Gebt das Hanf – für Kranke – frei!
Transcription
Gebt das Hanf – für Kranke – frei!
Gebt das Hanf – für Kranke – frei! Vorschläge zur Vereinfachung der Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung von Cannabis Franjo Grotenhermen nova-Institut, Hürth Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM), Rüthen International Association for Cannabinoid Medicines (IACM), Rüthen Herzliche Grüße aus Rüthen (NRW) nach Berlin Worum geht es? Beispiel I aus der Praxis Am vergangenen Samstag besuchte mich erstmals eine 35 Jahre alte Frau mit einer ausgeprägten Fibromyalgie, die vor fünf Jahren schleichend begann. Um in meine Praxis zu kommen, musste sie etwa 500 km zurücklegen. Sie leidet seit Jahren unter Schmerzen einer Stärke von 6-9 auf einer Skala (NRS) von 0 = keine Schmerzen bis 10 = stärkste vorstellbare Schmerzen. Übliche Schmerzmittel, inklusive starke Opiate, haben keinen Einfluss auf die Symptomatik. Im September 2014 war sie mit ihrem Ehemann eine Woche in Colorado, um Cannabis auszuprobieren. Zum ersten Mal seit langer Zeit wurden die Schmerzen erträglich mit einer Stärke von etwa 4 auf der NRS. Ich habe ihr zunächst den Cannabisextrakt Sativex verordnet, den ihre Krankenkasse nicht erstatten wird, weil Sativex für diese Indikation nicht zugelassen ist. Wahrscheinlich wird sie mit meiner Unterstützung eine Ausnahmeerlaubnis von der Bundesopiumstelle zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke erhalten. Worum geht es? Beispiel II aus der Praxis Ich behandle einen 50-jährigen Schmerzpatienten, der seit dem 4. Februar dieses Jahres eine Erlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten durch die Bundesopiumstelle besitzt. Da er sich die Cannabisblüten aus der Apotheke finanziell nicht in einem ausreichenden Maße leisten kann, hat er Cannabis zuhause angebaut. Es läuft gegen ihn ein Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er wird von der Polizei an seinem Wohnort regelmäßig kontrolliert, damit er keinen illegalen Cannabis verwendet und unter seinen Schmerzen leiden muss. Es wurden auch Cannabisblüten beschlagnahmt, die er in der Apotheke erworben hatte, obwohl er die Quittungen und Originaldöschen vorgezeigt hat. Erkrankungen mit Endocannabinoid-Beteiligung Erkrankungen des Energie-Stoffwechsels Störungen von Kreislauf und Atmung Regulierung des Appetits Übergewicht und damit verbundene Stoffwechselstörungen Appetitlosigkeit und Abmagerung Bluthochdruck Kreislaufschock Arteriosklerose Asthma Schmerzen und Entzündungen Störungen des zentralen Nervensystems Nervenverletzungen Schlaganfall Multiple Sklerose und Querschnittslähmung Morbus Parkinson Morbus Huntington Tourette-Syndrom Amytrophe Lateralsklerose Morbus Alzheimer Epilepsie Schizophrenie Angststörungen und Depressionen Schlaflosigkeit Übelkeit und Erbrechen Drogenabhängigkeit Augenerkrankungen Glaukom (Grüner Star) Netzhautschädigungen Krebs Erkrankungen von Leber, Magen und Darm Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Akute und chronische Lebererkrankungen Erkrankungen des Skelettsystems Arthritis Osteoporose Fortpflanzungsfunktionen Das Endocannabinoidsystem Bestandteile des körpereigenen Endocannabinoidsystems - - Endocannabinide (körpereigene Cannabinoide), z.B. Anandamid und 2-AG (Arachidonoylglycerol) Cannabinoidrezeptoren (z.B. CB1-Rezeptor, CB2-Rezeptor, PPAR-GammaRezeptor) Enzyme für die Bildung und den Abbau von Endocannabinoiden Funktion des Endocannabinoidsystems Das Endocannabinoidsystem hemmt eine Überaktivität anderer Neurotransmitter (Überträgerstoffe im Nervensystem), z.B. Glutamat, GABA, Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, et cetera. Hemmung einer Überaktivierung des Nervensystems Was geschieht nach einer traumatischen Hirnverletzung? • • • Source of the figure: Shohami E, et al. Br J Pharmacol. 