Kondition und Ausdauer im WingTsun

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Kondition und Ausdauer im WingTsun
Technikerarbeit für die Erlangung des 3. Lehrergrades
Kondition und Ausdauer im WingTsun
Wie Konditionstraining dem
WingTsun nutzen kann
Es ist früh am morgen. Es ist dunkel, die Morgendämmerung ist
kaum wahrzunehmen. Eigentlich hätte ich gestern schon laufen
müssen. Dazu konnte ich mich nicht mehr aufraffen. Da war ich
schon zu müde. Und außerdem musste ich noch andere Sachen
erledigen, die viel wichtiger waren. Ob ich erst morgen laufe und
heute nochmal ausruhe? Beim nächsten mal klappt das Training
sicher viel besser. Stimmt, nur wenn man motiviert ist, sollte man
auch zum Training gehen. Aber nein! Geht nicht. Sicher fühle ich
mich den ganzen Tag unausgeglichen und unzufrieden. Immerhin
wollte ich ja laufen. Und der nächste Wettkampf steht schon vor der
Tür. Das Ziel will ich doch unbedingt erreichen. Na los, fang
einfach an. Dann packe ich meine Sachen und trabe langsam los.
Einfach so, ohne nachdenken. Ist gar nicht so schlecht. Die kühle
Luft, diese Ruhe. Und der gleichmäßige Rhythmus meiner Atmung.
Macht sogar ein wenig Spaß. Und so beschleunige ich meine
Schritte und absolviere eine gute Einheit. Ich fühle mich danach
richtig prima. Eigentlich eine tolle Sache dieses Lauftraining.
1. Einleitung
Diese Gedanken kennen alle Ausdauersportler. Aber nicht nur die. Die meisten Menschen stehen im
inneren Konflikt gegenüber Tätigkeiten, die anstrengend und langwierig sind und bauen solche
Hemmnisse auf. Das gilt nicht nur für die berufliche Tätigkeit oder den familiären und häuslichen
Pflichten, sondern auch für die eigentlich angenehmen Dinge im Leben. Der innere Schweinehund
ist eben immer da. Man muss sich aufraffen, etwas zu tun. Und nicht nur das. Auch die Tätigkeiten
an sich sind begleitet von dem Bestreben schnell fertig zu werden. Nur selten gelingt es viel Spaß
zu entwickeln und sich so in eine Sache zu vertiefen, dass man buchstäblich die Zeit vergisst. Das
ist schon durch die natürlich begründete Eigenschaft der Ermüdung zu verstehen. Um eine Tätigkeit
zu Ende zu bringen braucht man neben vielen Eigenschaften auch Ausdauer und Kondition. Aber
was hat dieser Monolog mit WingTsun zu tun?
Obwohl WingTsun in Europa erst seit etwa 40 Jahren bekannt ist, wird es mittlerweile von einer
großen Anzahl begeisterter Kampfkünstler praktiziert. Gegenüber anderen etablierten Kampf1
sportarten wie Judo oder Karate unterliegt das WingTsun erst seit wenigen Jahren einer
wissenschaftlichen Überprüfung. Das in Europa gegenüber klassischen Kampfsportsystemen relativ
junge WingTsun wird zwar von professionellen und hochqualifizierten Großmeistern und Meistern
betrieben, kann aber hinsichtlich der sportwissenschaftlichen Begleitung nicht auf die Vielzahl
trainingsmethodischer, medizinischer und sportphysiologischer Untersuchungen zurückgreifen, so
wie die etablierten Sportarten. Die klassischen Wettkampfsportarten besitzen zudem den Vorteil als
olympische Disziplinen teilweise so das gesellschaftliche Interesse hervorzurufen. Somit ist es auch
verständlich, dass das Trainings- und Wettkampfsystem an den Hochschulen und Universitäten,
sowie an speziellen Sportinstituten intensiven wissenschaftlichen Analysen unterliegt. Hinzu
kommen umfangreiche Lern- und Lehrsysteme, die neben zahlreichen privaten Förderstellen auch
staatliche Unterstützung findet. Ergänzt um eine Verknüpfung mit anderen Gebieten der Forschung,
wie z.B. Wirtschaftlichkeit, Marketing, Soziologie usw. können die meisten Sportarten so den
Anspruch einer Wissenschaftlichkeit für sich erheben.
