemäß § 24 MarkenG und Art. 13 Abs. 1 GMV, wie es sie
in seiner früheren Rechtsprechung vorgenommen hatte51,
leider versäumt. Es sind nämlich auch Fälle denkbar, in
denen der Markeninhaber mit dem Vertrieb gefälschter
Produkte unter seiner Marke einverstanden ist. Auch an
solchen Fälschungen kann bei Vorliegen der Zustimmung
des Markeninhabers zu deren Inverkehrbringen in die Europäische Union oder den Europäischen Wirtschaftsraum
Erschöpfung nach § 24 MarkenG bzw. Art. 13 GMV eintreten52.
De facto zwingt die aktuelle Rechtsprechung des BGH
den wegen Markenrechtsverletzung in Anspruch Genommenen dazu, seine Lieferanten zu offenbaren. Denn im-
Gregersen/Larsen: Eigentumsvorbehalt (Dänemark)
mer dann, wenn der Markeninhaber genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen von Produktfälschungen liefert,
obliegt es dem angeblichen Verletzer darzulegen und zu
beweisen, dass er Originalware und keine Fälschungen
verkauft hat. Damit in einem etwaigen Rechtsstreit jedoch
überhaupt Beweis – etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens oder Vernehmung von Zeugen – darüber erhoben wird, muss zunächst der in Anspruch Genommene substantiiert vortragen, warum die Annahme
des Vorliegens von Originalware nicht ausgeschlossen
werden kann. Pauschales Bestreiten dürfte jedenfalls nicht
ausreichend sein. Gelingt der Nachweis des Vertriebs von
Originalware dem angeblichen Verletzer nicht, stellt sich
die Frage der Erschöpfung nach Auffassung des BGH
nicht53. Daraus wird deutlich, dass Markeninhaber, die
Vertriebssysteme unterhalten, tatsächlich so gut wie immer erfahren werden, wer an Händler außerhalb des Vertriebssystems Ware verkauft hat und damit die Gelegenheit bekommen werden, die Lücken im Vertriebssystem zu
schließen. Damit ist aber die Abschottung der nationalen
Märkte vorprogrammiert. Die an sich zu begrüßenden,
vom BGH in den zwei Converse-Entscheidungen konkretisierten Grundsätze der Beweislastumkehr bei der markenrechtlichen Erschöpfung dürften lediglich in Ausnahmefällen überhaupt zum Tragen kommen, sodass diese
Entscheidungen im Ergebnis eindeutig die Markeninhaber
zulasten der europäischen Warenverkehrsfreiheit bevorzugen.
________________________
47 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 29.
48 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
49 Bölling, Kerngleichheit des Vertriebs gefälschter Markenware und nicht
erschöpfter Originalware, GRUR-RR 2011, 345, 347.
50 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
51 BGH, Beschluss vom 11.5.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881 –
stüssy.
52 So auch Bölling, GRUR-RR 2011, 345, 347.
53 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
Peter E. P. Gregersen / Shiva Safavi Larsen*
Der Eigentumsvorbehalt nach dänischem Recht beim Handelskauf
Gregersen/Larsen: Eigentumsvorbehalt (Dänemark)
Die deutschsprachigen Länder, allen voran Deutschland,
betreiben einen beträchtlichen Warenhandel mit Dänemark. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen stellt
die wirksame Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts einen essentiellen Schutz des Lieferanten gegen die Insolvenz des Käufers dar. Bei Lieferungen nach Dänemark ist
es daher von großer Bedeutung für den Verkäufer, die Voraussetzungen und Besonderheiten zu kennen, die nach
dänischem Recht zu beachten sind.
Die Kenntnis der dänischen Regelungen zum Eigentumsvorbehalt ist umso wichtiger, als dass bei erfolgter Lieferung nach Dänemark und Eintritt der Insolvenz des Käufers die dänischen Gerichte den Eigentumsvorbehalt nur
dann akzeptieren, wenn dieser den dänischen Regelungen
entspricht. Dies kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Liefervertrag insgesamt deutschem Recht
unterworfen wird.
Der vorliegende Beitrag soll daher einen Überblick über
die Voraussetzungen und Grenzen zur Vereinbarung eines
________________________
*
Die Autoren sind Anwälte in der Kanzlei HORTEN in Kopenhagen/Dänemark.
Eigentumsvorbehalts nach dänischem Recht geben. Andere Sicherungsmöglichkeiten des Lieferanten, welche das
dänische Recht zur Verfügung stellt, sind dagegen nicht
Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.
I. Allgemeines zum dänischen Recht
Das dänische Recht kennt im Unterschied zum deutschen
Recht kein Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind nicht voneinander getrennt, womit das Eigentumsrecht bereits mit Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer übergeht und
nicht einem separaten Rechtsgeschäft vorbehalten ist. Die
einzige Möglichkeit, dieses dänische Grundprinzip aufzuheben, ist die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts,
wonach das Eigentum unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung übergeht.
Während in Deutschland der sogenannte "einfache Eigentumsvorbehalt" hauptsächlich vor der Insolvenz des Käufers schützen soll, bekommt er in Dänemark eine weiterreichende Bedeutung. Denn in Dänemark hat der
Verkäufer bei unbegründeter Zahlungsverweigerung des
Käufers, wenn kein Eigentumsvorbehalt vereinbart wor-
Gregersen/Larsen: Eigentumsvorbehalt (Dänemark)
Aufsätze
den ist, nach den gesetzlichen Regelungen nicht das
Recht, vom Kaufvertrag zurückzutreten und die Ware zurückzuverlangen. Vielmehr ist der Verkäufer nach Übergabe der Ware auf die Geltendmachung des Kaufpreisanspruchs bzw. auf Schadensersatzansprüche beschränkt.
Die Rückforderung der Ware kann in Dänemark daher –
anders als nach deutschem Recht – grundsätzlich nur bei
wirksamer Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts geltend gemacht werden.
Der Eigentumsvorbehalt ist auch nach dänischem Recht
insolvenzfest und die Vorbehaltsware kann im Falle der
Insolvenz des Käufers aus der Masse ausgesondert werden
(falls der Insolvenzverwalter nicht die Erfüllung des Vertrages wählt).
II. Wirksamkeitsvoraussetzungen des
Eigentumsvorbehalts beim Handelskauf
Für die Vereinbarung eines wirksamen Eigentumsvorbehalts, welcher ebenso wie in Deutschland beim Handelskauf weniger strengen Bedingungen unterliegt, müssen
folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
-
-
Der Eigentumsvorbehalt muss beidseitig spätestens
bei Übergabe der Ware vereinbart werden.
Der Gesamtkaufpreis muss mehr als DKK 2.000,00
(ca. 260 EUR) betragen.
Die Ware muss eindeutig beschrieben und identifizierbar sein.
Der Eigentumsvorbehalt darf sich nur auf den Kaufpreis aus der konkreten Vereinbarung beziehen und
kann nicht zur Sicherung anderer Forderungen vereinbart werden.
Der Kaufpreis darf nicht variabel sein.
Eine Besonderheit im Vergleich zum deutschen Recht
ergibt sich des Weiteren dann, wenn die Eigentumsvorbehaltsware dazu bestimmt ist, durch den Käufer im Rahmen seines Geschäftsbetriebes laufend weiterveräußert
oder anderweitig verarbeitet oder verbraucht zu werden
(Konsignationslager des Käufers). Sobald die Ware durch
den Käufer veräußert oder verarbeitet bzw. verbraucht
wird, entfällt der Eigentumsvorbehalt. Allerdings müssen
durch den Vorbehaltsverkäufer bereits für die Zeit, in der
sich die Ware noch im Lager des Käufers befindet, besondere Vorkehrungen getroffen werden, um seinen Eigentumsvorbehalt an der Ware zu bewahren. Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Eigentumsvorbehalt sind daher im
hier genannten Fall zusätzlich:
-
-
Die Waren müssen laufend im Zusammenhang mit
der Weiterveräußerung bzw. Verarbeitung oder Verbrauch gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer abgerechnet werden (es darf also keine feste Zahlungsfrist
für die Gesamtware vereinbart werden).
Der Käufer muss eine gesonderte Buchführung über
die Vorbehalts- bzw. Konsignationsware führen.
Der Vorbehaltsverkäufer muss laufend kontrollieren,
dass der Käufer die Waren tatsächlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Weiterveräußerung oder
Verarbeitung bzw. Verbrauch ihm gegenüber abrechnet.
III. Erweiterung des Eigentumsvorbehalts
In Deutschland sind neben dem einfachen Eigentumsvorbehalt auch der "verlängerte" und der "erweiterte" Eigen-
ZVertriebsR 4/2012
241
tumsvorbehalt anerkannt. Nach ersterem tritt der Zwischenhändler seine Forderung aus der Weiterveräußerung
der Ware an den Vorbehaltsverkäufer ab, der dann durch
diesen abgetretenen Anspruch gesichert bleibt. Der erweiterte Eigentumsvorbehalt wird vereinbart, wenn nicht nur
die Kaufpreisforderung des Vorbehaltsverkäufers sondern
auch weitere Forderungen aus der Geschäftsbeziehung
gegen den Käufer gesichert werden sollen, so dass das Eigentum erst bei Befriedigung dieser weiteren und außerhalb des Kaufverhältnisses stehenden Forderungen übergeht. Darüber hinaus hat sich in Deutschland auch der
sogenannte Verarbeitungsvorbehalt etabliert. Danach setzt
sich das Eigentum des Vorbehaltsverkäufers anteilsmäßig
an dem Produkt fort, zu dem seine Ware durch den Käufer
verarbeitet wurde.
In Dänemark sind all diese Sonderformen des Eigentumsvorbehalts nicht möglich. Das Eigentumsrecht des Verkäufers an der Ware kann daher nicht zur Sicherung anderer Forderungen als der Kaufpreisforderung aus dem
konkreten Kaufvertrag dienen (siehe auch die oben genannten Gültigkeitsvoraussetzungen). Auch ein erweiterter Eigentumsvorbehalt und damit die automatische Abtretung künftiger Weiterveräußerungsforderungen des
Käufers an den Verkäufer, können im Rahmen eines Eigentumsvorbehalts nicht wirksam vereinbart werden.
IV. Untergang des Eigentumsvorbehalts
Ähnlich wie nach deutschem Recht, entfällt der Eigentumsvorbehalt nach dänischem Recht, wenn die Vorbehaltsware derart mit anderen Sachen vermischt wird, dass
sie nicht mehr ausgesondert werden kann oder durch Verarbeitung untrennbar mit anderen Sachen verbunden wird.
Gleiches gilt bei Einbau der Ware in ein Gebäude (z.B.
Maschinen, Heizanlagen etc.).
Auch bei der Weiterveräußerung der Ware an einen gutgläubigen Dritten entfällt der Eigentumsvorbehalt, wenn
die Veräußerung durch den Käufer im Rahmen seines allgemeinen Geschäftsbetriebes geschieht und die Ware erkenntlich für die Weiterveräußerung erworben wurde.
Im Gegensatz zum deutschen Recht entfällt der Eigentumsvorbehalt dagegen nicht bei anderweitigen Veräußerungen durch den Vorbehaltskäufer, auch wenn der Erwerber gutgläubig ist. Wurde z.B. von einem
Unternehmer eine Maschine unter Eigentumsvorbehalt zur
eigenen Verwendung erworben und verkauft er diese an
einen Dritten weiter, so kann der Vorbehaltsverkäufer von
dem Dritten die Ware herausverlangen.
V. Fazit
Wie oben dargestellt, ist es bei Lieferung von Waren nach
Dänemark von großer Bedeutung zu wissen, dass es nach
dänischem Recht wesentliche Unterschiede im Hinblick
auf Gültigkeitsvoraussetzungen und Grenzen des Eigentumsvorbehalts im Vergleich zum beispielsweise deutschen Recht gibt.
Bei Mangel dieser Kenntnis und der Annahme, bei Vereinbarung deutschen Rechts, könne auch der Eigentumsvorbehalt nach deutschem Recht vereinbart werden, stehen im Falle der Insolvenz des Käufers böse
Überraschungen bevor. Hiergegen gilt es sich zu schützen,
indem z.B. auch die oben genannten besonderen Voraussetzungen bei Lieferungen in ein Warenlager des Käufers
beachtet werden.
242
Flohr: Vertriebsvertrag und Vertragssprache
Aufsätze
ZVertriebsR 4/2012
Prof. Dr. Eckhard Flohr
Vertriebsvertrag und Vertragssprache
Flohr: Vertriebsvertrag und Vertragssprache
Jeder internationale Vertriebsvertrag enthält eine Regelung zur Vertragssprache1. Soweit der Franchise-Nehmer
auch bei internationalen Franchise-Systemen in Deutschland tätig ist, sollte grundsätzlich im Franchise-Vertrag
festgelegt werden, dass Vertragssprache deutsch ist. Sollte
der Franchise-Vertrag auch in einer weiteren Sprache (z.B.
englische Sprache) abgeschlossen und ausgefertigt werden, so muss im Franchise-Vertrag aber ausdrücklich festgehalten werden, welche der Fassungen im Falle von
Streitigkeiten maßgebend ist. Enthält der FranchiseVertrag dann eine Gerichtsstandsvereinbarung für ein
deutsches Gericht, so ist auch die deutsche Fassung des
Franchise-Vertrages im Falle von Streitigkeiten maßgebend. Dies gebietet schon § 184, 1 GVG. Danach ist die
Gerichtssprache deutsch.
Bei Abschluss von Vertriebsverträgen ergeben sich aber
immer dann rechtliche Bedenken, wenn der Absatzmittler
nicht der deutschen Sprache mächtig ist, der Vertriebsvertrag aber gleichwohl in deutscher Sprache abgeschlossen
wird. Die Rechtsprechung hat sich bislang mit dieser Frage bei Vertriebsverträgen nur am Rande befasst, insbesondere im Zusammenhang mit der gegenüber einem Franchise-Nehmer ggf. vorzunehmenden Widerrufsbelehrung.
I. Widerrufsbelehrung und Vertragssprache
Grundsätzlich hat die Widerrufsbelehrung in deutscher
Sprache zu erfolgen. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung2 aber dann, wenn die Verhandlungen mit dem
Absatzmittler in einer anderen Sprache, nämlich seiner
Muttersprache, geführt werden oder der Absatzmittlungsvertrag in einer Sprache abgefasst ist, deren der
Absatzmittler allein nicht mächtig ist3. Dann soll die
Widerrufsbelehrung in der Muttersprache des FranchiseNehmers erfolgen.
II. Vertragssprache und Absatzmittlungsvertrag
Bislang gab es aber keine Entscheidung dazu, welche
Konsequenzen es für den abgeschlossenen Absatzmittlungsvertrag hat, wenn die Vertragsverhandlungen in
der Muttersprache des Absatzmittlers geschlossen werden,
dieser dann aber einen deutschsprachigen Absatzmittlungsvertrag unterzeichnet, ohne auf dessen Übersetzung zu bestehen. Richtlinie hierfür könnte eine zu einem
Formulararbeitsvertrag ergangene Entscheidung des LAG
Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 20124 werden. Das
LAG Rheinland-Pfalz geht nämlich davon aus, dass ein
der deutschen Sprache nicht mächtiger Arbeitnehmer, der
nach den Vertragsverhandlungen in seiner Muttersprache
einen deutschsprachigen Formulararbeitsvertrag unterzeichnet, ohne auf dessen Übersetzung zu bestehen, die
Kenntnis des Vertrages gegen sich gelten lassen muss. Er
stehe, so das LAG Rheinland-Pfalz, einem Vertragspartner
gleich, der einen Vertrag ungelesen unterschreibt.
________________________
1
2
3
4
Siehe z.B. FLOHR, Master-Franchise-Vertrag, München 2006, S. 239
m.w.N.
Beispielhaft OLG Köln WM 2002, 1928
Siehe dazu auch: ZVertriebsR 2012, 70, 77
11 Sa 569/11 BeckRS 2012, 66863
Auch wenn diese Grundsätze des LAG Rheinland-Pfalz
nur für einen Arbeitsvertrag aufgestellt worden sind, so
gelten diese Grundsätze erst recht für einen Vertriebsvertrag. Hier schließen den Vertrag nicht ein Unternehmen
und ein abhängig Tätiger, sondern zwei rechtlich und
wirtschaftlich selbständige Unternehmer, der Systemgeber
auf der einen und der Vertriebspartner auf der anderen
Seite ab.
Hier muss erst recht davon ausgegangen werden, dass es
im Vertriebsrecht keine allgemeine Pflicht des Systemgebers gibt, einen Vertriebsvertrag unaufgefordert in die
Muttersprache des Vertriebspartners zu übersetzen. Insofern ist dem LAG Rheinland-Pfalz zuzustimmen, wenn in
der Entscheidung vom 02. Februar 2012 festgehalten
wird, dass eine generelle Übersetzungspflicht für Schriftstücke, die von einem fremdsprachigen Arbeitnehmer zu
unterzeichnen sind, dem geltenden Recht nicht zu entnehmen ist und dies erst recht dann gelte, wenn sich die
Vertragsparteien auf die deutsche Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache einigen5.
Diese Grundsätze müssen erst recht für den Abschluss eines Vertriebsvertrages gelten. Hier ist es dem als selbständigen Unternehmer tätigen Vertriebspartner zuzumuten,
sich vor Abschluss des Vertriebsvertrages die erforderliche
Übersetzung selbst zu beschaffen. Dafür trägt der Vertriebspartner die Verantwortung. Insofern fällt das Unterzeichnen des Vertriebsvertrages in Unkenntnis seines Inhaltes in den Risikobereich des Vertriebspartners. Dieser
muss sich entsprechend der Entscheidung des LAG
Rheinland-Pfalz so behandeln lassen, wie eine Person, die
einen Vertrag ungelesen unterschreibt.
Auch aus der aus § 242 BGB abzuleitenden allgemeinen
Treue- und Fürsorgepflicht des Systemgebers, kann nicht
dessen besondere Fürsorgepflicht abgeleitet werden, den
schriftlichen Vertriebsvertrag in der Verhandlungssprache
vorlegen zu müssen, wenn die Verhandlungen in der Muttersprache des Vertriebspartners geführt worden sind.
Gerade beispielhaft sind insofern die Ausführungen des
LAG Rheinland-Pfalz zu den im Rahmen der Vertragsverhandlungen obliegenden Aufklärungspflichten. Hier heißt
es in der Entscheidung u.a., dass bei Anbahnung eines
Vertrages dem Vertragspartner nur diejenigen entscheidungserheblichen Umstände mitzuteilen sind, über die
dieser eine Aufklärung nach dem Grundsatz von Treu und
Glauben redlicherweise erwarten darf. Insofern sei davon
auszugehen, dass sich ein künftiger Vertragspartner selbst
über die Umstände, die für seine Vertragsentscheidung
maßgeblich sind, sowie über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft.
Dies bedeutet, dass die Übersetzung des Vertrages in die
Muttersprache des Vertriebspartners dessen eigene Aufgabe ist und insofern weder Aufklärungs- noch Warnpflichten für das Unternehmen bestehen, bei einem Vertriebspartner nachzufragen, ob dieser den in deutscher Sprache
abzuschließenden Vertriebsvertrag voll inhaltlich verstan
den hat.
________________________
5
So auch schon BGH BGHZ 87, 112
Allgemeines Vertriebsrecht
Entscheidungen
ZVertriebsR 4/2012
243
Entscheidungen
Allgemeines Vertriebsrecht
Allgemeines Vertriebsrecht
1
Voraussetzungen einer ergänzenden
Vertragsauslegung bei einer mietvertraglich
vereinbarten Konkurrenzschutzklausel
BGB §§ 157, 535
1. Zu den Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung bei einer mietvertraglich vereinbarten
Konkurrenzschutzklausel. (amtlicher Leitsatz)
2. Ist bei Mietvertragsabschluss bekannt, dass im
Mietobjekt („Ärztehaus“) eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten betrieben wird, muss der
Mieter, der ein „Optik- und Hörgerätegeschäft“ betreiben will, bereits zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass der dort praktizierende Facharzt sämtliche
Leistungen erbringen wird, zu denen er berechtigt ist,
und es insoweit zu Überschneidungen kommen kann,
selbst wenn dies bei Vertragsabschluss mangels gesetzlicher Befugnis des Facharztes zur „Direktversorgung“
seiner Patienten nicht weiter absehbar war. Denn in
dieser Situation liegt es nahe, bei der Formulierung einer Konkurrenzschutzklausel nicht auf den Betrieb eines weiteren Optik- und Hörgerätefachgeschäfts abzustellen, sondern diejenigen Leistungen, für die dem
Mieter Konkurrenzschutz gewährt wird, konkret zu
benennen. (Leitsatz der Redaktion)
BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 – XII ZR 40/10
Tatbestand:
[1] Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus
einer mietvertraglichen Konkurrenzschutzklausel geltend.
[2] Die Klägerin schloss 1986 mit der Rechtsvorgängerin
der Beklagten einen Mietvertrag über Gewerberäume in
einem "Ärztehaus" zum Betrieb eines Optik- und Hörgerätegeschäfts. Der Mietvertrag enthält in § 14 die Klausel:
"Konkurrenzschutz für den Mieter wird in folgendem Umfang vereinbart:
Kein weiteres Optik- und Hörgerätegeschäft in Objekten
der "U… in H..."
[3] Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wurde in dem
Gebäude bereits eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde betrieben, die von der Streithelferin der Beklagten im Oktober 2005 übernommen wurde. Die Klägerin,
die in den angemieteten Räumen zunächst nur ein
Optikergeschäft betrieben hatte, erweiterte zum 1. August
2006 ihren Betrieb um eine Hörgeräteakustikabteilung.
[4] In der Folgezeit begann die Streithelferin im sogenannten "verkürzten Versorgungsweg" Hörgeräte unmittelbar an Patienten abzugeben. Dabei übernimmt der
HNO-Arzt u. a. die audiometrische Messung und das Erstellen von Ohrabdrücken zur Anpassung und Lieferung
von Hörgeräten, die Feinanpassung der vom Hersteller direkt an ihn gelieferten Hörgeräte sowie die Einweisung
der Patienten.
[5] Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die in
§ 14 des Mietvertrages enthaltene Konkurrenzschutzklausel. Sie begehrt daher im vorliegenden Verfahren von der
Beklagten, gegenüber der Streithelferin auf die Einhaltung
der Konkurrenzschutzklausel hinzuwirken (Klagantrag zu
1). Außerdem möchte die Klägerin gerichtlich feststellen
lassen, dass sie wegen der Verstöße gegen die Konkurrenzschutzklausel bis zu deren Beseitigung zur Minderung
der Miete berechtigt ist (Klaganträge zu 2 u. 3). Schließlich macht die Klägerin Schadensersatzansprüche wegen
entgangenen Gewinns (Klaganträge 4 und 5) geltend.
[6] Das Landgericht hat einen Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel verneint und die Klage als unbegründet
abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und im Wege eines Teil- und Grundurteils den
Klaganträgen zu 1 bis 3 überwiegend und den Klaganträgen zu 4 und 5 dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision hat das Oberlandesgericht hinsichtlich der Frage zugelassen, ob der Mieter bei einem Verstoß gegen einen
vereinbarten Konkurrenzschutz zur Minderung der Miete
berechtigt ist.
[7] Mit der Revision möchte die Beklagte die Aufhebung
des Berufungsurteils und die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung erreichen.
Aus den Gründen:
I.
[9] Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen die
Konkurrenzschutzklausel bejaht und zur Begründung ausgeführt, dies folge aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des § 14 des Mietvertrages. Die dort vereinbarte
Konkurrenzschutzklausel erfasse nach ihrem Wortlaut
zwar lediglich das Verbot, Räume innerhalb der Objekte
der U. GmbH & Co. KG an Optik- und Hörgerätegeschäfte zu überlassen. Da diese Regelung ihrem Wortlaut nach
der Klägerin jedoch keinen Schutz vor konkurrierenden
Tätigkeiten biete, die nicht in Geschäften, sondern in Praxisräumen ausgeübt würden, läge eine Lücke der vertraglichen Regelung vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden müsse. Da es der
Rechtsvorgängerin der Beklagten erkennbar darum gegangen sei, der Klägerin zu ermöglichen, als Optikerin
und als Hörgeräteakustikerin konkurrenzlos Leistungen
im gleichen Objekt zu erbringen, habe die Klägerin unabhängig von der Organisationsform und der Art der Räumlichkeiten, in denen die konkurrierende Tätigkeit erbracht
werde, vor der Erbringung von Leistungen aus ihrem Berufsbild durch andere Mieter geschützt werden sollen.
Dabei hätten die Parteien bei der Vereinbarung der Konkurrenzschutzklausel nicht die Möglichkeit vor Augen gehabt, dass die im Mietobjekt praktizierenden Ärzte abweichend von den damaligen traditionellen Berufsbildern
einmal selbst im Wege des "verkürzten Versorgungsweges" Leistungen erbringen würden, die sonst von Gesundheitshandwerkern erbracht würden.
[10] Der Vertrag sei insoweit ausfüllungsbedürftig, weil
durch die konkurrierende Tätigkeit der Streithelferin im
selben Objekt der Klägerin gerade der Standortvorteil genommen werde, der bei Abschluss des Mietvertrages vereinbart worden sei. Daher sei anzunehmen, dass die Par-
244
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
teien auch einen entsprechenden Schutz der Klägerin vereinbart hätten, wenn sie bei Abschluss des Mietvertrages
die Möglichkeit bedacht hätten, dass die im selben Objekt
praktizierenden Ärzte in Konkurrenz zur Klägerin treten
könnten. Für die Klägerin sei der Umstand, dass die Ärzte
nicht die gleichen Leistungen erbrächten, die auch sie anbiete, von zentraler Bedeutung. Denn für die Klägerin sei
in diesen Fällen das Kerngeschäft des Verkaufs von
Hilfsmitteln betroffen, während die dort praktizierenden
Ärzte die Tätigkeiten der Vermittlung, des Verkaufs und
der Abgabe der Hilfsmittel nur ergänzend zu ihren zentralen ärztlichen Leistungen erbringen würden. Dabei sei unbeachtlich, dass die Leistungen, die die HNO-Ärzte beim
sogenannten "verkürzten Versorgungsweg" erbringen, als
ärztliche Leistungen zu bezeichnen seien.
[11] Die Klägerin sei auch nicht gehindert, den Verstoß
gegen den vereinbarten Konkurrenzschutz geltend zu machen. Auch wenn die Klägerin zunächst nur ein
Optikgeschäft betrieben und erst nach Abschluss des
Mietvertrages zwischen der Beklagten und der Streithelferin ihr Hörgerätegeschäft eröffnet habe, sei es der Klägerin unbenommen gewesen, das Ausmaß ihrer Tätigkeit
auch schon zuvor auf die Abgabe von Hörhilfen auszudehnen. Dass sie diese Tätigkeiten erst später aufgenommen habe, beeinträchtige ihren von Beginn des Mietverhältnisses an zugesicherten Konkurrenzschutz nicht.
[12] Der Klägerin stehe damit ein Anspruch auf Mietminderung gemäß § 536 Abs. 1 und 2 BGB zu. Nach herrschender Meinung berechtige eine vertragswidrige Konkurrenzsituation zur Minderung der Miete. Dabei könne
im Ergebnis dahinstehen, ob ein Mangel im Sinne von
§ 536 Abs. 1 BGB vorliege. Jedenfalls stelle die ausdrückliche Konkurrenzschutzabrede eine zugesicherte Eigenschaft im Sinne des § 536 Abs. 2 BGB dar. Durch die
streitbefangene Klausel sei der Klägerin zugesichert worden, dass andere Mieter im selben Objekt nicht zu ihr in
Konkurrenz treten. Von der Konkurrenzschutzklausel sei
die Ertragsfähigkeit des Mietobjekts betroffen. Deshalb
handele es sich um eine Eigenschaft der Sache. Die
Rechtsvorgängerin der Beklagten habe die Konkurrenzfreiheit auch zugesichert.
[13] Da ein Mangel im Sinne des § 536 Abs. 2 BGB vorliege, stünden der Klägerin zudem Schadensersatzansprüche nach § 536 a Abs. 1 BGB wegen entgangenen Gewinns dem Grunde nach zu.
II.
[14] Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung der in § 14 des Mietvertrags enthaltenen Konkurrenzschutzklausel.
[15] 1. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig.
