Forschungsschwerpunkte – Dr. Daniel Stein

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Forschungsschwerpunkte – Dr. Daniel Stein
Forschungsschwerpunkte – Dr. Daniel Stein
Meine Forschung beschäftigt sich vornehmlich mit der Entstehung und Entwicklung der USamerikanischen Populärkultur seit dem 19. Jahrhundert. In einer multikulturellen, multikonfessionellen
und multiregionalen Einwanderungsgesellschaft wie den Vereinigten Staaten übernimmt die Populärkultur eine besonders wichtige Funktion: Sie bündelt breite Bevölkerungsschichten zu einem nationalen Kollektiv, dessen Heterogenität zugleich kreative Quelle als auch Resultat kommerzieller Unterhaltungsformate ist.
Mein derzeitiger Forschungsschwerpunkt ist das Phänomen der populären Serialität in der grafischen
Literatur. Ich beschäftige mich seit einigen Jahren intensiv mit der über 70-jährigen Geschichte seriell
erzählter Superheldencomics. Im Rahmen der DFG-geförderten Forschergruppe „Ästhetik und Praxis
populärer Serialität“ untersucht mein Habilitationsprojekt die historische Entwicklung dieses populären
Genres. Im Vordergrund steht die Frage nach dem Zusammenhang von serieller Narration und populärer Rezeption, das heißt nach der Wechselwirkung von kulturindustrieller Produktion und den unterschiedlichen Rezeptionsformen, die sich über die Jahrzehnte hinweg herausgebildet haben. Zwar
standen Superheldencomics lange unter Trivialitätsverdacht und wurden als „Schundliteratur“ nur
selten auf ihre narrativen, ikonografischen und kulturhistorischen Besonderheiten untersucht. Doch
als multiauktorial verfasste und von einem Massenpublikum in monatlichen Folgen seit Ende der
1930er-Jahre gelesene Geschichten gewähren sie Aufschlüsse über zentrale gesellschaftliche und
mediale Veränderungen im 20. und 21. Jahrhundert. So hat das populärkulturelle serielle Erzählen –
in Superheldencomics wie im Fernsehen und anderen Medien – die amerikanische Kultur ganz
grundlegend geprägt. Superheldencomics zu analysieren bedeutet daher, sie als aktiven Bestandteil
der amerikanischen und zunehmend globalen Medienwelt zu verstehen. Es bedeutet auch, ihre medienübergreifende Präsenz zu erforschen. Denn Superman, Batman, Spider-Man und Co. treten
schon lange nicht mehr nur in Comicheften in Erscheinung; wir finden sie zunehmend in Fernsehcartoons, Blockbuster-Verfilmungen und Computerspielen sowie in allen Bereichen des Internets.
Mein zweiter Forschungsschwerpunkt widmet sich der afroamerikanischen Kulturproduktion. Er trägt
der Erkenntnis Rechnung, dass die Populärkultur der USA ohne die Werke schwarzer Schriftsteller,
Musiker, Zeichner und anderer Kulturschaffender kaum vorstellbar wäre. Meine Dissertation beschäftigte sich mit Louis Armstrong als Jazzsänger und Trompeter, als Schauspieler und als unkonventionellem Autor aus ärmlichsten Verhältnissen. Armstrongs autobiografische Lebenszeugnisse (zwei
Autobiografien, tausende Briefe, Essays, Interviews) liefern faszinierende Einblicke in die Bedeutung
des Jazz als populärer Musik, in der sich das moderne multikulturelle Amerika wiederfindet. Arm-
Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2013
Dr. Daniel Stein
Stand Mai 2013
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strongs Musik vertont dabei sowohl das Widersprüchliche als auch das Integrative dieser durch „Rassentrennung“ und „Rassendiskriminierung“ immer noch gespaltenen Gesellschaft. Seine autobiografischen Erzählungen sind für die afroamerikanische Kulturproduktion paradigmatisch. Diese Kulturproduktion zeichnet sich durch eine ambivalente Doppelperspektive aus, die sich von den frühen Sklavenerzählungen und den (autobiografischen) Selbstinszenierungen von Jazzmusikern wie Armstrong,
Billie Holiday und Thelonious Monk über die historischen Romane von Toni Morrison und Walter Mosley und die Comics von Aaron McGruder und Keith Knight bis hin zur Barack Obamas Familiengeschichte in „Dreams from My Father“ nachverfolgen lässt. Zur Untersuchung ihrer Langzeitwirkung
soll meine Forschung beitragen.
Meine beiden Forschungsschwerpunkte verbindet das Interesse am Verhältnis von Literatur als klassischem Gegenstand philologischer Analyse und Ausdrucksformen in nicht literarischen Medien: Musik, Comics, Fernsehen, Film. Es geht darum, literarische Texte möglichst vielschichtig in der Medienumwelt ihrer Zeit zu verorten, um ihren Anteil an der Gesamtentwicklung amerikanischer Kultur
besser verstehen zu können. Meine Forschung leistet demnach einen Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Erweiterung intermedialer Theorien. Ziel ist es, die Entwicklung der USA zu einer modernen
und global operierenden Mediengesellschaft als eine intermediale Kulturgeschichte zu begreifen. Dazu ist es notwendig, die vielfältigen Bezüge und wechselseitigen Befruchtungen zwischen Ausdrucksformen in unterschiedlichen Medien systematisch zu analysieren. Dabei liegt mir die Verknüpfung von
literaturwissenschaftlichen, kulturtheoretischen und medienspezifischen Ansätzen ebenso am Herzen
wie die Entwicklung neuer Zugriffe auf marginalisierte Untersuchungsgegenstände (z. B. die Entwicklung einer internationalen Comicwissenschaft). So wichtig diese Theorien und Methoden jedoch sind,
sie bleiben letztlich Werkzeuge, mit deren Hilfe ich das transatlantische „Andere“ der USamerikanischen Kultur möglichst differenziert verstehen möchte.
Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2013
Dr. Daniel Stein
Stand Mai 2013
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