Im WingTsun finden in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliche Untersuchungen statt. Um
das gesamte System des WingTsun zu erfassen, zu vermitteln und weiterzuentwickeln muss es auf
eine wissenschaftlichen Ebene gehoben werden. Dies wird vor allem von Großmeister Prof. Dr.
Keith R. Kernspecht (10. Grad im WingTsun) vorangetrieben, der vor einigen Jahren begonnen hat
sein Wissen zum WingTsun-Kampfkunstsystem in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern der
Universität Plovdiv zu akademisieren. Wie er in einem Editorial schon im Jahre 2006 feststellte, hat
die Verwissenschaftlichung „ ... das WingTsun vorangebracht und wird es in der Zukunft noch mehr
voranbringen.“ [2] Ein Ergebnis dieses Prozesses ist die Möglichkeit eines akademischen Studiums
an der staatlichen Paisij-Hilendarski-Universität in Plovdiv. Neben diesem Magisterstudium gibt es
weitere Möglichkeiten das WingTsun zu studieren. So sind international anerkannte Abschlüsse als
Bachelor z. B. in Derby-Buxton (England) möglich. Das hat zur Folge, dass sich WingTsun im
Rahmen der Möglichkeiten des Studiums auch den sportwissenschaftlichen Erkenntnissen aus
Forschung und Praxis stellen muss.
Ziel dieser Arbeit sollen einige Aspekte bzw. Gedanken zur Bedeutung von Kondition und
Ausdauer im WingTsun sein. Dabei ist Kondition (lat. condicio: Voraussetzung, Bedingung)
gegenüber der meist rein physisch verstandenen Ausdauer weiter gefasst. Ausdauer ist all das, was
man braucht, um Dinge lange durchzuhalten, und so einer Ermüdung zu widerstehen. Ausgehend
von den Erkenntnissen der Sportwissenschaften möchte ich Zusammenhänge zu meinen
Erfahrungen des Erlernens und Betreibens des WT darstellen, sowie einige Thesen formulieren, die
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die Bedeutung der Kondition und Ausdauer im WT deutlich machen sollen. Dabei liegt mein
besonderes Augenmerk auf den möglichen Einfluss einer entwickelten Langzeitausdauer auf das
Erlernen und Praktizieren des WingTsun.
Ein Grund für die Beschäftigung mit diesem Thema ist meine langjährige Praktizierung von
Ausdauersport. Ich laufe seit über 10 Jahren etwa zweimal Marathon im Jahr. Hinzu kommen
unzählige Läufe über die halbe Marathondistanz und über kürzere Distanzen. Mein Interesse gilt der
Untersuchung des Einflusses der mit dem Ausdauertraining im Zusammenhang stehenden Effekte
auf das WingTsun-Training. Ein zweiter Grund, der mich schon oft zum Nachdenken über dieses
Thema anregte, ist die von mir immer wieder bei anderen Teilnehmern zu beobachtenden
skeptischen, ablehnenden bis hin zu negativen Einschätzungen der Ausdauer im Zusammenhang mit
WingTsun. Sicher hat die Ausdauer und somit die physische Kondition im direkten Kampf eine
untergeordnete Bedeutung. Die Aktionen dauern nicht sehr lange, es wird nicht viel gefightet. Der
Gegner soll in kürzester Zeit kampfunfähig gemacht werden oder zumindest soll die Konfrontation
für mich ein schnelles positives Ende nehmen. Insofern gebe ich den Meinungen recht, wenn hier
keine oder wenig Ausdauer notwendig ist. WingTsun ist aber mehr als der reale Kampf. Schon im
Zehner- und spätestens im Zwölferprogramm merken die Schüler ganz schnell, dass es ohne
Ausdauer und Kondition nicht geht. Ich sehe die eigentliche Bedeutung der Ausdauer eher im
Erlernen des WingTsun. Hier sind Effekte der Ausdauer aus meiner Sicht sehr von Vorteil, damit
das System erfolgreich erlernt werden kann. Die Beobachtung an unseren Meistern im WingTsun
geben mir dabei recht, die in hohem professionellen Maße ausdauernd WingTsun betreiben.