[16] a) Grundsätzlich kann die Zulassung der Revision
nicht auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen
oder auf bestimmte Rechtsfragen beschränkt werden
(BGHZ 101, 276 = NJW 1987, 2586, 2587; Senatsurteile
vom 15. September 2010 – XII ZR 148/09 – FamRZ
2010, 1888 Rn. 18 und vom 13. April 2011 – XII ZR
110/09 – NJW 2011, 2796 Rn. 13 ff.). Darüber hinaus ist
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
eine Beschränkung der Revisionszulassung nur möglich,
wenn sie sich auf einen abtrennbaren Teil der Klageforderung bezieht, der einem Teilurteil zugänglich gewesen wä-
Allgemeines Vertriebsrecht
re oder auf den die Revision hätte beschränkt werden
können (Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 – XII ZR
141/04 – FamRZ 2007, 117 und vom 25. Januar 1995 –
XII ZR 195/93 – FamRZ 1995, 1405; BGH Urteile vom
17. Juni 2004 – VII ZR 226/03 – NJW 2004, 3264 und
vom 3. März 2005 – IX ZR 45/04 – NJW-RR 2005, 715).
Danach ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung auf den Ausspruch
zur Mietminderung (Klaganträge zu 2 und 3) unwirksam.
[17] b) Sofern man die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend versteht, dass die Revision allein zur
Klärung der Frage zugelassen werden sollte, ob bei einem
Verstoß gegen einen vereinbarten Konkurrenzschutz der
Mieter zur Minderung der Miete berechtigt ist, wäre diese
Beschränkung bereits deshalb unwirksam, weil es sich insoweit um eine reine Rechtsfrage handelt, die nicht allein
Gegenstand einer Revisionszulassung sein kann.
[18] c) Sollte das Berufungsgericht eine Beschränkung der
Revisionszulassung auf seine Entscheidung zu den Klaganträgen zu 2 und 3 beabsichtigt haben, wäre diese ebenfalls unzulässig, weil über diese Klaganträge nicht im Wege eines Teilurteils hätte entschieden werden können.
[19] (1) Nach § 301 ZPO, an dessen Grundsätzen die Beschränkung der Revisionszulassung zu messen ist, ist ein
Teilurteil nur zulässig, wenn es über einen aussonderbaren, einer selbständigen Entscheidung zugänglichen Teil
des Verfahrensgegenstandes ergeht und der Ausspruch
über diesen Teil unabhängig von demjenigen über den
restlichen Verfahrensgegenstand getroffen werden kann,
so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (Senatsurteil vom 25. Oktober
2006 – XII ZR 141/04 – FamRZ 2007, 117). Der Erlass
eines Teilurteils setzt neben der Teilbarkeit des Streitgegenstandes oder einer Mehrheit von Streitgegenständen
voraus, dass die Widerspruchsfreiheit von Teil- und
Schlussurteil garantiert ist (Zöller/ Vollkommer ZPO 29.
Aufl. § 301 Rn. 7 mwN). Die Widerspruchsfreiheit ist in
einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst daher auch
Fälle der Vorgreiflichkeit. Daher darf die Entscheidung
über den weiter rechtshängigen Streit nicht eine Vorfrage
umfassen, die bereits für die erledigte Teilentscheidung
erheblich war (Zöller/Vollkommer aaO). Da einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche
Folgerungen, auf denen eine Entscheidung aufbaut,
grundsätzlich nicht von der Rechtskraft erfasst werden,
besteht sonst die Gefahr einer unterschiedlichen Beantwortung der Vorfrage, wenn das Verfahren durch den Erlass eines Teilurteils aufgespaltet wird. Dabei ist der Erlass eines Teilurteils bereits dann unzulässig, wenn sich
die Gefahr durch die abweichende Beurteilung eines
Rechtsmittelgerichts im Instanzenzug ergeben kann (Senatsurteil vom 24. Februar 1999 – XII ZR 155/97 –
FamRZ 1999, 992, 993 mwN).
[20] (2) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht bei
der Prüfung des Klagantrags zu 1 einen Verstoß gegen die
Konkurrenzschutzvereinbarung bejaht und dem Leistungsantrag der Klägerin durch Teilurteil entsprochen.
Nach § 322 Abs. 1 ZPO reicht die Rechtskraft eines Urteils jedoch nur so weit, als über den erhobenen (prozessualen) Anspruch entschieden ist. Sie beschränkt sich auf
den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d.h. auf die
Rechtsfolge, die auf eine Klage oder Widerklage aufgrund
eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet (BGHZ
170, 180 = NJW 2007, 1466 Rn. 7). Aus der Entscheidung
Allgemeines Vertriebsrecht
Entscheidungen
über den Klagantrag zu 1 erwächst daher nur der Ausspruch des Berufungsgerichts über die Verpflichtung der
Klägerin, auf eine Einhaltung der Konkurrenzschutzklausel hinzuwirken, in Rechtskraft. Die Frage, ob die Streithelferin gegen die Klausel verstößt, ist dabei nur eine Vorfrage, die an der Rechtskraft der (Teil-) Entscheidung
nicht teilnimmt. Dieselbe Vorfrage ist jedoch auch für das
Minderungsrecht entscheidungserheblich, auf das sich die
Klägerin zur Begründung ihrer Klaganträge zu 2 und 3 beruft. Die Klägerin wäre nur dann zur Minderung der Miete
berechtigt, wenn die Streithelferin durch die Abgabe der
Hörgeräte im "vereinfachten Versorgungsweg" gegen die
Konkurrenzschutzklausel verstoßen würde. Bei einer isolierten Entscheidung über die Klaganträge zu 2 und 3
könnte diese Frage daher ohne Bindungswirkung an das
Teilurteil zu Klagantrag zu 1 frei und damit auch gegenteilig entschieden werden. Dem Gebot der Widerspruchsfreiheit wäre nicht genügt. Der Erlass eines Teilurteils wäre daher unzulässig.
[21] Das Berufungsgericht durfte daher insoweit die Revisionszulassung nicht beschränken. Die Beschränkung ist
somit unbeachtlich (vgl. Senatsurteil vom 15. September
2010 – XII ZR 148/09 – FamRZ 2010, 1888 Rn. 17).
[22] 2. Auch in der Sache begegnet das Berufungsurteil
revisionsrechtlich durchgreifenden Bedenken. Denn die
Auslegung der Konkurrenzschutzklausel durch das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft.
[23] a) Die Auslegung individueller privatrechtlicher Willenserklärungen unterliegt der Nachprüfung durch das
Revisionsgericht nur insoweit, als es sich darum handelt,
ob sie gesetzlichen Auslegungsregeln, Erfahrungssätzen
oder den Denkgesetzen widerspricht und ob sie nach dem
Wortlaut der Erklärung möglich ist (Senatsurteile vom 27.
Januar 2010 – XII ZR 148/07 – NJW-RR 2010, 1508 Rn.
30 und vom 4. März 2009 – XII ZR 18/08 – FamRZ 2009,
768 Rn. 14). Die vom Berufungsgericht gewählte Auslegung erweist sich als rechtfehlerhaft. Denn es hat die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung verkannt.
Insoweit
unterliegt
das
Urteil
der
revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Senatsurteil vom
27. Januar 2010 – XII ZR 148/07 – NJW-RR 2010, 1508
Rn. 30).
[24] b) Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist das Bestehen einer Regelungslücke, also einer
planwidrigen Unvollständigkeit der Bestimmungen des
Rechtsgeschäfts (BGHZ 90, 69 = NJW 1984, 1177, 1178),
die nicht durch die Heranziehung von Vorschriften des
dispositiven Rechts sachgerecht geschlossen werden kann
(BGHZ 137, 153 = NJW 1988, 450, 451). Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung
keine Regelung enthält, besagt nicht, dass es sich um eine
planwidrige Unvollständigkeit handelt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden,
wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die
erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (vgl. BGHZ
170, 311 = NJW-RR 2007, 687 Rn. 28; BGH Urteile vom
2. Juli 2004 – V ZR 209/03 – NJW-RR 2005, 205, 206;
vom 13. Februar 2004 – V ZR 225/03 – WM 2004, 2125,
2126 und vom 1. Juli 1999 – I ZR 181/96 – WM 1999,
2553, 2555). Die ergänzende Vertragsauslegung muss sich
als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen
ZVertriebsR 4/2012
245
Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne
die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem
Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGHZ 40, 91 = NJW
1963, 2071, 2075). Zudem darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des
Vertragsinhaltes führen (BGHZ 40, 91 = NJW 1963, 2071,
2075).
[25] c) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die
Annahme des Berufungsgerichts, die Konkurrenzschutzklausel in § 14 des Mietvertrages weise eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[26] Es ist zwar richtig, dass die Klägerin und die Rechtsvorgängerin der Beklagten bei Abschluss des Mietvertrages im Jahr 1986 die Möglichkeit der Versorgung von Patienten mit Hörgeräten durch den in dem Objekt
praktizierenden HNO-Arzt nicht berücksichtigen konnten,
weil die Leistungserbringung im "verkürzten Versorgungsweg" nach § 126 SGB V erst zum 1. Januar 1989
durch das Gesundheitsreform-Gesetz vom 20. Dezember
1988 (BGBl. I S. 2477) eingeführt worden ist. Dennoch
ist es zur Verwirklichung des Regelungsplans der Vertragsparteien nicht erforderlich, den durch § 14 des Mietvertrags vereinbarten Konkurrenzschutz auf die Abgabe
von Hörgeräten im "verkürzten Versorgungsweg" durch
die Streithelferin auszudehnen.
[27] Maßgeblich für die Prüfung, ob der Mietvertrag eine
ausfüllungsbedürftige Regelungslücke enthält, ist, welchen Umfang an Konkurrenzschutz die Klägerin bei Abschluss des Mietvertrags erwarten konnte (vgl. OLG Köln
NZM 2005, 866; OLG Hamm ZMR 1997, 581, 582).
[28] Danach spricht bereits der Wortlaut der Vereinbarung,
von dem jede Auslegung auszugehen hat und den auch das
Berufungsgericht seiner Auslegung im Ansatz zugrunde
legt, gegen die Annahme einer Regelungslücke. Die
Rechtsvorgängerin der Beklagten und die Klägerin haben
in § 14 des Mietvertrags den gewährten Konkurrenzschutz
konkret beschrieben und auf das Verbot der Vermietung
von Räumlichkeiten an Dritte zum Betrieb eines Optikund Hörgerätegeschäfts begrenzt. Die Klägerin sollte
demnach primär vor unmittelbarer Konkurrenz durch einen gleichartigen Geschäftsbetrieb geschützt werden.
[29] Soweit das Berufungsgericht zur Begründung einer
Regelungslücke ausführt, der Rechtsvorgängerin der Beklagten sei es erkennbar darum gegangen, der Klägerin zu
ermöglichen, als Optikerin und als Hörgeräteakustikerin
konkurrenzlos Leistungen im gleichen Objekt zu erbringen, unabhängig davon, in welcher Organisationsform
oder in welcher Art von Räumlichkeiten die konkurrierende Tätigkeit erbracht werde, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Annahme findet weder im Wortlaut der Konkurrenzschutzklausel noch in den weiteren Feststellungen
eine tragfähige Grundlage.
[30] Der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Klägerin war bei Abschluss des Mietvertrages bekannt, dass in
dem Mietobjekt eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten betrieben wird. Die Klägerin musste daher
bereits zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass der dort
praktizierende Facharzt sämtliche Leistungen erbringen
wird, zu denen er berechtigt ist und es zu Überschneidungen zwischen ihrem Leistungsangebot und der ärztlichen
Tätigkeit kommen kann. Hätten die Vertragsparteien, wie
246
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
vom Berufungsgericht angenommen, tatsächlich die Absicht gehabt, die Klägerin auch vor ärztlichen Leistungen
zu schützen, die sich mit ihrem eigenen Geschäftsbereich
überschneiden, hätte es nahegelegen, bei der Formulierung der Konkurrenzschutzklausel nicht auf den Betrieb
eines weiteren Optik- und Hörgerätefachgeschäfts abzustellen, sondern die Leistungen, für die der Klägerin Konkurrenzschutz gewährt werden sollte, konkret zu benennen (vgl. dazu OLG Brandenburg GesR 2007, 540 ff.).
Dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht
wurde, spricht dafür, dass nach dem Regelungsplan der
Parteien die Klägerin tatsächlich nur vor der Konkurrenz
durch ein weiteres Optiker- und Hörgerätegeschäft geschützt werden sollte.
[31] Die Streithelferin betreibt jedoch weder ein Hörgerätegeschäft noch übt sie die Tätigkeit eines Hörgeräteakustikers aus, wenn sie im "verkürzten Versorgungswege"
Hörgeräte an Patienten abgibt. Bei den Tätigkeiten, die die
Streithelferin in diesem Zusammenhang erbringt, handelt
es sich um ärztliche Leistungen, die zum beruflichen Bereich eines HNO-Arztes gehören oder zumindest mit diesem in sehr engem Zusammenhang stehen (BGH Urteil
vom 29. Juni 2000 – I ZR 59/98 – NJW 2000, 2745).
Durch die Möglichkeit, Hörhilfen im "verkürzten Versorgungsweg" an Patienten abzugeben, hat sich lediglich der
Umfang der ärztlichen Leistungen erweitert, die ein HNOArzt in seiner Praxis anbieten darf.
[32] Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke lässt sich
auch nicht damit begründen, dass ohne eine Vervollständigung des Vertrages keine angemessene und interessengerechte Lösung zu erzielen wäre. Der Standortvorteil, der
der Klägerin durch die Konkurrenzschutzklausel gewährt
wurde, besteht auch nachdem die Streithelferin dazu übergegangen ist, Hörgeräte an ihre Patienten im "verkürzten
Versorgungsweg" abzugeben, fort. Nach den in der Revisionsinstanz nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nach Abschluss des Mietvertrages zunächst viele Jahre nur ein Optikgeschäft
betrieben. Erst nach der Übernahme der HNO-Praxis
durch die Streithelferin hat die Klägerin ihr Geschäft um
eine Akustikabteilung erweitert. Die wirtschaftliche
Grundlage ihres Betriebs war bis dahin nicht von der
Möglichkeit des Verkaufs von Hörgeräten geprägt. Durch
die Erweiterung ihres Geschäfts im Jahr 2006 hat die Klägerin sich nur die Möglichkeit geschaffen, durch eine Vergrößerung ihres Leistungsangebots ihre Ertragslage zu
verbessern, indem sie den Vorteil nutzt, dass in dem Ärztehaus ein HNO-Arzt praktiziert. Da jedoch jeder Patient
frei darüber entscheiden kann, wo er sich ein verordnetes
Hörgerät anfertigen lässt, hat die Klägerin durch die Eröffnung der Akustikabteilung nur die Chance erworben,
dass sie Patienten der HNO-Praxis als Kunden gewinnt.
Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass ohne
eine Ausdehnung der Konkurrenzschutzklausel auf die Tätigkeiten der Streithelferin im Rahmen des "verkürzten
Versorgungswegs" der von den Mietvertragsparteien intendierte Schutz der Klägerin wesentlich beeinträchtigt
und der Regelungsplan der Parteien unvollständig wäre.
[33] d) Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu
berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits im Rahmen des vertragsimmanenten Konkurrenzschutzes ein Vermieter nicht gehalten ist,
dem Mieter jeden fühlbaren oder unliebsamen Wettbewerb fernzuhalten. Vielmehr ist nach den Umständen des
Allgemeines Vertriebsrecht
einzelnen Falles abzuwägen, inwieweit nach Treu und
Glauben unter Berücksichtigung der Belange der Parteien
die Fernhaltung von Konkurrenz geboten ist (vgl. BGHZ
70, 79 = NJW 1978, 585, 586). Diese Wertung ist auch bei
der Auslegung einer vertraglich vereinbarten Konkurrenzschutzklausel zu berücksichtigen.
[34] 3. Nach all dem ergibt sich durch die Abgabe von
Hörgeräten im "verkürzten Versorgungsweg" durch die
Streithelferin kein Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel aus § 14 des Mietvertrages. Die Frage, ob ein Verstoß gegen eine Konkurrenzschutzklausel den Mieter zur
Minderung der Miete berechtigt, kann dahinstehen.
2
Mietvertragliche Gewährung von
Konkurrenzschutz für Betreiber eines
Fitnessstudios
BGB § 535; ZPO § 940
1. Die mietvertragliche Gewährung von Konkurrenzschutz für den Betreiber eines Fitnessstudios, in welchem auch medizinisch-therapeutische Behandlung
angeboten wird, schließt auch die Ansiedelung eines
Fitnessstudios, das keinen besonderen medizinischen
oder therapeutischen Ansatz hat und sich vorrangig an
jugendliches Publikum richtet, aus. Maßgebend ist
nicht allein die konkrete Ausgestaltung des Betriebes
des anderen Mieters, sondern der in dem anderen
Mietvertrag vereinbarte Mietzweck. (amtlicher Leitsatz)
2. Aus der Verletzung der Konkurrenzschutzklauses
durch Abschluss eines Mietvertrages resultiert die
Pflicht des Vermieters, im Rahmen des ihm rechtlich
und tatsächlich Möglichen auf den Mieter einzuwirken, in den Mieträumen den Betrieb eines Hauptgewerbes "Fitnessstudio" zu unterlassen, und dies zu unterbinden. (amtlicher Leitsatz)
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 27.01.2012 – 2 U
299/11
Gründe:
I.
Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus
einer mietvertraglichen Konkurrenzschutzklausel geltend.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und die
Sachverhaltsdarstellung in dem Beschluss des Senats vom
12.1.2012 Bezug genommen.
Das Landgericht hat dem Beklagten durch Urteil vom
16.12.2011 auf den Hilfsantrag der Klägerin hin aufgegeben, durch geeignete Maßnahmen auf den Gewerbemieter
A einzuwirken, dass in den Gewerberäumen …Straße …
und … in Stadt1 der Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio unterbunden werde. Zur Begründung hat es im
wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe aus dem zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrag und der darin
enthaltenen Konkurrenzschutzklausel einen Anspruch darauf, dass der Beklagte alles unternehme, um die Aufnahme des Geschäftsbetriebes der A zu unterbinden. Eine
Konkurrenzsituation zwischen den Unternehmen bestehe,
Allgemeines Vertriebsrecht
Entscheidungen
da beide Studios Möglichkeiten zu körperlicher Betätigung mit dem Ziel der Fitness, Gesundheit, Gesundheitsvorsorge usw. anböten. Trotz wirksamem Abschluss des
Mietvertrages sei es denkbar, dass der Beklagte auf die
Mieterin einwirken könne, um die weitere Umsetzung der
Konkurrenzsituation zu verhindern. Da die Mieterin den
Betrieb des Fitnessstudios noch nicht aufgenommen habe
und noch Umbaumaßnahmen stattfänden, erscheine eine
einvernehmliche Lösung mit ihr noch nicht als völlig ausgeschlossen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei nicht
zu vermeiden, da ansonsten nicht mehr so leicht
revidierbare Tatsachen geschaffen würden. Die Geltendmachung des Anspruchs sei auch nicht verfristet, da die
Klägerin nicht zwangsläufig davon habe ausgehen müssen, der Beklagte werde sich auf jeden Fall wie angekündigt vertragsbrüchig verhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils
des Landgerichts verwiesen.
Der Beklagte hat die Betreiberin des Fitnessstudios mit
Anwaltsschreiben vom 17.1.2012 (Blatt 191 ff. der Akte)
aufgefordert, Vertragsverhandlungen zur Anpassung des
Mietvertrages aufzunehmen mit dem Ziel, dass in dem
Mietobjekt kein Geschäftsbetrieb mit dem Betriebszweck
Fitnessstudio ausgeübt wird, und ihr die Ausübung dieses
Betriebs untersagt. Ferner hat er den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten und um Mitteilung möglicher
Bedingungen hierzu, insbesondere der Höhe einer zu leistenden Abstandszahlung. Die Mieterin hat dies mit
Schreiben vom 19.1.2012 (Blatt 193 ff. der Akte) abgelehnt. Daraufhin hat der Beklagte ihr gegenüber mit Anwaltsschreiben vom 20.1.2012 (Blatt 196 der Akte) erklärt, von dem Mietvertrag vom 2.6.2011 zurückzutreten.
Die Mieterin hat dies gemäß Schreiben vom 24.1.2012
abgelehnt (Blatt 205 der Akte).
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung. Er ist der Ansicht, die Entscheidung berücksichtige seine Interessen nicht ausreichend. Durch sie
erfolge eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Ein Verfügungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Die –
angebliche – Konkurrenzsituation sei nämlich mit der bereits erfolgten Geschäftsaufnahme schon geschaffen gewesen. Er habe keine Möglichkeit mehr gehabt, auf die
Mieterin einzuwirken. Ein etwaiger Verfügungsanspruch
sei verwirkt, da die Klägerin, obwohl sie über seine konkrete Vermietungsabsicht informiert gewesen sei, auch
nach Ablauf der von ihr gesetzten Fristen ein einstweiliges
Verfügungsverfahren nicht eingeleitet habe. Die Überlassung der Mieträume und das Invollzugsetzen des Mietverhältnisses seien erst im Oktober 2011 erfolgt. Es bestehe
aber bereits kein Verfügungsanspruch. Die erlassene
einstweilige Verfügung sei auf eine unmögliche Leistung
gerichtet, da die Mieterin durch ihren Geschäftsführer,
Herrn B, bereits mitgeteilt habe, eine Auflösung des Mietverhältnisses komme nicht in Betracht, zumal sie einem
Franchisegeber vertraglich verpflichtet sei. Hierauf könne
er – der Beklagte – sich auch berufen. Das Landgericht
habe den entsprechenden Tatsachenvortrag nicht ausreichend berücksichtigt. Rechtliche Möglichkeiten, die eine
vorzeitige Beendigung des mindestens bis zum
30.10.2021 andauernden Mietverhältnisses erlaubten, bestünden nicht. Er ist ferner der Ansicht, dem Verfügungsantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Regelungsverfügung keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe.
Im Übrigen müsse der Klägerin jedenfalls ein Teil der
Kosten auferlegt werde, da sie mit ihrem Hauptantrag un-
ZVertriebsR 4/2012
247
terlegen sei. Ergänzend bezieht der Beklagte sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 20.12.2011, 20.1.
und 25.1.2012 (Blatt 120 ff., 181 ff., 200 f., 204 der Akte)
verwiesen.
Die Klägerin beruft sich auf die Begründung des Landgerichts sowie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie wiederholt ihre Behauptung, der Beklagte habe vor Abschluss
des weiteren Mietvertrages ausdrücklich ihre Zustimmung
hierzu einholen wollen. Sie wiederholt ihre Ansicht, ihr
sei nicht zuzumuten, auf die Geltendmachung von Sekundäransprüchen beschränkt zu sein. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 6. 1. und
9.1.2012 (Blatt 169 ff., 151 f. der Akte) Bezug genommen.
Die Klägerin hat eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers C vom 28.11.2011, 6.1. und 9.1.2012 (Blatt
14, 175 f., 153 der Akte) vorgelegt. Der Beklagte hat eigene eidesstattlicher Versicherungen vom 6., 8.12.2011
und 21.1.2012 (Blatt 62, 80, 205 der Akte) vorgelegt.
II.
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien hat das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91 a Abs. 1
ZPO). Hiernach waren die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, da dieser in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre.
Maßgebend für die Entscheidung ist, wie der Rechtsstreit
zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, welches den
Rechtsstreit erledigte, zu entscheiden gewesen wäre. Erledigendes Ereignis waren die Bemühungen des Beklagten,
mit den Anwaltsschreiben vom 17. und 20.1.2012 eine
vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses mit der A zu
erreichen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden (§§ 511,
517, 519 f. ZPO). Sie ist jedoch nicht begründet mit der
Maßgabe, dass die Hauptsache erledigt ist.
Die Verfügungsklage war zulässig und begründet. Der
Beklagte war der Klägerin gegenüber verpflichtet, durch
geeignete Maßnahmen auf die Gewerbemieterin A einzuwirken, dass in den an diese vermieteten Gewerberäumen
... Straße … und … in Stadt1 der Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio unterbunden wird.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 11 des Mietvertrages einen Anspruch auf Beseitigung des aus dem
Abschluss des Mietvertrages vom 2.6.2011 mit der A resultierenden Konkurrenzverhältnisses. Der Beklagte hat
mit dem Abschluss des Mietvertrages mit dieser seine
Pflicht, der Klägerin im Gewerbepark X Konkurrenzschutz zu gewährleisten, verletzt. Die Gewährleistung von
Konkurrenzschutz schließt es aus, in dem geschätzten Bereich Gewerbepark X Gewerberäume zu dem Zweck des
Betriebs eines Fitnessstudios zu vermieten. Dies ergibt
sich aus einer Auslegung der zwischen den Parteien vereinbarten Vertragsklausel unter Berücksichtigung der dem
Beklagten ohne weiteres erkennbaren Interessenlage auf
Seiten der Klägerin und der Gebote von Treu und Glauben
(§§ 133, 157 BGB). Für den Beklagten war erkennbar,
248
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
dass die Klägerin mit dem Abschluss der Konkurrenzschutzklausel jedes mögliche Konkurrenzverhältnis zu einem anderen Anbieter der Leistungen eines Fitnessstudios
vermeiden wollte, welches geeignet war, ihren eigenen
Geschäftsbetrieb zu beeinträchtigen. Zwischen der Klägerin und der anderen Mieterin besteht ein Konkurrenzverhältnis in diesem Sinne, da beide ein Fitnessstudio betreiben. Die von der Klägerin zusätzlich angebotene
medizinisch-therapeutische Behandlung ändert hieran
nichts. Dieser Umstand hat insbesondere nicht zur Folge,
dass die Zusage der Gewährleistung von Konkurrenzschutz dahingehend einschränkend auszulegen wäre, dass
eine Vermietung nur an den Betreiber eines Fitnessstudios
untersagt wäre, der in gleicher Weise medizinischtherapeutische Behandlungen anbietet. Auch die Ansiedelung eines Fitnessstudios, das keinen besonderen medizinischen oder therapeutischen Ansatz hat und sich möglicherweise vorrangig an jugendliches Publikum richtet,
begründet eine Konkurrenzsituation. Der Betrieb der Klägerin wird ersichtlich nicht nur von behandlungsbedürftigen Personen aufgesucht. Vielmehr dient die körperliche
Ertüchtigung in einem Fitnessstudio stets auch der Vorbeugung vor medizinischen Problemen. Die Übergänge
von Vorbeugung zu Behandlung sind fließend. Und gerade
in einem aufgrund höherer Qualität gehobenen Preissegment besteht stets die Gefahr, dass Kunden an einen nahegelegenen billigeren Anbieter abwandern. Hinzu kommt,
dass ein Mitbewerber gerade in den Kunden der Klägerin,
die bereits den Gewerbepark X aufsuchen, potentielle
Kunden findet und damit zusätzlich von dem bereits bestehenden Betrieb der Klägerin profitiert.
Dies alles war dem Beklagten auch erkennbar und ist
demzufolge Inhalt der zwischen den Parteien vereinbarten
Konkurrenzschutzklausel geworden. Maßgebend für das
Bestehen einer aufgrund der Konkurrenzschutzklausel zu
vermeidenden Konkurrenzsituation ist aber bereits, dass
der Beklagte die Räume durch den Mietvertrag vom
2.6.2011 mit der anderen Mieterin gemäß § 1 Ziffer 3.
dieses Mietvertrages allgemein zum Betrieb eines A Fitnessstudios vermietet hat. Damit ist der Mieterin die Möglichkeit eröffnet, ihr Trainingsangebot gleichfalls medizinisch-therapeutisch auszurichten. Allein diese Möglichkeit
reicht für die Annahme eines Konkurrenzverhältnisses im
Sinne von § 11 des Mietvertrages der Parteien aus. Auf die
gegenwärtige konkrete Ausgestaltung des Trainingsbetriebes kommt es daneben nicht mehr an.
Aus der Verletzung der Konkurrenzschutzklausel resultierte die Pflicht des Beklagten, auf die Mieterin einzuwirken, in den Mieträumen den Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio zu unterlassen und dies zu
unterbinden. Diese Pflicht hat der Beklagte erst mit den
nunmehr vorgelegten Schreiben vom 17. und 20.1.2012
erfüllt. Erst hiermit hat er alles ihm tatsächlich Mögliche
getan, um auf die Mieterin einzuwirken. Rechtliche Möglichkeiten, sich von dem Mietvertrag zu lösen, bestehen
nicht; vielmehr wurde dieser Mietvertrag wirksam abgeschlossen und unterliegt auch keinen Anfechtungsmöglichkeiten oder dem Erfordernis einer Abänderung wegen
Fehlens der Geschäftsgrundlage oder ähnlichem. Denn
beide Parteien dieses Mietvertrages wussten von dem Betrieb der Klägerin. Ob die andere Mieterin auch von der
Konkurrenzschutzklausel in dem Mietvertrag zwischen
den Parteien wusste, ist unerheblich, da dieser Umstand
jedenfalls weder Inhalt noch Geschäftsgrundlage für den
Mietvertrag vom 2.6.2011 geworden ist. Zuvor war der
Allgemeines Vertriebsrecht
Beklagte allerdings zu einer entsprechenden Einwirkung
auf die Mieterin verpflichtet, da jedenfalls davon auszugehen war, ein entsprechend hohes – wenn auch noch realistisches – Abfindungsangebot könne die Mieterin möglicherweise zu einer Zustimmung zur Vertragsauflösung
veranlassen.
