drei-sterne-koch heinz reitbauer (steirereck wien)

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drei-sterne-koch heinz reitbauer (steirereck wien)
Drei-Sterne-Koch Heinz Reitbauer
(Steirereck Wien)
Meister der
Gemüse-Küche
Rehbock vom Hochschwab mit Blütenkohl und Kohlrabi.
Heinz Reitbauer mit Gattin Michaela. Die Frau des Spitzenkochs wurde von
Relais & Chateaux mit dem Titel «Gastgeberin des Jahres 2010» ausgezeichnet.
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Food & Beverage / Küchenporträt
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er im Steirereck in Wien isst, macht
Bekanntschaft mit den Innereien
von Gemüse, etwa mit einem
Rübenherz oder mit Artischockenmark. Und er entdeckt vegetarische Zutaten, von
denen er noch nie gehört hat. Spitzenkoch Heinz
Reitbauer vom Steirereck, Platz 11 auf der Liste
der weltbesten Restaurants und mit drei MichelinSternen ausgezeichnet, beschäftigt sich seit Jahren mit der Zubereitung von Gemüse auf SterneNiveau. Und liegt damit voll im Trend. Denn:
Noch nie waren vegetarische Zutaten ein so heiss
diskutiertes Thema in der Spitzengastronomie
wie heute – auch in der Schweiz.
Dass man damit Erfolg haben kann, zeigt
Reitbauer im Steirereck, idyllisch mitten im Stadtpark in Wien gelegen. Artischockenböden werden hier in feinste Scheiben geschnitten und
gerollt. Die Schwarzwurzel gart in KamillenZiegenmilch. Von der gelben Rübe liegt das Herz
Herr Reitbauer, Sie leisten in der Spitzengastronomie Pionierarbeit. Wie sind Sie überhaupt
aufs Gemüse gekommen? Meine Familie hat selber eine kleine Landwirtschaft in der Steiermark, die zu einem zweiten
Restaurantbetrieb gehört. Von daher hatte ich
schon immer diesen respektvollen Zugang zum
Essen. In meiner Küche war die Gemüsebeigabe
immer ein wichtiger, sehr komplex gedachter Teil.
Im Steirereck haben wir diesen akzentuiert.
War das schwierig? Bei den Gästen gar nicht, die haben das verstanden. Die Fachwelt hat uns aber schnell in die
Gemüseschublade gedrängt, was ich nicht so
mag. Bei uns gibt es ja durchaus auch exzellenten
Fisch, ausgezeichnetes Fleisch.
Was bringt das Gemüse der Gourmetküche?
Beim Fleisch ist die Vielfalt wesentlich kleiner als
beim Gemüse. Wenn Sie beim
Fleisch eine gewisse Vielfalt
wollen, landen Sie schnell mal
bei einzelnen Rinderrassen. Das
ist geschmacklich ein schwieriges Thema. Ich kenne wenige,
die zwischen einem Limousinund einem Angusrind unterscheiden können. Ich selbst
würde mir bei einem Blindtest
wahrscheinlich auch die Finger verbrennen. Beim Gemüse
ist das etwas anderes: Zwischen
einer Beta-Sweet-Karotte und
einer süssen Violetten etwa gibt
es klare geschmackliche Unterschiede.
Er ist ein Pionier – und einer der erfolgreichsten Köche
Europas. Heinz Reitbauer, Chef im besten Restaurant
von Wien (Steirereck) kocht nur mit lokalen Produkten.
Er besitzt einen Bauernhof in der Steiermark, wo er sein
eigenes Gemüse, Obst und Fleisch produziert. Damit
nicht genug: Kein anderer Spitzenkoch setzt derart
konsequent auf die vegetarische Küche. Und das auf
Drei-Sterne-Niveau.
auf dem Teller. Und Puntarelle, die Herzen einer
Chiccorée-Art, stehen stramm im Teller, nachdem sie blanchiert und mit Estragon und Nussbutter sautiert wurden. Ein Genuss, optisch wie
geschmacklich. Im Steirereck wird Gemüse so
behandelt, als wär 's ein Rindsfilet oder ein Chateaubriand.
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Woher nehmen Sie Ihre Ideen
für aussergewöhnliche Gemüsekreationen?
Die Inspiration entsteht vor
allem aus der Zusammenarbeit
mit Produzenten. Ich arbeite seit
über 20 Jahren mit Gemüsebauern zusammen, gemeinsam
handeln wir uns immer wieder ein Stückchen weiter. Neulich habe ich etwa zwei Früchte
aus Südamerika erhalten, deren
Steine ich nun einem Produzenten gebe, um zu sehen, ob die
Pflanzen hier wachsen.
In Ihren Menüs begegnet
man vielen unbekannten Zutaten. Die Schwarzwurzel
etwa wird mit Crackers von Samen der ChiaPflanze serviert. Wie haben die Chia-Samen zu
Ihnen gefunden?