Die hier niedergeschriebenen Sachverhalte resultieren überwiegend aus meiner Erfahrung als
Marathonläufer und WingTsun-Lehrer. Ergänzt werden meine Thesen durch das Studium
entsprechender Fachliteratur anderer Sportarten. Ich erhebe auf meine Thesen allerdings nicht den
Anspruch einer wissenschaftlichen Überprüfung.
2. Begriffe und Grundlagen des Ausdauersports
Unter Ausdauer versteht man, die Fähigkeit, eine gegebene Leistung über einen möglichst langen
Zeitraum aufrecht erhalten zu können. Gleichfalls drückt sich die Ausdauer in der Fähigkeit aus,
nach Belastungen schnell wieder erholt zu sein. Somit beinhaltet eine hohe Ausdauer neben der
Widerstandsfähigkeit gegenüber Ermüdung auch eine schnelle Regenerationsfähigkeit. (Dr. Peter
Wastl, Institut für Sportwissenschaft, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Dabei spielt der
Energiestoffwechsel in hohem Maße eine Rolle. Ausdauer ist nur ein Teilaspekt der Kondition. Sie
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umfasst alle Komponenten (siehe unten) des Leistungszustandes eines Sportlers.
Das ein Langstreckenläufer Ausdauer braucht ist sicher unbestritten. Aber diese Langzeitausdauer
ist nur eine Seite der Ausdauer. Ausdauer ist weder ausschließlich bei langandauernder noch
ausschließlich bei hoher oder niedriger Belastung nötig. Auch der Kurzstreckenläufer benötigt
Ausdauer, sogar der Gewichtheber und der Sportschütze. Somit ist Ausdauer ein grundlegendes
Phänomen eines jeden Sportlers. Unterschiede bestehen lediglich in der speziellen Ausrichtung, also
in den speziellen Ausdauereigenschaften und damit in der speziellen Ausdauer im Training. Die
unterschiedlichen Formen der Ausdauer werden auch in den verschiedenen Ausdauereigenschaften
deutlich. So gibt es neben der Langzeitausdauer (aerobe Ausdauer) die Mittelzeitausdauer,
Kurzzeitausdauer, Schnelligkeits- und Kraftausdauer. Somit sollte auch für den WTler Ausdauer
von großer Bedeutung sein. Schnelle Einigkeit herrscht sicher in der Auffassung der Notwendigkeit
der Schnelligkeits- und Kraftausdauer im WT. Ich möchte aber zeigen, dass die speziellen
Trainingsmethoden eines Langzeitausdauersportlers und die daraus resultierenden Eigenschaften
auch positive Effekte für das Betreiben von WingTsun haben können.
Ausdauer und Kondition werden in der Sportwissenschaft unterschiedlich definiert. Ausdauer ist
nur ein Teilaspekt der Kondition. Neben der reinen Ausdauer und seinen einzelnen Ausprägungen
braucht man jedoch noch Kraft, Beweglichkeit, Koordination, Schnelligkeit um hohe Leistungen zu
erzielen. Diese fünf konditionellen Grundeigenschaften werden unter dem erweiterten
Konditionsbegriff zusammengefasst. Der einfache Konditionsbegriff wird um die motorischen
Eigenschaften der Beweglichkeit und Bewegungskoordination reduziert. Die einfache Kondition
beschreibt also in erster Linie rein physische Faktoren. Diese sind Voraussetzung für Bewegung und
somit auch dem Erlernen von technischen Abläufen.
Für die Bewältigung von Ausdauerleistungen ist aber auch eine psychische bzw. motivationale
Bereitschaft erforderlich, Leistungen lange durchzuhalten. Dazu gehören Disziplin, Beharrlichkeit,
Geduld, also durchaus Faktoren, die generell für ein erfolgreiches Leben von Bedeutung sind. All
diese Aspekte möchte ich bei der Betrachtung der Kondition mit berücksichtigen. Diese erweiterten
Faktoren fasse ich ebenfalls unter dem Begriff der Kondition zusammen.
Ohne im Rahmen dieser Arbeit einen umfassenden und vollständigen Überblick über die einzelnen
Klassifizierungen und Taxonomien der Kondition geben zu können, kann man feststellen, dass die
Kondition als Grobziel eines jeden Trainings auch die Grundlage und Teil des WingTsun-Trainings
spielen. Kondition und Ausdauer sind also neben dem Technik- und Taktiktraining ein wichtiger
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Baustein für das Erlernen des WingTsun.
