100000 Franken und ein Schnauz
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100000 Franken und ein Schnauz
Der Landbote Freitag, 4. September 2015 Wiedereröffnung Casinotheater Thema 3 100 000 Franken und ein Schnauz eröffnunGsfest Stelldichein der Promis gestern abend am apéro zur Premiere von «alonso», dem ersten Stück nach der Umbaupause im Casinotheater. Da die Renovation unbestritten gut gelungen ist, gaben andere themen zu reden. Zum Beispiel eine falsche Zahl und ein Oberlippenbart. Die Meinungen zur Renovation des Casinotheaters brachte nad ja «nadeschkin» Sieger auf den Punkt: «Beim Umbauen muss man nicht meinen, man müsse ums Verrecken etwas total neu machen.» Einige kleine Verbesserungen und fertig. «Eine perfekte Erneuerung.» Gerne hörte das Architekt ernst Zollinger. Er war gestern vor allem erleichtert, dass die Arbeiten in so kurzer Zeit über die Bühne gingen: Nur sechs Wochen war die Bühne nicht benutzbar, das Restaurant war nur für vier Wochen zu. Sonst schwelgte Zollinger, der schon den Umbau von 2002 geplant hatte, in Erinnerungen: «Ich weiss noch, wie Viktor Giacobbo, Patrick Frey und ich 1998 erstmals hier die Säle und den Estrich besichtigt haben.» Wie danach Leben ins Haus eingezogen sei, das sei für ihn eine schöne Erfolgsgeschichte. Auch Heiri Vogt war bei der Gründerzeit des jetzigen Casinotheaters schon dabei, er war damals SP-Baustadtrat. Er sei froh gewesen, dass die Stadt den «Klotz am Bein» loswerden konnte. «Zudem kannte ich Viktor Giacobbo schon lange. Das Projekt dieser Künstlergruppe hat mir «Die Aktien des Casinotheaters waren die beste Investition meines Lebens.» Helen Issler, ehemalige Fernsehfrau von «Schweiz aktuell» gleich gut gefallen.» Heute ist Vogt mit seiner Frau oft im Casinotheater zu Gast, im Theatersaal und ab und zu für ein feines Sonntagsessen im Restaurant. Künstler an der Macht Dass das Casinotheater – als einziges derartiges Haus in Europa – nach wie vor von Künstlern geführt wird, darauf sind viele stolz. «Wider Erwarten und allen Unkenrufen zum Trotz hat es funktioniert», sagte der langjährige künstlerische Leiter Paul Burk halter. Manch prominenter Gast war gestern gleichzeitig auch ein bisschen Gastgeber, als Aktionär und quasi Mitbesitzer. Zum Beispiel Kabarettist und Buchautor Franz Hohler oder Kultur- und Reisemoderatorin Monika Schärer, beide seit der ersten Stunde als Teilhaber dabei. Oder die pensionierte Fernsehfrau Helen Issler. Sie sagte offen heraus, dass sie und ihr Mann Gallus Cadonau vor 15 Jahren je 10 000 Franken bezahlt hätten. «Das war die beste Investition in meinem Leben.» Nun gebe es immer wieder eine «Lachdividende». Schauspieler Hanspeter Mül lerDrossaart erinnerte sich an seine Auftritte im Casino. Ebenso Schriftsteller Martin Suter, der hier einst eine Marathonlesung bestritten hat: «Ziel war es, zu lesen, bis niemand mehr im Saal war.» Gelungen ist dies nicht, nach vier Stunden gab Suter auf. Aus Südfrankreich angereist Für den Hingucker des Abends sorgte Schauspieler und CasinoMitgründer Patrick Frey. Er hat im Moment einen Schnauz. Der Grund: Er spielt im Film «Der Af- fenkönig» einen schnauzbärtigen Hausherrn in Südfrankreich. Für die gestrige Feier war er im TGV extra von den Dreharbeiten in Südfrankreich angereist. Der Winterthurer Hausherr Viktor Giacobbo bedankte sich in seiner kurzen Ansprache beim Kantonsrat für den Beitrag von 1,9 Millionen Franken zur Renovation. Das Abstimmungsergebnis