Standards für das trialogische lernen - Herbert Quandt
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Standards für das trialogische lernen - Herbert Quandt
Her bert Quandt -St if t ung Trialog der K u lt u r e n Standards für das trialogische Lernen Interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen in der Schule fördern C l auSS Pe ter Sa jak / A n n - K at h r i n M u t h Standards für das trialogische Lernen Interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen in der Schule fördern C l auSS Pe ter Sa jak / A n n - K at h r i n M u t h 2 3 Inhalt 6 Vorwort der Herbert Quandt-Stiftung: Ein Plädoyer für trialogische Bildungsstandards in allen Schulen! 11 Clauß Peter Sajak/Ann-Kathrin Muth 1. Trialogisches Lernen ermöglicht Kompetenzentwicklung 13 2. Schule orientiert sich an Kompetenzen und Standards 20 3. Standards für das trialogische Lernen Kompetenzbereich 1: Die Relevanz erkennen Kompetenzbereich 2: Den Dialog fördern Kompetenzbereich 3: Den Anderen anerkennen Kompetenzbereich 4: Die eigene Identität weiterentwickeln Kompetenzbereich 5: Über die Schule hinaus wirken 25 4. Im Wettbewerb erhobene Standards für das trialogische Lernen 37 5. Fazit: Der Trialog der Kulturen muss in die Schule Redaktion Roman Weigand 38 Weiterführende Literatur Gestaltung und Satz Stählingdesign, Darmstadt 40 Die Autoren Fotografie Susanne Albrecht 42 Leitbild der Herbert Quandt-Stiftung 43 Impressum Imp r e ss u m Herausgeber Herbert Quandt-Stiftung Am Pilgerrain 15 D-61352 Bad Homburg v. d. Höhe Tel: +49 (0) 6172 404- 500 Fax: +49 (0) 6172 404- 545 [email protected] www.herbert-quandt-stiftung.de © Herbert Quandt-Stiftung, 2011 ISBN 978-3-937831-19-0 4 5 V OR W ORT Vorwort Ein Plädoyer für trialogische Bildungsstandards in allen Schulen! Genau zehn Jahre ist es her, dass die Veröffentlichung der PISA-Studie einen regelrechten Schock in der deutschen Bildungslandschaft bewirkte. Die Bundes republik hatte in den 1970er und 1980er Jahren nicht an internationalen Vergleichsstudien teilgenommen und stellte 2001 mit Entsetzen fest, dass das Leistungsniveau der deutschen Schülerinnen und Schüler international nur für einen Mittelplatz reichte. Eine der bildungspolitischen Konsequenzen dieses Ergebnisses war die komplette Umstellung bei der Steuerung des Wissenserwerbs in der Schule von Lehrplänen auf Bildungsstandards und Kompetenzen. Entscheidend wird zukünftig nicht mehr sein, was die Schule lehren soll (Input-Orientierung), sondern was Schülerinnen und Schüler am Ende eines Schuljahrs gelernt haben (Output-Orientierung). Diese Kompetenzen sind evaluierbar, so dass sich der erhoffte, positive Lernprozess der deutschen Schülerinnen und Schüler messen lassen kann. Für Fächer wie Religion und Ethik haben die beiden großen christlichen Kirchen – und seit einiger Zeit auch jüdische und islamische Gelehrte bzw. Organisationen – entsprechende Standards definiert. Was in der Diskussion bisher jedoch fehlt, sind dezidiert interreligiöse und interkulturelle Bildungsstandards. Dieser Mangel hat viel damit zu tun, dass es kein eigenes Schulfach zu diesem Themenspektrum gibt. Zudem fehlt der interreligiösen und interkulturellen Pädagogik in den Schulen und Kultusbehörden noch immer die Anerkennung, die ihnen in einer pluralistischen Gesellschaft zukommen muss. 6 Noch immer wird unterschätzt, wie stark sich Deutschland in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten 2009 16,0 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland; das sind 19,6 % der Bevölkerung. Damit sind allerdings nicht allein Ausländer gemeint, sondern auch Deutsche mit einer Zuwanderungsgeschichte – etwa aus Russland oder Rumänien – sowie eingebürgerte Migranten. Rund vier Millionen Menschen sind Muslime, über 1,3 Millionen Menschen gehören den orthodoxen Kirchen an. Die Zahl der Juden ist dank der „russischen Kontingentflüchtlinge“ auch auf über 100.000 Gläubige gewachsen. Die zukünftige Leistungselite Deutschlands (und nicht nur die Unterschicht, wie oft beklagt wird) wird in einem erheblichen Maße eine Zuwanderungsgeschichte besitzen. Diese Entwicklung spiegelt sich nirgendwo deutlicher als in den Schulen der Bundesrepublik wider – besonders in den Großstädten. Grund genug, dass Schülerinnen und Schüler interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen so früh wie möglich in ihrem Leben entwickeln müssen. Dies geschieht am besten fächerübergreifend, mit einem soliden theoretischen Wissen und konkreten praktischen Anknüpfungspunkten. Genau hier versucht die Herbert Quandt-Stiftung mit ihrem „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb einzusetzen, der den Fokus auf das gemeinsame Erbe von Judentum, Christentum und Islam legt. Seit 2005 haben sich mehr als 25.000 Schülerinnen und Schüler aus rund 100 Schulen in Hessen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Thüringen, Brandenburg und dem Saarland in jeweils einjährigen Projekten intensiv mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den drei monotheistischen Kulturtraditionen beschäftigt. Dabei wird nicht einer diffus vereinnahmenden „Superreligion“ das Wort geredet, sondern klar zwischen der Anerkennung des Anderen und der Suche nach dem Eigenen sowie den gemeinsamen Wurzeln unterschieden. Die Schulen untersuchten religiöse Traditionen und ihre kulturellen Aus prägungen, setzten sich mit theologischen Denkmodellen und ihren sozialen Ausprägungen, mit Kulturkonflikten und Kulturbegegnungen, schulischer Wirklichkeit und Potentialen des Zusammenlebens auseinander. Die Projekte 7 V OR W ORT C h r is t o f E ic h e r t / R o l a n d L ö f f l e r entfalteten eine enorme kreative Kraft, zogen ganze Schulen, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, das Umfeld und mitunter gar die lokalen Gemeinden in ihren Bann. So setzte der Wettbewerb Maßstäbe. Die Herbert Quandt-Stiftung war davon überzeugt, dass diese Schulprojekte implizit und explizit Bildungsstandards hervorbringen. Die Stiftung beauftragte deshalb Clauß Peter Sajak, Mitglied der unabhängigen Jury des Trialog-Schulenwettbewerbs und – als Professor für Religionspädagogik an der Universität Münster – ein ausgewiesener Experte für interreligiöse Didaktik und religiöse Kompetenzentwicklung, sowie seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Ann-Kathrin Muth mit der Ausarbeitung dieser Studie. Darin formulieren die Wissenschaftler erstmals trialogische Bildungsstandards, die sie in die aktuelle Debatte einbringen.1 Das Autorenteam unterbreitet der bildungspolitischen Öffentlichkeit gemeinsam mit der Herbert Quandt-Stiftung einen Vorschlag, wie interkulturelle und interreligiöse Bildungsstandards in den Schulen fächerübergreifend verankert werden können. Dabei gehen wir einen anderen Weg als die bisher von Ministerien und Expertengremien erarbeiteten Bildungsstandard-Kataloge. Die von uns vorgeschlagenen Bildungsstandards sind aus der Praxis von sechs Jahren TrialogSchulenwettbewerb gewonnen und haben den Test in der schulischen Wirklichkeit bereits hinter sich. Wir sind überzeugt, dass sich aus den innovativen und pädagogisch reflektierten Projektergebnissen solide und übertragbare Kompetenzprofile entwickeln lassen, die in allen Bundesländern zur Anwendung kommen sollen – sowohl auf der Ebene von allgemeinen Bildungsstandards als auch im Rahmen der eigenständigen Profilentwicklung einzelner Schulen. Beide haben im Klett/Kallmeyer-Verlag auch die erste Dokumentation und wissenschaftliche Analyse des Wettbewerbs vorgelegt: Clauß-Peter Sajak unter Mitarbeit von Ann-Kathrin-Muth und Angelika Pantel, Trialogisch lernen – Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010. 1 8 Die vorliegende Studie führt zunächst in die wissenschaftliche Diskussion zur Begegnung der Kulturen und im Anschluss in die Debatte um Bildungsstandards ein. Am Beispiel der Ergebnisse von zehn „Trialog der Kulturen“-Projektschulen entwickeln Sajak/Muth fünf Kompetenzbereiche des trialogischen Lernens: 1) 2) 3) 4) 5) Die Relevanz erkennen Den Dialog fördern Den Anderen anerkennen Die eigene Identität weiterentwickeln Über die Schule hinaus wirken Diese Kompetenzbereiche sind ganz bewusst allgemein gefasst. Sie müssen in einem weiteren Schritt in den Bundesländern und „vor Ort“ schulform- und jahrgangsspezifisch in die pädagogische Arbeit eingefügt werden. Sie geben ein stabiles Gerüst für den schulischen Trialog und sie zeigen, wie anhand von erfolgreichen Beispielen des Trialog-Schulenwettbewerbs diese Kompetenzen in Schulprojekten und Schulalltag realisiert werden können. Das bildungspolitische Engagement der Herbert Quandt-Stiftung begann 1999 mit einer Lehrplan-Studie. Drei Jahre lang untersuchte eine Gruppe von Theologen und Religionswissenschaftlern der University of Birmingham um Jørgen Nielsen, Markus Vinzent und Lisa Kaul-Seidman Curricula und Unterrichtspraxis in acht europäischen Ländern in Hinblick auf ihr Potential, Wissen über die drei abrahamischen Religionen zu vermitteln.2 Dabei stand nicht nur die Frage im Zentrum, ob entsprechende Inhalte ausreichend berücksichtigt, sondern auch, wie sie vermittelt werden. Auf Grundlage der Ergebnisse entwickelten die Wissenschaftler Empfehlungen für eine bessere schulische Praxis: Schülerinnen und Schüler sollten einen Grundstock an Sachwissen über die abrahamischen Religionen erlangen; außerdem sollten interreligiöse Ele mente in die Lehrerausbildung und die schulischen Curricula aufgenommen werden, was eine Überarbeitung von Lehrbüchern und die Entwicklung neuer Unterrichtsmaterialien einschloss. 