Welche Möglichkeiten ergeben sich für das WT, wenn man bestimmte Dinge sehr lange tut? Als
erstes möchte ich auf die Verbesserung der eigentlichen rein physischen Ausdauer eingehen.
Danach sollen die umfassenderen Faktoren der Kondition betrachtet werden.
Durch mein Marathontraining habe ich bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten gewonnen, die
ich für das Erlernen und betreiben des WT als Vorteil ansehe. Zum einen ist die oben schon
erwähnte rein physiologische Verbesserung der Ausdauer ein Vorteil. Die biologischen Effekte eines
Ausdauertrainings sind hinlänglich bekannt. Durch entsprechendes Training kann das HerzKreislaufsystem, die Muskulatur, die Gelenke, Sehnen und Bänder und auch der Stoffwechsel
gestärkt werden. Somit können Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit verbessert werden. Durch
langanhaltendes Ausdauertraining wird die Grundlagenausdauer verbessert. Der Anteil der aeroben
Energiebereitstellung kann gegenüber der anaeroben bis zum vierfachen Wert gesteigert werden.
Das hilft bei normaler Ausdauerbelastung der Übersäuerung der Muskulatur entgegenzuwirken. Die
Folge ist eine Anhebung der individuellen Sauerstoffdauerleistungsgrenze und damit der aerobanaeroben Schwelle. Man ist nicht mehr so oft in der Sauerstoffschuld bzw. wird die
Sauerstoffschuld bei starker Ausdauerbelastung schneller abgebaut. Der Sportler wird insgesamt
leistungsfähiger und fühlt sich besser. Die negativen Auswirkungen dieser metabolischen Azidose
sind ausführlich in [1] beschrieben. Ein verbesserter Stoffwechsel gibt dem WTler die Möglichkeit
Trainingsphasen mit hoher physischer Beanspruchung auch am Ende noch mit hoher Qualität zu
absolvieren. Mir ist das auf den Lehrgängen sehr bewusst geworden, weil ich immer erstaunt war,
wie ausdauernd die hochgraduierten Meister über viele Stunden hohe Qualität abliefern. Ich hatte
oft beobachtet, dass gerade Anfänger, aber oft auch höher graduierte Schüler viele Pausen brauchen.
Und nicht alle waren Raucher. Sicher hat eine gute Physis da ihren Anteil.
Aber ich sehe noch weitere Faktoren. Momentan sitze ich an einem sehr heißen Tag und schreibe
diese Arbeit. Beim gestrigen langen Lauf kamen mir wieder diese Gedanken. Man lernt beim
Laufen sich durchzubeißen, den Schweinhund zu überwinden, zu kämpfen. Ein nicht zu
vernachlässigender Vorteil für das WT. Wenn es bei einigen Übungen schwer wird und andere
schon wegen mangelnder Ausdauer schwächeln, kann ich erst richtig loslegen. Diese hohen
physischen Belastungen fordern mich geradezu heraus. Ich habe oft gemerkt, wie erschreckend
schlecht die Einstellung einiger Schüler gegenüber hoher physischer Belastung ist. Bodenkampf –
ach nein, heute nicht, ich fühle mich nicht so, lieber etwas ruhiges. Aber gerade im Bodenkampf
zeigt sich, wer Biss hat und sich überwinden kann.
Die psychische Härte, die beim langen Dauerlauf von Nöten ist, kann ich im WT hervorragend
einsetzen. Der Biss, den man braucht, um den Schwächen entgegenzuwirken, lernt man in
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besonderer Weise beim Laufen. Man sagt nicht umsonst, Laufen ist Kopfsache. Man muss geduldig
seine Bahnen ziehen, manchmal über Stunden hinweg. Sicher kann man auch lange Autofahren
oder Spazieren gehen, aber beim Laufen ist die körperliche Belastung höher, so dass
Ermüdungserscheinungen und Schwächemomente überwunden werden müssen. Nur wenn man an
sein Limit geht, wird man besser. Das gilt auch für die psychischen Grenzen. Ich liebe Übungen im
WT, die über viele Minuten immer wieder die gleichen Techniken und Bewegungen trainieren. Eine
Folge des Marathontrainings?? Aber auch die eben erwähnte Geduld ist eine wichtige Eigenschaft,
die das Erlernen des WT vereinfachen kann. Früher war ich ungeduldig, wollte möglichst viel auf
Lehrgängen erlernen, war unzufrieden, wenn es nicht gleich klappt. Falsch! Diese Ungeduld hemmt
einen, macht einen hart und verkrampft. Im Marathon muss man geduldig sein, sich an kleinen
Schritten erfreuen, immer das Gleiche tun und trotzdem Erfolge wahrnehmen. Einfach machen.
