Eugen von Savoyen
Transcription
Eugen von Savoyen
Eugen von Savoyen Eugeniu de Savoya, 12 Zwei Gespenster: KARL BROCKY UND GHEORGHE VĂLEANU Ich folge zögernd Ghiță Văleanu. Wir kehren ein in die Eugen von Savoyen Straße, von der Francesco Griselini Straße kommend. Neuerdings erwähnt er immer wieder Karl, seinen neuen Kollegen auf dem Pendlerzug, ebenfalls ein Maler und Zeichenlehrer, mit dem er verbissen debattiert: mal streiten sie, mal lächeln sie sich vielsagend zu und zu aller meisten besaufen sie sich zusammen. Er nennt ihn Coarci oder Karl, dann wieder Cărolică, wie es ihm so eben kommt. Er behauptet, der sei ein Deitscher, dann wieder, er sei ein Österreicher, was ganz was anderes heißen will, dann wieder, er sei ein Ungarischer, oder ein Serbe, dann wieder, er sei ein Walachischer, also einer der Unsrigen, treff ihn der Schlag. Er will ihn mir nicht vorstellen, obwohl er mir das immer wieder verspricht. Der Clou ist, dass sie ihr Maleratelier vìs a vìs einer zum anderen haben, stracks über dem Weg: Ghiță auf der Nummer 11, Carol auf der Nummer 12. In der Mansarde vom Văleanu war ich öfter und kannte schon die Ansammlung von Dingen, die mich dort erwarteten, allerdings jedesmal anders angeordnet waren. Das Waschbecken neben der Schmutzschüssel, auf dem Fußboden - Reindl, Teller mit Speiseresten, Bierflaschen, die leeren umgekippt, die vollen aufrecht stehend, das Eisenbett und … na ja, das wär`s schon, außer vielleicht ein paar eingerahmte Malerei und das ewig offene Oberlicht, wo er das Tellerchen mit Brosamen und Körnern für die Tauben hinstellte. Diesmal zeigt er mir ein Doppelporträt, das Carol gemalt hat. Wir klimmen keuchend rauf, mit Unterbrechungen, nur um zu tratschen. Sobald wir eintreten, mustern uns unverfroren die Tauben, die die Mansarde längst in Augenschein genommen haben und eine von ihnen setzt sich ihm aufs Haupt - oder besser gesagt auf die Baskenmütze, die er ewig trägt - die andere auf den Arm. „Passt nur auf, dass ihr ja nicht eine Malerei hin kleckert wo sie nicht hingehört“ lautet Ghiță`s Warnung an sie. Er streckt sich auf dem Bett aus, ich werde auf dem Stuhl zu sitzen kommen, den er gerade mit einem Handtuch abwischt und wir werden beide Bier aus der Flasche trinken und die Werke betrachten. Er packt sie aus, lehnt sie an die Wand. Auf einen magischen Wink hin verschwinden die Tauben. Zu dem Doppelporträt sagt er: „Das sind Franz und Barbara Weldin, unsere Nachbarn vom Gebäude mit der Nummer 14.“ „Das kann doch nicht sein, dort wohnt niemand, das Haus ist baufällig und nur ab und zu finden dort Penner Unterschlupf…“ „Die Eheleute Weldin haben 183 ihren sicheren Platz“, sagt er gelassen. „Und was soll diese Aufmachung wie vom Maskenball? Die Frisur der Frau schmücken lächerliche Straußenfeder, während der Mann einen Mantel mit einem steifen Kragen trägt.“ „Du enttäuscht mich, denn es entgeht Dir das Wesentliche. Karl ist vor allem an der Ausgestaltung der Augen bei seinem Modell interessiert. Obwohl ihm Franz sympathisch ist als einer seiner entfernten Verwandten, gibt er seinen schielenden Blick wieder, den divergierenden Strabismus, um einen Ausdruck der Frau Valeria Pârvulescu zu verwenden.“ „Aber was will uns der Blick seiner Ehefrau mitteilen?“ „Wir süffeln noch ein Bierchen und kommen dem auf die Spur.