Auch da war ein Produzent im Spiel. Er hat mir
Chia-Samen in einer Probepackung geschickt.
Wir experimentierten hier damit und sind bei ›
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Orangerie Schönbrunn.
Food & Beverage / Küchenporträt
den Crackers gelandet. Chia-Samen quellen
schnell, wenn man sie aufweicht, man presst sie,
lässt sie danach einfach trocknen und brät sie an.
Ganz simpel, eigentlich.
Die Crackers schmecken leicht nussig und sind für
den Gast eine spannende Entdeckung, die neugierig macht. Chia-Samen gewinnt man von einer Salbeipflanze, die ursprünglich aus Mexiko stammt
und heute hauptsächlich in Zentral- und Südamerika angebaut wird. Von dort stammen auch die
Litschi-Paradeiser, die im Puntarelle-Gericht für
einen knallroten Farbtupfer sorgen. Die Litschi-Paradeiser sind wider Erwarten keine Tomaten, sondern kleine Früchte, mit der Physalis verwandt.
Reitbauer bezieht diese Exoten aus Oberösterreich,
wo sie mittlerweile kultiviert werden.
Heinz Reitbauer lässt nicht nur pflanzen, er pflanzt
auch selber an. Rund 100 verschiedene Kräuter
wachsen in der warmen Jahreszeit rund ums Steirereck und auf der Dachterrasse in Töpfen. Die
Topfpflanzen werden nicht etwa vom Gärtner, sondern von der Küchenmannschaft selber gepflegt.
Warum stellen Sie keine Gärtner an?
Nein, das würde ich nie wollen, lieber ein Mitglied in der Küchenmannschaft mehr. Wenn man
das Lebensmittel selber zieht, hat man einen ganz
anderen Zugang dazu, als wenn man es einfach
kauft. Das versuche ich mit allem, was ich tue, zu
vermitteln.
Hat der Trend hin zu vegetarischen Zutaten
auch mit modernen Zubereitungsmethoden zu tun?
Ja, sicher! Wir können Gemüse heute ganz anders
zubereiten als früher. Sous-vide-Garen, also im
Vakuum kochen, setzen wir sehr oft ein – aber das
ist ja nichts Neues. Auch das Vakuum-Infusieren
ist wichtig (eine moderne Art des Marinierens).
Davon lesen Sie jedoch auf unseren Kärtchen, auf
denen die Menüs für die Gäste beschrieben sind,
nichts. Denn wir wollen die Produkte in den Mittelpunkt stellen.
Sie arbeiten auch mit Fermentation, etwa mit Milchsäuregärung, die man hauptsächlich vom Sauerkraut
oder auch von asiatischen Zutaten wie Misopaste
oder Sojasauce kennt. Nun belebt die Spitzenküche
diese Methode neu.
Vieles ist fermentiert. Es fängt beim Wein an. Fermentation ist ein Thema, das den Geschmack der
Küche sehr bereichert, manches ist asiatisch inspiriert. Bei uns hält das Fermentieren von Lebensmitteln immer stärker Einzug. Natürlich fehlt uns
teilweise noch das Wissen.
Wie gehen Sie das an? Kontrolliert, mit einem guten Grundverständnis
fürs Produkt. Je nachdem, ob wir Saft fermentieren oder das Gemüse selber, haben wir spezielle Bakterienkulturen in Gär-Behältnissen. Wir
fermentieren zwei bis maximal sechs Wochen. ›
Sechs Steinpilze mit Meeres-Kopfsalat und marinierter Gänseleber.
Mispeln, Veilchen und Frittaten.
Das Resultat der Experimente im Steirereck ist dann etwa ein fermentierter Rübensaft, der, angereichert mit Leindotteröl, ein Gericht als
Sauce begleitet. Solche Kreationen bringt Reitbauer nicht nur auf die
Teller, um seine Gäste zu überraschen. Er will auch den Alltag seines
Teams bereichern. Man müsse ja auch Spass haben, und ohne Veränderungen bleibe ja ganz einfach nur noch die Arbeit. Trotzdem ist
Reitbauer konstant in der Sache. Nicht nur ist er Vorreiter für innovative Gemüsezubereitung. Er setzte auch sehr früh auf lokale Produkte. Als Küchenchef im zweiten Familienbetrieb in der Steiermark
bezog er Lebensmittel schon in den 90er-Jahren ausschliesslich von
lokalen Anbietern.
Regionale Produkte sind neben Gemüse ein weiterer Küchentrend.
Wird das anhalten?
Es ist schon sehr, sehr richtig, was wir damit praktizieren. Aber ich
sage seit acht, neun Jahren: Was kommt danach? Die Gefahr ist ja,
dass sich die Gäste irgendwann langweilen, der Sache überdrüssig werden. Und sich abwenden.