2 J ørgen Nielsen/Markus Vinzent/Lisa Kaul-Seidmann: Europäische Identität und kultureller Pluralismus: Judentum, Christentum und Islam in europäischen Lehrplänen. Empfehlungen für die Praxis, Bad Homburg v. d. Höhe 2003. 9 C h r is t o f E ic h e r t / R o l a n d L ö f f l e r Die Herbert Quandt-Stiftung hat diese Empfehlung mit der Implementierung des „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerbs, durch Konferenzen und flankierende Publikationen aufgegriffen. Heute – nach viele Jahren praktischer Wettbewerbsarbeit – möchte sie an diesen Anfangsimpuls anknüpfen und einen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um Bildungsstandards leisten. Wir sind davon überzeugt, dass der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb im Transformationsprozess von der Lehrplan- hin zur Kompetenzorientierung profunde Ergebnisse liefert, die in die Schulwirklichkeit, aber auch in die Ausund Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, einfließen können. Letztlich geht es darum, Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft einer ethnisch, religiös und kulturell vielfältigen Gesellschaft vorzubereiten. Die Entwicklung entsprechender Kompetenzen verhindert Konflikte und stärkt das Zusammenleben in Deutschland Dr. Christof Eichert, Vorstand der Herbert Quandt-Stiftung Dr. Roland Löffler, Leiter des Themenfeldes „Trialog der Kulturen“ der Herbert Quandt-Stiftung 1. Trialogisches Lernen ermöglicht Kompetenzentwicklung ClauSS Peter Sa jak / A n n - K a t h r i n M u t h Der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb wird seit 2005 alljährlich von der Herbert Quandt-Stiftung in Bad Homburg ausgerichtet. Die Stiftung will in den Schulen einen „Trialog“ – also ein „Dreigespräch“ – zwischen den drei abrahamischen Religionen und Kulturtraditionen anregen, um so Schülerinnen und Schüler auf das große kulturelle Erbe von Judentum, Christentum und Islam aufmerksam zu machen und zugleich für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit Menschen anderer Kulturen und Religionen anzuregen. In der Rückschau auf fünf Runden des Trialog-Schulenwettbewerbs zeigt sich deutlich, dass in den geförderten Schulen durch die engagierte und kreative Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Problemen des „Trialogs der Kulturen“ eine ganze Reihe von elementaren Kompetenzen im Bereich interreligiösen und interkulturellen Lernens erworben werden konnte. Wirft man einen Blick auf die religiösen Kompetenzen, wie sie im Rahmen der zur Zeit aktuellen religionsdidaktischen Modelle der jüdischen, christlichen und muslimischen Forschung formuliert werden, so erkennt man rasch, dass vieles, was in den normativen Papieren zum Religions- und Ethikunterricht eingefordert wird, im Rahmen dieser schulischen Projektarbeit in äußerst gelungener Weise realisiert worden ist. Natürlich bleiben Differenzen, weil die Beiträge der Wettbewerbsschulen niemals das Ganze der religionspädagogischen Bildungsziele abdecken können, zumal sich der Wettbewerb nicht ausschließlich religionspädagogisch, sondern auch kulturgeschichtlich und gesellschaftspolitisch definiert: Es geht ja um das kulturelle Erbe der drei abrahamischen Religionen in Europa. Der Wettbewerb kann und will aber auch nicht den Religions- oder Ethikunterricht ersetzen. 10 11 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Doch ist der Wettbewerb in besonderer Weise geeignet, zu einer Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern im Bereich des interreligiösen Lernens beizutragen – und dies in einer Intensität und Ganzheitlichkeit, die der Religionsoder Ethikunterricht im Rahmen des schulischen Stundenplans in der Regel so nicht leisten kann. Mit Blick auf die Debatte um die Kompetenzorientierung schulischen Lehrens und Lernens eröffnet der Schulenwettbewerb der Herbert Quandt-Stiftung eine wichtige zusätzliche Perspektive für die Frage, was Schülerinnen und Schüler können sollen. Die im Rahmen der schulischen Projektarbeit präsentierten Fähigkeiten und Fertigkeiten bieten die Chance, elementare Standards interreligiösen und interkulturellen Lernens nicht etwa top down – wie normalerweise von Ministerien, Landeskirchen oder Bistümern entwickelt –, sondern bottom up durch die Arbeit der Schülerinnen und Schüler in der konkreten Praxis zu erheben. Die in diesem Zusammenhang von uns beobachteten, beschriebenen und dokumentierten Kompetenzen und Standards haben deshalb in der Debatte um die Zukunft des interreligiösen und interkulturellen Lernens wegweisenden Charakter und sollten entsprechend bei der künftigen Gestaltung der Curricula, aber auch bei der Konzeption der Lehreraus- und -weiterbildung rezipiert und integriert werden. Vom Trialog-Schulenwettbewerb lässt sich Entscheidendes lernen. Wir wollen in dieser Veröffentlichung die im Rahmen des Schulenwettbewerbs erhobenen Kompetenzen beschreiben und als mögliche Standards für das interreligiöse und interkulturelle Lernen ausweisen. Zu diesem Zweck ist eine kurze Einführung in den aktuellen bildungswissenschaftlichen Diskurs um basale Kompetenzen und normative Standards schulischer Bildung hilfreich. 2. Schule orientiert sich an Kompetenzen und Standards In den vergangenen Jahren haben Bildungsstandards und kompetenzorientierte Kerncurricula die traditionellen Lehrpläne ersetzt. Bildungsstandards sind Vorgaben der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK). Mit Hilfe dieses neuen Instruments werden Kompetenzen beschrieben, die am Ende eines Bildungsabschnitts von Schülerinnen und Schülern beherrscht werden sollen. So heißt es in den Bildungsstandards der KMK für das Fach Deutsch am Ende der Grundschulzeit: Schülerinnen und Schüler können „rechtschreibwichtige Wörter normgerecht schreiben, Rechtschreibstrategien verwenden […] Zeichensetzung beachten“ und „Texte auf orthographische Richtigkeit überprüfen und korrigieren.“4 In der Regel wird der Unterschied zwischen Lehrplänen und Bildungsstandards als ein Wechsel von der Input- zur Output- oder Outcome-Steuerung beschrieben. Was ist damit gemeint? Lehrpläne geben in der Regel vor, was Lehrerinnen und Lehrer in einem bestimmten Zeitabschnitt Schülerinnen und Schülern eines bestimmten Schuljahres an Inhalten und Themen lehren sollen. Lehrpläne formulieren also einen Input, der in den Unterricht hineingetragen wird. Bildungsstandards dagegen sollen Outcome oder Output, also Ergebnisse von Unterricht formulieren. Sie sind daher streng genommen Lernpläne, denn sie weisen aus, was Schülerinnen und Schüler lernen sollen. In der Sprache der Kultusminister der 4 Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. Oktober 2004, hg. v. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, München 2005, 10f. 12 13 2 . S c h u l e o r i e n t i e r t s i c h a n K o mp e t e n z e n u n d S t a n d a r d s Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h deutschen Bundesländer: Lehrerinnen und Lehrern wird nicht mehr vorgegeben, was sie mit den Schülerinnen und Schülern in der Schule erarbeiten sollen. Vielmehr wird festgelegt, was Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit können sollen. Was genau Bildungsstandards sind, beschreibt die sogenannte Klieme-Expertise, ein von den wichtigsten deutschen Bildungsforschern um den langjährigen Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, Eckhard Klieme, für die KMK erstelltes Grundlagenpapier.5 In dieser Expertise heißt es: „Bildungsstandards legen fest, welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben sollen.“ Und weiter heißt es dort: „Bildungsstandards legen zudem fest, über welche Kompetenzen ein Schüler/eine Schülerin verfügen muss, wenn wichtige Ziele der Schule als erreicht gelten sollen.“6 Damit wird deutlich, dass Bildungsstandards kontrollieren wollen: Zum einen was Schülerinnen und Schüler nach einem bestimmten Schulabschnitt können, zum anderen aber eben auch wie Lehrerinnen und Lehrer in der Schule gearbeitet haben sollen: Ihr Erfolg wird nun an den Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern gemessen. Wie aber sind Kompetenzen genauer zu definieren? Kompetenzen sind laut Klieme-Expertise „die bei Individuen verfügbaren und durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“7 Kompetenzen beschreiben die Problemlösefähigkeiten von Schülerinnen und Schülern. Mit der Formulierung von Kompetenzen wird also die Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern in bestimmten Bereichen festgeschrieben, z. B. die Lesefähigkeit im Fach Deutsch, die Fähigkeit des Modulierens mit Zahlen im Fach Mathematik oder eben die Fähigkeit zur Deutung von symbolischer Sprache im Fach Religion. Bundesweit gelten Bildungsstandards derzeit für den Primarbereich (Jahrgangsstufe 4), konkret: für die Fächer Deutsch und Mathematik; für den Hauptschulabschluss (Jahrgangsstufe 9) für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache sowie für den mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10) für die Fächer Deutsch, Mathematik, die erste Fremdsprache, Biologie, Chemie und Physik. Im Oktober 2007 hat die KMK außerdem die Entwicklung von Bildungsstandards und Aufgaben-Pools für die gymnasiale Oberstufe in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch, Biologie, Chemie und Physik beschlossen. Diese befinden sich gegenwärtig noch in der Erarbeitungsphase. Bei der Erarbeitung von länderübergreifenden Bildungsstandards wurde der Religions- und Ethikunterricht – wie eine Reihe anderer Fächer auch – von Seiten der KMK zunächst nicht in den Blick genommen. Dies hing sowohl mit unterschwelligen oder auch öffentlichen Einschätzungen im Hinblick auf die Relevanz dieser Fächer zusammen als auch mit der Tatsache, dass der Religionsunterricht als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche, staatskirchenrechtlich gesprochen als res mixta, einer besonderen Absprache bedarf. Um ihrer Regelungspflicht zu entsprechen, hat auf katholischer Seite die für die Erziehung und Schule verantwortliche Kommission VII der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im Herbst 2003 Arbeitsgruppen beauftragt, in Anlehnung an die von der KMK vorgelegten Dokumente nun Richtlinien für Standards im Fach Katholische Religion zu erarbeiten. Diese sollten für den Abschluss der Grundschule und für den Mittleren Bildungsabschluss in Klasse 10 verbindlich sein. Diese Richtlinien sind von den deutschen Bischöfen diskutiert, beschlossen und in Kraft gesetzt worden sind.8 Sie greifen die oben skizzierten bundesweiten „schulpolitischen Entwicklungen auf und bedenken ihre Konsequenzen für den katholischen Religionsunterricht in der Schule“. 