Topics Geo Jahresrückblick Naturkatastrophen 2004
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Topics Geo Jahresrückblick Naturkatastrophen 2004
Edition Wissen Topics Geo 2004 Bestellnummer 302-04320 Topics Geo Jahresrückblick Naturkatastrophen 2004 Naturkatastrophen 2004 Große Naturkatastrophen seit 1950 Tsunamikatastrophe in Südasien Hurrikansaison im Atlantik Taifunsaison im Pazifik Der Klimagipfel von Buenos Aires Münchener Rück Munich Re Group © 2005 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Edition Wissen 1 © 2005 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Telefon: +49 (0) 89/38 91-0 Telefax: +49 (0) 89/39 90 56 http://www.munichre.com Verantwortlich für den Inhalt Corporate Underwriting/Global Clients, GeoRisikoForschung/Umweltmanagement Ansprechpartner Angelika Wirtz Telefon: +49 (0) 89/38 91-34 53 Telefax: +49 (0) 89/38 91-7 34 53 E-Mail: [email protected] Das breite Geowissen der Münchener Rück kann unter www.munichre.com abgerufen werden. Neben wissenschaftlichen und versicherungstechnischen Grundlageninformationen zum Thema Naturgefahren werden aktuelle Schadenfälle analysiert und interaktive Risikokarten für alle Regionen der Welt bereitgestellt. Bestellnummern Deutsch 302-04320 Englisch 302-04321 Französisch 302-04322 Spanisch 302-04323 Italienisch 302-04324 Druck F-Media Druck GmbH Weißenfelder Straße 4a 85551 Kirchheim/Heimstetten Münchener Rück, Topics Geo 2004 Inhaltsverzeichnis Seite 2 4 8 Naturkatastrophen 2004 Rückblick – Ausblick Bilder des Jahres Statistik 10 Bedeutende Technik- und Brandkatastrophen 2004 12 Große Naturkatastrophen 1950–2004 16 30 Jahre GeoRisikoForschung 22 26 Erdbebenberichte: Das Erdbeben von Niigata in Japan Tsunamikatastrophe in Südasien 34 35 42 44 46 Achtung Stürme! Wirbelsturmserien und außergewöhnliche Sturmereignisse rund um den Globus Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Weitere außergewöhnliche Sturmereignisse Schadenbericht Property Claim Services Taifunsaison im Pazifik – Japan im Fadenkreuz der Wirbelstürme 50 Geokodierte Informationen ermöglichen größere Schadentransparenz 53 Klimagipfel in Buenos Aires – Durchbruch für den Klimaschutz? Einlegeblätter Weltkarte der Naturkatastrophen 2004 MRNatCatPOSTER Naturkatastrophen 2004 Titelbild Die Hurrikane Charley, Frances, Ivan und Jeanne fegten kurz hintereinander über die Karibik und trafen dann auf Florida. Die versicherten Schäden summierten sich auf fast 30 Mrd. US$; für die Versicherungswirtschaft war dies die teuerste Hurrikansaison aller Zeiten. Bild links: Das drittstärkste Erdbeben der letzten hundert Jahre ereignete sich am 26. Dezember 2004 im Indischen Ozean. Es löste einen gewaltigen Tsunami aus, der die Küstenlinien Sumatras, Thailands, Südindiens, Sri Lankas und der Malediven verwüstete. 170 000 Menschen kamen ums Leben, über 100 000 werden vermisst. 1 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Naturkatastrophen 2004 Rückblick – Ausblick Kurz vor Jahresende ereignete sich in Südasien die verheerendste Naturkatastrophe der letzten Jahrzehnte. Im Indischen Ozean vor der Westküste Sumatras löste ein schweres Beben seismische Flutwellen (Tsunami) aus, die auch noch sehr weit entfernte Küstenabschnitte verwüsteten. Diese menschliche Tragödie mit mehr als 170 000 Todesopfern löste auf der ganzen Welt Betroffenheit, tiefe Bestürzung und ohnmächtige Trauer aus. Sie hat uns auf dramatische Weise die Gewalt und Unberechenbarkeit der Natur deutlich gemacht und gezeigt, wie dringend notwendig weltweite Vorsorgemaßnahmen sind. störerischen Hurrikane in der Karibik und den USA sowie das Niigata-Erdbeben in Japan vom 23. Oktober. Die versicherten Schäden stiegen auf 44 Mrd. US$ (Vorjahr: 15 Mrd. US$). Damit ist 2004 das bisher teuerste Naturkatastrophenjahr der Versicherungsgeschichte. Die Großkatastrophen des vergangenen Jahres bestätigen eindringlich, dass sich die Versicherungswirtschaft auf neue Schadendimensionen bei Naturkatastrophen einstellen muss. Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche Bei der Anzahl der Ereignisse wie auch den monetären Schäden dominierten 2004 aber die atmosphärischen Extremereignisse bzw. Wetterkatastrophen. Das vergangene Jahr hat damit die Befürchtung bestätigt, welche die Münchener Rück seit langem äußert. Die – mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Menschen verursachte – globale Erwärmung führt nicht nur dazu, dass sich außergewöhnliche Wettereignisse häufen und intensivieren, sondern dass auch neuartige Wetterrisiken entstehen; zudem kommt es zu größeren Schadenpotenzialen: – Vor der brasilianischen Küste bildete sich erstmals seit Beginn der Beobachtungen ein Hurrikan – dieses Gebiet galt bisher als hurrikanfrei. – Hurrikan Alex intensivierte sich um den 40. nördlichen Breitengrad – also ungewöhnlich weit außerhalb der Tropen – zu einem Sturm der Saffir-Simpson-Kategorie 3. Normalerweise schwächen sich tropische Wirbelstürme in diesen nördlichen Breiten stark ab oder lösen sich ganz auf. – Innerhalb nur weniger Wochen trafen vier Hurrikane Florida – für die Versicherungswirtschaft die teuerste Hurrikansaison aller Zeiten. – Japan wurde von 10 tropischen Wirbelstürmen getroffen – eine Rekordzahl, wie sie im ganzen letzten Jahrhundert nicht erreicht wurde. Von den 650 analysierten und erfassten Ereignissen gingen 85 auf das Konto geologischer Gefahren (75 Erdbeben, die Schäden verursachten; 10 Vulkanausbrüche). Die volkswirtschaftlichen Schäden betrugen rund 40 Mrd. US$, die versicherten Schäden 1,5 Mrd. US$. – Am 23. Oktober 2004 wurde die Präfektur Niigata auf der japanischen Hauptinsel Honshu von einem Erdbeben der Magnitude 6,6 erschüttert. Das Beben löste über tausend Erdrutsche aus, die Straßen, Gleise und Brücken mit sich rissen sowie einen Schnellzug zum Entgleisen brachten. Die gesamten volkswirtschaftlichen Schäden – hauptsächlich Schäden an unversicherten Infrastruktureinrichtungen – beliefen sich auf knapp 30 Mrd. US$, die versicherten Schäden bezifferten sich auf etwa eine halbe Milliarde US-Dollar. – Ein Beben der Stärke 9,0 auf der Richterskala – das drittstärkste der letzten hundert Jahre – ereignete sich am 26. Dezember im Indischen Ozean vor der Westküste Sumatras. Die Erdkruste verschob sich auf einer Länge von rund tausend Kilometern um bis zu 20 Meter und löste dadurch einen Tsunami aus. Dieser verwüstete die teilweise dicht besiedelten Küstenlinien Sumatras, Thailands, Südindiens, Sri Lankas und der Malediven. Auch Somalia, Kenia und Tansania in Ostafrika waren betroffen (siehe Dokumentation ab Seite 26). Schadenbilanz Stürme Weltweit kamen 2004 deutlich mehr als 180 000 Menschen bei Naturkatastrophen ums Leben; über 170 000 Menschen werden bisher als Opfer der Tsunamikatastrophe in Südasien genannt, man befürchtet aber über 250 000 Todesopfer. Mit rund 650 Elementarschadenereignissen entsprach die Zahl der analysierten und dokumentierten Naturkatastrophen dem Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre. Die volkswirtschaftlichen Schäden stiegen auf 145 Mrd. US$ (2003: 60 Mrd. US$). Zu Buche schlugen vor allem die zer- 2 Knapp die Hälfte der 650 erfassten Ereignisse entfiel auf Stürme; mit 96 % der versicherten Schäden dominieren sie eindeutig die Naturkatastrophenbilanzen der weltweiten Assekuranz. Besonders schlimm wüteten die tropischen Wirbelstürme im Atlantik und im Westpazifik: Münchener Rück, Topics Geo 2004 – Rekordschäden verursachten die Hurrikane Charley, Frances, Ivan und Jeanne, die kurz hintereinander innerhalb nur weniger Wochen durch die Karibik fegten und dann auf Florida trafen. Die gesamten volkswirtschaftlichen Schäden summierten sich auf über 60 Mrd. US$. Für die Versicherungswirtschaft, die etwa 30 Mrd. US$ davon trägt, ist dies die teuerste Hurrikansaison aller Zeiten. Ivan war einer der stärksten und zerstörerischsten Hurrikane, seit es meteorologische Aufzeichnungen gibt. Er verwüstete Grenada und die Caymaninseln und richtete auf seiner weiteren Zugbahn schwere Schäden an den Ölplattformen im Golf von Mexiko an. Danach traf er mit Windgeschwindigkeiten von 220 km/h auf Florida. Seine Bilanz: 11 Mrd. US$ versicherte Schäden. Hurrikan Jeanne löste vor allem auf Haiti und der Dominikanischen Republik Rekordregenfälle aus; in den Fluten und Schlammmassen starben 2 000 Menschen. – Japan wurde zwischen Juni und Oktober von 10 tropischen Wirbelstürmen getroffen. Allein die Taifune Chaba, Songda und Tokage waren für insgesamt über 14 Mrd. US$ volkswirtschaftliche Schäden verantwortlich; ca. 7 Mrd. US$ davon trägt die Assekuranz. – In den letzten Novembertagen, schon fast am Ende der Taifunsaison, wütete der tropische Sturm Winnie mit sintflutartigen Regenfällen über den Philippinen. In den Fluten und Erdrutschen verloren mehr als 750 Menschen ihr Leben. – Europa blieb glücklicherweise von großen Winterstürmen und Unwettern verschont. Allerdings sorgten einige kleinere Tornados in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien für Aufsehen; sie hinterließen aber nur geringe Schäden. – Tornados, die in den USA regelmäßig große Schäden anrichten, schlugen auch dieses Jahr zu Buche: Im Mai zog eine Unwetterfront mit starken Hagelschlägen und 85 Tornados über den Mittleren Westen der USA. Sie führten zu mehr als 800 Mio. US$ versicherten und über 1 Mrd. US$ volkswirtschaftlichen Schäden. Überschwemmungen Knapp ein Viertel (150) aller Elementarschadenereignisse 2004 waren Überschwemmungen und Sturzfluten. – Von Januar bis Mitte Februar erlebte Brasilien die schwerste Überschwemmungskatastrophe der vergangenen 15 Jahre. Starke Regenfälle riefen im Norden und Osten des Landes massive Überflutungen hervor, die wichtige Infrastruktureinrichtungen zerstörten und über 160 Menschen in den Tod rissen. – Im Mai sorgten Rekordniederschläge in Haiti und der Dominikanischen Republik für großflächige Verwüstungen. 2 000 Menschen konnten sich vor den verheerenden Fluten und Schlammlawinen nicht retten. Naturkatastrophen 2004 – Rückblick – Ausblick – Extreme Monsunüberschwemmungen erlebten von Juni bis August Bangladesch, Indien und Nepal. Dort standen weite Gebiete unter Wasser, in Bangladesch teilweise zwei Drittel des Landes. Über 2 200 Menschen ertranken in den Fluten und Millionen verloren ihr Zuhause. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf über 5 Mrd. US$ geschätzt. – Starke Regenfälle ließen von Juni bis September die großen Flüsse Chinas über die Ufer treten. Hunderttausende Häuser wurden zerstört, 1 000 Menschen ertranken; der volkswirtschaftliche Schaden belief sich auf knapp 8 Mrd. US$. 30 Jahre GeoRisikoForschung in der Münchener Rück Seit 30 Jahren analysieren Dr. Gerhard Berz und das Team der GeoRisikoForschung weltweit die Naturgefahren und die Auswirkungen des Klimawandels. Sie schaffen so die naturwissenschaftlichen Grundlagen für die Versicherungsexperten und Kunden der Münchener Rück. Was hat sich in 30 Jahren Katastrophenforschung getan, welche Erkenntnisse können gezogen werden und mit welchen Herausforderungen müssen wir künftig rechnen? Kann man die Kosten beziffern, die durch die Klimaänderung auf uns zukommen? Nach 30 Jahren Leitung der GeoRisikoForschung zieht Gerhard Berz, der am 1. Januar 2005 in den Ruhestand ging, sein Resümee (siehe Seite 16 ff.). Sein Nachfolger Professor Peter Höppe betont: „In den kommenden Jahren wird es erhebliche Veränderungen bei der Einschätzung und Versicherung von Naturgefahren geben, auf die wir mit neuen Ansätzen reagieren und für die wir innovative Lösungen finden müssen.“ Der Biometeorologe erweitert mit seinem Wissen darüber, wie sich der Klimawandel direkt auf den Menschen auswirkt, das breite Spektrum des Geo-Teams. Ausblick 2004 war das viertwärmste Jahr, seit es Temperaturaufzeichnungen gibt; neun der letzten zehn Jahre (Ausnahme: 1996) befinden sich unter den zehn wärmsten seit 1861. Die Veränderung des globalen Klimas ist Realität – darüber herrscht breiter Konsens in der Wissenschaft. Der außergewöhnliche Hitzesommer 2003 in Europa ist allen noch in Erinnerung, aber er wird keine Ausnahme bleiben: Extreme Wetterereignisse können vielmehr zum Normalfall werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die aus dem Hitzesommer 2003 gezogen wurden, stellen wir ab Seite 53 vor. Die Verhandlungen auf dem 10. Weltklimagipfel im Dezember 2004 in Buenos Aires verliefen zwar schleppend, dennoch wurde das Kioto-Protokoll jetzt bindendes Völkerrecht. Erfreulich war, dass sich Indien und China dazu bekannten, verstärkt erneuerbare Energien einzusetzen. Der Klimaschutz kommt also doch voran, wenn auch nur Schritt für Schritt. Angelika Wirtz 3 Das Jahr 2004 war mit 44 Mrd. US$ für die Versicherungswirtschaft das bisher teuerste Naturkatastrophenjahr aller Zeiten. Die Wetterkatastrophen – allen voran die Stürme – machten 97 % der gesamten versicherten Schäden aus. Dies bestärkt uns in der seit langem geäußerten Annahme, dass der Klimawandel zu einer Häufung und Intensivierung außergewöhnlicher Wetterereignisse führen wird. Das Bild wurde in Playa Cana im Westen Kubas aufgenommen; Hurrikan Ivan zog mit Windgeschwindigkeiten von 250 km/h über die Insel. 4 5 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Bilder des Jahres 24. Februar 2004 Erdbeben, Marokko Ein Erdbeben der Magnitude 6,4 erschütterte am 24. Februar in den frühen Morgenstunden Al Hoceima und Ait Kamara im Norden Marokkos. Tausende Häuser, vor allem Lehmziegelbauten, stürzten ein. Im Hinterland wurden zahlreiche Dörfer vollkommen zerstört. Mindestens 650 Menschen starben beim schlimmsten Erdbeben in Nordmarokko seit Jahrzehnten, hunderte wurden verletzt. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf 400 Millionen US$ veranschlagt. Februar–April 2004 Überschwemmungen, Neuseeland Unwetter, Regenstürme und lang anhaltende Niederschläge führten zu den schwersten Überschwemmungen seit 100 Jahren auf der Nordinsel Neuseelands. Die größten Schäden waren an Infrastruktureinrichtungen, landwirtschaftlichen Gebäuden und Maschinen zu verzeichnen, ebenfalls schwer betroffen waren Ackerbau und Viehwirtschaft. Bei den Versicherungsgesellschaften gingen tausende Schadenmeldungen ein, insgesamt wurden 70 Millionen US$ ausbezahlt, der gesamte volkswirtschaftliche Schaden belief sich auf 200 Millionen US$. 27.–29. März 2004 Tropischer Sturm/Hurrikan Catarina, Brasilien Ende März erreichte ein Hurrikan der Stärke 1 auf der fünfstelligen Saffir-Simpson-Skala den Bundesstaat Catarina im Süden Brasiliens. Dieses Gebiet wurde bisher aufgrund der niedrigen Temperaturen im Südatlantik als nicht hurrikangefährdet angesehen. Jenseits der Frage, wie es zu diesem ungewöhnlichen Sturm kommen konnte, steht aber seine Schadenbilanz fest: 40 000 beschädigte Häuser und enorme Schäden in der Landwirtschaft. 6 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Bilder des Jahres 7.–21. September 2004 Hurrikan Ivan, Karibik und USA Auf seiner Zugbahn durch die Karibik und den Süden der USA hinterließ Hurrikan Ivan ein Bild der Verwüstung: Auf Grenada wurden 90 % der Häuser zerstört, Cayman verzeichnete Gebäude- und Infrastrukturschäden von 3 Milliarden US$, im Golf von Mexiko mussten Ölplattformen ihre Produktion einstellen und wurden schwer beschädigt, in Florida vernichtete der Sturm große Teile der Zitrusernte. Die Bilanz: 23 Milliarden US$ volkswirtschaftliche Schäden, 11,5 Milliarden US$ versicherte Schäden. Damit zählt Ivan zu den teuersten Stürmen der Versicherungsgeschichte. 15.–19. September 2004 Hurrikan Jeanne, Karibik und USA Hurrikan Jeanne fegte mit Windgeschwindigkeiten von 190 km/h über Haiti und die Dominikanische Republik. Sintflutartige Regenfälle ließen Flüsse über die Ufer treten und lösten Erdrutsche und Schlammlawinen aus. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Allein auf Haiti starben 1 800 Menschen in den Fluten und Schlammmassen. 26. Dezember 2004 Tsunami, Südasien und Ostafrika Kurz vor Jahresende ereignete sich die verheerendste Naturkatastrophe der letzten Jahrzehnte: Im Indischen Ozean vor der Westküste Sumatras löste ein schweres Erdbeben der Magnitude 9,0 einen Tsunami aus, der auch sehr weit entfernte Küstenabschnitte verwüstete. Mehr als 170 000 Menschen starben in den Fluten, zehntausende wurden verletzt und Millionen verloren ihr Hab und Gut. Über 100 000 Menschen gelten noch als vermisst. 