“ Wir betrachten das Paar aus einem anderen Jahrhundert. Schweigen. Hören das Gurren der Tauben. „Ich habe große Projekte mit ihm vor. Du weißt, dass ich in Liebling unterrichte. Der römisch-katholische Pfarrer aus einer Nebengemeinde, Conacul Iosif, hat mich gebeten, die Kirchenfenster zu bemalen. Ich werde mit Karl arbeiten. Ein jeder von uns hat eine Probe seines Könnens abgelegt. Ich mit meiner Obsession, den gotischen Kathedralen, er hingegen malte „Jesus und die Samariterin“, kann aber vor allem auf die Kopie verweisen, die er im Louvre angefertigt hat, „Die Hochzeit von Kanaan“ des Paolo Veronese und die keine Kopie ist! Komm, lass uns zu ihm auf Besuch gehen.“ Wir wechseln die Straßenseite. Der Innenhof gleicht einer Baustelle. Es empfängt uns ein bärtiger Mann in einem russischen Bauernkittel. Er ist um die vierzig Jahre alt. Er spricht gebrochen rumänisch, da er viel im Ausland war. Wir befinden uns in einem weißen, völlig leeren Raum. Er lädt uns ein, uns auf den Boden zu setzen. Wir ziehen es vor, uns an die Wand zu lehnen. Er bleibt aufrecht vor uns stehen. beginnt zu erzählen. Dies ist sein Geburtshaus. Sein Vater war aus Wien hergezogen. War zuerst Friseur, dann Perückenmacher am Theater. Seine Mutter stammte aus der Ortschaft Biserica Albă. Leider starb sie, als er kaum sechs Jahre alt war. Erinnern wir uns vielleicht an Lorenz Gindel, dem ehemaligen Theaterdirektor? Der war ein Verwandter von ihm. Der schleppte ihn und seinen Vater mit auf Theater Tourneen ohne feste Truppe, wo er in Rollen auftreten musste, die er nicht mochte. Er trat auf in Maribor, in Leibach, in Triest. Er büchste aus von der Theatertruppe und stellte sich als Hilfskellner in einem Restaurant an. Sie konnten ihn aber dort ausfindig machen und sein Vater beschloss, mit ihm nach Temeswar zurück zu kehren. Es gelang ihm nicht im Piaristen-Gymnasium den Schulabschluss zu machen, da die finanziellen Mitteln fehlten. Als er 16 war, besuchte er die Verwandten seiner Mutter in Werschetz. Hier lernte er Melegh Gabor kennen, der seine ersten Gehversuche auf dem Gebiete der Malerei begleitete. Wieder zurück zu Hause, folgte er dem Ratschlag Franz 184 Eugen von Savoyen Weldlins, in Wien zu studieren, an der Kunstakademie. Er hatte es nicht leicht. Er schlief manchmal im Pferdestall oder unter freiem Himmel, verdiente sein Brot als Hilfsjunge bei einer Kegelbahn. Er erzielte die Preise Gundel und Lampi für Malerei. Er schloss die Kunstakademie mit vielen Lorbeeren ab. Er kehrte nach Temeswar zurück, wo er die Porträte der drei Wendelins ausführte. Wollen wir ihm noch immer nicht unsere Meinung über seine Malereien sagen? Er kehrte nach Wien zurück. Ein Freund ermöglichte ihm den Zugang zum „Haus mit den drei Fräulein“, das eine Witwe der Familie Tschida zum Oberhaupt hatte. Er verliebte sich in Josefine. Die Ehe ging zu Bruch, weil sich die Tochter nicht von der Mutter lösen konnte, und nie zum Entschluß fähig war, ihn auf seinen abenteuerlichen Reisen zu begleiten. Er ging nach Paris, wo er die meiste Zeit im Louvre verbrachte. Während er an einer Kopie der Malerei von Veronese arbeitete, lernte er einen schottischen Adligen kennen, Munroe of Novar, einen Mäzen der Maler. Dieser brachte ihn nach Londen und danach nach Schottland. Er kehrte in die Hauptstadt