9 Sie „bilden eine normative Orientierung für die zukünftige Entwicklung von länderübergreifenden oder länderbezogenen Bildungsstandards und Kerncurricula für den katholischen Religionsunterricht.“10 Im Weiteren wenden sich die Richtlinien „vor allem an die, die Bildungsstandards und Kerncurricula für den katholischen gl. Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in den V Jahrgangsstufen 5-10/Sekundarstufe I (Mittlerer Schulabschluss), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2004; und Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006. 9 Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards 2004, 5. 10 Ebd. 8 gl. Eckhard Klieme et al.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, Berlin 2003. V Ebd., 9. 7 Franz Weinert: Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim und Basel 2001, 27, zit. bei Klieme et. al., Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards,, 15. 5 6 14 2 15 2 . S c h u l e o r i e n t i e r t s i c h a n K o mp e t e n z e n u n d S t a n d a r d s Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Religionsunterricht auf der Ebene der KMK und der Bundesländer entwickeln, an die Schulabteilungen in den bischöflichen Ordinariaten und schließlich an die Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die mit der Erstellung von Schulcurricula für den katholischen Religionsunterricht befasst sind“.11 Auf evangelischer Seite ist der Prozess hin zu Standards religiöser Bildung pluraler und diskursiver verlaufen. Nach einem längeren Konsultationsprozess hat schließlich 2006 eine Arbeitsgruppe des Comenius-Instituts Münster „Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung“ zusammengestellt, die „zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterricht[s] durch Bildungsstandards“12 dienen sollen. Das Papier beschreibt zwölf grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung, zeigt aber auch zu jeder dieser Kompetenzen ein Aufgabenbeispiel. In die Arbeit dieser Comenius-Gruppe sind auch Erkenntnisse des DFG-Forschungsprojekts „Bildungsstandards und Qualitätssicherung im RU“ an der Humboldt-Universität Berlin eingeflossen, mit dem unter der Leitung von Dietrich Benner und Rolf Schieder ein Instrument für die Evaluation von Bildungsstandards in Evangelischer Religion im Rahmen der gymnasialen Oberstufe entwickelt und getestet wurde.13 Eine Arbeitsgruppe der Bildungskammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat das Kompetenzmodell inzwischen kritisch überarbeitet, insbesondere bezüglich der ethisch-moralischen Perspektive erweitert und auf insgesamt acht Kompetenzen verdichtet. Darüber versuchten die protestantischen Experten, Standards für die Kompetenzen zu formulieren. Das Ergebnis ist inzwischen vom Rat der EKD als „Orientierungsrahmen für Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufe I“ veröffentlicht worden: „Darin ist die größtmögliche bildungspolitische Autorität der evangelischen Kirchen realisiert. Alle weiteren Formen der Umsetzung in Bildungspläne und Unterricht sind Sache der Landeskirchen.“14 Auch für den Jüdischen15 und Islamischen Religionsunterricht16 sind inzwischen Standards entwickelt worden, mit denen Kompetenzerwartungen beschrieben sind. Allerdings liegen hier noch keine länderübergreifenden Standards wie im Fall der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften vor. Zudem gibt es in den verschiedenen Bundesländern regionale Initiativen, auch den Jüdischen Religionsunterricht am Paradigma der Kompetenzorientierung auszurichten und zugleich mit den verschiedenen muslimischen Verbänden über die Einrichtung eines Islamischen Religionsunterrichts zu verhandeln. Am weitesten ist hier die Entwicklung in Baden-Württemberg, wo die damalige Kultusministerin und heutige Bundesbildungsministerin Annette Schavan – unabhängig von den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz – schon kurz nach der Jahrtausendwende die komplette Umstellung der Lehrpläne auf Standardkataloge für alle Schultypen und Unterrichtsfächer anordnete. Diese Standardkataloge liegen seit 2004 als neue Form des traditionellen „Bildungsplans Baden-Württemberg“ vor, einschließlich Standards für den Evangelischen, Katholischen und Jüdischen Religionsunterricht (für die Klassen 2, 4, 6, 8, und 10).17 Für einen Unterricht in Islamischer Religionslehre sind bisher Bildungsstandards für die Grundschule (also für die Klassen 2 und 4) entwickelt worden, bei der Revision des Bildungsplans im Jahre 2014 sollen auch Standards für die weiterführenden Jahrgangsstufen hinzukommen. In verschiedenen Bundesländern, die noch keinen konfessionellen Islamischen Religionsunterricht kennen, gibt es als Übergangslösung einen staatlichen Islamkundeunterricht, so z. B. in Nordrhein-Westfalen. Der dort verwendete Lehrplan kennt ebenfalls Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Haltungen und Einstellungen, die von Schülerinnen und Schülern erworben und entwickelt werden sollen.18 Der Bildungsplan Baden-Württemberg weist auch Standards für das Ersatzfach Ethik aus, das von den Schülerinnen und Schülern besucht wird, die nicht am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen. Hier gl. die Überlegungen zum Thema „Nationale Bildungsstandards für den jüdischen ReligionsunterV richt in der Primarstufe und in den beiden Sekundarstufen“ des jüdischen Religionspädagogen an der Hochschule für Jüdische Studien, David Krochmalnik unter: http://www.hfjs.eu/imperia/md/content/ hfjs/nbs_jued_ru.pdf. 16 Einen Entwurf für „Bildungsstandards für islamische Religionslehre Grundschule – Klassen 2,3“ findet sich unter: http://www.islamimdialog.de/GS_IslamR_bs.pdf. Zu den „Bildungsstandards für alevitische Religionslehre (Islamische Religionslehre alevitischer Prägung) Grundschule – Klassen 2,4) vgl. http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsstandards/GS/GS_aR_bp.pdf. Beide Beiträge stammen aus Baden-Württemberg. 17 Bildungsplan Baden-Württemberg 2004, abrufbar unter: www.bildung-staerkt-menschen.de. 18 Der Lehrplan für das Fach Islamkunde ist zugänglich unter: http://www.learn-line.nrw.de/angebote/ svislam/download/islamkunde.pdf. 15 Ebd. Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Red.): Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006. 13 Vgl. Dietrich Benner et al.: Ein Modell domänenspezifischer religiöser Kompetenz. Erste Ergebnisse aus dem DFG-Projekt RU-BI-QUA, in: Dietrich Benner (Hg.), Bildungsstandards. Kontroversen – Beispiele – Perspektiven, Paderborn 2007, 141-156. 14 Dietlind Fischer/Andreas Feindt: Vom Kompetenzmodell zum Unterricht – Entwicklungsstrategien im Fach Evangelische Religion, Manuskript von den Verfassern zur Verfügung gestellt, Münster 2009, 5-26, hier 13f. 11 12 16 17 2 . S c h u l e o r i e n t i e r t s i c h a n K o mp e t e n z e n u n d S t a n d a r d s Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h finden sich zumindest verschiedene Standards für das religionskundliche und interkulturelle Lernen in den verschiedenen Jahrgangsstufen, denn die Auseinandersetzung mit Identität und Alterität wie auch mit den großen Religionssystemen der Menschheit gehört traditionell zu den Themenfeldern des Ethikunterrichts. Kaum realisiert in der bundesdeutschen Bildungslandschaft wurden bisher Bildungsstandards für interreligiöses und interkulturelles Lernen. Dies ist verständlich, da es für diese spezifische Fragestellung im deutschen Schulsystem kein eigenes Unterrichtsfach gibt, hier vielmehr interdisziplinär und interkonfessionell gearbeitet werden muss. Zwar wird im Evangelischen, Jüdischen und Katholischen Religionsunterricht wie auch in Islamkunde und Ethik ein Grundwissen über die jeweils anderen Konfessionen und Religionen vermittelt. Dies zeigt ein Blick in die verschiedenen Lehrpläne und Standardkataloge. Doch ist dieser Modus religiöser Bildung eher religionskundlich geprägt: Hier findet noch kein interreligiöses Lernen im engeren Sinne statt. Stephan Leimgruber spricht deshalb in diesem Zusammenhang von einem interreligiösen Lernen im weiteren Sinne: Zu diesem gehören alle „Wahrnehmungen, die eine Religion und deren Angehörige betreffen, die verarbeitet und in das eigene Bewusstsein aufgenommen werden“.19 Interreligiöses Lernen im engeren Sinne geschieht dagegen „durch das Gespräch in direkten Begegnungen. Im Zentrum steht der Dialog, in dem sich beide Gesprächspartner gegenseitig respektieren und zu verstehen versuchen“.20 Er soll zur Konvivenz, also zum Miteinander in respektierter Differenz führen. Ein solches interreligiöses Lernen im engeren Sinne findet somit da statt, wo in besonderer Weise Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionen in einen Dialog gebracht werden, wie z. B. im Rahmen des Trialog-Schulenwettbewerbs der