Grob geschätzt

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Grob geschätzt
ct.0809.157
23.03.2009
16:32 Uhr
Seite 157
Report | Speedtests
Urs Mansmann
Grob geschätzt
Online-Speedtests arbeiten ungenau
Bei DSL-Anschlüssen steht bisweilen nur ein Teil der
zugesagten und bezahlten Leistung zur Verfügung.
Viele Anwender stellen sich deshalb die Frage, wie
schnell ihre Leitung tatsächlich ist. In diese Bresche
springen Online-Speedtests. Sie zeigen an, welche
Geschwindigkeit maximal möglich ist. Die Ergebnisse
sind allerdings wenig aussagekräftig.
A
lle Breitband-Angebote enthalten eine entscheidende
Einschränkung: Mit den Wörtchen „bis zu“ behalten sich die
Anbieter vor, weniger als versprochen zu liefern. Das weckt
natürlich das Misstrauen der
Kunden, die dann gerne wissen
wollen, wie schnell ihr Anschluss
wirklich ist. Wer einen OnlineSpeedtest einsetzt, um zu prüfen, welche Bandbreite die DSLLeitung hergibt, erhält zwar ein
Ergebnis, das aber wenig Aussagekraft besitzt.
Speedtests nutzen zum Messen einen Download, und das
bedeutet, dass an der Messung
zahlreiche Komponenten beteiligt sind: Die zu übertragenden
Daten werden von einer Applikation auf dem Testserver generiert oder eingelesen, ans Betriebssystem übergeben, das es
wiederum auf die Netzwerkschnittstelle schaufelt. Von dort
aus laufen sie über einen oder
mehrere Switches auf den Backbone, passieren mehrere Netzknoten, möglicherweise einen
Peering-Punkt und weitere
Netzknoten bis zum DSLAM des
Teilnehmers, dann die DSLLeitung, einen NAT-Router und
womöglich noch ein WLAN,
bevor sie an der Netzwerkkarte
des Client-Rechners eintreffen.
Dort nimmt das Betriebssystem,
in dem zahllose Einstellungen
und parallel laufende Applikationen die Performance beeinflussen können, die Daten entgegen und leitet sie an den
Browser weiter, der sie verarbeitet und dem Server eine
Rückmeldung gibt.
Kurz gesagt erhält der Anwender Antwort auf eine Frage,
die er gar nicht gestellt hat,
nämlich wie schnell kann der
Online-Speedserver mit dem
Client unter den gegebenen Bedingungen Daten austauschen.
Weicht diese von der zugesicherten Geschwindigkeit ab,
ist es unwahrscheinlich, dass
ausgerechnet die DSL-Leitung
daran schuld ist. Hat das Modem einmal mit einer bestimmten Geschwindigkeit synchronisiert, ist die Bandbreite auf der
DSL-Leitung annähernd eine
Konstante, auch wenn hin und
wieder eine Neusynchronisierung stattfindet. Nur bei Defekten an der Leitung leidet die
Bandbreite; das aber ist die seltene Ausnahme und keinesfalls
die Regel.
Merkwürdige Ergebnisse
Wir probierten zahlreiche Speedtests aus. Um Schwächen aufzudecken, nutzten wir dazu zunächst eine symmetrische 100MBit/s-Leitung. Die Ergebnisse
streuten dabei wild, meist lagen
sie zu niedrig, mitunter auch zu
hoch. Die extremsten Ausreißer
lagen bei 3 und 220 MBit/s im
Downstream, im Upstream erreichten wir hingegen bestenfalls ein Drittel des tatsächlichen
Werts. Das liegt daran, dass die
Entwickler der Online-Speedtests beim Upload deutlich niedrigere Werte erwarten und den
Test darauf auslegen. Aber auch
der praxisnahe Test an einem 16MBit/s-Anschluss lieferte stark
streuende Ergebnisse, sowohl
für den Down- als auch für den
Upstream.
Vor diesem Hintergrund ist es
fragwürdig, wenn Zeitschriften
solche Messungen benutzen, um
damit die Bandbreite der DSL-Leitungen zu bewerten, insbesondere wenn obendrein noch Leserangaben mit einfließen. Kürzlich
kam es in einem solchen Fall zu
merkwürdigen Ergebnissen: GMX
und 1&1 etwa schnitten bei einem Vergleich sehr unterschiedlich ab, obwohl beide die gleiche
technische Plattform nutzen.
Richtig messen
Die Frage, wie schnell die DSLLeitung Daten maximal übertragen kann, beantwortet nur das
DSL-Modem richtig. Die meisten
neueren DSL-Router mit integriertem Modem zeigen die
tatsächlich mit dem Modem
im DSLAM ausgehandelte Geschwindigkeit in der Bedienoberfläche an. Hier wird aber
häufig nur die Brutto-Bandbreite angezeigt. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen bremst der
Provider die Leitung zusätzlich
aus, etwa bei älteren HansenetAnschlüssen mit 4 MBit/s. Bei
diesen synchronisiert das Modem zwar mit bis zu 16 MBit/s,
der Datentransfer wird aber auf
einer höheren OSI-Schicht auf
die bestellte Geschwindigkeit
abgeregelt.
In vielen Fällen kann man sich
das Nachmessen der Leitung ohnehin schenken: DSL-Anschlüsse
der Telekom mit 6 MBit/s oder
weniger, egal ob direkt oder per
Resale vermarktet, laufen nämlich grundsätzlich nur mit fest
eingestellter Bandbreite (fixed
rate). Wird diese unterschritten,
kann das Modem nicht mehr
synchronisieren. Wie hoch diese
Bandbreite ist, lässt sich der Auftragsbestätigung entnehmen,
denn die Telekom schaltet bei
solchen Anschlüssen eine langsamere Variante nur mit ausdrücklicher Zustimmung des
Kunden.
Will man sich auf die ModemAnzeige allein nicht verlassen,
setzt man zum Ausreizen des
DSL-Anschlusses am besten
einen Download-Beschleuniger
ein [1]. Die meisten zeigen einen
gleitenden Durchschnitt für die
Download-Geschwindigkeit an,
der recht präzise ist. Bei Bedarf
kann man zusätzliche Download-Streams öffnen. Mit gleichzeitigen Downloads von verschiedenen Servern lässt sich
selbst eine schnelle DSL-Leitung
voll auslasten – und ganz nebenbei mit einiger Sicherheit die tatsächliche Anschlussbandbreite
bestimmen.
Sind die Verbindungen trotz
hoher Bandbreite auf der DSLLeitung allgemein langsam, sollte
man zunächst einmal die eigenen
Netzwerkeinstellungen unter die
Lupe nehmen [2], bevor man den
Fehler beim Zugangsprovider
sucht.
(uma)
Literatur
[1]ˇUrs Mansmann, Parallel-Turbo,
Schnelles Laden von Dateien mit
Download-Managern für Windows, c’t 11/06, S. 106
[2]ˇChristoph Lüders, Martin Winkler,
Basteln am Boliden, InternetTuning-Tipps unter der Lupe,
c’t 23/06, S. 190
Auch an einem handelsüblichen 16-MBit/sAnschluss mit 1 MBit/s im Upstream streuen die
Ergebnisse verschiedener Speedtests erheblich.
c’t 2009, Heft 8
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