Rom im Gedicht Roma in poesia
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Rom im Gedicht Roma in poesia Incontro tra Durs Grünbein (scrittore, Berlino) e Peter von Matt (Università di Zurigo) 04 10 Roma_scienze Durs Grünbein (*1962) Lungotevere Wer hat den Tiber ermordet? Wann starb dieser Fluß Der Flüsse in seinem Kerker tief unter den Straßen? Dies Rinnsal, ein Bild des Verdurstens, erinnert An alle Verbrechen, die man in Rom je verübte – Für die Rom, wenig zimperlich, sich hart rächte. Brücken, tags in der sengenden Sonne, muten einem Den Gang über Knochenberge zu, saurierhaft groß Die Pfeiler wie die löchrigen Wirbel, Schulterblätter Geopferter Stiere… Die Ufermauern beschmiert Mit urbanem Geschrei: Fascisti! Anarchia! Giustizia! Platanen am Lungotevere, von Tauben bekleckert, Und das sinnlose Hin und Her zwischen den Pizzerien Der einen Seite und denen der andern. Verkehrsstrom Drängelnder Limousinen mit Blaulicht und Bussen Voller Pilger: nur das Oberdeck schwimmt obenauf. Ein Justizpalast, auf dem Dach die Quadriga, wacht Über das Unrecht, die verläßliche Korruption. Kafkas kakanische Festungsbauten der Bürokratie Stumpf überbietend, zeigt er, was eine Fassade ist. Wer den Anblick nicht aushält, sucht den Abstieg Die Treppen hinab ins Reich der Angler und Penner… Unter Plastikplanen, Katzenfraß um sich, die Scherben Zerschlagener Nächte im Unbehausten, campiert da Ein eigener Stamm: erdbraune Männer, auch Frauen. Sie sind die wahren Herren des Tiber. Ihnen gehört, Was den Stadtraum durchschlängelt, den Römer stört – Die alte abgebundene Vene. Mit der Frühjahrsflut Färbt sie sich grau, schwillt an. Dann hängt im Geäst Der Platanen aller Müll, den das Land überläßt Diesem Strom seiner Manen. [2] © 2011 [3] Ingeborg Bachmann (1926 – 73) Nicolas Born (1937 – 79) Römisches Nachtbild Rom Wenn das Schaukelbrett die sieben Hügel nach oben entführt, gleitet es auch, von uns beschwert und umschlungen, ins finstere Wasser, Ist das alles...? Wie meinen Sie das? Ist das alles Rom? Es ist Rom. Es ist gut. Wie bitte? Es ist gut. Sie können gehen. taucht in den Flußschlamm, bis in unsrem Schoß die Fische sich sammeln. Ist die Reihe an uns, stoßen wir ab. Es sinken die Hügel, wir steigen und teilen jeden Fisch mit der Nacht. Keiner springt ab. So gewiß ist’s, daß nur die Liebe Und einer den andern erhöht. [4] [5] Rolf Dieter Brinkmann (1940 – 75) Hymne auf einen italienischen Platz O Piazza Bologna in Rom! Banca Nazionale Del Lavoro und Banco Di Santo Spirito, Pizza Mozzarella Barbiere, Gomma Sport! Gipsi Boutique und Willi, Tavola Calda, Esso Servizio, Fiat, Ginnastica, Estetica, Yoga, Sauna! O Bar Tabacci und Gelati, breite Hintern in Levi’s Jeans, Brüste oder Titten, alles fest, eingeklemmt, Pasticceria, Marcelleria! O kleine Standlichter, Vini, Oli, Per Via Aerea, mit Öl, Blätter, Trasferita! O Ente Communale Di Consumo, an der Wand! O eisern geschlossene Bar Ferranzi! O Straßenstille! Guerlain, Hundeköttel, Germain Montail! O Bar Fascista Riservata Permanente, Piano! O Soldaten, Operette, Revolver gegen Hüften! O Super Pensione! O Tiergestalt! O Farmacia Bologna, kaputte Hausecke, Senso Unico, O Scusi! O Casa Bella! O Ultimo Tango Pomodoro! O Sciopero! O Lire! O Scheiß! (Der Text wird hier buchstabengetreu wiedergegeben.) Eldora Steak, Tecnotica Caruso! O Profumeria Estivi, Chiuso