Herbert Quandt-Stiftung. Gerade die Auswertung dieses Schulenwettbewerbs hat gezeigt, dass ein interreligiöses Lernen im engeren Sinn gar nicht ohne ein vorausgehendes, ausgiebiges interreligiöses Lernen im weiteren Sinne erreicht werden kann. Beide Dimensionen des interreligiösen Lernens gehören zusammen: Ohne die Vorbereitung der Begegnung und des Dialogs durch religionskundliche Unterrichtssequenzen über die anderen Religionen in den konfessionellen Lerngruppen hätte es z. B. kein gemeinsam erarbeitetes Theaterstück mit Ange hörigen verschiedener Religionen über die Begegnung der Religionen und auch kein Kochbuch für die abrahamischen Religionen gegeben.21 Es bleibt die Frage, was Kriterien für ein erfolgreiches interreligiöses Lernen im engerern Sinne sein können: Gesucht werden Standards für das interreligiöse, in unserem Falle für das trialogische Lernen. Sicherlich gibt es in den bereits vorliegenden religionspädagogischen Bildungsstandard-Programmen, Bildungsplänen und Schulgesetzen einzelner Bundesländer auch Überlegungen zum interreligiösen Dialog in der Schule. Eine kohärente Ausarbeitung zu diesem für unsere Gesellschaft und unsere Schulen so brennenden Thema, das durch die sich nicht abschwächende Integrationsdebatte auch auf absehbare Zeit kaum an Relevanz verlieren wird, liegt bisher nicht vor. Doch gerade, weil die Vermittlung interreligiöser und interkultureller Kompetenzen wichtig und schwierig ist, erscheint es notwendig, auch für dieses Feld schulischen Lernens angemessene Standards zu formulieren. Dieser Versuch wird auf den folgenden Seiten unternommen. 21 S tephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen, 2. überarbeitete Auflage, München 2007, 20. 20 Ebd. 21. 19 18 gl. Clauß Peter Sajak: „Interreligiöses Lernen – Definitionen und Debatten“, in: Ders.: Kippa, Kelch V und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. Unter Mitarbeit von Katrin Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf und Jan Woppowa, München 2010, 15. 19 3 . S t a n d a r d s f ü r d a s T r i a l o g i sc h e L e r n e n 3. Standards für das Trialogische Lernen Der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb zu europäischer Identität und kulturellem Pluralismus der Herbert Quandt-Stiftung soll Lehrerinnen und Lehrer wie Schülerinnen und Schüler aller Schultypen motivieren, sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden der abrahamischen Religionen auseinanderzusetzen, um kreative und innovative Beiträge zur interreligiösen und interkulturellen Kompetenzentwicklung zu erarbeiten. Dabei stehen die jährlichen Wettbewerbsrunden seit 2007 unter wechselnden Schwerpunktthemen. Sie lauteten bisher: • im Schuljahr 2007/2008: „Was glaubst du denn?“ • im Schuljahr 2008/2009: „Schalom – Frieden – Salam?! Friedens- und Konfliktpotentiale in Judentum, Christentum und Islam“ • im Schuljahr 2009/2010: „Aufwachsen – Erwachsen. Kindheit und Jugend in Judentum, Christentum und Islam heute“ • im Schuljahr 2010/2011: „Fremde – Heimat – globale Welt“ • im Schuljahr 2011/2012: „Meine, deine, unsere Welt – wie gestalten wir die Zukunft?“ Religionen, Print-Dokumentationen oder Internetplattformen zum Wettbewerbsthema. Zudem haben die Schulen während des Schuljahrs Gelegenheit, sich bei einem „Markt der Möglichkeiten“ gegenseitig kennenzulernen und den Juroren vorzustellen. Eine erste Auswertung der verschiedenen Wettbewerbsrunden, in der vor allem Best-Practice-Beispiele als Anregungen für die konkrete Arbeit in Schulen gesammelt und vorgestellt werden, ist von den Autoren auch dieser Studie unter dem Titel „Trialogisch Lernen. Bausteine für die interreligiöse und interkulturelle Projektarbeit“ publiziert worden.22 Die darin dokumentierten Beiträge haben in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler bei entsprechender Anregung und Begleitung bereit und fähig sind, in höchst kreativer und eigenständiger Weise interreligiöse und interkulturelle Lernprozesse zu gestalten und damit ihre Kompetenzen zu entfalten. Auch wenn die Ergebnisse aller Schulenwettbewerbsrunden noch nicht endgültig wissenschaftlich aufgearbeitet sind,23 zeigt sich doch bereits in den von Ann-Kathrin Muth ausgewerteten Beispielen eine beeindruckende Vielfalt von Methoden, Modellen und Projekten des interreligiösen Lernens im Trialog von Juden, Christen und Muslimen.24 Der Heidelberger Theologe Theo Sundermeier hat vor einigen Jahren in einem einschlägigen Beitrag zur Alteritätsdidaktik ausführlich dargelegt, dass eine angemessene Begegnung zwischen den Schülerinnen und Schülern verschiedener Religionen nur möglich ist, wenn das kulturell oder religiös Trennende nicht aufgehoben oder aufgelöst wird, sondern als Distinktivum stehen bleibt.25 Nur so wird das Fremde zum Mitkonstituenten der Identität der Schülerinnen und Schüler. Folglich gilt es, einen Prozess des Austauschs und des Verstehens zu initiieren, der das Andere, Fremde und Rätselhafte stehen lässt, es aber durch Kommunikation und Austausch zu erschließen versucht. Sundermeier verwendet dafür den Leitbegriff der Konvivenz: Wahrnehmung ohne Aneignung, Anerkennung der Differenz, Verstehen des Fremden. „Das macht das Besondere der nachbarschaft lauß Peter Sajak (Hg.) unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel: Trialogisch C Lernen. Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010. 23 Der Wettbewerb wird zurzeit in unserem Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Rahmen eines Promotionsprojekts ausgewertet. 24 Ann-Kathrin Muth: „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“, in: Clauß Peter Sajak (Hg.), Trialogisch lernen, a. a. O., 175-250. 25 Vgl. Theo Sundermeier: Den Fremden verstehen. Eine praktische Hermeneutik, Göttingen 1996, 133-136. 22 Die von der unabhängigen Jury zum Wettbewerb zugelassenen Schulen erhalten jeweils ein Startgeld von inzwischen 3.500 Euro, mit dem sie im Laufe des Schuljahrs ihre Konzepte verwirklichen können: Projektwochen, Podiumsdiskussionen, Gedenkveranstaltungen, Autorenlesungen, aber auch Filmproduktionen, Theateraufführungen, Musicalinszenierungen, Interviews mit Vertretern der 20 21 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h lichen Konvivenz aus, dass diese Spannung von Gegebenem und Gewähltem im Zusammenleben mit dem Fremden unausweichlich ist. Darum muss man den Umgang mit dem Fremden üben.“26 Ziel allen interreligiösen Lernens kann folglich nur sein, fremde Religionen in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren und in der Begegnung mit diesen durch Auseinandersetzung und Austausch zu einem besseren Verständnis zu gelangen. Dieses neue Verständnis verändert dann auch den Standpunkt und die Perspektive der Schülerinnen und Schüler, verändert ihre Identität in dem Sinne, dass sie in einem erweiterten Horizont ihre Unsicherheiten, Ängste und Aggressionen ablegen und zu einem abgeklärten und reflektierten Standpunkt in Sachen Religion gelangen. Blickt man auf die Fülle der Beiträge zum „Trialog der Kulturen“, so zeigt sich, dass die Schulenwettbewerbsprojekte es zu einem religionsdidaktischen Integrativum geschafft haben: Vieles, was im Fachunterricht, im Katholischen, Evangelischen und Jüdischen Religionsunterricht, in Islamkunde, Ethik, Geschichte, Deutsch, Kunst und Musik eingeführt und vorbereitet worden ist, konnte dann in jahrgangs- und klassenübergreifenden Großprojekten fruchtbar gemacht werden. Dabei haben Schülerinnen und Schüler in beeindruckender Weise ihre interreligiösen und interkulturellen Kompetenzen entdeckt, demon striert und weiterentwickelt. 3 . S t a n d a r d s f ü r d a s T r i a l o g i sc h e L e r n e n Wir sind also im Vergleich zu den bisherigen Standardkatalogen den umgekehrten Weg gegangen: Die im folgenden ausgeführten Standards für das trialogische Lernen sind formale Beschreibungen von Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler der Wettbewerbsschulen konkret, in einer für die unabhängige Jury erkennbaren sowie überprüfbaren Weise gezeigt und ausgewiesen haben. In diesem Sinne hat der Trialog-Schulenwettbewerb also eine Erhebung von Kompetenzen aus der Empirie schulischer Praxis möglich gemacht. Hier wird eine bisher wenig beachtete schulpädagogische Perspektive erkennbar: das Wettbewerbslernen als Diagnose- und Evaluationsformat im Kontext kompetenzorientierter Unterrichtskultur. In der wissenschaftlichen Nachbereitung der Wettbewerbsbeiträge haben wir deshalb versucht, diese Kompetenzen zu sichten und zu kategorisieren: Was genau haben die Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Projekten der Wettbewerbsschulen gelernt und was haben sie an Kompetenz, also in der Sprache der Bildungswissenschaft, an Problemlösefähigkeiten im Bereich der abrahamischen Religionen und der mit ihnen verbundenen Kultursysteme hinzugewonnen? Im Gegensatz zu den oben vorgestellten katholischen, evangelischen, jüdischen und muslimischen Standards religiöser Bildung, die aus Theoriemodellen der entsprechenden Religionspädagogik abgeleitet und verpflichtend gemacht worden sind, lassen sich aus den „Trialog der Kulturen“-Schulprojekten Standards interreligiöser und interkultureller Bildung erheben, die in der schulischen Praxis von Schülerinnen und Schülern auch tatsächlich erreicht und erfüllt worden sind. 26 Ebd., 192. 