7 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Statistik der Naturkatastrophen 2004 Schadenereignisse und Todesopfer Mit rund 650 Elementarschadenereignissen entsprach die Zahl der analysierten und dokumentierten Naturkatastrophen dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Insgesamt dominierten die Wetterkatastrophen, die verheerendste Katastrophe 2004 löste jedoch ein Erdbeben im Indischen Ozean aus: Ein Tsunami, dessen Wellen weit entfernt liegende Küstenabschnitte verwüsteten, hat über 170 000 Menschen in den Tod gerissen, 100 000 werden vermisst. Anzahl der Schadenereignisse: 641 Afrika: 35 13 % 16 % Amerika: 185 Asien: 245 Australien/Ozeanien: 52 Europa: 124 47 % 24 % Weltweit: 641 Prozentuale Verteilung weltweit Anzahl der Todesopfer: 183 000 2% Afrika: 1 322 3% Amerika: 4 830 Asien: 176 515 95 % 170 254 Todesopfer Australien/Ozeanien: 67 Europa: 371 Weltweit: 183 105 Prozentuale Verteilung weltweit 170 911 Todesopfer Verteilung nach Ereignisart Ereignisse 300 170 906 Todesopfer 4 126 Todesopfer Todesopfer 6 312 Todesopfer 3 000 2 500 250 Anzahl der Ereignisse 200 2 000 Todesopfer 8 Winterschaden, Frost Lawine Erdrutsch Waldbrand Hitzewelle, Dürre Sturzflut Überschwemmung Lokale Stürme 0 Hagelsturm 0 Tornado 500 Unwetter 50 Wintersturm, Blizzard 1 000 Tropischer Sturm 100 Vulkanausbruch 1 500 Erdbeben, Tsunami 150 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Statistik der Naturkatastrophen 2004 Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbruch Sturm Überschwemmung Sonstige Ereignisse (z. B. Hitzewelle/Dürre, Waldbrand) Volkswirtschaftliche und versicherte Schäden 2004 war das bisher teuerste Naturkatastrophenjahr der Versicherungsgeschichte. Zu Buche schlugen vor allem Hurrikane in der Karibik und den USA sowie Taifune in Japan. Die volkswirtschaftlichen Schäden stiegen auf über 145 Mrd. US$. Knapp zwei Drittel davon gehen auf das Konto der Stürme, ein Drittel wurde von geologischen Ereignissen verursacht, vor allem das Niigata-Erdbeben in Japan und die Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Südasien waren hierfür verantwortlich. Volkswirtschaftliche Schäden: 145 Mrd. US$ Afrika: 444 10 % Amerika: 68 183 27 % Asien: 72 706 63 % Australien/Ozeanien: 343 Europa: 3 765 Weltweit: 145 444 Prozentuale Verteilung weltweit Versicherte Schäden: 44 Mrd. US$ 1% 3% Afrika: 0 Amerika: 34 585 96 % Asien: 7 887 Australien/Ozeanien: 124 Europa: 1 218 Weltweit: 43 815 Prozentuale Verteilung weltweit Verteilung nach Ereignisart 38 Mrd. US$ 82/38 Mrd. US$ 14 Mrd. US$ Mrd. US$ 9 8 7 Volkswirtschaftliche Schäden in Mrd. US$ 6 Versicherte Schäden in Mrd. US$ 5 4 3 2 1 Winterschaden, Frost Lawine Erdrutsch Waldbrand Hitzewelle, Dürre Sturzflut Überschwemmung Lokale Stürme Hagelsturm Tornado Unwetter Wintersturm, Blizzard Tropischer Sturm Vulkanausbruch Erdbeben, Tsunami 0 9 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Bedeutende Technik- und Brandkatastrophen 2004 Im Jahr 2004 ereignete sich eine Vielzahl technischer Katastrophen, von Explosionen und Brandanschlägen. Im Folgenden stellen wir einige signifikante Ereignisse vor. 19. Januar, Algerien, Skikda Explosion in einem Petrochemiewerk 14. Februar, Russland, Moskau Einsturz eines Hallenbaddaches 11. März, Spanien, Madrid Bombenanschlag auf Pendlerzüge 22. April, Nordkorea, Ryongchon Explosion im Bahnhof 23. Mai, Frankreich, Paris Teileinsturz eines Flughafenterminals 30. Juli, Belgien, Ghislenghien Gasexplosion in einem Industriepark 1. August, Paraguay, Asunción Brand in einem Einkaufszentrum 26. August, Deutschland, Gummersbach Unfall auf einer Autobahnbrücke 4. November, Dänemark, Kolding Explosion in einer Feuerwerksfabrik 10 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Bedeutende Technik- und Brandkatastrophen 2004 Datum Region Schadenereignis 19. Januar Algerien, Skikda Explosion in einem Petrochemiewerk Im größten Petrochemiewerk Algeriens kam es in einer Gasverflüssigungsanlage zu einer Explosion, bei der 23 Arbeiter ums Leben kamen und Dutzende verletzt wurden. Verursacht wurde die Explosion wahrscheinlich von einem defekten Gasbehälter. Die Wiederaufbaukosten werden auf 800 Mio. US$ geschätzt. 14. Februar Russland, Moskau Einsturz eines Hallenbaddaches Im gut besuchten Moskauer Erlebnisbad „Transvaal“ stürzte ein schneebedecktes Dach ein. Die Konstruktion aus Glas und Stahlbeton fiel zwanzig Meter in die Tiefe und begrub 28 Menschen unter sich. Als Unglücksursache werden Baumängel genannt. 11. März Spanien, Madrid Bombenanschlag auf Pendlerzüge Zehn Bomben explodierten mitten im Berufsverkehr an den Bahnstationen Atocha – der wichtigsten Station im Stadtzentrum von Madrid – sowie Pozo del Tío Raimundo und Santa Eugenia. Beim größten Terroranschlag, den es jemals in Spanien gab, starben fast 200 Menschen, über 1 500 wurden zum Teil schwer verletzt. 22. April Nordkorea, Ryongchon Explosion im Bahnhof Die Bilanz einer Explosion im Bahnhof von Ryongchon: mindestens 150 Tote, mehr als 1 300 Verletzte und 8 100 zerstörte Wohnhäuser. Die Explosion wurde verursacht durch einen elektrischen Kontakt beim Rangieren von Waggons, die mit dem hochexplosiven Düngemittel Ammoniumnitrat beladen waren. 23. Mai Frankreich, Paris Teileinsturz eines Flughafenterminals Beim Einsturz des Terminals 2E im Pariser Flughafen Roissy-Charles-de-Gaulle, das erst vor einem knappen Jahr eröffnet wurde, starben 4 Passagiere, die auf ihren Flug warteten. Ein größeres Unglück konnte verhindert werden, da man Risse an der Konstruktion entdeckte und den betroffenen Bereich teilweise räumte und absicherte. Der Gesamtschaden beläuft sich auf mehrere hundert Millionen US-Dollar. 30. Juli Belgien, Ghislenghien Gasexplosion in einem Industriepark 30 km südlich von Brüssel ereignete sich in einem Industriepark die schwerste Gasexplosion in der Geschichte des Landes. Ausgelöst wurde sie möglicherweise von einem Leck in einer Erdgasfernleitung. Drei benachbarte Fabriken gerieten in Brand. 20 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, 130 wurden verletzt. Der versicherte Schaden wird auf über 100 Mio. US$ geschätzt. 1. August Paraguay, Asunción Brand in einem Einkaufszentrum Bei einem Großbrand in einem Einkaufszentrum starben mindestens 400 Menschen, hunderte wurden teilweise sehr schwer verletzt. Das Feuer brach im Verpflegungsbereich des Supermarkts aus. Danach wurden sämtliche Türen des Supermarkts geschlossen, um Diebstähle zu verhindern. 26. August Deutschland, Gummersbach Unfall auf einer Autobahnbrücke Bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahnbrücke Wiehltal kollidierte ein Pkw mit einem voll beladenen Tanklastzug, der daraufhin von der Brücke stürzte und ausbrannte. Der Fahrer des Lkw starb. Die Brücke wurde vom Feuer schwer beschädigt. Der Schaden bewegt sich im zweistelligen MillionenDollar-Bereich. 4. November Dänemark, Kolding Explosion in einer Feuerwerksfabrik 370 Häuser wurden durch Explosionen und Druckwellen völlig zerstört oder schwer beschädigt, als ein Lager mit 800 Tonnen Feuerwerkskörpern explodierte. Vermutlich begann der Brand, als die pyrotechnischen Gegenstände auf einen Lastwagen verladen wurden. Ein Feuerwehrmann kam bei Löschversuchen ums Leben, mehrere Personen wurden verletzt. 11 Schwere Monsunniederschläge verursachten zwischen Juni und August großflächige Überschwemmungen in Bangladesch, Indien und Nepal. In den Fluten und Schlammmassen kamen 2 200 Menschen ums Leben. Mehr als 2 Millionen Häuser wurden zerstört, Industrie und Kleinbetriebe sowie die Landund Viehwirtschaft erlitten große Verluste. Der gesamte volkswirtschaftliche Schaden wird auf 5 Mrd. US$ geschätzt. 12 13 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Große Naturkatastrophen 1950–2004 Das Jahr 2004 liegt voll im langjährigen Trend steigender Naturkatastrophenschäden, den die GeoRisikoForschung bereits Anfang der 1990er-Jahre prognostiziert hat. Die Großkatastrophen des Jahres bestätigen nachdrücklich, dass sich die Versicherungswirtschaft auf neue Schadendimensionen einstellen muss. Jahr für Jahr ereignen sich rund um den Globus hunderte Elementarschadenereignisse. Mit etwa 650 Schadenereignissen, welche die GeoRisikoForschung 2004 analysierte und dokumentierte, entsprach die Anzahl zwar dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre – gemessen an den monetären und humanitären Auswirkungen war das Jahr 2004 jedoch von außerordentlichen und dramatischen Ereignissen gekennzeichnet. Die Tsunamikatastrophe in Südasien, die über 170 000 Menschen das Leben gekostet hat, sowie die schadenträchtigen Hurrikane, die in der Karibik und den USA enorme Sachschäden verursachten, haben dies eindringlich vor Augen geführt. Definition „Große Naturkatastrophen“ Neun Elementarschadenereignisse entsprachen 2004 der Definition „Große Naturkatastrophen“: Als „groß“ werden Naturkatastrophen in Anlehnung an Definitionen der Vereinten Nationen bezeichnet, wenn die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Regionen deutlich überschritten wird und überregionale oder internationale Hilfe erforderlich ist. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn die Zahl der Todesopfer in die Tausende, die Zahl der Obdachlosen in die Hunderttausende geht; oder wenn die volkswirtschaftlichen Schäden – je nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des betroffenen Landes – bzw. die versicherten Schäden außergewöhnliche Größenordnungen erreichen. – Überschwemmungen, Haiti und Dominikanische Republik (Mai) – Überschwemmungen, Bangladesch, Indien und Nepal (Juni–August) – Hurrikan Charley, Karibik und USA (August) – Hurrikan Frances, Karibik und USA (September) – Taifun Songda, Japan (September) – Hurrikan Ivan, Karibik und USA (September) – Hurrikan Jeanne, Karibik und USA (September) – Erdbeben, Niigata, Japan (Oktober) – Erdbeben/Tsunami, Südasien und Ostküste Afrika (Dezember) Dekadenvergleich 1950–2004 In den Tabellen sind die Zahlen der vergangenen Jahrzehnte aufsummiert und ins Verhältnis gesetzt. Vergleicht man die letzten 10 Jahre mit denen der 1960er-Jahre, so Dekade Anzahl der wird der Anstieg der Naturkatastrophen deutlich. Das gilt sowohl für die Anzahl der Ereignisse als auch für das Schadenausmaß. 1950 –1959 1960 –1969 1970 –1979 1980 –1989 1990 –1999 letzte 10 Jahre 20 27 47 63 91 63 44,9 80,5 147,6 228,0 703,6 566,8 – 6,5 13,7 28,8 132,2 101,7 Ereignisse Volkswirtschaftliche Schäden Versicherte Schäden Schäden in Mrd. US$ (in Werten von 2004) 14 letzte 10:60er Vergleich der letzten 10 Jahre mit 1960ern zeigt dramatischen Anstieg 2,3 7,0 15,6 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Große Naturkatastrophen 1950–2004 Anzahl der Ereignisse Das Diagramm zeigt für jedes Jahr die Anzahl der Großkatastrophen, unterteilt nach Ereignistypen. Anzahl 14 12 10 8 6 4 2 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbruch Überschwemmung Sturm Sonstige Ereignisse (z. B. Hitzewelle/Dürre, Waldbrand, Winterschaden/Frost) 2000 Volkswirtschaftliche und versicherte Schäden – absolute Werte und Langfristtrends Das Diagramm gibt die – auf heutige Werte hochgerechneten – volkswirtschaftlichen und versicherten Schäden an. Die Trendkurven dokumentieren die Zunahme der Katastrophenschäden ab 1950. > 178 Mrd. US$ > 113 Mrd. US$ Mrd. US$ 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 Volkswirtschaftliche Schäden (in Werten von 2004) Trend volkswirtschaftliche Schäden Davon versicherte Schäden (in Werten von 2004) Trend versicherte Schäden 1995 2000 Dekadenmittelwerte der volkswirtschaftlichen Schäden 15 16 Münchener Rück, Topics Geo 2004 30 Jahre GeoRisikoForschung bei der Münchener Rück Aktuelle und künftige Risiken einzuschätzen und abzusichern ist unser Geschäft. Doch gerade die Schäden aus Großkatastrophen werden immer unberechenbarer. Dies ist eine Herausforderung, für welche die Münchener Rück dank ihrer langjährigen Erfahrung mit Naturgefahren gut gerüstet ist. GeoRisikoForschung als wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themengebiets begann bei der Münchener Rück im Juni 1974, als man den ersten Geowissenschaftler einstellte. Aber schon viele Jahre und Jahrzehnte zuvor beschäftigten sich Kaufleute, Mathematiker und Ingenieure des Hauses damit, Naturrisiken weltweit einzuschätzen. Dabei arbeiteten sie intensiv mit einem Expertennetzwerk zusammen, das auf dem aktuellen Wissensstand der einschlägigen Forschungsgebiete war. Denn die Geschichte der Rückversicherungswirtschaft stand von Anfang an im Zeichen der Naturkatastrophenrisiken. Das galt ganz besonders für die Münchener Rück: So hatte bereits das Erdbeben von San Francisco 1906 die Münchener Rück mit dem enormen Schaden von 12 Millionen Goldmark getroffen. Gemessen am Prämienvolumen ist dies bis heute der größte Naturkatastrophenschaden in der Geschichte der Münchener Rück geblieben. Ihr Gründer Carl Thieme nützte diese kritische Situation, um der Münchener Rück zu großem Vertrauen („Thieme is money“) und damit international zum Durchbruch zu verhelfen. Nach einer langen Phase relativer Ruhe meldeten sich in den 1950erund 1960er-Jahren die Naturkatastrophen gleich mit mehreren Paukenschlägen zurück: Holland-Flut 1953, Erdbeben in Agadir 1960, Hamburger Sturmflut 1962 und Hurrikan Betsy 1965. 16 Gleichzeitig entwickelte sich der internationale Rückversicherungsmarkt im Zuge der beginnenden Globalisierung rasant und die versicherten Schäden bei Naturkatastrophen nahmen drastisch zu. Einen regelrechten Schock lösten die unerwartet hohen Schäden aus, die durch das Erdbeben von Managua, Nicaragua, 1972, und den Zyklon Tracy in Darwin, Australien, 1974, bei vielen Erst- und Rückversicherern entstanden. Nicht so bei der Münchener Rück: Sie hatte die Zeichen der Zeit längst erkannt und bereits damit begonnen, ihre Kunden mit einer Reihe von Sonderveröffentlichungen wie „Hochwasser – Überschwemmung“, „Erdbeben“ und „Sturmschäden in Europa“ eindringlich vor dieser Entwicklung zu warnen. Die positiven Reaktionen auf diese Aufklärungskampagne bestärkten den Vorstand der Münchener Rück in seinem Entschluss, den ersten Geowissenschaftler mit zwei Mitarbeitern auf diese Themen anzusetzen. Kaum hatte die kleine Gruppe im Juni 1974 ihre Tätigkeit aufgenommen, wurde sie mit einer wahren Katastrophenflut konfrontiert: Hurrikan Fifi in Honduras, Hagel in Bayern, Capella-Orkan, Erdbeben in Guatemala, Italien, China und den Philippinen, die in zahlreichen Veröffentlichungen und Schadenanalysen verarbeitet wurden. Die Nachfrage nach geowissenschaftlichen Beratungen nahm intern wie extern so stark zu, dass bereits im Frühjahr 1977 der zweite Geowissenschaftler eingestellt wurde. Kurz danach veröffentlichte die Münchener Rück zum ersten Mal ihre „Weltkarte der Naturgefahren“, die inzwischen zu einem einzigartigen Markenzeichen geworden ist. Sie stieß in aller Welt auf große Resonanz und Anerkennung, war es doch gelungen, die wichtigsten Gefährdungskriterien übersichtlich und nach einem selbst entwickelten Zonierungssystem weltweit darzustellen. Die Weltkarte baut inzwischen auf einem geographischen Informationssystem auf, das es erlaubte, sie zu einem interaktiven Werkzeug umzugestalten (CD-ROM „Welt der Naturgefahren“) und mit vielen weiteren Informationen anzureichern. Mit einer Gesamtauflage von mehr als 50 000 Exemplaren ist diese CD-ROM das erfolgreichste Produkt der geowissenschaftlichen Servicepalette, zu der auch der „Globus der Naturgefahren“, der „Millenniumsrückblick Naturkatastrophen“ und eine Vielzahl weiterer Veröffentlichungen zählen – einschließlich der zuletzt erschienenen „Sturmwarnung“, „Wetterkatastrophen und Klimawandel“, „Erneuerbare Energien“ und „Megastädte – Megarisiken“. Ende der 1980er-Jahre kamen nach und nach weitere Geophysiker, Geographen, Hydrologen, Meteorologen, Geologen, Umweltwissenschaftler und technische Mitarbeiter hinzu. Die Zahl der Mitarbeiter(innen) wuchs auf heute 25. Der Ausbau wurde auch notwendig, weil Zahl und Schwere der Naturkatastrophen fast explosionsartig stiegen – parallel dazu erhöhten sich der Beratungsbedarf in der Versicherungswirtschaft und die Frequenz der Vor-Ort-Untersuchungen von Katastrophenschäden durch Geoexperten, Ingenieure und Versicherungsspezialisten. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Unter den vielfältigen Gründen dafür, dass die Katastrophen zunehmen, rückten die folgenden Fragen immer mehr in den Vordergrund: Verändert die Menschheit Umwelt und Klima? Wie stark sind die Veränderungen bei den Wetterextremen? Welche Auswirkungen kann und wird das auf die Versicherungswirtschaft haben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Münchener Rück bereits seit den frühen 1970er-Jahren. In dieser Zeit ließ eine Serie schwerer Orkane, die in immer kürzeren Abständen West- und Mitteleuropa trafen, vermuten und befürchten, dass dies kein Zufall, sondern ein Indiz für ein verändertes Klima war. In den 1980erJahren wurden die Anzeichen für die Erwärmung stärker und Klimamodelle lieferten plausible physikalischchemische Begründungen für die beobachteten Trends. Als Erste ihrer Branche konnten damals die Geowissenschaftler der Münchener Rück den auffälligen Anstieg der Schadenbelastungen aus großen Naturkatastrophen belegen, die zum großen Teil von extremen Wetterereignissen ausgelöst wurden. Bei der Ursachenanalyse stellte sich heraus, dass die Schäden überwiegend aufgrund sozioökonomischer Veränderungen stiegen, beispielsweise die Besiedlung stark risikoexponierter Gebiete infolge des rasanten Bevölkerungswachstums oder eine höhere Wertekonzentration. 30 Jahre GeoRisikoForschung bei der Münchener Rück Trotzdem zeigte sich schon damals: Der Einfluss der überwiegend vom Menschen verursachten Klimaänderung darf keinesfalls vernachlässigt werden. Vor allem mit Blick auf die Zukunft muss die globale Erwärmung als ein kritischer Faktor betrachtet werden, der die Gefährdung von Mensch, Wirtschaft und Natur durch Naturkatastrophen verstärkt. Wenn wir diesen Veränderungen tatenlos zusehen, statt energisch gegen ihre Ursachen anzukämpfen, werden Trefferfrequenz und Schwere von Naturkatastrophen weiter zunehmen: In zehn Jahren müssen wir mit durchschnittlich mehr als 800 Ereignissen im Jahr rechnen, fast 90 % davon Wetterkatastrophen. Die volkswirtschaftlichen Schäden werden pro Jahr deutlich über 150 Mrd. US$ (in heutigen Werten) liegen und der versicherte Anteil daran wird im Jahresdurchschnitt auf etwa ein Viertel, also etwa 40–50 Mrd. US$ steigen. Einige Größtkatastrophen können (und werden) noch weit über diese Marken hinausschießen. Trotz aller Befürchtungen im Hinblick auf die weiteren Entwicklungen ist die Münchener Rück dank ihres globalen Weitblicks und ihres Expertenwissens gut gerüstet, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können. Allerdings wird die Zukunft auch davon abhängen, ob der Mensch Vernunft walten lässt und die Natur nicht außer Kontrolle gerät. Als Rückversicherer sehen wir unsere Aufgabe nicht nur darin, Risiken zu erkennen und Versicherungslösungen zu entwickeln, sondern unser Wissen und mögliche Präventionsmaßnahmen auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dr. Gerhard Berz Die Münchener Rück macht sich daher seit langem für einen nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz stark, den sie selbst und ihre Partner in der Versicherungs- und Finanzwirtschaft aktiv unterstützen. Zusammen mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) leistet sie mit einer Selbstverpflichtungserklärung dazu ihren Beitrag, indem sie unter anderem ihre eigenen Umweltbelastungen senkt und zahlreiche Klimaschutzprojekte fördert. Vor allem aber: Sie berücksichtigt Nachhaltigkeitsaspekte sowohl in ihrem Rückversicherungsgeschäft als auch bei ihren Vermögensanlagen und erweist sich hier als Antrieb in der Finanzbranche. 17 Münchener Rück, Topics Geo 2004 30 Jahre GeoRisikoForschung bei der Münchener Rück Wetterkatastrophen 1974–2004 1974 1974 1976 Hurrikan Fifi, Honduras Zyklon Tracy, Australien Wintersturm Capella, Europa 1984 1987 1988 Hagel, München, Deutschland Wintersturm 87 J, Westeuropa Hurrikan Gilbert, Karibik, Mittelamerika, USA 1989 1990 1991 Hurrikan Hugo, Karibik Wintersturmserie, Europa Oakland Fire, Kalifornien, USA 1991 1992 1993 Sturmflut, Bangladesch Hurrikan Andrew, Florida, USA Überschwemmung, Mississippi, USA 18 Münchener Rück, Topics Geo 2004 30 Jahre GeoRisikoForschung bei der Münchener Rück 1995 1998 1998 Überschwemmung, Köln, Deutschland Hurrikan Mitch, Mittelamerika Eissturm, Kanada und USA 1999 1999 2000 Hagel, Sydney, Australien Wintersturm Lothar, Europa Überschwemmung, Mosambik 2001 2001 2002 Erdrutsche, Italien und Schweiz Tropischer Sturm Allison, Houston, USA Überschwemmungen, Europa 2002 2003 2004 Tornados, USA Hitzewelle, Europa Hurrikan Ivan, Karibik, USA 19 20 Die Tsunamikatastrophe vom 26. Dezember 2004 hat auf dramatische Weise die Gewalt und Unberechenbarkeit der Natur verdeutlicht und gezeigt, wie dringend notwendig Vorsorgemaßnahmen sind. 21 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Erdbebenbericht: Das Erdbeben von Niigata in Japan Am 23. Oktober 2004 bebte die Erde in der Präfektur Niigata. Obwohl die Region relativ dünn besiedelt ist, verursachte das Beben volkswirtschaftliche Schäden von 30 Mrd. US$; damit ist es eine der weltweit teuersten Naturkatastrophen. Das Ereignis verdeutlicht, wie enorm groß die Schadenpotenziale in hochentwickelten Industrienationen sind. Naturwissenschaftliche Aspekte, Charakteristik des Bebens Das Erdbeben der Magnitude Mw = 6,6 ereignete sich um 17.56 Uhr Ortszeit. Der Erdbebenherd befand sich in rund 13 km Tiefe nahe der Kleinstadt Ojiya, etwa 70 km entfernt von Niigata mit seinen über 500 000 Einwohnern. Weder die Stärke noch die Lage des Bebens überraschen: Japan liegt an der Nahtstelle dreier großer tektonischer Platten: der philippinischen, der eurasischen und der pazifischen. Ihre Bewegungen führen zu großen Subduktionsbeben vor der Küste Japans sowie zu Horizontalverwerfungen und Aufschiebungen im gesamten Land. Auch in der Vergangenheit verzeichnete man in der Region mehrere mittlere bis starke Erdstöße. Zuletzt wurde der Großraum Niigata 1964 von einem schweren Beben heimgesucht, das die Stadt stark verwüstete und 30 Menschen das Leben kostete. 2004 ereignete sich das Beben an einer Aufschiebung im mittleren Teil der Präfektur Niigata. Auf der seismischen Gefährdungskarte für Japan ist diese Region der Intensitätszone 3 zugewiesen; das entspricht einer erwarteten Erdbebenintensität von mindestens VIII im Zeitraum von knapp 500 Jahren. Ein Charakteristikum des Ereignisses war die extrem hohe Bodenbeschleunigung: Mit circa 1,7 g (g = Erdbeschleunigung) betrug sie das Doppelte des Bebens von Kobe 1995 – das ist weltweit einer der Spitzenwerte, die je gemessen wurden. Glücklicherweise war der Bereich hoher Bodenbeschleunigungen sehr begrenzt. Dem Beben folgten ungewöhnlich viele starke Nachbeben, die teilweise ebenfalls Magnituden von Mw > 6 erreichten und die Lage in der Region noch verschlimmerten. Schäden Das Beben forderte 40 Todesopfer, über 4 500 Verletzte und machte mehr als 50 000 Menschen obdachlos. In den Kleinstädten Ojiya und Nagaoka entstanden hohe Sachschäden. Mehr als 12 500 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört, weitere 90 000 beschädigt. Glücklicherweise ist das Hauptschadengebiet nur relativ dünn besiedelt und landwirtschaftlich geprägt. Trotzdem summierten sich die volkswirtschaftlichen Schäden auf rund 30 Mrd. US$, vor allem weil die lokale Infrastruktur großflächig zerstört wurde. Kaum eine Straße der am schlimmsten betroffenen Region blieb verschont. Unzählige Brücken, die Autobahn und die Eisenbahnlinie wurden stark beschädigt, ebenso die Trasse des japanischen Hochgeschwindigkeitszugs Shinkansen. Zum ersten Mal entgleiste ein solcher Zug wegen eines Erdbebens, noch dazu in voller Fahrt mit über 200 km/h. Obwohl er über 1,5 km dahinschlitterte, bis er zum Stillstand kam, blieb die große Katastrophe aus; niemand wurde getötet. Was aber führte in einem hoch entwickelten Land wie Japan, das im Erdbebeningenieurwesen als Vorreiter gilt, zu den enormen Infrastrukturschäden? Zum einen waren es die extremen Bodenbewegungen des Erdbebens, die alle Auslegungskriterien der Bauvorschriften weit übertrafen. Zum anderen steigerten unzählige Erdrutsche, die das Beben auslöste, die Schäden maßgeblich. In der Region hatte es im September und Oktober nach Taifunen (insbesondere nach Tokage kurz vor dem Beben) extreme Niederschläge gegeben; die Böden waren deshalb stark durchfeuchtet und instabil. Hunderte Berghänge rutschten ab, verschütteten Häuser und Straßen und verwüsteten ganze Landstriche. Überall in der Region setzte sich der Boden stark, was Straßen, Brückenzufahrten und Flussdeiche zerstörte. Obwohl die Schäden ungewöhnlich hoch waren, wird das Beben von Niigata dennoch für die internationale Rückversicherungsindustrie im Vergleich zu den Sturmschäden des Jahres 2004 eine Randnotiz bleiben: 22 Mehr als 100 000 Häuser wurden bei dem Erdbeben am 23. Oktober 2004 in der Präfektur Niigata beschädigt oder zerstört. Hunderte Berghänge rutschten ab und verwüsteten ganze Landstriche. 23 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Das Erdbeben von Niigata in Japan Wohngebäude sind in Japan nur selten und mit starken Limitierungen gegen Erdbeben versichert; die Rückversicherung übernimmt teilweise der Staat. Nur wenn noch mehr Häuser betroffen gewesen wären, hätten die Rückversicherer einen Teil der Wohngebäudeschäden getragen. Auch die Infrastrukturschäden, allen voran die Streckenschäden am Shinkansen, waren zumeist privatwirtschaftlich unversichert. Die größte Belastung der Rückversicherung bei Erdbeben in Japan ist aus dem kommerziellen und industriellen Sektor zu erwarten. Da es in der hauptsächlich betroffenen Region jedoch nur sehr wenige solcher Risiken gab, sind die Rückversicherer diesmal glimpflich davongekommen. Fazit Das Beben in der Präfektur Niigata verursachte mit rund 30 Mrd. US$ ungewöhnlich hohe volkswirtschaftliche Schäden und forderte 40 Todesopfer. Im Gegensatz dazu verwüstete ein Beben der gleichen Stärke vor Jahresfrist im Iran 70 % der Kleinstadt Bam und tötete über 26 000 Menschen; trotzdem entstand damals nur ein geringer volkswirtschaftlicher Schaden von 500 Mio. US$. Dies demonstriert eindringlich den weltweit gültigen Zusammenhang zwischen niedrigem Entwicklungsstand und vielen Todesopfern auf der einen Seite und riesigen Schadenpotenzialen in hoch entwickelten Ländern auf der anderen. Mit moderner erdbebensicherer Bauweise wie in Japan lässt sich zwar die Zahl der Todesopfer eindrucksvoll begrenzen, Schäden können jedoch nur zum Teil minimiert werden. Die Industriestaaten sind von einem komplexen und dichten Infrastruktursystem durchzogen und besitzen Wertekonzentrationen in kaum vorstellbarer Größenordnung. Schon ein Beben in einer ländlich geprägten, relativ dünn besiedelten Region Japans kann zu riesigen Schäden führen. Bild oben: Die volkswirtschaftlichen Schäden addierten sich auf rund 30 Mrd. US$. Vor allem die lokale Infrastruktur wurde großflächig zerstört. Kaum eine Straße der am schlimmsten betroffenen Region blieb verschont. Die teuersten Naturkatastrophen der Geschichte (nach volkswirtschaftlichen Schäden) Datum Land, Region Ereignis Tote Volkswirt. Versicherte Schäden Schäden Mio. US$* Mio. US$* 17.1.1995 Japan, Kobe Erdbeben 6 430 >100 000 3 000 17.1.1994 USA, Kalifornien Erdbeben 61 44 000 15 300 1 000 Mai–Sept. 1998 China Überschwemmungen 4 159 30 700 23.10.2004 Japan, Niigata Erdbeben 39 28 000 450 23.–27.8.1992 USA Hurrikan Andrew 62 26 500 17 000 Mai–Aug. 1996 China Überschwemmungen 7.–21.9.2004 USA. Karibik Hurrikan Ivan 3 048 24 000 445 125 23 000 11 500 Mai–Aug. 1993 USA Überschwemmungen 48 21 000 1 270 11.–14.8.2004 USA. Karibik Hurrikan Charley 36 18 000 8 000 12.–20.8.2002 Europa Überschwemmungen 37 16 000 3 400 *Originalschäden 24 Bild unten: Zum ersten Mal entgleiste ein Hochgeschwindigkeitszug wegen eines Erdbebens. Er schlitterte über 1,5 km dahin, bis er zum Stillstand kam; glücklicherweise blieb die große Katastrophe aus, niemand wurde getötet. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Das Erdbeben von Niigata in Japan Sendai Fukushima Niigata Iwaki Mito Nagano Kanazawa Maebashi Fukui Tokio Kofu Nagoya Tsu Hamatsu Lage des Epizentrums (Stern) und der am stärksten betroffenen Region. In Nagano sowie in Niigata wurden kaum Schäden registriert. Trifft ein starkes Beben dicht besiedelte Gebiete, dann ist die industrielle Gesellschaft anfällig und ein Großschaden aufgrund der hohen Werte unvermeidlich, selbst wenn die Gefährdung bekannt ist. Zu erwarten ist, dass die Industrieländer auch in Zukunft von gewaltigen Erdbeben mit neuen Schadenrekorden heimgesucht werden. Fortschritte in Seismologie und Erdbebeningenieurwesen werden das nicht verhindern können; aber sie ermöglichen, dass wir uns mit gezielten Präventionsmaßnahmen besser auf solche Katastrophen vorbereiten und so ihre Auswirkungen abmildern. Lässt sich das Ausmaß künftiger Schäden einschätzen, so kann sich die Assekuranz mit einem funktionierenden Risikomanagement auf die Situation einstellen. Dann können auch Länder wie Japan oder die USA gewinnbringend Erdbebenversicherungen abschließen; die Risiken bleiben kalkulierbar. Alexander Allmann 25 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Erdbebenbericht: Tsunamikatastrophe in Südasien Die menschliche Tragödie, die das Seebeben im Indischen Ozean westlich von Sumatra Ende des vergangenen Jahres verursachte, löste weltweit Bestürzung aus. Die Konsequenzen, die Politik, Wissenschaft und Versicherungswirtschaft daraus ziehen werden, liegen auf der Hand: Prävention, Aufklärung und Kumulkontrolle sind jetzt gefragt. Am Morgen des 26. Dezembers 2004 bebte die Erde im Indischen Ozean westlich von Sumatra, in einer Region, in der starke Erdbeben durchaus nicht überraschen; doch diesmal waren die Erschütterungen weit stärker als erwartet. Es handelte sich um das größte Erdbeben seit 40 Jahren. Was diesem Beben aber eine unerwartete, nur schwer fassbare Dimension verlieh, war die gewaltige Flutwelle, die ihm folgte; sie löste die schlimmste durch ein Naturereignis bedingte humanitäre Katastrophe seit dem Erdbeben von Tangshan/China 1976 aus. Gemessen an der Zahl der Todesopfer war dieser Tsunami weltweit der größte in der dokumentierten Geschichte. Aus den letzten Jahrhunderten sind noch weit stärkere Beben bekannt. Diese haben häufig Tsunamis erzeugt, die sich jedoch – soweit wir bisher wissen – nur an den näher gelegenen Küsten auswirkten. Eine Ausnahme gibt es möglicherweise: das Beben vor Zentral-Sumatra im Jahr 1833, das eine vergleichbare Magnitude wie jenes vom 26. Dezember 2004 aufwies. Für dieses Beben lässt sich ebenfalls ein ozeanweiter Tsunami modellieren, allerdings breitete er sich entsprechend der Herdlage des Bebens mehr nach Süden aus. Das betroffene Gebiet ist riesig, es dehnt sich über mehrere tausend Kilometer aus – von Thailand und Malaysia im Osten über Sri Lanka, Indien und die Malediven bis nach Kenia und Somalia im Westen; dort, 5 000 km vom Epizentrum entfernt, waren noch annähernd 300 Tote zu beklagen. Und dennoch konzentrieren sich Opfer und Schäden lokal: auf einen ein bis zwei Kilometer breiten Küstenstreifen. Ein sehr schmaler Bereich, der einer extremen Zerstörungskraft ausgesetzt wurde. Das Hypozentrum des Bebens vom 26. Dezember 2004 lag bei 3,3 °N, 95,8 °O in 10 km Tiefe, rund 250 km südlich der Stadt Banda Aceh an der Nordspitze Sumatras. Mit einer Magnitude von 9,0 war es das drittstärkste Erdbeben weltweit seit dem Beginn instrumenteller Aufzeichnungen Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Bruchfläche befand sich nördlich derjenigen des Bebens von 1861 (Abb. 1). Der Bruch breitete sich von Süden über 1 200 bis 1 300 km aus. Entlang der Verwerfung entstand ein durchschnittlicher Versatz von vermutlich 10 –15 m, stellenweise bis zu 20 m. Dadurch kam es zu einem vertikalen Versatz des Meeresbodens um 3 – 4 m. Ganze Inseln, die über die Jahrzehnte zentimeterweise nach unten gezogen wurden, schnellten in wenigen Sekunden nach oben. Die Ursache des Bebens Der Tsunami Entlang des Sundabogens taucht die australisch-indische Platte in nordnordöstlicher Richtung mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 cm/Jahr unter die eurasische Platte. In dieser Abtauchzone kommt es häufig zu Erdbeben. Auch große Beben sind nicht selten, die letzten wurden am 4. Juni 2000 (M = 7,9; 58 Tote) und am 2. November 2002 (M = 7,4; 30 Tote) verzeichnet. Auch am 25. Juli 2004 ereignete sich ein Beben der Magnitude 7,3. Keines dieser Ereignisse fand ein intensives Echo in der Weltpresse. Der vertikale Versatz des Meeresbodens über tausend Kilometer hinweg löste einen so genannten Tsunami aus, eine seismische Flutwelle. Die schnelle Bewegung des Ozeanbodens nach oben hob die darüberliegende Wassersäule an und erzeugte eine Welle, die sich nach Westen und Osten ausbreitete. Die Größe eines Tsunami hängt ab von der Stärke des Erdbebens, der Höhe der Wassersäule über dem Epizentrum, der Geschwindigkeit und der Richtung, mit der die Erdkruste bricht. In diesem Fall bestand der Tsunami vermutlich aus Wellen mit einer Länge von rund 200 km. Seine drei bis vier Wellenberge waren auf dem offenen Meer kaum höher als ein Meter. Die Welle eines Tsunami hat gänzlich andere Eigenschaften als alle anderen Wellen eines Ozeans: Sie ist sehr viel länger und erfasst die gesamte Wassersäule. Ferner bewegt sie sich, ohne viel Energie zu verlieren, mit hoher Geschwindigkeit; diese ist abhängig von der Wassertiefe über den gesamten Ozean Mitte Februar 2005 gehen die UN von mindestens 170 000 Toten und mehr als 1000 000 Obdachlosen aus. 26 Münchener Rück, Topics Geo 2004 0 250 Tsunamikatastrophe in Südasien Bangladesch 500 km Dhaka Kalkutta Chittagong Indien Hanoi Bhubaneshwar Mumbai Laos Vishakhapatnam Hyderabad Rangoon Vientiane Thailand Bangkok Mangalore Kambodscha Madras PortBlair 1:00 h Cochin Vietnam 2004 Madurai Trivandrum Phnom Penh Khao Lak Ko Phi Phi Phuket Sri Lanka Colombo Banda Aceh Galle Ipoh Male Malaysia Medan 0:30 h 1:00 Kuala Lumpur Singapur h 2:00 1861 Indonesien h 3:00 h 1833 Jakarta Das Ausbreitungsgebiet des Tsunami: Betroffene Küstenabschnitte sind gelb gekennzeichnet, besonders stark betroffene Abschnitte orange. Die schraffierten Flächen beschreiben die – soweit möglich – rekonstruierten Bruchflächen der größten Beben (1833, 1861 und 2004). Das Epizentrum des Bebens vom 26. Dezember 2004 symbolisiert ein gelber Stern; die roten Sterne kennzeichnen Beben mit einer Magnitude über 7,0, die sich seit 1973 ereignet haben. Epizentrum Bruchflächen 2004 1861 Erdbeben > Magnitude 7,0 (seit 1973) 1833 Plattengrenze Tsunamiauswirkung stark betroffene Küstenabschnitte weniger stark betroffene Küstenabschnitte Tsunamiausbreitung Die ungefähre Laufzeit des Tsunami ist durch halbstündige Isochronen schematisch dargestellt. 