1.6 MB

Transcription

1.6 MB
Nr. 46 | Mai 2011
Aktuelles für ASP-Mitglieder
Dernières informations à l‘intention des membres ASP
Informazioni per i membri ASP
Assoziation Schweizer
Psychotherapeutinnen
und Psychotherapeuten
ASP
Association
Suisse des
Psychothérapeutes ASP
Associazione
Svizzera degli
Psicoterapeuti ASP
Assoziaziun
Svizra dals
Psicoterapeuts ASP
DIENSTLEISTUNGEN FÜR ASP-MITGLIEDER
Praxishilfen
Patientenvermittlung
Eine Dienstleistung des ASP für die Öffentlichkeit und für seine
Mitglieder. Gegen einen Selbstkostenbeitrag können Sie sich
PatientInnen vermitteln lassen.
IV–Vertrag
Mitglieder (mit Praxisbewilligung) können dem Vertrag zwischen BSV (Bundesamt für Sozialversicherung) und ASP beitreten. Psychotherapien bei Minderjährigen, bei Geburtsgebrechen
und zur beruflichen Eingliederung können unter bestimmten
Voraussetzungen über die Invalidenversicherung abgerechnet
werden.
Opferhilfebehandlungen
Für Opferhilfebehandlungen bestehen Finanzierungsmöglichkeiten. (Merkblatt)
Leistungen und Tarife
Informationsschriften
(Zum Kopieren und Auflegen in der Praxis)
Informationen zur Psychotherapie
Wissen Ihre PatientInnen, was Psychotherapie ist, was sie kann,
wie sie funktioniert? Kennen sie den Unterschied zwischen
PsychologIn, PsychotherapeutIn und Psychiater­In? Informieren Sie
Ihre PatientInnen über ihre Rechte und Pflichten: Schweigepflicht,
Qualifikation der PsychotherapeutInnen, Honorar, Schutz der
PatientInnen, Klagerecht.
Redaktionsschluss:
Standesregeln
Annette Conzett/Vorstandsmitglied
Witikonerstr. 80, 8032 Zürich
Tel. 044 251 77 45 | [email protected]
Zeigen Sie Ihren PatientInnen, welche Regeln qualifizierte
PsychotherapeutInnen einhalten müssen.
Vermittlung von InterviewpartnerInnen für
Medien
Delegierte Psychotherapie
Was muss beachtet werden? (Merkblatt)
Urkunde für ordentliche Mitglieder
Repräsentative Bestätigung der Mitgliedschaft.
Versicherungen
Pensionskasse (2. Säule)
Die Pro Medico Stiftung Zürich bietet als Verbandsvorsorge der
2. Säule den ASP-Mitgliedern die Möglichkeit einer flexiblen
beruflichen Vorsorge. Es handelt sich um finanziell attraktive
Angebote zur individuellen Altersvorsorge für selbständig
Erwerbende und deren Personal.
Krankenkasse
Kostengünstig für ASP-Mitglieder und ihre Familienangehörigen. Bei den Zusatzversicherungen profitieren Sie vom
Kollektivtarif.
Risikoversicherungen
Waisenrenten, Kapital im Todesfall sowie Renten bei Invalidität
werden zu einem vorteilhaften Preis abgedeckt.
Taggeldversicherung
Ersatzeinkommen bei Krankheit und Unfall zum Kollektivtarif.
Der ASP vermittelt seine Mitglieder als kompetente Interview­
partnerIn­nen in Psychotherapie-Fragen an JournalistInnen.
Wenn Sie ein Spezialgebiet haben und bereit sind, auch kurzfristig für Anfragen zur Verfügung zu stehen sowie gerne Auskunft
an Medienleute geben, melden Sie sich im Sekretariat.
www.psychotherapie.ch
Mit seiner Homepage richtet sich der ASP an die Öffentlichkeit.
Wer eine Psychotherapie machen möchte, findet alle Merkblätter,
Standesregeln, die Therapieplatzvermittlung, die Liste der Kassenleistungen, Angaben über die Psychotherapie und Erläuterungen
zu einzelnen Krankheitsbildern. Für JournalistInnen oder PolitikerInnen sind die Ausbildungskonzepte sowie die gesundheitsund berufspolitischen Vorstellungen des ASP dargestellt. Für
ASP-Mitglieder ist ein spezieller Bereich eingerichtet.
Publikationen
«à jour»
Verbandsnachrichten, Informationen zur Berufspolitik, Briefkasten zu Praxisfragen, Veranstaltungskalender etc.
Aktuelles für ASP-Mitglieder.
Vorstand
Rüttimann Gabriela, Präsidentin
Conzett Annette, Redaktorin
Gianinazzi Nicola, Berufspolitik, Romandie
Roth Kurt, Finanzverantwortlicher
Baud-Schuster Veronica Isabel
Berufshaftpflichtversicherung
Geschäftsleitung
Die Leistungen der Versicherung bestehen in der Entschädigung
begründeter und in der Abwehr unbegründeter Haftpflichtansprüche.
Sekretariat
Sachversicherung
Gegen Feuer, Elementar, Einbruchdiebstahl und Beraubung,
Wasser, etc.
2|
à jour 46
Erscheinungsweise:
1. Mai | 1. November
25. März | 25. September
Honorarformulare
Welche Kosten kann ich als PsychotherapeutIn von den Steuern
absetzen? (Merkblatt)
Herausgeber:
ASP | Riedtlistrasse 8
CH-8006 Zürich | Tel.: 043 268 93 00
Welche Krankenkasse zahlt zu welchen Bedingungen wieviel für
eine Psychotherapie?
Öffentlichkeitsarbeit
Tipps bei Steuerfragen
Aktuelles für ASP-Mitglieder | Dernieres informations
a l’intention des membres ASP
Krankenkassenleistungen
Tarife für Leistungen und Richtzeiten für Tests (siehe Homepage).
Elektronische Version kann als Word-Datei im Sekretariat bezogen
werden.
Impressum
Stutz Emil
Enggist Ursula
Fourati Patricia
An dieser Stelle möchten wir uns bei unseren Partnern, Firma
Goetz Desktop GmbH und Kuhn Druck, herzlich für die gute
Zusammenarbeit bedanken.
Redaktion:
Die Zeitschrift «à jour» ist das Informationsorgan des
ASP. Gleichzeitig versteht sie sich als Forum in den
Rubriken: Forum, Praxis, Diverses und Literatur, in
denen auch Meinungen geäussert werden, die unabhängig von der Meinung des Vorstandes und der Redaktion sind.
Übersetzung: Françoise O'Kane
Layout: Goetz Desktop GmbH | 8153 Rümlang
Druck: Wehntal Druck | 8165 Schöfflisdorf
Inserate: Redaktion | [email protected]
Auflage: 1000 Exemplare
Inserate für «à jour»
Die ASP-Redaktion behält sich vor, die Annahme von Anzeigen ohne Begründung abzulehnen. Über Annahme und Ablehnung führen wir keine Korrespondenz.
1/1 Seite
1/2 Seite
1/4 Seite
1/8 Seite
CHF 500.–
CHF 320.–
CHF 250.–
CHF 200.–
Reduzierter Tarif für DeKo-Verbände und ASP
Mitglieder: 40% Rabatt.
EDITORIAL
Editorial
Editorial
Ein intensives Verbands-Halbjahr 2010/2011
ist an der MV am 19. März 2011 mit der
Verabschiedung unseres langjährigen Präsidenten, Theodor Itten, zu Ende gegangen und
der Neubeginn im Hinblick auf das kommende Halbjahr startete mit der Wahl der ASPPräsidentin Gabriela Rüttimann. Erstmals in
der Verbandsgeschichte stellte sich eine Frau
für dieses Amt zur Verfügung, die dann auch
gewählt und von uns allen herzlich beglückwünscht wurde.
Dem vorliegenden «à jour 46» entnehmen
Sie eine Fülle von Informationen, die einerseits
Auskunft über das unmittelbare Verbandsgeschehen auf Vorstandsebene und der Geschäftsleitung geben, Abschied und Würdigung unseres Ex-Präsidenten, Kurzbeschreibungen von
Fachbüchern, u.a. die der Neuerscheinung seines «ISTITUTO RICERCHE DI GRUPPO
ANIMA E PSICHE Riflessioni per una scienza psicoterapeutica» von Nicola Gianinazzi,
Interviews zu spezifischen Themen sowie auch
solche, in denen sich verschiedene Mitglieder für
ein Interview zur Verfügung gestellt haben, was
für die einzelnen einen Zeitaufwand zur Auseinandersetzung und der ‹Selbstdarstellung
bedeutete, für den ich den fünf Interviewten
an dieser Stelle noch einmal meine herzliche
Dankbarkeit und Anerkennung aussprechen
möchte. Es kam eine Farbigkeit zum Ausdruck,
die uns alle inspirieren und motivieren möchte,
mehr von ‹uns› in die Sicht- und Hörbarkeit
kommen zu lassen, damit jeder einzelne von
uns nicht nur per Namen, sondern auch per
‹Gesicht› wahrgenommen werden kann.
Une année bien remplie d’activités associatives
est arrivée à sa fin le 19 mars 2011, avec les
adieux à notre président, Theodor Itten, et
l’élection de Gabi Rüttimann à ce poste. On
pourrait dire qu’il s’agit d’un nouveau début,
dans le sens où c’est la première fois qu’une
femme postule, qu’elle est élue et que tous les
membres l’en félicitent chaleureusement.
Le présent numéro d’à jour (no. 46)
contient de nombreuses informations sur, d’une
part, ce qui se passe au sein de l’ASP (comité et
secrétaire central), mais aussi des textes soulignant à quel point Theodor Itten était apprécié
(en allemand seulement), des comptesrendus
de livres, dont celui de Nicola Gianinazzi (ISTITUTO RICERCHE DI GRUPPO ANIMA E PSICHE Riflessioni per una scienza
psicoterapeutica), des interviews soit sur des
thèmes spécifiques, soit accordées par différents
membres – ce qui a requis qu’ils investissent du
temps dans une réflexion de leur propre ‘identité’. A tous, merci. Le contenu de ces interviews
est très ‘coloré’ et il pourrait nous inspirer et
nous motiver à nous faire voir et entendre plus
souvent, afin qu’en tant que membres nous ne
soyons pas un simple nom, mais aussi un ‘visage’.
Je vais continuer à choisir de manière aléatoire d’autres membres parmi tous nos effectifs,
leur poser des questions et espérer qu’ils m’ouvriront leur porte.
Tous les membres du comité vous souhaitent un printemps merveilleux, un bon été et
des mois remplis de riches expériences jusqu’à
l’automne, date à laquelle le prochain numéro d’à jour sera publié.
Gerne werde ich mich per Stichprobe weiterhin an noch viele andere aus der grossen
Schar unserer Mitglieder wenden in der Hoffnung auf offene Türen.
Ihnen allen wünschen wir vom Vorstand einen wunderschönen Frühling, einen guten Sommer und bis zur Herbstausgabe des «à jour 47»
verbleibe ich
Ihre Redaktorin
Annette Conzett
Avec mes salutations cordiales
Annette Conzett
Editrice à jour
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten erneuern sich
Zum Abschied von Theodor Itten
«Halte mich nicht fest»
Informationen aus dem Sekretariat
Interviews mit ASP-Mitgliedern
Neue Kandidaten
Wa(h)re Medizin - Heilkunst und Gesundheitsmarkt «20 Jahre Psychotherapie PsyA®T am Spital Affoltern»
Burnout: aus der Erschöpfung in die Kraft
Interview mit Professor Berbalk: Schematherapie
ALS – eine Fortsetzung der MS?
Interview mit Paolo Migone
Literatur
3
4
5
6
9
10
11
18
19
21
27
31
33
Table des matières
Editorial
Un vent de renouveau chez les psychothérapeutes suisses
« Ne me retiens pas ainsi. »
Interviews avec un membre ASP
Nouvaux candidats
Burnout: de l’epuisement a l’energie
Interview avec le professeur Berbalk: thérapie des schémas
SLA – une étape ultérieure de la SEP ?
Interview avec Paolo Migone
Âme et psyché
Calendrier/Kalender
à jour 46
3
36
37
41
42
48
49
57
61
64
68
|3
AKTUELLES
Schweizer Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten erneuern sich
Verbänden arbeiten. Es ist ihr ein Anliegen,
die Etablierung der Psychotherapie als eigenständigen, wissenschaftlichen Beruf in
der Schweiz weiterzuführen.
Die Namensänderung zu ASP Schweizer
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, deren Abkürzung «ASP» in allen
vier Landessprachen Verwendung findet,
bringt die schweizweite Verbundenheit der
Mitglieder zum Ausdruck. Auf diese Weise
können auch Verwechslungen mit anderen
Verbänden und Vereinigungen vermieden
werden. Zudem erleichtert der Wechsel eine
bessere Positionierung des Verbandes gegenüber Behörden und in der Öffentlichkeit.
Die Annahme des PsyG durch das Parlament warf in Bezug auf die zukünftige Ausrichtung des Psychotherapieberufes bei den
Mitgliedern berechtigte Fragen auf. Die Verengung auf die Psychologie als Ausgangspunkt für das Studium der Psychotherapie
löst Verunsicherung aus und wird sehr bedauert. Behalten die kantonalen Bewilligungen für bereits praktizierende PsychotherapeutInnen für die nächsten fünf Jahre zwar
ihre Gültigkeit, müsste bei einem Kantonswechsel allenfalls ein Psychologiestudium
nachgeholt werden.
An ihrer 31. Mitgliederversammlung nahmen die Schweizer Psychotherapeutinnen
und Psychotherapeuten einige zukunftsweisende Weichenstellungen vor. Neben der
Stabsübergabe an die neue Präsidentin Gabi
Rüttimann beschlossen sie eine schweizweite Vereinheitlichung ihres Namens in ASP:
Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Viel zu diskutieren gab die Zukunft ihres Berufes nach
der Annahme im Parlament des Psychologiegesetzes (PsyG) an der vergangenen
Session. Den eingeschlagenen Weg hin zur
Entwicklung einer eigenständigen Psychotherapiewissenschaft wollen sie konsequent
weiterverfolgen.
4|
à jour 46
Mit Akklamation haben die Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
an ihrer Mitgliederversammlung vom 19.
März Gabi Rüttimann zu ihrer Präsidentin
gewählt. Sie löst Theodor Itten ab, der vor
vier Jahren das Amt in turbulenten Zeiten
übernommen hatte und in Zukunft etwas
kürzer treten möchte. Mit Gabi Rüttimann
haben die Mitglieder des Berufsverbandes
erstmals eine Frau an ihre Spitze gewählt.
Die erfahrene praktizierende Psychotherapeutin, Ausbildnerin und Lehrtherapeutin
am IKP will die begonnenen Aktivitäten
des Vorstandes weiterführen. Insbesondere
möchte sie nach Annahme des PsyG an einer Konsensfindung mit den verschiedenen
Ab 2013 dürfen die ausbildenden Institute
keine Studierenden ohne Psychologiestudium mehr aufnehmen. Verschiedene Fragen
der Umsetzung bleiben ungeklärt. Durch die
veränderte Gesetzgebung entsteht unter anderem eine Ungleichbehandlung, weil sich
die kantonalen Bewilligungen teilweise unterscheiden. Für eine Aussprache mit dem
Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind bereits Termine anberaumt.
AKTUELLES
Zum Abschied von Theodor Itten
«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.»
Ein Zweizeiler aus den ‹Stufen› von Hermann Hesse, der uns in der letzten Retraite,
als wir den Abschied von Theodor schon
einmal ‹vor-andachten› und ‹an-spürten›,
in den Sinn kam, wobei wir den grossen
‹Rest› des Gedichtes nicht mehr zusammen brachten. Welch eine Überraschung,
denn auch den hatte unser Theodor ‹gespeichert›! Kurz nach der Retraite bekamen wir
alle das Hesse-Gedicht zugeschickt und wieder einmal zeigte sich unser Präsident von
seiner nichts vergessenden, alles bedenkenden, verbindlichen und umsichtigen Seite.
Diesen Genuss des Abschieds und des
Neubeginns von Hermann Hesse möchte
ich dem Thema der Verabschiedung unseres
Präsidenten in diesem «à jour 46» widmen
und ihn uns allen noch einmal in Erinnerung rufen, mit unserem Dank für eine Zeit
der absoluten Präsenz, in der er uns zu jeder
Stunde zur Verfügung stand, einer Zeit des
ultimativen Übergangs, einer Epoche?
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stufe um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.
In diesem Sinne danke ich Dir für eine Zeit,
die ich mit Dir und allen unseren Vorstän-
den, Kurt, Nicola, Gabi, Veronica wie auch
unserem Geschäftsleiter Emil habe erleben
und darin wachsen dürfen.
«Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.»
Annette Conzett
Ich kannte Theodor bis zu meiner Wahl in
den Vorstand persönlich. Während der leider nur kurzen Zeit der gemeinsamen Arbeit
war ich immer wieder von seiner Warmherzigkeit beeindruckt, die er, obwohl er so viel
‹um die Ohren hatte› jederzeit und immer
ausstrahlte.
Ich konnte mich gut auf Dich einlassen. Es
war eine fliessende Zusammenarbeit mit
Dir möglich, Theodor. Ein Ausgleich auf
der Verständnisebene war immer möglich.
Nichts stand dazwischen. Später entdeckte
ich, dass Du Dich früher bereits in London
mit Bion und seiner Gruppendynamik und
auch mit Theologen auseinandergesetzt und
mit ihnen zu tun hattest, selbst Dein Vater
ist ja Theologe. Diese Übereinstimmung in
Vielem machte mir den Kontakt zu Dir angenehm leicht. Danke für diese Zeit!
Nicola Gianinazzi
Lieber Theodor
die Zeit mit Dir im Vorstand des ASP
war – wenn auch viel zu kurz – sehr schön,
anregend und lustig. Souverän hast Du unsere Sitzungen geleitet, Vielredner und Umstandskramer in ihre Schranken gewiesen,
sodass wir immer planmässig unsere Sitzungen beginnen und schliessen konnten. Ernsthaft und liebevoll hast Du unsere Anliegen
aufgenommen, uns gehört und eigentlich
immer einen Kompromiss gefunden, der für
alle befriedigend war. Am Wunderbarsten
ist für mich an Dir Dein Humor. Er durchzieht bei Dir das Geschäftliche und Private.
Gerne denke ich an unseren gemeinsamen
Abend an der letzten Retraite, an dem wir
uns nach einem intensiven Arbeitstag bei einem guten Glas Wein Witze erzählt haben.
Auf einige Witze und vor allem ihre Pointen
hast Du uns dann recht warten lassen, weil
Du selber so lachen musstest, dass Du nicht
weiter erzählen konntest. Das war einfach
umwerfend!
In diesem Sinne danke ich Dir von ganzem Herzen dafür, dass ich Dich im Vorstand
erleben durfte und freue mich, Dich dann
als «Indianer» an den MVs wiederzusehen.
Meine guten Wünsche für Dich, der Du in
Deiner unglaublichen Vielseitigkeit auch
noch ein poetischer Mensch bist…
Wir kennen uns seit der gemeinsamen Jugendzeit im bernischen Oberaargau, also
nun seit mehr als vierzig Jahren. In dieser Zeit haben sich unsere Wege auf verschiedenste Art und Weise gekreuzt, verflochten, getrennt und wieder gefunden,
zuletzt im Vorstand des ASP. Auch diese
Zeiten mit Dir im Vorstand ASP möchte
ich auf keinen Fall missen. Es war bereichernd, immer wieder humorvoll, auch
sehr ernsthaft, lebendig und vielfältig,
mit Dir nach Antworten für all die Fragen
rund um unseren Beruf der ‹Psychotherapie’ zu suchen. Manchmal wurden wir
sogar fündig und konnten das dann auch
angemessen feiern.
Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge in Bezug auf Dein Ausscheiden.
Ein Lachendes, weil ich es Dir natürlich von
Herzen gönne, dass Du nun – hoffentlich,
mehr ‹freie’ Zeit hast, weniger Sitzungen,
mehr Musse, mehr Entspannung, weniger
Stress, mehr Gelassenheit und hoffentlich
weniger Krampf und Kampf.
Ein weinendes, weil ich, weil wir Dich
vom Vorstand und sicher auch von der
Geschäftsstelle ASP, natürlich an unseren
Vorstandssitzungen, an unseren Retraiten, am Telefon, bei unserem Mailverkehr
vermissen werden. Und es wird uns Vieles
feh­len: Deine ruhige Stimme, Deine immer der Sache dienenden Gedanken, Deine
grossartige Loyalität dem Verband und den
Mitgliedern gegenüber, Deine herzliche,
wärmende Art, Deine Belesenheit, Weisheit
und Dein grosses Herz!
Veronica Baud
Kurt Roth
Gabi Rüttimann
Lieber Theodor,
à jour 46
|5
AKTUELLES
«Halte mich nicht fest.»
Zitat aus «Christus in schlechter Gesellschaft»
Annette Conzett | Theodor Itten
Als ich Deinen Vortrag anlässlich des Symposiums OLG in Wien zu Ehren der Adolf
Holl-Disputation vom Mai 2010 las, dachte
ich mir, dass ich unserer Leserschaft diesen
‹Leckerbissen› nicht vorenthalten möchte,
indem Deine Auseinandersetzung mit Dir
in Deinem Glaubensbekenntnis, Deinem
spirituellen Wachsen sowie auch die Verknüpfungen damit zu psychotherapeutischen Zusammenhängen deutlich zum Vorschein kommt.
Du beginnst Deinen Vortrag mit dem
Aufführen von Berührungspunkten und
Gemeinsamkeiten, die Deinen Lebensweg
mit dem von Adolf Holl zusammen bringen, Ähnlichkeiten aufweisen, Dich zu ihm
hinführen, was schlussendlich eine tiefe
Freundschaft mit ihm daraus entstehen lässt.
In der vorliegenden Kurzfassung Deines sehr umfangreichen Vortrags liegen die
Kernstücke vor, die das Fundament zum
Vorschein zu bringen vermögen, das den
einen Theodor, unseren scheidenden Präsidenten stützt, im tiefsten Inneren begleitet,
inspiriert und trägt und den anderen, den
privaten, fasziniert, belebt und beglückt.
Als Sohn des protestantischen Pfarrers
und Missionars Ernst Traugott und seiner
Gattin, Rosmarie, aufgewachsen und geprägt durch die religiös reformjüdische Umgebung Deiner Familie, wähltest Du London
für Deine Studienjahre, wo Dir der protestantische Pfarrer der Swiss Church, Ueli Stefan, empfahl, das Buch «Jesus in Schlechter
Gesellschaft» von Adolf Holl zu lesen, da er
meinte, dass Du ein zorniger junger Pfarrerssohn seist und dieses Buch für Dich grad das
Beste sei, was Dir jetzt passieren könne. Damals warst Du sein Praktikant in der kirchlichen Jugendarbeit in London.
Als 30jähriger junger Mann machtest
Du dann später eine fünfmonatige Hafterfahrung als Militärdienstverweigerer und
wendetest Dich mit einem Bittbrief an
Adolf Holl, dessen Intervention, so denke
ich, Dich beflügelte, ihn kurz nachher nach
St. Gallen für eine Lesung einzuladen, die
zur Vertiefung Eurer Freundschaft bis heute
führte.
6|
à jour 46
Als Vater von zwei kleinen Kindern und
neu in eigener Praxis tätig, appelliertest
Du damals gegen dieses scharfe, nur noch
in der DDR übliche kriminalisierende Urteil. Dein Anwalt meinte, ‹ja toll, holen wir
uns den Holl in den Gerichtssaal in Bern›.
Mutig schriebst Du zum ersten Mal Deinem aus der Ferne geliebten Autor. Mittlerweile hattest Du Dich à jour gelesen und
zitiertest in Deiner Verteidigungsrede, was
das Zeug hielt aus «Mystik für Anfänger»,
«Der letzte Christ», Religionen. Dr. Holl
antwortete als Sachverständiger Deinem
Hilferuf mit einem Brief vom 2. 12. 1982,
den Du dem Militär-Appellations-Gericht
in Bern zu Deiner erfolgreichen Verteidigung vorlegtest. Das Strafmass wurde um
zwei Monate verringert, und zwei Monate
zusätzliche Freiheit in Deinem Leben ist
u.a. Adolf Holl zu verdanken.
‹Das Telefon läutet. Anatol Itten nimmt
ab und vernimmt als 17jähriger, eine ihm
bekannte männliche Stimme, die seinen Vater zu sprechen wünscht. «Die linke Hand
Gottes ist am Apparat», sagt er und reicht
mir den Hörer. Die linke Hand Gottes ist am
Telefon. Beide Freunde lachten.›
«Erst wenn es niemand mehr gibt, der
etwas zu verraten hat, ist die Weltgeschichte zu Ende.» schreibt Holl und fährt weiter, «Ehe es soweit ist, bleibt der Verrat
am Christentum ein wichtiges Thema.»
Er beginnt in dem Augenblick, da jene
heilige Gestalt, die man so gut zu kennen
glaubte, sich in eine andere verwandelt.