22 23 Unsere Sammlung, Sichtung und Analyse der Beiträge aus den ersten fünf Wettbewerbsrunden hat zu der bereits erwähnten Zusammenstellung von Best-PracticeBeispielen geführt. Aus diesen haben wir folgende allgemeinen Kompetenzen für das trialogische Lernen als Standards ausgewählt: Kompetenzbereich 1: Die Relevanz erkennen Kompetenz 1.1: S chülerinnen und Schüler stellen die Bedeutung der drei abrahamischen Religionen für die europäische Kulturgeschichte dar. Kompetenz 1.2: Schülerinnen und Schüler nehmen Zeichen, Zeugnisse und Zeugen der abrahamischen Religionen und Traditionen bewusst wahr. 4. Im Wettbewerb erhobene Standards für das trialogische Lernen Kompetenzbereich 2: Den Dialog fördern Kompetenz 2.1: Schülerinnen und Schüler zeigen die Bedeutung von Religion als grundlegendes kulturelles, gesellschaftliches Phänomen auf. Kompetenz 2.2: Schülerinnen und Schüler nehmen konstruktiv am Dialog teil und leisten einen Beitrag zur zwischenmenschlichen Verständigung. Kompetenzbereich 3: Den Anderen anerkennen Kompetenz 3.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen anderer Kinder und Jugendlicher auseinander. Kompetenz 3.2: Schülerinnen und Schüler begegnen Menschen anderer kultureller und religiöser Kontexte mit Respekt, Interesse und Wertschätzung. Kompetenzbereich 4: Die eigene Identität weiterentwickeln Kompetenz 4.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrem eigenen Glauben und ihrer eigenen Weltanschauung auseinander. Kompetenz 4.2: Schülerinnen und Schüler nehmen einen begründeten Standpunkt in ihrer eigenen Konfession, Religion oder Weltanschauung ein. Kompetenzbereich 5: Über die Schule hinaus wirken Kompetenz 5.1: Schülerinnen und Schüler eröffnen Perspektiven des abrahamischen Trialogs für Schulprofil und -gemeinschaft. Kompetenz 5.2: Schülerinnen und Schüler entwickeln Formen der Verständigung und der Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und ihrem lokalen Umfeld. 24 Wie sich diese Standards konkret in der Praxis zeigen, soll im Folgenden an Best-Practice-Beispielen aus den Wettbewerbsschulen gezeigt werden.27 Dabei bitten wir zu beachten, dass die Aufzählung und Beschreibung der verschiedenen Kompetenzen nicht als eine notwendigerweise aufeinander aufbauende Abfolge verstanden werden soll, sondern als ein hermeneutischer Zirkel interkultureller und interreligiöser Kompetenzerweiterung. In ein Bild gefasst: Die fünf Kompetenzbereiche bilden ein tragendes Gerüst für die Identitätsentwicklung der Schülerinnen und Schüler so wie die fünf Speichen eines Rades dessen Fortkommen gewährleisten. Auch die aufgeführten Beispiele bilden in der Regel nicht das Gesamtprojekt einer Schule ab: Sie veranschaulichen vielmehr im Sinne eines Best-Practice-Beispiels Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, die sich natürlich auch in anderen Projekten finden lassen. Kompetenzbereich 1: Die Relevanz erkennen Kompetenz 1.1: Schülerinnen und Schüler stellen die Bedeutung der drei abrahamischen Religionen für die europäische Kulturgeschichte dar. Beispiel: Die katholische Sankt-Lioba-Schule in Bad Nauheim hat im Schuljahr 2007/2008 mit dem Projekt „Europa klingt nach Abraham!“ am Wettbewerb teilgenommen. Sie beschäftigte sich mit drei Themenfeldern: Abraham, Klang und Europa. 27 Vgl. im Folgenden Ann-Kathrin Muth: „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“. 25 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Der Bereich „Europa“ umfasste eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Religionen sowie mit gegenwärtigen, religiös geprägten Konflikten. Dabei war die fachliche Ausrichtung nicht festgelegt auf Fächer wie Religion oder Geschichte. Beachtenswerterweise ging die Initiative, unterschiedliche Zugänge zum Thema zu finden, oftmals von den Schülerinnen und Schülern selbst aus. So übersetzte ein Lateinkurs Quellentexte über den Untergang Konstantinopels und leistete damit einen Beitrag zur Arbeit eines Parallelkurses im Fach Geschichte, der sich mit der Historie des Byzantinischen Reiches befasste. Ein EnglischLeistungskurs der Jahrgangsstufe 12 thematisierte die Problematik von religiös motivierten Auseinandersetzungen in Großbritannien und Irland. Angeregt durch eine Lehrerfortbildung zum Thema „Die Entzauberung des Heiligen“ untersuchten Lerngruppen das Verständnis von Heiligen Schriften in den drei Religionen. Besonders im Religionsunterricht arbeiteten die Schülerinnen und Schüler zu verschiedenen anderen trialogischen Themen, wie z. B. zur Gottesfrage oder zur Religionsphänomenologie. Im Fach Deutsch erfolgte ein literarischer Zugang dank einer Unterrichtsreihe zu Anne Frank; im Fach Kunst dagegen lag der Fokus auf der ästhetischen Perspektive durch die Erstellung eines „Friedensbandes“. Dieses verknüpfte nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern die Schule mit Religionsgemeinschaften. Die Schülerinnen und Schüler der katholischen Schule wirkten über die Klassenzimmer hinaus, etablierten – zum ersten Mal in der Geschichte der Schule – intensive Kontakte zur jüdischen und zur islamischen Gemeinde ihrer Stadt, so dass sie am Ende des Projekts das „Friedensband“ schließlich auch vor der Synagoge und der Moschee auslegten. Die Schülerinnen und Schüler erwarben auf diese Weise umfassende Kenntnisse über die Geschichte Europas sowie ihr stark religiös geprägtes Erbe und konnten kompetent in den interreligiösen Trialog eintreten. Kompetenz 1.2: Schülerinnen und Schüler nehmen Zeichen, Zeugnisse und Zeugen der abrahamischen Religionen und Traditionen bewusst wahr. Beispiel: Das Georg-Büchner-Gymnasium in Bad Vilbel hat das Wettbewerbsjahr 2007/2008 mit vier Schwerpunktthemen gestaltet. Eines davon bezog sich auf den Deutschunterricht. In allen Klassen aller Jahrgangsstufen wurden Texte oder Filme zum Trialog behandelt. 26 4 . i m w e t t b e w e r b e r h o b e n e S ta n d a r d s Ein Aspekt soll hier hervorgehoben werden: Das Projekt zur Bedeutung des Jiddischen für die deutsche und englische Sprache. Den Auftakt bildete die deutsche Filmkomödie „Alles auf Zucker“, die das heutige jüdische Alltagsleben in Deutschland thematisiert. Die Schülerinnen und Schüler näherten sich der jüdischen Sprachtradition an, indem sie sich in eigenen Recherchen mit der Geschichte der Juden in Deutschland beschäftigten. Mit Hilfe von Beobachtungsbögen, die verschiedene Aspekte behandelten („Welche geschichtlichen Zusammenhänge werden im Film aufgezeigt?“, „Welches Bild von jüdischem Leben und Glauben in Deutschland vermittelt der Film?“, „Welche religiösen Regeln werden erkennbar?“), legten die Schülerinnen und Schüler den Fokus auch auf die im Film verwendeten jiddischen Begriffe. Es folgte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Jiddischen. Die Jugendlichen entdeckten den jüdischen Einfluss auf das Deutsche – etwa die Herkunft des an Silvester oft gehörten Spruches „Guten Rutsch!“ aus dem Jiddischen „Rosh Hashana“. Daraus entwickelten sie die Idee, weitere jiddische Ausdrücke im Deutschen in einem selbst zu schreibenden Wörterbuch aufzulisten. Parallel dazu fand das Projekt auch im Englischunterricht statt, da sich in dieser Sprache – bedingt durch die starke jüdische Immigration in die USA – besonders viele Einflüsse des Jiddischen festmachen lassen. So entstanden mehrere Kleingruppen, die eigenständig in Bibliotheken oder im Internet recherchierten: Sie klärten beispielsweise, was grundsätzlich unter der Sprache „Jiddisch“ zu verstehen ist oder was der Ausdruck „Rotwelsch“ bedeutet. Dann erstellten sie eine Liste religiös-kultureller Begriffe und deren Bedeutung, verfassten ein Glossar jiddisch-deutscher und jiddisch-englischer Begriffe, an das sich die Erstellung eines Wörterbuches schloss. Dabei beließen es die Schülerinnen und Schüler nicht bei der reinen Auflistung der jiddischen Wörter in der deutschen bzw. der englischen Sprache, sondern schrieben auch eine kurze Einleitung in die jiddische Sprache und ihre Geschichte. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der jiddischen Sprache und ihren Spuren im Deutschen und Englischen entwickelten die Schülerinnen und Schüler eine verstärkte Wahrnehmung für jüdische Einflüsse in ihrer Lebenswelt. 27 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Kompetenzbereich 2: Den Dialog fördern Kompetenz 2.1: Schülerinnen und Schüler zeigen die Bedeutung von Religion als grundlegendes kulturelles, gesellschaftliches Phänomen auf. Beispiel: Die Emil-Fischer-Schule, ein Oberstufenzentrum für Ernährung und Lebensmitteltechnik in Berlin, hat zweimal erfolgreich am Wettbewerb teilgenommen. Eines der Projekte beschäftigte sich mit den religiösen Speisetraditionen in den drei abrahamischen Religionen, um so angehende Hauswirtschafterinnen und Hauswirtschafter auf die Begegnung mit Gästen aus fremden Kulturen vorzubereiten. Die Lehrerinnen und Lehrer bereiteten sich mit Fortbildungen auf den Trialog-Schulenwettbewerb vor und setzten sich mit den Speisegesetzen in den drei Religionen auseinander. Die Schülerinnen und Schüler nahmen ihrerseits an einem Seminar mit dem Titel „Taste of heaven“ teil, bei dem sie an zwei Tagen den Umgang mit Nahrungsmitteln in Judentum und Islam erforschten. Dabei beschränkten sie sich nicht nur auf theoretische Hintergründe, sondern unternahmen eine Exkursion in ein koscheres Café als außerschulischem Lernort und lernten die jüdischen Feste, Symbole und Schriften kennen. Auch für den Islam stand ein Experte als Ansprechpartner bereit und erläuterte den Schülerinnen und Schülern islamische Speisevorschriften. Daraus entwickelten sie weiterführende Fragen – etwa nach den historischen Ursprüngen und der heutigen Praxis des Fastens. Im Fach „Hauswirtschaftliche Versorgung“ widmete sich eine ganze Unterrichtsreihe dem Trialog. Zudem äußerten sich die Schülerinnen und Schüler in einem Stationengespräch zum Einfluss der Religionen auf die je unterschiedlichen Esskulturen. In einer zweiten Phase stellten sie ihr Wissen in Form einer Collage zusammen. Um ihre neuen Kenntnisse auch praktisch zu testen, wurde eine Auswahl von Lebensmitteln getroffen, die als hallal/koscher bzw. haram gelten. In einem dritten Schritt verständigten sich die Schülerinnen und Schüler über geeignete Rezepte für ein Buffet der Begegnungen der drei Religionen und fassten es – dank interdisziplinärer Zusammenarbeit – im EDV-Unterricht als Heft zusammen. Es entstand ein trialogisches Kochbuch, das entsprechend der Speisevorschriften Rezepte für Gläubige der drei Religionen enthielt. 