Per Ferie Agosto, o Lidia Di Firenze, Lady Wool! Cinestop! Grüner Bus! O Linie 62 und 6, das Kleingeld! O Avanti grün! O wo? P. T. und Tee Fredo, Visita Da Medico Ocultista, Lenti A Contatto! O Auto Famose! Ritz Cräcker, Nuota Con Noi, o Grazie! Tutte Nude! O Domenica, Abfälle, Plastiktüten, rosa! Vacanze Carissime, o Nautica! Haut, Rücken, Schenkel, gebräunt, o Ölfleck, Ragazzi, Autovox, Kies! Und Oxford, Neon, Il Gatto Di Brooklyn Aspirante Detective, Melone! Mauern! Mösen! Knoblauch! Geriebener Parmigiano! O dunkler Minimarket Di Frutta, Istituto Pirandello, Inglese Shenker, Rolläden! O gelbbrauner Hund! Um die Ecke Banca Commerziale Italia, Flöhe, Luftdruckbremsen, BP Coupons, Zoom! O Eva Moderna, Medaglioni, Tramezzini, Bollati! Aperto! Locali Provvisori! Balkone, o Schatten [6] [7] Robert Gernhardt (1937 – 2006) Roma aeterna Das Rom der Foren, Rom der Tempel Das Rom der Kirchen, Rom der Villen Das laute Rom und das der stillen Entlegnen Plätze, wo der Stempel Verblichner Macht noch an Palästen Von altem Prunk erzählt und Schrecken Indes aus moosbegrünten Becken Des Wassers Spiegel allem Festen Den Wandel vorhält. So viel Städte In einer einzigen. Als hätte Ein Gott sonst sehr verstreuten Glanz Hierhergelenkt, um alles Scheinen Zu steingewordnem Sein zu einen: Rom hat viel alte Bausubstanz. [8] Robert Gernhardt (1937 – 2006) Ein lustiges Missverständnis in der Hostaria Da Nella Aus dem Lärm, in Fetzen, Sätze. Aus den Sätzen, flüchtig, Worte. Von den Worten eines deutlich: Trippa, trippa, trippa, trippa. Trippa! Wie das lockend trippelt! Trippa? E’ il nostro piatto tipico e più gradito, questa trippa, trippa, trippa. Einmal trippa! Bene! Trippelnd geht die Wirtin. Aber humpelnd kehrt sie wieder, in der Schüssel Kutteln, Kutteln, Kutteln, Kutteln. [9] Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832) [10] Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832) Der Chinese in Rom Römische Elegie III Einen Chinesen sah ich in Rom; die gesamten Gebäude Alter und neuerer Zeit schienen ihm lästig und schwer. Ach! so seufzt’ er, die Armen! ich hoffe, sie sollen begreifen, Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt, Daß an Latten und Pappen, Geschnitz und bunter Vergoldung Sich des gebildeten Aug’s feinerer Sinn nur erfreut. Siehe, da glaubt’ ich, im Bilde, so manchen Schwärmer zu schauen, Der sein luftig Gespinst mit der soliden Natur Ewigem Teppich vergleicht, den echten reinen Gesunden Krank nennt, daß ja nur er heiße, der Kranke, gesund. Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben! Glaub‘ es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir. Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen, Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz. Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut. In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten, Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier. Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe besonnen, Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel? Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen, O, so hätt‘ ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt. Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut. Rhea Silvia wandelt, die fürstliche Jung frau, der Tiber Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott. So erzeugte die Söhne sich Mars! – Die Zwillinge tränket Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt. [11] Friedrich Hebbel (1813 – 63) [12] Friedrich Hebbel (1813 – 63) Apollo von Belvedere Eine Mondnacht in Rom Wer schön, wie du, ist, soll dich einst zerschlagen! So sprach der Meister, als er dich vollendet Und vor dir stand, von deinem Glanz geblendet: Er hatte nichts bei diesem Wort zu wagen. Beim Dämmerlicht des Mondes schau’ ich gerne Der grauen Weltstadt bröckelnde Ruinen, Die uns als Maß für ihre Größe dienen, Woran der Mensch sich selber messen lerne; Denn wen auch noch seit deines Ursprungs Tagen Die neidische Natur hieher gesendet, Hier hat sich immer sein Triumph geendet, Kein Jüngling stand noch vor dir, als mit Zagen. Denn dieses Licht, das einem trüben Sterne Entfließt, hat ihre Schlachten nie beschienen, Nur die Gefall’nen mit den ehr’nen Mienen, Umstanden von des Heeres bestem Kerne. Ja, könnte selbst in Zukunft einer kommen, Dir gleich und dennoch fähig, dich zu hassen, Er würde nimmer büßen sein Gelüste: Jetzt trägt sie selbst, wie die, den Todesstempel, Drum ziemt sich’s, daß dasselbe Licht ihr leuchte, Dann träumt vielleicht ein Dichter, daß die Sonnen Er hätte kaum die Axt zur Hand genommen, So müßt‘ er sie schon wieder fallen lassen, Weil er schon dadurch häßlich werden müßte. Erlöschen, wie Paläste hier und Tempel Zusammenstürzen, und der oft verscheuchte Vernichtungsengel jetzt den Sieg gewonnen! [13] Marie Luise Kaschnitz (1901 – 74) Marie Luise Kaschnitz (1901 – 74) Rom 1961 Piazza Bologna Wiedergesehen die Stadt Eine mächtige geschleuderte Wabe Mit den pickenden Altartauben Den Seelenvögeln Aufgescheuchten zum Himmel. Mit kopflosen Märtyrern Hervorschießend aus ihren Gräbern Mit leuchtendem Springwasser Fliegend von Brunnen zu Brunnen Mit Brausen schwerrädrigem Funkelnder Explosion. Sieben Schreibmaschinen schreiben Auf dem mittagstillen Postamt Leeren Fingers, manchmal klingelnd Rebenzeilen Rosenzeilen Allen zugedacht von allen Keinem zugedacht von keinem Sieben leere Schreibmaschinen Auf dem mittagstillen Postamt Schreiben die versäumte Liebe. All ihre Pinien fand ich Ihre Platanenalleen In Bewegung gesetzt Ihre rostroten Drehbühnenpaläste Ihre Statuen Säulengehege Mir vorübergerissen rundum. Wer klinkte in solcher Eile noch Türen auf ? Wer vernähme im Innern der Kirchen Die todstille Messe? Übersprungen vom Lichtschein Fortwähren Jahrtausende Erschütterter Steine Und Cypria Weltherz Du Geschlagen gebeutelt gepreßt Verschenkst Deinen leuchtenden Honig. [14] [15] Friederike Mayröcker (*1924) Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 98) Rom, 7. November 1994 Auf Ponte Sisto durch die Viale Bruno Buozzi und am Hotel Lord Byron vorüber, hinüber zum Kiosk, fragen ob Ansichtskarten von Rom, der Mann mürrisch und mit seinen Händen mich abweisend, und die hohe Platanenallee umschlungen vom zarten Dunst des November wo ich lief und die Gesichter erblickte, die schwebenden Fahrzeuge, leichtes Nieseln und kehrt machte die andere Straßenseite zurücklief, mich nicht zu verirren, während die Gefühle losgelassen, emporschwingend die Wälder ohne Zögern mir folgten wie der tägliche Aderlaß der Gedanken, wie die täglichen GEDANKEN TOD SÜNDEN, verlispelt, und Abklatsch (Hitzegestalt), auf dem runden Papierteller mit alten Kaffeeflecken der poetische Furor: Baudelaire in der Mundhöhle Süß ist das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder Brücke Schau ich die Ufer entlang dieser unsterblichen Stadt. Burgen und Tempel verwachsen zu e i n e r gewaltigen Sage! Unter mir hütet der Strom manchen verschollenen Hort. Dort in der Flut eines Nachens Gepenst! Ist’s ein flüchtiger Kaiser? Ist es der „Jakob vom Kahn“, der Buonarotti geführt? Gellend erhebt sich Gesang in dem Boot zum Ruhme des Liebchens. Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück. Anmerkung des Autors: In den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts setzte Meister „Jakob vom Kahn“ zwischen Ponte Sisto und S. Angelo die Leute über den Tiber für Daniela Riess-Beger [16] [17] August von Platen (1796 – 1835) Kuno Raeber (1922 – 92) Der Turm des Nero Pantheon Glaubwürdiges Wort, wohnt anders es noch beim Volk, Dann stieg, da er hieß anzünden die Stadt, dann stieg Auf jenen Turm schaulustig Nero, Und übersah die Flamme Roms. Die Tiger jagen im Graben. Durchs Auge klirren die Sterne. Die Tiger jagen in Rudeln. Die Tiger schnuppern im Graben nachts nach den Sternen, die durch das schlaflose offne Auge klirren zu Boden. Mordbrenner umher aussendete sein Machtwort, Bacchantinnen gleich, trug jeder des Fests Pechkranz; Dort aber stand auf goldner Zinne Der Kaiser, der die Laute schlug. Hoch rühm‘ ich das Feur, sang jener, es ist goldgleich, Ist wert des Titans, der’s keck dem Olymp wegstahl: Zeus Adler trägt’s, und einst empfing es Des Bacchus ersten Atemzug! Komm, leuchtender Gott! Reblaub in dem Haar, tanz‘ uns Weichfüßige Reihn, eh‘ vollends die Welt Staub wird: Hier magst du dir Roms Asche sammeln, Und mischen deinen Wein damit. [18] [19] Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) [21] Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) Römische Campagna Römische Sarkophage Aus der vollgestellten Stadt, die lieber schliefe, träumend von den hohen Thermen, geht der grade Gräberweg ins Fieber; und die Fenster in den letzten Fermen Was aber hindert uns zu glauben, daß (so wie wir hingestellt sind und verteilt) nicht eine kleine Zeit nur Drang und Haß und dies Verwirrende in uns verweilt, sehn ihm nach mit einem bösen Blick. Und er hat sie immer im Genick, wenn er hingeht, rechts und links zerstörend, bis er draußen atemlos beschwörend wie einst in dem verzierten Sarkophag bei Ringen, Götterbildern, Gläsern, Bändern, in langsam sich verzehrenden Gewändern ein langsam Aufgelöstes lag – seine Leere zu den Himmeln hebt, hastig um sich schauend, ob ihn keine Fenster treffen. Während er den weiten bis es die unbekannten Munde schluckten, die niemals reden. (Wo besteht und denkt ein Hirn, um ihrer einst sich zu bedienen?) Aquädukten zuwinkt herzuschreiten, geben ihm die Himmel für die seine ihre Leere, die ihn überlebt. Da wurde von den alten Aquädukten ewiges Wasser in sie eingelenkt –: das spiegelt jetzt und geht und glänzt in ihnen. [22 Istituto Svizzero di Roma Via Ludovisi 48 I-00187 Roma t +39 06 420 42 1 f +39 06 420 42 420 [email protected] www.istitutosvizzero.it Enti Finanziatori Fondazione svizzera per la cultura Pro Helvetia Segreteria di Stato per l’educazione e la ricerca Ufficio federale della cultura Ufficio federale delle costruzioni e della logistica Partner BSI Canton Ticino Città di Lugano Università della Svizzera italiana