B KULTURWISSENSCHAFTEN BD LITERATUR UND

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B KULTURWISSENSCHAFTEN BD LITERATUR UND
B
KULTURWISSENSCHAFTEN
BD
LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT
BDBA
Deutsche Literatur
Personale Informationsmittel
Franz HESSEL
EDITION
14-2
Sämtliche Werke : in fünf Bänden / Franz Hessel. Hrsg. von
Hartmut Vollmer und Bernd Witte. - Hamburg : Igel-Verlag Literatur & Wissenschaft. - 22 cm. - ISBN 978-3-86815-580-8 :
EUR 219.00
[#3537]
Bd. 1. Romane / hrsg. und mit einem Nachwort versehen von
Bernd Witte. - 2., aktualisierte und erw. Auf. - 2013. - 466 S. ISBN 978-3-86815-581-5 : EUR 46.90
Bd. 2. Prosasammlungen / hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Karin Grund-Ferroud. - 2., aktualisierte und erw.
Aufl. - 2013. - 463 S. - ISBN 978-3-86815-582-2 : EUR 46.90
Bd. 3. Städte und Porträts / hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Bernhard Echte. - 2., aktualisierte und erw. Aufl. 2013. - 410 S. - ISBN 978-3-86815-583-9 : EUR 44.90
Bd. 4. Lyrik und Dramatik / mit einem Nachwort hrsg. von Andreas Thomasberger und Hartmut Vollmer. - 2., aktualisierte
und erw. Aufl. - 2013. - 362 S. - ISBN 978-3-86815-584-6 : EUR
42.90
Bd. 5. Verstreute Prosa, Kritiken : mit Zeittafel, Bibliographie
und Nachwort / hrsg. von Hartmut Vollmer. - 2., aktualisierte
und erw. Aufl. - 2013. - 405 S. - Bibliographie Franz Hessel S.
361 - 405. - ISBN 978-3-86815-585-3 : EUR 42.90
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war der Name des Bankierssohnes Franz Hessel zweifellos ein Begriff in den Kreisen deutscher
Intellektueller. Erobert hatte er ihn sich vor allem durch seine Bücher, Kritiken und Feuilletons, aber auch als Übersetzer und Lektor, der zusammen
mit seinem beinahe vergessenen Kollegen Paul Mayer die Geschicke des
Verlags von Ernst Rowohlt über Jahre entscheidend mitbestimmte. Nach
1933 wurde es dann merklich stiller um diesen deutschen Juden, der freilich
noch bis 1938 in Berlin ausharrte – als „Mäuschen im Gebälk“, wie sein
Freund Walter Benjamin Hessels zurückgezogenes Leben in diesen Jahren
umschrieb.1 Erst kurz vor der „Kristall“- bzw. Pogrom-Nacht vom 9. auf den
10. November konnte ihn seine Gattin Helen Grund überzeugen, sich endlich vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Er floh in sein geliebtes Paris,
das ihm schon vor dem ersten Weltkrieg zur zweiten Heimat geworden war.
Mit den kriegerischen Auseinandersetzungen im Frankreich des Jahres
1940 im berüchtigten Lager Les Milles interniert, starb Hessel, nur wenige
Monate nach seiner Entlassung, 1941, im südfranzösischen Sanary-surMer.
Wie der dem fünften und letzten Band dieser Werkausgabe beigegebenen,
umfangreichen und übersichtlichen Bibliographie Franz Hessel von Gregor
Ackermann und Hartmut Vollmer zu entnehmen ist (S. 361 - 405), geriet
Hessel trotz Naziherrschaft und zweitem Weltkrieg nie völlig in Vergessenheit. Schon 1947 erinnerte die von Richard Drews und Alfred Kantorowicz
herausgegebene Anthologie Verboten und verbrannt wieder an ihn.2 Und
in den Folgejahren, als in mehr oder minder großen Zeitabständen immer
mal wieder einzelne Texte aus seinem umfangreichen Œuvre in Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden,
köchelte der Name dieses „Meisters der leisen Töne“3 wenigstens auf einer
(ganz) kleinen Flamme öffentlicher Aufmerksamkeit weiter. Dann, im Zuge
und Zusammenhang eines wachsenden Interesses für die Kultur der Weimarer Republik, für die unter Hitler exilierte deutsche Literatur allgemein
sowie insbesondere für das (wieder-) entdeckte Werk Walter Benjamins erfuhren Hessels Schriften geradezu eine Renaissance bei der Leserschaft.