28 4 . i m w e t t b e w e r b e r h o b e n e S ta n d a r d s So erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler am Beispiel des Essens höchst eigenständig und mit klarem Bezug zu ihrer späteren Berufspraxis die Erkenntnis, welch große Bedeutung Religion bzw. religiöse Regeln für Fragen der Alltagskultur besitzen. Kompetenz 2.2: Schülerinnen und Schüler beteiligen sich konstruktiv am Dialog und leisten einen Beitrag zur zwischenmenschlichen Verständigung. Beispiel: Die Theodor-Heuss-Schule aus Marburg setzte sich in der Wettbewerbsrunde 2008/2009 mit Formen der Problemlösung und Konfliktschlichtung in Judentum, Christentum und Islam auseinander. In einem ersten Schritt war dafür eine grundlegende Kenntnis der drei Religionen nötig. Die Schülerschaft, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen bestand, bereitete anschauliche Präsentationen und Plakate vor, die sie sowohl den Besuchern der Schule als auch den Eltern vorstellten. Nachdem sie sich ein elementares Grundwissen erarbeitet hatten, machten sich die Schülerinnen und Schüler auf die Suche nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden, aber auch möglichen Konfliktfeldern der abrahamischen Religionen. Eine Gruppe erarbeitete eigenständig einen Rap zum Thema „Goldene Regel“, eine andere studierte im Rahmen eines Streitschlichterkurses ein Rollenspiel mit dem Titel „Du Jude“ ein. Dabei ging es um Konfliktsituationen, die zwischen Juden, Christen und Muslimen entstehen können, sowie deren mögliche Lösungen. Die Schülerinnen und Schüler nahmen während des Rollenspiels Positionen von Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen ein, um aus der Außen- in die Innenperspektive der anderen Religion zu gelangen. Dieser konstruktive Dialogansatz blieb nicht blanke Theorie, denn die Schule erlebte nach wenigen Monaten Projektphase, wie einer ihrer Schüler in einen antisemitischen Vorfall verwickelt war. Er hatte mit anderen Jugendlichen den jüdischen Friedhof einer Nachbarstadt geschändet. Das sorgte in der Region für große Aufregung. Die Schulleitung und die Projektgruppe beschlossen deshalb, aktiv zu reagieren und initiierten eine intensive Debatte über das Thema. Einzelne Klassen besprachen den Vorfall, die Schule baute einen Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Marburg sowie zum Beratungsnetzwerk Hessen auf. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde führte Gespräche mit dem involvierten Jugendlichen. Viele Schülerinnen und Schüler beteiligten sich mit einer Pflanzaktion an der Wiederherrichtung des jüdischen Friedhofs – andere nahmen an Projekttagen zum Thema Rechtsextremismus teil. 29 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Der Vorfall wurde also von der Projektgruppe bewusst aufgenommen und bearbeitet. Der Beitrag zur Versöhnung mit der Jüdischen Gemeinde führte schließlich dazu, dass die Gemeinde der Schule als Zeichen der Anerkennung eine Spende überwies. Der konstruktive Dialog über einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Zusammenleben in Deutschland führte also zu einer Verständigung, die von den am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schülern fundamental getragen wurde. Kompetenzbereich 3: Den Anderen anerkennen Kompetenz 3.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen anderer Kinder und Jugendlicher auseinander. Beispiel: Die Gesamtschule am Gluckenstein in Bad Homburg nahm als eine der ersten Schulen am „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb teil und wurde dort für ihre als Lernwerkstatt angelegte Internetseite www.religio.eu ausgezeichnet. In einem ersten Schritt des Projekts formulierten die Schülerinnen und Schüler im Ethik- und Religionsunterricht der 10. Jahrgänge Fragen, die sie an Judentum, Christentum und Islam stellen wollten. Die Schülerinnen und Schüler bildeten daraus im Unterricht gezielt Themenbereiche, die sie dann untersuchten. Dabei zogen sie auch außerschulische Quellen heran. Zum einen wurden die Eltern über das Projekt informiert und bekamen so die Gelegenheit, mitzudiskutieren. Zum anderen unternahm die Lerngruppe Exkursionen zu außerschulischen Lernorten und führte Expertenbefragungen durch. So entwickelten die Schülerinnen und Schüler eine Internetseite, die über Themen der drei monotheistischen Religionen in bestimmten Kategorien wie z. B. „Familie“, „Feste und Bräuche“ oder „Schöpfung“ informierte und die Perspektiven der drei abrahamischen Religionen hierzu erläuterte. Zudem hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, eigenständig kreativ zu werden, z. B. zwei Fotostorys über Abraham und Mose zu gestalten, in denen wichtige Lebensabschnitte dieser biblischen Figuren dargestellt wurden. Eine andere Form der kreativen Auseinandersetzung mit dem Trialog zeigte das Projekt „Basteln für Feste“, bei dem die Schülerinnen und Schüler Requisiten für jüdische Feste herstellten, z. B. Dreidel oder Davidsternkarten. Die Schülerinnen und Schüler setzten eigene thematische Schwerpunkte: So existiert auf www.religio.eu ein eigener Abschnitt zum Thema Tod: Hier setzen 30 4 . i m w e t t b e w e r b e r h o b e n e S ta n d a r d s sich Schülerinnen und Schüler in Form eines Films mit dem Thema auseinander, indem sie einen Bestattungsunternehmer und eine Bewohnerin eines Altenheims interviewten, die beide ihr Verhältnis zum Sterben schildern. Andere Jugendliche können auf dieser Internetseite ihr Wissen in einem von den Schülerinnen und Schülern erstellten Quiz über die drei Religionen testen und in zahlreichen Foren ihre Meinungen äußern, z. B. über das Tragen eines Kopftuches. Interessante und kontroverse Diskussionen entstanden. So entwickelten die Schülerinnen und Schüler mit einem sehr zeitgemäßen, interaktiven Instrumentarium einen Weg zu einer intensiven und altersadäquaten Beschäftigung mit Religionen, Konfessionen und Kulturen ihrer Altersgenossen. Kompetenz 3.2: Schülerinnen und Schüler begegnen Menschen anderer kultureller und religiöser Kontexte mit Respekt, Interesse und Wertschätzung. Beispiel: Die Kurt-Löwenstein-Schule aus Berlin gehörte im Wettbewerbsjahr 2008/2009 mit dem Projekt „Gelebte Kulturen/Religionen im Alltag“ zu den Siegern. Da an dieser Schule ein hoher Anteil der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund hat, ist es ein Anliegen der Schule, interkulturellen Kon flikten präventiv zu begegnen und damit grundsätzlich die Bereitschaft zu Toleranz und gegenseitigem Verständnis zu fördern. Die leitende Frage des Projekts „Welche Kulturen und Religionen gibt es und wie leben sie?“ setzte zunächst im eigenen Umfeld der Schülerinnen und Schüler an. Diese interviewten einander und werteten das Material dann aus. In einem nächsten Schritt besuchte eine Gruppe muslimischer Schülerinnen und Schüler ein jüdisches Jugendzentrum und befragte dort die jüdischen Jugendlichen. Für diesen Schritt brauchte die Schule mehr als ein Jahr Vorbereitungszeit, weigerten sich doch eine Reihe von arabischen Schülern, sich mit jüdischen Jugendlichen zu treffen. Sie konnten nach dem Libanon-Krieg aus persönlicher bzw. familiärer Betroffenheit nicht zwischen Israelis und Juden in Deutschland unterscheiden. Doch das Projekt wurde fortgesetzt. Bei der Beschäftigung mit den gelebten Kulturen und Religionen tauchten immer wieder Fragen des Nahostkonflikts auf. Eine 10. Klasse veranstaltete einen Workshop zu diesem Thema, der von einem palästinensischen und einem israelischen Trainer durchgeführt wurde. Erst nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem 31 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Nahostkonflikt und dem „Trialog der Kulturen“ veränderten die Schülerinnen und Schüler Schritt für Schritt ihre Haltung, so dass die Begegnung im jüdischen Jugendzentrum möglich wurde. Während des Besuchs stellte sich heraus, dass viele Gemeinsamkeiten zwischen jüdischer und muslimischer Lebensweise existieren. Im Anschluss daran bereiteten die Jugendlichen eine Präsentation für ihre Mitschülerinnen und -schüler vor und berichteten von dem von ihnen als sehr positiv empfundenen Gespräch. In der Folgezeit widmeten sich die Schülerinnen und Schüler der gelebten Religion vor Ort. So schrieben einige von ihnen Entwürfe für eine Theaterszene, in der es um die Frage ging, was passiert, wenn verschiedene Kulturen eines Wohnhauses aufeinander treffen, welche Konflikte dort entstehen und wie diese gelöst werden können. Es ging bei diesem Projekt also nicht nur um den eigenen Standpunkt der Schülerinnen und Schüler, sondern auch darum, den Blick auf Menschen anderer Kulturzugehörigkeit zu weiten und diesen mit Respekt zu begegnen. Kompetenzbereich 4: Die eigene Identität weiterentwickeln Kompetenz 4.