27 Münchener Rück, Topics Geo 2004 hinweg. Je nach Wassertiefe kann sie bei über 800 km/h liegen. Auf dem offenen Meer ist ein Tsunami kaum wahrnehmbar – und auch ungefährlich. Gefährlich wird er erst, wenn er in flachem Wasser abgebremst wird. Die Welle „läuft auf“, wird kürzer und langsamer – sie erreicht 35 km/h bei einer Wassertiefe von 10 m. Doch dementsprechend steigt ihre Höhe. Plötzlich türmt sich vor der Küste eine 5 bis 10 m hohe Wasserwand auf, die in Extremfällen noch höher sein kann. Besonders tückisch ist, dass sich das Meer häufig zuerst zurückzieht, bevor die erste Welle anlandet. Dieses ungewöhnliche Phänomen übt eine Attraktion aus und forderte immer wieder viele Opfer. Wie sich die Welle letztlich auswirkt, hängt entscheidend von der lokalen Topographie an und vor der Küste ab. Ein senkrechter Widerstand nimmt der Welle schnell einen Großteil ihrer enormen Energie und lässt zugleich keinen großen Raum, um eine hohe Welle aufzubauen. Ein Atoll mit derartigen Eigenschaften wird also von einer relativ flachen, langsamen Welle überschwemmt – das war beim aktuellen Ereignis auf den Malediven der Fall. Ein gleichmäßig und flach ansteigender Strand lässt die Wellen hingegen mit hoher Geschwindigkeit förmlich den Hang hinauffließen. Die maximalen Wasserstände, die dann erreicht werden (der so genannte Run-up), liegen bei einem Vielfachen der eigentlichen Höhe der Welle. Im Gegensatz zu Wellen, die von Stürmen erzeugt werden, spielt die Höhe der ursprünglichen Welle für die Zerstörungskraft nicht die wichtigste Rolle – entscheidend sind die Fließgeschwindigkeit, die Topographie der Küste, eine mögliche Ausrichtung der Welle und ihr Laufweg. Ein weiterer Effekt eines Tsunami ist seine Refraktion an einer Grenzschicht. Dieses aus der Optik bekannte Phänomen lässt sich an einem Beispiel erklären: Einer der am stärksten betroffenen Orte auf Sri Lanka ist Galle, obwohl er nicht auf dem direkten Weg des Tsunami lag. Durch die starke Topographie des Ozeanbodens wurde der Tsunami südlich von Sri Lanka dort gebremst, wo er auf den kontinentalen Schelf traf. Der Teil der Flutwelle, der südlich davon lag, wurde nach Norden abgelenkt und traf die Insel an einer völlig unerwarteten Stelle. Er lief förmlich um die Insel herum. Das alles gilt fernab der Entstehung eines Tsunami. In der Regel entwickeln Tsunamis einen erheblichen Teil ihres Zerstörungspotenzials jedoch nahe bei ihrem Ursprung. Im langjährigen Durchschnitt entstanden mehr als 90 % aller Schäden und Opfer auch bei großen Tsunamis in der Nähe des Epizentrums. Dort kommt es zu weit höheren Wellen mit größeren Fließgeschwindigkeiten. Filmaufnahmen aus Meulaboh, einer Stadt auf Sumatra nahe des Epizentrums, bestätigen dies. Die Kraft, mit der das Wasser in die Stadt floss, ist nicht mit der in anderen Regionen vergleichbar. In weiten Teilen Sumatras hielten selbst Bäume dieser Wucht nicht stand. 28 Tsunamikatastrophe in Südasien Das Beben Bei aller Aufmerksamkeit für den Folgeeffekt Tsunami (der wohl mindestens 95 % des gesamten Schadens hervorgerufen hat) darf das eigentliche Erdbeben nicht völlig außer Acht gelassen werden. Denn sehr bemerkenswert sind auch die Schäden, die es nicht erzeugt hat: Bei einem so schweren Erdbeben wären zumindest vereinzelte Schäden gerade an höheren Gebäuden in weiter entfernten Metropolen wie Kuala Lumpur (500 km) oder Singapur (900 km) zu erwarten gewesen. Tatsächlich waren die Erschütterungen dort jedoch geringer als bei den weit schwächeren Beben der letzten Jahre. Nun muss sehr genau untersucht werden, welche Effekte dafür verantwortlich sind und wie diese Erkenntnisse auf andere Bebenszenarien, z. B. vor der zentralen Küste von Sumatra 1833, übertragbar sind. Schadenausmaß Volkswirtschaftliche Schäden: Nach vorläufigen Schätzungen (Stand Februar 2005) belaufen sich die materiellen Schäden der Katastrophe auf etwa 10 Mrd. US$. Dazu kommen außerordentliche indirekte Folgeschäden, insbesondere in den Touristenzentren Thailands, Sri Lankas und auf den Malediven. Damit liegen die rein ökonomischen Auswirkungen absolut gesehen wohl deutlich unter denen des Erdbebens von Niigata/Japan am 23. Oktober 2004 (siehe Bericht Seite 22). Selten hat eine Naturkatastrophe so dramatisch vor Augen geführt, wie weit die humanitären und ökonomischen Folgen einer Katastrophe auseinander klaffen können, auch in den Volkswirtschaften der betroffenen Länder. Die indonesische Wirtschaft etwa ist kaum in Mitleidenschaft gezogen, obwohl man von über 100 000 Toten und weiteren 100 000 Vermissten ausgeht; das thailändische BIP wird möglicherweise um 0,5 % weniger wachsen als vor dem Beben erwartet. Ökonomisch sehr gravierend scheint sich die Katastrophe nur auf den Malediven und auf Sri Lanka auszuwirken, da deren Volkswirtschaften stark vom Tourismus abhängen. Aber selbst in Sri Lanka werden die Schäden lediglich auf 2 % des BIP geschätzt. Versicherte Schäden: Eine wesentliche versicherungstechnische Lektion des Sumatra-Tsunamis ist, dass es sich um ein wirklich globales Ereignis handelte. Es waren nicht nur – wie bei anderen Ereignissen – lokale Gesellschaften und weltweit zeichnende Konzerne betroffen, sondern über die Tourismusbranche auch nationale Gesellschaften in Ländern, die weit vom Schadengebiet entfernt liegen. Der globale Aspekt kam also nicht wie bei anderen Katastrophen über die internationale Rückversicherung zustande, sondern bereits über die Erstversicherung. Damit verbunden ist der Mehrbranchenaspekt. Verschiedenste Branchen waren involviert, in einer Kombination, die für ein Naturereignis eher untypisch ist. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Tsunamikatastrophe in Südasien IKONOS-Satellitenaufnahmen der Region Banda Aceh vor (links am 10. Januar 2003) und nach dem Tsunami (rechts am 29. Dezember 2004). Wie hoch die versicherten Schäden sind, kann Anfang 2005 nur lückenhaft und sehr ungenau angegeben werden. Wenn man die Unsicherheiten berücksichtigt, ist eine Größenordnung von bis zu 2 Mrd. US$ nicht auszuschließen. Im Vergleich zum Ausmaß der humanitären Katastrophe und angesichts des Zerstörungsgrades an den Küstenabschnitten erscheinen die versicherten Schäden jedoch niedrig – aus diesen Gründen: Die meisten Versicherungsfälle sind daher aus zwei Bereichen zu erwarten: – Investitionen in touristische Objekte, vor allem Hotelanlagen und die angeschlossene Infrastruktur. Sie sind oft (aber nicht immer) durch eine „Allgefahrenpolice“ gedeckt, die auch Betriebsunterbrechung umfassen kann. – Lebens-, Unfall- und Reiseversicherungen von Touristen – Die am schlimmsten betroffenen Regionen liegen überwiegend in Entwicklungsländern, in denen schon eine normale Feuerdeckung keineswegs Standard ist. Darüber hinaus ist die Gefahr Erdbeben – die Tsunami meist einschließt – nur über eine Zusatzversicherung zu Feuer gedeckt. – Lebensversicherungen sind in diesen Ländern ebenfalls wenig verbreitet – teils aus kulturellen bzw. mentalen Gründen, jedoch auch wegen des sozialen Status der meisten einheimischen Todesopfer. Ferner sind Autokaskoschäden zu erwarten, deren Volumen allerdings kaum ins Gewicht fällt; in einem Fall war die Transportbranche über ein Autolager in einem Hafen betroffen. Inwieweit so genannte Mikroversicherungsprogramme, die der Existenzsicherung von Privatpersonen und Kleinbetrieben in Entwicklungsländern dienen und in Indien und Indonesien bereits relativ verbreitet sind, Schäden zu verzeichnen hatten, ist momentan nicht bekannt. 29 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Tsunamikatastrophe in Südasien Frühwarnung und Prävention Versicherungsaspekte Wie jedes unerwartete Ereignis hat die Tsunamikatastrophe bei der Risikowahrnehmung sowie im Hinblick auf Katastrophenprävention und -management drastische Lücken offen gelegt. Dies darf aber nicht den Blick dafür verstellen, dass es sich dabei in allen betroffenen Gebieten außer Indonesien um ein singuläres, bisher nie beobachtetes Ereignis handelte – mit der möglichen Ausnahme des Bebens von 1833. Viele Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft wurden laut, die für den Indischen Ozean ein ähnliches Frühwarnsystem fordern, wie es für den Pazifischen Ozean bereits existiert. Erste Schritte hierzu wurden auf der Weltkonferenz zur Katastrophenvorsorge in Kobe im Januar 2005 unternommen. Nach dem World-Trade-Center-Schaden zeigt diese Erdbebenkatastrophe erneut, dass Kumulabschätzungen sehr seltener Ereignisse nicht aus der einfachen Extrapolation normaler Ereignisse gewonnen werden können. Die Bewertung der Münchener Rück: Richtig ist, dass genügend Zeit gewesen wäre, die Menschen an den Küsten Sri Lankas, Indiens und Afrikas zu warnen und auch teilweise zu evakuieren, wenn ein Warnsystem existiert hätte. Für Sumatra trifft dies allerdings nicht zu. Künftige Präventionsmaßnahmen müssen daher auf einer elementareren Ebene ansetzen. Mit einigen ganz einfachen Mitteln hätte bereits ein Großteil der Tragödie vermieden werden können: Wenn Bevölkerung und Touristen gewusst hätten, dass ein Erdbeben mit einem Tsunami einhergehen kann, dass ein schnell sinkender Wasserspiegel der Vorbote eines Tsunami und keinesfalls eine bestaunenswerte Kuriosität ist, dass nach einer ersten Welle mit Sicherheit eine zweite und eine dritte Welle folgen und dass die einzig sinnvolle Reaktion ist, sich möglichst schnell auf höher gelegenes Gelände zu flüchten. Nur wenn eine entsprechende Aufklärung gewährleistet ist und die Organisations- und Kommunikationsstrukturen geschaffen sind, um gegebenenfalls erfolgreich zu warnen (die Warnung also Teil eines ganzheitlichen Risikomanagements ist), erscheint ein Frühwarnsystem angebracht. Solche Überlegungen müssen aber in Betracht ziehen, dass sich ein Ereignis dieses Ausmaßes im Indischen Ozean seit mindestens 171 Jahren nicht ereignet hat und sich vielleicht auch viele Jahrzehnte oder noch länger nicht wiederholen wird. Deshalb ist es extrem schwierig, das Risikobewusstsein selbst in stärker gefährdeten Gebieten zu erhalten. In Indonesien ist zwar die Eintrittswahrscheinlichkeit von Tsunamis durchaus hoch, aber gerade dort ist der Erfolg eines Frühwarnsystems zweifelhaft, weil die Entfernung zwischen Tsunamiherd und betroffener Küste sehr gering ist. Und für die indische Ostküste sollten Präventionsmaßnahmen gegen die jährlich auftretenden Zyklone höhere Priorität haben. 30 Schäden aus Erdbeben in Gebieten wie den Malediven und dem südlichen Thailand wurden bei Kumulüberlegungen aus begreiflichen Gründen bisher nicht berücksichtigt, von einer Akkumulation der Schäden in beiden Ländern ganz zu schweigen. Wie ernst müssen Tsunamiszenarien als Kumulszenarien genommen werden? Die Antwort auf diese Frage hängt mit der Eintrittswahrscheinlichkeit zusammen, die Kumulereignissen zugrunde gelegt wird. So tragisch das Sumatra-Erdbeben war, aus Versicherungssicht ist es bei der derzeitigen Deckungspraxis angesichts des geringen Ausmaßes versicherter Schäden noch kein relevantes Kumulszenario. Wie steht es mit anderen Meeresbecken? Große Tsunamis können im Pazifik, im Atlantik sowie in der Karibik und im Mittelmeer auftreten. Ein Beispiel für den Atlantik ist der Tsunami nach dem großen Erdbeben von Lissabon 1755, der die gesamte westiberische und Teile der nordafrikanischen Küste traf. Im Mittelmeer hat der Tsunami eines Erdbebens im Jahr 365 n. Chr. (Epizentrum vermutlich vor Rhodos) praktisch die gesamte Küste des östlichen Mittelmeers erfasst. Im Pazifik hat sich der Tsunami des Chile-Bebens 1960 über den gesamten Pazifik ausgebreitet und noch in Japan 132 Todesopfer gefordert. Da die betroffenen Küstensäume sehr schmal sind, kommen als potenzielle Kumulszenarien tatsächlich nur Riesenereignisse in Betracht, die viele und ausgedehnte Küstenabschnitte betreffen, oder regionale Ereignisse, die einen Ballungsraum signifikant treffen würden. Ferner muss berücksichtigt werden, dass Tsunamis nicht nur durch Erdbeben ausgelöst werden, sondern auch durch Ereignisse wie Vulkanausbrüche (Krakatau 1883) oder vulkanische Flankenkollapse. Ein viel zitiertes Szenario für eine Megakatastrophe ist ein Kollaps der Westflanke der Cumbre Vieja auf La Palma – der dann möglicherweise entstehende Tsunami könnte auch an der Ostküste der USA noch eine beträchtliche Höhe erreichen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis auf einer der Kanarischen Inseln eintritt, liegt allerdings bei lediglich einmal in rund 100 000 Jahren. Außerdem ist umstritten, ob tatsächlich die gesamte Rutschmasse auf einen Schlag ins Meer stürzen würde oder ob es zu mehreren kleineren – für näher gelegene Küsten aber immer noch hochgefährlichen – Erdrutschen mit entsprechenden Tsunamis kommen würde. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Tsunamikatastrophe in Südasien Die größten Tsunamikatastrophen seit 1700 Datum Tsunami ausgelöst von Erdbebenmagnitude Betroffene Regionen 27.1.1700 Erdbeben 9,0 USA*. Japan 1.11.1755 Erdbeben 8,7 Portugal*. Marokko Mai–Juli 1815 Ausbruch des Tambora 24./25.11.1833 Erdbeben 26./27.8.1883 Ausbruch des Krakatau 15.6.1896 Erdbeben 31.1.1906 Indonesien 9,2 Todesopfer** >30 000 >10 000 durch Tsunami Indonesien*, Sumatra. Indien. Sri Lanka unbekannt Indonesien 36 400 8,5 Japan*, Sanriku 27 000 Erdbeben 8,2 Ecuador*. Kolumbien 27.11.1945 Erdbeben 8,3 Pakistan*. Indien 1.4.1946 Erdbeben 7,5 USA*, Hawaii 4.11.1952 Erdbeben 8,2 Russland*, Kamtchatka 9.3.1957 Erdbeben 8,3 USA*, Hawaii 22.5.1960 Erdbeben 9,5 Chile*, Hawaii. Japan 3 000 28.3.1964 Erdbeben 8,4 USA*, Alaska, Hawaii. Japan. Chile 3 000 26.12. 