Der Umstand, dass eine Befolgung der einstweiligen Verfügung durch den Beklagten für den Zeitraum bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache eine Vorwegnahme der
Hauptsache zur Folge hätte, steht der Zulässigkeit der Anordnung nicht entgegen, da dies für einen effektiven
Rechtsschutz erforderlich war. Der Klägerin war es nicht
zuzumuten, eine Verfestigung der Konkurrenzsituation
und der Marktmacht der Konkurrentin durch Zeitablauf
hinzunehmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich dem Beklagten geradezu aufdrängen musste, dass er mit dem Abschluss des weiteren Mietverhältnisses zum Betrieb eines Fitnessstudios die mit der
Klägerin vereinbarte Konkurrenzschutzklausel verletzt.
Dies gilt ungeachtet einer etwaigen anwaltlichen Beratung. Diese vermag einem Vertragspartner in der Situation
des Beklagten zwar eine gewisse Rückversicherung zu
ermöglichen, die gegebenenfalls seine Gutgläubigkeit bei
einem Vertragsverstoß begründen kann. Die von dem Beklagten mit der Klägerin vereinbarte Konkurrenzschutzklausel ist aber derartig eindeutig, dass eine etwaige anwaltliche Beratung den Beklagten nicht entlastet. Dem
geschäftserfahrenen Beklagten war die gegenteilige Ansicht der Klägerin, welche diese ebenfalls aufgrund anwaltlicher Beratung gewonnen hatte, bekannt. Ihm war
daher bereits erkennbar, dass der Inhalt der Klausel seine
Auffassung jedenfalls nicht ohne weiteres stützte. Eine
Konkurrenzschutzklausel ist eine im geschäftlichen Verkehr völlig übliche Klausel. Der Gegenstand des Betriebs
eines Fitnessstudios ist auch Laien völlig bekannt. Selbst
ohne ausdrückliche Vereinbarung besteht eine vertragsimmanente Verpflichtung des Vermieters von Gewerbemietraum, kein Konkurrenzunternehmen in unmittelbarer
Nähe des Mietobjekts zuzulassen (vgl. RGZ 119, 353 ff.;
BGH, ZMR 1960, 139; 1961, 226; 1968, 248; NJW 1978,
585; 1979, 1404; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1989,
1422; OLG Karlsruhe, ZMR 1990, 215; OLG Köln, NJWRR 1998, 1017; KG, MDR 1999, 1375; ZMR 2008, 616;
Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 535, Rdnr. 27
m. w. N.). Für den Beklagten drängte sich unter Berücksichtigung dieser Umstände geradezu auf, dass eine Vermietung an die A unzulässig war. Die dennoch und trotz
Widerspruch der Klägerin vorgenommene Vermietung
stellte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der
Klägerin dar (§ 826 BGB).
Die Entscheidung war auch eilbedürftig. Dem steht nicht
entgegen, dass die Klägerin den Beklagten bereits durch
Anwaltsschriftsätze vom 25.5. und 23.6.2011 (Blatt 86 ff.
der Akte) unter Fristsetzung aufgefordert hatte, den Konkurrenzschutz zu wahren, und sie trotz Fristablauf bis zum
Eingang der Antragsschrift am 29.11.2011 ein Eilverfahren nicht eingeleitet hatte. Denn aus ihrer Sicht war es
trotz Unterlassens einer entsprechenden Äußerung des
Beklagten nicht hinreichend sicher, dass er tatsächlich einen Mietvertrag mit einem Konkurrenzunternehmen abschließen und dadurch aus eigenem Gewinnstreben sehenden Auges vollendete Tatsachen schaffen würde. Dass
er der Klägerin dies mitgeteilt hätte, wie er behauptet,
steht auch auf der Grundlage der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht fest. Vielmehr hat er
Handelsvertreterrecht
Entscheidungen
in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 8.12.2011 erklärt, er habe dem Geschäftsführer der Klägerin in dem
Gespräch vor Abschluss des Mietvertrages mitgeteilt, er
werde dessen Einwendungen nochmals prüfen. Dem widerspricht der Inhalt seiner nunmehr vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 21.1.2012, nach der er der
Klägerin klipp und klar mitgeteilt habe, er werde vermieten.
3
Prämie für das Erreichen bestimmter
Vertriebszahlen
BGB §§ 133, 151, 275, 611
Einzelfallentscheidung zum Erhalt einer Uhr als Sachprämie (amtlicher Leitsatz)
LAG Hamm, Urteil vom 16. Januar 2012 – 7 Sa 976/11
Die Beklagte vertrieb Getränke der Marke "Effect Energie". Sie beschäftigte den Kläger als Gebietsverkaufsleiter
für den Bereich Tankstellen. Zu den Aufgaben des Klägers
gehörte es u.a., Kunden zu betreuen, Akquisition zu betreiben, die Distribution aufzubauen, zu pflegen und auszuweiten und die Präsenz der Produkte aus dem Sortiment
der Beklagten in Tankstellen zu erhöhen. Im Jahre 2007
wurde bei der Beklagten ein sog. Rolex-Contest durchgeführt. Für das Erreichen von bestimmten Vertriebszahlen
wurde dem Gewinner eine Rolex (Modell Submariner)
zugesagt. Dafür mussten 3.100 Distributionspunkte erreicht sein. Unstreitig war, dass zum Erwerb eines Distributionspunktes genügte, wenn, ein Tankstellenbetreiber
das Produkt "Effect Energie" in sein Warensortiment aufnimmt, es mit einem Preis auszeichnet und einer verkaufsfähigen Platzierung im Verkaufsregal zuführte. Am Ende
des Wettbewerbs waren von dem Kläger und seinem Team
die notwendigen 3.100 Distributionspunkte notiert.
Im Nachgang entstand zwischen den Teammitgliedern und
der Beklagten Streit darüber, ob die Distributionspunkte
zu Recht erlangt worden waren. Der Beklagte vertrat die
Auffassung, die Umsatzerlöse hätten um ein Vielfaches
höher sein müssen, wenn die eingetragenen Distributionspunkte zu Recht erzielt worden wären. Das LArbG
Hamm hat einen Arbeitgeber zur Übereignung einer Rolex-Uhr an seinen Vertriebsmitarbeiter verurteilt. Nach
dem LAG Hamm kann die Beklagte nicht einwenden,
dass der Kläger und die sonstigen Mitarbeiter des Tankstellenteams die Distributionspunkte zu Unrecht notiert
hätten. Die Beklagte hätte dies darlegen und beweisen
müssen, was ihr jedoch nicht gelungen ist. Der Einwand,
die Umsatzerlöse hätten um ein Vielfaches höher sein
müssen, wenn die eingetragenen Distributionspunkte zu
Recht erzielt worden wären, reiche dafür nicht. Der
Schluss aus nicht eingetretenen Umsatzerwartungen darauf, dass sich die Mitarbeiter der Beklagten zu Unrecht
Distributionspunkte notiert hatten, sei ohne konkretisierende Angaben nicht aussagekräftig. Das Vorbringen sei
aber auch unerheblich, da allein fehlende Umsätze nichts
im Hinblick auf die Ordnungsgemäßheit des Distributionsverhaltens der Mitglieder des Tankstellenteams besagen. Sie können ebenso auf einer Fehleinschätzung des
Marktes oder auf sonstige Umstände zurückzuführen sein.
(mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Ber
lin)
ZVertriebsR 4/2012
249
Handelsvertreterrecht
Handelsvertreterrecht
Haftung einer Vertriebsorganisation für strafbares
Verhalten ihres Handelsvertreters
BGB § 241 Abs. 2, § 278 Satz 1, § 311 Abs. 2 Nr. 3
Zur Haftung einer Vertriebsorganisation für das strafbare Verhalten ihres Handelsvertreters, der die Fondsanlage eines Kunden nach Beendigung der eigentlichen
Vermittlungsleistung aufgelöst und den hierbei erzielten Erlös veruntreut hat. (amtlicher Leitsatz)
BGH, Urteil vom 15. März 2012 – III ZR 148/11
Anmerkung von Dr. Nicolai Behr, Rechtsanwalt und
Dr. Thomas Grützner, Rechtsanwalt (München):
I. Sachverhalt
Ein Handelsvertreter der Deutschen Vermögensberatung
AG (DVAG) hatte dem Ehemann der Klägerin im Jahr
2000 empfohlen, an die Fondsverwaltungsgesellschaft
Deutscher Investment-Trust (DIT) einen Kontoeröffnungsantrag und einen Kaufantrag zum Erwerb von Anteilen an Aktienfonds zu richten. In der Folgezeit leistete
dieser monatliche Zahlungen an den DIT. In dem Kontoeröffnungsantrag hatte der Ehemann der Klägerin zugleich
den DIT ermächtigt, sowohl der Gesellschaft, die diesen
Auftrag vermittelte – der DVAG –, als auch dem Handelsvertreter, diverse Daten über ihn zu übermitteln. Diese
Daten sollten Beratungszwecken dienen. Der Handelsvertreter löste im Jahr 2003 die Fondsanlage des Ehemanns
der Klägerin durch gefälschte Verkaufsaufträge auf und
ließ sich den Verkaufswert auf sein Privatkonto überweisen. Die Klägerin nahm die DVAG aus abgetretenem
Recht auf Schadensersatz wegen der Auflösung der
Fondsanlage ihres Ehemannes und Veruntreuung des erzielten Erlöses durch den früheren Handelsvertreter der
DVAG in Anspruch.
II. Die Kernaussagen der Entscheidung
Das Landgericht Frankfurt a.M. hatte die Zahlungsklage
abgewiesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. gab
der Klage Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche
der Klägerin gegen den DIT statt. Die Revision blieb ohne
Erfolg. Der Bundesgerichtshof bestätigte den Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß den §§ 280 Abs. 1, 241
Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
a) Für den Bereich der Vermögensberater und –vermittler
ist relevant, dass die Ermächtigung des DIT, Daten über
den Ehemann der Klägerin an die DVAG und den Handelsvertreter Daten zu übermitteln und deren Nutzung
durch die beiden ein Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2
Nr. 3 BGB mit Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB begründen.
b) Der Kern dieser Entscheidung liegt jedoch bei der Zurechnung des strafbaren Handelns des ehemaligen Handelsvertreters gegenüber der DVAG. Der Bundesgerichtshof geht von einer weiten Zurechnung aus. Eine
Einstandspflicht des Geschäftsherrn (hier der DVAG) sei
nur dann zu verneinen, wenn die Verfehlung des Gehilfen
(hier des Handelsvertreters) sich von dem ihm übertragenen Aufgabenbereich so weit entfernt, dass aus der Sicht
eines Außenstehenden ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln des Gehilfen und dem allgemeinen
Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben nicht mehr zu
250
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
erkennen sei. Dies sei der Fall, wenn der Gehilfe rein zufällig mit den Rechtsgütern des Geschädigten in Berührung komme, so dass sich ihm lediglich die Gelegenheit
biete, wie jeder andere deliktisch Handelnde eine von den
ihm übertragenen Aufgaben völlig losgelöste unerlaubte
Handlung zu begehen (siehe auch BGH NJW-RR 1989,
723, 725). Der Bundesgerichtshof bestätigt hier seine
Rechtsprechung, wonach eine Zurechnung schuldhaften
Verhaltens von Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB
nicht allein deshalb ausscheidet, weil sich der Erfüllungsgehilfe strafbar verhalten hat (vgl. BGH NJW 1991, 3208,
3209 f.). Voraussetzung für eine Zurechnung an den Geschäftsherrn sei lediglich ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des
Gehilfen und den Aufgaben, die ihm der Geschäftsherr
zugewiesen hat. Besteht ein derartiger unmittelbarer sachlicher Zusammenhang, hafte der Geschäftsherr auch für
strafbares Verhalten seines Gehilfen. Das gelte selbst
dann, wenn dieser seinen Weisungen oder Interessen vorsätzlich zuwiderhandelt, um eigene Vorteile zu erzielen
(vgl. BGH NJW 1994, 3344, 3345; 1997, 1360, 1361;
1997, 2236, 2237; 2001, 3190, 3191; NJW-RR 2005, 756,
757). Für den Bundesgerichtshof kommt es somit darauf
an, dass der Gehilfe nicht nur „rein zufällig“, sondern „bestimmungsgemäß“ mit den Rechtsgütern des Geschädigten in Kontakt kommt.
III. Folgen strafbaren Verhaltens von Gehilfen für Unternehmen und Geschäftsleitung
Die Verantwortlichkeit von Unternehmen und deren Geschäftsleitung für Verfehlungen Dritter, derer sich Unternehmen zur Unterstützung ihres Geschäfts bedienen, steht
in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger im Mittelpunkt von Rechtsprechung und Medien. Aktuelle Studien
(vgl. Global Fraud Survey 2012, Ernst & Young) zeigen
aber, dass sich viele Unternehmen und deren Geschäftsleitung dessen weiterhin nicht bewusst sind. Es fehlt an der
Sensibilisierung dafür, dass sie auch Verantwortung für
das Handeln dieser externen Personen tragen. Die Notwendigkeit, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden,
zeigt erneut die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Sie
rundet die ohnehin bestehenden strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Risiken von Unternehmen in
Fällen der Einschaltung Dritter, um eine weitere Komponente ab, die zivilrechtliche Einstandspflicht.
Wichtig an der dargestellten Entscheidung ist, dass der
Bundesgerichtshof die Zurechnung strafbaren Verhaltens
ausdrücklich nicht auf das schuldhafte Verhalten eines
Handelsvertreters beschränkt. Er hält vielmehr das Verhalten jedes Gehilfen für zurechenbar, wenn der Gehilfe nur
bestimmungsgemäß, d.h. mit zielgerichtetem Willen des
Geschäftsherrn mit einem Dritten und dessen Rechtsgütern in geschäftlichen Kontakt kommt. Zurechenbar kann
somit das Verhalten jeder beliebigen Person sein, derer
sich ein Unternehmen als externem Dienstleister bedient.
Welche Fallgruppen können hiervon umfasst sein? Eindeutig sind die Fälle, in denen ein Unternehmen gezielt
Dritte etwa zur Industrie- oder Wirtschaftsspionage einsetzt. Kritischer sind diejenigen Fälle, bei denen das Fehlverhalten des Gehilfen – wie in dem entschiedenen Fall –
dem Geschäftsherrn zunächst verborgen bleibt und auch
nicht gewollt ist. Zurechenbar ist etwa das Verhalten von
Handelsvertretern, Beratern und sonstigen Vertriebsmittlern, wenn diese eigennützig oder auch uneigennützig zu
unlauteren Geschäftspraktiken greifen, um Geschäft für
den Geschäftsherrn zu sichern, auszubauen oder zu erhal-
Handelsvertreterrecht
ten. Hierunter fallen insbesondere alle Arten der Korruption, ob im privatwirtschaftlichen Bereich (§ 299 Abs. 2
StGB) oder gegenüber Amtsträgern (§§ 333, 334 StGB),
ob national oder international (§ 299 Abs. 3 StGB; § 334
StGB i.V.m. IntBestG und EUBestG).
Wie bereits angedeutet droht bei der Einschaltung von
Dritten aber nicht nur eine zivilrechtliche Inanspruchnahme. Die Einschaltung von Dritten kann auch strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsleitung und ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen für die Geschäftsleitung und das Unternehmen zur Folge haben.
So stellte der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs kürzlich (BB 2012, 150 mit Anm. Grützner) erneut klar, dass
sich ein Betriebsinhaber oder Vorgesetzter durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) strafbar macht, wenn er Straftaten
nachgeordneter Mitarbeiter nicht verhindert, die diese
nicht nur „bei Gelegenheit der Tätigkeit“, sondern „betriebsbezogen“ begehen. Die Betriebsbezogenheit der
Straftat nimmt der Bundesgerichtshof dabei – ganz ähnlich der Begründung der zivilrechtlichen Zurechnung –
an, wenn die Straftat einen inneren Zusammenhang mit
der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit
der Art des Betriebs aufweist (BGH BB 2012, 150, 151).
Es ist wohl davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof eine Unterlassungsstrafbarkeit des Betriebsinhabers/Vorgesetzten auch annehmen würde, wenn der Begehungstäter kein nachgeordneter Mitarbeiter, sondern ein
von dem Unternehmen eingeschalteter Dritter (wie z.B.
ein Handelsvertreter) wäre, der „bestimmungsgemäß“ für
das Unternehmen tätig wird und hierbei eine „betriebsbezogene“ Straftat begeht.
Nicht minder bedrohlich sind die Bußgelder, die das
Ordnungswidrigkeitenrecht der Geschäftsleitung und ihrem Unternehmen androhen (§§ 30, 130 OWiG). Nach
überwiegend vertretener Auffassung (vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1991, 275, 277; OLG Hamm, NStZ 1992,
498, 499; BayOblG, NStZ 1998, 575; König, Göhler
OWiG, 15. Auflage, 2009, § 130 Rn. 19; Bohnert, OWiG,
3. Auflage, 2010, § 130 Rn. 30) ist das strafbare Verhalten
von Gehilfen (also Dritten) deren Geschäftsherrn auch im
Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts zurechenbar. Eine Zurechnung soll hier erfolgen, wenn der Dritte „Betriebsaufgaben wahrnimmt“ (vgl. BayOblG NStZ 1998,
575), was im Kern gleichbedeutend ist, mit dem von dem
Bundesgerichtshof in der hier besprochenen Entscheidung
definierten „bestimmungsgemäßen In-Kontakt-Treten“.
Die Geschäftsleitung begeht hierbei eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, die eingeschalteten Dritten ordnungsgemäß zu beaufsichtigen
(§ 130 OWiG). Es droht ihr dann zudem eine zivilrechtliche persönliche Inanspruchnahme durch das Unternehmen
(z.B. über § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG). Den
Unternehmen selbst wird das Fehlverhalten Dritter im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts für gewöhnlich nur
über den „Transmissionsriemen“ (Többens, NStZ 1999, 1,
8; Helmrich, wistra 2010, 331, 332) des § 130 OWiG zugerechnet. Das Risiko einer Verbandsgeldbuße (§ 30
OWiG) besteht für Unternehmen in diesen Fällen für gewöhnlich erst dann, wenn sich Dritte bei der Wahrnehmung der betrieblichen Aufgaben strafbar verhalten haben
und es zudem die Geschäftsleitung pflichtwidrig unterließ,
diese Dritten ordnungsgemäß zu überwachen. In diesem
Fall droht dem Unternehmen aber eine der Höhe nach unbegrenzte Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 3 i.V.m. § 17
Abs. 4 OWiG).
Verbraucherschutzrecht
Entscheidungen
Die Vermeidung der zivil-, straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortung für das Fehlverhalten
Dritter, die das Unternehmen eingeschaltet hat, stellt Unternehmen und deren Geschäftsleitung vor erhebliche
Herausforderungen. Internationalen Regelwerken (wie
z.B. den Six Principles for Adequate Procedures des UK
Bribery Act 2010) lässt sich sogar die ausdrückliche Verpflichtung von Unternehmen zur Überprüfung bestimmter
von ihnen eingeschalteter Personen (wie z.B. Vertriebsmittler) entnehmen. Wollen Unternehmen das Risiko, das
von entsprechenden Personen ausgeht, minimieren, werden sie sich insbesondere im internationalen Rechtsverkehr in Zukunft die Personen, die sie zur Erhaltung oder
Förderung ihrer Geschäfte einsetzen, näher „ansehen“ und
diese enger überwachen müssen als bisher. Integritätsprüfungen dieser Geschäftspartner sind daher nicht ohne
Grund ein essentieller Baustein bei dem Aufbau, der Umsetzung und Weiterentwicklung einer an die Belange des
jeweiligen Unternehmens angepassten Compliance Organisation (vgl. Grützner/Leisch, DB 2012, 787, 794). Sie
minimieren das Haftungsrisiko, das von der Einschaltung
Dritter ausgeht.
Verbraucherschutzrecht
Verbraucherschutzrecht
1
Einräumung eines vertraglichen
Widerrufsrechtes durch nachträgliche
Widerrufsbelehrung
BGB § 355 Abs. 1, 2, § 305 Abs. 1
Zur Frage, ob die Erteilung einer – objektiv nicht erforderlichen – nachträglichen Widerrufsbelehrung als
Einräumung eines voraussetzungslosen vertraglichen
Widerrufsrechts verstanden werden kann.
BGH, Urteil vom 6. Dezember 2011 – XI ZR 401/10
Tatbestand:
[1] Die Parteien streiten um Rückforderungs- und Feststellungsansprüche im Hinblick auf ein Darlehen zur Finanzierung der mittelbaren Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds.
[2] Die Klägerin und ihr Ehemann wurden Ende
1997/Anfang 1998 von einem Vermittler geworben, sich
mit einer Anteilssumme von 120.000 DM zuzüglich 5%
Agio über einen Treuhänder an der V. GbR zu beteiligen.
Zur Finanzierung des Fondsbeitritts gewährte die Beklagte den Eheleuten mit Vertrag vom 30. Dezember 1997/26.
Januar 1998 ein Darlehen über einen Nennbetrag von
140.000 DM mit einer Zinsfestschreibung bis zum 30. Januar 2003. Dem Darlehensvertrag war eine von den Eheleuten gesondert unterzeichnete "Belehrung über gesetzliches Widerrufsrecht" beigefügt.
[3] Nachdem das Darlehen zwischenzeitlich bereits einmal prolongiert worden war, unterbreitete die Beklagte
den Eheleuten mit Schreiben vom 16. Januar 2008 unter
Hinweis auf die am 30. Januar 2008 auslaufende vertraglich vereinbarte Zinsbindungsfrist ein Angebot zur Prolongation des Darlehens ("Angebot 1 zur Prolongation"),
wobei sie alternativ den Abschluss einer zusätzlichen Zahlungsausfallversicherung anbot ("Angebot 2 zur Prolongation"). Dem Schreiben waren zwei Widerrufsbelehrungen
ZVertriebsR 4/2012
251
beigefügt, die als "Widerrufsbelehrung" bzw. als "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" bezeichnet waren und dieselbe Darlehensvertragsnummer enthielten.
Die "Widerrufsbelehrung" trug zusätzlich die Bezeichnung "Anlage zur Prolongation". Die "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" lautet auszugsweise wie
folgt:
"Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb eines
Monats ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B.
Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Der Lauf der Frist für
den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen
- eine Ausfertigung dieser Widerrufsbelehrung und
- die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag
oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des
Vertragsantrags
zur Verfügung gestellt wurde."
[4] In dem Anschreiben der Beklagten vom 16. Januar
2008 heißt es unter anderem:
"Unterzeichnen Sie bitte das von Ihnen gewählte Prolongationsangebot … sowie die angeheftete Widerrufsbelehrung an den jeweils hierfürvorgesehenen
Stellen und senden Sie es uns bis spätestens zum
15.02.2008 zurück.…
Losgelöst hiervon, erhalten Sie in der Anlage die
Widerrufsbelehrung zu Ihrer ursprünglichen Vertragserklärung, verbunden mit der Bitte, diese zur Kenntnis
zu nehmen und zu Ihren Akten zu nehmen.
Beabsichtigen Sie keines unserer Angebote anzunehmen, so ist das von Ihnen in Anspruch genommene
Darlehen zurückzubezahlen. Den unter der Position
"Darlehensstand per 30.01.2008" ausgewiesenen Betrag überweisen Sie bitte bis spätestens zum
30.01.2008 auf das oben genannte Darlehenskonto.…
In der Hoffnung auf eine weiterhin angenehme Geschäftsverbindung verbleiben wir…"
[5] Die Eheleute nahmen keines der beiden Prolongationsangebote an, sondern erklärten mit Anwaltsschreiben
vom 6. Februar 2008 gegenüber der Beklagten den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung.
[6] Mit ihrer aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht
ihres Ehemannes erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt
in der Hauptsache die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 37.707,28 € (48.846,86 € seit Vertragsabschluss
geleistete Zinsraten abzüglich 11.139,28 € erhaltene
Fondsausschüttungen) nebst Zinsen Zug um Zug gegen
Abtretung der Rechte an dem Fondsanteil beantragt, des
Weiteren die Feststellung, dass keine Rückzahlungsansprüche der Beklagten aus dem streitgegenständlichen
Darlehensvertrag bestehen und die Beklagte auch zum Ersatz des weiteren Vermögensschadens im Zusammenhang
mit Erwerb und Finanzierung des Gesellschaftsanteils
verpflichtet ist, sowie schließlich die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten in Bezug auf die Abtretung
der Rechte am Gesellschaftsanteil. Hilfsweise hat sie die
Neuberechnung der geleisteten Teilzahlungen mit einem
Zinssatz von 4% nebst Erstattung der überzahlten Zinsen
sowie die Feststellung begehrt, dass sie und ihr Ehemann
aus dem Darlehensvertrag anstelle der vertraglich vereinbarten Zinsen lediglich solche in Höhe von 4% schulden.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klageforderungen
fänden ihre Grundlage sowohl in dem Widerruf der Darlehensvertragserklärungen der Eheleute als auch in Schadensersatzansprüchen wegen einer arglistigen Täuschung
252
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
durch den Anlageberater, die der Beklagten, die mit den
Fondsinitiatoren institutionalisiert zusammengearbeitet
habe, nach den Grundsätzen des verbundenen Geschäfts
zuzurechnen sei.
[7]Das Landgericht hat der Klage nach den zuletzt gestellten Hauptanträgen – mit Ausnahme des auf Feststellung
der Ersatzpflicht hinsichtlich des weiteren Vermögensschadens gerichteten Antrags, den es für unzulässig erachtet hat – stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung
der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision
erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung.
Aus den Gründen:
I.
[9] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
[10] Die Eheleute hätten durch die Widerrufserklärung
vom 6. Februar 2008 wirksam von einem vertraglichen
Widerrufsrecht Gebrauch gemacht. Die Beklagte habe ihnen durch die Übersendung der Widerrufsbelehrung mit
Schreiben vom 16. Januar 2008 die Vereinbarung eines
Widerrufsrechts angeboten. In der Ausübung des Widerrufs liege die Annahmeerklärung.
[11] Das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar
2008 enthalte, abgesehen von dem Hinweis, dass die
Übersendung der Belehrung "losgelöst" vom Prolongationsangebot erfolge, keinerlei Erläuterung in Bezug auf die
"Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung". Die
Widerrufsbelehrung sei als empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen, wie sie die Eheleute als Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte hätten verstehen müssen.
Entscheidend sei dabei nicht der Wille des Erklärenden,
sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde
objektive Erklärungswert seines Verhaltens. Weder in der
"Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" noch im
Begleitschreiben werde die Widerrufsbelehrung als
"Nachbelehrung" bezeichnet oder würden Umstände bzw.
Bedingungen benannt, bei deren Vorliegen die Widerrufsbelehrung Gültigkeit haben solle. Die Beklagte habe auch
nicht etwa ausgeführt, dass die Übersendung der neuerlichen Belehrung aufgrund bei ihr entstandener Zweifel an
der Wirksamkeit der Erstbelehrung erfolge. Davon, dass
die neue Belehrung "vorsorglich" oder "fürsorglich" erfolge, sei keine Rede. Die Widerrufsbelehrung sei vielmehr
einschränkungslos dahin formuliert, dass die Eheleute ihre
Vertragserklärung ohne Angabe von Gründen widerrufen
könnten. Insgesamt verhalte die Belehrung sich allein zu
den Modalitäten der Ausübung des Widerrufsrechts ohne
die Widerruflichkeit als solche einzuschränken.
[12] Weder sei erkennbar, dass die Eheleute tatsächlich
gewusst hätten, dass allgemein oder bei der Beklagten
rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der ursprünglich verwendeten Widerrufsbelehrung aufgekommen waren, noch sei ersichtlich, dass die Beklagte Anlass gehabt
habe, bei der Klägerin und ihrem Ehemann eine solche
Kenntnis anzunehmen oder die Beklagte überhaupt von
einer derartigen Kenntnis ausgegangen sei. Die Eheleute
hätten keinen Anlass zu der Annahme gehabt, die Widerrufsbelehrung solle nur vorsorglich erfolgen, während der
Beklagten eine entsprechende Klarstellung ohne Weiteres
möglich gewesen sei. Nur im Falle einer solchen – hier
Verbraucherschutzrecht
jedoch fehlenden –Klarstellung, dass die neue Widerrufsbelehrung lediglich gelten solle, sofern zum einen die alte
Belehrung unwirksam sei und zum anderen bei Abschluss
des Darlehensvertrages eine kausale Haustürsituation vorgelegen habe, könne eine Unmissverständlichkeit der Erklärung aus der Sicht eines unbefangenen Verbrauchers
vorliegen, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung sie
fordere. Daher hätten die Eheleute davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte ihnen ein von weiteren Voraussetzungen unabhängiges Widerrufsrecht habe einräumen
wollen.
