davul-zurna / tapan-zurla / Trommel-Schalmei

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davul-zurna / tapan-zurla / Trommel-Schalmei
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Trommel-Schalmei
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davul-zurna / tapan-zurla /
Trommel-Schalmei
Christiane Fennesz-Juhasz
Das Zusammenspiel von großer Zylindertrommel und Trichteroboe (türk. davul-zurna, mazed.
tapan-zurla) spielt bis heute eine wichtige Rolle in der brauch- und festgebundenen Volksmusik der
Türkei und Südosteuropas (Mazedonien, Südserbien, Kosovo, Albanien, Bulgarien, griechisches
Festland). Auch wenn in den letzten vier Jahrzehnten zunehmend andere, elektrisch verstärkte
Musikgruppen (zum Tanz) aufspielen, ist dieses Instrumentenpaar in vielen Regionen noch immer ein
unverzichtbares Element von Hochzeiten und anderen festlichen Anlässen, wie z.B. (religiösen oder
weltlichen) Feiertagen, muslimischen Beschneidungsfesten, Jahrmärkten oder traditionellen
Ringkämpfen.
Gespielt werden davul-zurna fast ausschließlich von Roma, die das Musizieren meist hauptberuflich,
zumindest aber nebenberuflich ausüben (Roma als Berufsmusiker). Sie sind in der Regel männlichen
Geschlechts und entstammen häufig Musikerfamilien, wobei die Kenntnis des Instrumentalspiels vom
Vater zum Sohn weitergegeben wird. Meist gehören die Musiker bereits lange ansässigen (häufig
muslimischen) Roma-Gruppen an, die am Rande der Dörfer oder in eigenen Stadtvierteln (türk. mahalle;
rom. e mahála) wohnen. In Griechenland, werden diese Roma von der Bevölkerung – zur
Unterscheidung von (früher) nomadischen Gruppen – yiftoi genannt. Diese von eyiftoi ("Ägypter")
abgeleitete Bezeichnung (die freilich oft pejorative Konnotation hat) wird von den Griechen auch
synonym für "Instrumentalist" (organopaichtis) gebraucht.
Trommel-Schalmei werden nicht nur für die (Mehrheits-) Bevölkerung der jeweiligen Region (Türken,
Griechen, Mazedonier, Albaner, Bulgaren u.a.) gespielt, sondern natürlich auch bei Festen und Bräuchen
der Roma selbst. Bei Hochzeiten, Beschneidungen oder an Feiertagen (z.B. am herdelezi, St. Georgstag)
erfüllen sie noch immer bedeutende Funktionen als Begleitung traditioneller Tänze oder von Bräuchen.
So spielen tapan-zurla in der Šutka in Skopje und in anderen mazedonischen Roma-Siedlungen
während des Hochzeitsumzugs auf der Straße und markieren wichtige rituelle Momente, wie die
Hennafärbung von Haar, Händen und Füßen der Braut, oder auch die Ankunft eines neuen Gastes,
die Schlachtung eines Lammes und die Begrüßung von Gästen am herdelezi (Silverman 2000).
Erklingen bei den Sepečides (Korbflechtern) in Izmir (Türkei) am Morgen des 3. Hochzeitstages
davul-zurna, gilt die Jungfräulichkeit der Braut als erwiesen. Aufgrund dieser Funktionen und nicht
zuletzt wegen ihrer symbolischen Verknüpfung mit der Roma-Identität selbst koexistieren Trommel
und Schalmei bis heute mit modernen Musikgruppen.
Davul-zurna werden üblicherweise im Freien gespielt, nicht zuletzt wegen des eindringlichen, "schrillen"
Klangs der Oboe und der hohen Lautstärke des Ensembles.