2004 Erdbeben 9,0 500 4 000 150 1 300 0 Indonesien*, Sumatra. Sri Lanka. Indien. Thailand. Malediven. Ostafrika >170 000 * Epizentrum des auslösenden Erdbebens. **Todesopfer verursacht durch Erdbeben/Vulkanausbruch und Tsunami, wenn nicht anders vermerkt. Auch wenn das Kumulrisiko näher beleuchtet werden muss – die unmittelbaren versicherungstechnischen Lehren des Sumatra-Tsunamis liegen woanders: – Preis: Wenn das Risiko gedeckt ist, muss eine risikoadäquate Prämie erhoben werden, was mit Sicherheit in den meisten der diesmal geschädigten Regionen nicht der Fall war. Nicht auszuschließen ist, dass es einige wenige Gebiete gibt, wo aufgrund der besonders hohen Exponierung ohne entsprechende Präventionsmaßnahmen keine Versicherbarkeit gegeben ist. – Beitrag zu Kumulschäden aus Erdbeben: Während eigene Kumulszenarien für Tsunamis kaum gerechtfertigt erscheinen, ist durchaus zu prüfen, ob sie einen signifikanten zusätzlichen Schaden bei Erdbebenszenarien in Küstenräumen anrichten können. – Deckung von Tourismusrisiken: Die weltweite, zum Teil dynamische Entwicklung von Meeresküsten zu Tourismuszentren legt angesichts der eingetretenen Hotelschäden eine sorgfältige Risikoprüfung im Hinblick auf das Tsunamirisiko nahe. Das Problem von Megakatastrophen (wie das CumbreVieja-Szenario) kann nur über einen generellen Haftungsausschluss geregelt werden. Fazit Obwohl die versicherten Schäden vergleichsweise gering waren, zeigt die Analyse Handlungsbedarf auf wissenschaftlicher sowie auf politischer und versicherungstechnischer Ebene. Folgende Ziele stehen im Vordergrund: – Verbesserung des Verständnisses für die Entstehung von Tsunamis und die Gefährdung der Küsten je nach ihrer Offshore- und Onshore-Topographie – verbessertes Risikobewusstsein bei der potenziell betroffenen Bevölkerung und den Entscheidungsträgern durch Schulungen und gegebenenfalls regelmäßige Katastrophenübungen – Definition und Umsetzung eines weltumspannenden Frühwarnsystems – Kommunikationsstrukturen schaffen, die gewährleisten, dass auf Warnungen effizient reagiert wird – Landnutzung insbesondere in hoch gefährdeten Küstenstrichen regulieren – Bestandsaufnahme und Überprüfung der Deckungspraxis in allen betroffenen Branchen – Bewertung des Kumulschadenpotenzials oder Beitrags zum Kumulschaden aus Erdbeben – Überlegungen zur Kalkulation eines risikoadäquaten Preises Dr. Anselm Smolka, Dr. Michael Spranger 31 Die Hurrikansaison im Atlantik sowie die Taifunsaison im Pazifik waren außergewöhnlich, in Bezug auf das Schadenausmaß und die meteorologischen Parameter: Vier Hurrikane in der Karibik und den USA führten im August und September 2004 zu einem Rekordschaden für die Assekuranz; Japan wurde von 10 tropischen Wirbelstürmen getroffen, eine Anzahl, wie sie bisher nie erreicht wurde. Das Bild zeigt einen Hangar in Punta Gorda, Florida, der von Hurrikan Charley schwer beschädigt wurde. 32 33 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Achtung Stürme! Wirbelsturmserien und außergewöhnliche Sturmereignisse rund um den Globus Vier Hurrikane in der Karibik und den USA führten im August und September 2004 zu einem Rekordschaden für die Assekuranz. Nahezu zeitgleich wurde Japan von einer Serie von 10 tropischen Wirbelstürmen heimgesucht, die in der jüngeren Vergangenheit so noch nicht beobachtet worden war. Seltene Ereignisse? – dieser Frage gingen wir in Topics Geo 2003 nach. Gegenstand der Analyse waren damals die Hurrikane Fabian auf Bermuda und Juan an der kanadischen Ostküste mit Landfall bei Halifax sowie der Taifun Maemi in Südkorea. globalen Klimaerwärmung vorbei. Das schließt auch ein, Hurrikan- und Taifun-Risikomodelle kritisch zu überprüfen, deren Simulationskern von einer stationären Gefährdungssituation ausgeht. 2004 wurden Regionen von seltenen und außergewöhnlichen Ereignissen getroffen, deren Exponierung in Bezug auf tropische Wirbelstürme aus historischen Zeitreihen, die teilweise über 150 Jahre zurückreichen, (vermeintlich) gut bekannt war. Die Besonderheit des vergangenen Jahres war, dass regionale Häufigkeiten und – im Fall des Hurrikans Ivan – Intensitäten von tropischen Wirbelstürmen beobachtet wurden, die innerhalb des mit meteorologischen Daten belegten Zeitfensters neu waren. Auf die natürliche Variabilität der Sturmaktivität bei diesen Ereignissen zu verweisen ist nicht mehr ohne weiteres plausibel. Deshalb kommt die Versicherungswirtschaft immer weniger an der Frage nach dem Änderungsrisiko bei extremen Wetterereignissen als mögliche Folge der Auf seiner Zugbahn durch Florida hinterließ Hurrikan Charley ein Bild der Verwüstung. Diese Tankstelle in Port Charlotte erlitt einen Totalschaden. 34 Taifun Tokage fegte mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h über Japan. Vor allem in der Region Okinawa verursachte er schwere Gebäude- und Infrastrukturschäden. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Achtung Stürme! Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Im Atlantik entwickelten sich 2004 insgesamt 15 tropische Wirbelstürme, 9 davon erreichten Hurrikanstärke. Allein die Hurrikane Charley, Frances, Ivan und Jeanne zerstörten versicherte Werte von 30 Mrd. US$ – ein Rekordwert für die Versicherungswirtschaft. Schadenbilanz der Hurrikanserie 2004 im Atlantik – ein Überblick Die versicherten Schäden aus den vier schadenreichsten Hurrikanen – Charley, Frances, Ivan, Jeanne – mit Landfall in der Karibik und den USA summieren sich auf fast 30 Mrd. US$ (Tab. 1). Damit markierte der versicherte Jahresschaden für die Assekuranz eine neue Spitzenbelastung aus tropischen Wirbelstürmen im Atlantik. Das bisher teuerste Schadenjahr in dieser Region war 1992 mit 17 Mrd. US$ durch Hurrikan Andrew. Wenn man heutige Werte in Florida und Louisiana zugrunde läge, würde das Ereignis nach Schätzungen der Münchener Rück knapp 30 Mrd. US$ kosten. Als „außergewöhnlich“ kann damit die Summe der Einzelschäden aus den vier schweren Hurrikanen 2004 somit nicht wirklich bezeichnet werden. Aber: Nach Hurrikan Andrew konzentrierten sich viele Versicherer darauf, das Kumulschadenpotenzial eines Ereignisses abzuschätzen; an die Möglichkeit hoher Schadenkumule aus einer Serie von mehreren mittelgroßen Hurrikanen dachte man weniger. Das spiegelt sich auch wider in den gewählten Rückversicherungskonstruktionen und einem Anteil der privaten Rückversicherer von voraussichtlich weniger als 25 % am Gesamtschaden. Abb. 1 Zugbahnen tropischer Wirbelstürme/Hurrikane im Atlantik 2004 Abb. 2 Vier große Hurrikan-Schadenereignisse in Florida innerhalb von sechs Wochen Im Atlantik entwickelten sich 2004 insgesamt 15 tropische Wirbelstürme, 9 davon erreichten mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 118 km/h Hurrikanstärke. Die Zugbahnen der vier schadenreichsten Hurrikane in den USA der Saison 2004. Alle vier Tropenstürme verursachten den größten Schaden in Florida. Bemerkenswert ist die Zugbahn von Ivan, die zu einem doppelten Landfall im Golf von Mexiko führte. < 100 km/h 100–150 km/h 150–200 km/h 200–250 km/h > 250 km/h < 100 km/h 100–150 km/h 150–200 km/h 200–250 km/h > 250 km/h 35 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Meteorologische Besonderheiten Neue Schadenhöhen in der Karibik Die vier schadenreichsten Hurrikane Charley, Frances, Ivan und Jeanne verursachten die größten Schäden in Florida. Im Zeitraum 1850–2004 gab es nur einmal eine ähnliche Häufung von vier Hurrikantreffern in einem Bundesstaat, nämlich in Texas 1886. In Florida lag der Maximalwert in diesem Zeitfenster bei drei Schadenereignissen – 1886, 1896 und 1964. Ein HDP-Rekordwert bedeutet aufgrund der Sturmdauer, die in diesem Parameter enthalten ist, zugleich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Landmassen getroffen werden. Daher war es nicht überraschend, dass Hurrikan Ivan auf seiner Zugbahn durch die Karibik von Grenada über die Cayman-Inselgruppe bis Alabama und Florida für die Assekuranz mit einer Belastung von annähernd 12 Mrd. US$ zum zweitteuersten Hurrikanschaden nach Andrew 1992 wurde. Hurrikan Ivan: Rekord an Dauer und Intensität Hurrikan Ivan formierte sich am 2. September 2004 im Bereich des 10. nördlichen Breitengrades und 30. westlichen Längengrades als ein sich rasch verstärkendes Tropentief. Am 3. September erreichte Ivan Sturmintensität und am 5. September Hurrikanstärke (Windgeschwindigkeiten > 118 km/h). Innerhalb der nächsten 18 Stunden verstärkte sich das Sturmsystem weiter von Stufe 1 auf Stufe 4 der 5-stufigen Saffir-Simpson-Skala (SS-Skala) und erreichte Geschwindigkeiten von 210 bis 250 km/h. Diese Intensität behielt Ivan für ca. 12 Stunden bei und schwächte sich dann wieder auf SS2-Stärke ab. Das war aber nur der Anlauf für einen Rekord: Am 8. September wurde Ivan erneut zu einem SS4-Hurrikan und unterschritt diese Intensitätsstufe bis zum Landfall in Alabama am 16. September nicht mehr, insgesamt also für etwa 200 Stunden. Während dieses Zeitraums intensivierte sich Ivan dreimal jeweils mehrere Stunden auf SS5-Intensität. Seine maximale Windgeschwindigkeit erreichte er am 12. September mit 330 km/h (in Böen). Eine Maßzahl für den Spitzenwert an Dauer und Intensität ist das Hurrikan-Zerstörungspotenzial (Hurricane Destruction Potential, HDP), ein Index, der das Quadrat der maximalen Windgeschwindigkeit je 6-Stunden-Zeitintervall über die gesamte Sturmdauer kumuliert. Der HDPWert von Hurrikan Ivan liegt bei 71 250. Zum Vergleich: Das langjährige Mittel (1950–1990) aller tropischen Wirbelstürme einer gesamten Saison im Atlantik lag bei 70 600. Hurrikan-Zerstörungspotenzial (HDP) k HDP = v 2i i=1 v: maximale Böe in Knoten innerhalb eines 6-Stunden-Zeitintervalls k: Anzahl der 6-Stunden-Zeitintervalle während der „Lebensdauer“ des Hurrikans 36 Grenada: Am 7. September 2004 erreichte Ivan mit SS3Intensität die Karibikinsel Grenada, die auf einen derartigen Sturm völlig unvorbereitet war. Seit mindestens 50 Jahren wurde in dieser Region nicht mehr eine solche Windgeschwindigkeit beobachtet. 39 Menschen verloren ihr Leben und 90 % der Gebäude wurden beschädigt oder total zerstört. Der volkswirtschaftliche Schaden auf Grenada (Einwohnerzahl: 100 000) wird auf 900 Mio. US$ geschätzt, der versicherte Schaden ist aufgrund der wenigen versicherten Gebäude gering. In den folgenden Tagen forderte der Hurrikan weitere 15 Todesopfer auf den Inseln Trinidad, Barbados und Hispaniola. Jamaika: Am 11. September befand sich das Zentrum von Ivan nur wenige Zehnerkilometer südlich von Jamaika. Nahezu alle zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Vorhersagen der Zugbahn prognostizierten, dass Jamaika mit SS4-Intensität innerhalb der nächsten Stunden voll getroffen werden würde. Ivan änderte jedoch seine Richtung und erreichte den südlichen und westlichen Teil der Insel nur noch mit seinen Ausläufern. Die Schadenbilanz blieb deshalb relativ moderat: 17 Menschen starben; der volkswirtschaftliche Schaden betrug rund 575 Mio. US$, wovon 100 US$ Mio. von der Versicherungswirtschaft zu tragen waren. Die Windgeschwindigkeit v wird in den USA üblicherweise in Knoten angegeben. Die Summe der Quadrate der maximalen Windgeschwindigkeiten je Zeitintervall liefert ein Näherungsmaß für die kinetische Energie des Hurrikans. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Caymaninseln: Weniger Glück hatten am Tag darauf die Einwohner der Caymaninseln, die mit voller Wucht getroffen wurden. In der ersten Phase des von Süden heranziehenden Hurrikans herrschte auf der Hauptinsel Grand Cayman östliche Windrichtung vor, die das Wasser aus dem North Sound (Abb. 3) – eine Flachwasserlagune im Nordwesten der Insel – bis zum Seven Mile Beach drückte. Die Sturmflut erreichte in einigen Bereichen eine Höhe von 1,5 Metern. Während das Zentrum von Ivan nur ca. 30 km südwestlich an der Insel vorbeizog, drehte der Wind auf südliche Richtung und der Sturm erfasste mit seiner ganzen Kraft und einer zweiten Sturmflut den Südteil von Grand Cayman. Das Schadenbild markierte einen neuen Rekord in der jüngeren Geschichte der Caymaninseln: Von den insgesamt rund 5 Mrd. US$ versicherten Werten wurden fast 1,5 Mrd. US$ zerstört. Das entspricht einem Schadensatz (Verhältnis aus Schaden zur Versicherungssumme) von etwa 25 bis 30 %. Das Bild zeigt einen typischen Wasserschaden. Auf Grand Cayman führten zwei Sturmfluten zu einem hohen Anteil an Gebäudeschäden. Schäden im Segment „Offshore Marine“ Abb. 3 Grand Cayman Noch vor seinem Landfall im Grenzbereich der Bundesstaaten Alabama und Florida in den USA brachte Ivan der Versicherungswirtschaft einen weiteren Negativrekord. Auf seinem nördlich gerichteten Kurs im Golf von Mexiko streifte seine Zugbahn den östlichen Randbereich der Offshore-Ölförderanlagen im Kontinentalschelf vor der US-amerikanischen Festlandküste (Abb. 4). Mit rund 2,5–3 Mrd. US$ versicherten Sach- und BU-Schäden aus „Offshore Marine“ übertrifft Ivan alle bisherigen Großschäden in diesem Geschäftssegment. Zum Vergleich: Der Totalverlust der Piper-Alpha-Ölplattform 1988 kostete die Assekuranz 1,4 Mrd. US$; die versicherten (Marine-)Schäden aus Hurrikan Andrew 1992 lagen bei deutlich unter 1 Mrd. US$. West Bay North Side Old Man Village Village North Sound Seven Mile Beach George Town East End Boddentown Mit 40 000 Einwohnern zählen die Caymans zu den bevölkerungsschwächeren Inseln in der Karibik. Wegen ihrer großen Popularität als Steueroase ist auf dieser Inselgruppe die Versicherungsdichte im regionalen Vergleich aber überdurchschnittlich hoch. Stadt Hauptstraße Hauptschadengebiet Erste Sturmflut Zweite Sturmflut Höhe über Meeresspiegel <4m 4–8 m 8–12 m 12–16 m > 16 m Tab. 1 Schadenbilanz der Hurrikanserie 2004 im Atlantik Datum Ereignis Betroffene Regionen/Inseln Volkswirt. Versicherte Schäden Schäden Mio. US$* Mio. US$* 9.–15.8.2004 Hurrikan Charley Jamaika. Kuba. Florida 18 000 8 000 25.8.–9.9.2004 Hurrikan Frances Bahamas. Florida 12 000 6 000 2.–24.9.2004 Hurrikan Ivan Grenada. Jamaika. Cayman. 23 000 11 500 9 000 5 000 SO-Staaten USA 13.–28.9.2004 Hurrikan Jeanne Puerto Rico. Dom. Republik. Haiti. Bahamas. Florida * Stand: Februar 2005 37 Münchener Rück, Topics Geo 2004 In der Marine-Schadensumme von 2,5–3 Mrd. US$ sind Kosten nicht enthalten, die durch die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen (Evakuierung, Drosselung und Stopp der Produktion) als Folge der Hurrikanwarnungen entstanden sind. Ein Blick auf die Karte mit der geographischen Verteilung der Offshore-Einrichtungen im Golf von Mexiko zeigt, dass bei einer weiter westlich gelegenen Zugbahn von Ivan das Schadenpotenzial noch um ein Vielfaches höher gewesen wäre. Zunahme der Gefährdung durch tropische Wirbelstürme im Atlantik Keine der genannten „meteorologischen Besonderheiten“ oder die skizzierten Rekordschäden auf den Caymaninseln und im Golf von Mexiko erlauben für sich Rückschlüsse auf Veränderungen der Sturmgefährdung in den letzten Jahren und Jahrzehnten in dieser Region. Sie liefern jedoch Argumente dafür, meteorologische Daten sorgfältig nach möglichen Trends oder Periodizitäten zu untersuchen. Wenn man den zeitlichen Verlauf der jährlichen Anzahl von tropischen Wirbelstürmen und Hurrikanen im Atlantik genauer analysiert, zeigt es sich, dass die Zeitreihe im Beobachtungszeitraum zwei unterschiedliche Merkmale aufweist: 1. Zyklische Komponente: Parallel zu periodisch wiederkehrenden atlantischen Warm- und Kaltphasen nimmt die Sturmhäufigkeit zu oder ab (vgl. Beitrag Klimawandel – Auswirkungen auf tropische Wirbelstürme, S. 41). 2. Zunahmetrend: Generell ist in den letzten 150 Jahren festzustellen, dass sich die Anzahl der tropischen Wirbelstürme und Hurrikane erhöht. Die stärkste Veränderung in der Häufigkeit ist hier bei den schweren Hurrikanen (major hurricanes) der Saffir-Simpson-Stärken SS3–SS5 zu beobachten: Ihre mittlere jährliche Anzahl hat sich verdreifacht (Abb. 5). Inwieweit dieser Zunahmetrend beeinflusst ist durch lückenhafte Daten in der Zeit vor 1944, ist in der Forschung eine offene Frage. Fazit Die Ergebnisse von Klimasimulationsmodellen deuten darauf hin, dass langfristig die Sturmgefährdung im Atlantik weiter wächst. Es ist wahrscheinlich, dass künftig mehr Stürme auftreten und dadurch zyklische Tief- und Hochpunkte entsprechend der atlantischen Kalt- und Warmphasen auf einem höheren Niveau liegen werden. 38 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Schadenentwicklung in Florida unterschätzt? Eine Veränderung der Sturmgefährdung bringt potenziell eine Veränderung des Sturmrisikos mit sich. Abgesehen von Jahren mit zufallsbedingt besonders wenigen bzw. vielen Schäden ist zu erwarten, dass das Sturmrisiko (Schadenerwartungswert, Kumulschadenpotenzial) bei ansonsten gleichen Bedingungen der versicherten Risiken (z. B. Schadenanfälligkeit) variiert (Abb. 6). Es wird deutlich, dass in den vergangenen 25 Jahren in Florida der Schadenerwartungswert nahezu stetig zugenommen hat, obwohl die Sturmschadenanfälligkeit moderner Gebäude seit der Verschärfung der Bauvorschriften nach Hurrikan Andrew zurückgegangen ist. Entscheidend für die Träger des Hurrikanrisikos: Kurzund mittelfristig (in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten) werden in Florida die Schadenwahrscheinlichkeiten und -erwartungswerte unterschätzt, wenn man annimmt, dass sich die Gefährdung nicht ändert (Mittelwert der vergangenen 150 Jahre). Abbildung 7 zeigt, dass im Auswertezeitraum in Florida nach Hochrechnung der Schäden aus früheren Jahren auf heutige Werteverhältnisse die versicherten Schäden aus Sturm und Überschwemmung gestiegen sind. Werden die auf 2004 indizierten Schäden der letzten 25 Jahre über abnehmende Zeitfensterlängen aggregiert, dann kann die Schadenzunahme über die Analyse des mittleren jährlichen versicherten Schadens je Zeitfenster quantifiziert werden. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Abb. 4 Offshore-Installationen im Golf von Mexiko und Simulation des Windfelds Ölförderanlage Zugbahn Hurrikan Ivan Windgeschwindigkeiten in km/h 100–109 110–119 120–129 130–139 140–149 150–159 160–169 170–179 180–189 190–199 200–209 210–219 220–229 230–239 240–249 250–259 260–269 ≥ 270 Die Zugbahn von Hurrikan Ivan streifte nur den östlichen Rand des Ölfördergebiets, trotzdem verursachte er die bisher teuersten Schäden in diesem Geschäftssegment. Quelle: US Department of the Interior – Minerals Management Service; Windfeldsimulation: Münchener Rück Abb. 5 Jährliche Anzahl von tropischen Stürmen und Hurrikanen im Atlantik 1850–2004 25 Hurrikan und tropischer Sturm Hurrikan Hurrikan (SS 3, 4, 5) Trend Hurrikan und trop. Sturm Trend Hurrikan Trend Hurrikan (SS 3, 4, 5) 20 15 10 5 0 1850 1875 1900 1925 Jahr 1950 1975 2000 Im Zeitraum 1850–2004 hat die Häufigkeit tropischer Wirbelstürme zugenommen. Die auffälligste Veränderung gab es bei den starken Hurrikanen der Intensität SS3–SS5, deren mittlere jährliche Anzahl sich verdreifacht hat. 2004 wurden im Atlantik sechs Hurrikane mit einer Intensität größer oder gleich SS3 beobachtet. Ein genereller Anstieg von Wirbelstürmen mit Landfall in den USA ist allerdings bisher nicht zu beobachten. Für den Zeitraum bis 1944 können die Daten aufgrund unvollständiger Beobachtungen lückenhaft sein. Quelle: NOAA 39 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Entwicklung der versicherten Einzelschäden und der Jahresschadensummen aus Sturm und Überschwemmung (ohne National Flood Insurance Program, NFIP) in Florida im Zeitraum 1980–2004. Schäden aus der Vergangenheit wurden mit einem jährlichen Anstieg von 5 % auf Werteverhältnisse von 2004 indexiert (Inflationsbereinigung und Bestandszuwachs). Die Schadenhöhen sind logarithmisch aufgetragen. Abb. 6 Versicherte Sturm- und Überschwemmungsschäden in Florida 1980–2004 (Einzelschäden und Jahresschadensummen) Mio. US$ 100 000 10 000 1 000 100 10 Einzelschaden (in Werten von 2004) 1 1980 1985 1990 1995 2000 Jahr 2005 Jahresschadensumme (in Werten von 2004) Quelle: Property Claims Service, Florida Office of Insurance Regulation, Munich Re NatCatSERVICE Mittlerer jährlicher versicherter Schaden aus Sturm und Überschwemmung (ohne NFIP) in Florida in verschiedenen Zeitfenstern. Schäden aus der Vergangenheit wurden mit einem jährlichen Anstieg von 5 % auf Werteverhältnisse von 2004 indexiert (Inflationsbereinigung und Bestandszuwachs). Abb. 7 Mittlerer jährlicher Schaden Mio. US$ 4 500 4 000 3 500 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 500 0 1980–2004 (letzten 25 Jahre) 1985–2004 (letzten 20 Jahre) 1990–2004 (letzten 15 Jahre) 1995–2004 (letzten 10 Jahre) 2000–2004 (letzten 5 Jahre) Gewerbegebiete bergen sehr hohe Schadenpotenziale, da auf engstem Raum Warenhäuser und Lager aneinander gereiht sind. Das Bild zeigt einen Autoersatzteilemarkt in Port Charlotte in Florida, der durch Hurrikan Charley nahezu vollständig zerstört wurde. 40 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Hurrikane im Atlantik – die Zeichen stehen auf Sturm Klimawandel – Auswirkungen auf tropische Wirbelstürme großer Hurrikane pro Jahr ist in dieser aktuellen atlantischen Warmphase somit wesentlich größer als in der letzten. Könnte es also sein, dass die zyklische Struktur wiederkehrender atlantischer Warm- und Kaltphasen von einem Zunahmetrend überlagert wird, der den Einfluss der Klimaerwärmung verrät? Nach neueren Studien mit Klimasimulationsmodellen wäre genau dies zu erwarten, nämlich dass die tropischen Zyklonen, die in einem wärmeren Klima entstehen, sich intensiver entwickeln. Wenn man genau beobachtet, wie sich die Wirbelsturmaktivität im Nordatlantik (längs der amerikanischen Ostküste bis zur Südspitze Floridas und in der Karibik) entwickelt, erkennt man: Die Zuordnung der atlantischen Hurrikanaktivität zu zyklisch wiederkehrenden atlantischen Warmund Kaltphasen – entsprechend dem „Atlantic Multidecadal Mode“, der in der Wissenschaft diskutiert wird – ist sinnvoll (Abb. 8). Dabei handelt es sich um Phasen mit anomal warmen oder kalten Wasseroberflächentemperaturen, die meist Jahrzehnte andauern und insbesondere in der atlantischen Hauptentwicklungszone für Wirbelstürme zwischen 10° N und 20° N auftreten. Sind die Wassertemperaturen ungewöhnlich warm, so verdunstet mehr Wasser und die atmosphärische Schichtung wird labilisiert. Das steigert die vertikale Mächtigkeit des entstehenden Wirbels und macht ihn weniger verwundbar durch vertikalen „Versatz“. Letzterer kann dadurch zustande kommen, dass der Wind zwischen bodennahen und hohen Niveaus seine Stärke und Richtung ändert. Die vertikale Änderung des Winds ist zudem über wärmeren Wasseroberflächen reduziert. Die Statistik zeigt: In der atlantischen Warmphase, die um 1926 begann und nach einer sehr kurzen Unterbrechung Mitte der 1940er-Jahre bis etwa 1970 dauerte, traten im jährlichen Mittel mit 2,6 erheblich mehr große Hurrikane (Saffir-Simpson-Kategorie 3–5) auf als in der atlantischen Kaltphase von 1971 bis 1994 (1,5). Seit 1995 herrscht erneut eine atlantische Warmphase vor, die wiederum die jährlichen Häufigkeiten großer Hurrikane deutlich erhöht (im Mittel 3,8). Die mittlere Anzahl Ein neues Klimasimulationsexperiment, das für die drei Ozeanbassins des Nordatlantiks, des Nordwestpazifiks und des Nordostpazifiks durchgeführt wurde, lässt für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts intensivierte Wirbelstürme erkennen; im Vergleich zum Gegenwartsklima werden sie im Mittel um 6 % höhere Ein-Minuten-Bodenwinde und um 18 % höhere Niederschlagsraten in einem Radius von 100 km um das Zentrum aufweisen. Im Vergleich zu heute würden die Wirbelstürme um eine halbe Saffir-SimpsonKategorie intensiver ausfallen. Zwar lässt sich nicht nachweisen, dass die Meeresoberflächentemperaturen im Nordatlantik in den letzten Jahrzehnten bereits signifikant gestiegen sind, jedoch nahm die Neigung zu konvektiven Umwälzungen in der Atmosphäre, welche die Entwicklung von Wirbelstürmen begünstigt, an vielen tropischen Stationen in den letzten Jahrzehnten signifikant zu. Abb. 8 Jährliche Anzahl von tropischen Stürmen und Hurrikanen im Atlantik Anzahl 25 Warmphase Kaltphase Warmphase Kaltphase Warmphase 20 15 13,7 10 Hurrikane und tropische Stürme (SS 1–5) Hurrikane (SS 1–5) Hurrikane (SS 3, 4, 5) Durchschnittliche Anzahl Hurrikane und tropische Stürme (SS 1–5) Hurrikane (SS 1–5) Hurrikane (SS 3, 4, 5) 9,9 8,5 7,8 6,2 5,0 5 3,8 3,1 1,5 0 1850 1875 1900 1925 Jahr Quelle: NOAA, Landsea et al (1999) 1950 1944 1975 2000 Mittlere Anzahl tropischer Zyklone pro Jahr entsprechend den atlantischen Warm- und Kaltphasen (Atlantic Multidecadal Mode). Der Beginn der Zeitreihe (1944) markiert den routinemäßigen Einsatz von Flugzeugen zur Beobachtung von Wirbelstürmen über dem Atlantik. 41 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Achtung Stürme! Weitere außergewöhnliche Sturmereignisse Im Jahr 2004 nahm nicht nur die Sturmexponierung in bereits als gefährdet bekannten Gebieten zu, sondern auch einzelne „außergewöhnliche“ meteorologische Ereignisse lieferten weitere Indizien für Änderungsprozesse in der Atmosphäre. Hurrikan Alex (Atlantik): SS3-Intensität in 42° N Die Hurrikansaison 2004 im Nordatlantik begann am 31. Juli mit einem meteorologisch für beinahe unmöglich gehaltenen tropischen Wirbelsturm. Aus einem Tropentief vor der Küste Georgias entwickelte sich im Laufe des 1. Augusts der Tropensturm Alex, der am 3. August Hurrikanstärke (mittlere Windgeschwindigkeit >118 km/h) erreichte, wobei er sich fortlaufend verstärkte und nach Nordosten verlagerte. Noch am gleichen Tag zog das Zentrum von Alex nur wenige Kilometer vor der Küste Cape Hatteras (North Carolina) vorbei. Zu diesem Zeitpunkt hatte Alex bereits SS(Saffir-Simpson)2-Intensität mit mittleren Windgeschwindigkeiten um 160 km/h, Spitzenböen um 190 km/h und einen Kerndruck von 972 hPa. So weit war Alex ein ganz normaler Hurrikan, der aus Sicht der Versicherungswirtschaft auch aufgrund seiner Zugbahn ohne direkten Landfall an der US-amerikanischen Küste beinahe ein Nicht-Ereignis war. Die Schäden blieben auf den Küstenabschnitt zwischen Wilmington (North Carolina) und Norfolk (Virginia) und im Wesentlichen auf Stromversorgungsleitungen und lokale Sturmflutprobleme begrenzt. Die Belastung für die Assekuranz liegt bei unter 50 Mio. US$. Im Verlauf des 4. Augusts behielt Alex seine Intensität zunächst bei und schwächte sich bis zum Nachmittag erwartungsgemäß über dem in höheren Breiten zunehmend kühleren Wasser des Nordatlantiks auf SS1-Stärke ab. Die weitere Entwicklung war meteorologisch jedoch ungewöhnlich: Innerhalb weniger Stunden fiel der Kerndruck im Zentrum des Sturmwirbels auf 957 hPa und Alex verstärkte sich zu einem schweren Hurrikan mit SS3-Intensität. Mit Windgeschwindigkeiten um 240 km/h in Spitzenböen zog er am 5. August weiter in nordöstlicher Richtung auf den Nordatlantik. Alex behielt als voll ausgebildeter tropischer Wirbelsturm seine SS3-Intensität mit einem Kerndruck von 957 hPa selbst über Gebieten mit Wassertemperaturen von unter 26 °C bei (dieser Grenzwert ist eine der Voraussetzungen für die Bildung von tropischen Wirbelstürmen). Die Vorwärtsgeschwindigkeit des Hurrikans war mit rund 40–45 km/h eher gering. Erst am Abend des 5. Augusts und in einer geographischen Breite nördlich von 42° (etwa auf der Höhe von Boston) begann sich Alex abzuschwächen, um dann schließlich am Nachmittag des 6. Augusts und in einer geographischen Breite von 47,5° (etwa auf der Höhe von St. Johns/Neufundland) von „Hurrikan“ auf „tropischen Sturm“ herabgestuft zu werden. Die Besonderheiten von Hurrikan Alex lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Erhöhung der Windgeschwindigkeiten und Neuorganisation des Sturmwirbels nördlich von Norfolk. Bemerkenswert ist, dass Anfang August 2004 der Atlantik vor den Neuenglandstaaten der USA und Kanadas eine deutlich positive Temperaturanomalie aufwies (im Vergleich zum langjährigen Mittel um 3–4 °C zu warm). – Beibehaltung der Merkmale eines voll ausgeprägten SS3-Hurrikans mit Spitzenwindgeschwindigkeiten in Böen um 240 km/h bis in eine geographische Breite nördlich von 42° – Übergang zu einem außertropischen Sturmsystem erst in einer Breite von 47,5°. Abb. links: Alex am 4. August 2004 um 15.45 Uhr (UTC) als SS1-Hurrikan vor Virginia. Abb. Mitte: Alex am 5. August 2004 um 6.15 Uhr (UTC) als SS3-Hurrikan auf der Höhe von New Jersey. Abb. rechts: Alex am 5. August 2004 um 13.15 Uhr (UTC) mit unverminderter SS3-Stärke. Erst in den Abendstunden (UTC) begann sich der Sturm abzuschwächen. 42 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Weitere außergewöhnliche Sturmereignisse Hurrikan Catarina – oder eine „außertropische Zyklone (Tiefdruckgebiet) mit tropischer Charakteristik“ – im Südatlantik Im März 2004 bildete sich vor der brasilianischen Küste ein Sturmsystem (Catarina, in der Literatur auch als Aldonca und 1-T Alpha bezeichnet), das in seinem weiteren Verlauf viele Merkmale eines tropischen Wirbelsturms aufwies. Bisher wurde der Südatlantik, vor allem wegen der für die Wirbelsturmentstehung extrem ungünstigen starken Änderung der Windgeschwindigkeiten zwischen oberflächennahen und hohen Niveaus der Atmosphäre, weitgehend als „hurrikanfrei“ betrachtet. Bis Redaktionsschluss (Januar 2005) ist die meteorologische Bewertung dieses Ereignisses noch nicht abgeschlossen. So stufte am 26. März 2004 das U.S. National Hurricane Center (NHC) in Miami (Florida) die Zyklone als „tropisch“ ein und im weiteren Entwicklungsstadium dann als Hurrikan der Stärke SS1. Der brasilianische Wetterdienst bewertete Catarina dagegen als eine „außertropische Zyklone mit kaltem Kern“, wie sie typischerweise über kaltem Wasser entstehen kann. Das Centro de Hidrografia de Marinha verwendete dafür die Bezeichnung „außertropische Zyklone mit tropischer Charakteristik“. Bemerkenswert ist immerhin, dass gemäß einem Klimasimulationsexperiment (Hadley-Center) Catarina genau in der Zone zwischen 20° und 30° Süd auftrat, in der in Zukunft Wirbelsturmaktivität erwartet wird. Jenseits der noch offenen meteorologischen Fragen zu Catarina bleibt seine Schadenbilanz festzuhalten: 40 000 beschädigte Gebäude (von insgesamt 125 000) im Landfallgebiet von Catarina und Zerstörungen in der Landwirtschaft von 350 Mio. US$. Im März bildete sich vor der brasilianischen Küste ein Sturmsystem, das sich zu einem voll ausgeprägten Saffir-Simpson-1Hurrikan verstärkte. Das Bild zeigt das Sturmsystem bei Porto Alegre im Südosten Brasiliens. Die Schadenbilanz von Hurrikan Catarina: 40 000 beschädigte Gebäude, Schäden in der Landwirtschaft und an Versorgungseinrichtungen. 4 Menschen kamen bei dem Sturm ums Leben, 40 wurden verletzt. 43 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Achtung Stürme! Schadenbericht Property Claim Services „Fab Four Hurrikane 2004“ – professionelle Schadenregulierung trotz widriger Umstände. Ein Bericht von Property Claim Services ® Der Südosten der Vereinigten Staaten erlebte 2004 die schlimmste Hurrikansaison der jüngeren Vergangenheit: Sechs Hurrikane – Alex, Charley, Frances, Gaston, Ivan und Jeanne – sowie drei tropische Stürme trafen zwischen Anfang August und Mitte Oktober die USA. Den größten Schaden verursachten die so genannten „Fab Four“ Charley, Frances, Ivan und Jeanne. Die Schäden waren bei keinem einzelnen Sturm außergewöhnlich, dennoch war das Gesamtausmaß vergleichbar mit Hurrikan Andrew 1992. Welche Faktoren beeinflussten die Schadenregulierung? Charley, Frances, Ivan und Jeanne richteten in 17 amerikanischen Bundesstaaten versicherte Schäden von 22,5 Mrd. US$ an; dies sind die bisher höchsten Schäden eines dritten Quartals. Zum Vergleich: Die 22 Hurrikane aller dritten Quartale seit 1992 kosteten insgesamt 50 Mrd. US$. Auswirkungen der Bauvorschriften Obwohl die Schadenausmaße der „Fab Four“ und von „Andrew“ ähnlich waren, weisen die Schadendaten Unterschiede auf: Durchschnittsschäden Andrew durchzog 15 Bezirke (Countys) Südfloridas. Die Schäden konzentrierten sich jedoch auf den Bezirk MiamiDade und in geringerem Ausmaß auf drei benachbarte Countys. Trotz dieser kleinen räumlichen Verteilung beschädigte Andrew unseren Schätzungen zufolge 625 000 versicherte Objekte (versicherter Gesamtschaden in Florida: 15 Mrd. US$). Der durchschnittliche Schaden betrug 24 000 US$, inflationsbereinigt entspricht dies 33 000 US$. Charley, Frances, Ivan und Jeanne richteten Schäden in fast allen 67 Bezirken Floridas an, 46 wurden sogar zu nationalen Katastrophengebieten erklärt. Nach unseren Ermittlungen waren 1,6 Millionen versicherte Objekte betroffen, der versicherte Schaden in Florida lag bei 18,6 Mrd. US$, der durchschnittliche Schaden bei etwa 11 500 US$. 44 Die Schadenzahlungen nach Hurrikan Andrew wurden von folgenden Faktoren beeinflusst: Arbeitskräftemangel, Kostenexplosion bei Baustoffen, höhere Nachfrage nach Bauleistungen und Antragsflut bei den örtlichen Behörden. Die gleichen Probleme werden sich auch auf die Wiederherstellungskosten nach den Hurrikanen 2004 auswirken, jedoch kann der genaue Anteil heute noch nicht abgeschätzt werden. Dass die Bauvorschriften nur unzureichend eingehalten wurden, war nach Andrew ein wichtiges Thema: Über ein Viertel (4 Mrd. US$) der gesamten versicherten Schäden (15 Mrd. US$) waren darauf zurückzuführen. Bei den Stürmen im Jahr 2004 zeigte sich, dass neuere Konstruktionen den Windlasten deutlich besser standhielten als Gebäude, die nach älteren Bauvorschriften ausgelegt waren. Zwar laufen die Untersuchungen hierzu noch, gleichwohl kann man schon sagen, dass die neuen Bauvorschriften Wirkung zeigen. Das Worst-Case-Szenario PCS (Property Claim Services) diskutiert und untersucht seit längerem die Auswirkungen und Konsequenzen einer Megakatastrophe in den Vereinigten Staaten – für diese schätzen wir vier Millionen Schadenfälle. Glücklicherweise haben die Hurrikane 2004 diese Dimension nicht erreicht: Die Assekuranz war „nur“ mit etwa der Hälfte der Schadenfälle des Worst-Case-Szenarios konfrontiert; trotzdem erreichten die versicherten Schäden Rekordhöhen. Denn wie sich Stürme auf die Versicherungswirtschaft auswirken, hängt sowohl von ihrer Stärke ab als auch von der Anzahl der Landfalls. 