[13] Die Beklagte könne auch nicht damit gehört werden,
die Klägerin und ihr Ehemann hätten nicht annehmen dürfen, ihnen solle ein Verzicht der Bank auf deren darlehensvertragliche Rechte angeboten werden. Weder die
Widerrufsbelehrung noch das Begleitschreiben enthielten
Hinweise darauf, dass der Sache nach ein solches Angebot
unterbreitet werden solle. Vielmehr hätten die Eheleute
nach der Belehrung über die Widerrufsfolgen davon ausgehen können, dass sie innerhalb von 30 Tagen empfangene Leistungen zurück zu gewähren und Zinsen als gezogene Nutzungen herauszugeben hätten. Für den Fall
eines verbundenen Geschäfts, zu dessen Vorliegen die Belehrung keine Angaben enthalte, werde allein darauf hingewiesen, dass die Klägerin auch an den anderen Vertrag
nicht gebunden sei.
II.
[14] Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die Klägerin und ihr Ehemann können den am 6.
Februar 2008 erklärten Widerruf ihrer auf den Abschluss
des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen
nicht mit Erfolg auf ein vertragliches Widerrufsrecht stützen. Ein solches Recht der Eheleute haben die Parteien
nicht vereinbart. Der Abschluss einer derartigen Vereinbarung ist den Eheleuten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts insbesondere nicht mit dem Schreiben der
Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" angeboten worden.
[15] 1. Allerdings kann nach herrschender Auffassung in
Rechtsprechung und Schrifttum ein Widerrufsrecht nicht
nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern grundsätzlich
auch im Vereinbarungswege festgelegt werden. Danach
können Vertragspartner – als Ausprägung der Vertragsfreiheit – ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbaren und
für die nähere Ausgestaltung sowie die Rechtsfolgen auf
die §§ 355, 357 BGB verweisen (vgl. Staudinger/Kaiser,
BGB, Neubearb. 2004, § 355 Rn. 11; Palandt/Grüneberg,
BGB, 70. Aufl., Vor § 355 Rn. 5; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 4; AnwKBGB/Ring, § 355 Rn. 26; Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl. Rn. 487; zur vertraglichen Vereinbarung
einer Verlängerung der Widerrufsfrist vgl. Senatsurteil
vom 13. Januar 2009 – XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn.
16 f.).
[16] Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 15. Oktober 1980 (VIII ZR 192/79, WM 1980, 1386, 1387, insoweit in BGHZ 78, 248 nicht abgedruckt) offen gelassen,
ob die bei unklarer Rechtslage in einen (Bierlieferungs)Vertrag aufgenommene "Belehrung über das Widerrufsrecht"
als
Vereinbarung
eines
vertraglichen
Widerrufsrechts auszulegen ist. In einem weiteren Urteil
vom 30. Juni 1982 (VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) hat
Verbraucherschutzrecht
Entscheidungen
er angenommen, aus dem in einem auf Bargeschäfte zugeschnittenen Formularvertrag enthaltenen Hinweis auf die
Widerrufsmöglichkeit nach dem Abzahlungsgesetz ergebe
sich für den Kunden ein vertragliches Rücktrittsrecht. Aus
dieser Entscheidung wird im Schrifttum gefolgert, durch
die Erteilung einer Widerrufsbelehrung an den Vertragspartner, dem nach den gesetzlichen Regelungen mangels
Erfüllung der persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen kein Widerrufsrecht zustehe, werde im Zweifel
ein vertragliches Widerrufsrecht begründet (MünchKommBGB/Masuch, 5. Aufl., § 355 Rn. 58; vgl. auch
Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.; einschränkend OLG
Hamburg, Urteil vom 19. Juni 2009 – 11 U 210/06, juris
Rn. 121; aA Münscher, WuB I E 1.-5.03; Corzelius, EWiR
2009, 243, 244).
[17] Ob immer dann, wenn ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, aus der Erteilung einer Widerrufsbelehrung auf die Einräumung eines vertraglichen
Widerrufsrechts geschlossen werden kann, erscheint allerdings nicht zweifelsfrei. Dies hätte nämlich zur Folge,
dass es auf die Voraussetzungen des gesetzlichen
Widerrufsrechts nicht mehr ankäme und die betreffenden
Vorschriften letztlich leer liefen. Ein solches Ergebnis
dürfte mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen des
Widerrufsrechts, die an bestimmte tatbestandliche Merkmale anknüpfen, zumindest Bedenken begegnen.
[18] 2. Im Streitfall bedürfen diese Zweifel keiner abschließenden Klärung, weil es sich vorliegend ohnehin
nicht um die erstmalige Erteilung einer Widerrufsbelehrung handelt. Vielmehr enthielt bereits der Darlehensvertrag zwischen den Eheleuten und der Beklagten vom 30.
Dezember 1997/26. Januar 1998 eine Widerrufsbelehrung
("Belehrung über gesetzliches Widerrufsrecht"), zu deren
Wirksamkeit die Parteien in den Vorinstanzen entgegengesetzte Standpunkte eingenommen haben.
[19] a) Ob die Erteilung einer – objektiv nicht erforderlichen – nachträglichen Widerrufsbelehrung als Einräumung
eines
voraussetzungslosen
vertraglichen
Widerrufsrechts verstanden werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls umstritten. Im Schrifttum wird teilweise angenommen, für die nachträgliche
Belehrung könne insoweit nichts anderes gelten als für die
Erstbelehrung (Maier, VuR 2011, 225, 226; im Ergebnis
ebenso Lindner, EWiR 2011, 43, 44; differenzierend hingegen Ebnet, NJW 2011, 1029, 1031). In der
instanzgerichtlichen Rechtsprechung sind mit dem hier
streitgegenständlichen Anschreiben nebst Widerrufsbelehrung übereinstimmende nachträgliche Belehrungen der
Beklagten zum Teil als Angebote auf Vereinbarung eines
vertraglichen Widerrufsrechts angesehen worden (OLG
Dresden, Urteil vom 28. Mai 2009 – 8 U 1530/08, juris
Rn. 27 f.), zum Teil ist eine solche Auslegung abgelehnt
worden (OLG Nürnberg, WM 2011, 114 ff.). Das OLG
München (WM 2003, 1324, 1326 f.) hat in der von einer
Bank aus Unsicherheit über die Rechtslage nachträglich
erteilten Erstbelehrung über ein – objektiv nicht bestehendes – Widerrufsrecht keine Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts gesehen (zustimmend Godefroid,
Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl., Rn. 486 f.; Ebnet,
NJW 2011, 1029, 1031; Münscher, WuB I E 1.-5.03).
[20] b) Unter welchen Voraussetzungen ein vertragliches
Widerrufsrecht gegebenenfalls auch nachträglich vereinbart werden kann, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls das Begleitschreiben
ZVertriebsR 4/2012
253
der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst der beigefügten
"Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" stellt
sich bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht als
Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts dar.
[21] aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts,
das seiner rechtlichen Bewertung die Grundsätze über den
durch normative Auslegung zu ermittelnden objektiven
Erklärungswert von Individualerklärungen zugrunde gelegt hat, bestimmt sich der Auslegungsmaßstab allerdings
vorliegend nicht nach den allgemeinen Regeln der §§ 133,
157 BGB. Maßgebend ist vielmehr der für die Auslegung
Allgemeiner Geschäftsbedingungen geltende Grundsatz
der objektiven Auslegung. Auch nach diesem Maßstab
erweist sich das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis jedoch als unzutreffend.
[22] (1) Vorformulierte Widerrufsbelehrungen der in Rede
stehenden Art sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – XI ZR
118/08, WM 2009, 350 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 15.
Dezember 2009 – XI ZR 141/09, juris Rn. 13; s. auch
schon BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – VIII ZR 115/81,
WM 1982, 1027) Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v.
§ 305 BGB (früher § 1 AGBG). Bestandteil der Widerrufsbelehrung ist vorliegend zudem, wie der erkennende
Senat für ein insoweit gleichlautendes Anschreiben der
Beklagten nebst identischer Widerrufsbelehrung entschieden hat (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR
148/10, WM 2011, 655 Rn. 16), der den Bezug zu der ursprünglichen Vertragserklärung herstellende Passus des
Begleitschreibens ("Losgelöst hiervon, erhalten Sie in der
Anlage die Widerrufsbelehrung zu Ihrer ursprünglichen
Vertragserklärung, verbunden mit der Bitte, diese zur
Kenntnis zu nehmen und zu Ihren Akten zu nehmen.").
[23] (2) Nach ständiger Rechtsprechung gilt im Zusammenhang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen der
Grundsatz der objektiven Auslegung. Danach sind diese
ausgehend von den Interessen, Vorstellungen und Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten
Durchschnittskunden einheitlich so auszulegen, wie sie
von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter
Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten
Verkehrskreise verstanden werden. Außer Betracht zu
bleiben haben dabei Verständnismöglichkeiten, die zwar
theoretisch denkbar, praktisch aber fern liegend und nicht
ernstlich in Erwägung zu ziehen sind. Nur wenn nach
Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind, kommt die
Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB (früher § 5
AGBG) zur Anwendung (BGH, Urteil vom 5. Mai 2010 –
III ZR 209/09, BGHZ 185, 310 Rn. 14 und Senatsurteil
vom 7. Dezember 2010 – XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360
Rn. 29, jeweils mwN).
[24] bb) Im Streitfall ist das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst der beigefügten "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Kunden nicht als
Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts zu verstehen. Diese Auslegung
kann der erkennende Senat, dem die über den Bezirk eines
Berufungsgerichts hinausgehende Verwendung der jeweils
gleichlautenden Texte von Anschreiben bzw. Widerrufsbelehrung durch die Beklagte aus mehreren Verfahren be-
254
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
kannt ist, selbst vornehmen (Senatsurteil vom 7. Dezember 2010 – XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 29 mwN).
[25] (1) Allerdings genügte das Schreiben der Beklagten
vom 16. Januar 2008 an die Eheleute nebst der beigefügten "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" –
wie der erkennende Senat mit Beschluss vom 15. Februar
2011 (XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 13 ff.) für ein
gleichlautendes Anschreiben der Beklagten mit identischer Widerrufsbelehrung entschieden hat – nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nachbelehrung
i.S.v. § 35 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zum einen ist das von der
Beklagten für die Widerrufsbelehrung verwendete Belehrungsformular aufgrund seiner missverständlichen Fassung objektiv geeignet, den Verbraucher – hier die Klägerin und ihren Ehemann – über den Beginn der
Widerrufsfrist nicht richtig zu informieren (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR 148/10, WM
2011, 655 Rn. 13 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom
10. März 2009 – XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123 Rn. 14
ff.). Zum anderen wird die Textstelle des Begleitschreibens der Beklagten, die überhaupt erst den Bezug zur ursprünglichen Vertragserklärung der Darlehensnehmer herstellt ("Losgelöst hiervon …"), dem Deutlichkeitsgebot
des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gerecht, weil sie weder
drucktechnisch deutlich gestaltet noch ihr unmissverständlich zu entnehmen ist, dass der Kunde seine ursprüngliche
Vertragserklärung – noch – widerrufen kann (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR 148/10, WM 2011,
655 Rn. 14–16).
[26] Daraus, dass die betreffende Formulierung des Begleitschreibens nebst dem Text der Widerrufsbelehrung
den gesetzlichen Anforderungen an eine Nachbelehrung
über ein etwa ursprünglich bestehendes Widerrufsrecht
nicht genügt, folgt indes nicht, dass umgekehrt die als solche unzureichende Nachbelehrung aus der Sicht eines juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittskunden sich sogar als Einräumung eines neuen, eigenständigen
Widerrufsrechts hinsichtlich seiner ursprünglichen Vertragserklärung darstellt. Das verkennt das Berufungsgericht, das sein Auslegungsergebnis im Wesentlichen nur
damit begründet hat, weder das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 noch die beigefügte "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" seien als
"Nachbelehrung" bezeichnet bzw. enthielten eine entsprechende Erläuterung oder Klarstellung. Hierdurch allein
wird indes der maßgebliche Auslegungsstoff nicht ausgeschöpft.
[27] (2) Zwar besteht nach dem Wortlaut der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung ein an keine weiteren Voraussetzungen geknüpftes Recht zum Widerruf innerhalb
eines Monats und beginnt der Lauf dieser Frist einen Tag
nach Zurverfügungstellung "dieser" Widerrufsbelehrung.
Indes wurde nach der ausdrücklichen Formulierung im
Begleitschreiben die Widerrufsbelehrung dem Kunden lediglich mit der Bitte übersandt, sie "zur Kenntnis zu nehmen", was die Einordnung dieses Vorgangs als Angebot
auf Abschluss einer Vereinbarung jedenfalls nicht nahelegt. Die Frage nach dem zutreffenden Verständnis der
Widerrufsbelehrung sowie des Anschreibens der Beklagten vom 16. Januar 2008 aus objektiver Kundensicht kann
aber ohnehin nicht mit Blick allein auf den Wortlaut dieser
Erklärungen, sondern nur unter Berücksichtigung des Vertragsverhältnisses der Parteien insgesamt beantwortet
werden. Denn nur in diesem Rahmen hat die Beklagte die
fragliche Belehrung erteilt und wollte sie diese – auch aus
Sicht des Darlehensnehmers – erteilen.
Verbraucherschutzrecht
[28] (a) Hinsichtlich des Darlehensvertrags der Parteien
aber hatte die Beklagte den Eheleuten schon bei Vertragsabschluss am 30. Dezember 1997/ 26. Januar 1998 eine
Widerrufsbelehrung erteilt. Insoweit unterscheidet der
Streitfall sich grundlegend von dem Sachverhalt, der dem
Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom
30. Juni 1982 (VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) zugrunde lag. Die dort vorgenommene Auslegung hatte eine
Erstbelehrung der Kundin zum Gegenstand. Vorliegend
indes wurde das Vertragsverhältnis zu dem Zeitpunkt, als
die Eheleute mit dem Begleitschreiben der Beklagten vom
16. Januar 2008 die diesem beigefügte Widerrufserklärung
erhielten, von den Parteien bereits seit nahezu zehn Jahren
vollzogen. Irgendein tatsächlicher Anhaltspunkt, der aus
objektiver Sicht eines Darlehensnehmers die Annahme
hätte begründen können, die darlehensgebende Bank wolle ihm derart lange Zeit nach dem Vertragsschluss aus
freien Stücken und ohne jeden äußeren Anlass, also gewissermaßen "aus heiterem Himmel", ein neues – selbständiges – Recht einräumen, sich nunmehr voraussetzungslos aus dem laufenden Vertragsverhältnis zu lösen,
ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein solches
Verhalten wäre unter den – selbst dem unbefangenen
Durchschnittskunden geläufigen – Gepflogenheiten des
Wirtschaftslebens auch derart außergewöhnlich, dass auf
einen entsprechenden Vertragswillen des anderen Teils regelmäßig nicht ohne weiteres, sondern nur beim Vorliegen
besonderer, eine solche Annahme rechtfertigender Umstände geschlossen werden kann, an denen es hier jedoch
fehlt.
[29] (b) Für den Streitfall gilt dies umso mehr, als die
streitige nachträgliche Widerrufsbelehrung der Beklagten
ausdrücklich mit zwei Prolongationsangeboten in Bezug
auf den Darlehensvertrag verbunden war. Zwar erfolgte
die Zurverfügungstellung der Widerrufsbelehrung zur ursprünglichen Vertragserklärung nach dem Anschreiben
vom 16. Januar 2008 "losgelöst" von diesen Angeboten.
Es war den Eheleuten als Darlehensnehmern zudem unbenommen, keines dieser Angebote anzunehmen, mit der
Folge, dass das Vertragsverhältnis der Parteien dann
gleichfalls – jedoch unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen – sein Ende gefunden hätte. Den Prolongationsangeboten war aber gleichwohl auch aus Laiensicht
unzweifelhaft der ausdrückliche Wunsch der Beklagten zu
entnehmen, den Darlehensvertrag mit den Eheleuten gerade nicht zu beenden, sondern vielmehr fortzusetzen. Weshalb die Beklagte ihren Darlehensnehmern gewissermaßen
"im
selben
Atemzug"
einerseits
die
Vertragsfortsetzung hätte anbieten und ihnen andererseits
das Recht hätte einräumen sollen, sich durch Widerruf ihrer Vertragserklärungen voraussetzungslos vom Vertrag zu
lösen, ist daher nicht erkennbar. Auch aus der Sicht eines
rechtsunkundigen Kunden sowie unter Berücksichtigung
seines allgemeinen Erfahrungswissens bei der Abwicklung geschlossener Verträge ergibt ein solches Verhalten
des Darlehensgebers letztlich keinen Sinn.
[30] (c) Darüber hinaus läuft die Rechtswirkung, die das
Berufungsgericht dem Anschreiben vom 16. Januar 2008
nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" in Gestalt der Auslegung als Angebot auf Einräumung eines voraussetzungslosen vertraglichen
Widerrufsrechts beigemessen hat, auf eine Erweiterung
der Rechtsstellung der Eheleute hinaus. Dass nämlich
schon die Widerrufsbelehrung im Darlehensvertrag vom
30. Dezember 1997/ 26. Januar 1998 ein voraussetzungs-
Verbraucherschutzrecht
Entscheidungen
loses (vertragliches) Widerrufsrecht zum Gegenstand gehabt hätte, macht die Klägerin selbst nicht geltend. Hiergegen spricht auch der Umstand, dass die dortige Widerrufsbelehrung ausdrücklich auf ein "gesetzliches
Widerrufsrecht" bezogen war. Weshalb aber die Beklagte
den Eheleuten fast zehn Jahre nach Vertragsschluss sogar
ein über deren ursprüngliche Rechtsstellung hinausgehendes freies Widerrufsrecht hätte einräumen sollen, ist erst
recht nicht ersichtlich. Die Annahme eines solchen Vertragswillens des Darlehensgebers liegt – ohne diesbezügliche Anhaltspunkte, die hier nicht erkennbar sind – auch
aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Darlehensnehmers fern.
[31] (d) Selbst vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus
ergibt sich im Streitfall aus – im angefochtenen Urteil unberücksichtigt gebliebenem – unstreitigem Parteivorbringen, dass die Eheleute das Anschreiben der Beklagten
vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" seinerzeit auch tatsächlich gar nicht als Angebot auf Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts verstanden und sie mit dem
Anwaltsschreiben vom 6. Februar 2008 ein solches – vertragliches – Widerrufsrecht nicht ausgeübt haben. Bereits
die (neben Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter
Anlageberatung) ausdrücklich nur auf "Rückabwicklungsansprüche wegen eines etwaigen Haustürwiderrufes" bezogene Abtretungsvereinbarung der Eheleute vom 5. Februar 2008 zeigt, dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht
davon ausgingen, durch das ihnen knapp drei Wochen zuvor zugesandte Schreiben der Beklagten vom 16. Januar
2008 nebst Widerrufserklärung sei ihnen die Einräumung
eines vertraglichen Widerrufsrechts angeboten worden. In
der Klageschrift vom 25. Juni 2008 hat die Klägerin zudem selbst vorgetragen, die Beklagte habe mit Schreiben
vom 16. Januar 2008 eine "Nachbelehrung zum ursprünglichen Darlehensvertrag" übersandt. Hierdurch habe der
Versuch unternommen werden sollen, in den Fällen, in
denen die ursprüngliche Widerrufsbelehrung unwirksam
gewesen sei, eine "neue Belehrung hinterher zu senden".
Mit dem durch das Schreiben vom 6. Februar 2008 ausgesprochenen "Widerruf des Darlehensvertrages gemäß
HaustürWG" sei dieser Vertrag endgültig nichtig. Die
Klägerin ist also noch bei der Klageerhebung davon ausgegangen, ihr sowie ihrem Ehemann stehe lediglich ein
gesetzliches Widerrufsrecht aufgrund einer Haustürsituation zu. Erstmals in einem späteren erstinstanzlichen
Schriftsatz hat die Klägerin sodann unter Hinweis auf eine
Entscheidung des Landgerichts E. die Ansicht vertreten,
den Eheleuten sei ein vertragliches Widerrufsrecht unabhängig von einer Haustürsituation eingeräumt worden.
[32] (e) Bei dieser Sachlage kommt eine Auslegung des
Anschreibens der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst
beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" als Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts nicht in Betracht. Insbesondere ist auch für eine Anwendung der
Unklarheitenregelung (§ 305c Abs. 2 BGB; früher § 5
AGBG) kein Raum.
[33] d) Soweit im Schrifttum (Lindner, EWiR 2011, 43,
44) in Bezug auf die – den Gegenstand des parallel gelagerten Revisionsverfahrens XI ZR 442/10 bildende – Entscheidung des OLG Nürnberg, WM 2011, 114, die Ansicht vertreten worden ist, der Bundesgerichtshof werde
eine vorsorglich erteilte Widerrufsbelehrung ohne bestehendes Widerrufsrecht "schwerlich sanktionslos" lassen,
ZVertriebsR 4/2012
255
ist der Hinweis veranlasst, dass eine wie hier dem Deutlichkeitsgebot nach§ 355 Abs. 2, § 360 Abs. 1 BGB nicht
genügende nachträgliche Widerrufsbelehrung schon deshalb nicht sanktionslos bleibt, weil sie die Widerrufsfrist
eines – etwaigen – gesetzlichen Widerrufsrechts nicht im
Nachhinein in Gang zu setzen vermag. Stand dem Darlehensnehmer ohnehin kein gesetzliches Widerrufsrecht zu
bzw. kann er dessen tatbestandliche Voraussetzungen nicht
hinreichend darlegen, ist erst recht nicht ersichtlich, weshalb eine in diesem Falle von vornherein ins Leere gehende, vom Vertragspartner möglicherweise nur vorsorglich
erteilte, "Nachbelehrung" zu der noch weitergehenden
Sanktion eines sogar voraussetzungslosen Widerrufsrechts
führen sollte.
2
Widerrufsrecht des Verbrauchers auch bei
telefonischer Vertragsänderung
§§ 312b, 312d, 355 BGB, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG
Das Fernabsatzwiderufsrecht gilt grundsätzlich auch
dann, wenn ein Verbraucher auf telefonischem Wege
einen bestehenden Vertrag in seinem wesentlichen Inhalt ändert. Es entfällt nur, wenn sich der Verbraucher
unmittelbar vor dem Telefonat im Rahmen eines persönlichen Kontakts bei dem Unternehmen über die
neuen Vertragsbedingungen informiert hat. (Leitsatz
der Redaktion)
OLG Koblenz, Urteil vom 28. März 2012 – 9 U 1166/11
Das OLG Koblenz hat entschieden, dass das Widerrufsrecht auch gilt, wenn ein Verbraucher auf telefonischem
Wege wesentliche Inhalte eines Vertrags ändert. Eine
Kundin hatte ihren Vertrag einem Serviceprovider über
Telefon- und Internetdienste mit einer Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten fristgerecht gekündigt. Daraufhin
wurde sie vor Ablauf des Vertrags von einem Mitarbeiter
des Unternehmens angerufen. Dieser bot ihr einen neuen
Vertrag zum neuen Preis mit neuer 24-monatiger Laufzeit
an. Sie willigte zunächst ein, bereute ihre Entscheidung
jedoch später und erklärte per E-Mail, dass sie den neuen
Vertrag nicht mehr wolle. Das Unternehmen teilte ihr daraufhin mit, dass ein Widerrufsrecht nur bei Neuabschlüssen bestehe. Dies sei hier nicht der Fall, weil es sich nur
um eine Inhaltsänderung im Rahmen eines bestehenden
Vertrags handele.
Das OLG Koblenz stellt klar, dass bei Änderungen per
Fernkommunikationsmittel (z.B. Telefon) eines bestehenden Vertrags, das Widerrufsrecht gilt, worüber das Unternehmen auch zu informieren hat. Der Verbraucher ist in
gleichem Umfang in Bezug auf den Abänderungsvertrag
wie bei einem Erstvertrag schutzwürdig, vorausgesetzt, es
handelt sich um neue „wesentliche Vertragsinhalte gegenüber der ursprünglichen Vereinbarung“, wie dem Leistungsgegenstand. Das Widerrufsrecht entfällt nur dann,
wenn sich der Verbraucher unmittelbar vor dem Telefonat
im Rahmen eines persönlichen Kontakts bei dem Unternehmen über die neuen Vertragsbedingungen informiert
hat. In diesem Fall muss der Kunde nicht mehr vor Übereilung geschützt werden.
(mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Ber
lin)
256
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Wettbewerbs- und Kartellrecht
II. Entscheidung und Entscheidungsgründe:
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Der EuGH hat die Frage aus folgenden Gründen verneint:
„Selektiv“ ist ein Vertriebssystem nach der
Legaldefinition in Art. 1 Abs.1 Buchst. f der GVO
1400/2002, wenn sich der Lieferant verpflichtet, Vertragswaren nur an Händler (oder Werkstätten) zu liefern,
die er aufgrund festgelegter Merkmale auswählt, und
sich die ausgewählten Händler verpflichten, die betreffenden Waren nur an ebenfalls zugelassene Händler zu verkaufen. Die Selektion kann quantitativ oder qualitativ erfolgen.
1
„Festgelegte Merkmale“ für die Zulassung zu
selektiven Vertriebssystemen
EG Art. 81 III (AEUV Art. 101 III); Verordnung (EG) Nr.
1400/2002 Art. 1 I lit. f
Unter dem Begriff "festgelegte Merkmale" in Art. 1
Abs. 1 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002
der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander
abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor sind im Fall eines quantitativen selektiven Vertriebssystems im Sinne dieser Verordnung Merkmale
zu verstehen, deren genauer Inhalt überprüft werden
kann. Um in den Genuss der in dieser Verordnung
vorgesehenen Freistellung zu gelangen, ist es nicht erforderlich, dass ein solches System auf Merkmalen beruht, die objektiv gerechtfertigt sind sowie einheitlich
und unterschiedslos auf alle Bewerber um die Zulassung angewandt werden. (amtlicher Leitsatz)
EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 – C-158/11 – Auto 24/
Jaguar
Anmerkung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz-Jörg
Semler:
I. Verfahren und Sachverhalt
Das Urteil erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen der
französischen Cour de Cassation nach Art. 267 AEUV.
Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Auto 24 SARL (Klägerin) begehrte von Jaguar Land
Rover France SAS (Beklagte) die Zulassung als Vertragshändlerin für Neuwagen der Marke LAND ROVER. Die
Klägerin übt ihre Geschäftstätigkeit in Périgueux (Frankreich) aus. Die Beklagte ist Importeurin von Neuwagen
und sonstiger Erzeugnisse der Marke LAND ROVER in
Frankreich. Die Klägerin war von 1994 an ausschließliche
Vertragshändlerin der Beklagten in Périgueux. Das Vertragsverhältnis endete auf Grund ordentlicher Kündigung
durch die Beklagte im September 2004. Die Beklagte
schloss mit der Klägerin einen neuen Vertrag, durch den
sie die Klägerin als zugelassene Werkstatt einsetzte. Sie
lehnte jedoch die Bewerbung der Klägerin als Vertragshändlerin ab. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung
damit, dass sie den Vertrieb in Frankreich mit 72 zugelassenen Händlern an 109 Standorten organisieren wolle; dazu gehöre Périgueux nicht.
Die Klägerin hielt die Entscheidung der Beklagten für
rechtswidrig und verlangte Ersatz des Schadens, der ihr
dadurch entstanden sei, dass die Beklagte ihre Bewerbung
um Zulassung als Vertragshändlerin abgelehnt habe. Die
Klage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen.
Die Cour de Cassation sah sich zu einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV veranlasst um zu
klären, ob in einem quantitativ selektiven Vertriebssystem des Kraftfahrzeugsektors, wie es die Beklagte praktizierte, der Rechtsvorteil der Freistellung von Art. 81 Abs.
1 EG (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) davon abhängt, dass
die Merkmale für die Zulassung eines Händlers objektiv
gerechtfertigt sind sowie einheitlich und unterschiedslos
auf alle Bewerber um die Zulassung angewandt werden.
„Quantitativ selektiv“ ist das Vertriebssystem, wenn der
Lieferant Merkmale für die Auswahl der Händler (oder
Werkstätten) verwendet, die deren Zahl unmittelbar begrenzen (Art. 1 Abs. 1 Buchst. g der GVO 1400/2002).