Die eingangs erwähnte Verwechslung, die
der schönen Marie aus Magdala vor dem
leeren Grab passiert, kann auch als Aufforderung gelesen werden, sich gelegentlich
umzudrehen. Die Marie, so steht es geschrieben, stand zunächst vor dem Grab
und weinte. Dann, nach der Erscheinung
zweier Engel, die ihr auch nicht weiter
hilft, dreht sie sich um und erblickt den
Gärtner. Nachdem dieser sie mit ihrem
Namen angesprochen hat, dreht sie sich
noch einmal um (was in den Bibelübersetzungen meist unter den Tisch fällt) und
sagt das beglückte «Rabbuni».
Wie man sich täuschen kann. Erst beim
zweiten Umdrehen kommt sie darauf, dass
sie ihren geliebten Jesus nicht erkannt hat.
Ob sie danach den Gärtner oder Jesus umarmt hat, wird nicht erzählt. Zitiert wird
lediglich Jesus, mit der Bitte: «Halte mich
nicht fest.» Eben dies haben die Christenmenschen aller Zeiten immer wieder
versucht. Die Lektion, dass der Gott sich
ungern festhalten lässt, bleibt schwierig zu
lernen, und zu sehen ist nach wie vor nur
der Gärtner. (Holl 2010, Ostern 105-6; Holl
1993, In Gottes Ohr, 138)
Dieses Zitat ist eines Deiner liebsten
Stellen in seinem, Dich seit 37 Jahren immens beeinflussenden, inspirierenden und
seelisch wie geistig bereichernden grossen
Oeuvre.
Nach der Literatur und dem Studium
von Sigmund Freud und C.G. Jung folgten
Adolf Holl und das vor Kierkegaard. Zusammen mit Kurt Martis Leichenreden öffnete
Dir «Jesus in schlechter Gesellschaft» ein
frisches, religiöses Schauen in diese Welt hinein und Du interessiertest Dich für mehr.
Die theologische Sensation für Dich war
damals, dass Jesus in Schlechter Gesellschaft
als Aussenseiter geschildert wurde, indem
er sich nicht so verhielt, wie es von seiner
Umgebung, dem sozialen Kontext erwartet
wurde und Du konntest Dich spielerisch
damit identifizieren. Noch war Dir die Bezeichnung Befreiungstheologie unbekannt.
Ohne Zweifel hattest Du in Holl 1973 Deinen Befreiungstheologen gefunden.
Als Du Dich später in die Schriften von
Brunner, dessen Dogmatik Dir Dein Vater,
sein ehemaliger Student, geschenkt hatte,
Barth, Rahner, Shillebeeckx, Boff, Sölle,
Moltmann-Wendel, Wöller usw., vertief­test,
bewegte keiner dieser Autoren Deine religiöse Kodierung so sehr in Richtung Freiheit,
Echtheit und Seelenfrieden, wie Holls Texte
es zu tun vermochten und immer noch tun.
Als Pfarrerssohn teilst Du ein Schicksal
mit ‹Buben› wie Nietzsche, Hesse, C.G.
Jung und Dürrenmatt, um nur einige zu
nennen, was Euer, so wie Du es benennst,
Seelenleben neurotisch, geprägt hat. Holls
Jesusverständnis wirkte auf den damals
21jährigen, der Du warst, wie eine neue,
taufrische Lichtung im Wald, wo mit einem
Feuerchen Ostern gefeiert werden konnte.
AKTUELLES
Die Aussenseiterposition Jesu steht
fest und entsprang seinem radikalen Willen zur Neuerung (Holl 1971, S. 42). Diese Neuerung von der Abba Religion zur
Sohnesreligion, von der Schuld zurück zur
Schamkultur, hatte als Prozess eine heilende
Wirkung. Befreit vom systemimmanenten
Diktum: Wir werden gezwungen sein zu lügen (Holl 1971, 53), welches Holl mit Dostojewskij zitiert, der die Feindseligkeit des
strukturellen Machtchristentums, in dem
Du aufgewachsen bist, gegen Jesus auf den
Nullpunkt bringt. Da waren Thron und Altar oder Regierungssitz und Pfarrhaus, die
einander mit der Strategie des vergotteten
Jesus gegen die Bauern und Bürger, stützten.
Die Kirche übernahm das Gottesreich und
machte uns die Hölle heiss. Holl schrieb:
Ob Jesus in einer neuen Gestalt eine müd
gewordene Christenheit beschwingen wird
können, kann kaum vorausgesagt, allenfalls
gehofft werden. In dieser Hoffnung wurde
jedenfalls dieses Buch geschrieben (Holl
1971, S.62).
Diese Hollsche-Hoffnung hat viele ergriffen. Du geniesst heute ein freies und
beschwingtes Glaubensleben ohne Priester- oder PfarrerInnenkirche, mit visionärem Glaubensverständnis. Jeschu wurde
als Sonderling und als Narr gesehen, der
sich von den familiären Bindungen, in die
er via Geburt als Menschgott gelandet war,
emanzipierte. Das verlockt zur Nachfolge.
Die Debatte läuft weiter. Holl zitiert das
Evangelium: «Ja, ihr kennt mich und wisst
woher ich bin. Doch bin ich nicht von mir
aus gekommen, sondern wahrhaftig ist
der, so mich gesandt hat und den ihr nicht
kennt. Ich aber kenne ihn, denn ich bin
von ihm, und er hat mich gesannt.» (Holl
1971, S. 88).
Hier scheint für Dich unser primärer,
menschlicher Erkenntnismangel von Anbeginn an zu liegen, denn wer immer auch
Jeschu gesandt zu haben mag, so ist dieser
‹Jemand› nicht erkenn- oder fassbar, vielleicht erfahrbar? Die erste Erfahrung mit
der direkten Gotteskenntnis ist also der
Mangel daran und Du fragst Dich, ob Holl
das Lachen über eine solchen Gedanken
à jour 46
|7
AKTUELLES
vergeht. Nein, und Du stellst mit Erlaub fest,
dass Holl wohl eine Gottesneurose zu haben
scheint und empfiehlst ihm eine Therapie:
Eine Schreibmaschine zum Bücher schreiben sowie Liebe, Freundschaften, viel
Humor und gutes Essen. Prognose: Gut,
weil unheilbar.
Holls Eigendiagnose in «Wie gründe ich eine Religion» auf Seite 126 «…
ich bin so hartnäckig wie Sigmund Freud,
der ein Leben lang gegen den Glauben
seiner Väter revoltierte, ohne von seiner
Gottesneurose loszukommen. Das war
gut so. Auch ich werde mich mit Gott als
Bezugs­person sicher nicht langweilen. Ein
wenig verrückt.» Schreibt er da, und fährt
weiter «Meine Gottesneurose orientiert
sich nicht nur an Freud. Franz von Assisi
zum Beispiel empfing gegen Ende seines
Lebens die Wundmale des Gekreuzigten
während einer Ekstase, was dem Heiligen
eher peinlich war. Seitdem passierten ein
paar hundert Stigmatisierungen im katholischen Einzugsbereich, zuletzt am Körper
des italienischen Kapuzinerpriesters Pio
von Pietrelcina (gest.1968), der in seinem
Heimatland zum absoluten Hit avancierte,
mit jährlichen Pilgermillionen und seinem
Bild in jedem zweiten Taxi. Das ist Religion
pur, zeitlos und irrational, unverwüstlich,
rund um den Globus.»
Holls Absicht ist es zu öffnen, öffnen,
öffnen. Hier ist ein Theologe der damaligen
Avantgarde, ein Religionswissenschaftler
von Format und Rang am Werk, dessen
kreatives Schaffen und tiefes subjektives
Nachdenken im Jesusbuch seinen ersten
Höhepunkt erreicht hat. Holl bringt immer
wieder Überraschendes. Er nimmt das, was
ist, nicht wichtiger als das, was nicht ist. Er
geniesst selber den offenen Raum, den er
uns verschreibt. « Als Christus aus dem
Jordan stieg, kam Er herauf und lachte über
alles in der Welt, weil Er ihre Wirklichkeit
nicht ganz ernst nahm. Herzlichen Dank.
Mit diesem Evangelium lässt sich leben.»
(Holl, 2005, S. 271).
Zurück zur Neurose, die einfach ausgedrückt, seit Sigmund Freud eine leichte seelische Störung ist, welche durch vergangene
Konflikte verursacht wurden und meist zu
einer Fehlanpassung im «Hier und Jetzt»
führen kann.
Unser alter Grossmeister aus Wien sah
ja die Religion als Dienstleisterin im Bereich
8|
à jour 46
der menschlichen Kultur, wo sie als Bändigerin unserer wilden Triebe viel beigetragen
hat. In der Gottesneurose wird hinter der
Maske der Wirklichkeit nach dem Verdräng­
ten im Wahren gesucht. Wir vermuten darin
unseren Anteil am Göttlichen, der nicht einfach so ist.
Gott war einst ein Tätigkeitswort, für
Giessen, Opfern, das sich mit den Jahren
auf die Figur, der die Opferung dargebracht
wurde, übertragen hat. Diese Gewohnheit hielt sich so lange, bis das Wort Gott
schliesslich eine Figur, ob männlich oder
weiblich, bezeichnete, welche ihren eigenen Namen meist noch behalten durfte, wie
Shiva, Athene, Jahu, Kali, usw. Du lässt einen Schriftsteller sprechen, der es viel schöner zu sagen vermag als Du, so meinst Du:
In den Psalmen wird besonders deutlich,
dass Gott nichts ist als das, was einem fehlt.
Gegen Feinde, Krankheit, Alter usw. Gott
wird umso grösser, je grösser mein Mangel
wird. Martin Walser (2010, S. 421). Die
Aussage, es gebe keinen Gott, ist in jeder
Hinsicht primitiver als die Aussage, dass es
Gott gebe. Wer sagt, es gäbe Gott, reagiert
auf eine Not. Dadurch schafft er sich Gott.
Die Aussage, dass es keinen Gott gebe ist
primitiver, weil sie nicht notwendig ist. …
Die Aussage: Es gibt keinen Gott, ist sogar völlig sinnlos. Wenn einer Gott nicht
braucht, schafft er ihn nicht. Wenn er glaubt,
ihn nicht zu brauchen, kann er sich keinen
schaffen. Eine negative Schaffung gibt es
nicht. Martin Walser (2010, S. 457–8).
Holl bringt immer wieder das zusammen, was zusammengehört. Unser Gottesmann Holl bringt die Seelsorge und die
Psychotherapie zusammen, wie die zwei
Ufer eines Flussbettes. In Wirklichkeit spielt
es keine Rolle an welchem Ufer wir aus dem
Schlamassel unserer Verwundungen herauskommen.
Du sagst, dass Du als Holl-Leser immer
weniger den Weltanschauungsproduzenten
in den Universitäten und Schreibwerkstätten rund um den Globus verfällst. Ein HollText befreie vom Leim diverser Theorie
Jongleure. Mit «Mystik für Anfänger» wurde es dem Schriftsteller Holl möglich, vom
«wir» der Religionswissenschaften zum
«Ich» des Autors zu gelangen, was Du als
ausserordentlich elegant erfährst.
Holl kam 1985 nach St. Gallen und
las aus «Mitleid im Winter» von den Geschichten seiner Mitleidenschaft mit Paranoia, Ricki, Fips und andern. Verschiedene
Schicksale, die allesamt von einem Mix
aus Sehnsucht nach Geborgenheit, Wahn,
seelenkundlicher Suche, Steinhofaufenthalte ohne Heil­erfolg und Rettung zeugen.
In solchen Notfällen, schreibt er, ist der
Autor Holl: …unübertrefflich, präzis wie
ein Uhrwerk, umsichtig, von schneller und
doch wohlüberlegter Entschlusskraft (1985,
S. 39). Dieses Buch lag damals bei vielen
Psychotherapeutinnen auf dem Pult. Als die
Taschenbuchausgabe erschien, gab es ein
Foto im Tages Anzeiger Magazin, Zürich,
das den Psychoanalytiker Paul Parin im In-
AKTUELLES
terview abgebildet hatte, und neben ihm auf
seinem Pult lag das Buch «Mitleid».
Die Frage nach dem fremden Ich beschäftigte ebenso wie die Thematik der
freien sexuellen Liebe, künstlerischem
Schöpfertum und religiöser Inbrunst. Ja,
die Freundschaft beginnt beim Maskenablegen. Öfters kommen da Masken hinter
den Masken zum Vorschein. Befreit von
den Maskeraden, die die klare Sicht auf
unsere Wirklichkeit sowie die von uns selber durcheinander bringen können, zeigen
Freunde einander ihre inneren Erfahrungen, Gedanken, Träume und Wünsche. Das
Unbewusste regiert und reagiert.
Du sagst über Holl, er sei ‹Kein Versprecher›, denn es werden von ihm keine
neuen wissenschaftlichen Namen und Termini erfunden, keine neuen Rezepturen
werden ausgesprochen. Das ist schon so in
«Wegweisungen im Glauben» (1965) und
in «Wo Gott wohnt» (1976). Er schreibt:
«Die Tatsachen sind die Fragen, die Geschichten sind die Antworten.» (S. 7), vor
denen wir uns nicht zu fürchten brauchen.
In «Mitleid im Winter» können wir
Holl im «Hier und Jetzt» und im «Es war
einmal» erleben. Seine und die Herzenswunden seiner ihn nach Heilung aufsuchenden Gäste werden an den Tränenbächen gewaschen. «Weine nur», hat er Dir
einmal am Telefon gesagt. Alles ist nicht so
neu, wie es jeder Generation immer wieder erscheint. Holl sei Dank, für die kontinuierlichen Aufdeckungen dieser bekannten Tatsache. Das Ziel: Vorübergehende
Geborgenheit in einer vorübergehenden
Beziehung. Hier wie dort, bei normalen
wie bei Gottesneurosen, wirkt die Kraft
des Eigensinns, die im Horchen auf das
Unbewusste, emotional leiblich freigesetzt
werden kann. Wie immer: Vorsicht vor falschen Hoffnungen. Holl verspricht auch
kein Heil zum Lebensglück. Er bleibt Realist, auch im Bereich der Sexualität: Die
Entwürdigung des Geschlechtsaktes durch
das kirchliche Christentum ist bis heute
nicht revidiert worden (S. 168).
Schlimmer noch als vor 30 Jahren sieht
es um die ekklesiogene Neurose in der aktuellen Zeit aus. Sie nimmt massiv zu. Die pervertierten sexuellen Missbrauchsüber­griffe,
die emotionalen Gewaltübergriffe, die sadistischen Rituale von Erziehern, Priestern,
Pfarrern, fast möchte ich sagen Pfaffen und
Bischöfen, sind tagtäglich in der Presse.
Laut einer neuen Studie des Psychiaters
Dr. Ingo Schäfer, UKE, Hamburg, sind ein
Viertel der in der Psychiatrie gestrandeten
Menschen Missbrauchsopfer.
Der Schaden in der Seele ist irreparabel,
so Holls letzte Verlautbarung dazu.
Deine Empfehlung: Falls ein Fragemangel entstehen sollte, bitte Holl lesen.
Mit dem Fisch aus der Tiefe, wurden die
Freuden der Keuschheit frisch angepriesen.
Der 54 bis 57jährige Holl hat sich mit
diesem Buch über die Erkundung der
dunklen und sonnigen Seite unseres Geschlechts- und Beziehungslebens in drei
Jahren vollends aus seinem Mittelalter ins
Freie geschrieben. Es ist für Dich ein männerbefreiendes Buch ersten Ranges. Ein
Hauptdarsteller ist der Schweizer Arzt und
Psychotherapeut C.G. Jung (1875–1961),
dessen Gegenspieler ein Gott aus dem
Schattenreich der Seele ist. Über der Eingangstüre seiner Villa in Küsnacht liess er
einmeisseln: «vocatus atque non vocatus,
deus adherit – Gerufen und nicht gerufen
wird Gott da sein» . Das ist ein delphischer,
kein christlicher Orakelspruch, der den Lakedämoniern gegeben wurde, als sie gegen
die Athener Krieg führen wollten (Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G.Jung.
1972, S. 297).
Die Gottesneurose ermöglicht das kontinuierliche Fühlen der frühen Geborgenheit vor der Abnabelung von der leiblichen
Mutter. Im Weihrauch- und Räucherstäbchenduft riechen wir die Nähe des ewigen
glückseligen Augenblicks. Die weibliche
Gottlosigkeit, als Befreitsein vom Zwang
der Opferung an ein unsichtbares Wesen,
erweist sich für Holl als eine geistige Kraft,
über die wir Männer noch nicht verfügen.
Warum? Im Hebräischen rachamim (Erbarmen) hören wir das rechem, das soviel wie
Gebärmutter bedeutet. Die Barmherzigkeit,
das Gemütliche in der Geborgenheit. Zu
Hause angekommen konnten wir von Herzen lachen. Der Lachende Christus spielt
immer jeweils zu Ostern an verschiedensten
Orten der Welt gleichzeitig sein Welttheater.
Unsichtbar und ohne Worte.
Diese Kurzfassung aus Deinem Vortrag zeigt uns einen Theodor auf, den wir
in den vielen Rezensionen, die Du für uns
im «à jour» geschrieben hast, wiedererkennen, doch gibt es im vorliegenden Zusam-
menzug etwas Besonderes, nämlich Deine
bewegte Berührung mit der eigenen Spiritualität. Du bekennst Dich als jemand, der
sich in den Holl-Schriften vollumfänglich
«abgeholt», verstanden und weiter geführt
wird ,sowohl vom theologischen, religiösen
wie auch vom psychologisch, psychotherapeutischen Aspekt her.
Annette Conzett
Informationen aus dem Sekretariat
Ursula Enggist | Patricia Fourati
Die Daten der Krankenkassenliste wurden neu erhoben und können entweder von der Homepage
heruntergeladen werden oder Sie finden die Angaben als Beilage.
Der PTW-Bericht (d/f/i) kann nach wie vor im
Sekretariat zum Preise von CHF 20.—bezogen
werden.
Agenda: Diverse Veranstaltungen werden auf
unserer Homepage: www.psychotherapie.ch auf
der Agenda publiziert. Besuchen Sie diese Seite
regelmässig – dann entgeht Ihnen keine Veranstaltung.
Fremdsprachenverzeichnis: Nun ist die Neuauflage erschienen. Diese kann zum Preis von CHF
25.– (inkl. Versandspesen) im Sekretariat bestellt
werden.
Treffen Romandie: Dieses Treffen musste bereits
einmal infolge der kleinen Teilnehmerzahl verschoben werden. Bei einem neuerlichen Versuch
erhielten wir wiederum sehr wenige An- bzw. Abmeldungen. Ist das Bedürfnis nach einem Treffen
vorhanden? Teilen Sie uns Ihre Meinung mit.
Eine gute Gelegenheit dafür bietet das Diskussionsforum, welches auf unserer Homepage aufgeschaltet ist. Sie finden es im Mitgliederbereich
(Benutzer: «Mitglied»; Passwort: «ASPV30»).
à jour 46
|9
PRAXIS
Interview mit ASP-Mitglied
Glenck-Kuster Elisabeth
Was waren Ihre
Beweggründe, den
Beruf der Psychotherapeutin, des
Psychotherapeuten zu wählen?
Als Quereinsteigerin hat für mich
der Weg zu diesem
Beruf eher mit persönlicher Entwicklung
und Wachstum als mit aktiver Berufswahl zu
tun. Rückblickend jedoch weiss ich, dass der
Wunsch, psychotherapeutisch zu arbeiten,
schon in mir schlummerte, als ich noch die
Schulbank drückte. Intensive Begegnungen
und Gespräche, die «die Welt veränderten», haben mich schon damals fasziniert.
Was ist Ihr beruflicher Hintergrund/
Werdegang?
Nach meiner Matur 1969 unternahm ich
einen ersten Versuch, Psychologie zu studieren. Ich bekam aber schnell den Eindruck, mich hoffnungslos in der Materie
zu verlieren und entschied mich für Fächer,
die in meinen Augen «handfest, praktisch
und nützlich» waren, nämlich Germanistik, Geschichte und im Nebenfach Englisch.
Mit Lizenziat und Gymnasiallehrerpatent
schloss ich dieses Studium 1975 ab. Während der intensiven Familienphase mit drei
kleinen Kindern und einem Leben auf dem
Land war es nicht einfach, diesen Beruf auch
auszuüben. So hielt ich «meinen Fuss in der
Türe», indem ich Literaturkurse erteilte – an
der Akad Femina und an der Volkshochschule – oder auch mal englisch unterrichtete.
Über meine eigenen Kinder lernte ich die
Musikgrundschule kennen, ein damals frei-
williges Fach für Erst- und Zweitklässler, das
mich begeisterte. So begab ich mich mit viel
Phantasie in dieses pädagogische Feld und
war zehn Jahre 1985–1995 an einer Jugendmusikschule angestellt. In diese Zeit fällt
meine Ausbildung am FPI (Fritz Perls Institut) zur Gestalt- und Kunsttherapeutin sowie
das Ergänzungsstudium in Psychotherapie
relevanten Fächern der Charta. Seit 1996 psychotherapeutische Tätigkeit in eigener Praxis. Kunsttherapeutisches Praktikum in der
Psychotherapiestation «Villa» des Kantonsspitals Winterthur und Teilzeitstelle im Paraplegikerzentrum in Nottwil. Seit 2003 Aufbau
des psychotherapeutischen Dienstes in der
Frauenklinik Maternité, Stadtspital Triemli.
Arbeiten Sie als selbständige Psychotherapeutin/selbständiger Psychotherapeut in
freier Praxis und/oder sind Sie zusätzlich
noch als delegierte/r TherapeutIn tätig?
In meiner freien Praxis innerhalb einer
Praxisgemeinschaft arbeite ich selbständig
ohne Delegationsmöglichkeit. In meiner
Festanstellung in der Frauenklinik ist der
Zugang für die Patientinnen sehr niederschwellig. Der spitalinterne Abrechnungsmodus für ambulante Therapien basiert
dort auf dem Delegationsprinzip.
Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur
Psychotherapie ausüben?
Als Kunsttherapeutin bin ich freie Mitarbeiterin des IAC (Integratives Ausbildungszentrum für Mal- und Kunsttherapie in Zürich).
In dieser Funktion arbeite ich in Seminarien mit Gruppen und begleite angehende
KunsttherapeutInnen in Lehrtherapien
oder Supervisionen.
10 |
à jour 46
Ich arbeite gerne mit Gruppen und Gruppenprozessen und natürlich macht es mir Freude,
mit künstlerisch interessierten und motivierten Leuten kunsttherapeutisch zu arbeiten.
Was ist Ihre Spezialität?
In Zeiten, in denen unser Beruf zunehmend
von der Medizin vereinnahmt wird, suggeriert
diese Frage sehr schnell, auf welche Krankheitsbilder sich die spezialisierte Erfahrung
beziehen könnte. Ich möchte aber die Frage
so offen beantworten, wie sie gestellt ist: Als
meine Spezialität erachte ich den Einbezug
meines persönlichen geisteswissenschaftlichen Hintergrundes. D.h. als kunsttherapeutisch ausgebildete Psychotherapeutin liebe
ich es, mit Bildern, gemalten oder häufiger
noch imaginierten, manchmal auch einfachen
Sprachbildern, zu arbeiten. Intermediäre
Quergänge, die auch mal Klänge eines Gongs
oder einer Stimme erlauben, intensivieren
und erweitern den Raum des Erlebens – im
Spital oft von besonderer Bedeutung. Auch
Hinweise auf Märchen, Mythen, Gedichte
oder Bücher sind bei mir keine Seltenheit.
In der Arbeit im Spital habe ich es mit Menschen zu tun, die durch ihre aktuelle, meist
krankheitsbedingte Lebenssituation meine
Unterstützung suchen. Praktische Lebenshilfe ist da gefragt. Die Spitalsituation weicht
auf, öffnet die Türen zu verborgenen Gefühlen. Aus diesem Ausnahmezustand meines
Gegenübers hat sich für mich eine weitere
Spezialität entwickelt: in kürzester Zeit adäquat auf das intensive Erleben meines Gegenübers zu reagieren, eine Therapiesituation, die stark auf mich zurück wirkt.
Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Ja, ich bin sehr zufrieden mit meiner beruflichen Situation.
Gibt es etwas, das Sie sich anders wünschten?
Angaben zur Person
Vorname, Name:
Wohnort:
Mitglied ASP seit:
Berufflich tätig als:
Wenn ja, was sind hierfür die Beweggründe?
Glenck-Kuster Elisabeth
8925 Ebertswil
1995
Psychotherapeutin und Kunsttherapeutin in eigener Praxis und
in der Frauenklinik Maternité, Stadtspital Triemli in Zürich.
Natürlich denke ich etwas nostalgisch an
die Zeiten, in denen administrative Dinge
sich nicht so aufgeplustert haben wie heute.
Auch mir gibt der politische Gegenwind,
der mit seinem Spargehabe durch alle Rit-
PRAXIS
zen pfeift, sehr zu denken. Die «Mängelliste» liesse sich verlängern. Für mich persönlich gilt zu dieser Frage trotzdem: Nichts,
das ich nicht selbst in der Hand hätte.
Gibt es ein Amt im ASP, das Sie gerne bekleiden würden?
Gibt es etwas, das Sie sich von Ihrem Verband ASP wünschen würden?