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrem eigenen Glauben und ihrer eigenen Weltanschauung auseinander. Beispiel: Die Evangelische Schule Berlin Mitte gewann bei der fünften Wett bewerbsrunde im Schuljahr 2009/2010 einen ersten Preis. Das Projekt zeichnete sich durch verschiedene Teilprojekte bzw. Kursgruppen (teilgenommen haben Schülerinnen und Schüler aus der 4. bis 6. Klasse) aus, deren Ziel es war, die Traditionen und Rituale von Judentum, Christentum und Islam durch einen Perspektivenwechsel kennenzulernen. Insgesamt sind drei Schwerpunkte zu nennen: Erstens die Erarbeitung und Aufführung eines Musicals mit dem Titel „Glaub doch was du willst“, in dem die Kinder Fragen zu Judentum, Christentum und Islam stellten und beantworteten. Dabei wurden bewusst Vorurteile aufgegriffen und thematisiert. Zweitens organisierte die Schule eine Projektwoche zu den drei abrahamischen Religionen. Dort erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen Kalender der drei Religionen, in dem sie Feiertage und Feste notierten und erläuterten. Drittes und zugleich herausragendes Teilprojekt war die Ausbildung von Kinder 32 4 . i m w e t t b e w e r b e r h o b e n e S ta n d a r d s kirchenführern. Die Schule hatte bereits Erfahrung damit, wie christliche Kinder sich angemessen in Architektur und Symbolwelt von Kirchen einarbeiten, um durch Sakralbauten führen zu können. Deshalb sollten sie nun lernen, Interessierten auch muslimische und jüdische Gotteshäuser näherzubringen. Zu diesem Zweck nahm die Schule Kontakt zu jüdischen und muslimischen Gemeinden auf, um Kooperationspartner für ihr Projekt zu gewinnen. Dadurch, dass die Kinder anderen Menschen die Gotteshäuser der drei abrahamischen Religionen erklärten, lernten sie selbst viel über die Geschichte, Architektur, das Leben und den Glauben von jüdischen, christlichen und muslimischen Gläubigen. Als Abschluss des Projekts führten die Kinder dann Freunde, Verwandte und andere Interessierte in historischen Kostümen durch eine Synagoge, Kirche und Moschee. Die Auseinandersetzung mit der eigenen christlichen Tradition stärkte ihre Identität, so dass sie sich kompetent und selbstbewusst auch anderen Religionen zuwenden konnten. Kompetenz 4.2: Schülerinnen und Schüler nehmen einen begründeten Standpunkt in ihrer eigenen Konfession, Religion oder Weltanschauung ein. Beispiel: Die St. Angela-Schule in Königstein hat an der fünften Runde des Schulen wettbewerbs mit dem Projekt „Kulturen entdecken und Minderheiten verstehen“ teilgenommen. An diesem Projekt waren neben Schülerinnen der St. Angela-Schule, die vor nehmlich aus einem christlichen Elternhaus stammen, auch Schülerinnen und Schüler der jüdischen Lichtigfeld-Schule in Frankfurt sowie der beruflichen Werner-von-Siemens-Schule in Frankfurt beteiligt, von der sich eine Gruppe muslimischer Jugendlicher im Projekt engagierte. Hauptziel des Projekts war die Erstellung einer Schülerzeitung, die sich dem Thema dieser Wettbewerbsrunde „Aufwachsen – Erwachsen. Kindheit und Jugend in Judentum, Christentum und Islam heute“ widmete. Im Laufe der Erarbeitungsphasen der Zeitung lag jedoch der Schwerpunkt auf den Begegnungen der drei Schülergruppen. Zur Vorbereitung recherchierten die Schülerinnen der St. Angela-Schule zu unterschiedlichen Fragestellungen der drei abrahamischen Religionen. Ziel der mehrmaligen Treffen war es nun, sich nicht nur kennenzulernen, sondern auch die Religion der anderen Gruppen zu verstehen 33 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h und den Grund für Konflikte sowie deren Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren. Leitend waren bei diesen Gesprächen folgende Fragen: 1. Was wird von den Schülern bezüglich ihres religiösen, kulturellen, familiären und schulischen Hintergrunds für wichtig angesehen und worauf möchten sie in keiner Weise verzichten? 2. Was wollen Jugendliche über die Prägung Jugendlicher aus anderen Religionsgemeinschaften wissen? 3. Wie stellen sie sich ein gelungenes Zusammenleben aller drei Religionsgemeinschaften vor? Mit Hilfe dieser Fragen entstanden spannende und kontroverse Diskussionen, in denen sich die Schülerinnen und Schüler über ihren eigenen Glauben aus tauschten. Beispielsweise hatten die jüdischen und muslimischen Schülerinnen und Schüler durchaus Schwierigkeiten, das trinitarische Gottesverständnis der Christen nachzuvollziehen. Die Schülerinnen und Schüler bezogen einen eigenen Standpunkt und waren darum bemüht, die Positionen der anderen zu verstehen. Kompetenzbereich 5: Über die Schule hinaus wirken Kompetenz 5.1: Schülerinnen und Schüler eröffnen Perspektiven des abrahamischen Trialogs für Schulprofil und -gemeinschaft. Beispiel: Die Regenbogenschule aus dem ethnisch äußerst heterogenen Berliner Stadtteil Neukölln hat beim Schulenwettbewerb bereits zwei Preise mit ver schiedenen Trialog-Projekten gewonnen. Allen gemeinsam war eine künstlerische Herangehensweise, die die Schülerinnen und Schüler zu einem kreativen Umgang mit der Trialog-Thematik befähigte. Eines der Projekte beschäftigte sich mit den religiösen Festen – am Beispiel der religiösen Jahreskreise. Es erfolgte eine Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in drei Gruppen (Christentum, Judentum und Islam). Jeder wurde von einem Künstler fachlich betreut, der eine der drei Religionen als biografischen Hintergrund hatte. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten zu je fünf Kindern in einer Gruppe. Danach rotierten sie weiter – so entstand bereits ein Trialog auf Arbeitsgruppenebene. Die jungen Berliner behandelten das christliche Erntedankfest und den Reformationstag, auf jüdischer Seite Rosh Hashana oder Jom-Kippur sowie das islamische Ramadan- und Opferfest. Dabei entdeckten sie, 34 4 . i m w e t t b e w e r b e r h o b e n e S ta n d a r d s dass die muslimischen Feiertage aufgrund des Sonnenkalenders kein festes Datum haben, also in jedem Schuljahr an unterschiedlichen Daten stattfinden. Um sich den Themen künstlerisch zu nähern, verfügte jedes Kind über ein Skizzenbuch, in dem es seine Ideen dokumentierte. Die Zusammenarbeit mit den Schulkünstlern erwies sich als große pädagogische Bereicherung und strahlte weit über die Schule aus. Die Schülerinnen und Schüler besprachen ihre kreativen Vorstellungen mit ihnen, entwickelten sie weiter und setzen sie dann um. So entstand ein weiterführender Prozess, der sowohl die Lernleistung im Unterricht als auch die künstlerische Arbeit beeinflusste. Das Skizzenbuch bildete dabei den Ausgangspunkt und dokumentierte den kreativen Lernprozess, ähnlich einem Portfolio. Die fertigen Produkte konnten von allen Schülerinnen und Schülern der Schule im Atrium angeschaut werden. So entstand auch die Möglichkeit, dass ganze (Religions-)Klassen sich mit den Arbeiten beschäftigen und von den Ergebnissen profitieren konnten. Da die Arbeitsgruppen häufig am Kunstwerk selbst tätig waren, konnten auch sie ihren Mitschülerinnen und -schülern Begriffe oder Zusammenhänge des Miteinanders der drei Religionen erklären, ohne dass dies in einem regulären Unterricht passieren musste. In einem weiteren Projekt gestalteten die Schülerinnen und Schüler ein 1 x 1 Meter großes Buch mit Bildern und Texten zu den drei abrahamischen Religionen. Außerdem hatten die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern im Hof der Schule ein Labyrinth der drei Religionen errichtet, dessen drei Eingänge den Portalen der drei Gotteshäuser nachempfunden waren. Der Trialog hat sich an der Regenbogenschule derart bewährt, dass er nicht nur in das schulinterne Curriculum aufgenommen wurde, sondern die Schule einen eigenen Trialogunterricht eingerichtet hat, der abwechselnd von jüdischen, christlichen und muslimischen Lehrerinnen und Lehrern gestaltet wird. Seitdem die Schule sich so intensiv um den Trialog bemüht, verzeichnet die Schulleiterin deutlich weniger Konflikte unter den Schülerinnen und Schülern. Das wurde auch vom Neuköllner Quartiersmanagement, mit dem die Schule seit Jahren intensiv kooperiert, und von den lokalen Kirchen sowie dem Kunstamt Neukölln sehr hoch bewertet. Auch mit dem Schuleigentum und den vielen Kunstwerken zum Trialog wird sehr bewusst und pfleglich umgegangen. 35 Cl auS S Pe t er S a ja k / A n n - K at hrin M u t h Kompetenz 5.2: Schülerinnen und Schüler entwickeln Formen der Verständigung und der Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und ihrem lokalen Umfeld. Beispiel: Mit dem Projekt „Aus Spiel wird Ernst“ hat die ebenfalls in BerlinNeukölln ansässige Elbe-Schule im Wettbewerbsjahr 2008/2009 teilgenommen und den dritten Preis gewonnen. Ziel des Projekts war eine Bühnenperformance bestehend aus Schauspiel, Moderation, Film und Musical, die sich mit interkultureller Gewalt und deren Prävention nicht zuletzt im eigenen Umfeld befasste. Ausgehend von Fragen wie „Wodurch entsteht Gewalt?“, „Wo findet Gewalt, die einen religiösen Hintergrund hat, in unserem Umkreis statt?“ und „Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es für derartige Konflikte?“, organisierte die Schule Diskussionsrunden, Schreibwerkstätten und Improvisationen. Die Schülerinnen und Schüler erstellten einen Forschungsfragenkatalog, um ihre Arbeit zu strukturieren. Zu dem erarbeiteten Material suchten sie dann die passenden künstlerischen Ausdrucksformen. Exkursionen ergänzten regelmäßig die inhaltliche Arbeit. So besuchten die Schülerinnen und Schüler das Jüdische Museum in Berlin, erhielten Besuch von einer Konfirmandengruppe, bauten Kontakte zum Konservatorium für türkische Musik und zum InstrumentenMuseum auf. Bei der Arbeit wurde den Grundschülern deutlich, dass die Entstehung und der Verlauf von Konflikten auch religiöse Gründe haben können. Sie begriffen, dass für die Lösung solcher Konflikte der gegenseitige Respekt voreinander entscheidend ist. Die erarbeiteten Elemente des Musiktheaters führten die Schülerinnen und Schüler als krönenden Abschluss dann in der „Werkstatt der Kulturen“ auf. Später luden andere Schulen und ein Jugendzentrum im Bezirk die Elbe-Schule zur Aufführung von „Aus Spiel wird Ernst“ ein: Für die Schüler aus dem sozialschwachen Bezirk ein großes Erlebnis – für die Schule ein wichtiger Schritt in intensive Kooperationen mit außerschulischen und anderen schulischen Einrichtungen, die die Impulse der Elbe-Schule dankbar aufgriffen und den Schülerinnen und Schülern im Gegenzug neues, künstlerisch-technisches Know-How vermittelten. 