Demgegenüber ist das Vertriebssystem „qualitativ selektiv“, wenn der Lieferant rein qualitative Merkmale für die
Auswahl der Händler anwendet, die wegen der Beschaffenheit der Vertragswaren erforderlich sind; für alle sich
um die Aufnahme in das Vertriebssystem bewerbenden
Händler einheitlich gelten; in nicht diskriminierender
Weise angewandt werden und nicht unmittelbar die Zahl
der Händler begrenzen (Art. 1 Abs. 1 Buchst. h GVO
1400/2002). Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein
quantitativ selektives Vertriebssystem, weil die Beklagte
sowohl die Zahl der Händler als auch die der Standorte
abschließend festgelegt hatte.
Der Rechtsvorteil der Freistellung hängt bei allen selektiven Vertriebssystemen davon ab, dass die Zulassungsmerkmale „festgelegt“ sind. Das bedeutet aber nicht mehr
als dass die Merkmale genau bestimmt und überprüfbar
sein müssen (Rz 30 des Urteils).Veröffentlicht brauchen
sie nicht zu sein (Rz 31 ). Inhaltliche Anforderungen bestehen gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. h der GVO 1400/2002
nur für qualitativ selektive Vertriebssysteme; für quantitativ selektive Vertriebssysteme stellt die GVO dagegen
keine inhaltlichen Anforderungen auf.
Der EuGH begründet seine Entscheidung aus dem Wortsinn und der Systematik der GVO 1400/2002: Die Verordnung lege unterschiedliche Freistellungsvoraussetzungen für quantitativ selektive Vertriebssysteme einerseits
und für qualitativ selektive Vertriebssysteme andererseits
fest. Für quantitativ selektive Vertriebssysteme gelte eine
Marktanteilsschwelle von 40 %, während der Marktanteil
bei qualitativ selektiven Vertriebssystemen keine Rolle
spiele (Art. 3 Abs. 1, zweiter und dritter Unterabsatz der
GVO 1400/2002). Für qualitativ selektive Vertriebssysteme schreibe die GVO 1400/2002 in Art. 1 Abs. 1 Buchst.
h vor, dass die Auswahl der zuzulassenden Händler nach
Kriterien erfolge, die wegen der Beschaffenheit der Vertragswaren erforderlich seien und die einheitlich und diskriminierungsfrei angewandt werden müssten. Für quantitativ selektive Vertriebssysteme mache die GVO in der
unmittelbar vorangehenden Vorschrift des Art. 1 Abs. 1
Buchst. g keine entsprechenden Vorgaben. Sie könnten
auch nicht in diese Bestimmung hineininterpretiert werden, weil dadurch die von der GVO 1400/2002 gewollte
unterschiedliche Behandlung der beiden Arten des selektiven Vertriebes vermischt würden (Rz 36). Das erscheint
zwingend, steht wohl auch in Einklang mit den Erklärungen, die die französische Regierung, die Kommission und
der Generalanwalt im Verfahren abgegeben haben.
Anzumerken ist, dass die Auslegung, die der EuGH dem
Begriff der „festgelegten Merkmale“ in Art. 1 Abs. 1
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Entscheidungen
Buchst. f der GVO 1400/2002 gibt, keinen Freibrief für
willkürliche oder sachlich ungerechtfertigte Zulassungskriterien gewährt: Nach Art. 6 der GVO 1400/2002 kann
die Kommission den Rechtsvorteil der Freistellung im
Einzelfall entziehen, wenn ein nach dieser GVO freigestelltes Vertriebssystem gleichwohl Wirkungen hat, die
mit den Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81 Abs 3
EG (jetzt Art. 101 Abs.3 AEUV) nicht vereinbar sind.1
III. Praxishinweise:
1. Die unmittelbaren Auswirkungen des Urteils sind begrenzt: Die GVO 1400/2002, zu der das Urteil ergangen
ist, gilt – beschränkt auf den Bezug, den Verkauf und den
Weiterverkauf neuer Kraftfahrzeuge – nur noch bis zum
31. 05. 2013 (Art. 2 der VO 461/2010). Von da an gilt
auch für den Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge die allgemeine
Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen2 („VertikalGVO“)3.
2. Die VertikalGVO verwendet aber im Zusammenhang
mit selektiven Vertriebssystemen ebenfalls den Begriff der
„festgelegten Merkmale“, an Hand derer die zu einem solchen Vertriebssystem zuzulassenden Händler ausgewählt
werden (Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der VertikalGVO).4 Es
gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff in der
VertikalGVO anders zu verstehen wäre, als in der GVO
1400/2002 und der GVO 2790/1999 (VertikalGVO alt).
Das Urteil des EuGH ist also nicht nur für die auslaufende
GVO 1400/2002 relevant sondern hat auch im übrigen
Vertriebskartellrecht Bedeutung.
3. Weitere Bestimmungen über selektive Vertriebssysteme
finden sich in Art. 4 Buchst. b) iii; c); d) der VertikalGVO.
Sie macht zwar nach ihrem Wortlaut keinen Unterschied
mehr zwischen quantitativ selektiven und qualitativ selektiven Vertriebssystemen. Für beide gilt die Gruppenfreistellung gleichermaßen, wenn sie die einheitlichen Freistellungsvoraussetzungen
erfüllen.
Auch
die
Marktanteilsschwelle von 30 % gemäß Art. 3 Abs. 1 der
VertikalGVO gilt für alle selektiven Vertriebssysteme.
Dennoch bleiben Unterschiede in der Beurteilung quantitativer und qualitativer Selektivsysteme bestehen. Darauf
weisen auch die Leitlinien der Kommission zur
VertikalGVO hin5. Insbesondere fallen viele qualitative
Selektivsysteme gar nicht unter das Verbot des Art. 101
Abs. 1 AEUV, so dass insoweit eine Freistellung gemäß
Art. 101 Abs. 3 AEUV – ex lege oder durch Gruppenfreistellung – überhaupt nicht erforderlich ist und demnach
auch nicht vom Unterschreiten der Marktanteilsschwelle
von 30 % abhängt. Das gilt namentlich, wenn die Auswahl
der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte
qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht
kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden, sofern die Eigenschaf________________________
1
2
3
4
5
Die Möglichkeit zur Entziehung der Freistellung im Einzelfall ist jetzt
allgemein in Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.
Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des
Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln („KartellverfahrensVO“)
geregelt.
Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010
über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen
Gewisse Sonderregelungen in Ergänzung zur VertikalGVO gelten weiterhin für den Kfz – Anschlussmarkt (Art. 4; 5 VO 461/2010).
Ebenso schon die Vorgängerin VO 2790/1999 ("VertikalGVO alt"), Art.
1 Buchst. d).
Leitlinien für vertikale Beschränkungen ABl. vom 19.05.2010 C 130/1
Rdnr. 174–188
ZVertriebsR 4/2012
257
ten des fraglichen Erzeugnisses ein solches Vertriebsnetz
erfordern (einfache Fachhandelsbindungen).6
4. Die Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Selektivsystemen haben ferner Bedeutung im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Kommission, den
Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung zu entziehen, wenn
eine durch die VertikalGVO freigestellte Vereinbarung, ein
Beschluss oder eine abgestimmte Verhaltensweise im Einzelfall Wirkungen hat, die mit Art. 101 Abs. 3 AEUV
nicht vereinbar sind (Art. 29 KartellverfahrensVO). Das
ist für quantitative und für qualitative Selektivsysteme
nach jeweils eigenen Kriterien zu prüfen.
2
Prüfung missbräuchlicher Klauseln im
Mahnverfahren und geltungserhaltende
Reduktion
Richtlinie 93/13/EWG; Verordnung (EG) Nr. 1896/2006;
Richtlinie 2009/22/EG
1. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993
über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass sie einer
mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, wonach ein
mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes Gericht, sofern der Verbraucher keinen Widerspruch erhebt, weder a limine noch in irgendeiner anderen Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen
darf, ob eine Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher missbräuchlich ist, obwohl es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen
verfügt. (amtlicher Leitsatz)
2. Art. 6 I der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen,
dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie Art. 83
des Real Decreto Legislativo 1/2007 por el que se
aprueba el texto refundido de la Ley General para la
Defensa de los Consumidores y Usuarios y otras leyes
complementarias (Real Decreto Legislativo 1/2007 zur
Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes
über den Schutz der Verbraucher und Benutzer mit
Nebengesetzen) vom 16.11.2007 entgegensteht, wonach
das nationale Gericht, wenn es die Nichtigkeit einer
missbräuchlichen Klausel in einem Vertrag zwischen
einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher
feststellt, durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel
den Vertrag anpassen kann. (amtlicher Leitsatz)
EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 – C-618/10 – Banco
Español de Crédito
Der EuGH hat entschieden, dass das nationale Gericht eine missbräuchliche Klausel eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher nicht inhaltlich abändern darf. Der EuGH hat klargestellt, dass
das nationale Gericht von Amts wegen die
Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags zwar prüfen muss, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Jedoch weist der EuGH darauf in, dass nach der
________________________
6
EuGH 13.10.2011 – C-439/09 "Pierre Fabre Dermo – Cosmétique" Rz
41 m.w.N.; Schuhmacher in Liebscher/Flohr/Petsche (Hrsg.), Handbuch der EU – Gruppenfreistellungsverordnungen (2011), § 8, Rz 11 ff;
Siehe auch Leitlinien für vertikale Beschränkungen ABl. vom
19.05.2010 C 130/1 Rdnr. 175 m. w. N. aus der Judikatur des EuGH
258
ZVertriebsR 4/2012
Entscheidungen
Klausel-RL eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für den Verbraucher unverbindlich ist und dass
ein Vertrag mit einer solchen Klausel für beide Parteien
bindend bleibt, wenn er ohne diese missbräuchliche Klausel bestehen bleiben kann. Stellt das nationale Gericht eine missbräuchliche Klausel fest, hat es diese folglich nur
für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher
nicht bindet, ohne dass es befugt wäre, deren Inhalt abzuändern. Denn der Vertrag, in den die Klausel eingefügt ist,
muss – abgesehen von der Änderung, die sich aus der
Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit dies nach den
Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich
ist.
(mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin)
Rechtsprechung zum Vertriebsrecht
aus Frankreich
Rechtsprechung zum Vertriebsrecht aus Frankreich
Gerichtsstand bei nicht fristgemäßer Beendigung
der Geschäftsbeziehung
Code de commerce, Art. 442-6 Abs. 1 Nr.5; Verordnung
(EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen, Art. 5, Art. 23, Art. 31
Durch die wiederholte Bezahlung der Rechnungen hat
der französische Vertragshändler der auf der Rückseite der Bestellscheine und der Rechnungen abgedruckten
Gerichtsstandsklausel
zugestimmt.
Die
Gerichtsstandsklausel, wonach ausschließlich deutsches Recht für die sich aus den Vertragsverhältnissen
ergebenden Rechtsstreite gilt und Verfahren von den
zuständigen Gerichten am Sitz der Gesellschaft oder
am Ort der Niederlassung entschieden werden müssen,
umfasst auch Rechtsstreite wegen nicht fristgemäßer
Beendigung der ständigen Beziehungen der Parteien
ohne Rücksicht auf den delikts- oder vertragsrechtlichen Charakter des Anspruchs. Der französische Eilrichter kann nur dann vorläufige Maßnahmen anordnen, wenn die zugrundeliegende Pflicht in Frankreich
zu erfüllen wäre, was hier nicht der Fall ist.
Cour de cassation – Frankreich – (Chambre commerciale), Urteil vom 20. März 2012 (pourvoi 11-11570)
Aus dem Urteil der Cour de cassation:
Aus dem angegriffenen Urteil (Paris, 26. November 2010)
geht hervor, dass die Gesellschaft SBMM, die seit dem
Jahr 1994 Geräte der Marke Kränzle zur industriellen
Reinigung in Frankreich importierte und vertrieb, ihre
Lieferantin, die Gesellschaft deutschen Rechts Ingrid
Kränzle, im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung von unlauteren Praktiken und Schadenersatz mit
der Begründung verklagt hat, dass diese die ständigen Geschäftsbeziehungen abrupt beendet und missbräuchliche
und unlautere Praktiken begangen hat.
Das Urteil stellt zunächst fest, dass nach dem Artikel 14
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Gesellschaft
Ingrid Kränzle, dessen Übersetzung nicht in Frage gestellt
wird, das Recht der Bundesrepublik Deutschland allein
auf alle sich aus den Vertragsverhältnissen ergebenden
Rechtsprechung zum Vertriebsrecht aus Frankreich
Rechtsstreite anwendbar ist und Verfahren von den zuständigen Gerichten am Sitz der Gesellschaft oder am Ort
der für die Bestellung verantwortlichen Niederlassung
entschieden werden müssen. Das Urteil hebt des weiteren
hervor, dass diese Gesellschaft [Ingrid Kränzle] dargelegt
hat, ohne dass ein zu beachtender Gegenbeweis erbracht
wurde, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht
nur auf der Rückseite der an die Gesellschaft SBMM zugesandten Rechnungen gedruckt waren, sondern auch einerseits als Anlage zu der mit E-Mail vom 13. Dezember
2007 an diese übermittelten Kränzle Preisliste übersandt
wurden und andererseits auf der Rückseite der Bestellbestätigungen gedruckt waren. Daraus schließt das Urteil, es
sei ausreichend belegt, dass die Gesellschaft SBMM die
Gerichtsstandsklausel akzeptiert hat durch die wiederholte
Bezahlung der Rechnungen, die auf ihrer Rückseite die
Gerichtsstandsklausel aufwiesen, auch wenn die Gesellschaft SBMM nie ein Dokument, das die
Gerichtsstandsklausel enthielt, unterschrieben hat.
Das Urteil hebt zudem hervor, dass diese Klausel, die die
deutschen Gerichte für alle sich aus den Vertragsverhältnissen ergebenden Rechtsstreite für zuständig erklärt, ausreichend weit und umfassend ist, um die Rechtsstreite aus
Vorgängen von abrupter Beendigung ständiger Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien zu erfassen, ohne
Rücksicht auf den delikts- oder vertragrechtlichen Charakter des haftungsauslösenden Anspruchs.
Schließlich merkt das Urteil an, dass, auch wenn nach Artikel 31 Brüssel I-VO französische Eilgerichte ungeachtet
einer Gerichtsstandsklausel für die Hauptsache zugunsten
eines ausländischen Gerichts vorläufige Maßnahmen anordnen dürfen, dies das Vorliegen eines tatsächlichen Anknüpfungspunktes zwischen den beantragten Maßnahmen
und der Zuständigkeit des Staates des angerufenen Gerichtes voraussetzt. Das Urteil hält im vorliegenden Fall
fest, dass die beantragten Maßnahmen im Wesentlichen
das Ziel haben, der Gesellschaft Ingrid Kränzle die Einhaltung der Lieferbedingungen der Produkte unter Anordnung eines Zwangsgelds aufzuzwingen, wobei diese
Pflicht im Wesentlichen in den Geschäftsräumen der Gesellschaft Kränzle, auch im Verhältnis zu einem französischen Kunden, zu erfüllen wäre, ungeachtet der Tatsache,
dass der eventuelle Schaden in Frankreich auftreten könnte.
Aus diesen Feststellungen und Würdigungen ergibt sich,
dass das Berufungsgericht […] die Auswirkungen der
Gerichtsstandsklausel im Rahmen seines Ermessens richtig ausgelegt hat, ohne das Prinzip des rechtlichen Gehörs
zu verletzen und den Ersatzanspruch aus abrupter Beendigung als vertragsrechtlich einzuordnen. Daraus ergibt sich
auch, dass das Berufungsgericht die Klausel sowohl auf
den Antrag bezüglich der abrupten Beendigung der Geschäftsbeziehungen als auch auf die Anträge auf Unterlassung des unlauteren Wettbewerbs richtig angewandt hat,
indem es zutreffenderweise den Anknüpfungspunkt zwischen den beantragten Maßnahmen und den streitgegenständlichen Ansprüchen erkannt hat.
Folglich ist die Revisionsrüge in keinem Teil begründet.
Anmerkung von Dr. Fabienne Kutscher-Puis, LL.M.,
Rechtsanwältin, Avocat à la Cour (Lang & Rahmann
Düsseldorf):
Hat der französische Kassationshof den deutschen
Rechtsanwendern Entwarnung in Sachen Haftung für ab-
Zentes/Swoboda/Foscht: Handelsmanagement
Buchbesprechungen
rupte Beendigung laufender Geschäftsbeziehungen (Französisch: „Rupture des relations commerciales établies“ –
RCE) gegeben?
Bislang gilt überwiegend, dass eine einfache, nicht weiter
detaillierte Gerichtsstandsklausel zugunsten eines ausländischen Gerichts die Haftung wegen RCE nicht auszuschließen vermag, weil der Anspruch aus RCE in Frankreich delikts- und nicht vertragsrechtlich eingeordnet
wird, so dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
anwendbar ist. Dabei grenzt sich der Senat für Handelssachen (Chambre commerciale) von dem für IPRStreitigkeiten zuständigen ersten Zivilsenat (1ère chambre
civile) gewissermaßen ab und stellt an die Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit der Klausel höhere Anforderungen
(vgl. Kutscher-Puis, Die Haftung wegen nicht fristgemäßer Beendigung einer Geschäftsbeziehung nach französischem Recht und ihre Auswirkungen auf den deutschfranzösischen Rechtsverkehr, ZVertriebsR 2012, 161,
163). Mit der vorstehenden Entscheidung scheint sich der
Senat für Handelssachen der weitreichenden Auffassung
des ersten Zivilsenats im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr angeschlossen zu haben: Die Gerichtsstandsklausel, die ausdrücklich Rechtsstreite umfasst, die sich
aus den Vertragsverhältnissen ergeben, stellt eine aus
französischer Sicht wirksame Prorogation auch im Hinblick auf die Haftung wegen RCE dar, unbeschadet der
rechtlichen
Einordnung
des
Anspruchs
als
delitktsrechtlichen Anspruch.
Zudem billigt der oberste Gerichtshof Frankreichs die
Auffassung des Berufungsgerichts in Bezug auf die Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einschließlich der streitgegenständlichen Gerichtsstandsklausel in den Vertrag: Auch wenn der Vertragspartner des
Verwenders den Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwa
ZVertriebsR 4/2012
259
durch Unterzeichnung nicht ausdrücklich zugestimmt hatte, war nachgewiesen, dass er von diesen Kenntnis erlangt
und durch wiederholte Zahlung der Rechnungen seines
Vertragspartners zumindest konkludent akzeptiert hatte.
Indes hatte der Senat für Handelssachen etwa vor einem
Jahr in einem ähnlich gelagerten Fall die Geltung der
Gerichtsstandsklausel verneint (ZVertriebsR 2012, 59),
was jedoch nicht weiter verwundern sollte, denn die Tatsachenwürdigung obliegt generell dem Instanzgericht.
Schließlich erlaubt der Kassationshof nicht, dass der französische Eilrichter ungeachtet der Gerichtsstandsklausel
vorläufige Maßnahmen anordnen kann, da im vorliegenden Fall kein Anknüpfungspunkt zwischen den Maßnahmen und dem Sitz des Vertragshändlers in Frankreich
festzustellen ist.
Also Entwarnung? Auch nach diesem für den deutschfranzösischen Rechtsverkehr wegweisenden Urteil ist dem
deutschen Rechtsanwender zu raten, eine umfassende
Gerichtsstandsklausel in den Vertrag mit seinem französischem Geschäftspartner aufzunehmen, die für alle Streitigkeiten gelten soll, die sich aus den Vertrags- und Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien gleich aus
welchem Rechtsgrund ergeben könnten. Des Weiteren hat
die deutsche Partei dafür zu sorgen, dass ihr französischer
Vertragspartner der Gerichtsstandsklausel ausdrücklich
oder zumindest konkludent zustimmt, wobei die konkludente Zustimmung im Verfahren erstmals bewiesen werden muss. Durch diese Vorsorgemaßnahmen müsste erreicht werden, dass französischen Gerichten die
Zuständigkeit entzogen wird. Es bleibt dann nur noch die
Frage, ob die in Frankreich als ordre public-Regelung geltende Haftung wegen RCE trotz Rechtswahlklausel zu
gunsten deutschen Rechts durchgreifen könnte.
Buchbesprechungen
Joachim Zentes / Bernhard Swoboda / Thomas Foscht:
Handelsmanagement
3. Auflage 2012, Verlag Franz Vahlen, München, ISBN
978 3 8006 4265 6, gebunden, XLV, 934 Seiten, 59 Euro
(Deutschland)
Zentes/Swoboda/Foscht: Handelsmanagement
1. Der praktische Vertriebsrechtler ist in seinen anwaltlichen Beratungs- und Gestaltungsaufgaben für seine Mandanten der Absatzwirtschaft oder der Absatzmittlungsunternehmen auch – jedenfalls im weiteren Sinne – „Handelsmanager“. Deshalb sollte „das“ Standardwerk zum
Handelsmanagement zu seiner Handbibliothek gehören,
das jetzt in dritter Auflage von den Universitätsprofessoren Joachim Zentes (Saarbrücken), Bernhard Swoboda
(Trier) und Thomas Foscht (Graz) vorgelegt wird. Die erste Auflage wurde 2001 veröffentlicht, und die zweite Auflage von 2008 liegt noch nicht allzu lange zurück. Indes
sind in den letzten Jahren mannigfaltige und einschneidende Änderungen im politisch-rechtlichen, sozioökonomischen, technologischen und auch wettbewerblichen Umfeld des Handels zu verzeichnen, deren deskriptive wie auch kritisch-analytische Einarbeitung man bei
einem derartigen Standardwerk erwarten kann, das sich
nicht nur an die Lehrenden und Studierenden der Handelsbetriebslehre, sondern auch an Entscheidungsträger in
Handelsunternehmen wendet. Es geht zwar um ein betriebswirtschaftliches Lehrbuch zum modernen Handelsmanagement, doch können auch Wirtschaftsjuristen und
insbesondere Vertriebsrechtler damit und daraus nicht nur
viel lernen, sondern auch vor allem für ihre Beratungsund Gestaltungspraxis viel umsetzen und fruchtbar machen. Es ist ja keine Frage, dass der interdisziplinär denkende (und handelnde) Vertriebsrechtler, der seine juristischen Problemlösungen auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten prüft und absichert, der bessere,
kompetentere und auch erfolgreichere Vertriebsrechtler
ist.
2. Hierzu bietet das Buch eine Fülle von Informationen
und Anregungen, Empfehlungen und Vorschlägen. Es ist
in erster Linie auf eine „ganzheitliche Unternehmensführung im Handel“ ausgerichtet, beschränkt sich also nicht
auf die Darstellung und Analyse verschiedener Aspekte
der Unternehmensführung, sondern strebt einen einheitlichen Bezugsrahmen an, der auch die Wechselwirkungen
der verschiedenen Dimensionen, beispielsweise der neuen
Systeme und Prozesse des Supply Chain Managements,
der neuen Ansätze des Customer Relationship Manage-
260
ZVertriebsR 4/2012
Buchbesprechungen
ments, der modernen Informations- und Kommunikationssysteme und nicht zuletzt der Konzepte der
Sustainability bzw. der sozialen und ökologischen Verantwortung aufgreift. Das Werk transzendiert aber sogar
die unternehmensbezogene „ganzheitliche Betrachtungsweise“ und stößt zu einem unternehmensübergreifenden
Ansatz vor, denn es richtet seine Erklärungs- und Verständnismodelle an den jeweiligen Wertschöpfungsketten
und am Wertschöpfungskreislauf insgesamt aus. Um den
Verantwortungsträgern im Handel konkrete Orientierungshilfen zu geben, werden nicht nur Erklärungsmodelle und Gestaltungsmuster für das Handelsmanagement mit
praxisbezogenen Perspektiven präsentiert, sondern auch –
veranschaulicht durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis
– Handlungsempfehlungen und Problemlösungen entworfen.
3. Das erste Kapitel (Seiten 1 – 95) trägt die Überschrift
„Grundlagen, Abgrenzungen und Sichtweisen“. Dieses
Einführungskapitel wird manchen Juristen vielleicht allzu
theorielastig erscheinen, weil sie beispielsweise mit den
entscheidungsorientierten, verhaltenswissenschaftlichen,
institutionenökonomischen und sonstigen „Ansätzen“ der
modernen Managementforschung „nichts anfangen“ können. Jedenfalls aber wird die Fallstudie zur Metro Group
(S. 81 ff.) mit ihrer Darstellung der Ebenen der Führung
und der Managementsysteme auch die juristische Aufmerksamkeit fesseln. Im zweiten Kapitel geht es um das
Spektrum wettbewerbsorientierter Strategien (Seiten 97 –
308). Hier lernt der Vertriebsrechtler die Positionierungsund Profilierungsstrategien und auch die Wachstums- und
Internationalisierungsstrategien im Handel näher kennen,
was beispielsweise für die Alternative „Branchising vs.
Franchising“ (Filialisierung oder Absatzmittlung) bedeutsam ist. Die Überlegungen zur Marktselektion und zum
Markteintritt, die strategischen Optionen der internationalen Marktbearbeitung oder auch die Formen und Strategien der Mergers and Acquisitions im Handel werden sein
Interesse finden. Besonders der Abschnitt zu den Kooperationsstrategien (ab Seite 245) ist von unmittelbarer vertriebsrechtlicher Relevanz, geht es doch hier um die vielfältigen Formen der Kooperation im Handel, um
Allianzen von Handelsunternehmen wie etwa Einkaufsgemeinschaften und freiwillige Ketten, aber auch um die
Partnerschaften von Industrie- und Handelsunternehmen,
wie sie der Vertriebsrechtler unter dem Stichwort „Absatzmittlungsverhältnisse“ thematisiert. Auch dieses Kapitel
schließt mit einer faszinierenden Fallstudie ab, die vor allem die Positionierungs- und Profilierungsstrategie, aber
auch die Internationalisierungsstrategie der DouglasGruppe betrifft (S. 301 ff.). Das dritte Kapitel thematisiert
die Dynamik der Betriebs- und Vertriebstypen (Seiten
309–376). Aus vertriebsrechtlicher Perspektive dürfte insbesondere der Abschnitt über die verschiedenen Betriebstypen des Großhandels (z. B. Sortimentsgroßhandel, Fachbzw. Spezialgroßhandel, Zustellgroßhandel, Versandgroßhandel, Cash-and-carry-Großhandel, Strecken- und Lagergroßhandel usw.) bemerkenswert sein. Wichtiger noch
sind die Betriebs- und Vertriebstypen des Einzelhandels
für den Juristen, weil hier die traditionellen Betriebstypen
(Fachgeschäft, Spezialgeschäft, Boutique, Warenhaus,
Kaufhaus) dargestellt und dann neuere Betriebstypen (unterteilt nach Food-, Near-Food- und Non-FoodBetriebstypen) ausführlich vorgestellt werden. Die Übersichtlichkeit und Systematik erfreut den Juristen ebenso
wie die klare Begrifflichkeit. Diesmal wird das Kapitel
durch eine Fallstudie zum Unternehmen Coop (Schweiz)
Zentes/Swoboda/Foscht: Handelsmanagement
abgeschlossen (S. 370 ff.). Das vierte Kapitel ist für den
Vertriebsrechtler wohl das wichtigste dieses eindrucksvollen Werkes zum Handelsmanagement; es trägt die Überschrift „Die Optionen des Absatzmarketing“ (Seiten 377 –
586). Hier findet der Vertriebsrechtler die betriebswirtschaftlichen Grundlagen für die optimale Gestaltung von
Vertriebsverträgen. Dies betrifft etwa die Standortwahl
und –wirkung im stationären Handel, Gestaltungsalternativen im Sortimentsmanagement, die Instrumente und Gestaltung des Markenmanagements insbesondere im Spannungsfeld von Hersteller- und Handelsmarken, aber auch
das
Preismanagement
sowie
die
Preisund
Konditionenpolitik. Die abschließende Fallstudie dieses
Kapitels beleuchtet die Erfolgsgeschichte des österreichischen Heimwerkerbedarfs-Unternehmens bauMax, insbesondere im Lichte des Standortmanagements, des Sortiments- und Preismanagements sowie des Servicemanagements (S. 577 ff.). Aus diesen Berichten kann der
Vertriebsrechtler wertvolle Anregungen für seine Beratungs- und Gestaltungsarbeit ableiten. Das fünfte Kapitel
behandelt die Gestaltung der Supply Chain (Seiten 587 –
710). Hier wird nicht nur das Supply Chain Management
dargestellt, sondern es werden die entsprechenden Logistikprozesse, Beschaffungsprozesse, warenwirtschaftliche
Informationsprozesse bis hin zu den einzelnen Komponenten von Warenwirtschaftssystemen beschrieben, um
dann wieder in einer Fallstudie (Zara, ein Mode- und Textilunternehmen) praktische Anschaulichkeit zu erhalten
(S. 700 ff.). Auch das abschließende sechste Kapitel über
Konzepte der Führung (S. 711 – 844) bietet eine Schatztruhe von Befunden und Erkenntnisse, die für den modernen Vertriebsrechtler wichtige interdisziplinäre Wissensund Aufklärungsvorsprünge gegenüber dem einseitigen
Nur-Juristen bieten. Was man hier etwa über die Gestaltung von Belohnungssystemen und Mitarbeiterflusssystemen als Aufgabenfelder des Human Ressource Managements lernt, was man über die Managementtechniken der
Personalführung oder über die verschiedenen Arten von
Controllingsystemen in Handelsunternehmen erfährt, kann
die vertriebsvertragliche Gestaltungspraxis spürbar bereichern, wie auch an der abschließenden Fallstudie „Erlebnis Ausbildung – dm-drogeriemarkt“ (Seiten 837 ff.) deutlich wird.