Seine wichtigsten Werke wurden, vor allem in den 1980er und 1990er Jahren, neu aufgelegt, und am Ende stand beinahe „naturgemäß“ die erste
Werkausgabe Hessels, die der kleine, aber darin eben auch couragierte
Igel-Verlag, damals noch in Oldenburg, mittlerweile in Hamburg, 1999 besorgte.
Nun ist diese Edition in zweiter, ergänzter und aktualisierter Auflage erschienen. So gering auch die Zahl der gedruckten Exemplare sein mag (sie
liegt im dreistelligen Bereich), so scheint doch das Faktum ihrer Veröffentlichung an sich bereits alle Sorgen zu zerstreuen, wie sie vor knapp eineinhalb Jahrzehnten auch schon geäußert wurden: daß nämlich Hessel mit
dieser Werkausgabe zugleich sein freilich „würdiges Begräbnis“ bereitet
1
Gesammelte Briefe / Walter Benjamin. Hrsg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Frankfurt am Main : Suhrkamp. - Bd. 6. 1938 - 1940 / hrsg. von Christoph Gödde
und Henri Lonitz. - 2000, S. 175.
2
Vgl. jetzt: Verboten und verbrannt : deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt /
Richard Drews und Alfred Kantorowicz (Hrsg.). Neu hrsg. mit einem Vorw. von
Helmut Kindler und einem Nachw. von Walter Jens. - Neuaufl. - München : Kindler, 1983. - 299 S. ; 21 cm. - (Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.). - ISBN 3-463-00860-2. - S. 109.
3
Vgl. Der Meister der leisen Töne : Biographie des Dichters Franz Hessel / Magali Laure Nieradka. - 2., überarb. und erg. Aufl. - Hamburg : Igel-Verlag Literatur
& Wissenschaft, 2014. - 231 S. : Ill. ; 21 cm. - 978-3-86815-590-7 : EUR 27.90.
worden sei.4 Handelt es sich also bei diesem Autor um einen, dessen
Schriften mittlerweile zum festen Bestandteil bzw. Kanon unserer Kultur geworden sind?
Man zögert ein wenig, diese Frage mit einem entschiedenen „Ja“ zu beantworten, und das nicht etwa, weil Kritik und Wissenschaft Hessel stiefmütterlich behandelt hätten. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Die bloße Bibliographierung all der Veröffentlichungen zu seiner Person und seinem Werk, der
Würdigungen und Porträts, der Besprechungen seiner Prosa-Sammlungen
und Romane, der Akten akademischer Tagungen, einer Ausstellung,5 der
analysierenden Aufsätze wie Dissertationen und Habilitationen, ergäbe mittlerweile ein ansehnliches Verzeichnis,6 in dem nicht einmal eine Biographie
(auch sie gerade in zweiter Auflage erschienen7) fehlt, in der so ziemlich
alles, was man zu Hessel über die Jahre hat in Erfahrung bringen können,
ausgebreitet wird. Nein, es ist eher die Tatsache, daß Hessels bisherige
Rezeption gewissermaßen eine „im Schlepptau“ gewesen ist. Die Fragestellungen, die in der bisherigen Literatur an seine Schriften herangetragen
wurden, ergaben sich meist aus einer Art übergeordnetem Interesse: Er ist
zunächst und bis heute vor allem „im Zeichen [Walter] Benjamins“ gelesen
worden, durch die Brille von dessen „Versuch, den Freund in die geschichtsphilosophische Konstruktion einer durch Rausch, Traum und Entgrenzung charakterisierten Fortbewegung einzuordnen“,8 wofür etwa schon
die bahnbrechende Arbeit von Eckhardt Köhn, Straßenrausch, aus dem
4
Diese Befürchtung äußerte Jörg Plath in seiner Besprechung für die Frankfurter
Rundschau vom 11.3.2000. - Jetzt: Diese Dose hat einen doppelten Boden :
die Renaissance des Flaneurs Franz Hessel ist mit einer Werkausgabe abgeschlossen / Jörg Plath. // In: Über Franz Hessel : Erinnerungen - Porträts - Rezensionen / hrsg. von Gregor Ackermann und Hartmut Vollmer. - 1. Aufl. - Oldenburg :
Igel-Verlag, 2001. - (Literatur- und Medienwissenschaft; 79), S. 293.
5
Franz Hessel: nur was uns anschaut, sehen wir : Ausstellung des Literaturhauses Berlin ; Literaturhaus Berlin, 27. September - 1. November 1998, SchillerNationalmuseum, Marbach am Neckar, 8. November - 15. Januar 1999 / Ausstellungsbuch erarb. von Ernest Wichner und Herbert Wiesner. - Berlin : Literaturhaus
Berlin, 1998. - 155 S. : Ill. ; 24 cm. - (Texte aus dem Literaturhaus Berlin ; Bd. 13).