36 5. Fazit: Der Trialog der Kulturen muss in die Schule Mit dem „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb hat die Herbert QuandtStiftung ein kreatives und zugleich wirksames Instrument geschaffen, durch das sie selbst an der Umsetzung der vor über zehn Jahren entstandenen Empfehlungen der University of Birmingham mitwirken kann. In diesem Sinne legt die Stiftung bei der Auswahl der teilnehmenden Schulen und den damit verbundenen Entscheidungsprozessen Kriterien zugrunde, die sich an den Ergebnissen und Hinweisen der Birmingham-Studie orientieren. So sind Faktoren wie Nachhaltigkeit, beispielsweise eine Verankerung der TrialogThematik im schulinternen Curriculum, die Einbindung von Studentinnen und Studenten bzw. Lehrerinnen und Lehrern im Vorbereitungsdienst, wie auch ein Engagement von Seiten der Eltern Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme und etwaige Auszeichnung. Durch diese indirekte Steuerung von Unterrichtsund Schulentwicklungsprozessen im Rahmen von Wettbewerbsevaluationen ist es gelungen, an den teilnehmenden Schulen Standards für das trialogische Lernen einzuführen und zu überprüfen, die zu einem nachhaltigen interkulturellen und interreligiösen Lernen beigetragen haben. Diese Standards nicht nur für die ständig wachsende Zahl der Wettbewerbsschulen einzufordern, sondern sie als Chance und Perspektive für Schulen und Bildungspolitik generell anzubieten, ist das Anliegen dieser Veröffentlichung. 37 w e i t e r f ü h r e n d e L i t e r at u r Zu: Schulen orientieren sich an Standards und Kompetenzen Weiterführende Literatur Dietrich Benner (Hg.): Bildungsstandards. Kontroversen – Beispiele – Perspektiven, Paderborn 2007. Zur Einleitung: Jorgen Nielsen/Markus Vinzent/Lisa Kaul-Seidmann: Europäische Identität und kultureller Pluralismus: Judentum, Christentum und Islam in europäischen Lehrplänen. Empfehlungen für die Praxis, Bad Homburg v. d. Höhe 2003. Zu: Trialogisches Lernen ermöglicht Kompetenzentwicklung Katja Baur (Hg.): Zu Gast bei Abraham. Ein Kompendium zur interreligiösen Kompetenzbildung, Stuttgart 2007. Christina Brüll et al.: Synagoge – Kirche – Moschee. Kulträume erfahren und Religionen entdecken, München 2005. Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen, 2. überarbeitete Auflage, München 2007. 38 Karlo Meyer: Zeugnisse fremder Religionen im Unterricht. „Weltreligionen“ im deutschen und englischen Religionsunterricht, Neukirchen-Vluyn 1999. Ann-Kathrin Muth/Clauß Peter Sajak: Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Eine Folienmappe, München 2010. Clauß Peter Sajak: Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. Unter Mitarbeit von Katrin Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf und Jan Woppowa, München 2010. Clauß Peter Sajak: Das Fremde als Gabe begreifen – Auf dem Weg zu einer Didaktik der Religionen aus katholischer Perspektive, 2. überarbeitete Auflage, Münster 2010. Andreas Feindt et al. (Hg.): Kompetenzorientierung im Religionsunterricht. Befunde und Perspektiven, Münster 2009. Eckhard Klieme et al.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, Berlin 22003. Wolfgang Michalke-Leicht (Hg.): Kompetenzorientiert unterrichten. Ein Praxisbuch für den Religionsunterricht, München 2011. Gabriele Obst: Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2009. Clauß Peter Sajak (Hg.): Bildungsstandards für den Religionsunterricht. Perspektiven für ein neues Instrument im RU, Münster 2007. Zu: Standards für das Trialogische Lernen Clauß Peter Sajak (Hg.) unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel: Trialogisch Lernen. Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010. 39 Die Autoren - Zusammen mit Muth, Ann-Kathrin, Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Eine Folienmappe, München 2010. - (Hg.) unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel, Trialogisch Lernen. Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010. - (Hg.) Praktische Theologie. Modul 4 – Theologie studieren im modularisierten Studiengang, Die Autoren Clauß Peter Sajak Geboren 1967 in Leverkusen, 1989-1994 Studium der Katholischen Theologie, Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Bonn und Freiburg/Breisgau. 1995 Erstes Staatssexamen. Referendariat in Karlsruhe. 1998 Zweites Staatsexamen und Promotion an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 19982002 Studienrat am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Heilbronn. 1995, 1999 und 2005 Forschungsaufenthalte am Princeton Theological Seminary, der Michigan State University und der Notre Dame University. 2002-2008 Referent für Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz. 2004 Habilitation und Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg. 2007-2008 Außerplanmäßiger Professor in Freiburg. Seit 2008 Professor für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Paderborn 2011. Ann-Kathrin Muth Geboren 1983 in Oelde/Westfalen. 2003-2008 Studium der Fächer Katholische Theologie, Germanistik und Musik für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2008 Erstes Staatsexamen. Seit 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik mit dem Promotionsprojekt „Lernen im Trialog? Wettbewerbslernen als neue Perspektive in der Debatte um Kompetenzorientierung im Religionsunterricht“, das sich auf den „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb bezieht. Publikationen: - „Katholische Schulen im Wettbewerb. Die Sankt-Lioba-Schule Bad Nauheim und ihr Beitrag zum Wettbewerb ‚Schulen im Trialog’ der Herbert Quandt-Stiftung“, in: engagement 4/2009, 326-332. - Zusammen mit Clauß Peter Sajak: „Freiheit von der Religion oder Freiheit vom Staat? Eine Unterrichtseinheit zum Staat-Kirchen-Verhältnis für die Sekundarstufe II“, in: Eulenfisch 1 (2010), 25-38. - „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“, in: Clauß Peter Sajak (Hg.) unter Publikationen: - Exil als Krisis. Selbstkundgabe, Erinnerung und Realisation als Beitrag deutschsprachiger Exilliteratur zu einer narrativen Religionsdidaktik, Ostfildern 1998. - Das Fremde als Gabe begreifen – Auf dem Weg zu einer Didaktik der Religionen aus Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel: Trialogisch lernen. Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010, 175-253. - Zusammen mit Clauß Peter Sajak: Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Eine Folienmappe, München 2010. katholischer Perspektive, Münster 2005. - (Hg.) Bildungsstandards für den Religionsunterricht. Perspektiven für ein neues Instrument im RU, Münster 2007. - Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. Unter Mitarbeit von Katrin Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf und Jan Woppowa, München 2010. 40 41 leitbild Leitbild der Herbert Quandt-Stiftung Den Bürger stärken – die Gesellschaft fördern Gestiftet als Dank für die Lebensleistung des Unternehmers Dr. h.c. Herbert Quandt setzt sich die Herbert Quandt-Stiftung für die Stärkung und Fortentwicklung unseres freiheitlichen Gemeinwesens ein. Ausgangspunkt ihres Handelns in den Satzungsbereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur ist entsprechend diesem Vorbild die Initiativkraft des Einzelnen und die Einsatzbereitschaft für andere. Die Stiftung will mit ihrem Wirken dazu beitragen, das Ideal des eigenständigen Bürgers zu fördern: Sie möchte Menschen anregen, ihre individuellen Begabungen zu entfalten und Verantwortung für sich sowie für das Gemeinwesen zu übernehmen. Die Stiftung ist grundsätzlich operativ tätig in Form von längerfristigen Programmen, so auch im „Trialog der Kulturen“. Sie greift gesellschaftspolitische Themen auf, erschließt sie in Kooperation mit der Wissenschaft, entwickelt praktikable Lösungsansätze und bringt sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Politik. Sie möchte damit auch die politische Kultur unseres Landes fördern. Je nach Erfordernis setzt die Herbert Quandt-Stiftung auf Bündnisse mit anderen Institutionen und Organisationen, um den gesamtgesellschaftlichen Dialog zu befördern sowie andere zu ermutigen, die Anliegen der Stiftung aufzunehmen und weiterzutragen. 42 43 25.000 Schüler an über 100 Schulen haben seit 2005 am „Trialog der Kulturen“Schulenwettbewerb der Herbert Quandt-Stiftung teilgenommen. Kreative Projekte mit klaren pädagogischen Zielen beleuchten schulformspezifisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Judentum, Christentum und Islam. Lassen sich die Ergebnisse der einzelnen Schulen bündeln, übertragen, analysieren, um praxiserprobte „trialogische Bildungsstandards“ zu entwickeln? Der Münsteraner Religionspädagoge Clauß Peter Sajak, Spezialist für interreligiöses Lernen sowie für die Bildungsstandarddiskussion, und seine Mitarbeiterin Ann-Kathrin Muth beantworten diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Sie sind mit der Herbert Quandt-Stiftung fest davon überzeugt, dass es auch für interkulturelles und interreligiöses Lernen definierbare Kompetenzen gibt. Ein innovatives Angebot, das eine unübersehbare Lücke in der gegenwärtigen Bildungsstandarddebatte füllt – und so einen Beitrag zur bildungspolitischen Integration leistet. Herbert Quandt-Stiftung Am Pilgerrain 15 D-61352 Bad Homburg v. d. Höhe Tel: +49 (0) 6172 404- 500 Fax:+49 (0) 6172 404- 545 www.herbert-quandt-stiftung.de