2004 war nicht die erste Hurrikansaison mit mehreren Landfalls. 1964 und 1996 war dies viermal der Fall, 1999 fünfmal und 1985 sechsmal. Das Besondere 2004 war, dass die Hauptschadengebiete aller Stürme in Florida lagen. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Schadenbericht Property Claims Service PCS Property Claim Services® PCS ermittelt und schätzt für die amerikanischen Sachund Haftpflichtversicherer die versicherten Schäden aller Katastrophen, unterteilt nach Privat- und Industrieschäden, Betriebsunterbrechung, Terrorismus sowie Arbeiterunfall. Das Unternehmen – eine Gruppe der ISO® – ist weltweit führend bei der Ermittlung, Analyse und Bereitstellung von Schadeninformationen in den USA. Über herausragendes Fachwissen verfügt PCS vor allem im Bereich Naturkata- strophen. Definition einer Katastrophe nach PCS: versicherter Schaden über 25 Mio. US$ sowie eine große Anzahl betroffener Policen. Die Schwelle für Terrorismus liegt bei 5 Mio. US$. ISO® Insurance Service Office ist der führende Anbieter von Informationen für die Sach- und Haftpflichtversicherer (Nichtleben) in den USA. Für die Münchener Rück zählt Property Claim Services zu den wichtigsten Informationsquellen. Herausforderungen Fazit Die Bearbeitung der unzähligen Schadenmeldungen in Florida behinderten teils ungewöhnliche Faktoren: – Die Schadengutachter, die nach Charley bereits in Florida waren, mussten wegen der folgenden Hurrikane das Einsatzgebiet verlassen. Nie zuvor mussten so viele Gutachter an einen sicheren Ort gebracht werden – und zwar nicht nur einmal, sondern zweimal. – Großflächige Stromausfälle und andere Unterbrechungen von Versorgungseinrichtungen verlangsamten die Schadenregulierung in den ersten Wochen spürbar. – Die Hurrikane, insbesondere Frances, erforderten die größten Evakuierungen von Einwohnern Floridas in der Geschichte. Problematisch war, dass viele Menschen aufgrund der enormen Schäden – speziell in den Küstenregionen – längere Zeit nicht in ihre Häuser zurückkehren konnten und Hotelunterkünfte benötigten. Deshalb war es für die Schadenregulierer schwierig, Übernachtungsmöglichkeiten in der Nähe der Einsatzorte zu finden, und sie mussten oft weite Strecken zurücklegen. – Benzin war knapp, stundenlanges Warten angesagt, die Mobilität der Gutachter stark eingeschränkt. – Einige Gebiete Floridas wurden mehrmals getroffen – von Charley, Frances und Jeanne. Bereits beschädigte Werte wurden von den folgenden Stürmen noch stärker verwüstet. Für die Assekuranz war es sehr schwierig, die Schäden dem jeweiligen Sturm zuzuordnen, um beispielsweise die Selbstbehalte korrekt zu ermitteln. Deshalb mussten die Schäden besonders ausführlich und genau analysiert werden, was die Bearbeitung verlangsamte. Die Versicherer und ihre Schadenregulierer erhielten viel Anerkennung für die professionelle Arbeit, die sie trotz widrigen Bedingungen in Florida leisteten. Der Wiederaufbau nach der schlimmsten Hurrikansaison seit langem wird noch viele Monate dauern. Die amerikanische Versicherungswirtschaft setzt alles daran, die Erwartungen der Versicherungsnehmer, der Aufsichtsbehörden sowie der Mitarbeiter und Aktionäre zu erfüllen, um dieses außergewöhnliche Jahr für alle Betroffenen bestmöglich zu bewältigen. Gary Kerny Günstig hat sich auf die Schadenregulierung ausgewirkt, dass die Schäden vor allem in einem Gebiet anfielen. Somit konnten die Versicherungsgesellschaften ihre Gutachter auf Florida konzentrieren. Wären auch in anderen Staaten stärkere Schäden aufgetreten, hätten die Versicherer notgedrungen an verschiedenen Standorten Regulierungsbüros einrichten müssen, was die Gesamtbearbeitung erschwert hätte. 45 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Achtung Stürme! Taifunsaison im Pazifik – Japan im Fadenkreuz der Wirbelstürme Das Jahr 2004 brachte bei Stürmen nicht nur im Atlantik, sondern auch im Westpazifik neue Rekorde. In Japan beobachtete man seit Beginn der systematischen Erfassung von Zugbahndaten tropischer Wirbelstürme eine nie da gewesene Anzahl von Landfalls. Tokage Ma gi e M on s Dian mu Ma on Na on C Vor allem den Süden und Westen Japans trafen 2004 mehrfach tropische Wirbelstürme. Von den insgesamt zehn Sturmereignissen waren drei (Songda, Tokage, Chaba) besonders schadenreich. un the m 46 Meari da ng So Ch aba Die Frage nach der Notwendigkeit, ein mögliches Änderungsrisiko in der Risikosimulation zu berücksichtigen, ist im Nordwestpazifik aufgrund der dünneren Basis an meteorologischen und versicherungstechnischen Daten mit größeren Unsicherheiten behaftet als im Atlantik und deshalb schwieriger zu beantworten. Wird im Risikomanagement das Vorsichtsprinzip angewendet, so ist auch im Nordwestpazifik zu erwarten, dass bei fortschreitender Klimaänderung mittel- und längerfristig die Sturmaktivität deutlich zunimmt. Der größere Pazifik könnte dabei den Trend aufgrund der thermischen Trägheit großer Wassermassen im Vergleich zum Atlantik zeitlich verzögern. Abb. 1 Zugbahnen von tropischen Wirbelstürmen und Taifunen im Nordwestpazifik mit Landfall in Japan 2004 lou Die Zeitreihe von gut 50 Jahren ist noch zu kurz für eine zuverlässige Aussage zu möglichen Trends bei der Häufigkeit von Sturmereignissen in Japan. Auffällig ist jedoch auch in dieser Region, dass die aktivsten Sturmperioden im Beobachtungszeitraum in der jüngeren Vergangenheit lagen (Abb. 2). Noch kürzer ist in Japan der Zeitraum mit Marktdaten zu versicherten Schäden aus tropischen Wirbelstürmen. Da die Sturmversicherung im Massengeschäft erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eingeführt wurde, gibt es für eine aktuarielle Analyse der Ereignisschäden Daten nur für rund 15 Jahre. Zwar kam es in diesem Zeitraum zu signifikanten versicherten Schäden (Tab. 1), Kumulschadenpotenziale fundiert zu bewerten ist jedoch nur mit geeigneten Risikosimulationsmodellen möglich, die auch seltene und schadenreiche Taifunereignisse einbeziehen (Abb. 3 + 4). < 100 km/h 100–150 km/h 150–200 km/h 200–250 km/h > 250 km/h Münchener Rück, Topics Geo 2004 Taifunsaison im Pazifik – Japan im Fadenkreuz der Wirbelstürme Tab. 1 Die zehn größten versicherten Schäden aus Taifunen in Japan 1990–2004 Taifun Datum Versicherter Schaden As-if-Schäden 2004, über die Entwicklung der GNPI abgeschätzt (Anstieg ca. 5 % p. a.) * Umrechnungskurs: 1000 Yen = 10 US$. Quellen: NatCatService; General Insurance Association of Japan; Stand: Dezember 2004 in Mio. US$* 1 Mireille (Nr. 19/1991) 26.–28.9.1991 ca. 10 000 2 Songda (Nr. 18/2004) 3 Bart (Nr. 18/1999) 4 Vicki (Nr. 7/1998) 22.9.1998 1 650 5 Tokage (Nr. 23/2004) 19.–21.10.2004 1 250 6 Chaba (Nr. 16/2004) 30.–31.8.2004 1 100 7 Yancy (Nr. 13/1993) 2.–4.9.1993 1 000 8 Flo (Nr. 19/1990) 17.–20.9.1990 490 9 Pat/Ruby (Nr. 12, 13/1985) 30.8.–1.9.1985 480 10 Kinna (Nr. 17/1991) 14.–15.9.1991 430 6.–8.9.2004 4 700 22.–25.9.1999 3 900 Im Zeitraum 1950–2003 lag die mittlere jährliche Anzahl von Landfalls tropischer Wirbelstürme in Japan bei 2,7. Spitzenwerte von jeweils 6 Landfalls registrierte man in den 1990er-Jahren (1990 und 1993). 2004 markiert mit insgesamt 10 tropischen Sturmereignissen einen Rekordwert. Abb. 2 Jährliche Anzahl von tropischen Wirbelstürmen und Taifunen mit Landfall in Japan 1950–2004 Anzahl Landfall 12 10 8 6 4 2 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 Jahr 1980 1985 1990 1995 2000 Quellen: Unisys, Japanese Meteorological Agency [JMA] 47 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Taifunsaison im Pazifik – Japan im Fadenkreuz der Wirbelstürme Abb. 3 Windfeldsimulation Taifun Songda 2004 Anpassungsstrategien der Versicherungswirtschaft Angesichts der Schadenpotenziale von Sturm- und Unwetterereignissen muss ein mögliches Änderungsrisiko frühzeitig berücksichtigt werden. Die Strategie des Abwartens führt zunächst zu versicherungstechnischen Verlusten. Gravierender könnte jedoch eine Veränderung der Schadenverteilungen bei den Großschäden sein. Folge: Die Ruinwahrscheinlichkeit für die Versicherer steigt. Welche Handlungsoptionen hat die Assekuranz? Taifun Songda (27. August–7. September 2004) war mit 4,7 Mrd. US$ (Stand: Februar 2005) versicherten Schäden der schadenreichste Taifun in Japan 2004. Windgeschwindkeit in km/h 60–69 70–79 80–89 90–99 100–109 110–119 120–129 130–139 140–149 150–159 160–169 170–189 180–189 190–199 200–209 210–219 220–229 230–239 240–249 250–259 260–269 270–279 280–289 290–299 ≥300 Zugbahn Taifun Songda (Abb. 3), Taifun Vera/ Isewan (Abb. 4) Abb. 4 Windfeldsimulation Taifun Vera/Isewan 1959 – Kurz- und mittelfristige Maßnahmen: Dazu zählen die Analyse des Schadenkumuls aus Sturmund Unwetterereignissen mit Simulationsmodellen, die auch das Änderungsrisiko sowie die finanziellen Reserven für Zahlungsverpflichtungen in Betracht ziehen. Bei den Deckungszusagen müssen gegebenenfalls Umfang und Preis der Leistungen angepasst werden. Franchisen in der Sturmversicherung sind ein Weg, um das Kumulschadenpotenzial zu reduzieren. Gleichzeitig kann man so mögliche starke Prämienerhöhungen auf ein akzeptables Maß begrenzen. Zudem sollten die Rückversicherungs- bzw. Retrozessionsinstrumente überprüft werden, mit denen der Risikoausgleich optimiert wird. – Längerfristige Maßnahmen: Darunter fallen Maßnahmen, die (versicherte) Schäden aus Sturm- und Unwetterkatastrophen (unter Beibehaltung sinnvoller Deckungszusagen) nachhaltig verringern sollen. Die Bandbreite reicht von der Einführung bzw. Umsetzung von Bauvorschriften, um die Sturmschadenanfälligkeit zu mindern, über Verbesserungen im Schadenmanagement der Assekuranz bis hin zur Frage des klimarelevanten Verhaltens des eigenen Unternehmens. Fazit Das Jahr 2004 hat eindrucksvoll bewiesen, mit welchen Schadendimensionen außergewöhnliche Sturmereignisse einhergehen können. Die zunehmende Sturmaktivität und das daraus resultierende Änderungsrisiko spielen für unternehmenspolitische Entscheidungen der Versicherer, allen voran für das Underwriting, eine zentrale Rolle – unabhängig vom betrachteten Zeithorizont. Dr. Eberhard Faust, Peter Miesen, Ernst Rauch Taifun Vera/Isewan (22.–27. September 1959). Aufgrund der höheren Windgeschwindigkeiten und Wertekonzentrationen im Landfallgebiet übertreffen die simulierten As-if-Schäden aus diesem Ereignis die Belastung der Assekuranz aus Songda um ein Vielfaches. Die damalige Schadenbilanz aus Vera/Isewan: 5 098 Tote; 834 000 Gebäude mit Sturmschäden; 364 000 Gebäude durch die Sturmflut überschwemmt. Windfeldsimulationen: Münchener Rück. 48 Mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h zog Taifun Songda Anfang September 2004 über Japan. Starke Regenfälle und zahlreiche Erdrutsche verursachten in weiten Teilen des Landes schwere Gebäude- und Infrastrukturschäden. Songda ist mit versicherten Schäden von 4,7 Mrd. US$ nach Taifun Mireille (1991) der zweitteuerste Sturm Japans. 49 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Geokodierte Informationen ermöglichen größere Schadentransparenz Effizientes Risiko- und Schadenmanagement setzt eine große Transparenz beim Underwriting voraus. Geokodierte Informationen eignen sich hierfür besonders gut. Sie können auch genutzt werden, um wiederkehrende Schadenmuster zu erkennen und schwierige Versicherungsfälle zu lösen. Viele Versicherungsexperten können mit dem Begriff Geokodierung oder Georeferenzierung bisher noch wenig anfangen. Dennoch ist gerade dieses Verfahren seit langem die Basis für Underwriter, um Risiken identifizieren sowie bewerten zu können und damit erst versicherbar zu machen. im Dezember 1999 – durch die geographische Verbindung des Windfelds (rote Farbabstufungen) und eines Wohngebäudebestands mit mehreren hunderttausend Einzelrisiken – alle Gebäude identifiziert werden, die Windgeschwindigkeiten von mehr als 80 km/h ausgesetzt waren (gelb gekennzeichnet). Im Topics – Jahresrückblick Naturkatastrophen 2002 wurden die Möglichkeiten der Geoinformationstechnologie für das Underwriting ausführlich beschrieben. Grundlage für das „Geographical Underwriting“ sind geokodierte Bestands- bzw. Schadendaten der Erstversicherer, die insbesondere bei der Kumulkontrolle von großer Bedeutung sind (siehe TOPICS geo – Jahresrückblick Naturkatastrophen 2003). Die Geokodierung, eine Verortung des Risikos, setzt die Anschrift des Versicherungsnehmers oder den Ort eines Schadens in geographische Länge- und Breitekoordinaten um. Sie erfolgt auf verschiedenen Genauigkeitsstufen. Bekannt ist die Risikozuordnung nach CRESTAZonen (www.cresta.org), die häufig in der Sachversicherung verwendet wird. Für ein präzises Schadenmanagement reicht sie jedoch oft nicht aus, da kleinräumige oder räumlich konzentrierte Schäden und Schadenmuster nur bei maximaler Betrachtungsgenauigkeit identifiziert werden können. Wenn die Daten aktueller Unwetterereignisse gut sind, können die immer detaillierteren Datenverknüpfungen sogar helfen, eine schnelle und präzise Aussage über die erwartete Schadenhöhe eines Portefeuilles zu machen. Um die Schadenabwicklung zu optimieren, können zudem die Schwerpunktgebiete mit den höchsten Schäden dargestellt werden. Dieselben Informationen kann man auch statistisch weiterverarbeiten und zusammen mit weiteren Angaben – beispielsweise Wetterdaten oder historischen Schäden – für komplexe Risikoanalysen heranziehen. Schadenmuster sichtbar machen Geokodierte Risikoadressen ermöglichen es, für Bestände und Naturgefahren potenzielle Schadenmuster und -profile abzuleiten; außerdem können damit Szenarien berechnet werden. Sie dienen auch dazu, Fragen zu klären, wenn ein Schadenfall eingetreten ist. Schadenmuster durch Stürme Um seine Sturmempfindlichkeit zu bestimmen, kann man ein gesamtes Versicherungsportefeuille mit den Windfeldinformationen eines Sturmereignisses abgleichen. Im Beispiel aus Abbildung 1 konnten nach dem Sturm Lothar 50 Schäden durch Blitze Ähnliches gilt für den Blitz-Informationsdienst (BLIDS) von Siemens. Er bietet schnell Informationen darüber, wo und wann Blitzeinschläge auftreten, wie stark sie sind und wie sich Gewitter entwickeln (Abb. 2). BLIDS (www.blids.de) nutzt dafür ein Netz von Messstationen in Deutschland, den Beneluxländern und der Schweiz. Blitzeinschläge werden bis auf 300 m genau lokalisiert. Auf der Grundlage georeferenzierter Informationen können so vorbeugende Maßnahmen zur Schadenminderung ergriffen werden. Für Energieversorgungsunternehmen sind Erkenntnisse über heraufziehende Gewitterfronten entscheidend für den Betrieb ihrer Netze sowie dafür, das notwendige Personal bereitzustellen. Nach einem Blitzschlag kann man die Ursachen von Störungen und Zerstörungen genau erforschen. Das ist nicht zuletzt auch für die Versicherungswirtschaft wichtig. Auch Kriminelle werden geokodiert Unter den Schlagworten „crime mapping“ oder „crime analysis“ werden derzeit vor allem in den USA neue Möglichkeiten entwickelt, kriminelle Aktivitäten durch Geokodierung zu analysieren. Dabei nutzt man die Daten von Tätern, Tatorten und Tatarten (z. B. Einbruchsdelikte, KfzDiebstähle), um räumliche Beziehungen zwischen den Münchener Rück, Topics Geo 2004 Geokodierte Informationen ermöglichen größere Schadentransparenz Sturm Lothar (km/h) 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 Wohngebäude, die Windgeschwindigkeiten < 80 km/h ausgesetzt waren Wohngebäude, die Windgeschwindigkeiten > 80 km/h ausgesetzt waren Abb. 1: Die Kombination von Windfelddaten und adressgenauen Policeninformationen erlaubt es, Schadenmuster zu erkennen und die zu erwartenden Schäden rasch abzuschätzen. Abb. 2: Ausschnitt aus einem BLIDS-Produkt, das Verlauf und Übersicht eines Gewitters zeigt. Die Punkte geben die verschiedenen Blitzstärken an. Derartige Informationen können der Vorwarnung sowie der Schadenprüfung dienen (www.blids.de). Abb. 3: Einbruchsdelikte in München; Ausschnitt aus GLADIS, dem Crime-Mapping-Werkzeug der bayrischen Polizei, das seit 1999 in München im Einsatz ist. 51 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Geokodierte Informationen ermöglichen größere Schadentransparenz Abb. 4: Beispiel für eine PalmEinheit mit