- ISBN 3-926433-18-3 : DM 32.00 [5193]. - Rez.: IFB 99-1/4-184
http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/99_0184.html
6
Einen ersten anschaulichen Eindruck vom ganzen Umfang der Rezeption Hessels vermittelt der bereits erwähnte Sammelband Über Franz Hessel, der nur „die
bisherige erinnerungsliterarische und rezensierende Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Schriftstellers“ enthält (so Hartmut Vollmer im Nachwort, a.a.O.,
S. 318).
7
Die erste Auflage der oben bereits zitierten Lebensbeschreibung Hessels von
Magali Laure Nieradka erschien 2003.
8
Vorbemerkungen / Michael Opitz ; Jörg Plath. // In: „Genieße froh, was du nicht
hast“ : der Flaneur Franz Hessel /hrsg. von Michael Opitz ; Jörg Plath. - Würzburg
: Königshausen & Neumann, 1997, S. 7.
Jahre 1989 einsteht.9 Mit anderen Worten: Hessels Gesamtwerk ist noch
gar nicht wirklich in den Blick geraten. Insbesondere Analysen und Interpretationen seiner Gedichte und dramatischen Arbeiten wie im übrigen auch
seiner zahllosen Buchbesprechungen und Übersetzungen10 (nicht nur
Prousts, den er zusammen mit Walter Benjamin übertrug, sondern ebenso
Stendhals, Balzacs, Baudelaires, Casanovas, Jules Romains‘ u.a.) bilden
immer noch einen beinahe blinden Fleck in der bisherigen Auseinandersetzung mit diesem Autor.
Exordiert hat Hessel gewissermaßen als „klassischer“ Schriftsteller, nämlich
als Dichter, Theaterautor und Erzähler, und so bilden denn seine Romane
(Bd. 1), Novellen und Erzählungen (Bd. 2) sowie seine lyrischen und dramatischen Arbeiten (Bd. 4) auch den umfangreicheren Teil dieser Ausgabe,
deren jeder einzelne Band ein ebenso informatives wie kompetentes Nachwort beigegeben ist. Die nicht unerheblichen Aktualisierungen (Umdatierungen sowie neue, frühere oder spätere Versionen seiner Schriften etwa) und
Ergänzungen betreffen dabei insbesondere die Bände 4 und 5 (Verstreute
Prosa, Kritiken).
Über die Einteilung der Ausgabe hat man bereits bei Erscheinen ihrer ersten
Auflage trefflich gestritten. Die einen hätten es lieber gesehen, wenn die
Edition den „Vorlieben Hessels“ nach strukturiert worden wäre, indem man
etwa Bände mit seinen „Berliner Texte[n]“ oder seinen „Pariser Schriften“
zusammengestellt hätte.11 Die anderen erachteten es hingegen als Vorteil,
daß „die Herausgeber“ gerade nicht der Versuchung einer rein „thematischen oder chronologischen Gliederung“ der Ausgabe nachgegeben hätten.12 Vermutlich hätte man es beiden Parteien recht machen können, wenn
man der Edition wenigstens ein Werktitelregister, ja, vielleicht sogar auch
ein Personenregister beigegeben hätte. Ansonsten aber wird man kaum etwas an einer Ausgabe monieren wollen, die nicht zuletzt durch die maßvollen, aber eben auch erschöpfenden Kommentare der Herausgeber besticht.
Momme Brodersen
QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und
Wissenschaft
9
Straßenrausch : Flanerie und kleine Form ; Versuch zur Literaturgeschichte des
Flaneurs bis 1933 / Eckhardt Köhn. - Berlin : Das Arsenal, 1989. - 339 S. : Ill. ; 23
cm. - Zugl.: Münster, Univ., Diss., 1985. - ISBN 3-921810-95-7.
10
Die in dieser Ausgabe selbstverständlich keine Berücksichtigung gefunden haben.
11
Im Kramladen des Glücks : eine große Wiederentdeckung: der Flanierkünstler
Franz Hessel in einer schönen Werkausgabe / Dieter Hildebrandt. // In: Die Zeit. 2000-03-06 = Nr. 12, S. 49 - 50; zit. S. 50. - Die Besprechung ist auch abgedruckt
in Über Franz Hessel, a.a.O., S. 298 - 303.
12
Teigwaren, leicht gefärbt, Großpackung : Franz Hessels sämtliche Werke /
Manfred Papst. // In: Neue Zürcher Zeitung. - 2000-06-15. - Zit. nach Über Franz
Hessel, a.a.O., S. 306.
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