Großbritanniens zurück. Dank der Wertschätzung des Kunstkritikers Dominic Colnaghi stieg der Verkaufswert seiner Bilder unablässig. Er erhält den Auftrag, das Porträt eines Hoffräuleins der Königin zu malen, Da war es nur mehr ein Schritt bis zum Auftrag, die Porträte der königlichen Familie zu malen. Ich sitze im Dunkeln, vor mir blinken die Kontrollleuchten des Laptops. Der Schirm ist schwarz. Ich bewege die Maus. Gehe auf Wikisource. BROCKY, CHARLES (1807-1855), portrait and subject painter, wa sborn at Temewar, in the Banat, Hungary. (...) He settled in London about 1837-8, and enjoyend some practice as a miniature-painter. (...) The British Museum possesses four heads drawn by him in red chalk, executed in a masterly style (...). Brocky died in London on 8 July 1855, and was buried in Kensal Green cemetery. Nichts auf Rumänisch in Wikipedia über diesen Temeswarer. Ich stelle die automatische Übersetzung von Polnisch auf Rumänisch ein. Ich erhalte unter andrem folgende Daten: geboren in Temeswar, studierte in Wien und Paris, wo er Kopien der Gemälde berühmter Meister ausführte. Die sinnvollen Textpassagen verschwinden in der Übersetzung, sobald wir zur Quellenangabe gelangen: / pictures.php%3Fp%3D1%26p... Ich gehe zum Bücherschrank und suche mir das Nachschlagewerk über die Banater Maler aus, im Brumar Verlag, 2003 von Ioan Iovan: Văleanu, Cheorghe – geboren am 8 . Januar1930 in Temeswar, gestorben 1990 Eltern: Gheorghe und Florica * Absolvierte das Lyzeum Moise Nicoară in Arad * Absolvierte die Fakultät für Bildende Kunst in Temeswar, 1967Professoren: Lidia Ciolac, Leon Vreme... 185 Es vergingen über 150 Jahre seit dem Tode Karls und ein Jahrzehnt seit dem Tode von Ghiţă! Bibliografie Valeria Pârvulescu, Karl Brocky. Ein Temeswarer-Hofmaler am britischen Thron, Editura Banatul & Editura Artpress, Timişoara, 2007. Gheorghe Văleanu – Diesseits und jenseits vom Styx , Editura Graphite, Timişoara, 2007. Elena Miklosik, Kulturelle Interferenzen in der Banater Malerei. XIX-tes Jahrhundert, Editura Mirton, Timişoara, 2004. Nicolae Ivan, Zwei Jahrhunderte Theatergeschichte in Temeswar, Editura Marineasa, Timişoara, 2006. VIOREL MARINEASA Eugen von Savoyen, 13 Die Geschichte von Pavel und der holden Laila Oh, Gott, wie Du alles änderst und zwischen den Fingern knetest, wie Du nur alle Dinge aufziehst und verstreust, ohne Mitleid, ohne Vergessen, so wie der Wind durchs Gras bläst, ...sagte sich Pavel mit Bitterkeit. Hergott, wie hast Du diese christliche Kaserne auf die Festung meiner Kindheit gestellt, wie in jenem Würfelspiel aus dem Lande Kithay...Warum hast Du das Leben des Hassan mit seinem wertvollsten Schmuckstück, Laila mit den Mandelaugen, unter diesem viereckigen Bau mit Eisenbalkons und spitzigem Dach begraben? ....Wer erzittert heute noch unter deinen Blicken, du, Haremsfrau der Haremsfrauen, wer besingt noch das Schaukeln deiner Hüften in der Badegasse? Wer malt noch Kohlenblumen unter dein Fenster? Pavel blieb plötzlich allein, in der Straßenmitte, während die Worte und das Geräusch der Kutschen an ihm vorbeiglitten, ohne ihn zu berühren. So etwas war nicht möglich, wiederholte er sich ohne Unterbrechung. Dort, wo es früher, unter dem Schutz eines magischen schwarzen Auges, Lailas Kammern und Dinge gab, schaukelte nun dieses 186