Die zurna (türk.; mazed., serb.: "zurla", "zurna", griech.: "zournas", "karamouza", alban. "surle", rom.
e zurla, e zurna) ist eine Schalmei aus Holz, mit weitausladender, trichterförmiger Stürze, einem
Doppelrohrblattmundstück und meist sieben, mitunter sechs oder acht Grifflöchern sowie einem
Daumenloch. An der Stelle, wo das Messingröhrchen mit dem Doppelrohrblatt im Holzrohr steckt,
ist eine Lippenstütze (Scheibe aus Metall, notfalls Karton) angebracht. Sie erleichtert dem Spieler die
Technik des "Zirkularatmens", die ein ununterbrochenes Spiel ermöglicht; hierbei werden die Backen
zunächst mit Luft gefüllt und dann nur durch die Nase eingeatmet, während gleichzeitig vom Mund
Luft herausgepresst wird. Die Trichteroboen sind (je nach Ländern und Regionen) von unterschiedlicher
Länge, im Durchschnitt 30-45 cm und mitunter bis zu 60 cm lang. In Anatolien werden drei Größen
unterschieden: die große, tiefe kaba zurna, die normale (orta) zurna (entspricht der mazedonischen
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velika) sowie die kleine cura zurna (entspricht der mazedonischen "velika" und der griechischen
"pipiza"). Das Spiel der zurna, von Felix Hoerburger (1966) in Anlehnung an die Jazz-Terminologie
als "schmutziges" charakterisiert, zeichnet sich durch mikrotonische Abweichungen, virtuose Glissandi
und Verzierungen aus (schnelle Triller und Nebennoten, Vibrato, das durch den Wechsel des
Atmungsdruckes erzeugt wird; vgl. Rice 1982; Brandl 1996; Silverman 2000).
Die davul (türk.; mazed., serb. "tapan", "tupan", serb. "goč", "bubanj", griech. "daouli", alban. "lodrë",
rom. o davuli, o daúli) ist eine große Zylindertrommel aus Holz, mit zwei mittels Reifen befestigten
Membranen (aus Ziegen- oder Kalbshäuten) und W-förmiger Schnurspannung. Die Zargenhöhe ist
meist etwas kleiner als der Felldurchmesser (z.B. 50:60 cm). Die Hauptakzente werden mit einem
gekrümmten oder hakenförmigen Holzschlegel geschlagen, der türk. "tokmak" oder "çokmak", mazed.
"mavalka", serb. "čukalka", alban. "macarung", "kukë" oder "topuz" heißt. Die leichten Zwischenschläge
werden mit einem dünnen (Bambus-) Stäbchen (türk. "çubuk", mazed. "prčka", serb. "prutić", alban.
"thurbes") ausgeführt. Die Trommel hängt so über der Schulter, daß die Membran für die schweren
Schläge nach oben gewendet ist und die rechte Hand mit dem Schlegel hoch ausholen und von schräg
oben herabfallen kann; die andere Hand ruht dagegen auf dem Zargenrand und lässt die Schläge, durch
die der Rhythmus unterteilt wird, auf dem Fell vibrieren.
In Mazedonien und in der Türkei ist der davulcu (türk. "Trommler", mazed. "tapandži") zumeist der
führende Spieler, während der zurnacı (türk. "Oboenspieler"; mazed. "zurladži") daneben stehend
oder sitzend spielt. Der davulcu bewegt sich mit den Tänzern mit bzw. tanzt selbst im Kreis ihres
Reigens, vollführt mitunter sogar artistische Kunststücke (schwingt z.B. die Trommel hoch über den
Kopf oder schlägt ein Bein über sie). In Griechenland und in Albanien sind diese Rollen meist
umgekehrt verteilt, hier ist der Oboenbläser der Hauptakteur, der mitunter ebenfalls Kunststücke
vollführt, wie etwa ein volles Weinglas während des Spielens (mit Hilfe von etwas Klebstoff) auf
seinem Instrument zu balancieren (Reinhard 2000; Hoerburger 1954, 1976, 1994).