Wie sähe Ihre Wunsch-Situation im gegebenen politischen Umfeld für PsychotherapeutInnen aus?
In der Frauenklinik mache ich die Erfahrung,
wie befriedigend ein vernetztes interdisziplinäres psychotherapeutisches Arbeiten ist.
Die Zusammenarbeit und der Austausch
mit Ärzten, Pflege, Sozialarbeiterinnen etc.
erlebe ich persönlich bereichernd und de
facto Effizienz steigernd. Vermutlich liegt
im Bereich Vernetzung und Interdisziplinarität für unseren Berufsstand ein wichtiges
Zukunftspotenzial. Ich wünsche unserem
Berufsverband, dass er Entwicklungen wie
Ärztenetzwerke, Bahnhofpraxen oder ähnliche Neuerungen im Blick hat, um auf politischer Ebene mögliche Chancen für unser
(Mit-)Wirken wahrzunehmen.
Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband ASP
vertreten und gewürdigt?
Für mich als Psychotherapeutin ohne Vollzeit-Psychologiestudium war und ist es immer
besonders wichtig, mich im ASP mit meinem
Hintergrund gut gestützt und vertreten zu
wissen, auch wenn die politische Situation
sich in diesem Punkt zunehmend verdüstert.
Die Wertschätzung des interdisziplinären Zugangs zu unserem Beruf, aber auch zu unserem «Forschungsgegenstand», zur menschlichen Seele, ist mir im ASP sehr wertvoll.
Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand
des ASP wären?
Ein sehr grosses Anliegen wäre mir das
Aufrechterhalten unseres humanistischen
Therapieverständnisses. Die generellen
Ökonomisierungstendenzen unserer Zeit
machen keineswegs Halt vor unserer Arbeit.
Beispielsweise werden die vorgesehenen
Fallpauschalen (DRGs) in den Spitälern
uns zwingen, unsere psychotherapeutische
Begleitung von PatientInnen mit Diagnosen
aus dem ICD-10 zu unterlegen. Die daraus
hervorgehende Pathologisierung unserer
Klientinnen und Klienten steht in grossem
Kontrast zu unseren Bemühungen, salutogen zu denken und zu arbeiten.
Im Moment nicht.
Vernetzte, wertgeschätzte Arbeit, wie ich sie
oben schilderte, wünsche ich den PsychotherapeutInnen der Gegenwart und der Zukunft.
Was wäre Ihre Vision in Ihrem beruflichen
Alltag?
Diese letzte Frage möchte ich mit einem Zitat von Käthe Kollwitz beantworten, das ich
als Buchtitel* in Erinnerung habe: «Ich will
wirken in dieser Zeit.» *Es handelt sich um
eine Sammlung von Tagebuchnotizen und
Briefen von K.K.
Neue Kandidaten
Folgende Leute haben beim ASP ein Aufnahmegesuch eingereicht. Gegen die Aufnahme können
ordentliche Mitglieder bis 14 Tage nach der Publikation begründete Einsprache an den Vorstand
richten: Vorstand, Riedtlistr. 8, 8006 Zürich
Bona Angelo,
Via Delle Scuole, 34 , 6900 Lugano Cassarate
Bonorand-Reichling Christiane,
Sonnenweg 30, 5022 Rombach
Cantori Yvette,
14 rue de l'Avenir, 1207 Genève
Eggenberger Regina,
Moosstr. 18, 6003 Luzern
Gheiler Malamud,
Ilan Vicolo Caminel 10, 6979 Brè sopra Lugano
Jaeger Both Catherine,
20, rue Beau-Séjour, 1003 Lausanne
Rechsteiner Maya,
Oberdorfstr. 35, 4118 Rodersdorf
Röder Monika,
Wieladingen 31, D-79736 Rickenbach
Rossi Maurizio,
Casa Campana, 6956 Lopagno
Täuber Irene,
Schwengiweg 27, 4438Langenbruck
Tombois Patricia,
Ch. Du Miroir 73, 1090 La Croix sur Lutry
Weisser Blaser Regula,
Seeblickstr. 38, 9037 Speicherschwendi
Interview mit ASPMitglied Jaron
Bendkower
Was waren Ihre
Beweggründe, den
Beruf der Psychotherapeutin, des
Psychotherapeuten zu wählen?
Eigentlich interessierte mich immer
schon der Mensch
und seine Gesellschaft. Deshalb studierte
ich Psychologie, Pädagogik und Soziologie
und las viel zur Geschichte. Die eigentliche
Ausbildung zum Psychotherapeuten ergriff
ich nach der Uni, um meine eigenen Konflikte besser zu bewältigen. Aber das verstand ich erst später so.
Was ist Ihr beruflicher Hintergrund/Werdegang?
Ich habe immer im Phil I-Bereich gearbeitet. Die meiste Zeit als Psychotherapeut, oft
hart an der Grenze zur Organisationsentwicklung. Auch als Supervisor – von Einzelnen, Teams und in Institutionen. Weiter war
ich Dozent für Psychotherapeutisches an
verschiedenen Institutionen. Mittlerweile
hat sich der Mittelpunkt meiner Tätigkeiten
verschoben: Ich verstehe mich zunehmend
auch als Autor.
Arbeiten Sie als selbständige Psychotherapeutin/selbständiger Psychotherapeut in
freier Praxis und/oder sind Sie zusätzlich
noch als Delegierte/r TherapeutIn tätig?
Immer als selbständiger Psychotherapeut
in freier Praxis. Delegiert arbeiten war noch
nie mein Ding.
Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur
Psychotherapie ausüben?
à jour 46
| 11
PRAXIS
Seit langem leiste ich mir den Luxus, nicht
nur laut zu denken und mich zu diesem und
jenem öffentlich, schriftlich zu äussern.
Wenn ja, was sind hierfür die Beweggründe?
Das Rezeptive oder Passive an unserem
Beruf deckte stets nur einen Teil meiner
Berufswünsche ab. Seit ich viel schreibe, ist
mir einiges wohler.
Was ist Ihre Spezialität?
Die Schwerpunkte kristallisierten sich im Zusammenhang mit meiner eigenen Biographie
heraus: Als schulübergreifend arbeitender
Therapeut, als Behinderter und als Multikulti.
Arbeit mit chronisch Kranken
Da ich selber seit vielen Jahren behindert
bin, bot es sich geradezu an, aus diesen Erfahrungen zu schöpfen und sie an Hilfesuchende weiterzugeben.
Zweit-Therapien
Nicht alle, die mal therapiert wurden, konnten ihre Erst-Therapie schätzen. Der Gründe können viele sein. Eine Zweittherapie ist
immer anders. Sie findet hier jenseits institutioneller Zwänge statt, schulübergreifend,
undogmatisch. Integrativ arbeiten ist für
mich keine Kompilierung, sondern kreativ.
Auch meine eigene Biographie führte mich
an verschiedenen Schulen/Richtungen vorbei. Geschadet hat es mir nicht, sondern im
Gegenteil bereichert.
Schreiben
Zunehmend kann ich mir ein Leben ohne
Schreiben nicht vorstellen. Schreiben
nimmt einen immer grösseren Teil meines
Schaffens ein.
Multikulti-Paar-Therapien
Mein Lebensweg führte mich auch in viele
Länder. Kosmopolit sein ist keineswegs nur
belastend, sondern auch sehr bereichernd.
Das zeigt sich beruflich insbesondere in der
Arbeit mit interkulturellen Paaren.
Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Ja, trotz der gesundheitlichen Einschränkungen. Dozieren kann ich zum Beispiel
momentan nicht mehr. Aber das könnte
sich bald ändern.
Gibt es etwas, das Sie sich anders wünschten?
Ich würde das Profil der Psychotherapie als
eigenständiges Medium stärker betonen.
Sie ist keine Hilfswissenschaft. Und ich
würde mich nicht länger an mittlerweile
veralteten Wissenschaftsmodellen orientieren. Sondern offensiver dazu stehen, dass
wir die Milch auch anderswo holen.
Gibt etwas, das Sie sich von Ihrem Verband
ASP wünschen würden?
12 |
à jour 46
Doch Anerkennung möchte ich unserem
Vorstand genauso zollen. Die momentane
Situation ist ungeheuer herausfordernd:
Sowohl Würde und Identität der Mitglieder
(und des lädierten Berufsstandes) zu verteidigen als auch zur Sicherung ihrer materiellen Interessen beizutragen, erfordert eine
Spagatkunst hohen Grades. Alle Achtung!
Gibt es ein Amt im ASP, das Sie gerne bekleiden würden?
Leider momentan nicht. Was ich gerne
machen würde, kann ich nicht mehr – was
bleibt, wird sich zeigen …
Wie sähe Ihre Wunsch-Situation im gegebenen politischen Umfeld für PsychotherapeutInnen aus?
Mit der Standesvertretung bin ich – siehe
auch da weiter unten – nur zum Teil zufrieden.
Wir verkaufen uns weit unter unserem Wert.
Schritte zu unternehmen, die Psychotherapie mittelfristig aus dem Dunstkreis des
Medicozentrismus herauszuholen. Weltanschaulich und politisch. Zum Glück können
wir einiges zu solchen Umbrüchen aus den
neuesten Ereignissen im arabischen Raum
lernen, wo sich vieles schneller veränderte,
als wir es vorauszusehen wagten.
Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand
des ASP wären?
Was wäre Ihre Vision in Ihrem beruflichen
Alltag?
Ich würde erstens eine Strategiegruppe
damit beauftragen, Vorschläge für den
«guten Umgang mit dem <Medicozentrismus> vorzulegen: mit der überschiessenden Macht der Schulmedizin. Und ich
würde zweitens mich darum bemühen, die
Psychotherapie auf eine adäquatere wissenschaftstheoretische Basis zu stellen. Dass
dies die verschiedenen Schulen an unterschiedlichen Punkten trifft, würde das Projekt umso spannender machen. Sicherlich
auch darum, weil andere aus den dabei anfallenden Erfahrungen ebenfalls profitieren
Meine Vision ist es, die therapeutische
Arbeit und das Schreiben noch stärker zu
verknüpfen. Ein Buch ist in Vorbereitung,
das nicht nur die «Psychotherapie bei der
MS» betrifft, sondern auch auf das Psychologische anderer chronischer Krankheiten
eingeht. Der interdisziplinäre Ansatz (psychisch und somatisch) scheint mir alles andere als ausgeschöpft. Die Quantentheorie
als Rahmen bietet sich dafür geradezu an.
Auf diesen Büchern aufbauend schweben
mir entsprechende Kurse und Vorträge vor.
Das kann ich aber nur, sofern mein Gesundheitszustand das zulässt.
Last but not least besteht im «völlig Gesunden» mein wichtigstes Projekt. Aber das
ist kein berufliches Ziel allein. Vermutlich
gilt das für alle Visionen: sie gehen nahtlos
in die allgemeinen Lebenswünsche über …
Ja – dazu später mehr …
Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband ASP
vertreten und gewürdigt?
Angaben zur Person
Vorname, Name:
Wohnort:
Mitglied ASP seit:
Berufflich tätig als:
könnten. Der ASP käme diesbezüglich in
eine Vorreiterrolle.
Jaron Bendkower
Uerikon (bei Stäfa)
1988
Psychotherapeut und Autor
PRAXIS
Interview mit ASP-Mitglied
Klaus Beeler Schiesser
Was waren Ihre
Beweggründe, den
Beruf der Psychotherapeutin, des
Psychotherapeuten zu wählen?
Wenn ich heute in
meine Kindheit
zurückblicke, wird
mir klar, dass es schon immer so sein sollte,
dass ich mich mit dem menschlichen Sein
und dessen Wachstum beschäftigen würde.
Aufgewachsen in einer behüteten, grossen
katholischen Familie, war es der Wunsch
meiner Eltern, dass ich Priester werden
würde. Durch diese ideologisch, religiöse
Prägung meiner Eltern sowie einiger belastender Umstände und Erfahrungen wie
auch häufiges Kranksein in meiner Kindheit, war ich «gezwungen», mich in einem hohen Masse von früh an mit meinem
Menschsein zu beschäftigen. Gleichzeitig
war ich ein «Träumerkind», etwas entrückt
und oftmals mental abwesend. Im Alter von
20 Jahren war es dann mein Traum, Kindertherapeut zu werden und ich befasste mich
damals sehr mit der diesbezüglich, vorhandenen Literatur.
Entschieden habe ich mich dann jedoch für
eine Ausbildung in Sozialarbeit. Ich wollte
aus einer sozialpolitischen Haltung heraus,
die sehr dem damaligen Zeitgeist entsprach,
mich sozial und therapeutisch engagieren.
Dies war der Grundstein meiner therapeutischen Berufsarbeit.
Was ist Ihr beruflicher Hintergrund/Werdegang?
Nach meinem Abschluss an der Fachhochschule für Sozialarbeit in St. Gallen arbei-
tete ich zwei Jahre im Leitungsteam einer
stationären Drogentherapiestation. Begleitend dazu absolvierte ich eine Ausbildung
in Gruppendynamik an einem Institut in
München. In dieser Zeit entwickelte ich mit
Gleichgesinnten ein ganzheitliches, soziound psychotherapeutisches Konzept für
junge erwachsene Frauen und Männer aus
psychiatrischen Institutionen und/oder aus
dem Jugendstrafvollzug. Der Grundgedanke war, individuelles und kollektives Wachstum in einer therapeutischen Gemeinschaft
zu ermöglichen und dies für alle, nicht nur
für Patientinnen und Patienten. Aus dieser Idee des umfassenden, ganzheitlichen
sozialtherapeutischen Konzeptes heraus
entstand konkret eine therapeutische Institution in einem wunderschönen Schlossgut,
in der ich elf Jahre lang arbeitete. Konzeptionell war es sehr interessant – Sozio- und
Psychotherapie, Gemeinschaft, Leben und
Arbeiten auf dem Lande, Selbstversorgung
usw., wie es der Ideologie der 68er-Jahre entsprach. Die Mehrheit der Patientinnen und
Patienten hatten bereits einen Aufenthalt in
einer psychiatrischen Klinik hinter sich, bevor sie in unser Programm einstiegen.
Auch während dieser Zeit wollte ich
mich persönlich und beruflich weiterentwickeln und absolvierte berufsbegleitend
eine Ausbildung in Gestalttherapie am Fritz
Perls Institut in Düsseldorf (heute EAG/
FPI). 1987 wurde mir die kantonale Bewilligung für die Durchführung für Psychotherapie im Kanton St. Gallen zugesprochen,
welche mir ermöglichte, mich selbständig
zu machen. Der psychotherapeutische Bereich, das Menschenbild darin, die Theoriekonzepte und Methodik der integrativen
Gestalttherapie entsprachen sehr meinen
persönlichen Vorstellungen von ganzheitlicher Psychotherapie. Um mein Wissen
darin zu vertiefen, bildete ich mich weiter
Angaben zur Person
Vorname, Name:
Wohnort:
Mitglied ASP seit:
Berufflich tätig als:
Klaus Beeler Schiesser
St. Gallen
1989
Psychotherapeut, Supervisor
als Gestaltsupervisior bei Frau. Dr. Astrid
Schreyögg am FPI, was sich als sehr spannende Ergänzung zur Psychotherapieausbildung erwies.
Zu Beginn meiner Selbständigkeit gründete ich in teilzeitiger Anstellung eine neue
Institution für Menschen mit Behinderungen unterschiedlicher Art, den heutigen
«förderraum» in St. Gallen mit verschiedenen Wohngruppen, Ausbildungsangeboten und einem Hotelbetrieb. Diese Gründungszeit und die damit verbundene Arbeit
dauerte insgesamt fünf Jahre. Danach tat ich
den Schritt ganz in die Selbständigkeit als
Psychotherapeut und Supervisor.
Mit der Zeit kamen noch weitere Ausbildungen dazu wie: Integrative Imaginationsarbeit bei Prof. Stephen Gallegos, Santa Fe.
Familienstellen und Systemische Strukturaufstellung bei Dr. B. und G. Ulsamer und
Paartherapie-Ausbildung in Zürich. Ebenfalls beschäftigte ich mich mit Lösungs- und
Ressourcenorientierten Ansätzen.
Arbeiten Sie als selbständige Psychotherapeutin/selbständiger Psychotherapeut in
freier Praxis und/oder sind Sie zusätzlich
noch als Delegierte/r TherapeutIn tätig?
Ich arbeite seit 20 Jahren als selbständiger
Psychotherapeut und Supervisor in meiner
Praxis. Zurzeit entwickle ich nebenbei aus
meinem Interesse heraus ein neues Konzept
für ein Gemeinschaftsprojekt. Delegierte
Psychotherapie führe ich keine durch.
Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur
Psychotherapie ausüben?
Ja, wie ich bereits erwähnte, bin ich auch als
Supervisor tätig. In diesem Berufsfeld war
und bin ich in verschiedenen sozialen, psychosozialen, psychiatrischen, schulischen
und sozialpädagogischen Bereichen tätig.
Zusätzlich führe ich Ausbildungs-, Kon­
troll- und Lehrsupervisionen für verschiedene Ausbildungsinstitutionen durch.
à jour 46
| 13
PRAXIS
Schon viele Jahre setze ich mich sehr intensiv mit Meditation und Spiritualität
unterschiedlicher Richtungen und Traditionen auseinander. Die damit verbundenen
eigenen Erfahrungen und Prozesse sowie
das aus dieser Vertiefung hervorgegangene Wissen, fliessen in meine psychotherapeutische Arbeit mit ein. Diese Seite meines persönlichen Weges führte vor zehn
Jahren zur Gründung der Fachschule für
Rituale, welche ich bis heute mit drei weiteren Personen leite. Ebenfalls bin ich als
Meditations­lehrer tätig.
Wenn ja, was sind hierfür die Beweggründe?
Die Ausbildung zum Supervisor war eine
natürliche Fortsetzung meines Ausbildungsweges.
Durch die Vertiefung mit verschiedenen Supervisionsmodellen- und -theorien
erweiterte ich meinen Zugang zu Problemstellungen und Lösungsansätzen.
Was ist Ihre Spezialität?
Das ist eine interessante Frage. Der Grossteil
meiner Klientinnen und Klienten befinden
sich in einer akuten Leidenskrise aufgrund
unterschiedlicher Ursachen – das Leiden
steht vorerst im Vordergrund. Vielleicht
ist das eine Spezialität von mir, mit diesen
Menschen im psychotherapeutischen Prozess wieder Vertrauen aufzubauen und das
in erster Linie zu sich selbst, um das eigene
Potential darin zu erkennen, damit der Lebensweg wieder im Vertrauen zu sich selbst
und in der Kraft ihres Daseins aufgenommen werden und weiter gehen kann.
Durch diese Verbindung von Psychotherapie und Spiritualität kontaktieren
mich viele Menschen, die sich in einer spirituellen Unsicherheit oder auch in massiven
Lebenskrisen befinden. Die Arbeit mit integrativer Imagination und meditativen Techniken fördern diese Prozesse sehr.
Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Im Grossen und Ganzen bin ich sehr zufrieden mit meiner beruflichen Situation.
Die geringe bis Nullfinanzierung durch die
Krankenkassen spüre ich in den letzten Jahren sehr viel stärker als früher. Ein Grossteil
14 |
à jour 46
der Klientinnen und Klienten sind nicht sehr
wohlhabend und kommen somit an ihre
finanziellen Grenzen. Aus diesem Grunde
muss ich oftmals Menschen in eine psychiatrische Begleitung weiter weisen. Die psychiatrischen Begleitungen beinhalten jedoch
oftmals Wartezeiten von drei bis sechs Monaten, was den Hilfesuchenden nicht sehr
dienlich ist und somit die Leidenszeit herauszögert. Es gibt immer häufiger Momente, in
denen ich dieses System der Klassifizierung
als Entwertung des Menschseins und somit
auch unserer hochqualifizierten, freiberuflichen psychotherapeutischen Arbeit ansehe.
eine Ausnahmebewilligung auf Grund
meiner Ausbildungen, langjährigen Erfahrungen und geleisteten Arbeit in psychotherapeutischen Bereichen. Dafür bin ich
noch heute sehr dankbar, dass dies damals
möglich war. Ich fühle mich vom ASP sehr
gut vertreten und gewürdigt. Ich bin auch
immer wieder berührt über die offene Haltung des Verbandes und das persönliche Engagement vieler Menschen in den entsprechenden unterschiedlichen Funktionen.
Auch dafür möchte ich hier die Gelegenheit
nutzen, um mich zu bedanken.
Gibt es etwas, das Sie sich anders wünschten?
Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand
des ASP wären?
Ja natürlich. Eine sinnvolle Handhabung der
Finanzierung durch die Krankenkassen, dies
in dem Sinne, dass die Klientinnen und Klienten frei entscheiden können, bei wem sie eine
Psychotherapie machen wollen – da auch die
Synergie zwischen Therapeut/in und Klient/
in sehr wichtig ist für den positiven Verlauf
einer Therapie. Das jetzige System der Krankenkassen ermöglicht das nur bedingt. Durch
eine entsprechende Änderung würden sowohl die hilfesuchenden Menschen wie auch
wir freiberuflichen Psychotherapeutinnen
und -therapeuten mehr Wertschätzung erfahren. Ich bin immer wieder erstaunt, dass diese «alten» Strukturen nicht von mehr Menschen in Frage gestellt werden und wünsche
mir sehr, dass sich das in naher Zukunft ganz
im speziellen zugunsten der Klientinnen und
Klienten ändern wird.
Gibt es etwas, das Sie sich von Ihrem Verband ASP wünschen würden?
Der Verband, der Vorstand und das Sekretariat haben sehr gute Arbeit geleistet, auch
wenn verschiedene Ziele durch die schwierigen Kontexte nicht immer erreicht werden
konnten. Ich hoffe sehr, dass diese bis heute
verantwortungsvolle und mehrdimensionale Ausrichtung auch weiterhin im Fokus
bleiben wird.
Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband ASP
vertreten und gewürdigt?
Ja. Mir wurde im Rahmen der Übergangsbestimmungen die Bewilligung für Psychotherapie 1987 zugesprochen. Es war damals
Neben der bis heute ausgerichteten Zielsetzung, die ich weiter so verfolgen würde,
wäre mein persönlicher Fokus auf eine intensivere Vernetzung innerhalb des Verbandes ausgerichtet. Dies im Speziellen auf
mehr Ausrichtungen in den einzelnen Regionen; ein interessantes Weiterbildungsangebot; vereinfachtes Eintrittsverfahren, dies
wenn zum Beispiel jemand bereits die kantonale Bewilligung für die Berufsausübung
besitzt. Neue belebende Impulse und somit
ein Beobachten darin, welche Neuerungen
dem Zeitgeist entsprechend immer wieder
umgesetzt werden könnten, würden sicherlich meinem Fokus entsprechen.
Gibt es ein Amt im ASP, das Sie gerne bekleiden würden?
Nein, nicht unbedingt. Ich habe die Schwerpunkte meiner Tätigkeiten auf andere Themen ausgerichtet und diese füllen mein
Leben neben meinen privaten und persönlichen Inhaltsbereichen vollumfänglich aus.
Wie sähe Ihre Wunsch-Situation im gegebenen politischen Umfeld für PsychotherapeutInnen aus?
Um mehr und überhaupt gehört zu werden,
wäre eine starke Lobby notwendig. Zu Lobbys habe ich jedoch ein sehr ambivalentes
Verhältnis – eine wirklich sachbezogene
Lobby wäre für unsere Situation sicherlich
wünschenswert. Leider wurde durch die
aufreibenden «Kämpfe» um Anerkennung
der unterschiedlichen Interessensvertreter
PRAXIS
der Stellenwert und somit der Bekanntheitsgrad der Psychotherapie vermindert,
da der Fokus nicht auf die wirkliche Sache
sondern auf die Wertung gelegt wurde. Dies
ist schade und wirkt sich bis heute aus. Ich
gebe jedoch nicht auf und wünsche mir weiterhin, dass jeder Mensch, ob gesund oder
krank, die Möglichkeit hat, einen psychotherapeutischen Entwicklungsprozess zu
durchlaufen, dies mit unterstützender Finanzierung der Krankenkassen.
Was wäre Ihre Vision in Ihrem beruflichen
Alltag?
Ich bin jetzt viele Jahre in meiner freiberuflichen Praxis als Einzelperson tätig. Lange
Jahre war ich auch in einer Gemeinschafts­
praxispraxis integriert und dies möchte ich
wieder mehr aktivieren und mich mehr
vernetzen. Heute habe ich eine Vision von
einer Institution, in der verschiedene interdisziplinäre Ausrichtungen aus therapeutischen, medizinischen, psychiatrischen,
heilerischen, sozialen und pflegerischen
Bereichen zusammen wirken und arbeiten,
so dass sich all dieses Wissen im Dienste der
Menschheit immer mehr zusammenfügen
kann.
Interview mit ASP-Mitglied
Ursula Walter
Was waren Ihre
Beweggründe, den
Beruf der Psychotherapeutin, des
Psychotherapeuten zu wählen?
Gibt es etwas, das Sie sich von Ihrem Verband ASP wünschen würden?
?
Persönliches Interesse und Erfahrungen als Lehrerin mit psychisch belasteten Kindern.
Ja. Schade, dass kein Status für altershalber
nicht mehr berufstätige Mitglieder geschaffen wurde – so bin ich seit Ende 2010 aus
dem ASP ausgetreten.
