Die Kunst des Schmierens

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Die Kunst des Schmierens
ART & Weise
Die Kunst des Schmierens
Fotos: © Gabriel Ohanowitsch
Illegale Graffitis in Freiburg
aggen, malen, sprühen. Auch an Freiburgs Wänden ist leicht zu erkennen: Graffiti lebt. Sprayer wie
der Freiburger „rokus“ hinterlassen ihre Spuren
auch an Orten, die eigentlich nicht dafür vorgesehen sind.
T
Auf der anderen Seite stehen Menschen wie die Rechtsanwältin Senta Möller, die farbenfrohe Hinterlassenschaften
der Sprüher von ihren Hauswänden entfernen müssen.
Der Fall Graffiti bleibt auch im Jahr 2014 umstritten.
Vandalismus und Kriminalität. Solche Begriffe fallen
unweigerlich, denkt man an das Wort Graffiti. Dabei
scheint die Akzeptanz für diese Kunstform heute eigentlich gewachsen zu sein. Die seit wenigen Jahren
allseits präsente „Street Art“ ist, so sagt man, aus dem
Graffiti entwachsen. Berühmte Straßenkünstler wie
Keith Haring oder Banksy haben einst in der GraffitiSzene begonnen, bevor man anfing, ihre Werke aus
Wänden, ihrer ursprünglichen Projektionsfläche, herauszuschneiden und zu konservieren. Street Art hat es
in Museen und Galerien geschafft. Die Annahme,
Street Art habe Graffiti abgelöst oder sei sogar das Gleiche, ist aber falsch. Obwohl immer mehr Straßenkünstler mit dem Malen von Bildern beauftragt werden und
Flächen für Graffiti und Street Art freigegeben werden,
ziehen junge Künstler hinaus und besprühen unerlaubt Wände, Tunnel, Züge. 110.172 Fälle wurden im
Jahr 2012 von der Polizei bundesweit erfasst. Graffiti
behält seinen rebellischen, verbotenen Ruf. Ist das der
Grund, warum echte Graffiti-Künstler auf keinen Fall
mit den akzeptierteren Street Artists verwechselt werden wollen?
Dabei hat Graffiti den Schritt aus den Schatten schon
längst getan. Der Freiburger Sprayer rokus ist dafür lebender Beweis. Montagnachmittag Ende Mai unter
der Schnewlinbrücke. Der gar nicht kriminell aussehende junge Mann packt aus seinem bunt verschmierten Stoffbeutel einen Eimer weißer Farbe, einige halbleere Dosen und beginnt ganz ungezwungen zu
sprühen. Die Stelle hat er ausgewählt, weil sich einige
Meter weiter eine legale Wand befindet. „Das verwirrt
die Polizei“, grinst er. Somit ist die Sprühaktion zwar
nicht legal, fällt aber angesichts der vollgemalten
Wand nicht weiter auf.
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KUNST AUS DER DOSE
rokus hat ein Werk des Sprayers PA.C zum Übermalen erwählt. „Das findet der sicher nicht lustig, aber so ist das nun
mal beim Malen“, sagt er, während er hochkonzentriert präzise Linien an die Wand zieht. Überhaupt sei das erst mit der
Street Art gekommen, diese Vorstellung, dass man ein „Piece“, also ein größeres Graffiti, als unantastbares Kunstwerk
betrachtet. Für rokus liegt der Reiz von Graffitis in ihrer Kurzlebigkeit. „Graffiti entsteht aus dem Moment heraus.“ Deswegen verwendet er auch keine Skizzen. Natürlich übt er zu
Hause auf Papier, aber selbst dort ist ihm das Einfangen des
Momentes wichtig. Ein Radiergummi kommt ihm nicht in
die Tüte. Anfangs braucht man sehr viel Fantasie, um zu erkennen, was die Linien, die rokus vorgebeugt und konzentriert an die Wand sprüht, ergeben sollen. Bald jedoch ergibt
das Gesprühte mehr Sinn.
„Graffiti ist von Grund auf böse“, habe er früher immer
gesagt. Vielleicht deswegen hatte er mit der Polizei bereits „ein, zwei mal“ zu tun, den Eindruck eines Kriminellen vermittelt er jedoch nicht. Der Zusammenstoß mit
„den Cops“ kam ihn teuer zu stehen. „Freiburg hat zwar
mehr legale Flächen als Berlin“, behauptet er, „dafür wird
aber illegales Malen unverhältnismäßig hart verfolgt.“
Seitdem er erwischt wurde, sprüht er nur noch an legale
Wände. Oder halt sehr nah neben solchen.
