- Johanneskirche
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Steh auf! Und als Jesus wieder herübergefahren war im Boot, versammelte sich eine große Menge bei ihm, und er war am See. Da kam einer von den Vorstehern der Synagoge, mit Namen Jaïrus. Und als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und bat ihn sehr und sprach: Meine Tochter liegt in den letzten Zügen; komm doch und lege deine Hände auf sie, damit sie gesund werde und lebe. Und er ging hin mit ihm. Und es folgte ihm eine große Menge und sie umdrängten ihn. Da kamen einige aus dem Hause des Vorstehers der Synagoge und sprachen: Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du weiter den Meister? Jesus aber hörte mit an, was gesagt wurde, und sprach zu dem Vorsteher: Fürchte dich nicht, glaube nur! Und er ließ niemanden mit sich gehen als Petrus und Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Und sie kamen in das Haus des Vorstehers, und er sah das Getümmel und wie sehr sie weinten und heulten. Und er ging hinein und sprach zu ihnen: Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Er aber trieb sie alle hinaus und nahm mit sich den Vater des Kindes und die Mutter und die bei ihm waren und ging hinein, wo das Kind lag, und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihm: Talita kum! - das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt. (Markus 5,21-24.35-42) Liebe Gemeinde! „Steh auf, wenn Du am Boden bist!“ „Steh auf, sonst kommst Du zu spät!“ „Steh auf, Du schaffst das!“ Aufstehen – das ist für uns etwas, das wir oft gegen etwas tun. Sich nicht unterkriegen lassen, Tiefpunkte überwinden, gegen Missstände kämpfen – aufstehen. In der Ukraine, in Thailand, im Nahen Osten stehen die Menschen gegen diktatorische Willkür auf. Aufstand: revoltieren, sich nichts mehr gefallen lassen, sich nicht das Leben rauben lassen, es selbst gestalten wollen, in Freiheit. Aufstehen. Am Leben teilnehmen. „Die Nacht ist vorbei, die bösen Geister sind weg. (…) Baby, wach auf, ich zähl´ bis zehn! Das Leben will einen ausgeben, und das will ich sehn. (…) das wird unser Tag, Baby, wenn wir aufstehn“, singt die Berliner Reggae-Dancehall-Gruppe Seeed. Talita kum – Mädchen, steh auf, sagt Jesus zur Tochter des Jairus. Und hier ist Aufstehen etwas ganz Zärtliches, etwas sehr Intimes. Jesus hat alle hinausgeschickt bis auf Vater und Mutter und die drei Jünger, die ihn begleiten. Das Kind ist nicht tot, es schläft nur. Und er nimmt es bei der Hand und weckt es auf. Talita kum – Mädchen, steh auf! Mich fesselt diese Geschichte, weil hier kein Spektakel stattfindet: kein Kampf mit Tod und Teufel auf großer Bühne, kein Exorzismus, keine Demonstration göttlicher Macht für oder gegen etwas. Das Kind ist nicht tot, es schläft nur. Und deshalb: Talita kum – Mädchen, steh auf! Vor dem Allmächtigen ist unser Tod nur ein Schlaf. Was uns Überwindung kostet – jeden Tag neu, ein Leben lang – und was für uns letztlich schier unüberwindlich ist, weil es immer gegen uns steht, hat Jesus längst überwunden. Er ist auferstanden von den Toten. Seitdem birgt jeder Tag, der mit unserem Aufstehen beginnt, die Verheißung zu tausend neuen Anfängen. Denn eigentlich müssen wir keine Angst mehr haben, nicht einmal mehr vor dem Tod. Und die Geschwister Aufruhr und Resignation können wir auf der Bühne unseres Lebens allenfalls Zaungäste sein lassen. Du brauchst Dich nicht zur fürchten, sagt Jesus zu Jairus. Glaube nur! Wenn wir aufstehen, dann müssen wir das nicht mehr gegen etwas tun. Und wenn wir uns zu etwas überwinden, dann dürfen wir den Allmächtigen an unserer Seite wissen. Er nimmt uns an der Hand, weckt unseren Mut und unsere Zuversicht und sagt uns: „Steh auf! Du kannst das, denn ich bin bei Dir, und ich will alles, was Dich schreckt und bedrückt, für Dich überwinden.“ Jochen Klepper, dessen Lied wir zum Eingang gesungen haben, wusste das. „Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr. Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor, daß ich mit seinem Worte begrüß das neue Licht. Schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nah und spricht.“ Jochen Klepper, Sozialdemokrat und verheiratet mit eine Frau, die nach den Rassengesetzen der Nationalsozialisten als Jüdin galt, nahm sich gemeinsam mit seiner Familie in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 durch Schlaftabletten und Gas das Leben. Die letzte Eintragung in seinem Tagebuch lautet: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ Jochen Klepper starb in der Zuversicht, dass mit dem Ende des irdischen Lebens das neue Leben beginnt. Hamlets „Furcht vor etwas nach dem Tod, das unentdeckte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“, war nicht die seine. Wie der Synagogenvorsteher Jairus hörte er Jesu Stimme: Du brauchst Dich nicht zur fürchten; glaube nur! „Schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nah und spricht. (…) Sein Wort will helle strahlen, wie dunkel auch der Tag.“ Aufstehen, wirklich aufstehen können wir nur, weil Jesus uns nahe ist. Gleich, im Heiligen Abendmahl, werden wir seine Nähe feiern. Er nimmt uns bei der Hand wie die Tochter des Jairus. Und er spricht zu uns, wie er zu ihr gesagt hat: Talita kum – Mädchen, steh auf! Sein Wort entgrenzt. Es umgreift alles, unser ganzes Leben. Darum müssen wir nicht mehr gegen, sondern nur noch für etwas aufstehen: neugierig auf den Tag, den der Allmächtige uns schenkt; sehnsüchtig nach Leben, nach Freiheit, nach Gerechtigkeit; nach Gemeinschaft, nach Feier, nach Glück für alle. Und zum grenzenlosen Erstaunen aller erhob sich das Mädchen und fing an umherzugehen; es war zwölf Jahre alt. Und ich stelle mir vor, es hörte Seeed: „Lass uns endlich aufstehen, das Radio aufdrehn. Dazu werden wir tanzen, und das soll gut aussehn.“ Es wird gut aussehen, und wir werden tanzen – in dieser und in der kommenden Welt. Steht auf! Denn Jesus hat den Tod überwunden, er ist wahrhaftig auferstanden! Amen.