Predigt San Egidio in Würzburg - luth. Landeskirche in Braunschweig

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Predigt San Egidio in Würzburg - luth. Landeskirche in Braunschweig
Predigt im Gottesdienst der Gemeinschaft Sant’Egidio in Würzburg am 30.3.2010
von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber, Braunschweig
Liebe Schwestern und Brüder,
Von mir selbst weiß ich, Klagen über Schmerzen oder ein Zipperlein gehen mir leicht über
die Lippen. Wenn es mir gut geht - und das ist Gott sei Dank meistens der Fall - zähle ich das
zu den Selbstverständlichkeiten. Klagen über den Zustand unserer Kirche, über schwindende
öffentliche Bedeutung, über Kirchenaustritte und Finanzprobleme, über Ärger, den ein
Kirchenmensch verursacht, über mangelndes Zeugnis des Glaubens, die lassen sich leicht
formulieren. Aber daß Menschen, sich von ihr getragen wissend, ihr Leben meistern, daß
Gemeinden wichtige Lebensräume für viele Menschen sind und allein die evangelischen
Gottesdienste von circa 1,1 Millionen Menschen am Sonntag besucht werden, darüber hören
wir wenig. Über den Schaden der Kirchentrennung klagen wir zu Recht, aber daß Menschen
unterschiedlicher Konfession sich im Glauben und Handeln verbunden wissen und sind, bleibt
oft unausgesprochen.
Darum ist mein erstes Wort Dank dafür, daß Sie als Gemeinschaft Sant’Egidio das Wort vom
Kreuz, das Evangelium also, immer wieder neu, immer wieder der jeweiligen Situation
entsprechend, als Zuspruch und Anspruch für Menschen verkündigen und leben. Sie
formulieren das Kontrastprogramm zu den sonst üblichen Abläufen artikulieren, vernehmlich
und verständlich. Sie leben als Gemeinschaft nicht hinter den Kirchen- und Klostertmauern,
sondern in Ihrer Sorge für die Armen, in Ihrer Friedensarbeit Arbeit, in Ihrer Seelsorge und
Sozialarbeit mit allen nötigen politischen Implikationen öffentlich.
Mein Dank gilt Ihren entwicklungspolitischen Akzenten, die uns als in der Einen Welt lebend
ansprechen, auf unsere Mitverantwortung für diese Eine Welt verweisen.
Ihr Wirken macht allerdings auch klar, dass es sich spirituellen Wurzeln verdankt. Nicht
Akitvismus, sondern aus der geistlichen Besinnung kommende Handlung, das ist Ihr Weg –
Dank dafür.
Uns verbindet der eine Auftrag, den Christus seiner Kirche gegeben hat: Das Heilshandeln
Gottes für alle, die mühselig und beladen sind, zu bezeugen, damit sie frei werden. Zugleich
hat sie die mannigfaltige Weisheit Gottes den Mächten und Gewalten (Eph. 3,10) gegenüber
kund zu tun. Das ist neben dem individuellen der politische und gesellschaftliche Auftrag.
Diesen einen Auftrag hat die Kirche Jesu Christi. Wenn sie sich in ihren Gliedern stärker
bewußt wäre, dass es ein gemeinsamer Auftrag ist, dann käme sie kräftiger und erkennbar
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auch zum gemeinsamen Bekennen, zum gemeinsamen Lob Gottes und zum gemeinsamen
Hören auf Gottes Wort, um gemeinsam handeln zu können, denn die Eine Kirche ist keine
Kirche für sich allein und auch keine Kirche, die um ihrer selbst willen existiert. Wir glauben
an die eine heilige…. Kirche.
Was meine ich, wenn ich von der Einen Kirche spreche?
Wir erleben Kirche doch in je unterschiedlich konfessioneller Ausgestaltung. Erlauben Sie
mir eine persönliche Anmerkung: Die religiösen Wurzeln meiner Familie sind mit der
evangelischen Kirche verbunden. Da gibt es hugenottische Protestanten aus Frankreich,
Pietisten aus dem Wittgensteiner Land, Evangelische aus der Landgrafschaft Darmstadt und
am Ende Eltern, die zur evangelischen Kirche gehörten und darum auch aus Gewohnheit und
Überzeugung ihre Kinder in der Kirche taufen ließen, die seit Menschengedenken die Kirche
der Familie war, nämlich die evangelische, vertraut und in ihren Bräuchen bekannt.
Katholische Christen habe ich in der nahezu rein evangelischen Region erst in den 50-er
Jahren kennen gelernt, in der Schule. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde die erste katholische
Kirche gebaut und ein Priester bezog das neue katholische Pfarrhaus.