„Street Art ist nicht Graffiti.“ rokus zieht da entschieden eine Grenze. In seiner Meinung über Graffiti und
Street Art zeigt sich der Sprayer relativ dogmatisch. Street
Art habe das Interesse an Graffiti geweckt, der Effekt ist,
dass vorbeilaufende Menschen ihn beim Sprayen auch
mal nach seiner Tätigkeit fragen und nicht nur mit der
Polizei drohen. Gleichzeitig hat sie aber auch dazu geführt, dass zahllose Sprayer mit tiefen politisch oder philosophisch aufgeladenen Bildern aufwarten. Das hat mit
dem ursprünglichen Graffiti laut rokus nichts zu tun.
„Wenn man ein Gesicht malt, finden’s die Leute gleich
cool. Aber für einfache Buchstaben haben sie kein Verständnis“, bedauert er. Anders als viele Sprayer und Street
Artists legt er auf „fame“, also Ruhm in der Szene für besonders häufiges oder riskantes Malen, nicht viel Wert.
„Das hat mich schon lange interessiert, vor ungefähr fünf
Jahren habe ich mich dann endlich auf die Straße
getraut. Aber ich mache das nur für mich.“
Ob es das Streben nach „fame“ war, der einen
anderen Tagger dazu bewogen hat, den Slogan
„A.C.A.B." (All Cops Are Bastards) und „No Justice
– No Peace“ am Anwaltsbüro Möller &
Münchow in der Wallstraße in Freiburg
zu hinterlassen, bleibt ungeklärt. Eindeutig geklärt ist allerdings, dass der
Schmierfink, nachdem Rechtsanwältin Senta Möller das Auftauchen des
Graffitis bei den Behörden meldete,
von der Polizei dank seines Tags, also
seines an viele Stellen gesprühten Erkennungsmerkmals,
wiedererkannt wurde. „Anfangs fand ich das Graffiti ja
ganz amüsant“, sagt die Rechtsanwältin. Auf sie wirkte der
Spruch beinahe ironisch, es konnte sich doch nicht um einen Zufall handeln, dass ein solcher Schriftzug ausgerechnet an ihrem Anwaltsbüro landete. Da sie schon in der
Vergangenheit mit Tags an ihrer Hauswand zu tun hatte,
wusste sie, was passieren würde: „Taucht ein Graffiti auf,
lassen weitere nicht lange auf sich warten, schnell ist eine
ganze Straße voll.“ Und da der A.C.A.B.-Tag schnell von einem Nachzügler Gesellschaft erhielt, der zudem „ein
»Taucht ein Graffiti auf,
lassen weitere nicht
lange auf sich warten«
fürchterliches Gekrixel“ war, wie Möller es beschreibt, erstattete sie trotz Sympathie für den Spruch Anzeige. Der
Schuldige, ein nach Aussage der Anwältin „eigentlich sympathischer junger Herr“, wurde dann auch schnell gefasst.
Sichtlich verlegen tat er mit einem Eimer Wandfarbe in
der Hand Buße.
„Graffiti ist im juristischen Sinne Sachbeschädigung,
wenn ohne Erlaubnis gesprüht wird.“ Im Zusammenhang
der kriminellen Möglichkeiten sei das laut Möller ein verhältnismäßig harmloses Vergehen. Die Entfernung erweist
sich aber stets als kostspielige Angelegenheit. Außerdem
will sie an ihrer Hauswand schlicht keine Graffitis haben.„Es
gibt doch genug Flächen, die von der Stadt zum Bemalen
freigegeben sind, zum Beispiel an der Leo-Wohleb-Brücke“,
meint die Anwältin, „da findet man auch einige schöne Bilder.“ Woher sich Sprayer und Tagger das Recht nehmen,
fremdes Eigentum ungefragt zu besprühen, das versteht sie
einfach nicht: „Es gibt doch die legalen Stellen.“
Die Position von Sprayern und deren Opfern scheint auf
den ersten Blick unvereinbar. Zwar hat Graffiti von der
Popularität der Street Art profitiert, und viele Wände werden zum Sprühen freigegeben. Rechtlich gesehen ist das
Bemalen von nicht freigegebenen Wänden aber eindeutig verboten. An manchen Stellen machen Staat oder
Eigentümer sehr deutlich, dass Graffiti unerwünscht
sind. „Manche Tunnel und Wände werden innerhalb weniger Stunden
neu gestrichen, wenn man was
gesprayt hat“, ärgert sich rokus.
Das wiederum müsste eigentlich
in seinem Sinne sein. Das ständige Malen und Übermalen gehört
doch schließlich bei Graffiti dazu.
Gabriel Ohanowitsch
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