integriertem GPSEmpfänger. Kartendaten und Kundenadressen können nach großen Katastrophenereignissen vor Ort abgerufen werden (www.garmin.de). Tatorten und den Wohnsitzen von Tatverdächtigen zu identifizieren oder um zu erkennen, wie organisierte Banden vorgehen. Serien werden sichtbar und ermöglichen Brennpunktanalysen, die für präventive Strategien und die Einsatzplanung der Polizei herangezogen werden können (Abb. 3). tengestützte Services und Analysen anbieten. Ernteerträge sollen damit besser vorherzusagen sein; auch Ernteschäden nach Hagel, Sturm, Dürren und Frost sollen genauer und rascher abschätzbar sein. Werden Daten von kriminalitäts- und sicherheitsrelevanten Objekten (hot spots) wie Banken, Juwelieren oder Konsulaten in die Analyse integriert, verbreitert sich das Anwendungsspektrum noch einmal deutlich. Gleiches gilt, wenn man soziodemographische und sozioökonomische Daten einbezieht, die Auskunft über Einwohner, Strukturen und Verhaltensweisen geben. Die Transportversicherer, die besonders unter Versicherungsbetrug leiden, dürfen darauf hoffen, dass ihnen gezielte Ortungsverfahren der GPS-Technologie (Global Positioning System) und das künftige europäische GalileoSystem zu Hilfe kommen. Durch das „vessel tracking“ können dann die Aufenthaltsorte mobiler Risiken wie Schiffsund Fahrzeugflotten samt ihren wertvollen Ladungen detailliert verfolgt werden. In Deutschland setzt man solche Verfahren seit Ende der 1990er-Jahre in verschiedenen Geoinformations- und Einsatzleitsystemen ein. Bekannt ist, dass sie vom Landeskriminalamt Niedersachen, von der Polizeidirektion in Stuttgart und von der bayrischen Polizei (Abb. 3) verwendet werden. In Zukunft könnte auch die Assekuranz von den daraus gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren. Schadenerkennung und Betrugsabwehr aus dem All Künftige Unterstützung aus dem All Auch für die Schadenbearbeitung, insbesondere nach großen Naturkatastrophen (z. B. Wirbelstürmen und Erdbeben), bietet sich in Zukunft der Einsatz einer kombinierten GPS- und Geodatenapplikation an. So wäre es schon heute technisch machbar, die Schadenschätzer mit Palmoder PDA(Personal Digital Assistant)-Geräten auszustatten, die neben den wichtigsten geokodierten Kundendaten auch eine kleine GPS-Einheit zur genauen Ortsanzeige umfassen (Abb. 4). Seit immer mehr Satelliten immer präzisere Bilder auf die Erde funken, kommt Unterstützung zunehmend direkt vom Himmel – so etwa für einen Versicherer, dem ein Schaden auf dem Münchner Flughafen gemeldet wurde. Schnee, der mit Split versetzt war und vom Sturm aufgewirbelt wurde, soll mehrere Flugzeuge beschädigt haben. Anhand von Satellitenaufnahmen zum Schadenzeitpunkt ließ sich diese Ursache jedoch eindeutig ausschließen: Es befand sich keine Schneedeponie in unmittelbarer Nähe der Flugzeuge. Das würde es nicht nur erleichtern, Kunden- bzw. Schadenadressen zu finden, sondern könnte auch vor Betrügereien schützen. Es wäre sichergestellt, dass das Objekt des Versicherungsnehmer begutachtet würde und nicht fälschlicherweise das am schwersten betroffene Objekt der Straße. Dieses Beispiel wird immer wieder für Katastrophengebiete genannt, in denen sonst keinerlei Orientierung möglich ist. Hauptprobleme der Beweismittel aus dem All sind derzeit noch, dass Bewölkung viele Systeme „blind“ macht und die Umlaufzeiten vieler Satelliten noch keine ständige Beobachtung erlauben. Rein technisch sind all diese Dinge heute schon Wirklichkeit. Es liegt an uns, den Versicherern, diejenigen Möglichkeiten auszuschöpfen, die das höchste Potenzial zur Schadenminimierung bergen. Geokodierung, kombiniert mit speziell aufbereiteten und hochaktuellen Satellitenbildern, wird auch für Kontrollen in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Firma RapidEye (www.rapideye.de) will Agrarversicherern ab 2007 satelli- Andreas Siebert 52 Fazit Münchener Rück, Topics Geo 2004 Klimagipfel in Buenos Aires – Durchbruch für den Klimaschutz? Im Dezember 2004 fand in Buenos Aires der zehnte Weltklimagipfel COP 10 statt. Trotz des anfänglichen Optimismus kamen die Verhandlungen über das Kioto-Protokoll nur schleppend voran – obwohl sich die wissenschaftlichen Belege immer mehr verdichten: Der Klimawandel ist Realität! Erwiesen ist: In einem wärmeren Klima muss mit mehr Wetterextremen gerechnet werden. Insofern wirkte es wie inszeniert, als sich – pünktlich zu Beginn des 10. Weltklimagipfels (5.–17. Dezember) – in Chaco, einem Staat im Nordosten Argentiniens, extreme Wolkenbrüche entluden. An einigen Orten regnete es binnen drei Tagen 800 mm, also fast die Menge, welche die Statistik für ein ganzes Jahr vorsieht. Mehr als 6 000 km2 Fläche, darunter wertvolles Ackerland, waren betroffen. Zeitgleich diskutierten in Buenos Aires rund 5 000 Teilnehmer aus 189 Ländern darüber, wie man den Klimawandel im globalen Konsens eindämmen kann. Die zentrale Frage lautete: Wie geht es mit dem Kioto-Prozess weiter? Es sollte ein optimistischer Klimagipfel werden: Im November 2004 hatte Russland das Kioto-Protokoll ratifiziert, das deshalb am 16. Februar 2005 endgültig in Kraft treten konnte. Doch die Aufbruchsstimmung und der Enthusiasmus der Delegierten wichen schon nach dem ersten Verhandlungstag einem lähmenden politischen Tauziehen zwischen der Europäischen Union (EU), den Entwicklungsländern mit China und Indien sowie den üblichen schwierigen Verhandlungspartnern USA und Saudi-Arabien. Dabei ging es vor allem um die Fragen, ob im nächsten Jahr konstruktive Verhandlungen über die zweite Verpflichtungsphase nach 2012 beginnen können und wie das KiotoProtokoll in der Praxis umgesetzt werden kann. Während die EU die „klimapolitische Zukunft” forcieren wollte, weigerten sich China und Indien, über Verpflichtungen zu Treibhausgassenkungen nach 2012 auch nur zu verhandeln. Die aufstrebenden Entwicklungsländer argumentierten, die Beschränkungen der Kohlendioxidemissionen könnten ihr Wirtschaftswachstum bremsen. Die Finanzinitiative der UNEP (UNEP FI) brachte zum Klimagipfel das vierte Positionspapier heraus, diesmal zum Thema CDM. Darin wird klar gemacht, dass Banken und Versicherer langfristig bindende Abkommen brauchen, wenn sie sich voll an der Finanzierung von Lösungen beteiligen sollen. Dennoch bekannten sich Indien und China zu erneuerbaren Energien – eine der wichtigsten Erkenntnisse des Klimagipfels. Die Delegation der USA zeigte dagegen weniger guten Willen und erschwerte die Gespräche. Trotzdem: Obwohl die USA das Kioto-Protokoll nicht ratifizierten, sollen sie weiter im Boot bleiben. So besteht Hoffnung, dass sich die Vereinigten Staaten eines Tages am Kioto-Prozess beteiligen werden, vielleicht wenn die US-Wirtschaft Druck 53 Münchener Rück, Topics Geo 2004 Klimagipfel in Buenos Aires – Durchbruch für den Klimaschutz? Politische Prozesse greifen – Der europäische Emissionshandel begann am 1. Januar 2005 Ab sofort dürfen Industrieunternehmen bestimmter Branchen Kohlendioxid nur noch in dem Umfang in die Atmosphäre abgeben, der ihnen nach ihren Berechtigungen zusteht. Fehlende Emissionsrechte müssen zugekauft, überzählige können verkauft werden. Damit wird die Emission klimaschädlicher Treibhausgase erstmals in betriebswirtschaftliche Kosten übersetzt. Die EU hat sich im Kioto-Protokoll zum Ziel gesetzt, ihre Treibhausgasemissionen bis 2012 um 8 % zu senken (verglichen mit 1990). Deutschland will seine Emissionen um 21% reduzieren. Die deutschen Ziele für die Branchen, die am Emissionshandel teilnehmen, wurden auf 503 Mio. t bis 2007 und auf 495 Mio. t bis 2012 festgesetzt (Jahresemission derzeit ca. 505 Mio. t). Insgesamt beteiligen sich 1 849 Anlagen am auf die politische Führung ausübt, weil sie neue KiotoMärkte erkennt. Schließlich entstehen durch das KiotoProtokoll auf schnell wachsenden Zukunftsmärkten Möglichkeiten für neue Produkte, Leistungen und letztendlich auch Arbeitsplätze. Finanzdienstleister fordern verbindliche Aussagen für die Zeit nach 2012 Auch wenn die Ergebnisse der offiziellen Verhandlungen insgesamt eher als dürftig angesehen werden, geschah hinter den Kulissen einiges. Auf Rahmenveranstaltungen meldeten sich die Finanzdienstleister (Banken und Versicherer), die in der UNEP-Finanzinitiative (UNEP FI) zusammengeschlossen sind, zu Wort und vermittelten die Sicht der Finanzwirtschaft. Die Botschaft an die Politik war unmissverständlich: Politiker dürfen nicht Regelwerke aufstellen, ohne die komplexen Vorgänge bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Finanzdienstleister spielen eine wichtige Rolle, vor allem bei den so genannten KiotoMechanismen, also den Instrumenten zur Umsetzung des Kioto-Protokolls (Emissionshandel, Joint Implementation, Clean-Development-Mechanismus). Bestes Beispiel dafür ist der Clean-Development-Mechanismus (CDM), der 1997 in Kioto beschlossen wurde. Dabei geht es um die umweltfreundliche Zusammenarbeit von Industrie- und Entwicklungsländern. Will ein Projektträger beispielsweise eine emissionsarme Windkraftanlage in einem Entwicklungsland installieren, werden viele Dienstleistungen von Banken und Versicherern benötigt: 54 Emissionshandel. Über zwei Drittel davon (1 236) gehören zur Energiewirtschaft; den übrigen emissionsintensiven Branchen (z. B. Keramik, Papier, Glas, Kalk, Zement, Eisen/ Stahl) sind 613 Anlagen zuzurechnen. Auf europäischer Ebene haben zunächst 21 der 25 Mitgliedsstaaten pünktlich mit dem Handel begonnen. Durch eine Ergänzung der EU-Handelsrichtlinie können auch solche Emissionsberechtigungen in das System einbezogen werden, die aufgrund anerkannter Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern (z. B. Brasilien, Indien, China) ausgegeben wurden. Dadurch findet Klimaschutz dort statt, wo er zu den geringsten Kosten realisiert werden kann. Anschubfinanzierung, Transport-, Montage- (CAR, EAR), Kredit- und Haftpflichtversicherung sowie die ganz neue Zertifikateversicherung (Versicherung für die Erwirtschaftung von Emissionszertifikaten). Politik funktioniert nur nachhaltig, wenn die Rolle der Finanzwirtschaft erkannt und anerkannt wird. Engagieren sich die Banken nicht, so werden Anlagen zögerlich oder gar nicht gebaut; sind die Versicherer nicht eingebunden, können sich Schadenbelastungen, z. B. bei Windkraftanlagen, so summieren, dass die Wirtschaftlichkeit des Projekts infrage steht. Bei Rahmenveranstaltungen und Presseterminen erläuterten die Mitglieder der UNEP-FI-Klimaarbeitsgruppe, wie die politischen Rahmenbedingungen für Finanzdienstleister aussehen müssen, damit diese überhaupt CDM-Projekte durchführen können und wollen. Dabei wurden besonders die technischen Hürden mit Vertretern aus aller Herren Länder diskutiert. Es bleibt zu hoffen, dass die Stimme der Finanzindustrie ausreichend Gehör gefunden hat. Münchener Rück, Topics Geo 2004 Klimarahmenkonvention – Wie geht es weiter? Erst nach einer 24-Stunden-Sitzung am letzten Tag der Konferenz in Buenos Aires einigten sich die Delegierten auf einen „Buenos-Aires-Handlungsplan“. Im Mai 2005 soll in Bonn zügig weiterverhandelt werden. Gut denkbar, dass dann wichtige Vereinbarungen getroffen werden, welche die Klimazukunft nach 2012 maßgeblich beeinflussen. Und noch etwas ist wichtig, auch wenn man heute kaum noch darüber spricht: Auf dem Klimagipfel in Buenos Aires wurden die letzten Formalitäten geklärt, damit das KiotoProtokoll tatsächlich am 16. Februar 2005 in Kraft treten konnte. In Anlehnung an ein altes chinesisches Sprichwort gilt auch für den globalen Klimaschutz: Das Kioto-Protokoll ist zwar nur ein erster, kleiner Schritt, aber jede Reise beginnt schließlich mit einem Schritt. Klimagipfel in Buenos Aires – Durchbruch für den Klimaschutz? – Schließlich liegen jetzt auch neue Untersuchungen (NATURE Vol. 432, 2004) zum Hitzesommer 2003 in Europa (vgl. Topics geo 2003) vor, besonders zur Frage des vom Menschen verursachten Anteils. Ergebnis: Mehr als die Hälfte des Risikos für einen solchen Hitzesommer kann dem menschlichen Einfluss zugerechnet werden – es könnten sogar drei Viertel sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich bei dieser Analyse irrt, liegt bei nur 10 % oder weniger. Im Verlauf der nächsten vier Jahrzehnte könnte die Wahrscheinlichkeit für einen Extremsommer wie 2003 aufgrund der fortschreitenden Klimaerwärmung um das Hundertfache zunehmen. Diese Untersuchung hat zentrale Bedeutung, denn der menschengemachte Klimatrend kann quantifiziert werden. Fazit: Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Ereignisse auftreten, hat im Zuge der Klimaerwärmung deutlich zugenommen. Dr. Eberhard Faust, Thomas Loster, Claudia Wippich Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Klimaänderung Die jüngsten Forschungs- und Messergebnisse unterstreichen, dass rasches Handeln auf allen Ebenen dringend angezeigt ist, um den Klimawandel zu bewältigen. – 2004 fügt sich ganz oben in die Reihe der wärmsten Jahre ein: Laut Aufzeichnungen der Weltmeteorologieorganisation (WMO) lag es 0,44 °C über dem Mittelwert der Klimavergleichsperiode (1961–1990: 14 °C). Seit 1861 war es außerdem das viertwärmste Jahr, nur 1998, 2002 und 2003 wiesen im globalen Vergleich höhere Durchschnittstemperaturen auf. Zeigten sich in der Nordhemisphäre die 1990er-Jahre als das bisher wärmste Jahrzehnt mit einer mittleren Abweichung von +0,38 °C gegenüber der Klimavergleichsperiode, so liegt das Mittel der letzten fünf Jahre mit +0,58 °C schon wesentlich darüber. Die Erde erwärmt sich also immer schneller. – Aufgrund der zahlreichen und intensiven Hurrikane der Saison 2004 wurden auch die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Entstehung von Hurrikanen wissenschaftlich untersucht (siehe Beitrag auf Seite 41). Neueste US-amerikanische Klimasimulationen von T. R. Knutson und R. E. Tuleya (Journal of Climate 2004) lassen für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts intensivere Wirbelstürme erwarten (im Mittel um 6 % höhere EinMinuten-Bodenwinde und um 18 % höhere Niederschlagsraten in einem Radius von 100 km um das Zentrum). Im Vergleich zu heute würden die Wirbelstürme um eine halbe Saffir-Simpson-Kategorie intensiver ausfallen. Die Neigung zu konvektiven Umwälzungen in der Atmosphäre, welche die Entwicklung von Wirbelstürmen begünstigt, hat an vielen tropischen Stationen in den letzten Jahrzehnten nachweislich signifikant zugenommen. 55 Bildnachweis Deckblatt Außenseite: Peter Miesen, München Deckblatt Innenseite: Reuters, Berlin S. 4/5: Reuters, Berlin S. 6 oben, Mitte: Reuters, Berlin S. 6 unten: Getty Images/AFP S. 7 oben, Mitte, unten, S. 10: 1–7 Reuters, Berlin S. 10: 8 Deutsche Presse-Agentur, Hamburg S. 10: 9 Reuters, Berlin S. 12/13: Reuters, Berlin S. 18/19: MR-Archiv S. 20/21: Reuters, Berlin S. 23: Reuters, Berlin S. 24 oben: Reuters, Berlin S. 24 unten: Associated Press, Frankfurt am Main S. 29: DLR, Oberpfaffenhofen S. 32/33: Reuters, Berlin S. 34 links: Reuters, Berlin S. 34 rechts: Jürgen Ruß, München S. 37: Peter Miesen, München S. 40: Reuters, Berlin S. 42: NOAA S. 43 oben und unten: Reuters, Berlin S. 49: Associated Press, Frankfurt am Main MRNatCatPOSTER 1, 2, 3, 4 Reuters, Berlin Grafiken, Karten, Tabellen (wenn nicht anders erwähnt): © GeoRisikoForschung, Münchener Rück 56 © 2005 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Telefon: +49 (0) 89/38 91-0 Telefax: +49 (0) 89/39 90 56 http://www.munichre.com Verantwortlich für den Inhalt Corporate Underwriting/Global Clients, GeoRisikoForschung/Umweltmanagement Ansprechpartner Angelika Wirtz Telefon: +49 (0) 89/38 91-34 53 Telefax: +49 (0) 89/38 91-7 34 53 E-Mail: [email protected] Das breite Geowissen der Münchener Rück kann unter www.munichre.com abgerufen werden. Neben wissenschaftlichen und versicherungstechnischen Grundlageninformationen zum Thema Naturgefahren werden aktuelle Schadenfälle analysiert und interaktive Risikokarten für alle Regionen der Welt bereitgestellt. Bestellnummern Deutsch 302-04320 Englisch 302-04321 Französisch 302-04322 Spanisch 302-04323 Italienisch 302-04324 Druck F-Media Druck GmbH Weißenfelder Straße 4a 85551 Kirchheim/Heimstetten Edition Wissen Topics Geo 2004 Bestellnummer 302-04320 Topics Geo Jahresrückblick Naturkatastrophen 2004 Naturkatastrophen 2004 Große Naturkatastrophen seit 1950 Tsunamikatastrophe in Südasien Hurrikansaison im Atlantik Taifunsaison im Pazifik Der Klimagipfel von Buenos Aires Münchener Rück Munich Re Group © 2005 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Edition Wissen 1