Sicher spielen Alter und Mentalität eines jeden Menschen eine Rolle. Ich will auch nicht
ausschließen, dass man auch ohne Ausdauersport ein erfolgreicher WTler werden kann. Geduld
kann ja auf viele Weisen entwickelt werden. Man kann Schwächen durch Stärken ausgleichen. Die
großen Sieben verdeutlichen das in besonderer Weise. Aber unterstützend für das Betreiben des
WingTsun kann ein hohes Maß an Geduld sicher sein.
Ein weiterer Aspekt, der aus meiner Sicht auch im WT besonders stark zum Tragen kommt und
durch langes Ausdauertraining verbessert werden kann, ist der Umgang mit Niederlagen. Gerade im
Laufen sind Misserfolge schnell möglich. Auch ein verlorenes Tennisspiel kann einen ärgern. Beim
Laufen ist der zeitliche und körperliche Aufwand groß. Und das Bewusstwerden des Misserfolges
wird während des Laufens wegen des großen Zeitumfangs besonders deutlich. Wenn man an den
Zwischenzeiten merkt, dass es heute nichts wird, wenn man schlecht ist, es nicht so läuft, dann gibt
es wenig Hoffnung auf Verbesserung. Anders in Sportspielen, wo man nach jedem verlorenen Punkt
oder Gegentor die Hoffnung hat, doch noch zu gewinnen, das Spiel zu drehen. Beim Laufen ist der
Misserfolg bei einer Schwäche garantiert. Und dann trotzdem nach vorn zu schauen, weiter zu
machen, nicht aufzugeben und die Sache zu Ende zu bringen, ist eine wertvolle Eigenschaft. Auch
im WT verliert man. Schon wenn der Lehrer einem zeigt, wie es geht. Und da gewinnt das Prinzip
'Mach dich frei von deiner Kraft!' eine ganz andere Bedeutung. Na und, ich mache eben weiter. Ich
denke, in Trainingssituationen, die physisch und psychisch sehr belastend sind oder gar in realen
Situationen, kann es nur von Vorteil sein, dass man trotz drohendem, vermuteten oder schon
erfolgtem Misserfolg weitermacht. Eine Niederlage kann nur Ansporn für noch mehr Anstrengung
sein. So ist es beim Laufen und im WT.
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Neben vielen Vorteilen, die das Ausdauertraining für das WT hervorbringen kann, möchte ich auch
nicht die Nachteile vergessen. Der enorme Zeitaufwand für das Lauftraining ist für die meisten
WTler, die ja oft beruflich und familiär eingebunden sind, kaum zu realisieren. Um die Effekte des
Ausdauertrainings auf Körper und Geist wirklich zu entwickeln reicht es nicht, einmal pro Woche
für 20 Minuten durch den Stadtpark zu joggen. Wer sich aber sein Tagesablauf so organisieren kann,
dass er regelmäßig laufen kann, der sollte auch bald positive Änderungen für sich wahrnehmen
können.
Ein zweiter Punkt, der mich in diesem Zusammenhang beschäftigt, ist die aus langem
Ausdauertraining resultierende Veränderung der Muskeln. Ausdauersportler benutzen ihre Muskeln
nicht für explosive starke Bewegungen. Die Muskeln werden sich so verändern, dass
möglicherweise die Schnellkraft und Explosivität ein wenig eingeschränkt wird. Das wäre dann ein
nachteiliger Effekt. Ich persönlich kann diesen Effekt nicht wirklich an mir feststellen. Vielleicht
auch, weil ich besonders intensiv die Formen übe, um so einem möglichen Verlust der Explosivität
und Schnelligkeit meiner Bewegungen entgegenzuwirken. Wie stark diese Veränderungen sind und
ob sie nicht vielleicht von anderen positiven Veränderungen aufgehoben werden, bleibt im Rahmen
dieser Arbeit offen. WT ist eine komplexe Folge von vielen Bewegungen. Somit kann eine
Beeinträchtigung einer Komponente durch die Verbesserung anderer ausgeglichen werden.