4. Im Editorial zum vorliegenden Heft 4 unserer ZVertriebsR mahnt Prof. Dieter Ahlert zu Recht an, dass sich
das moderne Vertriebsrecht interdisziplinär orientieren
muss. Dies ist für den einzelnen vertriebsrechtlichen Praktiker eine Aufgabe des professionellen life-long learning.
Das Standardwerk „Handelsmanagement“ von Zentes,
Swoboda und Foscht bietet hierfür nicht nur einen gelungenen Einstieg, sondern auch ein tragfähiges Fundament.
Und dabei kann man sich sogar über einen „studentenfreundlich“ angesetzten Preis (59 Euro) freuen, wie er in
der vertriebsrechtlichen Spezialliteratur kaum begegnet.
Zusammenfassend lässt sich sagen: das Werk ist dermaßen
gut und wichtig, so inhaltsreich und erkenntnisfördernd,
so nützlich und gebrauchsfertig, dass man gleich mehrere
Exemplare davon erwerben sollte, um nicht nur sich
selbst, sondern auch diesen oder jenen Kollegen, diese
oder jene Mitarbeiterin damit zu bereichern und etwa mit
ihnen über Einzelaspekte des Werks zu diskutieren. Den
Verfassern dieses Standardwerks darf man zurufen, dass
sie auch den Vertriebsrechtlern einen wertvollen Dienst
erwiesen haben.
Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek,
Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Ferrier : Droit de la distribution
Buchbesprechungen
Didier Ferrier :
Droit de la distribution
6ème éd. 2012, coll. Manuel, éd. LexisNexis SA, ISBN
978-2-7110-1607-5, 40 €.
Ferrier : Droit de la distribution
Situé aux confins de l’analyse économique et de la pratique contractuelle en matière de commercialisation des
produits et des services, le droit de la distribution gouverne l’organisation et la réalisation de l’échange par des
contrats tenant compte des contraintes légales et règlementaires (4ème de couverture, présentation de l’ouvrage).
L’auteur part de ce constat pour présenter et commenter
les différents contrats assurant la circulation des biens et
des services. Le style retenu est adapté au public étudiant
visé par l’ouvrage, mais captivera, plus généralement,
toute personne souhaitant avoir un premier regard sur la
matière.
L’introduction est riche en éléments économiques (p.1 à
20) traduisant le caractère professionnel (n°35) du droit de
la distribution qualifié ici de droit contrainte (p. 21–32)
quand il verse dans l’ordre public de direction ou de protection et de droit instrument (p. 32–36) quand il s’attache
à la technique contractuelle. Avec intérêt, on notera également en annexe – valant synthèse – un simple tableau
récapitulant l’ensemble des constructions étudiées et permettant au lecteur de retrouver facilement les sources législatives françaises (p. 418).
L’ouvrage est classiquement rédigé en deux parties relativement égales. La première (p. 37–256) est consacrée aux
opérations élémentaires de la distribution, tandis que la
seconde porte sur les opérations complexes de la distribution (p. 257–415). Les adjectifs employés judicieusement
par l’auteur pour qualifier l’opération en cause traduisent
parfaitement les développements y afférant. Ainsi la première partie est consacrée à l’étude des deux phases classiques de la distribution que sont la diffusion (titre 1) et la
vente ou la prestation de services (titre 2), tandis que la
seconde aborde les accords de réseau (titre 1) ou de regroupement (titre 2).
Dans le titre consacré à la diffusion (p. 39–131), l’auteur
prend le parti de développer en premier lieu les règles et
constructions soulignant la présence de salariés, alors que
plus classiquement ces dispositions sont souvent développées à la fin des ouvrages consacrés au droit de la distribution (par ex. le manuel de Marie Malaurie-Vignal, v.
Buchbesprechung, ZVertriebsR 2012/2, 131). N’oublions
cependant pas qu’en France, la diffusion s’effectue souvent par le truchement de contrats de travail ou de mandat,
voire alliant les deux idées comme dans le cas du VRP
(section 2). La diffusion par le salarié s’opère tout d’abord
par le salarié diffuseur (section 1, p. 43–52) soumis au
droit commun du travail, tandis que le VRP bénéficie d’un
statut spécial décliné à l’article L. 7373-4 du code du travail (p. 53–71). Ce statut si particulier au droit français est
pourtant assez souvent considéré comme entravant
l’entreprise de distribution qui préfèrera recourir aux
mandataires civils (p. 73–91) économiquement intégrés
ZVertriebsR 4/2012
261
(gérant non salarié, mandataire exclusif, gérant de fonds
de commerce) ou associés aux mandants tels que le mandataire d’intérêt commun et surtout l’agent commercial (p.
92–117) ou aux mandataires commerçants tels que le
courtier ou le commissionnaire à la vente (p. 118–131).
La vente est ensuite abordée sous deux angles : la vente
fournisseur-distributeur (p. 133–198) et la vente distributeur-consommateur (p. 199–256) avec ses contraintes
commerciales et européennes, notamment en ce qui concerne l’information au consommateur et le prix, sans oublier ses nouvelles formes via Internet ou la technique du
télé-achat. La même dichotomie est employée pour la
prestation de services, l’auteur s’attachant, dans ce plus
long titre de l’ouvrage (p. 133–256), à les mettre constamment en parallèle.
La deuxième partie de l’ouvrage est consacrée aux modes
structurels et contractuels plus complexes reposant sur
l’idée de rapprochement des opérateurs de la distribution.
Sont ainsi étudiés les accords allant au-delà des relations
commerciales ponctuelles pour favoriser leur pérennité.
Fournisseur et distributeur peuvent ainsi renforcer ces relations par la fixation d’un volume d’affaires à réaliser,
par l’établissement d’une exclusivité d’approvisionnement
ou de fourniture, voire par une coopération dans la commercialisation des produits et des services. La technique
du réseau ou du regroupement permet la réalisation de cet
objectif, peut-être parce qu’il s’agit là d’une construction
de la pratique dont le droit se satisfait. Si la notion de réseau apparaît dans de nombreux textes, elle ne fait l’objet
d’aucune définition. Tout au plus la doctrine y voit-elle un
ensemble de contrats constituant une entité juridique traduisant une unité économique (déjà du même auteur, La
notion de réseau, in Mél. Mouly, LITEC, 1998, p. 107).
L’auteur relève deux types d’accords de réseau dont il reprend les critères de fonctionnement, les obligations et les
effets : les accords de spécialisation (265–347) et les accords de réitération (349–415). Parmi les accords de spécialisation, on trouve le contrat d’achat exclusif, le contrat
d’assistance et de fourniture, le contrat de distribution sélective et de concession exclusive ; les deux accords de
réitération étudiés étant la franchise commerciale avant
tout et la franchise principale.
Enfin, dans un dernier chapitre, l’auteur s’arrête sur les
regroupements fonctionnels opérés depuis quelques années en France par les distributeurs, soit pour dynamiser
la vente (377–404) via un GIE, une coopérative, la construction d’un centre commercial, soit au contraire pour favoriser l’achat (405–415) des produits ou services grâce à
une diminution des frais de fonctionnement via le recours
à des commettants ou des centrales d’achat.
De facture à la fois classique et prospective, l’ouvrage ne
pourra ainsi qu’intéresser ceux qui montrent un intérêt
pour le droit français de la distribution, à qui il offre une
bonne base de réflexion.
Prof. Annie Bottiau, Université Lille-Nord de France –
Lille 2 Droit & Santé
262
ZVertriebsR 4/2012
Veranstaltungen
Symposium der DGFV am 29./30. März, Leipzig
Veranstaltungen
I. 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Vertriebsrecht in Leipzig am 29./30.
März 2012 (Fortsetzung Tagungsbericht)
Symposium der DGFV am 29./30. März, Leipzig
Dieser Tagungsbericht zum 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Vertriebsrecht in Leipzig am
29./30. März 2012 schließt an den ersten Teil des Tagungsberichtes (ZVertriebsR 2012, 193) an.
In seinem Vortrag Die neuen Incoterms 2010 ging RA
Jens Bredow nicht nur auf die Neugestaltung der
Incoterms ein, sondern erläuterte auch Einzelprobleme,
die sich aus der Anwendung der Incoterms ergeben. RA
Bredow stellte dar, dass Incoterms nicht per Gesetz oder
Handelsbrauch gelten, sondern einer Vereinbarung der
Parteien bedürfen, als Auslegungsklauseln gedacht und insofern dispositiv sind. Dargestellt wurde das System der
Incoterms und die Aufteilung der Klauseln in zwei Kategorien, d.h. die Klauseln, die für alle Transportarten gelten
und die Klauseln, die sich ausschließlich mit dem Seeund Binnenschiffstransport befassten. Diese Darstellung
umfasste auch die Erläuterung der vier Gruppen: E EX/F
free/C cost/D deliverd. Im Anschluss daran wurden von
RA Jens Bredow die wesentlichen Änderungen der
Incoterms gegenüber der Version 2000 dargestellt, in dem
er darauf hinwies, dass eine Reduzierung auf vier Klauseln vorgenommen und die Klauseln DAF, DES, DEQ,
DDU entfallen seien. Dem gegenüber seien als neue Klauseln eingeführt worden: DAP – geliefert benannter Ort
(… benannter Bestimmungsort) und DAT – geliefert
Terminal (… benannter Terminal im Bestimmungshafen/-ort). Er erläuterte, dass zu jeder Klausel eine sog.
„Guidance Box“ besteht. Zugleich sei die Änderung der
Incoterms dazu genutzt worden, eine sprachliche Überarbeitung vorzunehmen, z.B. take delivery in B 4. Des weiteren sei bei FOB und CIF/CFR die Reling als „physical
point“ für den Gefahrenübergang entfallen. Die C- und DKlauseln enthielten jeweils eine Pflicht des Käufers zur
Besorgung der für eine Versicherung erforderlichen Unterlagen; A9 befasse sich mit der „notification“ besonderer
Verpackungen, B10 mit der Mitteilung sicherungsrelevanter Informationen und gleichzeitig mit der Unterstützung
des Verkäufers mit benötigten Informationen. Dargestellt
wurde auch die Auswahl und Vereinbarung der „richtigen“
Klauseln, die sich u.a. an den Fragen: ist die vorgesehene
Transportart mit der Klausel kompatibel?; ist die vorgesehen Klausel für die konkreten Transportmodalitäten (z.B.
Container) geeignet und sachgerecht?, sind die der Partei
auferlegten Pflichten zu erfüllen (z.B. und insbesondere
Aus- und Einfuhr-Abfertigung)? zu orientieren hat.
RA Prof. Dr. Thomas Klindt befasste sich in seinem Vortrag mit der Produkthaftung im grenzüberschreitenden
Warenvertrieb. Zu Beginn seines Vortrags erläuterte er
die drei Säulen des Produktrechts, nämlich das behördliche Produkte Sicherheitsrecht (z.B. Maschinenrichtlinie),
die zivilrechtliche Produzenten- und Produkthaftung und
die strafrechtliche Produkthaftung. Er stellte dar, dass EUImporteure und Quasi-Hersteller als „Hausaufgaben“ der
Frage nachgehen müssten, wer die eigentlich lokalen
Sicherheitsgesetze identifiziere, sich also mit den Fragen
befasse: wer identifiziert parallel die lokalen technischen
Standards?, wer prüft dann die Design-Kompatibilität, wer
überträgt diese dann in Vertragsspezifikationen und wer
dokumentiert später den Auslieferungszustand. Abschließend befasste er sich mit Kostentragungsfragen der Produkthaftung im Verhältnis Verwender, Hersteller und Zulieferer und ging insbesondere der Frage nach, ob z.B.
Ersatz für Nachrüstungskosten zu leisten ist.
RA Karl-Heinz Lauser umschrieb seinen Vortrag Rechte
und Risiken ausländischer Handelsvertreter im italienischen Insolvenzverfahren auch mit dem „Zweititel“
„Der ausländische Handelsvertreter im Dschungel italienischer Pleiten“, um so deutlich zu machen, wie problematisch die Vorschriften des italienischen Insolvenzrechts für einen ausländischen Handelsvertreter sind. Er
erläuterte dazu die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung
auf den Handelsvertretervertrag, die Ansprüche des Handelsvertreters im Insolvenzverfahren des italienischen
Herstellers sowie die Risiken des Handelsvertreters im
Falle der Insolvenz eines italienischen Herstellers. Er erläuterte, dass im Gegensatz zum deutschen Recht beim
italienischen Insolvenzrecht Zahlungsunfähigkeit keinen
Insolvenzgrund darstellt. Soweit es um die Auswirkungen
der Insolvenzeröffnung auf den Handelsvertretervertrag
geht, wurde dargestellt, dass der Vertrag zunächst gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam ist, die Handelsvertreterverträge also grundsätzlich weiterlaufen, sich aber
immer die gesonderte Frage eines Sonderkündigungsrechts des Handelsvertreters wegen der Insolvenz des italienischen Unternehmens stelle. RA Karl-Heinz Lauser erläuterte des weiteren die Betrachtung des Handelsvertretervertrages in der Insolvenz des italienischen Herstellers
sowohl zum alten bis zum 15. Juli 2006 geltenden als
auch das seit dem 16. Juli 2006 geltende neue Recht.
Nach dem alten Recht wurde der Handelsvertretervertrag
mit Verfahrenseröffnung aufgelöst, während nach neuem
Recht ein Wahlrecht des Verwalters bestehe den Vertrag
fortzuführen oder zu beenden, wobei streitig sei, ob weiterhin die Auflösung des Handelsvertretervertrages mit
Verfahrenseröffnung erfolge. Soweit der Handelsvertreter
selbst in Insolvenz gerate, werde der Vertrag nach italienischem Insolvenzrecht aufgelöst. Zum Schluss seines Vortrags ging RA Karl-Heinz Lauser auf die Sonderkonstellation der sog. Concordato preventivo ein. Danach laufe
der Handelsvertretervertrag trotz der Insolvenz des italienischen Unternehmens weiter, jedoch bestehe kein Ausgleichsanspruch des ausländischen Handelsvertreters.
Provisionsansprüche aus dem letzten Jahr vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens seien bevorrechtigt, während
Provisionsansprüche nach Verfahrenseröffnung als Masseansprüche anzusehen seien.
RA Doc. Savas Bozbel erläuterte in seinem Vortrag Vereinbarung türkischen Vertriebsrechts vor dem Hintergrund von § 92c HGB die Geschäftsverhältnisse zwischen
dem deutschen Unternehmer und dem türkischen Handelspartner und ging hauptsächlich der Frage nach, ob
deutsche Unternehmen gegenüber einem türkischen Han-
Konferenz d. Justizminister am 24.5.2012 zum GEKR
Veranstaltungen
delsvertreter durch die Vereinbarung deutschen Rechts
dessen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 92c HGB
ausschließen können. Diese Frage nahm RA Doc. Savax
Bozbel auch zum Anlass, sich mit dem neuen seit dem 01.
Juli 2012 geltenden türkischen HGB (Gesetz Nr. 6102) zu
befassen. Das türkische Handelsvertreterrecht enthalte
nunmehr in Art. 103 THGB die Definition des Handelsvertreterbegriffes, der im Wesentlichen dem deutschen
Recht entspreche. Danach setze die Tätigkeit eines Handelsvertreters dessen Selbständigkeit, dessen ständige Beauftragung durch einen oder mehrere Kaufleute und die
Vermittlung oder den Abschluss von Verträgen voraus. Allerdings setze das türkische Handelsvertreterrecht im Gegensatz zum deutschen Handelsvertreterrecht voraus, dass
der Auftraggeber Kaufmann sei. Dies ergebe sich aus der
Formulierung „der Handelsvertreter sei für das Handelsgewerbe eines anderen“ tätig. RA Dr. Savas Bozbel hob in
seinem Vortrag hervor, dass das Unternehmen an Verträge,
die an türkische Handelsvertreter ohne Vertretungsmacht
oder in Überschreitung seiner Vollmacht mit Dritten abschließe gebunden sei, falls dieses nicht unverzüglich,
nachdem dieses vom Geschäftsabschluss Kenntnis erhalten habe, auf den Mangel der Vollmacht hinweise. Werde
die Genehmigung durch das Unternehmen verweigert, sei
der Handelsvertreter nach Art. 108n THGB persönlich
dem Dritten gegenüber zur Erfüllung des abgeschlossenen
Vertrages verpflichtet. In Art. 121n THGB sei vorgeschrieben, dass unbefristete Handelsvertreterverträge von
ZVertriebsR 4/2012
263
beiden Parteien jederzeit mit einer Frist von drei Monaten
gekündigt werden können, wobei die Kündigung durch
Vermittlung eines Notars, durch eingeschriebenen Brief,
durch Telegramm oder durch eine mit sicherer elektronischer Signatur versehenen Nachricht erklärt werden könne. Er wies darauf hin, dass das alte türkische Handelsgesetzbuch (Gesetz Nr. 6762) keine Regelung zum
Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters enthielt, während nunmehr das seit dem 01. Juli 2012 geltende neue
türkische HGB in Art. 122 THGB einen generellen Anspruch auf Ausgleich des Handelsvertreters vorsehe, wobei die Vorschrift, wie auch in der Begründung zum Gesetz erwähnt werde, fast wortwörtlich § 89b HGB
entspricht, also insofern deutsches Handelsvertreterrecht
in das türkische Handelsvertreterrecht übernommen worden sei. Zum Ende seines Vortrags befasste sich RA Dr.
Savas Bozbel mit der Frage der Geltendmachung eines
Ausgleichsanspruchs des türkischen Handelsvertreters vor
türkischen bzw. deutschen Gerichten, wobei er zum Ergebnis kam, dass türkische Gerichte den Ausschluss eines
Handelsvertreterausgleichsanspruchs nach § 92c HGB
nicht akzeptieren würden, weil insofern ein Verstoß gegen
zwingende Vorschriften des türkischen Handelsvertreterrechts (Art. 122 IV n THGB) vorliegen würde und das
türkische Handelsgesetzbuch als Bestandteil der ordre
public der türkischen Rechtsordnung anzusehen sei.
RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
II. Bericht über die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister(innen) zum
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein
Gemeinsames Europäisches Kaufrecht am 24.5.2012 in Frankfurt am Main
Konferenz d. Justizminister am 24.5.2012 zum GEKR
Für den geneigten Leser zieht sich der Verordnungsentwurf über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht1 wie
ein roter Faden durch die ZVertriebsR.2 Nach Vorstellung
der Europäischen Kommission soll mit seiner Umsetzung
ein optionales Rechtsregime für grenzüberschreitende
Kaufverträge innerhalb der EU eingeführt werden. Der am
11.10.2011 veröffentlichte Entwurf führte – insbesondere
innerhalb Deutschlands – zu kontroversen Diskussionen
über Voraussetzungen, Sinn und Zweck und der inhaltlichen Ausgestaltung hinsichtlich eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts.3 Daher lud der Vorsitzende der
Justizministerkonferenz Jörg-Uwe Hahn, Hessischer
Staatsminister der Justiz, zur öffentlichen Anhörung an
der Universität Frankfurt am Main, der ca. 200 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und Rechtspraxis beiwohnten. In der Begrüßung begründete er den Anlass der Tagung: Das Projekt solle aus Sicht der Urheber bereits
nächstes Jahr abgeschlossen sein, womit für eine ausgiebige Diskussion Eile geboten sei. Daher stellten sich zwei
Fragen: Besteht die Notwendigkeit für ein GEKR und wie
soll es umgesetzt werden?
Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte
und Bürgerschaft, eröffnete die Tagung mit ihrer „Be________________________
1
2
3
KOM(2011) 635 endg.
Vgl. Maurer, ZVertriebsR 2012, 31 ff.; ders., ZVertriebsR 2012, 88 ff.;
Konecny, ZVertriebsR 2012, 125 ff. (Tagungsbericht vom 20.01.2012 in
Würzburg).
Im Folgenden – in Anlehnung an die Beck’sche Textausgabe – GEKR.
gründung des Vorschlages“. Sie hob hervor, sie habe noch
nie einen Text vorgelegt, der später nicht Gesetz wurde.
Sachlich begann sie damit, dass 90% der europäischen
Unternehmen nicht exportierten und wenn doch, dann nur
in wenige Mitgliedsstaaten. Ein Grund hierfür sei das Nebeneinander der derzeit 27 nationalen Kaufrechte. Wolle
man Produkte in einen Mitgliedsstaat exportieren, so kämen auf das Unternehmen – aufgrund Vertrags- und Websiteanpassung wegen unterschiedlicher AGB- und Verbraucherschutzregeln – Kosten i.H.v. ca. 10.000 € pro
angezieltem Mitgliedsstaat zu. Dies seien kosten, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen4 nicht stemmen könnten. Das GEKR führe somit durch die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Handels zu einer „WinWin-Situation“: Während Unternehmen nur noch einen
Vertragsentwurf und eine IT-Lösung für den EU-weiten
Handel benötigten, würden die Verbraucher von einer
größeren Auswahl, niedrigeren Preisen und einem höheren
Schutzniveau profitieren. Reding betonte, das optionale
Instrument sei das neue, subsidiaritätsfreundlichste Mittel
zur europäischen Rechtsetzung, wobei sie auch die Subsidiaritätsrüge des deutschen Bundestags5 kritisierte. Zur
anvisierten Rechtsgrundlage Art. 114 AEUV führte sie an,
dass es nach dem Rechtsgedanken a maiore ad minus
nicht verständlich sei, diese als Rechtsgrundlage für eine
Vollharmonisierung zu akzeptieren, aber nicht für ein op________________________
4
5
Im Folgenden „KMU“; Legaldefinition in Art. 7 Abs.2 GEKR-VO.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/080/1708000.pdf.
264
ZVertriebsR 4/2012
Veranstaltungen
tionales Instrument. Insbesondere könne das GEKR Handelshemmnisse, die sich aus dem Nebeneinander der 27
nationalen Kaufrechtsordnungen ergeben, beseitigen, was
sie auf die Eurobarometer-Erhebungen6 stützte. Das Problem der Durchsetzung von Ansprüchen aus dem GEKR
wolle sie durch den Richtlinienvorschlag zur außergerichtlichen Streitbeilegung lösen. Das GEKR ermögliche die
Setzung europäischer Standards und sei somit mehr als
nur ein rechtspolitischer Vorschlag.
Prof. Dr. Felix Maultzsch, Universität Frankfurt, der die
Tagung im Folgenden moderierte, stellte die provokante
Frage „Steht das BGB vor seiner Ablösung?“. Um eine
Antwort zu finden, müsse man zunächst auf einer allgemeinen Ebene klären, ob die EU reif für ein Projekt solcher Reichweite ist um dann auf einer konkreten Ebene
eine detaillierte und qualitativ hochwertige Ausarbeitung
vornehmen zu können. Die Einführung des GEKR würde
trotz des optionalen Charakters einen Paradigmenwechsel
bedeuten, da es im Erfolgsfall eine Ausstrahlungswirkung
auf zukünftige Rechtssetzungsprojekte haben werde.
Im ersten Panel referierten Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke,
Universität Osnabrück, und Prof. Dr. Dirk Staudenmayer,
Generaldirektion Justiz der EU-Kommission, über „Bedarf, Mehrwert und Reichweite“ eines GEKR. SchulteNölke stellte zunächst dar, dass ein E-Shop, der EU-weit
Handel betreiben möchte, derzeit zwei Möglichkeiten habe: Er gründet 27 Tochterunternehmen oder er muss in nur
einem Shop mit 27 verschiedenen Vertragsrechten agieren. Dies sei unstreitig ein Binnenmarkthindernis. Das
GEKR stelle zur Lösung einen „dritten Weg“ zur Verfügung, der billiger als die anderen zwei sein müsse; sein
Preis aber sei der höhere Verbraucherschutz. Die Kritik
von Verbraucherschutzverbänden am GEKR bezeichnete
er als absurd. Maßgeblich für den Erfolg sei letztlich die
Information der Marktteilnehmer damit Verbraucher und
Unternehmer die Vorteile des GEKR auch wahrnehmen.
Staudenmayer verwies hinsichtlich des Bedarfs eines
GEKR zur Beseitigung von Binnenmarkthemmnissen auf
Reding und betonte, dass 98% der Unternehmer in der EU
als KMU einzustufen seien, man also gerade diesen den
Export erleichtern müsse. Die Unterschiedlichkeit der
Vertragsrechte sei hierbei eines der bedeutendsten Probleme. Das GEKR werde nun eine „neutrale“ Option zur
Lösung. Der Vorteil für die Verbraucher werde in einer
Vergrößerung des Warenangebots und einer Senkung der
Warenpreise liegen. Zur Frage nach der Rechtsgrundlage
vertrat er, dass Art. 114 AEUV einschlägig und
Art. 352 AEUV daher subsidiär sei. Nichts anderes ergebe
sich aus dem Urteil des EuGH zur Europäischen Genossenschaft.7 Dieses behandelte eine Rechtsform, die im nationalen Recht dem Typenzwang unterliegt, womit es
nicht auf das GEKR übertragbar sei.
In der anschließenden Diskussion vertrat Prof. Remien,
dass nach dem genannten EuGH-Urteil Art. 114 AEUV
deshalb nicht einschlägig sei, weil das GEKR keine
Rechtsangleichung bewirke, womit nur Art. 352 AEUV
als Rechtsgrundlage übrig bleibe. In weiteren Beiträgen
wurde kritisiert, dass man in der anwaltlichen Praxis aufgrund der völligen Unsicherheit hinsichtlich der gerichtlichen Auslegung von der Wahl des GEKR abraten werde
und diesem somit ein Schicksal ähnlich dem CISG drohe,
das praktisch nur eine sehr geringe Rolle spiele.
________________________
6
7
Flash Eurobarometer Nrn. 320, 321.
EuGH, Urteil vom 02.05.2006, Rs. C-436/03.
Konferenz d. Justizminister am 24.5.2012 zum GEKR
Der Kritik an der Rechtsgrundlage entgegnete Staudenmayer, dass die Vertragsparteien bis auf die zwingenden
Vorschriften eigene kaufrechtliche Regelungen treffen,
aber keine Gesellschaftsformen selbst schaffen können;
daher sei das Urteil des EuGH nicht übertragbar. Auch
gebe es bei jedem neuen Recht zunächst Unsicherheit bei
der Auslegung; dies sei auch beim Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht anders gewesen. Schulte-Nölke ergänzte, die Diskussion um die Rechtsgrundlage sei
schlicht nicht zu beseitigen.
Im zweiten Panel behandelten Prof. Dr. Friedrich Graf
von Westphalen, Vizepräsident des DAV, und Gerd Billen,
Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., die
„Auswirkungen auf den Verbraucherschutz“. Von
Westphalen fasste hierbei zu den Rechtsbehelfen bei Lieferung mangelhafter Ware zusammen, dass nach
Art. 106 GEKR kein Vorrang der Nacherfüllung bestehe,
sich hierdurch aber kein nennenswerter Unterschied für
den Verbraucher zum BGB ergebe, da dieser in der Regel
primär an Nacherfüllung interessiert sei und im Falle eines solchen Verlangens die anderen Rechtsbehelfe nach
Art. 111 Abs.2 S.1 GEKR gesperrt sind. Im Vergleich zum
europäischen Recht bedeute das GEKR insbesondere im
AGB-Bereich einen Integrationsaufschlag. In Deutschland
werden Diskussionen zum AGB-Recht seit 50 Jahren geführt; daher dürfe man das GEKR nicht aufgrund von
Rechtsunsicherheit verteufeln. Im Ergebnis bewirke das
GEKR im AGB-Bereich ein mindestens genauso hohes
Verbraucherschutzniveau wie das BGB und sei somit vorteilhaft für Verbraucher. Billen äußerte sich hingegen deutlich kritischer. Er sprach Reding die Fähigkeit ab, die Bedürfnisse der Verbraucher in Europa zu erforschen. Die
Verbraucher störe das Fehlen eines GEKR nicht und sie
seien nicht deshalb an grenzüberschreitenden Käufen gehindert, sondern durch Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung. Die Erhebungen der EU hätten somit keine
empirische Evidenz. Maßgeblich für die Wahl des GEKR
durch die Verbraucher sei aber deren Vertrauen. Da das
GEKR jedoch viele Tücken aufweise, sei der „Pathos“ des
„blue buttons als Gütesiegel“ gefährlich, da die EU gerade
die Rechtsdurchsetzung für die Verbraucher nicht gewährleisten könne. Sinnvoller als das GEKR sei daher z.B. ein
„europäischer Mustervertrag“ mit verbindlich geregelter
Streitschlichtung.