für das Geld aus dem Lotteriefonds lautete 163 zu 0. «So einig sind die selten», sagte Giacobbo. Etwas weniger enthusiastisch bedankte er sich daraufhin auch bei der Stadt Winterthur für die beigesteuerten 100 000 Franken – und verschwand von der Bühne. Einige Sekunden später wurde er aber von Geschäftsführer Marc Bürge nochmals ans Mikrofon geschickt, um den Fauxpas auszubügeln: «Sorry. Winterthur hat ja 200 000 Franken gegeben, nicht nur 100 000.» Applaus und Gelächter. War es ein freudscher Versprecher? Giacobbo erwiderte: «Das ist auch so noch günstig für Winterthur.» Dieser Meinung war auch Stadtpräsident Michael künzle (CVP). «Das Casinotheater kommt ohne Betriebsbeiträge der öffentlichen Hand aus, ein Musterbeispiel für privates Engagement im Kulturbereich.» Am Ende des Apéros freute sich Künzle schon aufs Premierenstück «Alonso». «Endlich mit mehr Beinfreiheit in den neuen Sitzreihen.» Jakob Bächtold Saisoneröffnung und tag der offenen tür: Morgen Samstag, 5. September, 11 bis 16 Uhr. Blick hinter die Kulissen mit Künstlerführungen von Mike Müller, Gardi Hutter und vielen anderen. Musikprogramm und Häppchen. Eintritt frei. www.casinotheater.ch. Ein Bericht zur Premiere des Stücks «Alonso» folgt in der Ausgabe von morgen. erste Feier im aufgefrischten Casinosaal: An der Premiere waren (oben v.l.) Kabarettist Patrick Frey, «Nadeschkin» Nadja Sieger, Moderatorin Monika Schärer, Schriftsteller Franz Hohler sowie (unten v. l.) Ex-Fernsehfrau Helen IssMarc Dahinden ler, Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart, Architekt Ernst Zollinger und Schriftsteller Martin Suter. Der umstrittene Start Geschichte Das Casino theater war jahrelang ein Politikum. Bevor die Gruppe um Viktor Giacobbo das Haus übernehmen konnte, musste das Stimmvolk zustimmen. Am Schluss war das Resultat überraschend klar: Mit 73 Prozent Ja-Anteil stimmten die Winterthurerinnen und Winterthurer dem Verkauf des Stadtcasinos an rund 40 Künstlerinnen und Künstler zu. Mit der Abstimmung am 21. Mai 2000 ging ein langes Hin und Her um das Casino zu Ende. Die neuen Besitzer konnten endlich loslegen. «Kulturschmarotzer» Das Referendum ausgelöst hatte nicht der Verkauf an sich, wie die Gegner von damals heute betonen. «Dass eine Künstlergruppe etwas machen wollte, fand ich gut», sagt etwa Ex-SVP-Kantonsrat und Gemüseproduzent Christian Achermann. Umstritten war hingegen, dass die Stadt den Künstlern ein zinsloses Darlehen von zwei Millionen gewähren wollte. Für die einen war das schlicht ein Beitrag an die längst fällige, teure Renovation des Hauses. Die anderen sahen darin jedoch eine unzulässige Unterstützung für «Linksreiche» und «Kulturschmarotzer». Wäre Achermann auch heute noch gegen dieses Darlehen? «Die Umstände waren damals andere», weicht er aus, um dann zu betonen: «Die Entwicklung, die das Casinotheater seither durchgemacht hat, ist hervorragend.» Es sei phänomenal, wie sich Giacobbo und seine Leute für das Haus einsetzten. Jener Ex-SVP-Gemeinderat, der damals das Referendum ergriff, will hingegen sei- ZaHLen, Daten, Fakten nen Namen in diesem Zusammenhang partout nicht mehr in der Zeitung lesen. Für ihn sei die Sache längst abgeschlossen. Das Abstimmungsplakat des Bundes der Steuerzahler hängt noch heute im Casino. Marc Bür- ge, schon bei den Gründern dabei und heute Geschäftsführer des Casinotheaters, denkt mit einem Schmunzeln an die Abstimmung zurück. Nur lustig war die Sache allerdings nicht: «Wir