2011 Aug;163(7):1402-10. Es werden schädliche Signalstoffe freigesetzt, beispielsweise der Neurotransmitter Glutamat. Dies verursacht eine zusätzliche Schädigung des Gehirns, beispielsweise durch eine Entzündung. In Reaktion darauf werden Endocannabinoide produziert, die der Freisetzung schädlicher Signalstoffe und ihrer schädlichen Wirkungen entgegenwirken. Wo wirken Endocannabinoide? • CB1-Rezeptoren finden sich auf: Nervenzellen im Gehirn, Rückenmark und peripheren Nervensystem Endokrinen Drüsen Speicheldrüsen Weiße Blutkörperchen (Leukozyten) Milz Herz Respirationstrakt Haut Knochen Fortpflanzungsorgane Ableitende Harnwege Magendarmsystem • CB2-Rezeptoren finden sich auf Immunzellen, darunter: Leukozyten Milz Rachenmandeln Immunzellen des Gehirns (Astrozyten, Mikroglia-Zellen) Bedarf an Cannabisprodukten in der Medizin Beispiele: Israel und Kanada - Der Bedarf an THC bzw. Cannabis ist für die meisten Länder nicht bekannt. Die meisten Länder bieten einzelne Cannabinoide (THC bzw. Dronabinol, Nabilon) oder einen zugelassenen Cannabisextrakt (Sativex) an. Einige Länder ermöglichen einen Zugang zu natürlichen Cannabisprodukten. Kanada - Nabilon, Sativex und natürlicher Cannabis Zahl der Patienten, die Cannabis verwenden dürfen 2007 1.700 Anfang 2012 12.000 31. Dezember 2013 37.884 Langfristig erwartet: 500.000 (1,33 % von 35 Millionen Einwohnern) Israel - - Dronabinol und natürlicher Cannabis Zahl der Patienten, die Cannabis verwenden dürfen 2009 700 2011 6.000 2014 13.000 Mittelfristig erwartet: 40.000 (0,5 % von 8 Millionen Einwohnern) Bedarf an Cannabisprodukten in Deutschland • In Kanada erhalten etwa 0,1 % der Bevölkerung Cannabisblüten als Medizin. Erwartet werden 1,33 %. Für Israel wird ein Anteil von etwa 0,5 % erwartet. • Auf die deutsche Situation übertragen, entspricht dies einem Bedarf an Cannabisprodukten für 400.000 bis etwa 1 Million Patienten. • Zurzeit erhalten etwa 5.000 Patienten eine Behandlung mit Dronabinol oder Sativex und etwa 350 eine Therapie mit Cannabisblüten. Möglichkeiten der medizinischen Verwendung in Deutschland • In Deutschland können einige Medikamente auf Cannabisbasis auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden (THC/Dronabinol, Nabilon, Sativex). • Zudem besteht die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke. Verschreibung von Cannabismedikamenten als BTM • Grundsätzlich können Ärzte aller Fachrichtungen Dronabinol (THC), den synthetischen THC-Abkömmling Nabilon und den Cannabisextrakt Sativex auch außerhalb der zugelassenen Indikationen (off-label) verordnen. • Die gesetzlichen Krankenkassen lehnen eine Kostenübernahme meistens ab. Sie sind dazu nur im Falle von Sativex bei der Verwendung gegen Spastik bei MS verpflichtet. • Eine Die monatlichen Kosten für eine Behandlung mit Dronabinol belaufen sich bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von 10-15 mg auf etwa 250 bis 400 €. Behandlung mit Cannabis mit einer Ausnahmeerlaubnis • Alternativ können Patienten bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten zur Anwendung im Rahmen einer ärztlich begleiteten Selbsttherapie beantragen. • Im Antrag muss der Patient darlegen, dass andere Therapien nicht ausreichend wirksam waren. • Nach Erteilung der Erlaubnis wird das im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums von einem niederländischen Unternehmen hergestellte Cannabiskraut an eine vom Patienten benannte