Wo sehen Sie Potenzial für eine Weiterentwicklung in der
Spitzengastronomie generell?
Ein wesentlicher Punkt, um eine neue Küche zu etablieren, ist, dass
man auch neue Produkte etabliert, um damit auch wieder einen
neuen Geschmack zu etablieren. Das können Sorten sein, die in
Vergessenheit geraten sind. Und auch Produkte, die klimatisch
vielleicht passen, uns aber bisher nicht erreicht haben. Denkbar ist
auch, dass wir durch den klimatischen Wandel neue Produkte in
H
unserem Land etablieren können.
Java-Kaffee, Sud mit gelben Datteln, Zwetschgen.
Die Autorin Esther Kern ist Journalistin und Buchautorin und arbeitete für
Annabelle, Tages Anzeiger, Sonntags-Zeitung, Beobachter, Blick und die
Süddeutschen Zeitung. Im Fona-Verlag ist ihr Buch «Salz & the City» (Kochen
für Freunde) erschienen. Das hier publizierte Interview mit Heinz Reitbauer
ist im Februar 2013 im «Tages Anzeiger online» veröffentlicht worden.
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Food & Beverage / Küchenporträt
Von-Oben-Herabitis
Eine Krankheit, die’s bei uns nicht gibt.
Wer ist Heinz Reitbauer?
Der Spitzenkoch wurde am 23. August 1970 in Wien geboren.
Einige Monate zuvor, am 1. Januar 1970, hatten seine Eltern
das Steirereck im Stadtpark eröffnet.
Nach Abschluss der Hotelfachschule in Altötting/Bayern begann er eine Koch-Lehre im elterlichen Betrieb. Nach
Abschluss der Lehre bekam er die Möglichkeit, bei Alain Chapel in Mionnay bei Lyon zu arbeiten. Alain Chapel war einer
der ersten Drei-Sterne-Köche Frankreichs und galt als einer
der Wegbereiter der «Nouvelle Cuisine».
Heinz Reitbauer setzte ein Jahr später seine Auslandserfahrung bei Anton Mosimann in London fort. Es folgten Praktika
bei Joel Robuchon & Laurent in Paris. Nachdem er 1992 in
den elterlichen Betrieb zurückgekehrt war, erfolgte der Erwerb
der «Gast & Landwirtschaft» auf dem Pogusch, in der Heimatgemeinde von Heinz & Margarethe Reitbauer, in Turnau.
Nach einer dreijährigen Planungs- und Bauphase wurde das
Wirtshaus Steirereck am Pogusch im Mai 1996 eröffnet. Heinz
Reitbauer fungierte dort von Beginn an als Küchenchef.
Die Küchenphilosophie von Heinz Reitbauer spiegelt den Respekt und die Wertschätzung am Produkt wider und hat unter
Einbeziehung der eigenen und regionalen Landwirtschaft
eine eigene Identität erlangt. Diese besteht in erster Linie aus
immer wieder neuen Überraschungsmomenten, wo mit Akribie und Entdeckungsfreude nach bislang unbekannten oder
fast schon wieder vergessenen Zutaten gefahndet wird.
2001 übergaben die Eltern die Geschäftsleitung des «Steirereck» an ihren Sohn. 2002 erwarb die Familie die Meierei
im Stadtpark (ehemalige Milchtrinkhalle der Stadt Wien). Mit
dem Erwerb und Umbau der Meierei im Stadtpark und der
Übersiedlung im Januar 2005 wechselten Heinz Reitbauer
und seine Frau vom Pogusch nach Wien. Seit dem
Frühjahr 2005 fungiert Heinz Reitbauer im Steirereck im
Stadtpark als Küchenchef. Er wird dabei von einer 35köpfigen Brigade unterstützt.
Heinz Reitbauer ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
2010 wurde er mit dem Titel «Hotelier des Jahres in Österreich» ausgezeichnet. Gault/Millau Österreich verlieh ihm 19
Punkte und vier Hauben, im Guide Michelin ist Reitbauer mit
drei Sternen aufgeführt. Das österreichische Magazin «Falstaff» ehrte in mehrfach mit dem Titel «Bestes Restaurant
Österreichs». In der aktuellen Liste der «50 weltbesten Restaurants» erzielt Reitbauer den 11. Platz.
www.steirereck.at
Wir wissen, was KMUs brauchen. Zum Beispiel
eine Versicherung, die mit ihren Kunden auf
Augenhöhe kommuniziert. So wie wir.
ÖKK – die Richtige für KMUs. www.oekk.ch
Restaurant Steirereck im Wiener Stadtpark. Hier kocht Heinz
Reitbauer auf Drei-Sterne-Niveau – zusammen mit einer
35-köpfigen Brigade. In der Liste der «50 weltbesten Restaurants» liegt er derzeit auf Platz 11.
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