In der folgenden Diskussion fokussierte auch Prof. Pfeiffer den Aspekt der Rechtsdurchsetzung. Wenn nach bestehender Rechtslage ausländisches Verbraucherrecht anwendbar ist, sei es typisch, dass ein externes Institut ein
Gutachten erstellt, wofür allerdings die klagende Partei in
Vorleistung treten müsse. Da die Streitwerte oftmals nur
gering sind, entstehe hierdurch ein finanzielles Risiko, das
durch das GEKR vermieden würde. Von Westphalen erwiderte, dass der Spielraum für überraschende Klauseln
beim GEKR nahe null sei. Zudem sollen Auslegungsschwierigkeiten durch zeitnah erscheinende Kommentare
der GEKR-Verfasser gemildert werden. Billen fügte aber
kritisch hinzu, dass die Frage der Rechtsdurchsetzung vor
Einführung des GEKR geregelt sein müsse. Maultzsch
schloss die Diskussion mit der These, dass das baldige Erscheinen eines Kommentars fragwürdig sei, da zum materiellen Teil des GEKR bis dato nicht einmal Erwägungsgründe veröffentlicht sind.8
________________________
8
Aktuell sind – ausweislich beck-shop.de – zwei Kommentare zum
GEKR angekündigt.
Konferenz d. Justizminister am 24.5.2012 zum GEKR
Veranstaltungen
Zum Panel „ Toolbox versus fakultatives europäisches
Kaufrechtssystem“ sprachen Prof. Dr. Dr. h.c. Reiner
Schulze, Universität Münster, und Prof. Dr. Carsten
Herresthal, Universität Regensburg. Schulze legte dar,
dass ein optionales Instrument im Vergleich zur Vollharmonisierung weniger stark in die Rechte der Mitgliedsstaaten eingreife und daher auch kohärenter sei. Deswegen rückte auch die Verbraucherrechte-Richtlinie9 in der
Endfassung bei manchen Punkten von der Vollharmonisierung ab. Es stelle sich die Aufgabe, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern ohne hierbei die mitgliedsstaatliche Souveränität zu schädigen; beiden Anliegen
könne mit einem optionalen Instrument Rechnung getragen werden. Die Einführung des GEKR stelle gerade keinen „Abschied vom BGB“ dar: Zunächst belaste ein optionales Instrument das deutsche Recht weniger als eine
Vollharmonisierung. Hinzu stimme das GEKR mehr mit
dem BGB überein als jeder andere europäische Rechtsakt.
Und zuletzt sei das BGB seit jeher ein lebendiges Gesetzbuch; daher könne eine Bewährung der Regeln des GEKR
im Endeffekt auch zu einer Verbesserung des BGB führen.
Somit könne das GEKR auch im Verhältnis zum BGB eine „Win-Win-Situation“ bewirken, vorausgesetzt, es überzeugt inhaltlich; hierfür sei aber noch einiges zu tun.
Herresthal veranschaulichte, dass die EU mit dem Konzept der Vollharmonisierung gescheitert ist und daher einen Schwenk auf das optionale Instrument vollzogen habe. Vor diesem Hintergrund wurde das GEKR aus dem
DCFR „extrahiert“. Das Konzept der Vollharmonisierung
bringe zahlreiche Nachteile mit sich und sei daher abzulehnen: Vor allem gebe es für eine breitflächige Harmonisierung keine Kompetenz und die Kasuistik führe zu Kohärenzstörungen. Ein optionales Instrument habe
hingegen gewisse Vorzüge: Es bewirke ein größeres Angebot für die Marktteilnehmer und führe somit zu einer
Förderung des Binnenmarkts. Auch sei die angeprangerte
Rechtsunsicherheit nichts weiter als die logische Folge jeder Rechtsetzung. Der Vorteil in diesem Fall sei, dass das
nationale Recht verbleibe, wenn sich die Auslegung durch
den EuGH unvorteilhaft entwickelt. Ein optionales Instrument sei somit der Vollharmonisierung vorzuziehen;
damit aber das GEKR ein erfolgreiches optionales Instrument wird, müsse dessen Regelungsqualität noch stark
verbessert werden.
Zu Beginn der anschließenden Diskussion kritisierte
Maultzsch die Lückenhaftigkeit des GEKR. Insbesondere
hinsichtlich der Rechts- und Sittenwidrigkeit gebe es in
verschiedenen Staaten unterschiedliche Konzepte. Schulze
erwiderte jedoch, dass solche kulturellen Differenzen toleriert werden können und müssen. Prof. Looschelders bekräftigte ihn darin, die externen Lücken nicht zu überbewerten. Herresthal konstatierte hierzu, externe Lücken
seien kein Spezifikum eines optionalen Instruments. Daher sollte im GEKR Platz finden, was im Kaufrecht praktische Relevanz hat. Dies sei z.B. bei der Sittenwidrigkeit
nicht der Fall.10
Das nächste Panel beleuchtete „Das Gemeinsame Europäische Kaufrecht aus dem Blickwinkel der Praxis“. Dr.
Gert Leutner, Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle, führte
hierzu eine Umfrage im CMS-eigenen Netzwerk durch.
Im Ergebnis lasse sich für die Einzelprobleme derzeit
noch kein einheitliches europäisches Meinungsbild fest________________________
9 Rl. 2011/83/EU.
10 Als beispielhafte Ausnahme zur Relevanz der Sittenwidrigkeit nannte
er den Verkauf von Radarwarngeräten, vgl. BGHZ 183, 235 ff.
ZVertriebsR 4/2012
265
stellen. Aus Sicht von Dr. Martin Abend, Vizepräsident
der BRAK, werden insbesondere die KMUs vom GEKR
profitieren. Allerdings sei die Beschränkung auf b2bGeschäfte
mit
KMU-Beteiligung
nach
Art. 7 Abs.1 S.2 GEKR-VO nicht sinnvoll, da deren Abgrenzung erhebliche praktische Schwierigkeiten bereite.
Zudem kritisierte er den Gleichlauf der Gewährleistungsrechte in Art. 106 GEKR. Bei größeren Summen sei es
nicht opportun, dass der Verbraucher sofort den Vertrag
beenden könne. Hierdurch würden die Produkte vermutlich teurer, was den bezweckten Verbraucherschutz umkehren würde. Dr. Oliver Vossius, Präsident des deutschen
Notarvereins, hingegen veranschaulichte anhand eines
Beispiels, dass aus seiner Sicht die Rechtsberatung zu einer Umgehung des GEKR führen müsse. Laut Dirk
Palige, Geschäftsführer des deutschen Handwerkskammertages, hält der Großteil der zugehörigen Betriebe
nichts vom GEKR. Die vertragsrechtliche Gestaltung sei
für sie kein relevantes Problem, womit die Umfragen der
Kommission nicht repräsentativ seien. Ein wahrer Kostentreiber wäre hingegen die Rechtsunsicherheit, die das
GEKR mit sich brächte. Somit sei mangels echter Probleme die bestehende Rechtslage eher hinnehmbar. Prof.
Dr. Stephan Wernicke, Präsident des DIHK, befürwortete
im Namen des DIHK das GEKR; aber nicht dieses
GEKR. Kritisch sah er die „ausufernden“ Informationspflichten und die langen Verjährungsfristen, die permanente Kosten verursachen und somit die Preise erhöhen
würden. Nach Brigitte Kamphausen, vorsitzende Richterin
am LG Duisburg, fürchten auch die Richter die zu erwartende Rechtsunsicherheit durch das GEKR. Diverse Abgrenzungsschwierigkeiten und Ungenauigkeiten böten
„Sprengstoff“, der durch detaillierte Klärungen entschärft
werden müsse. Nur dies könne zur Akzeptanz des GEKR
führen. Die folgende Diskussion brachte eine Vielzahl von
Detailproblemen auf den Tisch, die, so der Konsens, vom
GEKR noch nicht befriedigend gelöst werden und somit
den Handlungsbedarf des EU-Gesetzgebers aufzeigen.
Im letzten Panel präsentierten Vertreter der aktiven Politik
„Das Gemeinsame Europäische Kaufrecht in der politischen Diskussion“. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Bundesministerin der Justiz, zeigte sich noch nicht vom
Mehrwert des GEKR überzeugt. Hinzu teilte sie die Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage. Trotz aller Kritik würden sich aber Bundestag und -regierung in die Detailberatungen einbringen, die allerdings noch lange
dauern werden. Nach Klaus-Heiner Lehne, Vorsitzender
des Rechtsausschusses des EU-Parlaments, sei das Fehlen
eines GEKR durchaus ein Binnenmarktproblem; und
wenn der Gesetzgeber durch das Füllen dieser Lücke
Wachstumsimpulse freisetzen könne, dann müsse er es
auch tun. Man werde sich hierbei aber „alle Zeit der Welt“
lassen. Auch sei die Debatte ob der Subsidiarität des
GEKR merkwürdig; „noch subsidiärer“ als ein optionales
Instrument gehe es ja nicht. Nach Ansicht von Cornelia
Prüfer-Storcks, Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg, sei das GEKR jedoch nichts, worauf die Verbraucher gewartet hätten. Seine positiven Aspekte reichten nicht aus, um die seine Nachteile
auszugleichen. Notwendig seien die Verpflichtung, die
Verträge in der Verhandlungssprache abzufassen und flankierende Maßnahmen, die den Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Rechte garantieren können. In der abschließenden Diskussion hob Lehne hervor, dass alle großen
Fraktionen im EU-Parlament das Projekt befürworten.
Hinsichtlich der Rechtsgrundlage wurde aus dem Audito-
266
ZVertriebsR 4/2012
Vertriebsrechtliche
Nachrichten
Allgemeine Nachrichten
rium gemutmaßt, die Wahl falle nur auf Art. 114 AEUV
zur Umgehung des Einstimmigkeitserfordernisses im Rat
bei Art. 352 AEUV. Ebenfalls aus dem Publikum wurde
die Erwartung laut, die nationalen Richter werden unbestimmte Rechtsbegriffe im Zweifel ebenso auslegen, als in
ihrer nationalen Rechtsordnung. Lehne erwiderte, das
Denken in zwei Rechtsordnungen sei einfacher, als in 28
und die EU nehme hinsichtlich der Rechtsgrundlage keine
taktischen Maßnahmen vor. In den Augen von PrüferStorcks wurde mit dem GEKR eine Lösung geschaffen
und dann das passende Problem gesucht; zur Lösung echter Probleme müsse man aber andersherum vorgehen.
Hahn schloss die Tagung mit der Feststellung, dass von
der Frage, ob überhaupt ein Binnenmarktproblem bestehe,
bis dahin, ob das GEKR auch künftig optional bleibe, alles streitig sei.
Nutzen des GEKR schwelen indes fort. Die Kritik stammt
größtenteils von Seiten der Praktiker, wobei auch hier das
Meinungsbild gespalten ist. Konsens herrscht darüber,
dass das GEKR nicht in seiner jetzigen Form kodifiziert
werden kann. Es weist noch schwerwiegende handwerkliche Mängel auf. Nur deren Beseitigung und die damit
einhergehende qualitative Steigerung können aber zu einer
Akzeptanz des GEKR am Markt und damit zu dessen Erfolg führen. Um dies zu erreichen, muss dem hierfür notwendigen wissenschaftlichen Diskurs aber ausreichend
Zeit gelassen werden, sonst waren alle bisherigen Mühen
umsonst. Wie es inhaltlich und verfahrenstechnisch mit
dem GEKR weitergeht ist offen. Die Verfolgung der wissenschaftlichen und rechtspolitischen Fortentwicklung
kann somit gerade auch dem Vertriebsrechtler ans Herz
gelegt werden.
Es ist festzuhalten, dass die Grundstimmung hinsichtlich
des „Projekts GEKR“, insbesondere unter den Vertretern
der Wissenschaft, mittlerweile deutlich positiver ausfällt,
als das noch vor wenigen Monaten der Fall war. Die Streitigkeiten über die Rechtsgrundlage und den tatsächlichen
Wiss. Ass. Norman Konecny,
Universität des Saarlandes
________________________
11 Vgl. Konecny, ZVertriebsR 2012, 125 ff. (Tagungsbericht vom
20.01.2012 in Würzburg).
III. Tagungshinweise
Auch im II. Halbjahr 2012 finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die für das Vertriebsrecht von Bedeutung
sind.
Das ForumInstitut veranstaltet am 13./14. September
2012 in Jena den 8. Jenaer Markenrechtstag, der sich
u.a. in einem Praxisworkshop mit dem markenrechtlichen
Widerspruchsverfahren im DPMA befasst. Zugleich ist ein
Rechtsprechungsreport zum nationalen Markenrecht vorgesehen, der sich insbesondere auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Schutzumfang, Schutzschranken
und deren Durchsetzung bei Markenverletzungen befasst.
Die ICC Austria veranstaltet im II. Halbjahr 2012 einige
Seminare, die für das Vertriebsrecht von Bedeutung sind,
so am 18. September 2012 in Wien das Seminar USA –
Juristisch optimale Gestaltung Ihrer Vertriebs- und
Marktbearbeitungsstrategie. Im Vordergrund des Seminars stehen Punkte der aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA und der
Vertragsgestaltung.
Das ARS führt zwei Seminare in Wien durch, die für das
internationale Vertriebsrecht von Bedeutung sind, und
zwar am 28. August 2012 das Seminar UN-Kaufrecht &
Schiedsverfahren und am 24. September 2012 die Jahrestagung internationales Vertragsrecht.
RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
Vertriebsrechtliche Nachrichten
Allgemeine Nachrichten
I. Kommission fordert von Deutschland besseren
Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften
Allgemeine Nachrichten
Verbraucher werden bei Haustürgeschäften in Deutschland nicht so gut geschützt wie es das EU-Recht eigentlich
vorsieht. Die Haustürgeschäfte-Richtlinie (Richtlinie
85/577/EWG) schützt Verbraucher, die in ihrer Privatwohnung oder während eines von einem Gewerbetreibenden für Verbraucher organisierten Ausflugs in einer Haustürsituation Waren kaufen oder Dienstleistungen bestellen.
In den EU-Vorschriften ist eine Widerrufsfrist von mindestens sieben Tagen festgelegt; binnen dieser Frist kann
der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten. Die deutschen
Rechtsvorschriften enthalten jedoch zusätzlich die Anforderung, dass der Verbraucher zum Vertragsschluss „bestimmt worden“ sein muss. Dieses Zusatzkriterium, das
nicht in der Richtlinie enthalten ist, beschränkt das in der
Richtlinie verbriefte Rücktrittsrecht.
Die deutsche Umsetzung der Richtlinie ist im BGB verankert. Deutschland wollte in mehreren Punkten über den
Mindestschutz der Richtlinie hinausgehen. Allerdings
werden die Rechte des Verbrauchers durch das zusätzliche
Kriterium des „Bestimmtwerdens“ auf eine Weise einge-
Pressemitteilung des BDD vom 11. Juli 2012
Vertriebsrechtliche
Nachrichten
schränkt, die mit der Richtlinie nicht zu vereinbaren ist.
Dies geht aus deutschen Gerichtsverfahren hervor, in denen Verbraucher aufgrund vorangegangener Besuche
durch den Gewerbetreibenden nicht beweisen konnten,
dass die Haustürsituation ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Vertrags gewesen war. Die Europäische
Kommission forderte daher Deutschland auf, seine
Rechtsvorschriften zu ändern und setzte dafür am 21. Juni
2012 eine Frist von zwei Monaten, um das Verbraucherrecht anzupassen. Danach könnte die Kommission
Deutschland vor dem EuGH verklagen. (siehe Europäi
sche Kommission, PM v. 21. Juni 2012)
II. BKartA untersucht Lebensmittelsektor
Mit Auskunftsbeschlüssen an knapp 200 Hersteller von
Lebensmitteln hat das BKartA die zweite Ermittlungsphase der laufenden Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel eingeleitet. In der ersten Ermittlungsphase wurden
bereits die zentralen Unternehmens- und Marktstrukturen
im Bereich der Beschaffung von Lebensmitteln erhoben.
Im Zentrum der neuen Ermittlungsphase steht die Analyse
der zwischen Herstellern und Lebensmitteleinzelhändlern
erzielten Verhandlungsergebnisse. Konkret stellt das
BKartA für ca. 250 Einzelartikel Fragen zu Mengen, Umsätzen, Listenpreisen und Konditionen. Abgefragt werden
auch nicht-monetäre Konditionen und Pauschalrabatte, die
sich nicht unmittelbar auf einen Artikel beziehen. Zur Erfassung der Verhandlungsposition der jeweiligen Hersteller und Händler werden weiterhin Daten erhoben, die un-
ZVertriebsR 4/2012
267
ter anderem eine Einschätzung des Wettbewerbsdrucks erlauben, der von anderen Markenartikeln und von den
Handelsmarken des Lebensmitteleinzelhandels ausgeht.
Anmerkung zur Sektoruntersuchung im Allgemeinen: Das
BKartA kann die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweiges durchführen, wenn besondere Umstände
vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist (sog.
Sektoruntersuchung, § 32 e GWB). Es handelt sich um eine Branchenuntersuchung, ausdrücklich aber nicht um ein
Verfahren gegen bestimmte Unternehmen. (ausführlich
BKartA, Pressemitteilung v. 12. Juni 2012)
III. BKartA richtet anonymes Hinweisgebersystem
zur Aufdeckung von Kartellverstößen ein
Das BKartA hat am 1. Juni 2012 ein elektronisches System zur Entgegennahme von anonymen Hinweisen auf
Kartellverstöße frei geschaltet. Das System ist in langjähriger Praxis von Landeskriminalbehörden erprobt. Es garantiert die Anonymität von Informanten und ermöglicht
dennoch eine fortlaufende wechselseitige Kommunikation
mit Ermittlern des BKartA über einen geschützten elektronischen Briefkasten (ausführlich dazu BKartA, Presse
mitteilung v. 1. Juni 2012).
(mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin)
Pressemitteilung des Bundesverbandes Direktvertrieb Deutschland e.V. (BDD)
vom 11. Juli 2012
Pressemitteilung des BDD vom 11. Juli 2012
23 Bestellungen im Direktvertrieb pro Minute – Trend
geht hin zu Verkaufspartys
Jeder sechste Deutsche hat im vergangenen Jahr im Direktvertrieb gekauft
Berlin, 11. Juli 2012. Mehr als zwölf Millionen Bestellungen haben die im Bundesverband Direktvertrieb
Deutschland e.V. (BDD) organisierten Unternehmen im
vergangenen Jahr registriert. Etwa jeder sechste Deutsche
hat damit Produkte oder Dienstleistungen direkt in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz gekauft.
Der Trend geht im Direktvertrieb eindeutig hin zu Verkaufspartys. Etwa 8,5 Millionen solcher ShoppingEvents, von der Koch- oder Bastel- bis hin zur legendären
Tupperparty, haben die BDDMitgliedsunternehmen 2011
gezählt. Damit finden in Deutschland pro Minute 16
Verkaufspartys statt. Besonders häufig wird diese Verkaufsform für den Direktvertrieb von Schönheitsprodukten sowie Haushaltswaren und Schmuck eingesetzt. „Immer mehr Unternehmen der Direktvertriebswirtschaft
setzen für die Zukunft auf Multichannel-Marketing.
Verkaufspartys sind neben dem Internetverkauf in diesem
Zusammenhang ein erfolgreiches Beispiel, die Absatzwege zu diversifizieren“, so BDDGeschäftsführer Jochen
Clausnitzer.
Der so genannte unbestellte Vertreterbesuch fand im
vergangenen Jahr, bezogen auf die BDDMitglieder, gut
400.000 Mal statt. Deutlich häufiger, nämlich mehr als
eine Million Mal kamen bestellte Vertreterbesuche, also
Verkaufsgespräche aufgrund des ausdrücklichen Wunsches des Kunden, nzu Stande. Ähnlich hoch war das Bestellvolumen in den BDD-Mitgliedsunternehmen beim
Onlinehandel. Die Zahl der Bestellungen lag hier bei gut
1,2 Millionen.
„Die Direktvertriebswirtschaft in Deutschland spielt ihre
Stärken, nämlich die Nähe zum Verbraucher und die besonders ausgeprägte Kundenbindung, aus. Für 2012 erwarten wir, dass sich der Trend hin zum MultichannelMarketing weiter fortsetzen wird und sich die Umsätze
der im Verband organisierten Unternehmen positiv entwickeln werden“, schätzte Jochen Clausnitzer ein.
268
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
Österreich
ZVertriebsR 4/2012
Österreich
Alexander Petsche, Marc Lager und Sebastian Kutsche*
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb (Multi-Level-Marketing)
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob die kundenwerbende Tätigkeit von Vertriebsmittlern in Multi-Level-Marketing-Systemen ausgleichsfähig iSd § 24 HVertG ist. Dabei wird im Überblick auf
die Merkmale von Multi-Level-Marketing-Systemen und
die Abgrenzung zu Pyramidenspielen (§ 168a StGB) und
Schneeballsystemen (§ 27 UWG) eingegangen.
Der Begriff „Multi-Level-Marketing" umschreibt ein progressives Vertriebssystem, das sich von anderen Vertriebsmethoden dadurch unterscheidet, dass es verkaufswillige Endabnehmer und Verbraucher und auch andere
Dritte aktiv in die Absatzstrategie des Unternehmens einbezieht.1 So erhöht sich die Zahl der in der Vertriebsstruktur befindlichen Mitarbeiter erheblich und es entsteht ein
Multiplikatoreneffekt, der durch jeweils leistungsbezogene Anreize noch verstärkt wird. Dadurch wird der Umsatz
nachhaltig gesteigert. Multi-Level-Marketing-Systeme
zeichnen sich in der Regel durch die folgenden Merkmale
aus:2
-
-
-
-
In Multi-Level-Marketing-Systemen werden fast
immer nur Waren eines einzigen Erzeugers oder Anbieters vertrieben. Der Absatz der Produkte erfolgt
durch ein Vertriebsnetzes von Angestellten oder
selbstständigen Vertriebsmittlern. Das können sowohl Handelsvertreter als auch Händler sein. Typischerweise werden die Produkte durch einzelvertraglich gebundene Absatzmittler in privatem Umfeld
direkt an Endabnehmer verkauft.
Multi-Level-Marketing-Systeme sind in der Regel
streng hierarchisch gegliedert, wobei die Organisation multiplikativ entwickelt werden kann. Die Vertriebsmittler auf den untersten Stufen sind dabei
hauptsächlich mit dem Vertrieb an Endabnehmer betraut. Die Mitglieder auf höheren Stufen nehmen
demgegenüber überwiegend Koordinierungs- und
Führungsaufgaben war. Angehörige übergeordneter
Stufen unterstützen die unteren Stufen in der Erarbeitung und Verbesserung von Vertriebsstrategien.3
Ein weiteres Merkmal von Multi-Level-MarketingSystemen ist der Einsatz von (zumeist nebenberuflichen) Laien als Vertriebsmittlern auf den untersten
Stufen. Diese suchen Kunden direkt auf, stellen die
Produkte vor und nehmen Bestellungen entgegen.
Zumeist liefern sie die bestellten Waren auch selbst
aus und rechnen direkt mit dem Käufer ab. Mitarbeiter höherer Stufen überwachen diese Tätigkeiten und
erhalten dafür anteilmäßig Provisionen, Rabatte oder
Prämien für die Verkäufe auf nachgeordneten Stufen.
Die Vergütung der Vertriebsmittler ist erfolgsbezogen
auf Grundlage vertraglich festgelegter Rabatte und
________________________
*
1
2
3
DDr. Alexander Petsche ist Rechtsanwalt und Partner von Baker &
McKenzie in Wien; Dr. Marc Lager ist Associate bei Baker & McKenzie in Wien; Sebastian Kutsche, LL.B. ist Junior Associate bei Baker
&McKenzie in Wien.
Thume, „Multi-Level-Marketing, ein stets sittenwidriges Vertriebssystem?“ in WRP-Praxis 3/99, Seite 281.
Vgl. Tietz, Der Direktvertrieb an Konsumenten, 16ff.
Vgl. Otto/Bammsen, WiB 1996, 281ff.
-
Provisionen. Sämtliche Einkünfte auf allen Stufen
sind daher umsatzabhängig. Die Angehörigen übergeordneter Stufen nehmen am jeweiligen Umsatz der
Mitarbeiter auf untergeordneten Stufen teil.
Auf den unteren Ebenen besteht durch den Einsatz
von Laien und der erfolgsabhängigen Vergütung eine
hohe Fluktuation von Vertriebsmittlern und damit ein
ständiger Bedarf an neuen Mitarbeitern. Multi-LevelMarketing-Systeme bieten ihren Mitarbeitern daher
häufig die Möglichkeit, neue Mitglieder anzuwerben.
Durch die Anwerbung neuer Mitarbeiter können zum
Teil zusätzliche Provisionen lukriert werden.
Die Abgrenzung des – grundsätzlich zulässigen – MultiLevel-Marketing-Systems von Schneeballsystemen sowie
Ketten- oder Pyramidenspielen ist von besonderer Bedeutung, da letztere in Österreich gemäß §27 UWG bzw
§ 168a StGB verboten sind. Im Folgenden werden die relevanten Verbotsbestimmungen im Überblick dargestellt.
I. Das Verbot von Ketten- und Pyramidenspielen
nach § 168a StGB
Aufgrund der Gefährlichkeit von Schneeballsystemen hat
der Gesetzgeber einen Sondertatbestand (§ 168a StGB)
geschaffen, mit dem das Ingangsetzen und Veranstalten
von Ketten- und Pyramidenspielen verboten wurde. Die
Strafbestimmung richtet sich gegen Gewinnerwartungssysteme, „dessen Teilnehmern gegen Einsatz ein Vermögensvorteil unter der Bedingung in Aussicht gestellt wird,
dass diesem System oder einem damit im Zusammenhang
stehenden System unter den gleichen Bedingungen weitere
Teilnehmer zugeführt werden, und bei dem die Erlangung
des Vermögensvorteils ganz oder teilweise vom bedingungsgemäßen Verhalten jeweils weiterer Teilnehmer abhängt.“ Das StGB vermeidet in diesem Zusammenhang
das Wort „Schneeballsystem“, das im UWG bei der
Untersagung von vergleichbaren Vertragskonstruktionen
verwendet wird (vgl insbesondere § 27 UWG).
Sowohl für den Zivilrechtsbereich als auch in Strafsachen
geht der OGH davon aus, dass es sich bei Ketten- und Pyramidenspielen um Glücksspiele gemäß § 168 StGB handelt. Nach der Lehre besteht der Unterschied zwischen einem Schneeballsystem und einem Pyramidenspiel darin,
dass bei einem Schneeballsystem nach § 27 UWG der
Geworbene in eine Vertragsverhältnis zum Unternehmen
oder einem Dritten treten muss, während bei einem Pyramidenspiel gemäß § 168a StGB das Vertragsverhältnis
zum werbenden Kunden entstehen muss.
Das Wesen von verbotenen Ketten- und Pyramidenspielen
besteht darin, dass gegen Entgelt die Chance auf einen
Vermögensteil eingeräumt wird, deren Realisierung die
künftige Beteiligung und Einsatzleistung weiterer Teilnehmer voraussetzt.4 In der Regel übernimmt der Systemteilnehmer die Verpflichtung, weitere Teilnehmer zu den
gleichen Bedingungen anzuwerben. Für ein tatbestandsmäßiges Gewinnerwartungsspiel ist allerdings nur die Be________________________
4
Vgl. Kirchbacher/Presslauer in Wiener Kommentar § 168a, Rz 4.
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
Österreich
dingung wesentlich, dass diesem oder einem damit im Zusammenhang stehenden System unter den gleichen Bedingungen weitere Teilnehmer zugeführt werden, wobei
dies nicht durch den Teilnehmer selbst geschehen muss.