Was ist Ihr berufl. Hintergrund/Werdegang?
Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand
des ASP wären?
Nach der Matur Lehrerseminar, dann zwei
Jahre Lehrerin, dann Psychologiestudium an
der Uni Zürich, neun Jahre Schulpsychologin
(Teilzeit), gleichzeitig Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Psychotherapeutische Praxis für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Arbeiten Sie als selbständige Psychotherapeutin/selbständiger Psychotherapeut in
freier Praxis und/oder sind Sie zusätzlich
noch als delegierte/r TherapeutIn tätig?
1975- 2010 selbständige Psychotherapeutin
in freier Praxis. Keine delegierte PT.
Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur
Psychotherapie ausüben?
Nein
Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Im Ganzen:Ja.
Gibt es etwas, das sie sich anders wünschten?
Die öffentliche Anerkennung unserer Arbeit als Arbeit.
Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband ASP
vertreten und gewürdigt?
Die berufspolitische Arbeit zur Valorisierung von qualifizierter Psychotherapie in
der Öffentlichkeit, Zusammenarbeit mit Pro
Mente Sana und anderen Patientenorganisationen. Mitarbeit in der Charta. Weiterbildung in methodenübergreifenden Fragen.
Gibt es ein Amt im ASP, das Sie gerne bekleiden würden?
Nicht mehr
Wie sähe Ihre Wunsch-Situation im gegebenen politischen Umfeld für PsychotherapeutInnen aus?
Dass die Psychotherapie und damit die
PsychotherapeutInnen auch im neuen Psychologen-Berufe-Gesetz eine eigenständige
Stellung erhält, ist gut. Wichtig ist nun, dass
der ASP sich voll einbringen kann in den
Gremien, welche die konkreten Anforderungen an die Ausbildung und Berufsausübung bestimmen und überprüfen.
Was wäre Ihre Vision in Ihrem beruflichen
Alltag?
Mich im Ruhestand zurechtzufinden.
Angaben zur Person
Vorname, Name:
Wohnort:
Mitglied ASP seit:
Berufflich tätig als:
Ursula Walter
Basel
ca. 1980
Psychotherapeutin bis ende 2010, jetzt altershalber im Ruhestand
à jour 46
| 15
PRAXIS
Interview mit ASP-Mitglied
Ursula Genton Keller
Was waren Ihre
Beweggründe, den
Beruf der Psychotherapeutin, des
Psychotherapeuten zu wählen?
Und was ist Ihr
beruflicher Hintergrund/Werdegang?
Später folgte die zweijährige Ausbildung
zur Lehrtherapeutin am gleichen Institut.
Im Rahmen der Übergangsbestimmungen
habe ich psychotherapierelevante Fächer
im Ergänzungsstudium und am früheren
IAP Zürich absolviert. Neben zahlreichen
anderen Weiterbildungen absolvierte ich
ausserdem eine zweijährige Weiterbildung
in Traumatherapie bei Prof. Dr. med. Luise
Reddemann.
Bei meiner früheren Tätigkeit als Dipl. Sozialarbeiterin SSAZ in einer Jugend- und
Familienberatungsstelle und in Wiedereingliederungsprogrammen und vor allem später als therapeutische Mitarbeiterin in einer
Jugend- und Drogenberatungsstelle, war ich
immer wieder mit Problemstellungen konfrontiert, die mit Sozialarbeit allein nicht zu
lösen waren. Um verantwortungsvoll tieferliegende Ursachen behandeln zu können,
erschien mir eine psychotherapeutische
Ausbildung notwendig.
Arbeiten Sie als selbständige Psychotherapeutin/selbständiger Psychotherapeut in
freier Praxis und/oder sind Sie zusätzlich
noch als delegierte/r TherapeutIn tätig
Ich hatte bereits zwei Jahre Selbsterfahrungsgruppe nach Rogers und fünf Jahre
Psychoanalyse und psychoanalytische Weiterbildung gemacht. In der Arbeit mit SuchtpatientInnen habe ich jedoch erfahren, wie
wichtig es ist, auch den nicht sprachlichen
Raum, d.h. Körperwahrnehmung, Körperhaltung und Ausdruck mit einzubeziehen
und «Übersetzungshilfe» zu leisten. Ebenso auch in der Therapie mit Menschen, die
HIV-positiv sind oder an Aids leiden.
In den Anfängen meiner Praxistätigkeit
habe ich noch als Leiter-Stellvertreterin in
einer Jugend- und Drogenberatungsstelle
gearbeitet. Danach für einige Monate als
Bewegungstherapeutin in einer Psychiatrischen Klinik.
Die Integrative Bewegungs- und Leibtherapie an der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit (Fritz Perls Institut)
erwies sich deshalb als Ausbildung der Wahl.
Nach circa sechs Jahren habe ich sie im psychotherapeutischen Zweig abgeschlossen.
Ich arbeite selbständig in meiner Praxis in
Zürich und besitze seit 1999 die Praxisbewilligung.
Gibt es noch einen weiteren Beruf, eine weitere Beschäftigung, den/die Sie zusätzlich zur
Psychotherapie ausüben?
Als Lehrtherapeutin bin ich heute noch in
der Ausbildung für die Europäische Akademie für psychosoziale Gesundheit tätig.
Früher habe ich ferner während mehrerer
Jahre Seminare für den Gesamtverband für
Suchtkrankenhilfe (D) gegeben
Wenn ja, was sind hierfür die Beweggründe?
Die Seminartätigkeit ist eine gute Herausforderung, sich mit Theorie und Theorie-
Angaben zur Person
Vorname, Name:
Wohnort:
Mitglied ASP seit:
Berufflich tätig als:
16 |
à jour 46
Ursula Genton Keller
Zürich
1995
Psychotherapeutin SPV
Psychotherapie, Supervision, Lehranalyse
Praxisverschränkung auseinanderzusetzen.
Und natürlich ist es auch sehr befriedigend
und anregend, mit interessierten, meist jungen Menschen zu arbeiten. Man lernt selbst
auch viel bei dieser Tätigkeit.
Was ist Ihre Spezialität?
Schwerpunkte meiner Arbeit liegen in der
Therapie mit Menschen, die Suchtprobleme aller Art haben, Menschen mit psychosomatischen Problemen, Menschen die
von HIV und Aids bedroht sind, Menschen
in psychosozialen Belastungssituationen,
Menschen mit traumatischen Erfahrungen
wie Gewalt- und Kriegserfahrungen, sexuelle Übergriffe etc. In den letzten Jahren
kommen auch öfters ältere Menschen in
Lebenskrisen auf der Suche nach Bewältigung von früher Erlebten, das sich nicht
mehr verdrängen lässt und das sie immer
wieder lähmt. Oftmals sind psychosomatische Beschwerden der Anlass, aber auch der
Wunsch nach Neuorientierung, Zukunftsperspektiven für sich entwickeln, Ressourcen entdecken.
Fühlen Sie sich mit Ihrer beruflichen Situation zufrieden?
Die freiberufliche therapeutische Arbeit
kombiniert mit der Tätigkeit als Lehrtherapeutin hat mich immer sehr befriedigt.
Gibt es etwas, das Sie sich anders wünschten?
Ja! Entweder die Aufnahme der Psychotherapie in die obligatorische KrankenkassenGrundversicherung und/oder bessere Leistungen der Zusatzversicherungen.
Gibt etwas, das Sie sich von Ihrem Verband
ASP wünschen würden?
Ich würde mir einen noch wirksameren
Einsatz im berufspolitischen Feld, beispielsweise für PsychotherapeutInnen, die in freien Praxen tätig sind, wünschen. Das würde
u.a. Verhandlungen mit Krankenkassen
zwecks besserer Leistungen der Zusatzver-
PRAXIS
sicherung bedeuten (für Leiden mit Krankheitscharakter oder begrenzt auch zur Prophylaxe). Somit hätten auch Menschen, die
finanziell nicht gut gestellt sind, eher eine
freie Therapeutenwahl.
Ausserdem würde ich es sehr begrüssen,
wenn der ASP sich öfter und kontinuierlich in der Öffentlichkeit vernehmen lies­
se, beispielsweise zum Thema «wo und
wie wirkt Psychotherapie? Wie kann durch
Psychotherapie rechtzeitig stärkeres Leiden
mit schwerwiegenden Konsequenzen und
grösseren Kosten (Klinik etc.) vermieden
werden?». Ich habe immer wieder erlebt,
dass in der breiten Bevölkerung – durch alle
Schichten hindurch – ein recht nebulöses
Bild der Psychotherapie vorherrscht. Da
wäre Aufklärung sicher gut.
Spannend wäre auch eine Tagung zum Thema «Angst vor dem Fremden? Wie begegnen wir der/dem Fremden in der Schweiz?
Kennen wir die eigenen Werte? Oder warum ist ein fruchtbarer Dialog so schwer?
Was kann Psychotherapie beitragen?».
Oder: « Wie gehen wir und unsere KlientInnen mit Reizüberflutung um? Was ist das
bekömmliche Mass?».
Schön wäre es auch, wenn der ASP zu speziellen Themen (z.B. Hirnforschung) Kurzvorträge von Fachleuten oder Gesprächsrunden organisieren würde. Es muss ja nicht
einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, nur
ca drei Stunden.
Fühlen Sie sich in Ihrem Berufsverband ASP
vertreten und gewürdigt?
Im Grossen und Ganzen Ja. Weitere Wünsche siehe auch Frage 9.
Was wäre Ihr Fokus, wenn Sie im Vorstand
des ASP wären?
Siehe Antwort auf Frage 9.
anderer Institute war sehr interessant und
anregend. Jetzt überlasse ich gerne jüngeren
KollegInnen das Feld.
Gesundheitswesen als Teil einer interdisziplinären Behandlungsform voll anerkannt.
Ausserdem hätte eine Vereinheitlichung kantonaler Praxisbewilligungen stattgefunden.
Wie sähe Ihre Wunsch-Situation im gegebenen politischen Umfeld für PsychotherapeutInnen aus?
Was wäre Ihre Vision in Ihrem beruflichen
Alltag?
Der Konflikt mit dem FSP wäre beigelegt
und das Verhältnis zwischen den beiden
Verbänden von gegenseitigem Respekt geprägt. Man würde sich mehr auf die Aufgaben der Psychotherapie – zum Wohle der
KlientInnen konzentrieren.
Der Zugang zur Psychotherapieausbildung
wäre auch über bestimmte andere Studiengänge möglich. Psychotherapie wäre im
Meine Vision ist, dass in der Öffentlichkeit die psychischen und die somatischen
Leiden denselben Stellenwert bekommen.
Auch die neueren Erkenntnisse der Hirnforschung zeigen deutlich auf, dass das eine
vom anderen nicht zu trennen ist. Menschen mit psychischen Leiden würden so
weniger stigmatisiert.
AGAVA
Arbeitsgemeinschaft gegen die Ausnützung
von Abhängigkeiten
10. Schweizer transdisziplinäre Kongress- und Ateliertage
zur Überwindung von Gewalt und Machtmissbrauch
Freitag / Samstag, 27. / 28. Mai 2011
Haus der Kirche, Hirschengraben 50, 8001 Zürich
Zwischen Vertuschung und
Transparenz –
Prävention in Organisationen und Institutionen
Veranstaltet in Kooperation mit
Limita Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung
IST Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt des Kantons Zürich und
a+w Aus- und Weiterbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer
Für Fachpersonen
aus den Bereichen
– Psychotherapie und Medizin
– Justiz und Polizei
– Schulen und Kirchen
– Sozialarbeit und Heime
– Organisationen und Verbände
Gibt es ein Amt im ASP, das Sie gerne bekleiden würden?
Nein. Ich war viele Jahre als Vertreterin der
Europäischen Akademie in der Delegiertenkonferenz des ASP. Der Austausch mit
dem Vorstand des ASP und KollegInnen
Detailinformationen und Anmeldung
(bis 10. Mai 2011):
www.agava.ch oder [email protected]
à jour 46
| 17
PRAXIS
Wa(h)re Medizin - Heilkunst und Gesundheitsmarkt «
20 Jahre Psychotherapie PsyA®T am Spital Affoltern»
Eine Reportage von Theodor Itten
Diese vielfältige und erfolgreiche Tagung
mit mehr als 200 Teilnehmenden fand am
Samstag, den 6. November 2010 in der Aula
Ennetgraben in Affoltern am Albis statt.
Das Modell Affoltern bezeichnet eine
Menschheitsmedizin, wie es sie in der
Schweiz zurzeit nur einmal gibt. In diesem
Regional-Spital wird eine ganzheitliche
Betrachtungsweise auf Gesundheit und
ihrer Verborgenheit in der Krankheit gelegt. Die kranken Menschen werden dort
interdisziplinär betreut, immer schon mit
psycho- und kunstherapeutischen Interventionen begleitet, in einem Geist des
respektvollen Zusammen- und Miteinanderarbeitens. Die finanziellen Ressourcen
werden umsichtig eingesetzt, damit der
Leistungsauftrag der Zürcher Regierung
mit den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der regionalen Bevölkerung zur
Übereinstimmung kommt. «Unser Menschenbild, unser Verständnis von Kranksein und Leiden und unsere Einsicht in die
Unvollkommenheit unseres Wissens und
Handelns sind die Basis unserer Arbeit»,
steht es pointiert in der reichhaltigen und
schöngestalteten 40seitigen Broschüre
Modell Affoltern, welche zur Tagung publiziert wurde.
Als Präsident des ASP durfte ich eine
Grussbotschaft unseres Verbandes überbringen. Neben dem Feiern von spannenden
und lehrreichen 20 Jahren Psychotherapie
im Regionalspital, mit einem Versorgungsauftrag fürs Kronauer Amt mit über 70´000
Menschen, war die Tagung zusätzlich eine
Besinnung zur gelebten Menschenmedizin.
In Affoltern wird eine integrative und integere Heilkunst praktiziert und gelebt. Das
Innovative an diesem einmaligen Ansatz in
der Schweiz – ein Vorbild zum Nachahmen
– ist, dass die Praktizierenden darin den Patientinnen und Patienten kurativ und emanzipativ zur Seite stehen. Das Modell Affoltern steht in der Heilkunst-Tradition des
Äskulaps. Ich erinnerte die HörerInnen daran, wie sein Stab von zwei Schlangen umrankt war. Heute sehen wir bei den meisten
18 |
à jour 46
Apotheken und Spitälern (leider auch noch
in Affoltern) nur eine Schlange am Stab des
Heilers. Es ist nur die Sciencia, die Wissenschaft, welche hier geehrt wird. Das ist eine
heilmethodisch, strukturelle Verarmung.
In Wirklichkeit, seit Heilerinnen und Heiler aktiv wurden, braucht es immer schon
beide Schlangen, die Sciencia und Humanitas. Also das Wissen und die Weisheit des
Herzens, modern als Intuition ausgedrückt.
Im Modell Affoltern werden seit 20 Jahren
wieder beide Schlangen verbunden, die sich
im Hochranken am Stab überkreuzen und
so einander bereichern. Curare und emanzipiere. Wenn die im Spital Affoltern Tätigen
einen oder eine Leidende auf deren Haut
berühren, berühren sie immer auch schon
deren Seele. Dieses Bewusstsein der Einheit
von Körper, Seele und Geist gilt es weiterhin zu bedenken und zu pflegen.
Die Impulsreferate wurden jeweils musikalisch vom Pianisten André Desponds
interpretiert. Annina Hess-Cabalzar, Gründerin und Leiterin der PsyA®T und Christian Hess, Chefarzt Innere Medizin und Ärztlicher Leiter, gaben einen eindrücklichen
Überblick zu den 20 Jahren gelebter Neuorientierung im Gesundheitswesen Affoltern.
Was das für die weitere Gesundheitspolitik
der Menschenmedizin in der Schweiz bedeuten könnte, wurde mit dargestellt. Der
renommierte Herz-Gefäss-Chirurg, Prof.
Paul Vogt, Klinik im Park, Zürich, gab eine
ausserordentlich aufrüttelnde Präsentation
zur politischen Ökonomisierung der modernen technifizierten Medizin. Vieles, was
heute als Evidenz basierte Intervention gelobt wird, ist oft eine verborgene Taktik, um
an das Geld der andern Leute zu kommen.
Genau zu diesem Thema, den Analogien
zum Finanzmarkt und die einseitige Gewinnoptimierung versus nachhaltige Anlagen
zur Steigerung der Lebensqualität, machte
die Ökonomin, Antoinette Hunziker-Ebneter, zu ihrem Fokus. Diese Referate sind
über den Link zur freien Verfügung: http://
www.spitalaffoltern.ch/xml_1/internet/
de/application/d375/f378.cfm.
Vor dem Mittagessen und nach den erfahrungsbunten nachmittäglichen Arbeits-
gruppen, gab es, einer solchen Tagung entsprechend, Dialoge auf der Bühne. In der
ersten Runde vor dem Mittagessen wurde
mit den Vortragenden und der Leiterin
Pflege über das Thema: «Heilkunst und
Gesundheitsmarkt: Bedeutung für die zu
Behandelnden und die Behandlung» diskutiert. Fragen aus dem Publikum zur sozialen
und gesellschaftlichen Dimension des Modells Affoltern belebten den eher ins Nette
abgleitenden Dialog.
Die acht nachmittäglichen Workshops
wurden parallel durchgeführt und hatten
vor allem ein Ziel, nämlich die Veranschaulichung der praktische Umsetzung des
Modells Affoltern/Menschenmedizin im
Alltag. Die Gruppen wurden von psychotherapeutischen, pflegerischen, physiotherapeutischen und ärztlichen im Spital Tätigen moderiert. Vorgestellt und besprochen
wurden alle Bereiche des Spitals: Innere
Medizin, Chirurgie, Frauenklinik, MutterKind-Abteilung, Psychiatrie, Geriatrie, Palliative Care und die Führung des ganzen
Betriebes.
An der Podiumsdiskussion am Nachmittag ging es vor allem um die Aspekte
und Bedeutungen der Menschenmedizin
Heilkunst für Patientinnen und Patienten,
eine Gruppe der «KundInnen» im umworbenen Gesundheitsmarkt. Es diskutierten
gesundheitspolitisch kontrovers Werner
Bauer, internistischer Hausarzt und neu
Präsident Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung, Christine
Egerszegi-Obrist, Aargauer Vertreterin im
Ständerat, Christian Hess und Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung Schweizerische
Patientenorganisation, unter der kundigen
Leitung von Karin Frei, Redakteurin und
Moderatorin DRS 1. Wie so oft wurde eine
solche Debatte von der politischen Ökonomie des Gesundheitswesens dominiert. Die
politischen Fehler der Vergangenheit beeinflussen die gegenwärtige Versorgungspolitik
der Bevölkerung. Es ist ein Teufelskreis, in
dem alle Beteiligten gefangen sind. Die Berufstätigen im Gesundheitswesen, die Zulieferer-Firmen, die Krankenversicherer, die
Chemische Industrie, die Politik-Lobby, alle
PRAXIS
Burnout:
aus der Erschöpfung in die Kraft
sind betroffen von der Sucht nach Gewinnmaximierung in diesem Wachstumsmarkt
der Krankheit.
Es wurde kritisch darüber geredet, was
uns krank macht, wie und was an Faktoren
daran beteiligt sind und uns seit Jahrzehnten
ein immer grösseres und teureres Gesundheitswesen beschert, über welche gesellschaftspolitischen Arbeitsbedingungen des
Konsummarktes (inklusive Nahrungsmittel-Industrie und Medikamente) und über
die Heuchelei eines Grossteils der PolitikerInnen, die Sparen via neue Modelle proklamieren. Wieder einmal konnten alle Beteiligten an einer solchen Tagung merken, wie
komplex, verwoben, multifaktoriell und oft
undurchsichtig die Gesundheitspolitik und
-versorgung ist. Es gibt trotzdem die Alternative zwischen gelebter und verabreichter
Gesundheit. Und Tatsache ist, dass wir in
Affoltern die Wahl haben und das ist gut so.
Zum Abschluss, als die meisten TeilnehmerInnen schon wortsatt und sitzmüde
waren, plauderte der ehemalige «Spitalphilosoph», Wilhelm Schmid, aus seinem soeben erschienenen Buch: Die Liebe neu erfahren – Von der Lebenskunst im Umgang
mit Anderen. Er vergass leider das Motto:
less is more. Die finale Musik aus dem Flügel
war danach eine salutogenetische Erlösung.
Die ganzen Tagungsunterlagen können unter http://www.spitalaffoltern.ch/xml_1/
internet/de/application/d375/f376.cfm
eingesehen werden.
Annette Conzett: Mit grossem Interesse habe
ich Ihr Buch gelesen, Herr Dr. Ruch, und Sie
darum gebeten, uns einen kurzen Eindruck
darüber zu vermitteln, was Sie dazu bewogen hat, sich mit speziell diesem Kapitel der
psychotherapeutischen Praxis intensiver
auseinanderzusetzen, welche Erfahrungen
Sie damit gemacht haben, wie die Perspektive Ihrer Behandlungsart mit genau dieser
Symptomatik zu sehen ist, etc.
Sie sagen, dass es sich beim Burnout um
ein ‹energetisches Problem handelt, das
sich schleichend entwickelt› und Sie haben
zur Bewältigung dieser energetischen Krise
Übungen und Verhaltensangebote entwickelt und sie in Ihrem Buch hinterlegt, das
sowohl FachkollegInnen wie auch Betroffenen Einblicke in die Zusammenhänge wie
auch Ausblicke aus der Krise in eine neue,
bewusste Lebensweise verschafft.
Dr. Hanspeter Ruch: Als Psychologe
und Psychotherapeut mit langjähriger Berufserfahrung bin ich vor fünfzehn Jahren
erstmals auf das Burnout gestossen. Das,
was Betroffene mir damals berichtet haben, machte mich betroffen und hellhörig.
Um die Ursachen und Hintergründe, die in
die Erschöpfung führen, zu verstehen und
Wege aufzuzeigen, wie die Krise bewältigt
werden kann, begann ich mich mit diesem
Thema zu befassen und habe dazu auch ein
Buch geschrieben.
was mit ihrem Leben geschehen war und
weshalb die Bewältigung des Alltages
so schwierig war. Zusätzlich zu schaffen
machte ihnen, dass die Menschen um sie
herum ihre Not meistens nicht wahrnahmen. Häufig bekamen sie zu hören, dass sie
sich nur zusammennehmen müssten und
dann würde alles gut werden. Doch dem
war nicht so. Im Gegenteil. Je mehr sie sich
zusammennahmen, desto schwächer wurden sie und desto tiefer wurde die Krise.
Was aber fehlte diesen Menschen? Was
war mit ihrem Leben, das nicht mehr funktionierte, passiert? Was waren die Ursachen
ihrer Schwierigkeiten? Waren sie depressiv
und wollten sich dies nicht eingestehen?
Dies waren Fragen, die mich anleiteten. Um
mehr über das Phänomen Burnout in Erfahrung zu bringen, begann ich Fachbücher
zu lesen, fand in diesen jedoch keine Antworten, die mich befriedigten. Die meisten
Bücher waren zu theoretisch und für die
Betroffenen nur beschränkt hilfreich. Viele
orientierten sich an psychologischen Theorien, die das Burnout in seinem Wesen nicht
zu erfassen vermochten.
Alles begann damit, dass Klienten und
Klientinnen in meine Praxis kamen, die
zwischen vierzig und fünfzig Jahren alt
waren und beruflich wie auch privat viel
erreicht hatten. Sie klagten über Müdigkeit
und eine grosse Erschöpfung. Sie hatten
Symptome wie Unwohlsein, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Enge in der
Brust, Übelkeit und Verdauungsprobleme.
Viele litten unter Schlafstörungen. Sie waren häufig gereizt und reagierten auf Störungen ungehalten. Bei der Arbeit fiel es
ihnen schwer, sich zu konzentrieren und
die von ihnen geforderten Leistungen zu
erbringen. Sie konnten nicht verstehen,
à jour 46
| 19
PRAXIS
kann entstehen. Dadurch dass ich mich
mit dem Thema Lebensenergie befasste
und ergründete, wie diese aufgebaut und
stabilisiert werden kann, begann ich nicht
nur das Burnout mit anderen Augen zu sehen, sondern es öffneten sich neue Wege
der Therapie. Um Burnoutbetroffenen zu
helfen, die Krise zu bewältigen, zeigte ich
ihnen Übungen, die dazu dienen, das Entspannen und Loslassen zu lernen, Kraft
und Energie aufzubauen und die Verankerung im Leben zu festigen. Diese Übungen zeigten bei den meisten Klienten und
Klientinnen grosse Wirkung. Die Kräfte
kehrten zurück und die Erschöpfung liess
nach. Vom Erlebten gestärkt und mit neuem Selbstvertrauen, gelang es ihnen, das
Lebensgefüge wieder aufzubauen und den
Weg zurück ins Leben zu finden.