Abschließend möchte ich die formulierten Erkenntnissen in Form von Thesen zusammenfassen.
3. Thesen
Bei der Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Kondition bzw. Ausdauer auf das Erlernen
und Betreiben des WingTsun ist folgendes festzuhalten:
1. Eine allgemeine physische Verbesserung der Leistungsfähigkeit lässt den WT-Schüler
Übungen länger durchhalten und Erholungsphasen verkürzen. Die Widerstandsfähigkeit
steigt. Knochen und Muskelsystem werden gestärkt.
2. Eine gute Kondition erhöht die Disziplin, Dinge zu tun, die lange dauern. Man lernt eine
Motivation durch das 'Tun an sich' aufzubauen (intrinsische Motivation). Dadurch können
Übungen länger mit hoher Qualität durchgeführt werden.
3. Die Entwicklung der Geduld wird gefördert. Laufen trainiert dies in besonderem Maße.
4. Laufen geht nicht immer gut. Ein Misserfolg im Wettkampf stellt sich relativ zeitig ein.
Schwächen oder gar mangelnde Vorbereitung führen mit Sicherheit zu einer Niederlage.
Trotzdem läuft man zu Ende und verarbeitet die Niederlage. Man lernt, danach noch
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motivierter zu sein. Das lässt sich im WT gut anwenden. Ein Kampf gegen mehrere
Angreifer, wo man schnell die Kontrolle verlieren kann, darf nicht zu einem Aufgeben
führen. Misserfolge im Training müssen zu noch mehr Anstrengung führen.
5. Allerdings erfordert Lauftraining viel Zeit, die für viele WTler gar nicht oder nur bedingt
aufzubringen ist. Verlangsamung der Muskulatur und daher Nachteile in der Schnellkraft
können Nachteile für das WT hervorbringen.
4. Fazit
Nach den formulierten Thesen möchte ich feststellen, dass eine gute physische Ausdauer und
Kondition, welche durch Ausdauertraining entwickelt werden, für das Erlernen und Betreiben des
WingTsun positive Auswirkungen haben kann. Daher sollten WT-Lehrer darauf achten, dass die
Schüler zu Ausdauerübungen angehalten werden. Dies kann im Training erfolgen (die WT-Schule
Strausberg unter Leitung von Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG, hat z.B. ein extra Power-WTTermin, in dem überwiegend konditionelle WT-Übungen trainiert werden) oder zumindest darüber
hinaus angeboten werden. So wie in jedem sportwissenschaftlichem Studium der Aspekt der
Ausdauer im Speziellen und Kondition im Allgemeinen untersucht und vermittelt werden, sollte
dies auch zu einer umfassenden Lehre des WingTsun gehören. Ich bin sicher, dass viele WT-Lehrer
ihrer
Verantwortung
dahingehend
gerecht
werden.
Daher
sollte
für
eine
wirkliche
Professionalisierung als WT-Lehrer ein umfassendes wissenschaftliches Studium unbedingt
dazugehören.
5. Quellen
1. Werde nicht sauer!, Editorial 10/2005, www.wingtsunwelt.com/editorial/werde-nicht-sauer
2. „Si-Fu, Du machst hier doch mit allen das Gleiche!“, Editorial 8/2006,
http://www.wingtsunwelt.com/editorial/si-fu-du-machst-hier-doch-mit-allen-das-gleiche
3. Neue Studiengänge, WingTsun Heft Ausgabe Nr. 35, S. 16 ff
4. Manfred Letzelter, Trainingsgrundlagen, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1978, ISBN
3499170248
5. Hans Eberspächer (HG.), Handlexikon Sportwissenschaft, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
1992, ISBN 3499170000
6. Gerhard Lehmann, Ausdauertraining in Kampfsportarten, Philippka Sportverlag, 2000, ISBN 389417-092-1
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