Meine Erfahrungen von damals liegen gut 50 Jahre zurück: Das nicht Bekannte wurde als das
Fremde, auch Bedrohende wahrgenommen.
Heute leben wir religiös nicht mehr in geschlossenen Gesellschaften und sind empört, wenn
Menschen versuchen, andere ihres Glaubens wegen zu diffamieren oder Glaubensinhalte und
Glaubenspraxis zu kritisieren ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, dieselben
zu verstehen. Evangelische und katholische Christen leben zusammen mit Orthodoxen,
Freikirchlern, es gibt die ACK, die Fokolar-Bewegung und Sant’Egidio. Vieles gelingt im
Miteinander, bis hin zum 2. Ökumenischen Kirchentag im Mai.
Ich denke, Sie alle kennen diese Entwicklung. Und die Kirchen stehen in Konkurrenz mit
anderen Anbietern auf dem religiösen Markt. Aber das wäre nun Thema eines Vortrags mit
umfänglicher Aussprache. Einmal, um die Chancen dieser Veränderung zu fassen und die
Risiken nicht nur für die Kirchen, sondern auch für die Wählenden zu benennen, denn auf
diesem Markt bewegen sich manche Scharlatane und Gruppen, die die Seelen knechten. Die
Eine Kirche hat den Auftrag, das von den knechtenden Mächten befreiende Evangelium zu
verkündigen. Ob sie das durch Wort und Tat tut oder ob sie erneut in Knechtschaft und
Unfreiheit führt, wäre ein Maß.
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Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität
Aber ich komme darauf zurück, was ist gemeint, wenn ich von der Einen Kirche Jesu Christi
spreche?
Ich versuche eine Antwort, indem ich an das Bekenntnis von Nicäa Konstantinopel aus dem
Jahre 381 erinnere. Dieses Bekenntnis verbindet orthodoxe, römisch-katholische und
evangelische Christen und gehört mit der Bibel zu unserem wichtigsten gemeinsamen Erbe.
Es ist übrigens das einzige Bekenntnis, das mit der Autorität eines ökumenischen Konzils,
nämlich des 2. Ökumenischen Konzils von Konstantinopel (381) ausgestattet ist. Später, auf
dem 4. Ökumenischen Konzil in Chalkedon (451), wurde es
zum
offiziellen
Glaubensbekenntnis der Kirche erhoben. In diesem Bekenntnis heißt es von der Kirche:
„Wir glauben an den Heiligen Geist ... und die Eine, heilige katholische und apostolische
Kirche“
Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität sind bis heute die entscheidenden Merkmale
jeder Kirche in der ökumenischen Gemeinschaft. Sie sind keine aufweisbaren Qualitäten der
einzelnen Kirchen, sondern Ziele, aus denen sich der ökumenische Auftrag ergibt.
a)
Als wichtigstes und erstes Merkmal ist die Einheit genannt. Damit ist die besondere
Gemeinschaft der Kirche mit Jesus Christus gemeint, zugleich damit ist die Einheit als
Gemeinschaft mit Vater und Heiligem Geist gemeint, also trinitarisch verstanden. Nicht
umsonst wird von dieser Setzung her festgehalten: ,,Die heilige Dreieinigkeit ist der
erhabenste Ausdruck von Einheit und Verschiedenheit: es besteht Verschiedenheit der
Personen, aber völlige Einheit von Wesen, Wissen und Willen." (Santiago 1993, Sektion II, Z.
15) Einheit bedeutet also die Gemeinschaft aller ihrer unterschiedlichen Glieder in einem
Geist und in der reichen Vielfalt der Gaben. Es ist also keine Uniformität oder gar ein
Uniformismus. Es ist auch kein Zentralismus der Leitung oder ein Individualismus der
Glaubenden im Blick. Einheit der Kirche meint vielmehr die Gemeinschaft aller ihrer
unterschiedlichen Glieder in einem Geist und der reichen Vielfalt seiner Gaben. Es ist also
eine Gemeinschaft der Verschiedenen im Blick.
b)
Heilig ist die Kirche deswegen, weil sie der Ort der besonderen Gegenwart Gottes in
der Welt ist, Gegenwart in Wort und Sakrament. Die Kirche weiß sich als Gottes Eigentum,
darf sich als Gemeinschaft der Heiligen verstehen,
die zugleich als Gemeinschaft von
Sündern Vergebung empfängt. Der Heilige Geist ist in den Kirchen besonders wirksam,
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,,wenn sie sich aus der Vergebung Gottes heraus gegenseitig vergeben und einander als
Glieder der umfassenden Gemeinschaft der Heiligen anerkennen
c)
Katholisch wird die Kirche genannt, weil sie Anteil hat an der Fülle des dreieinigen
Gottes. Mit dem Ausdruck katholisch ist also nicht die römisch-katholische, orthodoxe oder
evangelische Kirche allein gemeint, sondern eine grundlegende Qualität jeder Kirche - keine
Kirche kann für sich die Katholizität allein in Anspruch nehmen. Im Gegenteil: soweit und
solange die verschiedenen Kirchen noch nicht in voller Gemeinschaft miteinander leben,
leiden sie alle an demselben Mangel an Katholizität.