Die meisten Klienten und Klientinnen
führten ein aktives Leben und meisterten
den Alltag souverän. Da der Stress überhand nahm und ihnen die Zeit zum Erholen und Auftanken fehlte, begannen die
Kräfte zu schwinden. Ohne dies zu realisieren, gerieten sie in eine Erschöpfung, die
ein solches Ausmass annahm, dass ihr Lebensgefüge auseinanderbrach. Sie fühlten
sich schutzlos und dünnhäutig und waren
vom Leben überfordert. Beim Einkaufen
konnte es geschehen, dass sie plötzlich einen Schweissausbruch bekamen und den
Laden fluchtartig verlassen mussten. Am
Morgen auf dem Weg zur Arbeit erlebten
sie den Lärm und das Gedränge am Bahnhof derart intensiv und überwältigend,
dass sie rechtsumkehrt machten und nach
Hause gingen. Oder dann glaubten sie, da
sie sich gut fühlten, die Krise bewältigt zu
haben. Kaum, dass sie sich anstrengten
und eine Aufgabe in Angriff nahmen, fühlten sie sich entkräftet. Um sich zu erholen,
mussten sie sich hinsetzen und eine Pause
einlegen.
Je vertrauter ich mit dem Burnout wurde, desto klarer wurde mir, dass das Burnout primär ein energetisches Problem ist,
das sich schleichend entwickelt. Wird der
Energieverlust nicht gestoppt, vertieft sich
die Krise, eine Erschöpfungsdepression
20 |
à jour 46
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Psychotherapie bestand darin, dass sie ihr Leben vereinfachten, Unbewältigtes klärten
und sich mit ihren Mustern, Konzepten und
Glaubensätzen befassten. Burnoutbetroffene neigen dazu, sich mit hohen Erwartungen unter Druck zu setzen und Anerkennung und Wertschätzung durch Leistung zu
erlangen. Muster dieser Art gilt es aufzudecken und aufzulösen, denn sie kosten Kraft
und tragen massgeblich zum Entstehen des
Burnouts bei.
Das Bewältigen eines Burnouts ist ein
komplexer und anspruchvoller Prozess, der
Zeit und Geduld, aber auch eine Haltungsänderung erfordert. Strategien und Techniken, die darauf abzielen, möglichst schnell
wieder fit zu werden und optimal zu funktionieren, nützen wenig. Der Haltungsänderung kommt eine zentrale Bedeutung zu. Zu
dieser gehört, dass man während des Tages
regelmässig Pausen einlegt, das Entspannen
und Loslassen übt und die eigenen Ressourcen fördert. Darüber hinaus geht es darum,
die Prioritäten neu setzen und das Leben
so ausrichten, dass man trotz Stress, Sorgen
und Zeitdruck bei Kräften bleiben und den
Alltag meistern kann.
Annette Conzett: Haben Sie herzlichen
Dank für Ihren informativen Text! Der Kontakt mit Ihnen hat mich gefreut und sicher ist
es Ihnen gelungen, unsere Leserschaft neugierig auf Ihr Buch zu machen.
Biographie Dr. phil Heinrich Berbalk
Diplom-Psychologe Dr. phil Heinrich Berbalk,
Universitätsprofessor für Psychologie/Verhaltenstherapie an der Universität Hamburg, Mitglied der
Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein,
Approbationen als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Psychologischer Psychotherapeut – Verhaltenstherapie. Eigene Psychotherapeutische Praxis in Schleswig-Hostein und
Stations-Supervisor am Zentrum für Integrative
Psychiatrie und Psychotherapie der Universität
Kiel in der Psychiatrie, der Psychosomatik und
der Kinder- und Jugendlichen Psychiatrie und
Psychotherapie. Verhaltenstherapeut in Praxis
Lehre und Forschung seit 32 Jahren, angefangen
als Wissenschaftlicher Assistent an der Universität
Kiel, Tätigkeiten an verschiedenen Therapieeinrichtungen, Lehrstuhlvertretungen für Klinische
Professuren an den Universitäten Trier, Hamburg,
Kiel und schliesslich Berufung an die Universität
Hamburg auf Lebenszeit.
Publikationen in den Bereichen Psychosomatik,
Entspannung, Kindliches Einnässen, Stressbewältigung, Hypertonie, Gesundheitsförderung
und Schematherapie. Vorlesungen, Seminare
und Workshops zur Verhaltenstherapie seit 35
Jahren, Multimediale und Internetvorlesung zur
Allgemeinen Psychologie, seit 2005 über 100 Vorlesungen und Workshops zur Schematherapie im
In- und Ausland.
Email: [email protected]
PRAXIS
Interview mit Professor Berbalk:
Schematherapie
Zusammenfassung: Schilderung seines Weges in
die Psychologie bis zu seiner Professur in Hamburg und die Kognitive Verhaltenstherapie sowie
deren Weiterentwicklung zur Schematherapie
durch Jeffrey Young. Zu deren Verbreitung in den
deutschsprachigen Ländern hat Berbalk in den
letzten zehn Jahren entscheidend beigetragen.
Erweiterung der schemageleiteten zur persongeleiteten Verhaltenstherapie. Einführung einer
neuen Sichtweise: vom Patienten über den Klienten zur anvertrauten Person.
Schlüsselwörter: Schematherapie, Kognitive
Verhaltenstherapie, schemgeleitete Verhaltenstherapie, persongeleitete Verhaltenstherapie,
Patient vs. anvertraute Person, Integrative Psychotherapie.
Itten: Werter Professor Berbalk, wie war Ihr
eigener Weg in die Psychologie? Was hat Sie
damals vor 45 Jahren motiviert, Psychologie
zu studieren und Psychologe zu werden?
Berbalk: Nachdem ich als erster in der Familie Abitur gemacht hatte, war ich erst einmal
ratlos, was ich damit machen könnte. Eine
Freundin, die gerade Freud las, meinte,
ich müsse unbedingt Psychologie studieren. Ohne diesen Rat hätte ich mich lieber
handwerklich betätigt. Ich war geschickt im
Reparieren und «Frisieren» von Motoren,
im Malen und Anstreichen und im verlegen
von Heizungsrohren. Ich habe mir mit solchen Aktivitäten mein Studium verdient.
Itten: Heute gibt es ja 16 bis 20 verschiedene
Richtungen innerhalb der Psychologie, wie
Sportpsychologie, Wirtschaftspsychologie,
Sozi­al­psychologie, Entwicklungspsychologie etc. Was bewegte Sie. in die Richtung
der klinischen Psychologie zu gehen? In Ihrer
Universitätslaufbahn wurden Sie später Professor der klinischen Psychologie und Psychotherapie in Hamburg.
Im Studium an der Goethe-Universität
in Frankfurt waren meine Schwerpunkte
Wahrnehmungspsychologie, Allgemeine
Psychologie, besonders Lern- und Gedächtnispsychologie sowie Persönlichkeitspsychologie. Im Rahmen der Lern- und
Persönlichkeitspsychologie bin ich auf die
Anwendung in der Verhaltenstherapie hingewiesen worden. Die Verhaltenstherapie
entwickelte sich gerade in England, SüdAfrika und Amerika. Zu dieser Wissensberührung mit Klinischer Psychologie kam
eine praktische Selbsterfahrung: Nach einem kläglichen Versagen bei einem Referat
in einem grossen Hörsaal der Goethe-Universität war ich zu verzagt, die fehlenden
Pflichtreferate halten zu können. Statt allerdings aufzugeben, führte ich mit mir selbst
erfolgreich eine Verhaltenstherapie durch,
sodass ich mein Studium beenden konnte.
Da ich ja eine Selbsttherapie durchgeführt
hatte – Verhaltenstherapie gab es damals
in Deutschland noch nicht – war niemand
da, der mir hätte sagen können, dass das
Diplom als ausreichender Therapieerfolg
gewertet werden könnte. So habe ich nach
dem Examen auch noch promoviert und
bin Professor für Psychologie geworden, als
hätte es weiterer Beweise der Überwindung
meiner Schwächen bedurft.
Sind es diese persönlichen Erfahrungen, die
Sie damals bewogen haben, in das Berufsfeld der Psychotherapie hineinzugehen, um
schliesslich als Verhaltenstherapeut die Approbationen für Kinder- und Jugend- sowie
für Erwachsenenpsychotherapie zu erwerben?
Die persönlichen Erfahrungen haben dazu
beigetragen. Hinzu kam, dass Professor
Wegener von der Universität Kiel mir zutraute, die Verhaltenstherapie an seinem Institut einzuführen, nachdem dort Klientenzentrierte Psychotherapie und Spieltherapie
bereits etabliert waren. In der Heilpädagogik verankert war Wegener ein grosser Integrator von psychotherapeutischen Richtungen und förderte das Miteinander und
die Ergänzung aller therapeutischen Richtungen. Das war eine sehr schöne Zeit und
ich war sehr gerne bei Professor Wegener
Assistent. Es war stimulierend, mit den
vorhandenen klinischen Kolleginnen und
Kollegen zu kooperieren. Meine Aufgabengebiete waren sowohl Verhaltenstherapie
für Kinder, Jugendliche und deren Famili-
en und Verhaltenstherapie für Erwachsene.
Am liebsten hätte ich nur mit Kindern und
Familien gearbeitet. Es war eine meiner
schönsten Erfahrungen im Übergang von
Studium zur Berufsausübung, dass ich am
Projekt einer Kollegin mitarbeiten durfte,
bei dem «werdende Eltern» auf ihre Elternschaft vorbereitet wurden. Es ist über
die Berufsjahre und auch noch heute für
mich immer mit Schmerz erfüllt gewesen,
wenn sichtbar wurde, wie sehr Patientenleid
mit schädigenden Aufwuchsbedingungen
verknüpft war und bei früher Intervention
hätte verhindert werden können. Nach der
Promotion kam ich erst einmal als Lehrstuhlvertreter nach Trier, um dort Vorlesungen über Psychosomatik und Klinische
Psychologie zu geben und in Seminaren die
Praxis der Verhaltenstherapie zu vermitteln.
Bald darauf wurde ich nach Hamburg als
Universitätsprofessor für Psychologie auf
Lebenszeit berufen und sollte besonders die
Kognitive Therapie für Erwachsene vertreten. Im Laufe der Jahre habe ich tatsächlich
auch die ganze Breite der Angewandten und
der Allgemeinen Psychologie vertreten. Das
grösste Vergnügen an der Universität waren
für mich die Zusammenarbeit mit den Studierenden und die Möglichkeit, Forschung
mit praktischer Anwendung zu verbinden.
Sie haben seit Ihrer Studienzeit immer auf
beiden Seiten gearbeitet, als Psychotherapeut und als Lehrer der Psychologie, vor
allem der klinischen Psychologie. Ist das
vielleicht auch ein Grund, dass Sie viel für
die Schematherapie und ihre Verbreitung
in Deutschland gemacht haben? Können
Sie erzählen wie die Schematherapie nach
Deutschland kam?
Am Anfang stand der Bericht eines Studenten, der ein Praktikum bei Dr. Young, einem
Assistenten von Aaron Beck, gemacht hatte.
Das mag vor zwanzig Jahren gewesen sein.
Young hatte bis dahin einen Teil der Schemata zusammengetragen, die er bei schwierigen, schwer gestörten Patienten als früh
erworbene und auch im Erwachsenenalter
wirksame hinderliche Lebensthemen gefunà jour 46
| 21
PRAXIS
den hatte. Zusammen mit seinen Annahmen
zur Aufrechterhaltung dieser Schemata war
ich so vom Vortrag des Studenten angesprochen, dass ich die Arbeit von Young über die
Jahre verfolgte und in alle meine Klinischen
Überlegungen und Anwendungen einbezog.
Vor ca. 10 Jahren gab es die ersten persönlichen Kontakte, zunächst in Holland und
dann regelmässig in den USA. Seit den ersten Kontakten verbreitete ich die Theorie
und Praxis der Schematherapie nach Young
in Vorträgen, Vorlesungen und Workshops
in Deutschland, der Schweiz und in Österreich. Auf meine Einladung hin, hielt Young
seine erste Vorlesung über Schematherapie in Deutschland vor gut fünf Jahren an
der Universität Hamburg. Ich organisierte
dann grosse Workshops mit Jeffrey Young
in Frankfurt, Hamburg und München. Mit
ihm zusammen entwickelte und organisierte ich den international ersten Workshop für Schematherapie-Supervisoren in
Hamburg. Hilfreich für die Verbreitung der
Schematherapie war auch ein Interview,
das ich zusammen mit Dr. Kempkensteffen
von der Universität Hamburg mit Young in
Schweden aufgenommen und im deutschsprachigen Raum verbreitet hatte. Der Anlass für das Interview war das Erscheinen
seines Buches «Schema Therapy» im Jahre 2003. Davor hiess sein therapeutischer
Ansatz noch Schema-fokussierte Therapie.
Von diesem Zeitpunkt an organisierte ich in
Abstimmung mit Young ein Schematherapie
Curriculum mit nunmehr fünf Workshops
und führte dieses Curriculum in München,
Bad Dürkheim, Münster, Hamburg, Basel,
Freiburg, Berlin, Köln und in SchleswigHolstein, dem Ort des ersten Institutes für
Schematherapie in Deutschland, ein.
Sie spielten eine Rolle dabei, dass die beiden
Bücher von Young in die deutsche Sprache
übersetzt wurden. Wie ging das vor sich?
Ich hatte schon 2003 dem Verlag, in dessen
Verhaltenstherapiezeitschrift mein Schwedeninterview erschienen war, dringend
empfohlen, Youngs damals neues Buch zu
übersetzen und herauszugeben. Die haben aber die Bedeutung des Buches nicht
begriffen. Der jetzige Verlag schickte eine
Anfrage nach meiner Prognose und ich sagte sowohl für das Buch «Schematherapie»
als auch für das Buch «Erfinde Dein Leben
22 |
à jour 46
neu» grosse Verkaufserfolge voraus. Diese
Prognose hat sich mehr als bestätigt, auch
durch die vielfältigen Empfehlungen, die ich
in meinen unzähligen Vorträgen und Workshops ausgesprochen hatte.
Dann hat Ihr enger Kontakt zu Young der
Verbreitung der Schematherapie in deutschsprachigen Raum genützt und Ihr Engagement hat der Schematherapie und Young
bei der Verbreitung unermessliche Dienste
erwiesen.
In erster Linie galt mein leidenschaftliches
Engagement den fürsorglichen und befreienden Grundideen der Schematherapie.
Dabei war für mich die Zustimmung erfahrener Therapeutinnen und Therapeuten ganz
unterschiedlicher Herkunft eindrucksvoll.
Nach ca. zehn Jahren begeisterter Anstrengung für die Schematherapie haben dann
Personen aus dem Kreise derer, die ich
bezüglich der Schematherapie in Deutschland besonders berücksichtigt hatte, mein
Ansehen und die kollegiale Beziehung zu
Young untergraben. Bei der Gründung einer
Gruppierung der Schematherapeuten im
Dachverband Verhaltenstherapie wurde ich
sogar systematisch an den Rand gedrängt.
Die Theorie und die Anwendung der Schematherapie sind aber in meinen Gedanken
unverändert mit Heilung und Befreiung
verbunden, dominierende Personen in den
Organisationen habe ich allerdings als kalt
und berechnend kennenlernen müssen.
Im Herbst 2009 hat Evelyne Gottwalz-Itten,
meine Frau, Jeffrey Young für die DGVT
Hamburg das erste Mal für ein Seminar
eingeladen. Mir ist da aufgefallen, wie viele
Elemente der Gestalttherapie in der Schematherapie vorkommen. Die aktiven psychotherapeutischen Interventionen, also
Berührungen, erinnerten mich an die psychoanalytische Tradition von Sandor Ferenczi. Jeffrey Young ist einer der kognitiven
Verhaltenstherapeuten, der zugibt, wo und
was er von anderen Richtungen übernommen hat. Ist die Schematherapie lediglich
eine Modeerscheinung in der Psychotherapie oder eine eigene Methode, die sich seit 15
Jahren aus der KVT heraus entwickelt?
Geht man nach den Reaktionen in den
USA, so handelt es sich bei der Schmathera-
pie nicht einmal um eine Modeerscheinung
sondern eine gewisse Ausformulierung von
Beck's Konzeptionen zu Schemata und
Schema Modi. Young entwickelte eine Theorie zur Entstehung und Aufrechterhaltung
von früh im Leben erworbenen hinderlichen Schemata und kombiniert und integriert dabei Errungenschaften der Lehren
von den Abwehrmechanismen, der Individualpsychologie, der kognitiven Therapie,
der Verhaltenstherapie und der Stressverarbeitung. Der bindungstheoretische Ansatz
Bowlby's stellt sogar die wichtigste Basis
für Bedürfnisanalysen und Gestaltung der
therapeutischen Beziehung dar. Implizit
verwendet er klientenzentrierte und transaktionsanalytische Konzepte.
Panscherei von alten Weinen in neuem
Schlauch? Strukturell werden Einzelaspekte
integriert: frustrierte Kernbedürfnisse werden verbunden mit hinderlichen Schemata
als Gedächtnisstrukturen, die nicht nur kognitive sondern auch emotionale und somatische Aspekte umfassen.
Der Prozess der Anpassung an die Schemastruktur wird als dreifaltige Aufrechterhaltung und Stabilisierung über die sogenannte
Schemabewältigung beschrieben.
Therapie besteht aus Beziehungsgestaltung,
Erschliessen vergangener Erfahrungen und
deren «Gerinnung» in Schemata, Veränderung von Kognitionen, Zugang und
Bearbeiten von Gefühlen und Körperempfindungen – auch Gestalttherapeutische Interventionen, Änderung schemaerhaltender
Verhaltensgewohnheiten, Kompetenzerwerb und Erwerb von Selbstkontrolle sowie
Emotionaler Enthemmung und Befriedigung zentraler Bedürfnisse. Summierung
«evidenzbasierter» Einzelmethoden? Die
Wahl und die integrierte Abfolge der Interventionen wird geleitet durch eine SchemaFallkonzeption, die von Patient und Therapeut geteilt wird und eine neue Dynamik
der Schemaprozesse bewirken oder ermöglichen soll. Zum bisher erwähnten Schemaansatz kommt der sogenannte Modusansatz. Schematherapeuten berücksichtigen
den momentanen persönlichen Hintergrund oder Zustand, auf dem sich das Handeln, Denken und Fühlen eines Patienten
oder Therapeuten abspielen. Evolutionär
gegebene, in der Lebensbewältigung erlern-
PRAXIS
te und von bedeutenden Begleitpersonen in
der Entwicklung übernommene Zustände
oder Modi werden im Zusammenspiel beobachtet und Veränderungen der Ausprägungen und des Zusammenspiels werden
vermittelt. Heilung hinderlicher Schemata
und Integration der Modi sind die erklärten
Ziele der Schematherapie.
Sie schilderten schon Ihre berufliche Grundposition, die Verbindung zwischen Praxis
und Theorie aufrechtzuerhalten und lebten
das als Universitätsprofessor in Hamburg
vor. Jeffrey Young wurde aber von der akademischen Psychologie und von der akademischen Verhaltenspsychologie angefeindet.
Das ist Ihnen hier in Hamburg nicht passiert?
Young ist Psychotherapeut und nicht Wissenschaftler. Der Wissenschaftler unter
den Schematherapeuten ist der Holländer
Arntz. Er hat auch gezeigt, dass empirisch
die Schematherapie in Holland bei ambulant behandelten Borderline-Patienten
besser wirkt als übertragungs-fokussierte
Therapie. Das hat aber in Hamburg nicht
zur Ablehnung Young's geführt, auch wenn
die theoretische Fundierung seiner Ideen
durch psychologisches Basiswissen wünschenswert erschien. Die Suche Youngs
nach Verbesserung der Therapie für sonst
aussichtslose Patienten wurde mit Begeisterung aufgenommen. Anerkennung fanden
Youngs effektive Methoden des Zugangs
zu Schema relevanten Erfahrungen in der
Kindheit mit geleiteten Vorstellungen und
weitere «Erlebnis basierte» Methoden zur
Diagnose und Änderung dysfunktionaler
emotionaler Gesamtzustände – seine «Modusarbeit».
Ist die Schematherapie als Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie anzusehen oder geht sie in Richtung einer neuen Psychotherapie-Methode und oder gar
Psychotherapieschule?
Die Tatsache, dass sich die Internationale
Gesellschaft für Schematherapie ISST gegründet hat, weist darauf hin, dass man die
Schematherapie als eigenständig betrachtet.
Eine eigenständige Therapierichtung hat
ein breites Anwendungsspektrum, die Schematherapie ist in Holland und England als
effektiv nachgewiesen worden für ambulan-
te Borderline-Patienten. Gewisse Hinweise auf nützliche Anwendung bei anderen
Störungsbildern werden beschrieben. In
der Zukunft wahrscheinlicher als die Etablierung einer neuen Therapieform ist die
Berücksichtigung von Schemaprozessen in
anderen Therapierichtungen.
Schema-geleitete Verhaltenstherapie z.B.
gibt es bereits und wird von mir in Deutschland vertreten. Auch auf dem Wege zu einer
besseren Zuweisung von Patienten zu angemessener Behandlung und einem besseren
Verständnis anderer Störungsbilder über die
Borderline-Störung hinaus könnte die Schematherapie wesentlich beitragen. Wird nicht
an die Konkurrenz von Therapieformen,
sondern an die Person des Patienten gedacht,
könnte Schematherapie mit anderen Überlegungen zusammen eine Brücke bilden: Das
Ziel wäre, den Patienten eher nach seinen
Bedürfnissen und Barrieren mit für ihn individuell zusammengestellten Interventionen
zu behandeln. Das könnte dann auch eine
Patienten-geleitete Kooperation von Behandlern mit unterschiedlicher Therapieausrichtung ermöglichen.
In ihrem Vorwort zu Youngs Buch «Sein
Leben neu erfinden (Reinventing your
life)» (1996), ist mir aufgefallen, wie stark
die Schematherapie das Kurative und das
Emanzipative der Psychotherapie in sich
trägt. Können Sie das etwas erläutern?
Ich habe ein Säulenmodell der Schematherapie entwickelt, man könnte es auch Tempelmodell nennen. Auf einem festen Fundament, dem Symbol für die therapeutische
Beziehung, stehen sieben Säulen, die im Verlauf oder an bestimmten kritischen Punkten
in der Therapie notwendige und insgesamt
hinreichende Bedingungen für Heilung von
frustrierenden und schädigenden Erfahrungen und damit auch für Befreiung von Irrwegen der Lebensbewältigung darstellen.
Heilung und Befreiung gehören in diesem
Gesamtverständnis von Schematherapie zusammen, sind gleichbedeutend. Vielleicht
ist dabei von Interesse, dass ich die Schematherapie dennoch als symptomorientierte
Therapie betrachte. In der Schematherapie
werden in den dysfunktionalen Schemaprozessen gewissermassen Symptome höherer
Ordnung gezielt verändert. Das ist gut und
menschengerechter für Patienten und The-
rapeuten, beide sind motivierter und besser
versorgt. Ich habe in einer früheren Arbeit
auf die Unterscheidung zwischen «game»und «growth»-Therapien hingewiesen. Im
Wesentlichen lassen sich danach Therapieformen als an Symptomen oder an persönlichem Wachstum orientiert unterscheiden.
Ich bin sehr sicher, dass sich viele Therapeuten für Schematherapie nicht nur wegen der
anspruchsvolleren Symptom-Betrachtung
sondern gerade auch aus Wachstumsüberlegungen interessiert haben. Das gleiche
scheint mir für Patienten zuzutreffen: viele
möchten die von Young und Klosko eindrucksvoll beschriebenen Barrieren überwinden, andere möchten sich als Person
entwickeln. Nun kann man der Schematherapie entweder das Pozential für beides zubilligen und meinen, dass die Überwindung
und Heilung von hinderlichen Schemata
auch schon Wachstum darstellt. Ich selbst
habe die Haltung, dass Schematherapie auf
dem Wege zu Wachstum und persönlicher
Entwicklung hilfreich sein kann.
Wünschenswert ist es, dass wir über die
Schematherapie hinausgehen und Begriffe
wie Evidenz-basierte Therapie auch darauf
hin überprüfen, ob sie auch Evidenz für
persönliches Wachstum von Patient und
Therapeut mit beinhalten. Ich betrachte
die Förderung persönlichen Wachstums für
Rückfallprophylaxe und Prävention als unabdingbar.
Eine meiner Säulen für die Schematherapie ist die hinreichende Beachtung der
realen Lebensbedingungen. Sowohl für das,
was die Schematherapie mit der Änderung
und Heilung von hinderlichen Schemata gut
kann, als auch das Erkennen und Entwickeln
der Person sind mit den realen Lebensbedingungen fördernd oder beschränkend
verbunden. Einflussnahme auf die realen
Lebensbedingungen kann für Heilung und
Befreiung wie auch für Wachstum der Person entscheidender sein als eine Schematherapie oder eine sonstige Therapie.
Verhaltenstherapie, Kognitive Therapie, Gestalttherapie und Schematherapie können betrieben werden, wie ich als
Junge meine Werkzeuge zum Reparieren
(Heilung) verwendet hatte. Zum Frisieren
(Wachstum) gehören nicht nur Werkzeuge
zur Reparatur. Es braucht Veredelungswerkzeuge und dem zu veredelnden Gegenstand
à jour 46
| 23
PRAXIS
innewohnende Möglichkeiten. Soll Wachstum bei Patient und Therapeut begünstigt
werden, benötigen wir zusätzliches Rüstzeug aus einer Person-zentrierten Psychotherapie und damit Fähigkeiten, welche die
der Person gegebene Tendenz zur Selbstentwicklung anstossen.