Nach der Rechtsprechung des OGH ist ein Pyramidenspiel
wie folgt charakterisiert: Die zur Wahrung oder Erhöhung
der eigenen Gewinnchance notwendige Anwerbung neuer
Mitspieler hängt nicht nur von den Fähigkeiten des werbenden Teilnehmers ab, sondern ist durch die Anzahl der
vorhandenen Interessenten begrenzt. Dass diese Zahl nicht
beliebig vermehrbar ist, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, die auch dadurch nicht widerlegt wird,
dass die Möglichkeit einer mehrmaligen Beteiligung an
einem von der ständigen Vermehrung der Mitspieler abhängigen Gewinnspiel besteht. Auch dieses Reservoir an
Mitspielern erschöpft sich zwangsläufig, weil nicht erwartet werden kann, dass sich alle Spieler oder auch nur einzelne, diese dafür in einer sich unendlich wiederholenden,
immer schneller fortschreitenden Reihe, für eine Wiederbeteiligung gewinnen lassen. Die Gewinnchance der Mitspieler insgesamt hängt daher bei jedem nach dem
Schneeballsystem funktionierenden Pyramidenspiel letztlich vom Zufall ab, wenn man die Inkaufnahme des unausweichlichen Verlusts der letzten Teilnehmer nicht
überhaupt als Betrug wertet. Es kommt dabei auf eine Gesamtschau an, die nicht nur die ersten Teilnehmer mit
(noch) intakten „Gewinnchancen“, sondern auch die Spieler einer späteren Phase berücksichtigt, deren Verlust
praktisch vorprogrammiert ist.5
Pyramidenspiele können als begleitende Maßnahme des
Warenvertriebs eingesetzt werden. In der Lehre wird in
diesem Zusammenhang vertreten, dass auch mit dem Warenvertrieb verbundene Gewinnerwartungssysteme verboten sein können, wenn von den Teilnehmern vermögenswerte Einsätze – wie etwa nach dem Anweisungssystem
des § 27 Abs 2 UWG – verlangt werden.6
II. Das Verbot von Schneeballsystemen im UWG
Das UWG sieht in § 27 ein Verbot von Schneeballsystemen vor. Dieser definiert „Schneeballsysteme“ als Vereinbarungen, durch die “einem Kunden gegen ein unbedingt
zu leistendes Entgelt die Lieferung einer Ware oder die
Verrichtung einer Leistung unter der Bedingung zugesichert wird, dass der Kunde mittels der ihm übergebenen
Anweisungen oder Scheine dem Unternehmen des Zusichernden oder eines anderen weitere Abnehmer zuführt,
die mit diesem Unternehmen in ein gleiches Vertragsverhältnis treten.“ Als Schneeballsysteme gemäß § 27 UWG
sind daher Vereinbarungen zu verstehen, durch die einem
Kunden eine unbedingte Zahlungspflicht auferlegt wird
und eine bedingte Leistung des Unternehmers unter der
Bedingung zugesichert wird, dass der Kunde weitere Abnehmer zuführt, die mit diesem in gleiche Vertragsverhältnisse treten. Im Gegensatz hierzu schließt der (anwerbende) Teilnehmer im Pyramidensystem selbst mit den in
der Vertriebskette nachfolgenden (neu zugeführten) Teilnehmern Verträge, weshalb bildlich gesprochen eine Pyramide von Verträgen entsteht.7
________________________
5
6
7
OGH, 5 Ob 506/96.
Gamerith/Mildner, „Zum Verbot des Abschlusses von Verträgen nach
dem Schneeballsystem nach altem und neuem Lauterkeitsrecht“ in ÖBl
2010/2, 9ff.
Vgl. Dreyer in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 16, Rz
40.
ZVertriebsR 4/2012
269
Erfüllt der erste Kunde die Bedingung für die vereinbarte
Zahlungspflicht des Unternehmers, so muss dieser zwar
leisten, erhält aber nicht nur sein Entgelt, sondern auch einen unbedingten Anspruch auf ein weiteres Entgelt gegen
den zweiten (vom ersten Kunden neu zugeführten) Kunden. Gelingt es einem neu zugeführten Kunden nicht, einen weiteren Kunden zu werben, so erhält er keine Leistung vom Veranstalter des Schneeballsystems, während
dieser jedenfalls einen (unbedingten) Anspruch auf das
Entgelt gegen jeden neu zugeführten Kunden erhält. Vereinbart der Veranstalter mit mehreren Erstkunden eine
derartige Bedingung, schwillt das System typischerweise
lawinenartig an. Je mehr durch eine solche Bedingung gebundene Erstabnehmer nun ihrerseits weitere Kunden suchen (um ihre eigene Bedingung erfüllen zu können), desto geringer werden die Chancen jedes einzelnen Kunden,
neue Abnehmer zu finden.8
Mit der UWG-Novelle 2007 wurde ein weiteres Verbot
von Schneeballsystemen in das UWG aufgenommen.
Gemäß Z 14 des Anhangs zum UWG verboten ist demnach die „Einführung, Betrieb oder Förderung eines
Schneeballsystems (§ 27 UWG) zur Verkaufsförderung,
bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat,
eine Vergütung zu erzielen, die überwiegend durch das
Einführen neuer Verbraucher in ein solches System und
weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten
zu erzielen ist.“ Der Tatbestand ist weiter gefasst, als jener
des § 27 UWG, da die unbedingte Leistung des Kunden
kein Tatbestandsmerkmal der Z 14 des Anhangs zum
UWG ist.
Durch den Verweis auf die Definition des Schneeballsystems nach § 27 Abs 2 UWG wird Z 14 des Anhangs zum
UWG gegenüber der RL-UGP jedoch eingeschränkt und
setzt diese damit nicht vollständig um. Darüber kann auch
nicht immer ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 1
UWG hinweghelfen, da dieser – anders als die per seVerbote des Anhangs – nur bei spürbaren Auswirkungen
auf dem Markt anwendbar ist.9 Der OGH hat die Frage
der richtlinienkonformen Umsetzung vorläufig offen gelassen. Die Auswirkungen der neuen Rechtslage insbesondere im auf Multi-Level-Marketing-Systeme bleiben
daher offen.10
In Bezug auf den (für Multi-Level-Marketing-Systeme
charakteristischen) – grundsätzlich erlaubten – Einsatz
von Laienwerbern ist jedoch § 1a UWG (aggressive Geschäftspraktiken) von Bedeutung. Darunter fallen Verhaltensweisen, die die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit
eines Verbrauchers oder anderen Marktteilnehmers in Bezug auf das Produkt insbesondere durch unzulässige Beeinflussung wesentlich zu beeinträchtigen und für seine
geschäftliche Entscheidung kausal sind. Dass sich zum
Vertrieb eingesetzte Laien überwiegend an Verwandte,
Freunde und Bekannte wenden, die den Werber nicht so
leicht abweisen können wie einen ihnen unbekannten Vertreter, kann demnach für eine unzulässige Beeinflussung
gemäß § 1a UWG ausreichen.11 Dies gilt insbesondere bei
systematischer Ausnutzung familiärer oder sozialer Beziehungen.12
________________________
8 Vgl. Kucsko in Wiebe/Kodek, UWG, § 27, Rz 11f.
9 Horak, „Unlauteres Schneeballsystem“, ecolex 2009/382.
10 Prohaska-Marchried/Grünzweig/Schultes, „Neue Hürden für Freundschaftwerbung“, der Standard (Wirtschaft & Recht), 2.9.2009.
11 OGH, 4 Ob 26/09.
12 Gamerith/Mildner, „Zum Verbot des Abschlusses von Verträgen nach
dem Schneeballsystem nach altem und neuem Lauterkeitsrecht“ in ÖBl
2010/2, 9ff.
270
ZVertriebsR 4/2012
Österreich
III. Der Handelsvertreter im Multi-Level-Marketing
System
Wie dargelegt, handelt es sich beim Multi-LevelMarketing um komplexe Vertriebsstrukturen. In diesem
Zusammenhang stellt sich das Problem der Ausgleichsfähigkeit des zugeführten Geschäfts. Eine Besonderheit in
mehrstufigen Vertriebssystem liegt darin, dass unechte
Untervertreter tätig werden, die mit dem Hauptvertreter in
keinem Vertragsverhältnis stehen und die Höhe der Provision des Hauptvertreters auch vom Vermittlungserfolg des
ihm organisatorisch untergeordneten Untervertreters abhängt.13 Die Vertragsbeziehung besteht jeweils zwischen
dem Untervertreter und (direkt) mit dem Unternehmer
(d.h. dem Vertriebsunternehmen). Das Verhältnis zwischen dem Hauptvertreter und dem unechten Untervertreter kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Dem
Hauptvertreter können (wie beim Multi-Level-Marketing)
zB Aufsichts- und Koordinierungsbefugnisse eingeräumt
oder Betreuungspflichten auferlegt werden.14
Demgegenüber liegt ein echtes Unterverhältnis dann vor,
wenn der Untervertreter vom Hauptvertreter beauftragt
wird, im Namen und auf Rechnung des Unternehmers
Handelsvertretergeschäfte zu tätigen. In diesem Fall besteht das Handelsvertreterverhältnis zwischen dem Hauptvertreter und dem Untervertreter, nicht etwa zwischen
dem Untervertreter und dem Unternehmer. Der Untervertreter handelt als Erfüllungsgehilfe des Hauptvertreters.15
Im Strukturvertrieb stehen unechter Untervertreter und
Hauptvertreter daher typischerweise in keinem Vertragsverhältnis zueinander. Es ist vielmehr so, dass Vertragspartner der Vertreter auf den verschiedenen Ebenen jeweils das Vertriebsunternehmen ist. Vertragliche
Ansprüche, wie der Provisionsanspruch oder die Berichtspflicht bestehen immer nur im Verhältnis zwischen dem
jeweiligen Vertreter und dem Vertriebsunternehmen. Auch
ein etwaiger Ausgleichsanspruch infolge der Vertragsbeendigung des unechten Untervertreters könnte daher nur
gegenüber dem Vertriebsunternehmen geltend gemacht
werden (siehe dazu im Folgenden).
Der echte Untervertreter gem § 1 Abs 2 HVertrG hat hingegen ein Vertragsverhältnis mit dem Hauptvertreter. Der
Hauptvertreter leitet seine Rechte und Pflichten aus dem
Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer ab. Im Rahmen
des Untervertretungsverhältnisses wird der echte Untervertreter allein im Rahmen des Vertrages zwischen ihm
und dem Hauptvertreter tätig. Seine Bemühungen beschränken sich darauf, dem Hauptvertreter bei der Erfüllung der von diesem gegenüber dem Unternehmen übernommenen Vertretungsaufgabe zuzuarbeiten. Die dem
echten Untervertreter zustehende Provision entnimmt der
Hauptvertreter sodann seiner eigenen Provision, auf die er
im Rahmen seines Handelsvertretervertrages mit dem Unternehmer Anspruch hat. Einen allfälligen Ausgleichsanspruch kann der Untervertreter nur gegenüber seinem Vertragspartner, dem Hauptvertreter, geltend machen.
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat. Der Ausgleichsanspruch bezweckt hiermit einen Wertausgleich im
Zuge der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses.
Der Handelsvertreter soll dabei für jene Wertsteigerung
vergütet werden, die dem Unternehmer durch seine Tätigkeit entstanden ist.16 Durch die Anbahnung neuer Kundenbeziehungen und den Ausbau von fortdauernden Geschäftsbeziehungen ist der so entstandene Kundenstock
ein Aktivum des Unternehmens geworden, aus dem während des bestehenden Vertragsverhältnisses sowohl der
Unternehmer, als auch der Vertreter Vorteile gezogen haben. Mit der Vertragsauflösung bleiben diese Vorteile nun
beim Unternehmer, sodass die ursprünglich bestehende
Ausgewogenheit dieses Nutzungsverhältnisses mit Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen Handelsvertreter und Unternehmer verloren geht.17 Eine weitere Voraussetzung für das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs ist
daher, dass zu erwarten ist, dass der Unternehmer aus diesen Geschäften auch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann.
§ 24 HVertrG stellt nicht ausschließlich auf die Zuführung
neuer Kunden ab. Für die Begründung bzw Bemessung
des Ausgleichsanspruchs ist auch die (wesentliche) Erweiterung bestehender Geschäftsbeziehungen von Bedeutung.
Kunde iSd § 24 HVertrG ist, wer zumindest eine Bestellung bzw zumindest ein Anbot auf Abschluss eines Kaufvertrages aufgegeben hat. Er ist daher der Geschäftspartner des vom Handelsvertreter vertretenen Unternehmens,
der die Vertragsprodukte kauft oder die Dienstleistungen
des Unternehmers in Anspruch nimmt. Nicht als Kunde
iSd § 24 HVertrG gilt jemand, der zwar vom Handelsvertreter geworben wurde, selbst aber keine Vertragsprodukte
abnimmt.18 Nicht bereits jede (geringfügige) Umsatzausweitung bestehender Kunden erfüllt die Tatbestandsvoraussetzung der wesentlichen Erweiterung einer bestehenden Geschäftsbeziehung. Eine wesentliche Erweiterung
liegt jedenfalls bei der Verdoppelung von Umsätzen vor,
es können aber auch wesentlich geringere Umsatzausweitungen diese Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Es
kommt dabei stets auf den Einzelfall an.19
Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 24
HVertrG ist, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer
________________________
Wie dargelegt, sind die Vertriebsmittler in Multi-LevelMarketing-Systemen typischerweise unechte Untervertreter. Bei der Zuführung von Kunden ergeben sich daher in
der Regel keine Probleme, da der unechte Untervertreter
Vertragspartner des Unternehmers ist. Der Vertriebsmittler
hat daher bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nur dann einen Ausgleichsanspruch, wenn er
dem Unternehmen während des aufrechten Vertragsverhältnisses neue Kunden zugeführt (oder bestehende Geschäftsbeziehungen ausgebaut) hat. Die vom Vertriebsmittler geschaffenen Geschäftsbeziehungen sind für die
Beurteilung bzw Bemessung der Ausgleichsanspruchsvoraussetzungen nicht dem (übergeordneten) Hauptvertreter
zuzurechnen. Dieser wirkt in der Regel nicht ursächlich an
der Kundenzuführung des ihm untergeordneten Vertriebsmittlers mit. Der Hauptvertreter nimmt in MultiLevel-Marketing-Systemen vielmehr Überwachungs- und
Betreuungsaufgaben wahr. Dem steht nicht entgegen, dass
der Hauptvertreter für diese Tätigkeiten in vielen Fällen
eine vom Umsatz des untergeordneten Vertriebsmittlers
abhängige Superprovision (diese kann in der Praxis unter________________________
13 Viehböck, Strukturvertrieb und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, wbl 1998, 434; Nocker, HVertG, Rz 53 zu § 14.
14 Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz, § 1, Rz 29.
15 Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz, § 1, Rz 29.
16
17
18
19
IV. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters
im Multi-Level-Marketing Vertriebssystem
Vgl. Jabornegg, HVertrG, 487.
Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, § 24, Rz 2.
Vgl. Nocker, HVertrG, § 24, Rz 432.
Nocker, HVertrG, § 24, Rz 506.
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
Österreich
schiedliche Bezeichnungen haben, wie zB TeamleiterBonus oder Gruppenleiter-Bonus) erhält.
Wegen der Einmaligkeit der – für den Vertrieb in MultiLevel-Marketing-Systemen typischen – Geschäfte mit
privaten Endabnehmern könnte ein Ausgleichsanspruch
daran scheitern, dass dem Unternehmer keine Stammkunden zugeführt wurden.
Wird in diesem Zusammenhang aber nicht auf den Endabnehmer sondern auf die in der Vertriebsstruktur untergeordneten Vertriebsmittler abgestellt, die ihrerseits neue
Vermittler für die Vertragsprodukte werben, so könnte
auch Vertriebsmittlern die den Strukturvertrieb aufgebaut
haben ein Ausgleichsanspruch zuerkannt werden.20 Nach
der Rechtsprechung des deutschen BGH kann demnach
der Verlust einer Superprovision ausgleichsfähig sein,
wenn die Errichtung einer Verkaufsorganisation mit der
Superprovision nicht zur Gänze abgegolten wurde.21 Diesem Ansatz ist der OGH in 9 ObA 44/98 gefolgt. Demnach ist nicht immer nur der eigene Umsatz für den Ausgleichsanspruch entscheidend, sondern kann auch eine für
die mittelbare Werbung eines Kundenstammes gewährte
Superprovision ausgleichsrelevant sein.
Bei der Prüfung des Vorliegens eines Ausgleichsanspruchs
ist daher in Bezug auf die Tätigkeit des Hauptvertreters
zwischen vermittelnder bzw verwaltender Tätigkeit zu unterschieden. Vermittelnde und damit ausgleichsrelevant
sind demnach alle Tätigkeiten, die einer umsatzfördernden
Kundenzufuhr und damit der Schaffung eines Kundenstammes gedient haben.
Nach der Rechtsprechung des OGH ist allerdings nach
dem Grundsatz der Billigkeit zu beachten, dass der Unter-
ZVertriebsR 4/2012
271
nehmer nicht dazu verpflichtet werden darf, einen Ausgleichsanspruch mehrfach zu bezahlen. Der volle Ausgleichsbetrag wäre daher uU zwischen mehreren Berechtigten je nach Anteil an der Gewinnung von neuen
Kunden aufzuteilen.22
V. Fazit
Bei der Gestaltung von Multi-Level-Marketing-Systemen
ist stets auf die strafrechtlichen Bestimmungen sowie die
Rahmenbedingungen des UWG Bedacht zu nehmen. Insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Laienwerbung
bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu den
einschlägigen Bestimmungen des UWG in Zukunft entwickeln wird.
Ebenso bleibt abzuwarten, wie die Frage des Ausgleichsanspruchs im Zusammenhang mit den vermehrt zum Einsatz kommenden Multi-Level-Marketing-Systemen in Zukunft von der Rechtsprechung beurteilt wird. Wie
dargelegt, bestehen grundsätzlich Ansatzpunkte für die
Bejahung eines Ausgleichsanspruchs von Absatzvermittlern gegenüber dem Vertriebssystem. Aufgrund der beträchtlichen Unterschiede und der komplexen Struktur
einzelner Multi-Level-Marketing-Systeme wird dabei
stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen sein.
________________________
20 Nocker, HVertrG, § 24, Rz 432.
21 Viehböck, Strukturvertrieb und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, wbl 1998, 434; BGH 24.6.1971, BGHZ 56, 290 – BB 1971, 887.
22 OGH, 9 ObA 44/98.
Alexander Petsche, Marc Lager und Sebastian Kutsche*
Entscheidungsbesprechung: OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
Zum Zusammenhang zwischen der Verjährung der
Haupt- und Nebenansprüche aus dem Handelsvertretervertrag und der Provisionsabrechnung
HVertrG §§ 16, 18
1. Nebenansprüche aus dem Handelsvertretervertrag
verjähren gemeinsam mit dem Hauptanspruch.
2. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Provisionsabrechnung trifft den Unternehmer. Durch Erfüllung
seiner Pflicht zu Abrechnung der Provision wird der
Lauf der Verjährungsfrist ausgelöst.
3. Wenn die Provisionsabrechnung erst Jahre nach
dem betreffenden Jahr gelegt wird, verjähren diese
Ansprüche aus diesem Vertragszeitraum auch erst ab
diesem Zeitpunkt.
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
I. Sachverhalt
Der Kläger war seit dem Jahr 1991 für die Beklagte als
Handelsvertreter tätig. Der Handelsvertretervertrag wurde
zum 30.6.2008 durch Kündigung der Beklagten aufgelöst.
Im Vertrag zwischen den beiden Parteien befand sich eine
Bestimmung, die besagte, dass der Unternehmer dem
Handelsvertreter für jeden Kalendermonat bis spätestens
zum letzten Tag des Folgemonats eine Provisionsabrechnung über die durchgeführten und berechneten Geschäfte
übergeben muss. Diese monatlichen Provisionsabrechnungen wurden vom Beklagten jedoch nicht erstellt. Im
gegenständlichen Fall legte die Beklagte erst Mitte Oktober 2007 die Provisionsabrechnung für das Jahr 2005 vor.
Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses machte der
Kläger am Ende des Jahres 2008 weitere Provisionen, eine
Verwaltungsvergütung, kapitalisierte Zinsen sowie einen
Ausgleichsanspruch geltend. Darüber hinaus begehrte er
mittels Stufenklage, den Beklagten zu verpflichten, für
den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.12.2008 für sämtliche
Geschäfte in Bezug auf bestimmte Produkte und Regionen
Rechnungen und einen Buchauszug zu legen. Die Beklagte machte daraufhin geltend, dass sowohl das Rechnungslegungs- als auch das Buchauszugsbegehren für das
Jahr 2005 bereits verjährt seien.
II. Das Recht des Handelsvertreters auf Verlangen von
Buchauszügen und Auskünften
Dem Handelsvertreter steht gem § 16 HVertrG das Recht
zu, vom Unternehmer zur Nachprüfung des Betrages der
272
ZVertriebsR 4/2012
Österreich
ihm zustehenden Provision einen Buchauszug, sowie alle
Auskünfte zu verlangen. Das Recht auf Buchauszug ist
eines der wichtigsten Kontrollrechte des Handelsvertreters
gegenüber dem Unternehmer. Der Buchauszug ist eine
teilweise Abschrift aus den Geschäftsbüchern des Unternehmers, die dem Handelsvertreter die Einzelkontrolle
über provisionspflichtige Geschäfte ermöglichen soll. Er
soll sicherstellen, dass die Provision des Handelsvertreters
richtig berechnet und er für seine Arbeit vertragsgemäß
entlohnt wird. Dem Handelsvertreter wird damit ermöglicht, die Berechnung seiner Ansprüche zu überprüfen,
ohne volle Einsicht in die Bücher des Unternehmers zu
nehmen. Falls der Verdacht besteht, der Auszug aus den
Büchern sei inkorrekt, hat der Handelsvertreter die Möglichkeit, in einem außerstreitigen Verfahren Einsicht in die
kompletten Bücher zu nehmen. Der Buchauszug dient dazu, den Handelsvertreter mit jenen Informationen zu versorgen, die er für die Berechnung seiner Provisionen benötigt. Der Auszug ist nur ein Teil der kompletten
Handelsbücher, welche vom Unternehmer geführt werden.
Wie der Auszug im Einzelfall auszugestalten ist, hängt
stark davon ab, wie die Berechnung der Provisionen des
Handelsvertreters erfolgen soll. Der Unternehmer muss
dem Handelsvertreter jene Informationen aushändigen,
die der Berechnung der Provisionen zugrunde zu legen
sind. Typischerweise sind dies die provisionsrelevanten
Daten über Kunden, Art und Inhalt des Geschäfts und Erfüllung. Dazu gehören im Fall von provisionsmindernden, nicht ausgeführten Geschäften, auch Angaben zu etwaigen Stornierungsgründen vom Unternehmer. Der Buchauszug muss die Angaben in klarer und übersichtlicher
Weise enthalten. Der Unternehmer hat den Auszug auf eigene Kosten herzustellen und kann die Erstellung nicht
unter Berufung auf zu hohe Kosten verweigern. Dies gilt
selbst dann, wenn der Unternehmer steuer- und unternehmensrechtlich nicht zur Buchführung verpflichtet ist. Im
Hinblick auf § 16 HVertrG ergibt sich damit eine Pflicht
für den Unternehmer, Bücher zu führen. Eine bloße Einsichtsgewährung oder Zurverfügungstellung der Geschäftsbücher reicht nicht aus. Der Unternehmer ist verpflichtet, den Auszug derartig zusammenzustellen, dass
alle für die Errechnung der Provision des Handelsvertreters relevanten Informationen enthalten sind. Der Anschluss von Belegen ist allerdings grundsätzlich nicht erforderlich.
Neben einem Buchauszug kann der Handelsvertreter auch
alle weiteren Auskünfte verlangen, die er für das Feststellen seiner Provision benötigt. Das Auskunftsrecht hat vor
allem dann Bedeutung, wenn der Unternehmer keine Geschäftsbücher führt, oder die Bücher nicht vollständig
sind. Das Recht auf einen Buchauszug und das Auskunftsrecht sind voneinander unabhängig und können gegebenenfalls nebeneinander geltend gemacht werden. Genau
wie das Recht auf einen Buchauszug kann auch das Informationsrecht gemäß § 27 Abs. 1 HVertrG vertraglich
nicht im Voraus zum Nachteil des Handelsvertreters beschränkt oder ausgeschlossen werden.
§ 16 Abs. 6 HVertrG regelt die Wirkung von Anträgen auf
Bucheinsicht, Auskünfte und Buchauszüge auf die Verjährung des Provisionsanspruches. Während des jeweiligen
Verfahrens läuft zwar die Verjährung der Ansprüche weiter, sie kann aber nicht vor Ablauf dreier Monate nach
rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens und Erfüllung
des Anspruchs auf Buchauszug, Einsicht und ergänzende
Auskünfte enden. § 16 Abs. 6 HVertrG bewirkt daher eine
Ablaufshemmung.
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
III. Die Verjährung von Haupt- und Nebenansprüchen
des Handelsvertreters
Wie der OGH bereits mehrfach feststellte, unterliegen
sämtliche Ansprüche des Handelsvertreters gegenüber
dem Unternehmer der dreijährigen Verjährungsfrist des
§ 18 Abs. 1 HVertrG. Allgemein beginnt die Verjährung
mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem das Recht erstmals
hätte ausgeübt werden können. Demnach ist der Beginn
der Verjährungsfrist an die objektive Möglichkeit der
Rechtsausübung nach Eintritt der Fälligkeit geknüpft.
Auch nach § 18 Abs. 1 HVertrG verjähren alle Ansprüche
der Parteien aus einem Handelsvertretervertrag, also sowohl des Handelsvertreters als auch des Unternehmers,
innerhalb von drei Jahren. Darunter fallen unter anderem
Provision, Ersatzansprüche, Kontrollrechte, Strafen,
Rückzahlungen, Informationsprivilegien etc. Entgegen der
üblichen Verjährungsfrist gem § 933 Abs. 1 ABGB knüpft
der Beginn der Verjährungsfrist bei Handelsvertretern jedoch nicht an die Fälligkeit – dh die objektive Möglichkeit zu klagen – sondern an das Ende eines Kalenderjahres, in dem der die Verjährung auslösende Umstand
eingetreten ist. § 18 Abs. 2 HVertrG unterscheidet dabei
zwischen drei Fällen. Für Ansprüche, welche ordnungsgemäß vom Unternehmer in die Abrechnung mit einbezogen wurden, beginnt die Frist mit Ende des Jahres, in dem
sie veranschlagt wurden. Ansprüche, die vom Unternehmer entgegen dem Gesetz oder vertragswidrig nicht in die
Abrechnung aufgenommen wurden, beginnen am Ende
des Jahres, in dem der Vertrag mit dem Handelsvertreter
endete, zu verjähren. Der Unternehmer soll dadurch motiviert werden, rasch abzurechnen. Bei Ansprüchen, die erst
nach dem Ende des Jahres abzurechnen wären, beginnt die
Verjährungsfrist mit Ende des Jahres, in dem die Abrechnung hätte stattfinden sollen.
Der Provisionsanspruch stellt immer einen Hauptanspruch
im Gegensatz zum Nebenanspruch der Rechnungslegung
dar. Nach Ansicht des OGH richtet sich der Beginn der
Verjährungsfrist für den Provisionsanspruch als Hauptanspruch sowie für alle Nebenansprüche, die zur Durchsetzung
des
Hauptanspruches
dienen
nach
§ 18 Abs. 2 HVertrG. Aus diesem Grund begann im gegenständlichen Verfahren die Verjährung für das Rechnungslegungsbegehren für das Jahr 2005 erst zu laufen,
als der Unternehmer Mitte Oktober 2007 die Provisionsabrechnung für dieses Jahr legte. In diesem Zusammenhang war der Einwand des Beklagten unberechtigt, dass
der Handelsvertreter dadurch, dass er die Provisionsabrechnung und den Buchauszug nicht begehrte, den Lauf
der Verjährungsfrist nach eigenem Willen verlängern
könnte. Der OGH stellte fest, dass es am Unternehmer
liegt, seiner Pflicht zu Abrechnung der Provisionen vereinbarungsgemäß nachzukommen und dadurch den Lauf
der Verjährungsfrist auszulösen.
Zusammenfassend ist daher in Bezug auf die Verjährungsfrist bei Ansprüchen des Handelsvertreters auf die Wichtigkeit der ordnungsgemäßen Abrechnung für den Unternehmer hinzuweisen. Die Legung der Provisionsabrechnung stellt das auslösende Moment für den Beginn
der Verjährung dar.
________________________
*
1
DDr. Alexander Petsche ist Rechtsanwalt und Partner von Baker &
McKenzie in Wien; Dr. Marc Lager ist Associate bei Baker & McKenzie in Wien; Sebastian Kutsche, LL.B. ist Junior Associate bei Baker
&McKenzie in Wien.
Vgl. OGH 29.4.2004, 8 ObA 39/04z; OGH 10.4.2008, 9 ObA 187/07a.