Neben einfacher Besetzung der beiden Instrumente, wie es in vielen Gegenden der Türkei die Regel
ist, werden häufig – in Griechenland und Mazedonien – auch zwei Schalmeien zur Trommel gespielt,
wobei die zweite zurna das Melodiespiel der ersten mit dem Bordun (Halteton) bzw. Wechselbordun
begleitet. Fallweise spielen beide Oboen in heterophonem Einklang, in Oktaven oder in parallelen
Terzen. Zusätzlich zu Tanz- oder Liedmelodien spielt der führende Zurna-Bläser freirhythmische
melodische Improvisationen und metrische Variationen. Der Trommler improvisiert ebenfalls, wobei
er auch die unterschiedlichen Klänge der beiden Membranen ausnützt (Rice 1982; Silverman 2000;
Hoerburger 1986: 238ff.; 1994). Mitunter spielen jeweils mehrere Trommeln und Oboen zusammen;
so können die Ensembles im Kosovo, die mindestens aus vier Instrumentalisten bestehen, auf bis zu
zehn Musiker anwachsen (Pettan 2002).
Der deutsche Musikforscher Felix Hoerburger (1954; 1966) vertrat die Theorie, daß es sich bei
davul-zurna um ein genuines Ensemble der Roma handelt, das von ihnen aus Nordwestindien nach
Europa mitgebracht wurde. Tatsächlich lässt sich das Instrumentenpaar erst mit dem Auftreten der
Roma im Orient und am Balkan belegen (bildliche Darstellungen in mazedonischen Kirchen aus der
1. Hälfte des 14. Jahrhunderts – also vor der Ankunft der Osmanen in Europa – korrelieren mit ersten
Erwähnungen von Roma am Südbalkan; Hoerburger 1954: 24ff.). Darüber hinaus lassen sich sowohl
die Instrumente selbst und z.T. auch ihre Bezeichnungen über den Nahen Osten bis nach Indien
verfolgen. In Afghanistan und im Iran heißen Trommel und Oboe dohol oder dhol und sornā oder
surnai, in Pakistan und Rajasthan holak
oder hol
und surnā, surnāī oder śahnāī. Das Instrumentenpaar
ist außerdem in Nordafrika – und in abgewandelter Form – in Westafrika und Ostasien (China, Malaysia)
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zu finden, wobei seine Verbreitung parallel mit jener des Islam zu verlaufen scheint (Hoerburger 1986:
253). Ab Ostafghanistan und Pakistan sind die Trommeln meist nicht zylindrisch, sondern fassförmig;
von Indien bis Ostasien ist die Schalmei nicht ein konisch gebohrtes Instrument aus einem Stück Holz,
vielmehr ist an das Rohr eine trichterförmige Stürze aus Metall aufgesetzt.
In dem weiten Verbreitungsgebiet von Trommel und Schalmei sind eigentümliche überregionale
Gemeinsamkeiten festzustellen: es ist dies einerseits ihre Funktion bei festlichen Anlässen, vor allem
der Hochzeit, und andererseits der Umstand, daß sie üblicherweise von Berufsmusikern gespielt
werden, die zumeist den untersten sozialen Schichten angehören. In Pakistan und Nordindien, z.T.
auch in Afghanistan, gehören die Trommel-Oboen-Spieler ethnischen Gruppen (oder Kasten) an, die
om
, auch Mīrāsī oder Bericho, genannt werden.
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Literatur
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Hans Eichiner / Thomas Emmerig. Laaber (eds.) Volksmusikforschung, Aufsätze und Vorträge
1953-1984 über Volkstanz und instrumentale Volksmusik. pp. 239-249.
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Tonträger
(1996) Gypsy music of Macedonia and neighbouring countries. Collected in the field by Wolf
Dietrich (TSCD914)
Video
(2000) Zournas und Daouli – Umzug an Heiligen Abend im Bazar von Thessaloniki
(Live-Aufnahme am 24.12.1999), RMB Video, Orbis Musicarum, Live Recordings from the
Phonogrammarchiv of Göttingen University, OM 23. ISBN 3-927636-65-7 (8,5 min). Göttingen.
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