Als Professor an der Universität Hamburg
haben Sie viele Generationen junger Psychologie-Studierender unterrichtet, die sich
durch Sie vom Fach haben faszinieren lassen.
Als praktischer Forscher haben Sie ausserhalb der Universität die Schematherapie mit
PatientInnen eingebracht. Diese Erfahrungen und das Wissen um die Resultate brachten Sie wieder in die akademische Lehre ein.
Können Sie hierzu noch mehr erzählen?
Das ist mein Glück im Leben, dass ich
dieses beides machen durfte. Störungsund Änderungswissen vermitteln auf der
Grundlage der Begegnung mit Menschen,
um die es in beidem geht. Mein Unterricht
war für meine Studierenden anregend und
überzeugend, weil er Wissen und Anwendungserfahrung verband. Im Übergang
von Grund- und Hauptstudium war es für
Studierende sicher interessant, von meinen
Arbeiten zur Stressimpfung zu erfahren. Sowohl für Sportler als auch für berufstätige
Frauen konnten wir zeigen, dass die Kombination von Entspannung mit Intervention auf emotional-kognitiver (Schema-)
Ebene die stärksten Auswirkungen auf
verbal-subjektiver und auf biochemischer
(Plasmacortisol und Immunabwehr) Ebene hatten. Ich hoffe, niemand hat vergessen,
zum Wohle des Patienten die Notwendigkeit von Interventionskombinationen zu
erwägen. Schematherapie kombiniert Methoden, allerdings ohne die Einzelwirkung
und die der Kombinationen zu kennen.
Das wäre Anlass zu Untersuchungen. Schematherapie dauert länger als die üblichen
Symp­tom zentrierten Interventionen. Ich
habe einige Studierende angehalten zu einem geprüften schrittweisen Vorgehen, für
Patienten nach Bedarf von eingegrenzter zu
zusammengesetzter oder ergänzter Intervention zu kommen. Das könnte in geplanter Weise für Patient und Therapeut Aufwand reduzieren. Es könnte wichtig sein,
Schemaprozesse mit kontingenten Körperreaktionen zu verbinden. Young verbindet
24 |
à jour 46
die Schemabewältigungsarten mit den Reaktionsalternativen auf Stress: Schemaerdulden mit «freeze», Schemavermeidung
mit «flight» und Schemaüberkompensation mit «fight».
Ich habe die im Tierexperiment gefundenen Herz-Kreislaufmuster bei Freeze,
Flight und Fight bei Patienten untersucht
und überzeugende Hinweise auf die Diagnostizierbarkeit der Schemabewältigungsarten für die basalen Schemata «Emotionale
Vernachlässigung, Im Stich gelassen, Misstrauen und Unvollkommenheit» gefunden.
Für Studierende liegt darin sicher Stoff für
die Verbindung von Grundlagenforschung
und Anwendungsforschung. Geradezu aufregend ist die Offenheit der Patienten selbst,
ihre Schemaprozesse mit ihren Körperreaktionen zu verbinden.
Sie kennen die fortschreitende Monopolisierung der Psychologie an deutschen Universitäten durch VertreterInnen der Neurowissenschaften. Die Vielfalt geht verloren. Das
bedeutet für mich, dass diese KollegInnen
die Psychologie, einschliesslich der Klinische
Psychologie, kolonialisieren wollen.
Auch wenn es skandalöse Beispiele von
Anfangserfolgen gibt, scheint sich das Blatt
bereits zu wenden. Verwechslungen von
eindrucksvoller Methodik mit Erkenntnisvermehrung wird weniger, sogar schon in
den Wissenschaftsmedien. Psychologie lebt
von und mit den Bezügen zu allen anderen
Fakultäten. Bestrebungen, die Klinische
Psychologie aus dem Kontext der gesamten
Psychologie zu nehmen, wäre allerdings so
schädlich wie die Dominanz der Bio-, Neuro- und Pharmakopsychologie.
Was? Dass sich die klinische Psychologie
um ihre eigenen Grundlagen kümmert und
Psychotherapie sich als eigenständige Wissenschaft weiterentwickelt? Die private Sigmund Freud Universität in Wien ist eine
Tatsache und dort kann Frau oder Mann
jetzt einen Bachelor, einen Master und ein
Doktorat in Psychotherapiewissenschaft
machen. Der Umweg über eine Sozial- oder
Humanwissenschaft, wie die Psychologie, ist
nicht mehr nötig. Was halten Sie davon?
Ich halte nichts davon. Ich habe viele Studierende kennen- und schätzen gelernt, die
ihre Leidenschaft erst im Laufe des Studiums entdeckt haben. Die Psychologie als
ganzes Fach ermöglicht dem einzelnen eine
sehr auf ihn zugeschnittene Berufsfindung.
Es läge weder im Interesse von Patienten,
noch im Interesse der angehenden Therapeuten, wenn ahnungslose Entscheidungen
zu Beginn des Studiums nicht auf eine natürliche Weise korrigiert werden könnten.
Hinzu kommt, dass man aus meiner Sicht
Psychotherapie gar nicht beliebig jung anfangen kann. Der Vorteil einer guten Vorbereitung an der Universität, mit dem Kennenlernen der ganzen Breite der Auffassungen
und Schulen, bewahrt die Studierenden vor
Indoktrination in einer Freud-, Adler-, Jung,
Wolpe-, Beck oder Young Universität und
ermöglicht ihnen eine informierte Wahl.
So wie Sie das jetzt schildern, wäre das ein
Rückschritt in den überwundenen Schulenstreit, unter dem unser Beruf bis in die
1980er Jahre gelitten hat. Wieder schwarz/
weiss zu denken, dass die eine Richtung
besser ist als die andere, wäre das nicht ein
Rückschritt?
Ja. Wenn Sie mich fragen würden, sind Sie
eigentlich ein Anhänger von Schematherapie, da würde ich sagen, ich habe einen
enormen Nutzen von der Schematherapie
in meiner therapeutischen Arbeit und auch
in der Ausbildung von Therapeuten gehabt.
Aber welchen berühmten Therapiegründer
oder Mitbegründer oder welchen Ansatz
ich wirklich liebe: Für die Beantwortung
dieser Frage verweise ich Sie auf mein
Buch, das Ende des Jahres im Springer Verlag erscheint. Mit Adler und Rogers, Wolpe und Bandura, aber auch mit Vertretern
konstruktiv-narrativer Ansätze, können Sie
rechnen. Die mir gegenwärtig am meisten
bedeuten erfahren Sie dann.
In meinem Buch erfahren Sie auch mehr
zu einer neuen Sicht der in Psychotherapie
zu betreuenden Menschen (sonst Klienten
oder Patienten), die unabhängig von einer
Psychotherapeutischen Richtung ist: Ich
bezeichne und beschreibe diesen Menschen
als «Die Anvertraute Person», die eine über
die Youngsche «Begrenzte Elterliche Fürsorge» hinaus weiterentwickelte therapeutische Beziehung impliziert.
PRAXIS
Schön, das freut mich, es klingt nach einer
integrierenden Richtung. In der Schematherapie hat sich Jeffrey Young Gedanken zum
Modus gemacht. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Schema und Modus?
Die Schematherapie ist jung und insofern
ist noch nicht alles so konsistent, wie es vielleicht in ein paar Jahren sein wird. Es wird
dann wahrscheinlich nicht mehr darüber
nachgedacht, weil es klarer konzipiert wird.
Ein hinderliches Schema ist eine Gedächtnisstruktur, die frühere Erfahrungen der Person
mit sich selbst oder anderen Menschen mit
kognitiven, emotionalen und somatischen
Aspekten repräsentiert. Zusammen mit der
nahezu unbegrenzten Zahl von orientierenden und förderlichen Schemata können sich
die Schemata gruppieren zu umfassenderen
Anteilen der Person. Den Begriff Anteil der
Person ergänze ich zu dem üblichen Vokabular der Schematherapie. Ein Anstoss, ein Aufruf oder eine Auslösung eines Schemas durch
eine passende innere oder äussere Gegebenheit führt zu einer Schema bezogenen Anpassung, einem Versuch, die Schemasituation zu
vermeiden oder zu einem Ankämpfen gegen
die Situation. Dieses Erdulden, Vermeiden
oder die Überkompensation sind mögliche
Schema-Reaktionen, die für die Person im
Vordergrund ihres Erlebens und Handelns
stehen. Analog zur Schema Reaktion befindet
sich die Person im Zustand eines spezifischen
Modus, wenn die aktuelle innere oder äussere Situation ein bestimmtes Schemamuster
oder Schemakombination angestossen hat.
Eine Schemareaktion ist die Antwort auf ein
aktiviertes Schema, ein Schemamodus ist die
Antwort auf die Aktivierung einer Kombination oder eines Clusters von Schemata bzw.
in meiner Terminologie die Antwort auf die
Aktivierung eines Anteils der Person.
Modi stellen den aktuellen Hintergrund
für das Erleben und Verhalten der Person
dar. Den Modi wird in der Schematherapie
eine zunehmend grössere Rolle zugeschrieben, was keineswegs immer berechtigt ist.
Günstig für die Therapie wirken sich oft die
Kombination der Arbeit mit Schemata und
die Arbeit mit Modi aus. In meiner Arbeit
mit Anteilen der Person und den zugehörigen Modi wird im Gegensatz zu gängigen
Vorgehensweisen in der Schematherapie
eine umfassende Sichtung aller wichtigen
Personanteile und Modi herausgestellt. Bedeutsam ist dabei auch die Symbolisierung
jedes Personanteils durch eine geeignete
Finger- oder Handpuppe. Mit dieser von mir
speziell entwickelten Methode geht die Modusarbeit weit über das Ziel der Schematherapie hinaus. Werden in der Schematherapie
Modi bekämpft oder gefördert, geht es in
meiner Arbeit um Erkennen von gegenwärtigen Mustern der Personanteile, deren Integration und darüber hinaus um Anstösse für
persönliche Weiterentwicklung und Wachstum der Person. Spezielle Techniken meines
Ansatzes ermöglichen den Bezug von Störungen zu den Personanteilen und damit die
kombinierte Veränderung von Störungsbild
und Zusammenspiel der Personanteile.
Sie haben sich intensiv mit Eltern- und Kinderschaft beschäftigt. Es ist dies der Lebensabschnitt unserer primären Geschichte, in
der sich die Schemata bilden. Schematherapie als Methode für Kinder- und JugendPsychotherapeutInnen? Geht das und wenn
ja, wie?
Vor ein paar Jahren habe ich auf einer internationalen Tagung der Schematherapeuten in Holland auf die paradoxe Situation
hingewiesen, dass sich die Schematherapie
mit der Entstehung tiefgreifender Störungen bei Erwachsenen beschäftigt, deren
Entstehungsbedingungen in Kindheit und
Jugend zu finden sind. Die naheliegende Anwendung von Schematherapie bei
Kindern und Jugendlichen gab es nicht.
Zusammen mit einem Hamburger Kollegen haben wir im vergangenen Jahr in
München mit einem Workshop zur Schematherapie bei Kindern und Jugendlichen
begonnen. Ich arbeite seit ca. zwei Jahren
mit Behandlungsteams für Kinder und Jugendliche zusammen und bin Fallsupervisor für sechs Behandlungsteams in einer
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -Psychotherapie. Insbesondere meine
schematherapeutische Arbeit mit Puppen
ist hilfreich. Die Behandlungsteams erarbeiten eine gemeinsam Sicht der Schemata und Personanteile eines Patienten und
prüfen die Angemessenheit bisheriger
Interventionen und verabreden verteilte
Betreuungsaufgaben für das Kind oder den
Jugendlichen, mit dem Ziel der angemessenen Versorgung bezüglich frustrierter
Kernbedürfnisse, Anleitung und Nacherziehung bei fehlender Anleitung und fehlenden Vorbildern und Förderung altersgemässer Person­anteile.
Mit Jugendlichen arbeite ich auch direkt mit dem Puppenansatz, insbesondere
zum Verstehen ihrer Person und ihrer Beeinträchtigung sowie zur Erarbeitung von
persönlichen Zielen und möglicher und gewünschter Kooperation mit dem Behandlungsteam. Schemata und Modi der Teammitglieder werden berücksichtigt und die
Ursprünge der Fehlentwicklungen zu Hause und in der Schule werden in Eltern- und
Schulberatungen erklärt. Wenn möglich
werden die Eltern zu heilsamem und förderlichem Verhalten angeleitet. Schematherapeutische Bedürfnisanalysen und Entwicklungsziele werden für Umplatzierungen in
andere Lebensumgebungen verwendet.
Erlauben Sie mir noch ein paar Fragen zu
Ihren Forschungen. Wir reden heute in unserem Feld von der evidenzbasierten Psychotherapie. Es gibt viel Laborforschung an den
Universitäten und es werden naturalistische
Forschungen betrieben. Eine Goldstandard
naturalistische Studie läuft momentan in
der Schweiz, die Praxisstudie ambulanter
Psychotherapie Schweiz (PAP-S) von der
Schweizer Charta für Psychotherapie. Was
für gegenwärtige Forschungsideen haben Sie
z.B. für die jüngere Generation?
Je länger ich therapeutisch arbeite und je
älter ich werde, umso mehr bemühe ich
mich, die Patienten genau zu verstehen.
Die Patienten schätzen natürlich das Bemühen, aber mehr noch das auch wirklich
verstanden werden. Wenn das der Fall ist,
eröffnet sich ihnen selbst und eröffnen sie
ihrem Therapeuten bedeutsamere für die
Therapie richtungweisende Erfahrungen.
Die Patienten werden immer unverwechselbarere Individuen und haben dann auch
die Chance, einen individuellen Weg der
Veränderung zu finden. Je einfacher die
Störung, je «Evidenz-basierter» und vorgefertigter darf auch der Behandlungsansatz sein. Je komplizierter, schwerer und
verankert in der Persönlichkeit des Patienten die Störung erscheint, umso individuellere Wege der Therapie sind gefragt.
Schematherapie eignet sich für die Behandlung einer schweren, komplizierten
à jour 46
| 25
PRAXIS
Störung: Borderline. Schematherapie erscheint erlernbar und hat eine Reihe von
Annahmen und Handlungsanweisungen für
Therapeuten. Dem gegenüber steht die Aufforderung an Therapeuten, extrem flexibel
zu sein. Darüber hinaus besteht die Erwartung, dass nur erfahrene Therapeuten Schematherapie lernen sollten und sie selbst
mit eigenen Schemaprozessen vertraut und
selbst auf einem guten Wege der Heilung
und der persönlichen Integration sind.
Die Art der beschriebenen Beobachtungen
und aufgeworfenen Fragen führt mich zu
dem Rat, vor intensiven Forschungsaktivitäten Fragen der angemessenen Forschungsmethoden zu klären. Vieles spricht dafür,
sich um kluge Einzelfallstudien zu bemühen, die so angelegt sind, dass ihre Ergebnisse in Teilen in Gruppen analysiert werden
können. Ich erwarte, dass Untersuchungen
mit Dyaden als Untersuchungseinheiten
besonders aufschlussreich sein werden, da
sich bedeutsame Therapien nicht ohne die
Beziehung zwischen Patient und Therapeut
beschreiben lassen. Innovative Ansätze, wie
zum Beispiel meine Methode der Anteils-/
Modusarbeit mit Puppen könnte zu neuen
Annahmen in der Schematherapie führen,
oder auch gänzlich neue Wege beschreiten
lassen.
Sie haben jetzt nach all den Jahren Forschung und Lehre an der Universität Hamburg und vorher in Kiel ein eigenes Therapie-Institut gegründet. Was ist dabei Ihre
Grundmotivation gewesen?
Ich habe vor einigen Jahren das erste deutsche Institut für Schematherapie gegründet
und vor zwei Jahren unter das Dach des Instituts für Person-geleitete Verhaltenstherapie gestellt. Am gleichen Ort betreibe ich
seit Jahren meine Verhaltenstherapie Praxis.
Diese Verbindung – eigene Praxis und daran
angegliedert ein Weiterbildungsinstitut war
immer mein Traum. In Eckernförde im Institut gebe ich Supervision und leite Selbsterfahrung. Eine Motivation war auch, in einer
guten Atmosphäre zu arbeiten. Das Institut
liegt in der Altstadt, 1 min Fischrestaurant,
5 min Italiener, 2 min Hafen und 5 min zum
Strand. Zu mir kommen Psychologen und
Ärzte, die sich für andere Menschen oft verausgaben. Bei mir sollen sie selbst geschätzt
26 |
à jour 46
und gut versorgt werden. Bei mir stehen die
Therapeuten an erster Stelle und die Patienten an «zweiterster» Stelle. Ich habe den
Eindruck, dass oftmals geplagte, geknickte
Therapeuten kommen, die gestärkt in ihre
Arbeit aber auch in das eigene Leben wieder zurückgehen. Das ist etwas, was diesem
Institut, glaub ich, anhaftet. Ich höre es immer wieder rundherum, dass die Teilnehmenden, wenn sie die Wahl haben, dort
oder dahin zu gehen in die Selbsterfahrung,
dass sie gerne zu mir kommen. Aufrichten
und Unterstützen, die eigene Entwicklung
von Therapeuten fördern ist wichtig in der
Weiterbildung. Patienten brauchen keine
depressiven Therapeuten.
Wir wissen von Lamberts et al. Metastudie,
dass 30% des Wirkungsfaktors die psychotherapeutische Beziehung und nur 15% die
angewandte Methode ist. 40% des Wirkfaktors ist eigentlich das, was Sie als Person
bezeichnen, der Lebenskontext, die Bildung,
die soziale Vernetzung, die Arbeitsstruktur
und die Überlebensmotivation in ihm oder
in ihr. Verdichtet ausgedrückt ist es die Heilkraft der Seele in uns als PatientInnen, die
stärker wirkt, als die gewählte Psychotherapie-Methode.
Und wir haben damit ein Stückchen Carl Rogers dabei. Das ist der, der glaubt an die nur
verschütteten Stärken im Menschen. Mechanismen zur Wiederherstellung wohnen der
ganzen Natur und auch dem Menschen inne.
Das ist ein durchgängiges Prinzip von Lebewesen. Ich bin selbst fasziniert davon bei meinen Patienten. Es gibt aber eben auch die Momente und Lebensabschnitte, in denen sich
ein Mensch eben nicht auf sich selbst stützen
kann, sondern wie ein kleines Kind an die
Hand genommen werden muss und der dort
die Unterstützung von aussen braucht. Carl
Rogers ist in meinem Denken eine wichtige
Person.
Young hat auch eine klientenzentrierte
Grundausbildung gehabt, aber er erwähnt es
nicht einmal. Ich glaube, dass die Basis der
Schematherapie, die Gestaltung der therapeutischen Beziehung nicht nur mit Bowlby's
Bindungstheorie verknüpft ist, sondern sehr
viel mehr auch das Denken von Carl Rogers
beinhaltet. Das Spezifische der Schematherapie kommt dazu: Meine Kenntnis der Schemaprozesse der Person lassen mich ein ein-
fühlender Therapeut sein, der bereit ist, die
Patienten entsprechend ihrer deprivierten
Kernbedürfnisse zu versorgen.
Wenn ich mich als erfahrener Psychotherapeut in eine Fortbildung in Schematherapie
begebe, habe ich die frische Möglichkeit,
mich als Person noch einmal von einer andern Seite anzuschauen, mit den Schemata
und Modi, die ich habe, welche allenfalls
eine Blockade oder Lebendigkeit in mir binden können und ich als Gegenübertragung
in der Psychotherapie einbringe.
Der Therapeut hat und macht dann Probleme in der Therapie, wenn sein Erleben und
Verhalten unbemerkt durch Schemaauslösungen gesteuert wird. Unbemerkte Wechsel in dysfunktionale Schemamodi verhindern die angemessene Beantwortung von
Patientenverhalten.
Also die Produktion von Problematiken in
der Psychotherapie, die von mir als Psychotherapeut aus kommen und nicht von Hilfesuchenden?
Unsere eigenen Schemata lassen ein eigentlich nachvollziehbares Verhalten als Abwertung oder Angriff werten, das unbemerkte
Kippen in einen verletzten oder verärgerten
Zustand ermöglicht die Neigung, den Patienten für Hindernisse verantwortlich zu machen
und eventuell sogar zu bestrafen. Der bedürftige Borderline-Patient kann zum Beispiel als
manipulativ überfordernd und undankbar
erscheinen. In verärgerten oder ablehnenden
und strafenden Zuständen als Antwort kann
der Therapeut übersehen, dass er den Patienten für seine tatsächliche Situation der unzureichenden Versorgung bestraft.
Und es gibt einen zweiten Hintergrund:
ob jemand Gewinn haben kann aus einer
Therapie lässt sich allein aus dem Geschehen in der Therapie ohne die Berücksichtigung der Umgebung, in der er lebt, mit den
realen Umständen, mit denen er sich rumzuschlagen hat nicht sagen. Ich weiss z.B. von
meiner Frau, die als Suchttherapeutin arbeitet, unter welchen lähmenden, aussichtslosen und zerstörerischen Lebensumständen
die Patienten oft schon ihr ganzes Leben
verbringen mussten und oder immer noch
leben. In solchen Fällen werden hinderliche
Schemata und dysfunktionale Zustände der
PRAXIS
Patienten durch Realität aufrechterhalten
und sind keineswegs, zumindest nicht ausschliesslich Ergebis hinderlicher Gedächtnisstrukturen in der Person. Für so betroffene Patienten braucht es noch mehr die
Verbindung von Sozialarbeiter und Psychotherapeut, das gehört zusammen.
An dieser Stelle fehlt es in der Psychotherapie und damit auch in der Schematherapie
an ökopsychologischen Überlegungen und
Handlungsmöglichkeiten. Viele Therapien
und besonders solche, die auf die innere Veränderung abzielen wie die Schematherapie,
laufen ohne diese ökopsychologische Seite
Gefahr, den Patienten zu überfordern und
ihn letztlich dafür verantwortlich zu machen
und ihn damit im Stich zu lassen. Wir haben
da noch viel zu tun. Von Amerika können wir
hier allerdings nicht lernen. In Deutschland
sind wir z.B. was die Berücksichtigung der
realen Lebenswelt der Patienten angeht, weit
und uneinholbar voraus. Was noch fehlt ist
die noch stärkere Integration in die Psychotherapie. Ich kenne genügend Schicksale, bei
denen positive Beeinflussung der realen Lebensbedingungen die bessere Psychotherapie ist, aus der heraus sich oft in erstaunlicher
Weise Selbstheilungskräfte entwickeln.
Werter Professor Berbalk, ich bedanke mich
für das Gespräch.
Einschlägige Publikationen:
Berbalk, H. & H ahn, K.-D. (1980). Lebensstil,
psychisch-somatische Anpassung und klinischpsychologische Intervention. In Baumann, U., Berbalk H. & Berbalk, H. & Kempkensteffen, J. (2000).
Die Bedeutung des «Momentanen Personalen
Gesamtzustandes» für die Arbeit in der Depressionstherapie. Psychotherapeuten Forum: Praxis und
Wissenschaft, Nr. 3. Berbalk, H. & Kempkensteffen, J.
(2005). Cardiovascular reactions as parts of schema processes. Vortrag auf dem Symposion Schematherapie anlässlich des 35. Jährlichen Kongresses der
EABCT in Thessaloniki, Griechenland.
Berbalk, H. & Young, J.E. (2009). Schematherapie. In
Margraf, Schneider (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Bd. 1. New York: Springer.
Berbalk, H. (2011). Schematherapie. In Margraf,
Schneider (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie.
Bd. 4 Materialien New York: Springer.
ALS – eine Fortsetzung der MS?
Dr. phil Jaron Bendkower
Seit ich mein Buch zur MS [1] veröffentlichte, wurde ich auch mehrmals zum Thema
ALS gefragt. Je länger, umso mehr, erschien
mir die Beschäftigung mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) eine Fortsetzung des
Themas MS. Aber eigentlich geht es nicht
um diese beiden Bilder, sondern um den
generellen Umgang mit vielen chronischen
Krankheiten. Nicht etwa geht es um den
psychischen Anteil bei deren Entstehung.
Den gibt es zweifellos. Wichtiger aber ist
in unserem Zusammenhang der psychische
Anteil beim therapeutischen Umgang mit
ihnen. Und da wird es sofort wieder leichter ums Herz, denn da gibt es viel Gutes zu
machen.
Im folgenden Artikel stelle ich exemplarisch Morrie vor [2]. Dies ist auf den ersten
Blick kein erhebendes Beispiel, denn Morrie ist tot. Er starb an seiner ALS. Viele von
uns kennen diese Krankheit von Stephen
Hawking her. Hawking doziert und schreibt
Bücher, stieg kürzlich kurz in die Schwerelosigkeit hinaus, lebt also noch intensiv; nach
Jahrzehnten ALS. Bewegen aber kann er sich
schon lange nicht mehr, und sich verständlich machen nur noch über einen Apparat.
Sein Körper ging rasch ein. Seine Muskeln
sind mittlerweile völlig erschlafft. Manche
Symptome der ALS (incl. dem Spasmus)
decken sich mit denen der MS. ALS führt
in der Regel in drei bis fünf Jahren zum Tod.