d)
Apostolisch meint den Rückbezug der Kirche auf ihren Ursprung im Zeugnis der
Propheten und Apostel. Zu diesem Rückbezug gehört auch der Sendungsauftrag an die Welt,
den sie jedoch nur erfüllen kann ,,solange sie selbst als die Eine, heilige, katholische und
apostolische Kirche ständig erneuert wird." (Gemeinsam den Glauben bekennen, S. 241)
Sie ahnen und wissen, daß die grundlegenden Merkmale der Kirche in ihrer vollen Bedeutung
auf keine der heute vorhandenen verschiedenen Einzelkirchen zutreffen. Weder auf die
römisch-katholische, noch auf die orthodoxe und die protestantische Kirche. Die grundlegenden Merkmale können vielmehr nur in ökumenischer Gemeinschaft aller Kirchen
verwirklicht werden. Treffend formuliert daher die 7. Vollversammlung des Ökumenischen
Rates der Kirchen in Canberra 1991: ,,Das Ziel der Suche nach voller Gemeinschaft ist
erreicht, wenn alle Kirchen in den anderen die Eine, heilige, katholische und apostolische
Kirche in ihrer Fülle erkennen können ... In einer solchen Gemeinschaft sind die Kirchen in
allen Bereichen ihres Lebens, auf allen Ebenen miteinander verbunden im Bekenntnis des
einen Glaubens und im Zusammenwirken in Gottesdienst und Zeugnis, Beratung und
Handeln." (Canberra-Bericht S. 174). So erwächst die Eine, heilige, katholische und
apostolische Kirche aus der ökumenischen Gemeinschaft aller ihrer Glieder.
Wir sind auf dem Weg zu dieser Einheit
Sie erbitten wir in der Solidarität der untereinander Verschiedenen. Ich wünsche mir, dass es
versöhnte Verschiedene sind. Eigentlich spricht nichts dagegen: Uns verbinden der eine
Glaube, die eine Taufe, der eine Herr und das eine Wort und darum müssen wir von der
Wirklichkeit dieses Verbindenden so viel sichtbar machen, wie wir nur können.
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Vieles sehe ich: die ökumenischen Gottesdienste, die gemeinsame Feier von Fronleichnam
und Reformationsfest, die gegenseitigen Besuche bei Konfirmation und Firmung, die Arbeit
der ACK, die Charta Oecumenica und die zahlreichen guten Kontakte zwischen
Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen, die Arbeit der Gemeinschaft von Sant’Egidio.
Ich bin ermutigt durch die „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". In diesem
Text wird die gegenseitige Verpflichtung, ,,das Studium der biblischen Grundlagen, der Lehre
von der Rechtfertigung", so zu vertiefen, daß deren Wahrheit ,,in einer für den Menschen
unserer Zeit relevanten Sprache" ausgelegt wird, ausgesprochen. Darauf kommt es an. Die
gemeinsamen Wurzeln entdecken als gemeinsames Erbe und sie für Menschen unserer Zeit
einladend zu benennen.
Gemeinsam die Bibel lesen müssen wir, das ist die große ökumenische Aufgabe. Und die
evangelische Theologie fängt nicht erst mit Martin Luther an. Die Kirchenväter, die Schätze
der mittelalterlichen Theologie, sie gehören doch nicht der römisch-katholischen Kirche
allein. Entdecken wir sie gemeinsam. Und überhaupt: ein klein wenig mehr voneinander
wissen, sich füreinander interessieren, wo dies nicht geschieht, da wird der Heilige Geist in
seinem versöhnenden Wirken behindert. Darum lassen wir nicht nach, lassen wir uns nicht
entmutigen, für die größere sichtbare Einheit der Kirche zu arbeiten. Sie ist ein Geschenk des
Heiligen Geistes, ja, aber wir Christen haben dem schon oft die Tür gezeigt. Tun wir so viel
miteinander als Christen unterschiedlicher Konfession, wie wir nur können. Hierauf liegt der
Segen Gottes. Denn der will doch nichts anderes, als das wir alle eins seien in ihm.
Amen
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