konnten kein Geld ausgeben, bevor das Abstimmungsresultat nicht feststand.» So kam es zu einer grösseren Verzögerung. «Wegen der Abstimmung haben wir ein Jahr verloren», sagt Bürge. Die Idee, dass eine Künstlergruppe das Casinotheater übernehmen könnte, entstand etwa 1997 und stammte ursprünglich von Viktor Giacobbo und Rolf Corver. Sie hätten auf dem Trot- «Die Abstimmung hat unser Projekt um ein Jahr verzögert.» Marc Bürge, Geschäftsführer Casinotheater Marc Bürge mit dem Abstimmungsplakat aus dem Jahr 2000. Marc Dahinden toir vor dem Casino erstmals darüber diskutiert, seien dann ins Rössli gegangen und hätten dort am Stammtisch die ersten Pläne geschmiedet. Die Ausgangslage war günstig: Die Stadt diskutierte seit Jahren über eine dringend nötige Sanierung. Das Projekt fand aber bei niemandem so richtig Gefallen, während die Kosten stiegen und stiegen. 1996 hatte der Gemeinderat ein Sanierungspaket für 19,9 Millionen zurückgewiesen. Die Künstlergruppe begann konkreter zu werden. Man traf sich zu monatlichen Sitzungen, hatte mit Ueli Diener und Walter Peter Juristen und mit Ernst Zollinger auch einen Architekten mit im Boot. Eine entscheidende Rolle spielte ebenso Andreas Reinhart, der via Volkart-Stiftung viel zur Finanzierung beitrug. «Mega-Cervelat-Anlass» Die zusammengewürfelte Künstlertruppe hielt zusammen – bis heute. Der heftigste Streit, an den sich Bürge in Zusammenhang mit dem Umbau 2001, der 13,7 Millionen kostete, erinnern kann, drehte sich um die Form der Sessel im Restaurant, die jetzt übrigens neu mit orangem Leder bezogen sind. Am 1. Mai 2002 fand die grosse Eröffnung statt, zu der Promis aus der ganzen Schweiz anreisten. Regisseurin Katja Früh kommentierte damals: «Das ist ja ein Mega-Cervelat-Anlass.» Ganz problemlos waren die Folgejahre nicht: «Misstöne im Casino» titelte der «Landbote» im Mai 2003, als schlechte Zahlen dazu führten, dass die Führung umstrukturiert wurde. Als Paul Burkhalter 2004 die künstlerische Leitung übernahm, kehrte jedoch spürbar Ruhe ein. Unterdessen ist das Haus auch wirtschaftlich stabil, bei deutlich höheren Einnahmen. Zum Vergleich: In den Anfangsjahren lag der Umsatz noch bei rund drei Millionen Franken pro Jahr, 2014 lag er bei über acht bä Millionen Franken. 3,8 Millionen Franken hat die jetzt abgeschlossene Renova tion des Casinotheaters gekos tet. Die Hälfte, 1,9 Millionen Franken, finanzierte der Kanton mit Geldern aus dem Lotterie fonds. Die Stadt Winterthur steuerte 200 000 Franken bei. Im Gegensatz zum Jahr 2000 waren die Beiträge der öffentli chen Hand diesmal kein Thema. 350 000 Franken kamen von Sponsoren. Die restlichen rund 1,4 Millionen bezahlte das Casi notheater aus Rückstellungen. 75 000 Zuschauerinnen und Zuschauer zählte das Casino theater letztes Jahr bei den Theatereintritten. Die Anlässe in den Sälen sowie die Restau rantbesucher miteingerechnet, schätzen die Betreiber, dass 2014 rund 230 000 Personen das Haus besucht haben. Die Vergleichszahlen von 2003: 40 000 Zuschauer im Theater, 100 000 im ganzen Haus. 1863 wurde das neu gebaute Casino eröffnet. Es hatte eine bewegte Geschichte: Bereits 1872 ging die private Betreiber gesellschaft in Konkurs und die Stadt musste übernehmen. Am 5. Oktober 1934 zerstörte ein Brand die oberen Stockwerke. Später wurden die Säle wäh rend Jahren kaum genutzt. Ab 1989 arbeitete die Stadt an einem Sanierungsprojekt. Stattdessen wurde das Haus 2000 an die Gruppe um Viktor Giacobbo verkauft. bä