Die MS hingegen ist nur selten tödlich. Es erstaunt wenig, dass manche ASL-er die MSler um ihre Krankheit beneiden. Ebensowenig erstaunt, dass die MS homöopathisch ab
und zu mit dem «Wilden Jasmin» behandelt wird. Mit jenem Heilmittel, mit dem
Indianer, unverdünnt als Gift verabreicht,
das Gottesurteil vollzogen. Das Gift nannten
sie «gläserner Sarg». Der Verurteilte war sehenden Auges und bei klarem Verstand zur
völligen Bewegungsunfähigkeit verdammt.
Er musste bei vollem Bewusstsein seinen
1 Jaron Bendkower, 2010: Mit Multipler Sklerose
mitten im Leben. Heidelberg
2 Mitch Albom, 2002 (1997): Dienstags bei Morrie.
München
eigenen Tod miterleben. Zwischen ALS und
einer solcherart wildgewordenen MS ist der
Unterschied nur graduell. Morrie starb übrigens sehenden Auges an seiner ALS. Es fällt
nicht leicht, sich von dieser Dramatik nicht
berühren zu lassen und doch hilfreich zu
bleiben; genau darum aber geht es hier: es
geht wirklich!
Morries Beispiel ist für uns lehrreich.
Vielleicht darum, weil Morrie ein aussergewöhnlicher Mensch war, gütig und weise.
Das reicht aber leider nicht aus. Güte und
Weisheit hat noch nie jemanden vor dem
Sterben bewahrt. Oder ist Morris ein Beispiel dafür, wie man «gut sterben» könne?
Vielleicht. Vormals war er in Boston Professor für Soziologie. Ein früherer Student von
ihm, Mitch Albom, besuchte ihn, als er von
Morries Erkrankung erfuhr. Jeden Dienstag fuhr er hin. Viele ehemalige Studenten,
Freunde und Kollegen besuchten Morrie.
Zu seinen ehemaligen Studenten gehörten
manche Anführer der US-amerikanischen
68er-Studentenbewegung. Seine Weisheiten stammten aus vielen Quellen. Von der
Kultur her war er jüdisch, er schöpfte aber
aus vielen Traditionen. Auch der Buddhismus war ihm nah.
Einer seiner ehemaligen Studenten war
besagter Mitch. Als Morrie starb, hatte er
seit zwei Jahren ALS und die 70 schon überschritten. Wir hätten ihm dennoch ein schöneres Ende gewünscht. An den Dienstagen,
von denen Mitch berichtet, sprach Morrie
eindrücklich über die Bedeutung der Familie, über die Liebe. Auch wusste er: Wer
zuvor nicht tief empfunden hatte, könne
nicht loslassen. Wer nicht richtig gelebt hatte, könne auch nicht gut sterben. Er konnte
es. Jeder Leser ist von so viel aus Lebenserfahrung geschöpfter Weisheit ergriffen. Ich
natürlich auch. Im Verlauf der Lektüre aber
wurde ich zunächst einmal skeptisch. Den
Grund versuchte ich bald zu ergründen.
Warum wurde ein derart gefühlvoller,
weiser Mann so krank? War seine Krankheit
eine wirre Laune der Natur? Ein Zufall? Lag
ihr eine erbliche Belastung zugrunde? Diese
Fragen stellen sich fast alle chronisch Kranken. Auffällig ist: Morrie ging dieser Frage
nie nach. Im Gegenteil: Er betrachtet seine
Erkrankung mit dem, was er klares «Beà jour 46
| 27
PRAXIS
wusstsein» der Realität nannte. Die Realität
aber ist lediglich etwas vermeintlich Absolutes. Sie gilt nur situativ, flackert momentan auf – und erlischt wieder. Vieles, das
real scheint, ist gar nicht wirklich wahr. Und
manches, das wahr ist, ist nicht real. Morrie
wusste wohl darum. Seine ALS aber war für
ihn unbedingt real. Klar! Einerseits war sie
es tatsächlich. Andererseits aber nicht. Morrie aber nahm von Anfang an sein vermeintliches Schicksal an – ohne Wut oder Empörung. Aber auch ohne Hoffnung. Oder
handelt es sich dabei um eine weise Gelassenheit? Ihm jedenfalls schien alles klar. Als
gäbe es nur einen Weg, mit Krankheit und
Alter umzugehen. Ist aber das Anerkennen
der Realität stets ein Zeichen geistiger Gesundheit? Er wusste, wie diese Krankheit
normalerweise verläuft. Ergebenheit wäre
auch ein Ausdruck für die Haltung, mit der
er ihr begegnete, Defaitismus ein weiterer.
Dass die Anerkennung der vermeintlichen
Realität für eine Normalität unabdingbar ist,
ist bekannt, dass dies fliessend in Depression übergehen kann, wissen Psychotherapeuten zur Genüge. Sie wissen nicht nur um
die Bedeutung der Realitätswahrnehmung,
sondern auch darum, dass ein «zuviel an
Normalität» ungesund machen kann. Die
Verleugnung der Realität hat aber auch ihr
Gutes. Ohne diese partielle Verleugnung
können viele weder hoffen, noch versuchen,
ihr Trauma oder ihre Krankheit zu bewältigen. Es ist bekannt, dass die «gute» Haltung zwar nicht die Krankheit heilen, wohl
aber den Umgang mit ihr erleichtern kann.
So sehr, dass in manchen Fällen sogar die
Symptome schwinden. Diesen Weg aber
versuchte Morrie nicht einmal. Warum?
Die Anerkennung der Realität geht oft
mit einem stillschweigenden Einverständnis
mit einer emotional als furchtbar erlebten
Normalität einher. Mir jedenfalls kamen bei
Morries Auffassung viele Traumatisierte in
den Sinn. Auch aus der Erfahrung mit vielen
meiner MS-Klienten wusste ich, dass hinter
mancher MS-Biographie eine Traumatisierung steckt, die nicht wahrgenommen werden darf und sich später organisch äussert.
Auch manche Krebskranken leugneten deren eigene vergangene oder aktuelle emotionale Realität – ohne sonst psychisch auffällig zu sein. Dafür aber sind sie körperlich
krank. War etwas derartiges möglicherweise
auch bei Morrie der Fall?
28 |
à jour 46
Hier nähern wir uns einem Paradox, das
uns nicht nur bei der MS resp. ALS, sondern
bei vielen anderen Zivilisationskrankheiten begegnet: Wer der normalen Realität
«widerspricht», gilt oft als geisteskrank,
wer aber als chronisch Erkrankter der Normalität folgt, kann nicht mehr aus eigener
Kraft genesen. Er delegiert seine Heilung
an Experten. Jede Genesung aber bedarf der
aktiven Mitarbeit am Heilungsgeschehen.
Ohne sie gibt es keine Selbstheilung. Genau
darum geht es oft bei der Psychotherapie
aller chronischen Krankheiten. Den Kranken dabei helfen, ihre Selbstheilungskräfte
zu aktivieren. Man kann sich zwar in die
Hände der Experten begeben, die einen kurieren sollen – mit der Selbstheilung ist es
dann aber vorbei. Viele Bewegungs-Kranke
stecken in diesem Dilemma. Sie versuchen
in ihrem gläsernen Sarg wenigstens ihren
Verstand zu retten – und bleiben darum
körperlich krank.
Jedenfalls begab sich der sonst so kritische Morrie widerspruchslos in die Hände
der Fachleute; ohne eine Zweitmeinung
einzuholen und ohne alternative Heilmethoden zu suchen. Als ginge er mit seinem
Schicksal, das ihn geradewegs in den Tod
führen müsste, einig. Warum nur tat er dies?
Als sich Mitch die Frage stellte, warum
wohl Morrie einen Narren an ihm gefressen habe, wurde ihm etwas klar: weil Mitch
heute noch so war, wie es Morrie als Kind
gewesen war: Morries Gefühle waren, als
er noch ein Kind war, keineswegs gefragt.
Selbst über den Tod seiner geliebten Mutter
durfte er zuhause nicht sprechen. Einsam,
gezwungenermassen sprachlos, ohne Liebe,
war damals seine Welt. Morrie wusste, wovon er später sprach: er hatte die Bedeutung
der Gefühle und der Liebe erfahren – ohne
sie leben zu können. Das Wissen um deren
Bedeutung aber gab er später weiter. Real
aber wurde er früh zum Opfer von Egozentrismus und Egoismus. Und die Folge? Er
konnte keine gute «Liebe zu sich selbst»
entwickeln. Sein körperliches Unbewusstsein wusste nur um die Pervertierung der
Liebe. Morrie hatte nie gelernt, sich auf eine
gute Art selber zu lieben.
Ich vermute darin einen wichtigen
Grund seiner ALS. Dieser Grund ist keineswegs zwingend, aber sehr wahrscheinlich.
Die mangelnde Selbstliebe steht nämlich
meiner Erfahrung nach am Anfang von
manchen anderen chronischer Krankheiten. Ohne Selbstliebe ist auch keine Selbstheilung möglich. Auch die wenigen anderen
ALS-ler, von denen ich Genaueres weiss,
liebten sich nicht. Manche liebten ihren
Geist, ihre Unabhängigkeit im Denken.
Genauso hielt es Morrie. Den Preis, den sie
dafür zahlten, erkannten sie nicht. Ohne
Selbstliebe wurde selbst der Selbstschutz
selbstzerstörerisch. Nichts anderes findet
bei den Autoimmunerkrankungn des Types
ALS und MS statt. Rheuma und ähnliches
gehört auch dazu. Was aber steckt hinter
der mangelnden Selbstliebe? Meine Erfahrungen mit MS-lern, mich einbeschlossen,
sagt mir: Fast alle haben das Ausbleiben der
Liebe erlebt, durften dies aber nicht wahrhaben. Sie wendeten also die unsagbare Enttäuschung an ihren Lieben gegen sich selbst.
Statt darüber zu trauern, opfern sie sich und
greifen unbewusst sich selber an.
Ein weiteres Beispiel
Einer der mir bekannten Menschen, die
erst kürzlich nach kurzer Krankheit an ihrer
ALS verstarben, war ein reputierter Historiker, Professor, Querdenker. Sein Name:
Tony Judt. Er war Jude und Antizionist, ein
ehemals glühender Verehrer des jüdischen
Staates, Freiwilliger in einem seiner Kriege
und später einer seiner scharfsinnigsten Kritiker. Er war Israel sehr zugetan. Umso mehr
muss ihn seine eigene Kritik geschmerzt
haben. Das aber drückte er nicht aus. Er
blieb m.E. auf seinem Schmerz sitzen. Wer
so scharf kritisiert und die Liebe geliebter
Anderer riskiert, ohne sich selber zu lieben,
wird krank. Judt bekam zuerst Krebs. Aber
das reichte nicht. Davon genesen, bekam er
ALS. Eines von Judts grössten Vorbilder war
Arthur Koestler. Koestlers grosse Liebe war
der Kommunismus. Als einer der ersten Intellektuellen wandte er sich, nach schmerzlichen Erfahrungen, enttäuscht von ihr ab. Er
wurde zu einer ihrer grössten Kritiker. Später brachte er sich, gemeinsam mit seiner
Frau, um. Judt, ebenfalls ein «enttäuschter
Liebhaber», bereitete seinem Leben erst
durch seine ALS ein definitives Ende. Schon
die MS ist m.E oft ein Selbstmord auf Raten
– die ALS vermutlich erst recht. Es hat den
Anschein, als ob bei einer Disposition zur
Autoaggression, scharfe Kritik zu äussern,
tödlich für einen selbst enden kann: Wenn
PRAXIS
keine Selbstliebe korrigierend wirkt. Ebendrum ist ein erlittener Liebesverrat für manche zumindest depressionsfördernd. Das ist
zwar eine unschöne Botschaft, gleichzeitig
aber ist damit der Rahmen eines entsprechenden Therapie-Programms abgesteckt.
Das Dilemma mit der Individuation
Bei einer vorliegenden autoaggressiven
Tendenz führen manche unverstandene Bewegungen in Richtung Autonomie zu einer
(Selbst-)Bestrafung. Sie führt manchmal zu
einem realen Ausschluss. Wer das als «ist ja
nur psychisch» missversteht, weiss nichts
vom Umschlag von Psychischem (über eine
selfullfilling prophecy) zu einer materiellen
Realität. Dies haben auch Judt und Koestler erfahren. Boszormenyi-Nagy berichtete
auch darüber. Die offizielle Psychoanalyse
wollte von ihm nichts mehr wissen, von
Judts Thesen das offizielle Israel nichts, bei
Koestler war es das offizielle Moskau. Aber
nicht nur das offizielle Moskau oder Israel
oder die klassische Psychoanalyse sahen
nicht vor, dass es ein reales Problem werden könnte, zugleich eigenständig, kritisch
und zugehörig zu sein. Alle drei verloren
ihre Liebe und konnten sie nicht für sich
gewinnen. Manche, die an der Autonomie
schnupperten – und Morrie war sicher einer
von ihnen – setzen sich dem Dilemma von
Selbstliebe vs. Liebesverlust aus. Das Drama
vieler MS- und ALS-ler ist aus genau diesem
Stoff gewoben, ihr Schicksal ist dabei so tragisch, wie trivial: es besteht im Liebesverlust, der als solcher nicht wahrgenommen
werden kann. Manche MS/ALS bricht dann
aus, wenn sich diese Erfahrung wiederholt.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma besteht vordergründig im Verzicht auf die
ganze Liebe. Ein wesentlicher Teil von ihr,
die Selbstliebe, bleibt dann auf der Strecke.
Den verbliebenen Rest richten sie voll auf
«die Anderen». In Form von Verständnis,
Mitgefühl und Empathie. So auch tat es der
liebenswerte Morrie – und vernachlässige
dabei die Liebe zu sich selbst.
Als Mitch Morrie fragte, was er denn aus
heutiger Sicht anders machen würde, gab
Morrie, der grosse Vermittler, zur Antwort:
Ich hätte gerne mehr von meinen eigenen
Gedanken veröffentlicht. Von Morrie gibt
es fast keine Schriften. Der liebenswerte
Morrie hatte sich selber zu wenig Raum
genommen. Meiner Erfahrung nach laufen
manche Empathiker Gefahr, sich selber zu
«vergessen». Auf die zu Skrupulösen trifft
das ebenfalls zu. Zu den Skrupulösen gehören meiner Erfahrung nach viele MS-ler,
aber auch manche Psychotherapeuten. Direkt krankheitsverursachend ist das nur in
den selteneren Fällen.
Manche Psychotherapeuten stossen sich
gleichwohl an der vorhin vorgebrachten These. Sie befürchten, dass bei mehr Selbstliebe
ihrerseits die verlorenen Machtkämpfe auf
dem Gesundheitsmarkt wieder aufflammen
könnten. Bekannt ist, dass manche von ihnen darauf verzichten, offensiv und selbstbewusst aufzutreten. Auch dieses gehört
ebenso zur Selbstliebe, wie das Stellen wichtiger Forderungen. Diese dürften selbst dann
vertreten werden, wenn dadurch jemand
psychisch «verletzt» würde. Ihr friedfertiges Selbstbild aber verhindert dies – sehr zu
ihrem Nachteil. Wer allzu friedfertig auftritt,
wird eben meist ausgeschlossen und darf
nicht nach verlorener Schlacht, seine Würde
behalten. Sowohl PsychotherapeutInnen als
auch die MS/ALS-ler haben, siehe Morrie,
schon früher ihre Selbstliebe eingebüsst und
darum wichtige Schlachten verloren. Das Dilemma für sich einzutreten und damit genau
die Liebe jener Mächtigen zu gefährden, von
denen man sich abhängig wähnt, ist den MSlern wohlbekannt. Auch Morrie war dieses
Thema biographisch vertraut.
Was also können wir von Morris Beispiel lernen? Als ich Mitch Buch las, war
ich erschüttert. Einerseits war Morries Tod
allen ein Graus. Andererseits verneigte ich
mich vor ihm: wenige bringen so viel Würde, Selbstachtung und Mut auf. ALS-ler
würden oft gern mit den MS-lern tauschen.
Deren Leben ist durch ihre Krankheit nicht
so unmittelbar bedroht, wie dies bei Morrie,
bei seinem klaren Bewusstsein, der Fall war.
Der gläserne Sarg ist den MS-lern zwar vertraut, den Tod alles Lebendigen aber teilen
sie mit allen übrigen. Von Morrie hingegen
lernte ich auch Weisheit und Gelassenheit.
Diese kann man weder in den Schulen,
noch in den Universitäten lernen. Es wird
gemunkelt, dass man dies auch kaum in
den therapeutischen Ausbildungsstätten
lernt. Neben dem Entsetzen über Morries
Tod, beschlich mich zusehends auch das
Gefühl tiefer Dankbarkeit dafür, dass ich
auch als MS-ler vermutlich noch viele Jah-
re vor mir oder dafür, dass ich mein Leben
eigenständiger und bewusster zu gestalten
gelernt habe. Dahinter verblasst die Schärfe
der Analyse von Morries Person und seiner
etwaigen Beteiligung an seinem Schicksal.
Auch das erschreckte Erstaunen über seine ausgebliebenen Selbstheilungsversuche
schwand zusehends. Morries Würde machte dies tausendfach wett. Zurück bleibt ein
wohlig-warmes Tuch, das sich sanft über die
scharfe Klinge des Verstandes legt.
Dr. phil. Jaron Bendkower
Psychotherapeut, Soziologe, Supervisor
CH-8713 Uerikon
[email protected]
Lesen Sie nachfolgend das Interview mit
Jaron Bendkower. Die Fragen hat Annette
Conzett gestellt.
Interview
Annette Conzett: Sie sagen, dass Ihr Buch
«Mit Multipler Sklerose mitten im Leben»
einen Heilungsansatz jenseits des «Medicozentrismus» sucht, es salutogen und resilient
ausgerichtet ist – und nicht pathogenetisch.
Weiterhin betonen Sie, dass die seelische
Heilung von der körperlichen Genesung zu
unterscheiden sei und Sie die seelische/psychische Heilung als die Wichtigere ansehen.
Jaron Bendkower: Mir ist es wichtig, den
psychologischen Beitrag zu einem interdisziplinären MS-Therapie-Weg anzugehen.
Ohne diese Interdisziplinarität kann m.E.
keine MS-Therapie weiterkommen.
Können Sie mir zunächst einige Stichworte
zur MS geben?
Die MS hat typische Symptome: Immobilität, Lähmungen, Erschöpfung, Sensibilitätsstörungen, manche Nervenbahnen des
Erkrankten leiten nicht mehr. So verkümmern die entsprechenden Muskeln. Psychotherapeutisch betrachtet ist MS eine ins
Somatische verschobene depressive Verarbeitung einer chronischen Belastung. Sie ist
m.E., anders als oft gesagt wird, keine eigenständige somatische Krankheit. Wenn diese
MS-Dynamik aber lange andauert, verselbständigt sie sich. Die körperlichen und psyà jour 46
| 29
PRAXIS
Nur zwei genasen auch körperlich, aber sie
alle heilten seelisch. Und wie?! Die Anzahl
«untersuchter» Personen erlaubt natürlich
keine epidemiologisch relevante Aussage.
Zudem hatten nicht alle MS, auch Krebs
und Paraplegie waren darunter. Ich untersuchte ihren Weg nicht aus akademischem
Interesse, sondern weil ich selber chronisch
erkrankt war und gesunden wollte. Also
wollte ich herausfinden: wie sie es machten. Ist ihnen allen etwas gemeinsam? Und
wenn ja: was?
chischen Folgeschäden müssen meist länger
behandelt werden, als diejenigen der MS
selber. Was als typisch für die MS gilt, sind
vor allem die muskulären Kompensationen.
Sie verzerren den gewohnten Bewegungsablauf ins Groteske. Darum sind bei der
MS, neben der eigentlichen MS-Therapie,
zusätzlich Physiotherapie, Hippotherapie,
Bodyscan, Yoga, Feldenkreis, Krafttraining,
Konditions- und Koordinationstraining
usw. so wichtig.
Wer erkrankt denn?
Es liegen keine Befunde über eindeutig
«zwingende» Gründe vor. Es geht um einen
Mix von familiärem und genetischem Erbe,
Zufall, Pech, individueller Konstitution.
Wichtig ist es, mit dem Klienten herauszufinden, was er angesichts der einmal eingetretenen Umstände noch ändern kann – und was
nicht. Dazu gehört es, da wo nötig, Trauerarbeit zu leisten und die Haltung zu sich selbst
zu modifizieren. Ebenso wichtig ist es aber
zu sehen, welche Möglichkeiten sich einem
gerade aus seinem bisherigen Leben ergeben.
An diesem Punkt geht jede MS-Psychotherapie in ein Um-Lernen über. Der Transfer in
den Alltag spielt dabei eine grosse Rolle. Alleinige Erkenntnisse, ohne sie in Taten umsetzen zu können, gelten hier nicht.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass fünf
Menschen genesen konnten. Können Sie
mehr darüber sagen?
30 |
à jour 46
Und gibt es da einen gemeinsamen Nenner?
Ja. Was mich bei den fünf am meisten beeindruckte, war 1) ihre Zuversicht, 2) ihre salutogenetische und resiliente Haltung, 3) ihre
Bereitschaft, ihr Leben real zu ändern und
4) ihre Unabhängigkeit vom Mainstream.
Doch es gab hinter allem einen weiteren
entscheidenden Punkt: ihr fester Wille zu
gesunden und der Wille, ihn nicht anderen zu überantworten, und – statt Pillen zu
schlucken – selber viel dafür zu tun. Vielen
Patienten, die ich kennenlernte, mangelte
es an diesem absoluten Heilungswillen und
der Überzeugung, dass sie es schon schaffen
können. Das gilt sowohl für die (psycho-)
somatischen Erkrankungen wie für die
psychischen. Darin liegt m.E. die grösste
therapeutische Herausforderung: den Heilungswillen, dort wo er «verschüttet» ist,
wieder «freizuschaufeln». Ohne ihn aber
dem Patienten von aussen «einhauchen»zu
wollen. Das ginge eh nicht.
Sie sagen, dass die seelische Heilung auch
die Genesung fördert und von den beschriebenen fünf Königsweg-Menschen zwei auch
körperlich gesundeten?
Genauso war’s. Heute mehren sich die Ergebnisse, dass es generell so ist. Die seelische Heilung erweist sich oft als Voraussetzung einer körperlichen Genesung. Für die
körperliche Genesung bedarf es aber eines
interdisziplinären Ansatzes. Doch für diese
Genesung kann es keine Garantie geben.
Körperliche Genesung ist kein Menschenrecht. Das tief zu wissen, gehört auch zur
seelischen Heilung.
Wie reagiert denn Ihre Klientel auf Ihre Einstellung dem Heilungsgedanken gegenüber?
In den Therapien spreche ich so gut wie nie
direkt darüber. Ebenso wenig von «Krankheiten». Ich spreche allenfalls davon, dass
jeden von uns Spannungen durchziehen.
Meistens nur vorübergehend. Anhaltende
und wiederkehrende biographische Erfahrungen verdichten sich oft und führen zu
psychischen Strukturen. Dann gerinnen
sie zu festen Grössen. Dies kann psychische Symptome zur Folge haben, oder
auch physische. In beiden Fällen weisen die
Symp­tome auf Konflikte hin. Psychische
Symp­tome wären z.B. Zwangsstrukturen,
physischer Krebs oder MS. Dazwischen
liegen z.B. Burnouts. Doch das ist ein wichtiger theoretischer Aspekt, der nicht in die
Klientenarbeit gehört. Wenn ich mit Klienten über Symptome spreche, versuche ich
mich darauf zu beschränken, was direkt den
Patienten betrifft. Und betone den adaptiven Aspekt eines jeden Symptoms. Meist
kann der Patient daraus lernen, sich selber
besser zu verstehen – und sich selber dadurch mehr zu lieben.
Sie betonen auch immer wieder die Bedeutung des sich lieben lernens. Was verstehen
Sie darunter?
Dies ist eben entscheidend für die seelische
Heilung: Würde, Selbstachtung und das
«lieb mit sich sein». Konkret heisst das:
verständnisvoll, geduldig, nachsichtig, sich
nicht überfordernd.
Wie reagiert die Medizin auf eine Genesung,
die dank seelischer Heilung entstand?
Was ich von der Medizin an Feedbacks erhielt, lautet in etwa: «Die MS ist doch ein
somatisches und kein psychotherapeutisches Problem. Sie nicht-medizinisch angehen zu wollen stellt unsere medizinische
Heilkunst in Frage.» Das hatte ich gar nie
vor. Erst der Umgang mancher Ärzte (nicht
aller) mit den chronischen Krankheiten,
belehrte mich eines besseren. Erschrocken
war ich lediglich über die Haltung der MSGesellschaften: sie schwiegen das nach ihrer
Meinung zu wenig medizinische Buch konsequent tot. Da begriff ich definitiv, dass ich,
naiv wie ich damals war, in ein Wespennest
gestochen hatte.
PRAXIS
Haben Sie selber denn keine Zweifel?
Klar hatte ich viele Zweifel. Sie legten sich
aber mit den gemachten persönlichen Erfahrungen und den vielen Büchern, die ich
darüber las.