deutsche Apotheke geliefert. • Die Kosten für diese Behandlung müssen vom Patienten getragen werden. Cannabisblüten aus der Apothekekosten kosten etwa 15-25 € pro Gramm. Argumente gegen eine Erlaubnis zum Eigenanbau • Von einem Arzneimittel aus der Apotheke muss man erwarten können, dass die Inhaltsstoffe des Präparates angegeben sind, ihre Konzentrationen bekannt sind und keine Verunreinigungen bestehen. Das soll und muss nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) auch für Arzneimittel auf Cannabis- oder Cannabinoidbasis aus der Apotheke gelten. • Die Forderung, dass Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, nicht länger einer Strafverfolgung ausgesetzt sein dürfen, bezieht sich nicht auf Arzneimittel aus der Apotheke. Die betroffenen Patienten wissen, dass sie, wenn sie selbst angebauten Cannabis verwenden, kein Arzneimittel nach dem Arzneimittelrecht einnehmen. Darauf hat bereits das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 19. Mai 2005 hingewiesen, indem es zur Legitimierung der Verwendung von selbst angebautem Cannabis ausführt: "Dabei ist sich der Betroffene bewusst, dass es keinerlei Gewähr für die therapeutische Wirksamkeit des eingesetzten Betäubungsmittels gibt." (K)Ein Recht auf körperliche Unversehrtheit? Bundesverwaltungsgericht 2005 (BVerwG 3 C 17.04): "In das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht nur dadurch eingegriffen werden, dass staatliche Organe selbst eine Körperverletzung vornehmen oder durch ihr Handeln Schmerzen zufügen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist vielmehr auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden." Grundüberlegungen für eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation Die Möglichkeit der medizinischen Nutzung von Cannabisprodukten muss eine Entscheidung zwischen Arzt und Patient sein. Sie darf nicht von den finanziellen Möglichkeiten des Patienten oder dem Urteil einer Behörde abhängen. Beispiele aus anderen Ländern • Niederlande: Ärzte dürfen Cannabisblüten aus der Apotheke verschreiben. Die Krankenkassen übernehmen häufig die Kosten. • Kanada: Ärzte bestätigen das Vorliegen bestimmter Erkrankungen und befürworten eine Therapie mit Cannabisblüten. Es ist nicht notwendig, dass andere Therapieverfahren unwirksam sind. Das Gesundheitsministerium erteilt eine Erlaubnis. Der Eigenanbau ist erlaubt. • Israel: Mehrere Ärzte besitzen eine Ermächtigung vom Gesundheitsministerium, eine Erlaubnis für die Verwendung von Cannabis zu erteilen. Anfragen an diese Ärzte kommen von anderen Ärzten, die diese Patienten behandeln. Die Erteilung dieser Erlaubnis ist an geringere Anforderungen als in Deutschland gebunden. Es reicht eine einfache Erklärung, dass andere Therapien nicht ausreichend wirksam waren. Kosten für Cannabisprodukte Wieso kosten Cannabisblüten des niederländischen Unternehmens Bedrocan, die nach Kanada exportiert werden, den Patienten etwa 7 kanadische Dollar (etwa 5 Euro)? Wieso kosten Cannabisblüten aus der gleichen Produktionsanlage, die nach Deutschland exportiert werden, den deutschen Patienten 15 bis 25 Euro? Politische Implikationen beeinflussen die Beurteilung wissenschaftlicher Erkenntnisse Studie der Duke University (Durham) vom November 2014: Menschen beurteilen wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der Frage, ob ihre politischen Implikationen wünschenswert sind. Wenn sie es nicht sind, neigen sie dazu, ein Problem zu ignorieren, auch wenn es existiert. „Stattdessen sollten wir verstehen, dass bestimmte Problemlösungen einige Menschen und Gruppen mehr als andere bedrohen.” Vielen Dank!