Eines Ihrer Themen auf der psychischen
Ebene betrifft die Selbstheilung. Sie betonen,
dass die MS selbst die Folge einer unguten
Selbstheilung ist.
Dem MS-Prozess ging fast immer der Versuch voraus, wieder klar zu kommen - allerdings ohne den seelischen Konflikt zu lösen.
Erst der zweite Versuch – oft in der Therapie
- schliesst den seelischen Konflikt mit ein.
Geschieht das nicht, bleibt der MS-Modus
erhalten und die Selbstheilung unvollständig. Darum auch ist der rein somatische
Therapieweg zum Scheitern verurteilt. Der
rein somatische Weg verleiht der MS das
Stigma «unberechenbar» und «unheilbar» zu sein. Der integrative Ansatz schliesst
auch den jeweils anderen Weg mit ein. Aber
auch ein rein psychotherapeutischer Weg
misslingt, wenn er allein bleibt. Er wird dem
komplexen psycho-physischen Geschehen
aller chronischen Krankheiten ebenfalls
nicht gerecht. Die komplette Selbstheilung
erfordert vom Klienten einen Wechsel seiner bisherigen Lebenspraxis. Irgendwann
gelangt in einer guten MS-Therapie der Klient an den Punkt, an dem es für ihn nicht
unbedingt auch einer körperlichen Heilung
bedarf, damit er glücklich wird. Vielleicht
gelingt die Genesung dann gleichwohl. Eher
jedenfalls, als wenn er sie verbissen anstrebt.
Wenn er das realisiert hat, hat er, wenn nicht
die körperliche Heilung, so doch seine Gelassenheit gefunden.
Wie waren die bisherigen Kommentare zu
Ihrem Buch?
Diejenigen Leser-Feedbacks, die mich erreichten, waren ausschliesslich sehr positiv.
Allerdings weiss ich, dass diejenigen, die
eine andere Haltung einnehmen, sich erst
gar nicht auf diesen interdisziplinären Heilungsweg begeben. Vermutlich habe ich deshalb von ihnen auch nichts vernommen. Ich
habe auch von Ärzten Feedbacks erhalten.
Diese Feedbacks waren gemischt. Am Deutlichsten war das beredte Schweigen, das mir
von dieser Seite oft entgegenschlug. Dieje-
nigen, die mich direkt ansprachen, gemahnten mich zu einer fairen Beurteilung von
Stärken und Schwächen der modernen Medizin. Tatsächlich sind die Erfolge der Medizin bei den Akutfällen unbestritten. Sie sind
riesig und beeindrucken mich sehr. Ebenso
eindeutig aber erscheint mir ihre Unbeholfenheit angesichts der chronischen Krankheiten. Im Übergangsfeld Geist-PsycheSoma haben sie herzlich wenig zu bieten.
Es erstaunt mich darum immer wieder, wie
sehr sich die Machtverhältnisse zugunsten
der institutionalisierten Medizin und deren
Vasallen neigen. Unter diesen Umständen
erscheint momentan eine zur Interdisziplinarität ausgestreckte Hand so lächerlich wie
das Brüllen von Mäusen. Aber das dürfte
sich bald ändern.
Sie betonen immer wieder auch die Rolle
der Kultur für die Bildung einer MS. Welche
Rolle spielt sie denn, und welche der Biographie?
Die Kultur ist nur einer der Faktoren, die
zur MS führen. Die Kultur trägt aber oft zur
Stabilisierung der MS bei. Ihr Todesurteil
nimmt den Erkrankten oft den letzten Rest
an Kraft und verhindert die Mobilisierung
der Selbstheilungskräfte. Das Bild der MS in
der Öffentlichkeit ist stigmatisierend. Viele
MS-ler nehmen dieses Bild in ihr Selbstverständnis auf. Die Politik der IV trägt ebenfalls wenig zur Gesundung bei. Selbst die
MS-Gesellschaften bekleckern sich, m.E.
auch in dieser Hinsicht, nicht gerade mit
Ruhm.
Solche politischen Punkte sind alles andere
als marginal. Auch die Abwehren sind eben
nicht nur individuell. Persönliche und institutionelle Abwehr gehen meist ineinander
über. Das gilt für alle chronischen Krankheiten … aber damit wären wir bereits wieder
in der therapeutischen Kleinarbeit und die
soll an anderer Stelle diskutiert werden.
Interview mit
Paolo Migone
Kodirektor der italienischen Zeitschrift Psicoterapia e Scienze Umane
Ich glaube, Sie sind ziemlich über das neue
PsyG informiert, das in der Schweiz nach
dem Vorbild des italienischen Gesetzes verabschiedet wurde. Was können Sie zur Umsetzung des italienischen Gesetzes sagen, das
die Psychotherapie regelt? Nur Gutes? Was
kann man vom Schweizer Gesetz erwarten?
Nur Schlechtes?
Das italienische Psychotherapiegesetz – das
Gesetz 56/1989, dessen Art. 3 die Ausübung
von Psychotherapie auf Ärzte und Psychologen beschränkt, die eine vierjährige Ausbildung an einer anerkannten Schule absolviert haben – hat die Probleme nicht gelöst,
die es lösen sollte (für einen ausführlichen
Rückblick auf die Begebenheiten, die zum
Gesetz 56/1989 geführt haben, und für eine
ausführliche Bibliografie siehe Artikel von G.
Borsci in der Nr. 2/2005 von Psicoterapia e
Scienze Umane). Man entschied sich für ein
Gesetz, das erfolglos dem Mythos der staatlichen Kontrolle über die Qualität der Psychotherapie nachjagt. Die Ministerkommission,
die für die Anerkennung der Psychotherapieschulen verantwortlich ist, hat bereits fast
400 davon zugelassen. Das sind so viele, dass
die Lage paradoxerweise fast gleich ist wie
à jour 46
| 31
PRAXIS
vor der Einführung des Gesetzes 56/1989:
eine Flut von unterschiedlichen Schulen,
deren Qualität nur über formale Kriterien
(Stundenzahl, Schulräume mit bestimmter
Fläche, Vorhandensein einer theoretischen
Orientierung mit allfälligen internationalen
Bezügen usw.) gewährleistet ist, ohne konkrete Qualitätskontrolle. Andererseits konnte es in einer bürokratischen Logik nicht
anders sein, einer Logik, die nicht auf die
Würde der einzelnen Berufsleute abstützte,
die definitionsgemäss ehrlich sind und deren Anteil sicher weit über der eher geringen
Zahl von Unehrlichen liegt, die straf- und
zivilrechtlich verfolgt werden können und
die es immer auf allen Breitengraden geben
wird. Als man in England Balint beschuldigte, mit seiner Schulungsmethode «Wilde»
heranzubilden, antwortete er, dass er nicht
beabsichtige, die 95% ehrlichen Menschen
den 5% Unehrlichen, die sich gerade als
solche sehr gut tarnen können, zu opfern.
Ausserdem werden die Ärzte- und Psychologenzünfte, die behaupten, den Markt zu kontrollieren, von immer neuen Hilfsberufen
überflutet, welche die immer breitere Palette
von Bedürfnissen der Bevölkerung abdecken
sollen. Dazu nur ein Beispiel: Der Beraterberuf war vor dem Gesetz 56/1989 fast unbekannt; heute ist er sehr verbreitet. Er ist
gerade wegen dieses Gesetzes, das die Psychotherapie auf Ärzte und Psychologen beschränkt, aufgekommen. Dasselbe geschieht
bei den klinischen Pädagogen, den philosophischen Beratern und so weiter in einer fast
unendlichen Reihe von Hilfsberufen, welche
die Berufsverbände in einer Art Jagd auf jene,
die sie für «Wilde» halten, vergeblich zu bekämpfen versuchen, wobei sie fast immer die
angestrengten Rechtsstreitigkeiten verlieren.
Die Ausbildung in Psychotherapie wird immer mehr an den Erwerb eines Master in
Psychologie geknüpft. Reichen Ihrer Meinung nach die heutigen Master in Psychologie als Grundausbildung für den Zugang zur
Fachausbildung in jeder Hinsicht und für
alle Fälle aus?
Meiner Meinung nach stossen die heutigen
Master an viele Grenzen, und auf jeden Fall
ist die akademische Struktur in diesem Bereich nicht in der Lage zu professionalisieren, zumindest was Italien anbelangt.
32 |
à jour 46
Was hielten Sie von unserem Projekt in
«Psychotherapie-Wissenschaft», als es Ihnen vorgelegt wurde? Erachten Sie es als
valable Alternative?
Es scheint mir eine valable Initiative zu
sein, die im Grunde Freuds Haltung widerspiegelt. Ich bin jedoch nicht der Meinung,
dass es sich dabei um eine eigenständige
«Wissenschaft» handelt, sondern um eine
empirische Disziplin, wie übrigens auch die
Medizin, die sich verschiedener Wissenschaften bedient.
Welche für die psychotherapeutische Praxis
relevanten Erkenntnisse lassen sich Ihrer
Meinung nach dem heutigen Stand der psychotherapeutischen Forschung entnehmen?
Einer der relevantesten Aspekte, der aus
der psychotherapeutischen Forschung
hervorgeht, ist wohl die Möglichkeit, viele
Querschnittfaktoren aufzuzeigen, die allen
Psychotherapiearten gemeinsam sind. Auf
diese Weise bleibt eine fruchtbare Verbindung zwischen empirischer Forschung und
klinischer Untersuchung bestehen.
Welche Ansichten auf die heutige und die
künftige Psychotherapie möchten Sie mit unserer Leserschaft teilen?
Mir fällt ein paradoxer Aspekt auf: Einerseits kann man sagen, dass die Psychotherapie eine sehr junge Disziplin ist, deren
Grundlage noch in Myriaden von verschiedenen Modellen und Sprachen zersplittert
ist (was auch positive Seiten haben kann,
weil es Bereicherung und Vielfältigkeit der
Forschungsansätze bedeutet). Andererseits
hat man stark den Eindruck, dass es seit einigen Jahrzehnten nichts Neues mehr gibt,
d.h. dass gegenüber den klassischen theoretischen und klinischen Erkenntnissen keine
Fortschritte mehr gemacht wurden. In den
1950er und 1960er Jahren hatte die Debatte innerhalb der psychoanalytischen Bewegung beispielsweise einen beachtlichen
Entwicklungsstand erreicht, und so viele
Aspekte der so genannten zeitgenössischen
Psychoanalyse, die als Neuheit präsentiert
werden, erscheinen als déjà-vu.
Paolo Migone Kodirektor von Psicoterapia e Scienze
Umane www.psicoterapiaescienzeumane.it Via Palestro, 14 43123 Parma, Italien Tel./Fax +(39) 0521960595, E-Mail [email protected]
Biographie Paolo Migone
Paolo Migone absolvierte seine Ausbildung zum
Facharzt für Psychiatrie sowohl in Italien als auch
in den Vereinigten Staaten, wo er vier Jahre lang
arbeitete und sein Diplom in Psychoanalyse erwarb. Er ist Kodirektor der Zeitschrift Psicoterapia
e Scienze Umane (www.psicoterapiaescienzeumane.it), die von Pier Francesco Galli 1967 gegründet wurde und die am meisten verbreitete
italienische Zeitschrift dieses Fachgebiets ist. Er
lebt in Parma, und neben seiner klinischen Tätigkeit lehrt er an privaten und öffentlichen Einrichtungen in Italien und der Schweiz.
Er ist Autor zahlreicher Publikationen, darunter an
die hundert Buchkapitel und einige Bücher wie
Terapia psicoanalitica (Mailand: FrancoAngeli,
1995; Neuauflage 2010). Er wurde zum Fellow
der American Academy of Psychoanalysis, zum
Mitglied der Rapaport-Klein Study Group und
zum Research Associate der American Psychoanalytic Association ernannt und sitzt im nationalen
Vorstand der Associazione Italiana per lo Studio
dei Disturbi di Personalità (AISDP), die der International Society for the Study of Personality Disorders (ISSPD) angegliedert ist. Er gründete die
italienische Sektion der Society for Psychotherapy
Research (SPR) und war Initiator der italienischen
Sektion der Society for the Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI).
Er wurde zum Mitglied des Editorial Board von
Psychological Issues ernannt und sitzt in der Redaktion von etwa zehn Fachzeitschriften (sowohl
italienische als auch ausländische). Er wurde als
Referent an Kongresse der International Psychoanalytic Association (IPA) eingeladen usw. Er interessiert sich vor allem für die Theorie der Psychotherapietechnik, den Vergleich zwischen Ansätzen,
die Geschichte der Konzepte in der Psychotherapie
und die Bildungsprozesse in den Hilfsberufen.
Etwa achtzig seiner Arbeiten sind als Volltext auf
der Website www.psychomedia.it/pm/modther/
probpsiter/ruoloter/rt-rubri.htm abrufbar.
LITERATUR
Chronische
Bauchbeschwerden
Grundlagen – Diagnostik –
Therapie
Peter Buchmann und Lukas Degen (Hrg.)
Huber Verlag, Bern. 2010. Seiten 243
Das Buch wird vom Verlag mit folgenden
Worten angepriesen: Erfolgreiche interdisziplinäre Ansätze bei einer schwierigen Krankheitsgruppe. Diese 26 Aufsätze
richten sich vor allem an Grundversorgerinnen in ihren Praxen. Auch wir PsychotherapeutInnen können von einer solchen
medizinischen Studie profitieren, da es oft
nicht klar ist, ob jetzt eine somatopsychische oder psychosomatische Beschwerde
vorliegt, wenn eine Patientin unseren Behandlungsraum betritt. Die meisten von
uns kennen Bauchschmerzen im Kindesalter. Manchmal traten sie vor einer Probe
auf, manchmal weil eine Glasscheibe der
Nachbarin in die Brüche ging etc. Diese
Schmerzen in der Mitte des Leibes verliessen uns meist erst dann wieder, wenn die
Situation geklärt und die Notenwahrheit
da war.
Wirklichkeit entsteht bekanntlich meist in
der Aufmerksamkeits-Fokussierung. Hier
bekommen wir flotte Fallvignetten zu lesen,
die als Einzelstudien neben ausgeklügelten
empirischen Forschungen und Praxisberichten gut aus der Hausarztmedizin stehen
können. Das Phänomen des Schmerzes, das
wissen die meisten von uns aus Erfahrung,
gehört immer schon in die interdisziplinäre
Diagnostik und Behandlung hinein. Viele
der Beteiligten, ob Betroffene oder Heilende, erfahren eine Ohnmacht vor dem
chronischen Schmerz. In beiden Lebensbereichen, dem der Ärztin und dem der Patientin (männliches Geschlecht immer mit
einbezogen) prägen die Erlebnisse chronischer Bauchbeschwerden den Alltag und
die Nächte.
Was mich aufschreckte war der epidemiologische Befund mehrerer Studien
über chronische Bauchschmerzen. Hier
wird von einer Leidensgruppe von über
30% der jeweiligen untersuchten Bevölkerung ausgegangen. Was stimmt da nicht in
unserer Welt? Was bereitet so vielen von
uns Bauchschmerzen, die nicht mehr verschwinden wollen oder können? Dieses
von Bruder Rudolf Buchmanns (langjähriges ASP und Charta Vorstandsmitglied)
mit herausgegebene Buch, kommt in vier
Teilen daher. Der erste Teil behandelt die
Grundlagen und generellen Abklärungen
dieser Krankheit. Teil zwei vertieft sich in
die spezielle Diagnostik und in die allgemein angewandten therapeutischen Ansätze. Die spezifische Diagnostik und Therapie
ist als dritter Teil der längste und reichhaltigste dieser spannenden Sammlung. Am
Schluss, nach über zweihundert Seiten,
werden die therapeutischen Ansätze, die
zur Behandlung angewendet werden, im
Bereich der Evidenz und Komplementärmedizin bewertet. Als medizinischer Laie
kann ich sehr viel von den medizinischen
FachkollegInnen und den Ernährungswissenschaftlerinnen lernen. Die traditionelle
chinesische Medizin, die phytotherapeutische Komplementärmedizin und die klassische Homöopathie sind stark vertreten.
Diese Verfahren zeigen gute Linderungsund/oder Heilerfolge.
Unser Fachgebiet der Psychotherapie
kommt mit zwei besonderen Beiträgen
im Buch vor. Das ist einmal das Kapitel
von Rudolf Buchmann über psychosozi-
ale und lebensgeschichtliche Ursachen
chronischer Bauchbeschwerden. Für ihn
ist Psychotherapie Entdeckung und nicht
Behandlung. Die Beachtung der aktuellen
kontextuellen Lebenssituation, eingebettet in die je eigene lebensgeschichtliche
Genese einer Beschwerde, hier Bauchschmerzen, ist zentral, damit die Auslöser
des Schmerzes nicht durch eine SymptomBeseitigung verschwinden. Der Verlust
der Bewandtnis-Zusammenhänge führt
schlussendlich in die Gefahrenzone der
Schmerzchronifizierung. Der erfahrene St.
Galler Psychoanalytiker führt uns, via seine
drei eindrücklichen Fallvignetten, in seine
Betrachtungsweise der doppelten Wahrnehmung ein. Dadurch, dass die Patientin
in dieser Fallvignette (Die unbewusste Wut
von Frau R.) quasi zufällig auf die Verbindung stösst und ganz aus ihrem Erleben
und ihrer Selbstbeobachtung zur Erkenntnis kommt, ist sie auch überzeugt, dass es
ihre Wahrheit ist. Im Anschluss daran können wir gemeinsam Quellen und Verläufe
der doppelten Wahrnehmung – Körpersensation und Gefühle, Verhaltensmuster
etc. – nachgehen. Von einer doppelten
Wahrnehmung spreche ich, weil das Geschehen ein und dasselbe ist. Nur der Blick
auf das Geschehene sieht einmal das Colon
irritabile und einmal die abgrundtiefe Wut.
Es gibt also mindestens zwei Blickweisen
auf ein Leiden in einem Menschen, der
oder die immer Eins ist.
Der Psychosomatiker, Prof. Wolf Langewitz vom Universitätsspital Basel, geht in
seinem Kapitel über die psychotherapeutische Intervention bei Reizdarmsyndrom
vorerst dem nach, was die Patientinnen von
Ärztinnen wissen wollen. Warum gerade
jetzt? Und wie geht es mit dem Bauchweh
weiter? Neben einfühlsamen Fallbeispielen
beschäftigen den Wissenschaftler auch die
empirischen Arbeiten zur psychotherapeutischen Intervention bei Reizdarmsyndrom.
Seine Zusammenfassung der Ergebnisse
zeigen auf, dass «erfolgreiche» Therapien
knapp die Hälfte der Patientinnen erreichen. Für wen welche Therapie am ehesten
in Frage kommt, ist nicht empirisch belegt.
Zu erwarten ist, dass Patientinnen mehr als
ein Therapieverfahren ausprobieren werden,
bis sie den Zugang gefunden haben, der zu
ihnen passt. Drei dieser Verfahren werden
kurz dargestellt. Das sind: Psychodynamià jour 46
| 33
LITERATUR
sche Kurztherapie, Kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze und die
Hypnotherapie. Als Arzt plädiert Langewitz
für eine gute Passungstriage der Gastroenterologin, um herauszufinden, welche Psychotherapeutin am ehesten oder gut genug zum
Modell der Patientin passt.
Diese Berichte aus dem beruflichen
Alltag unterstützen den Wunsch der Passung von Patientin und Therapieansätze
und ermutigen uns mit unserm Bauchweh
ganzheitlich umzugehen. Die Adressen der
sechs Autorinnen und der zwanzig Autoren sowie ein benutzerinnenfreundliches
Sachregister schliessen dieses komplexe
Buch ab.
Anima e Psiche
Riflessioni per una scienza psicoterapeutica
Nicola Gianinazzi – Lugano 2011
Istituto Ricerche di Gruppo
Seele und Psyche
Dieses E-Book besteht aus zwei Hauptteilen,
die ich in dieser kurzen Präsentation miteinander in Zusammenhang bringen möchte.
Der erste Teil dient als theoretische Grundlage und beinhaltet Erwägungen zur Episte-
34 |
à jour 46
mologie der Psychotherapie und vor allem
zum Zusammenhang, der zwischen der
Psychotherapie und anderen Humanwissenschaften wie Philosophie und Theologie
einerseits und Pädagogik und Soziologie andererseits bestehen kann oder könnte.
Diese meine Erwägungen sind zum Teil
Grundlage und zum Teil Ergebnis meiner
persönlichen und vor allem beruflichen
Erfahrungen; sie beeinflussen diese und
ermöglichen mir, sie rückblickend bestmöglich zu verstehen.
Der zweite Teil befasst sich mit verschiedenen praktischen Bereichen und Erfahrungen, teilweise in der Beratung, aber
vor allem in der Psychotherapie und Psychoanalyse von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen sowie in der Aufsicht in verschiedenen institutionellen Teams.
Auch wenn der erste und der zweite
Teil manchmal zusammenhanglos scheinen
mögen, glaube ich, dass sich das als weniger widersprüchlich erweist, wenn zwei oft
vergessene, aber mir sehr wichtige Aspekte
berücksichtigt werden: die Katamnese und
die Auseinandersetzung mit der Psychotherapie unter diesem Blickwinkel.
Es geht einerseits darum, diese – mal zufälligen, mal methodologisch vorgegebenen –
katamnestischen Elemente einzubeziehen,
die uns Fragen stellen und uns helfen, unsere
Arbeit und ihre mögliche oder wahrscheinliche mittel- und langfristige Wirkung möglichst eingehend zu überdenken.
Andererseits versucht der erste Teil
dieses Buches, ansatzweise auf die Frage zu
antworten, was Psychotherapie – ihre Wirkung und ihr Nutzen – ist, wobei dazu auf
andere Wissensgebiete, und zwar nicht nur
Psychologie, Medizin oder Wirtschaft, zurückgegriffen wird.
Dies geschieht im Hinblick auf eine dynamische Bildungspolitik im Bereich der
Psychotherapiewissenschaften (PTW) und
des Psychotherapeutenberufs.
Zusammenfassung
Die Diskussion darüber, ob die Psychotherapie mehr wissenschaftlich als mythologisch ist, kann ebenso viel Zeit erfordern
wie die Frage der Beweisbarkeit der Existenz Gottes im Mittelalter. Im Bewusstsein
darum möchte ich auf diesen Seiten die
Erfahrung mit dem analytischen Paar im
eigenen Raum-Zeit-Gefäss ins Zentrum rücken, wobei ich diese als Geschichte verstehe, die innerhalb einer psychodynamischen
Beziehung entstanden ist. Ich glaube daher,
dass man von der Psychotherapie als einer
Mythologie von ausserordentlicher Kraft
sprechen kann. Es handelt sich also um eine
Wissenschaft, die auf Phänomenologie,
Hermeneutik und Dialektik beruht und mit
vollem Recht in den Bereich der Humanwissenschaften oder – um einen besonders
vielsagenden Begriff zu verwenden – der
Geisteswissenschaften fällt.
Die Naturwissenschaften stellen sich
von der Quantenphysik aus Fragen zum
Objekt, das sie beobachten, und zur Rolle
des Beobachters, wobei sie entdecken, dass
sie nicht ganz so objektiv sind, wie sie für
sich in Anspruch nahmen. Die Humanwissenschaften und insbesondere die Psychoanalyse – zusammen mit den verschiedenen
Schulen der psychodynamischen Psychotherapie – tun dies von Natur aus und lassen
einige der Gewissheiten des jüdischen Neurologen Sigmund Freud Geschichte werden.
In diesem Sinne kann die psychoanalytische Psychotherapie als hermeneutische
Wissenschaft, die der Begegnung zweier
Menschen oder einer Gruppe von Menschen
mit einem Gruppenanalytiker innewohnt,
verstanden und kommuniziert werden. Die
Geschichte oder Erzählung, die als Phänomene oder Bedeutungssysteme daraus
entsteht, hat viel mit der Geschichte der
Menschheit, der Mythologien und Religionen im Besonderen und des wissenschaftlichen Gedankens im Allgemeinen zu tun.
Inserate für «à jour»
Die ASP-Redaktion behält sich vor, die Annahme
von Anzeigen ohne Begründung abzulehnen.
Über Annahme und Ablehnung führen wir keine
Korrespondenz
1/1 Seite
CHF 500.–
1/2 Seite
CHF 320.–
1/4 Seite
CHF 250.–
1/8 Seite
CHF 200.–
Reduzierter Tarif für DeKo-Verbände und ASP
Mitglieder: 40% Rabatt.
Kalender
Calendrier
4.6.2011
Delegiertenversammlung, Volkshaus Zürich
4.6.2011
Conférence des délégués, Volkshaus Zurich
18.6.2011
4. Kongress der Schweizer Psy-Verbände in Bern
18.6.2011
4. Congrès commun des groupements psy, Berne
10.12.2011
Delegiertenversammlung, Volkshaus Zürich
10.12.2011
Conférence des délégués, Volkshaus Zurich
17.3.2012
Mitgliederversammlung, Bern
17.3.2012
Assemblée Générale, Volkshaus Zurich
9.6.2012
Delegiertenversammlung, Volkshaus Zürich
9.6.2012
Conférence des délégués, Volkshaus Zurich